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{"created":"2022-01-31T17:00:17.622727+00:00","id":"lit15322","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"K\u00fclpe, Oswald","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 360-366","fulltext":[{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"S 60\nLitteraturbericht.\nAssoziation: diejenigen Vorg\u00e4nge einleitet, welche zur Ausf\u00fchrung der gew\u00fcnschten Bewegung f\u00fchren. Von jenen Bestandteilen der Bewegungs-Vorstellung ist nach Charlton Bastian der auditive oder visuelle Bestandteil immer der zuerst eingeleitete, erst von ihm aus gelangt die Erregung auf Assoziationsbahnen nach den kinasthetischen zugeh\u00f6rigen Centren und von da nach den eigentlichen motorischen Centren. Verfasser hebt die Wichtigkeit jener sensoriellen Th\u00e4tigkeit f\u00fcr die Ausf\u00fchrung von Willensbewegungen besonders hervor und weist sie an einem Falle von Aphasie, verbunden mit Agraphie, nach. Zum Schlufs wendet er sich gegen die Auffassung der kin\u00e4sthetischen als motorischer Centren. Die Existenz kortikaler motorischer Centren f\u00fcr die Ausf\u00fchrung von Willensbewegungen anzunehmen, sei unn\u00f6tig, vielmehr seien motorische Centren nur aufserhalb der psychischen Sph\u00e4re im verl\u00e4ngerten Mark, sowie im R\u00fcckenmark zu suchen.\tA. Pilzecker (G\u00f6ttingen).\nE. Rosenbaum. Warum m\u00fcssen wir schlafen? Eine neue Theorie des Schlafs. Inaug.-Dissert. Berlin 1892. 62 S.\nIm Anschlufs an RANKESche Versuche kommt Verfasser zu der Ansicht, dafs in dem w\u00e4hrend des Wachens fortw\u00e4hrend th\u00e4tigen Nervensystem durch chemische Umsetzungen Wasser gebildet wird. Dieses Wasser wird nur durch die Lunge ausgeschieden und zwar weniger rasch als es sich in der Nervensubstanz ansammelt. Wenn der Wasser\u00fcberflufs; die Quellung der Nervenzellen, einen gewissen Grad erreicht hat, tritt der Schlaf ein. Warum das dann geschieht, also den Kernpunkt der ganzen neuen Theorie, \u00fcberl\u00e4fst Verfasser dem Leser zwischen den Zeilen herauszufinden. Er stellt sich offenbar vor, dais das zu reichlich vorhandene Wasser einfach mechanisch die Zufuhr frischer Substanz an Stelle der verbrauchten hindert und damit allerdings dies Weiter-Funk-tionieren auf hebt, dessen Sistieren als Schlaf bezeichnet wird. Verschwindet das Wasser w\u00e4hrend der Ruhe durch Exspiration, so treten die inzwischen im Organismus aufgespeicherten assimilierten Nahrungsstoffe an seine Stelle, und die Nervenzellen werden wieder leistungsf\u00e4hig, das Erwachen bereitet sich vor. \u2014 Gewichtige St\u00fctzen seiner Theorie bringt Verfasser nicht bei; ein um so luftigeres Geb\u00e4ude von Nebenhypothesen erbaut er auf seinem Grundgedanken und kr\u00f6nt dasselbe mit der These, dafs die Intelligenz dem prozentualischen Wassergehalt des Gehirns umgekehrt proportional und nach diesem zu messen sei, wenigstens beim Kinde. Im ganzen ist die Dissertation , schon wegen der fleifsigen historischen \u00dcbersicht \u00fcber die \u00e4ltesten und \u00e4lteren Schlaftheorien, f\u00fcr Interessenten immerhin lesenwert.\tSchaefer.\nH. Cornelius. Verschmelzung und Analyse\u00bb Vierteljahrsschr. f. wies. Philos. Bd. 16. S. 404\u2014446 u. Bd. 17. S. 30\u201475. (1892 u. 1893.)\nDer Begriff der Verschmelzung ist seit Stumpfs bekannter Verwertung desselben in der \u201eTonpsychologie\u201c (II. 1890) mehrfach Gegenstand psychologischer Diskussionen geworden. In der That hat er erst","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\t361\ndurch die umfassenden und scharfsinnigen Er\u00f6rterungen dieses Forschers eine exaktere Bedeutung f\u00fcr die Psychologie \u00fcberhaupt gewonnen. Die Verschmelzung ist nach Stumpf ein Empfindungsverh\u00e4ltnis, dadurch ausgezeichnet, dafs die Analyse eines in diesem Sinne aufzufassenden Empfindungskomplexes mehr oder weniger stark erschwert ist. Stumpf will aber keineswegs Verschmelzung und Analyse in eine reciproke Beziehung zu einander gesetzt wissen, vielmehr ist die Analyse noch von einer Anzahl anderer Bedingungen aufser dem Empfindungsverh\u00e4ltnis der Verschmelzung abh\u00e4ngig ; das letztere dagegen ist nach der Ansicht dieses Psychologen, wenn man von den verschiedenen Graden oder Stufen der Verschmelzung absieht, durch nichts beeinflufst. Insbesondere bleibt es unver\u00e4ndert, wenn wir die absolute oder die relative Intensit\u00e4t der Bestandteile oder Komponenten \u00e4ndern, wenn die Anzahl der letzteren w\u00e4chst oder ahnimmt u. s. w. Zu erkl\u00e4ren ist endlich die Thatsache eines solchen konstanten Empfindungsverh\u00e4ltnisses nach Stumpf nur durch die Annahme einer irgendwie physiologisch zu deutenden \u201especifischen Synergie\u201c. Bei allen mir bekannt gewordenen kritischen Betrachtungen und Einw\u00e4nden gegen\u00fcber dem hier kurz bezeichneten, von Stumpf ausdr\u00fccklich nur auf das Verh\u00e4ltnis von T\u00f6nen zu einander bezogenen Verschmelzungsbegriff ist merkw\u00fcrdigerweise auf dessen thats\u00e4chliche Grundlagen nicht n\u00e4her eingegangen worden. Auch die von uns hier zu besprechende, im allgemeinen klare und sorgf\u00e4ltige Abhandlung von C. hat sich auf logische Erw\u00e4gungen und eine ungen\u00fcgende Ber\u00fccksichtigung der in der psychologischen Litteratur oder der gew\u00f6hnlichen Erfahrung niedergelegten Thatsachen beschr\u00e4nkt und ist deshalb dem eigentlichen Kern des von Stumpf vertretenen Begriffes gar nicht gerecht geworden. Bei der Wichtigkeit, die wir der Verschmelzung nicht nur f\u00fcr die Tonpsychologie, sondern auch f\u00fcr die Lehre von der Verbindung anderer Empfindungen beilegen zu m\u00fcssen glauben, sei es gestattet, unser Referat etwas ausf\u00fchrlicher zu gestalten.\nDer Verfasser sucht den Begriffen der Verschmelzung und Analyse eine sehr allgemeine Bedeutung zu geben. Beide sind nach ihm Wechselbegriffe: die Analyse hebt die Verschmelzung, die Verschmelzung hebt die Analyse auf. Sie beziehen sich nicht nur auf Tonempfindungen und nicht nur auf gleichzeitig gegebene, r\u00e4umlich ungesonderte Empfindungen, sondern auf jede Verbindung von Bewufstseins-Inhalten, ja auf den Gesamtzustand des Bewufstseins \u00fcberhaupt. Die Verschmelzung ist nur ein Ausdruck daf\u00fcr, dafs gewisse Bestandteile eines Komplexes von Bewufstseins-Inhalten als solche unbemerkt bleiben, und die Analyse ist nur der korrelate Ausdruck f\u00fcr die andere Thatsache, dafs wir gewisse Bestandteile einer Gesamtheit gleichzeitiger oder succedierender Ph\u00e4nomene der inneren Erfahrung bemerken. Eine jede Mehrheit von Empfindungen ist, sofern sie als gleichzeitig vorhandene gedacht werden, urspr\u00fcnglich eine Verschmelzung. Die Analyse ist urspr\u00fcnglich nur m\u00f6glich in Form einer Unterscheidung succesiver Empfindungszust\u00e4nde. Eine Wahrnehmung der Mehrheit gleichzeitig gegebener Empfindungen ist nur m\u00f6glich auf Grund eines Wandems der Aufmerksamkeit von Teil zu Teil. Der Schein einer unmittelbaren [Analyse entsteht hier","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"\u25a0Litteraturbericht.\n362\nteils durch die bei gr\u00f6fserer \u00dcbung ein tretende Schnelligkeit dieses Wanderns, teils durch die auf mittelbare Kriterien gest\u00fctzte Sicherheit des Urteils. Doch wird beim Analysieren auch niemals die einzelne Empfindung f\u00fcr sich allein wahrgenommen, sondern stets nur in ihrer Ver; bindung mit allen \u00fcbrigen gleichzeitig vorhandenen Bewufstseins-Inhalten. Man kann daher nur sagen, dafs ver\u00e4nderte Gesamtempfindungen beim Analysieren bemerkt werden, die mit den Empfindungen, die durch einen Teil der Reize hervorgebracht werden, eine gr\u00f6fsere oder geringere \u00c4hnlichkeit aufweisen.\nDiesen allgemeinen Bestimmungen der in Bede stehenden Begriffe l\u00e4fst der Verfasser sodann eine Besprechung einzelner Anwendungsformen folgen, so der Analyse und Verschmelzung gleichzeitiger Ton-\u2019ernpfindungen, der im Gesichtsfelde gegebenen Eindr\u00fccke, successiver Empfindungen und des Gesamtzustandes unseres Bewufstseins. Die S\u00ef\u00fcMPFSche Disjunktion bei der Auffassung gleichzeitiger Tonempfindungen in eine Mehrheits-, Einheits- und Wettstreitslehre bezeichnet er als unvollst\u00e4ndig. Seine eigene \u201emodificierte Einheitslehre\u201c, nach der urspr\u00fcnglich ein Wandern der Aufmerksamkeit die Analyse erm\u00f6glicht, sp\u00e4ter ein Wissen um diesen Erfolg sofort die Mehrheit erkennen l\u00e4fst, bilde ein Zwischenglied zwischen der Mehrheits- und Einheitslehre. Die Richtigkeit seiner Ansicht Werde durch die Beobachtung belegt, dafs Unge\u00fcbte die Analyse eines Klanges stets in der von ihm angegebenen Weise vollziehen. Da nun jeder einmal unge\u00fcbt gewesen sei, so werde die Analyse stets im Sinne der modificierten Einheitslehre begonnen haben. Die unbemerkten Teilt\u00f6ne eines Klanges sind aber, wie der Verfasser richtig hervor hebt, nicht als schlechthin unbewufste zu bezeichnen, sofern sie zu dem Charakter der Gesamtempfindung etwas beitragen, Ein solcher Beitrag liegt offenbar in der Klangfarbe vor, die nach C. nichts anderes ist, als die bei exklusiver Blchtung der Aufmerksamkeit auf den Grundton resultierende Beschaffenheit der Gesamtempfindung. Von diesem Gesichtspunkt aus \u00fcbt C. eine treffende Kritik an der neoscholastischen STUMiu\u2019schen Auffassung der Klangfarbe. \u2014 Im Gesichtsfelde finden wir nach dem Verfasser ganz \u00e4hnliche Vorg\u00e4nge. Eie F\u00e4higkeit, unanalysierte Anschauungsbilder nach ihrem Gesamteindruck aufzufassen, sei auch hier die prim\u00e4re gegen\u00fcber der auf Analyse gegr\u00fcndeten deutlicheren Erkenntnis. Augenbewegungen und Accomodations\u00e4nderungen treten hier in den Dienst der die Analyse bewirkenden Wanderung der Aufmerksamkeit. Auch succesive Empfindungen Verschmelzen, wie das Beispiel der meisten Ger\u00e4usche, auch von Melodien, deren Einzelheiten wir nicht behalten, und s\u00e4mtlicher Bewegungsempfindungen im Gebiete des Gesichts- und Tastsinnes lehrt. Die Zusammensetzung der optischen Bewegu\u00fcgsempfindungen aus einzelnen Eindr\u00fccken, welche keinen Beweg\u00fcngsch\u00e4rakter haben, d\u00fcrfen durch die am Stroboskop beobachteten Erscheinungen Wohl als erwiesen gelten. Ganz verst\u00e4ndlich findet der Verfasser nach seiner Auffassung die Thatsache, dafs bewegte Objekte leichter erkannt Werden, als ruhende, ebenso die andere Thatsache, dafs Wir Bewegungen unserer Glieder wahrnehmen k\u00f6nnen, ohne dafs eine Angabe der einzelnen","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"I\u00c0tteratufbericht.\n363\nPhasen odef Lagen m\u00f6glich ist. Ferner geh\u00f6ren die \u201efundierten Inhalte\u201c Meinongs und die \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c v. Ehrenfels\u2019 ( Vierteljahrsch. f. wiss. Philos. 14. Bd., S. 268 ff.) zu den Verschmelzungsph\u00e4nomenen, die sich nat\u00fcrlich auch auf Koexistenz oder-Succession von Empfindungen und Ged\u00e4chtnisbildern erstrecken. Sich eines Erlebnisses erinnern, heilst nichts anderes, als dessen Nachwirkung auf unseren jetzigen Zustand als solche bemerken. Zu den unbemerkten Komponenten des jeweiligen Gesamtzustandes unseres Bewufstseins m\u00fcssen auch alle nicht als solche erkannten Ged\u00e4chtnisbilder fr\u00fcherer Ereignisse gerechnet werden. Auch hier wird durch die Analyse eben jener Gesamtzustand selbst fortw\u00e4hrend ver\u00e4ndert, und bei jeder Reproduktion eines Ged\u00e4chtnisbildes wird nicht dieses f\u00fcr sich allein wahrgenommen, sondern als Teil eines Komplexes gleichzeitiger \u00f6der Succesiver Ph\u00e4nomene. So werden die Kontiguit\u00e4tsassociationen auf die Th\u00e4tsache zur\u00fcckgef\u00fchrt, dafs \u201eeine Vorstellung unsere Aufmerksamkeit auf das Ged\u00e4chtnisbild einer \u00e4hnlichen Vorstellung hinzulenken vermag, die unter anderen Umst\u00e4nden ins Bewufstsein getreten ist\u201c. Diese Thats\u00e4che erscheint dem Verfasser als ebenso elementar, wie die Verst\u00e4rkung der Wirkung eines Reizes durch einen \u00e4hnlichen weiteren Reiz.\nIndem wir auf die Terminologie des Verfassers, die er in der Einleitung seiner Abhandlung darstellt und die im wesentlichen nach der bekannten Auffassung von Brentano gebildet ist, einzugehen verzichten, Wenden wir uns nunmehr zu einer kritischen W\u00fcrdigung der von ihm Vorgetragenen Anschauung. Das erste und wichtigste, was wir gegen den Begriff der Verschmelzung von C. einzuwenden haben, besteht darin, dafs er die specifische Bedeutung, welche ihm Stumpf gegeben und die, wenn auch in anderer Form, auch von Herbart und Wu'ndt dem n\u00e4mlichen Ausdruck beigelegt Worden war, v\u00f6llig verwischt hat. Nach dem Verfasser ist die Verschmelzung und ihr Korrelat, die Analyse, lediglich ein Name f\u00fcr die l\u00e4ngst bekannte Wirksamkeit der Aufmerksamkeit. Mit keinem Worte wird des Unterschiedes der Verschmelzungsstufen oder des besonderen Verhaltens gedacht, das bei einer Analyse gleichzeitiger T\u00f6ne in Abweichung von der Analyse gleichzeitiger, aber r\u00e4umlich getrennter Farben stattfindet. Fs ist nicht einzusehen, Wozu die Einf\u00fchrung eines neuen Begriffes dienen soll, wenn nicht zu einer besonderen Bestimmung oder Angabe eigent\u00fcmlicher Vorg\u00e4nge der Erfahrung. Das Wechsel Verh\u00e4ltnis zwischen Verschmelzung und Analyse, wie es uns der Verfasser schildert, ist aber nichts anderes als dasjenige, was sonst alle Psychologen von einem Einflufs der Aufmerksamkeit auf die Beurteilung von Empfindungsverbindungen auszusagen pflegen. Es ist hiernach ohne weiteres klar, dafs der Verfasser den Verschmelzungsbegriff von Stumpf, wie wir ihn oben kurz skizziert haben, gar nicht ber\u00fchrt, geschweige in seiner thats\u00e4chlichen Bedeutung berichtigt oder erg\u00e4nzt hat. \u25a0\nZweitens hat Corn\u00e9lius zu einer Theorie der Aufmerksamkeit nicht nur nichts beigetragen, Sondern noch einen wesentlichen Punkt in ihrem Einflufs \u00fcbersehen. Gerade bei seiner Auffassung der Verschmelzung w\u00e4re es zum mindesten w\u00fcnschenswert gewesen, die der Aufmerksamkeit","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nLitteratiirbericht.\nhierbei zugeschriebene Wirkung aufzukl\u00e4ren, irgendwie theoretisch zu begr\u00fcnden. Damit w\u00e4re wenigstens, abgesehen von der Einf\u00fchrung neuer Worte f\u00fcr sonst anders hezeichnete Vorg\u00e4nge, eine positive psychologische Leistung m\u00f6glich gewesen. Wir finden jedoch nicht, dafs eine solche auch nur andeutungsweise bei dem Verfasser vorhanden ist, wenn wir von dem gel\u00e4ufigen \u201eWandern der Aufmerksamkeit\u201c, von der Unterscheidung der unwillk\u00fcrlichen und willk\u00fcrlichen Aufmerksamkeit und anderen keineswegs neuen Bestimmungen ahsehen. Aufserdem aber scheint der Verfasser \u00fcbersehen zu haben, dafs die Aufmerksamkeit nicht schlechthin als eine analysierende Funktion aufgefafst werden darf, dafs sie vielmehr ebensowohl die Verschmelzung als die Analyse zu unterst\u00fctzen vermag. Je nach der .Richtung unserer Aufmerksamkeit kann bald der Gesamteindruck einer Verbindung von Bewufstseins-Inhalten, bald die letzteren in ihrer Besonderheit in unserer Wahrnehmung hervortreten. Es geht deshalb auch nicht an, Verschmelzung und Analyse in dem vom Verfasser dargelegten Sinne zur Aufmerksamkeit in Beziehung zu setzen.\nDrittens ist es nicht richtig, wenn der Verfasser behauptet, dafs eine jede Mehrheit gleichzeitiger Empfindungen urspr\u00fcnglich eine Verschmelzung sei, d. h. als Mehrheit nicht bemerkt werde. Gewifs ist \u00dcbung von grofsem Einflufs auf die Unterscheidung, aber haupts\u00e4chlich doch nur in der Weise, dafs sich ein immer mehr differenziertes System von Zeichen ausbildet, mit deren H\u00fclfe wir in jedem Falle leicht die einzelnen Bestandteile eines Komplexes anzugeben im Stande sind. Das einzige Beispiel, welches der Verfasser zur Begr\u00fcndung seiner Ansicht vorbringt, ist die bekannte Unf\u00e4higkeit Unge\u00fcbter, einen Klang zu analysieren. Hier h\u00e4ngt jedoch die Schwierigkeit, die einzelnen Teilt\u00f6ne wahrzunehmen, von ganz besonderen, die Analyse erschwerenden Bedingungen ab. Trotzdem wird sich nicht leicht ein Unge\u00fcbter finden, der nicht etwa eine unharmonische Verbindung von T\u00f6nen, die verschiedenen Oktaven angeh\u00f6ren, als eine Mehrheit von Eindr\u00fccken zu bezeichnen verm\u00f6chte. Ebenso sind die Gr\u00fcnde, welche von Stumpf f\u00fcr eine unmittelbare Auffassung der Mehrheit gleichzeitiger T\u00f6ne beigebracht sind, durch den Verfasser keineswegs entkr\u00e4ftet. Wir m\u00fcssen aus diesem Grunde auch seine modificierte Einheitslehre als den That-sachen nicht entsprechend ablehnen. Vollends aber ist die analoge Auffassung gleichzeitiger Eindr\u00fccke im Gesichtsfelde eine unzutreffendej irgend eine Analyse ist hier, sofern \u00fcberhaupt qualitative Unterschiede der Helligkeit oder des Farbentons nach Mafsgahe der f\u00fcr die U. E. geltenden Bestimmungen wahrgenommen werden k\u00f6nnen, jedenfalls und urspr\u00fcnglich vorhanden. Was der Verfasser in diesem Gebiete an That-Sachen heihringt, l\u00e4fst sich teils auf besondere Erschwerung der Analyse, teils auf den Mangel eines ausgehildeten namentlichen oder begrifflichen Wissens zur\u00fcckf\u00fchren. Der wesentliche Unterschied endlich, welcher zwischen der Analyse gleichzeitiger und derjenigen succedierender Geh\u00f6rseindr\u00fccke besteht, ist von dem Verfasser gar nicht ber\u00fccksichtigt worden. Auf diese Weise hat er zu erkl\u00e4ren vergessen, warum die","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturberich t.\n365\nunmittelbare Wahrnehmung der Mehrheit succesiv\u00e9r Empfindungen so sehr im Vorteil ist gegen\u00fcber einer Analyse gleichzeitiger.\nWir k\u00f6nnen hiernach als f\u00f6rderlich und wertvoll an den Ausf\u00fchrungen des Verfassers nur das bezeichnen, was sich auf die Bedeutung der unbemerkten Teilinhalte eines Komplexes bezieht, Es war immerhin n\u00fctzlich (wenn auch nicht gerade neu), auf den Unterschied aufmerksam zu machen, der zwischen dem Unbewufsten als'einem Nichts und dem Unbewufsten als einer wirksamen, aber unbemerkten Komponente besteht. Auch was der Verfasser in diesem Zusammenh\u00e4nge \u00fcber die \u201ever\u00e4nderte Gesamtempfindung\u201c mitteilt, verdient Beachtung. Leider hat sich jedoch C. mit der Aufstellung dieses Begriffs begn\u00fcgt, ohne uns eine wirkliche Bew\u00e4hrung und Erkl\u00e4rung desselben zu bieten. Es w\u00e4re nicht unangemessen gewesen, das vorliegende experimentell psychologische Material daraufhin zu untersuchen, oder selbst\u00e4ndige Beobachtungen, die auch in sehr einfacher Weise h\u00e4tten gewonnen werden k\u00f6nnen, dar\u00fcber anzustellen. Aher um eine Erkl\u00e4rung der von ihm er\u00f6rterten Thatsachen hat sich der Verfasser \u00fcberhaupt nicht bem\u00fcht. Er sucht sie lediglich seinen zuv\u00f6rderst definierten Begriffen zu subsumieren. Insbesondere zeigt sich dies Verfahren bei der Interpretation, welche die Erinnerung, die Association, die Bewegungsempfindungen durch ihn erfahren. So wird beispielsweise die mehrfach beobachtete Thatsache, dafs wir Bewegungen als solche wahrnehmen k\u00f6nnen, ohne \u00fcber ihre Richtung oder ihre einzelnen Phasen eine Aussage machen zu k\u00f6nnen, mit der Bemerkung abgethan,- dafs nat\u00fcrlich f\u00fcr die Gesamtempfindung einer Bewegung andere Gesetze gelten m\u00fcfsten, als f\u00fcr die Wahrnehmung einzelner Stellungen der beweglichen Objekte.\nEs mag mir zum Abschlufs gestattet sein, mit einigen Worten die Auffassung anzudeuten, welche ich selbst mir im Wesentlichen schon vor dem Erscheinen des 2. Bandes der Tonpsychologie von dem Begriff der Verschmelzung gebildet habe. F\u00fcr diesen Zweck wird es gen\u00fcgen, wenn ich mich auf die Empfindungen (als einfache Bewufstseinsinhalte gefafst und von den Gef\u00fchlen der Lust und Unlust unterschieden) beschr\u00e4nke. La wir an den Empfindungen im allgemeinen eine Qualit\u00e4t, Intensit\u00e4t, r\u00e4umliche und zeitliche Form als selbst\u00e4ndig variable Merkmale unterscheiden k\u00f6nnen, so ist auch die Verbindung von Empfindungen nach \u2022diesen vier Gesichtspunkten gesondert zu betrachten. Dabei ergiebt sich zun\u00e4chst, dafs die Selbst\u00e4ndigkeit der Elemente in einer solchen Verbindung eine ganz verschiedene ist, je nachdem, welches von diesen Merkmalen bei den verbundenen Empfindungen Unterschiede aufweist. Ist die r\u00e4umliche und zeitliche Beschaffenheit der Empfindungen die n\u00e4mliche, also eine r\u00e4umliche und zeitliche Sonderung der Empfindungen nicht vorhanden, so ist auch unter den g\u00fcnstigsten Bedingungen die Selbst\u00e4ndigkeit cter verbundenen Elemente zu Gunsten eines resultierenden 'Gesamteindrucks beeintr\u00e4chtigt. Bei jeder r\u00e4umlichen oder zeitlichen Trennung der verbundenen Empfindungen ist dagegen die Wahrnehmung der einzelnen Bestandteile nicht nur nicht erschwert, sondern die bestm\u00f6gliche, und die Bildung eines Gesamteindrucks tritt zur\u00fcck gegen-","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"306\nLitt er a turbericht.\n\u00fcber der selbst\u00e4ndigen Geltung der einzelnen Komponenten. Dieser deutlichen Verschiedenheit in der Auffassung einer Verbindung der Empfindungen, die selbstverst\u00e4ndlich nur unter den n\u00e4mlichen Bedingungen allgemeinerer Art verglichen werden darf, gebe ich durch die Bezeichnungen Verschmelzung und Verkn\u00fcpfung Ausdruck, Die erstere kann hiernach eine intensive und eine qualitative, die zweite eine r\u00e4umliche und eine zeitliche sein. Auf die besonderen Gesetze dieser Verbindungsformen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Es sei nur noch einiges \u00fcber die Beziehung bemerkt, in welcher der hier entwickelte Verschmelzungsbegriff zu dem von Stumpf eingef\u00fchrten steht. Die Tonverschmelzung ist nach unserer Auffassung ein Beispiel der qualitativen Verschmelzung und wir k\u00f6nnen uns die allgemeine Definition ihres Begriffs von Stumpf wohl aneignen. F\u00fcr unrichtig halte ich aber die Auffassung dieses Forschers, wonach darin ein Empfindungsverh\u00e4ltnis unver\u00e4nderlicher Beschaffenheit gegeben sein soll. Ich finde vielmehr, dafs die Tonverschmelzung nicht nur von der Qualit\u00e4t der Komponenten, wie dies in den verschiedenen Graden der Verschmelzung hervortritt, abh\u00e4ngig ist, sondern auch von der relativen Intensit\u00e4t und von der Anzahl der Tonbestandteile be\u00e8influfst wird. Und den besten thats\u00e4chliehen Beweis f\u00fcr das Vorhandensein einer Verschmelzung in besonderen Graden je nach der Wahl der verbundenen T\u00f6ne finde ich nicht sowohl in den eigenen Beobachtungen Stumpfs an Stimmgabelt\u00f6nen und seinen fragw\u00fcrdigen Experimenten an Unmusikalischen, als vielmehr in der gel\u00e4ufigen Unterscheidung unvollkommener und vollkommener Konsonanzen und Dissonanzen der Harmonielehre. Mit der Verwerfung der unver\u00e4nderlichen Beschaffenheit der einzelnen Tonverschmelzungsstufen, die wir hier nicht n\u00e4her begr\u00fcnden, k\u00f6nnen, h\u00e4ngt auch die Ablehnung der specifischen Synergien zusammen, die Stumpf zur Erkl\u00e4rung jener fordern zu m\u00fcssen glaubt. Verschmelzung und Analyse fassen wir insofern auch als korrelate Begriffe auf, als wir f\u00fcr beide von allgemeineren Bedingungen absefien d\u00fcrfen, die, wie z. B. die Aufmerksamkeit, nicht von einem besonderen Einflufs auf einen dieser Vorg\u00e4nge sich erweisen. Die Analyse lediglich als Wahrnehmung der Mehrheit zu betrachten, halten wir deshalb f\u00fcr bedenklich, weil damit nur eine, und noch dazu eine ziemlich \u00e4ufserliche Form der Beurteilung des Empfindungskomplexes hervorgehoben wird. Wir verstehen vielmehr unter der Analyse nichts anderes, als die Th\u00e4tigkeit der U. E., die, wie bekannt, nicht nur die Zahl unterscheidbarer Inhalte anzugeben vermag. Danach k\u00f6nnen wir die Verschmelzung auch als diejenige Verbindung von Empfindungen definieren, infolge deren die U. E. herabgesetzt ist, falls man die bei der Verkn\u00fcpfung obwaltende\u00bb Verh\u00e4ltnisse, die man bei der Untersuchung der U. E. regelm\u00e4fsig bevorzugt hat, als die normalen ansieht. Auf diese Weise gewinnen wir, wie nicht weiter ausgef\u00fchrt zu werden braucht, mehr und wohl auch zuverl\u00e4ssigere Kriterien und Bestimmungen f\u00fcr das Vorhandensein und die Gr\u00f6fse der Verschmelzung, als wenn wir blofs auf zahlenm\u00e4fsige Angaben angewiesen w\u00e4ren, die allzuleicht durch empirische Motive bestimmt werden k\u00f6nnen.\nOswaw) KtJtPE (Leipzig).","page":366}],"identifier":"lit15322","issued":"1893","language":"de","pages":"360-366","startpages":"360","title":"H. Cornelius: Verschmelzung und Analyse. Vierteljahresschr. f. wiss. Philos. Bd. 16, S. 404\u2013446 u. Bd. 17, S. 30\u201375, 1892 u. 1893","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:17.622732+00:00"}