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{"created":"2022-01-31T17:04:09.979474+00:00","id":"lit15347","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schapringer, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 385-396","fulltext":[{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Herzen\u201c.\nVon\nDr. A. Sch\u00e2pringer in New York.\n(Mit 3 Figuren im Text.)\nBei Betrachtung gewisser buntfarbiger Tapeten- oder Teppichmuster tritt unter Umst\u00e4nden eine eigent\u00fcmliche Sinnest\u00e4uschung auf, derart, dafs die roten oder gelben Teile des Musters, etwa Streifen, gleichsam aus der Ebene der betrachteten Fl\u00e4che hervortreten und in einer gewissen Entfernung vor den anderen, gr\u00fcnen oder blauen Teilen wie ein selbst\u00e4ndiges Glitter zu stehen scheinen. Bewegt nun der Beobachter seinen Kopf hin und her, so tritt eine Scheinbewegung des Gitters a\u00fcf, eben wegen des Ausbleibens derjenigen parallaktischen Exkursion, welche das Gitter machen w\u00fcrde, wenn es ein wirkliches, vor der betrachteten Fl\u00e4che sich befindendes w\u00e4re.\nEine naheliegende Erkl\u00e4rung dieser zuerst von Donders eingehender beschriebenen Erscheinung \u2014 Hinweise darauf findet man \u00fcbrigens schon bei Brewster und bei Dove \u2014 bietet sich in der chromatischen Abweichung der brechenden Medien des menschlichen Auges. \"Wird bei entspannter Accommodation ein in bestimmter Entfernung gelegener blauer Lichtpunkt auf der Netzhaut scharf abgebildet, so werden die von einem in derselben Entfernung sich befindenden roten Lichtpunkt ausgehenden Strahlen nicht auf der Netzhaut vereinigt werden, sondern erst hinter derselben. Will das Auge den roten Punkt scharf sehen, so mufs es erst eine Accommodati\u00f6nsanstrengung machen, und der Impuls zu dieser Anstrengung erregt die Vorstellung, dafs der rote Punkt sich n\u00e4her befinde als der blaue.\nNun lehrten aber weitere Beobachtungen, dafs es nicht wenige Menschen giebt, denen die Betrachtung der erw\u00e4hnten\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\t25","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nA. Schapringer.\nMuster nicht Rot n\u00e4her als Blau, sondern merkw\u00fcrdigerweise umgekehrt Blau n\u00e4her als Rot erscheinen l\u00e4fst. Bei anderen ist der Effekt der T\u00e4uschung schwankend, so dafs zeitweilig Rot, zeitweilig aber wieder Blau als die n\u00e4here Farbe erscheint, w\u00e4hrend wieder bei anderen die T\u00e4uschung \u00fcberhaupt gar nicht ein-tritt. Der st\u00e4rkere Accommodationsimpuls f\u00fcr die Farbe schw\u00e4cherer Brechung konnte diese weit auseinandergehenden und sich widersprechenden Resultate nicht erkl\u00e4ren. Es gelang aber Einthoven, der den Gegenstand auf Donders\u2019 Veranlassung einer eingehenden Untersuchung unterwarf, durch Ber\u00fccksichtigung eines zweiten Momentes neben demjenigen der Farbenzerstreuung eine vollkommen befriedigende, alle Widerspr\u00fcche l\u00f6sende Erkl\u00e4rung zu liefern (\u201eStereoskopie durch Farbendifferenz\u201c. v. Gruefes Arch. f. OjMhalm. XXXI. Bd. 3. Abt. S. 21 [1885]). Dieses zweite Moment ist die mangelhafte Cen-trierung des Auges, insonderheit der Umstand, dafs der Durchschnittspunkt der Pupillenebene und der Gesichtslinie gew\u00f6hnlich nicht mit dem Mittelpunkte der Pupille zusammenf\u00e4llt, sondern entweder nasal- oder temporalw\u00e4rts von diesem Mittelpunkte sieh befindet. Ist das Auge f\u00fcr einen in bestimmter Entfernung befindlichen blauen Lichtpunkt fixierend eingestellt, so dafs in der Fovea centralis ein scharfes Bild dieses Punktes entworfen wird, dann entsteht von einem senkrecht, dicht oberhalb oder unterhalb des blauen Punktes befindlichen roten Punkte in der Fovea centralis ein Zerstreuungsbild, dessen Mittelpunkt oder Intensit\u00e4tsmaximum aber nicht senkrecht unter-, bezw. oberhalb des blauen Bildpunktes zu liegen kommt, sondern entweder temporal- oder nasalw\u00e4rts von demselben, je nachdem die Gesichtslinie von der Pupillenmitte nasal-oder temporalw\u00e4rts abweicht.\nFig. 1 und 2 sind Reproduktionen von Zeichnungen, mittelst welcher Einthoven diese Verh\u00e4ltnisse veranschaulicht. Fig. 1 stellt einen Horizontaldurchschnitt des rechten Auges dar, welches auf Blau eingestellt gedacht ist. A\u00c01 ist die durch die Pupillenmitte ziehende Augenachse, c ist die Fovea centralis, deren Abstand vom hinteren Augenpol A\u2018 der Deutlichkeit halber in der Zeichnung kolossal \u00fcbertrieben erscheint, 7c ist der vereinigte Knotenpunkt, plcc die Gesichtslinie und a der \u00fcbertrieben grofs dargestellte, im angenommenen Falle nasalw\u00e4rts gelegene Winkel zwischen der Gesichtslinie und der","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Herzen\u201c.\n387\nAugenachse. Da das Auge auf blaues Liebt accommodierfc gedacht ist, so werden die aus derselben Entfernung kommenden roten Strahlen erst hinter der Fovea, in r zur Vereinigung gelangen. Von dem roten Punkt wird daher auf der Netzhaut selbst ein in Form und Ausdehnung von der Form und Aus-\nJL\ndehnung der Pupille abh\u00e4ngiges Zerstreuungsbild r1 r2 entworfen werden. Den Mittelpunkt s dieses Zerstreuungsbildes kann man nach Einthoven, da er gleichsam den \u201eSchwerpunkt der Intensit\u00e4t\u201c darstellt, als nahezu gleichwertig mit 'einem genauen Bildpunkte ansehen. Es liegt also dann der rote Bildpunkt ss temporalw\u00e4rts von dem Vereinigungspunkte c der aus demselben Orte herstammenden blauen Strahlen. Da die Abweichung der Gesichtslinie von der Pupillenmitte in beiden\n2B*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nA. Schapringer.\nAugen gew\u00f6hnlich eine symmetrische ist, so wird, wenn der rote Bildpunkt im rechten Auge temporalw\u00e4rts vom blauen Bildpunkte f\u00e4llt, er auch im linken Auge temporalw\u00e4rts zu liegen kommen. Es entstehen also gekreuzte Halbbilder vom roten Punkte, welche nach den Gesetzen der binokularen Tiefenwahrnehmung den Eindruck gr\u00f6fserer N\u00e4he des roten Punktes\nA\nFig. 2.\nerzeugen. Dies ist also der Fall, wenn die Gesichtslinie die Pupillenebene nasalw\u00e4rts von deren Mitte schneidet. Befindet sich dieser Durchschnittspunkt temporalw\u00e4rts von dieser Mitte, so wird Blau vor Bot zu liegen scheinen.\nPig. 2 stellt das auf Bot accommodierte rechte Auge dar, wo also von Blau ein Bild b im Glask\u00f6rper entsteht und auf der Netzhaut dementsprechend ein blaues Zerstreuungsbild bt b2. Das Bild des fixierten roten Punktes befindet sich in c, welches","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Herzen\u201c.\n389\nwieder die Fovea darstellt. . Der Mittelpunkt y des blauen Zerstreuungskreises befindet sich nasalw\u00e4rts von c. Man sieht also, dafs die relative Lage von Bot und Blau auf der Netzhaut dieselbe bleibt, ob nun das Auge f\u00fcr Blau oder f\u00fcr Eot accommodiert ist, und folglich bleibt auch der binokulare Effekt des N\u00e4hererscheinens der einen, bezw. der anderen Farbe derselbe.\nDie hier wiedergegebene Konstruktionsweise Einthovens ist, wie man leicht sieht, nur eine ann\u00e4hernde. Eine strengere Methode w\u00fcrde in Betracht zu ziehen haben, dafs u. a. der vereinigte Knotenpunkt h f\u00fcr Strahlen verschiedener Brechbarkeit einen verschiedenen Ort einnimmt, also f\u00fcr Blau etwas weiter nach vorn liegt als f\u00fcr Eot. Diese Ortsver\u00e4nderung des Knotenpunktes hat nun die Tendenz, entgegengesetzt der Darstellung in Fig. 1 und 2, Blau mehr peripherw\u00e4rts zu bringen als Eot. Es wird also die Knotenpunktskonstruktion die Eint-HOVENsche Zertreuungsbilderkonstruktion jedenfalls zum Teil neutralisieren. Doch braucht hier auf diese Nebenumst\u00e4nde nicht weiter eingegangen zu werden.\nDas Wesentliche in der Erscheinung der \u201eFlatternden Herzen\u201c hat jedenfalls in der EiNTHOVENschen Darstellung des Schicksals von schief zur Pupillenebene einfallenden mehrfarbigen Strahlen ihre lange gesuchte endg\u00fcltige Erkl\u00e4rung gefunden. Eigent\u00fcmlicherweise ist freilich diese Erscheinung der \u201eFlatternden Herzen\u201c in seiner Abhandlung nicht namentlich angef\u00fchrt.\nIm \u201eHandbuch der physiologischen Optik\u201c von H. v. Helmholtz findet sich folgende Beschreibung dieser Erscheinung : \u201eAuf farbigen Bl\u00e4ttern aus steifem Papier sind Figuren von einer anderen lebhaften Farbe angebracht; am besten scheinen Eot und Blau zu wirken, die Farben m\u00fcssen sehr lebhaft und ges\u00e4ttigt sein. Wenn man die Bl\u00e4tter betrachtet und mit einer gewissen Geschwindigkeit hin und her bewegt, scheinen die Figuren selbst gegen das Papier sich zu verschieben und auf diesem hin und her zu schwanken.\u201c\nDer Umstand, dafs die erw\u00e4hnte Gesichtst\u00e4uschung vielen Individuen bei herabgesetzter Beleuchtung, etwa des Abends bei Ben\u00fctzung einer einzelnen Kerze, kr\u00e4ftiger in die Erscheinung tritt, ferner dafs sie wohl bei Allen im indirekten Sehen auff\u00e4lliger wird, als im direkten, ist bisher nur auf","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nA. Schapringer.\nGrund von mehr oder minder gewagten Hypothesen \u00fcber angenommene Eigent\u00fcmlichkeiten der Beizbarkeitsverh\u00e4ltnisse der Netzhaut zu erkl\u00e4ren versucht worden. Die EiNTHOVENsche Theorie macht all diese gezwungenen Hypothesen \u00fcberfl\u00fcssig und erkl\u00e4rt alles mit spielender Leichtigkeit.\nWas den Vorteil der herabgesetzten Beleuchtung betrifft, so erkl\u00e4rt er sich aus der excentrischen Erweiterung der Pupille, wodurch die Pupillenmitte noch weiter von der Gesichtslinie abr\u00fcckt. Ein Unterschied von nur wenigen Hundertsteln eines Millimeters in diesem Abstand wird eine deutliche Verschiedenheit in der Ausgepr\u00e4gtheit der Gesichtst\u00e4uschung bewirken.\nZur Erkl\u00e4rung des Umstandes, dafs die Erscheinung der \u201eFlatternden Herzen\u201c im indirekten Sehen meist deutlicher auf tritt, als im direkten, brauchen wir das Faktum der mangelhaften Centrierung des Auges und die Gesetze des binokularen Sehens zun\u00e4chst gar nicht in Betracht zu ziehen. Das Deutlicherwerden im indirekten Sehen h\u00e4ngt ab von folgenden drei Faktoren: 1. der chromatischen Abweichung der brechenden Medien, 2. dem Abstand des vereinigten Knotenpunktes von Pupillenebene, und 3. von der Zunahme des Winkels zwischen der Bichtungslinie des beobachteten Objektes und der Augenachse. Ein Blick auf Fig. 1 lehrt, dafs, je weiter peripherw\u00e4rts wir .auf der Netzhaut vorschreiten, um so mehr sich der Abstand zwischen dem blauen und roten Bildpunkt vergr\u00f6fsert. Dies hat, wie erw\u00e4hnt, mit der mangelhaften Centrierung nichts zu thun und w\u00fcrde auch in einem ideal vollkommen centrierten Auge statthaben. Da dieses Auseinanderweichen von Blau und Bot auf den peripheren Teilen der Netzhaut in den beiden Augen nicht in zur Mittellinie symmetrischem, sondern in identischem Sinne geschieht, so ist der Effekt hier nicht ein stereoskopischer, einen Tiefenabstand vort\u00e4uschender, sondern eine Verschiebung in einer und derselben Projektionsfl\u00e4che, und es tritt dieser Effekt nat\u00fcrlich auch bei monokularer Betrachtung ein.\nDie Ansicht, dafs die Erscheinung der \u201eFlatternden Herzen\u201c nicht von Eigent\u00fcmlichkeiten des nerv\u00f6sen Apparats, sondern blofs von dem physikalischen Moment der Zerstreuung ab-h\u00e4nge, wurde schon einmal vor vierzig Jahren von Dove aufgestellt, ist jedoch unbeachtet geblieben. Eben dieser Forscher erw\u00e4hnt auch eine Beobachtung, aus welcher er schlofs, dafs die Farbenzerstreuung im peripheren Teile des Gesichtsfeldes ausgepr\u00e4gter ist, als im centralen.","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Herzen\u201c.\n391\nNach dem oben Gesagten ist also die Erscheinung der \u201eFlatternden Herzen\u201c nicht schlechtweg mit der \u201eStereoskopie durch Farbendifferenz\u201c zu identificieren, sondern beide Erscheinungen, die \u201eFlatternden Herzen\u201c und die \u201eStereoskopie durch Farbendifferenz\u201c, sind gleichsam Einzelf\u00e4lle einer allgemeineren, freilich unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden wegen ihrer Geringf\u00fcgigkeit sich der Wahrnehmung nicht aufdr\u00e4ngenden Erscheinung, welche ich, um ein in der Augenheilkunde seit lange gebr\u00e4uchliches, wenn auch manchem nicht-medicinischen Leser vielleicht neues Wort in Anwendung zu ziehen, die Meta-morphopsie durch Farbendifferenz nennen m\u00f6chte.\nNehmen wir das von Einthoven gegebene Beispiel: ein schwarzes Blatt Papier, auf welchem eine Eeihe roter, und unterhalb dieser eine Reihe blauer Buchstaben gemalt sind. Bei binokularer Betrachtung scheinen diese zwei Reihen in verschiedenen Ebenen zu liegen. Schliefst man das eine Auge, so h\u00f6rt diese stereoskopische Illusion auf. Die geometrische Un\u00e4hnlichkeit des Netzhautbildes mit dem Objekte, welche, kombiniert mit der entgegengesetzt orientierten Un\u00e4hnlichkeit des Netzhautbildes des anderen Auges, den stereoskopischen Effekt hervorgerufen hatte, wird bei ein\u00e4ugiger Betrachtung unmerklich. Diese Un\u00e4hnlichkeit des Netzhautbildes mit seinem Objekte nenne ich nun Metamorphopsie. Sie wird aus einer unmerklichen, zu einer der Wahrnehmung sich auf dr\u00e4ngenden Erscheinung (zur \u201eChromatokinopsie\u201c von Mayerhausen), wenn man, statt das Papierblatt ruhig zu betrachten, es hin und her bewegt. Der Grund davon ist der, dafs die Distanz eines bestimmten roten und\u2019 eines bestimmten blauen Punktes voneinander, welche im bewegten Objekte immer dieselbe bleibt, im Netzhautbilde sich von Moment zu Moment \u00e4ndert, indem sie um so gr\u00f6fser wird, je schiefer die Incidenz der Strahlen gegen die Ebene der Pupille sich gestaltet, oder mit anderen Worten, je peripherer die Netzhautpartie gelegen ist, auf welcher sich das Objekt abbildet. (Wir bleiben bei unserer Darstellung immer bei der von Einthoven eingef\u00fchrten Fiktion, den Mittelpunkt eines Zerstreuungskreises als gleichwertig mit einem scharfen Bildpunkte anzusehen.) W\u00e4hrend Rot und Blau auf dem bewegten Papierblatt die gleiche Geschwindigkeit besitzen, bewegt sich im Netzhautbild Rot rascher als Blau. (Vergl. Fig. 1 oder 2.) Diese stetige Ver\u00e4nderung der","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nA. Schapringer.\ngegenseitigen Distanz verschiedenfarbiger Punkte konstituiert das Ph\u00e4nomen der \u201eFlatternden Herzen\u201c.\nDer Nullpunkt oder Umschlagspunkt des subjektiven (durch mangelhafte Achromasie des Auges bedingten) Auseinander-weichens von Rot und Blau ist nat\u00fcrlich der Netzhautpol der Augenachse. Nach rechts und links, nach oben und unten von diesem Punkte aus entfernt sich Rot von Blau stetig um so weiter, je weiter peripherw\u00e4rts wir auf der. Netzhaut fortschreiten. Bewegen wir uns umgekehrt von der Peripherie gegen diesen Pol hin, so wird die subjektive Distanz von Rot und Blau immer geringer.\nNun f\u00e4llt aber der Netzhautpol der Augenachse mit der Fovea centralis, dem Orte des deutlichsten Sehens, bekanntlich nicht zusammen, sondern ist um die. Bogengr\u00f6fse des Winkels a davon entfernt. Hat dieser Winkel in beiden Augen einen positiven Wert von 5\u00b0, so liegt der Achsenpol in beiden Augen um 5\u00b0 medianw\u00e4rts von der Fovea, Er liegt also dann im, rechten Auge nach, links und im linken Auge nach rechts von der letzteren. Gehen wir nun statt von dem Achsenpol, der in den beiden Augen nicht korrespondierende Netzhautstellen trifft und auch physiologisch nicht besonders charakterisiert und deshalb nicht gut zu identificieren ist, in unserer Untersuchung von. der Fovea centralis aus, so ergiebt sich in der unmittelbaren N\u00e4he derselben ein eigent\u00fcmlich gegens\u00e4tzliches Verh\u00e4ltnis der beiden Augen zu einander. Gehen wir im rechten Auge von der Fovea nach links (d. h. bewegen wir das Objekt vom Fixierpunkt nach rechts), so n\u00e4hern wir uns vorerst dem 50 nasalw\u00e4rts von der Fovea gelegenen Achsenpol. Auf dieser 5\u00b0 betragenden Strecke nimmt die subjektive Distanz von Blau und Rot in der von uns eingeschlagenen Richtung stetig ab. Aber auf der korrespondierenden Strecke des linken Auges nimmt diese Distanz im Gegenteil zu, denn in diesem Auge bewegen wir uns nicht gegen den Achsenpol hin, sondern von ihm weg. Kehren wir nun zur Fovea centralis des rechten Auges zur\u00fcck \u00fcnd bewegen wir uns von hier aus in der entgegengesetzten Richtung, n\u00e4mlich temporalw\u00e4rts (d. h. das Objekt werde nasalw\u00e4rts verschoben), und schreiten wir bis zu dem Punkte, der 5\u00b0 temporalw\u00e4rts von der Fovea liegt. Dieser Punkt ist kein physiologisch besonders charakterisierter, er korrespondiert nur mit dem Netzhautpol der Augenachse des","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Hersen\u201c.\n393\nanderen (linken) Auges. Innerhalb dieser Strecke ist die Bewegungstendenz des Bot und Blau im rechten Auge eine auseinanderweichende, weil wir uns vom Achsenpol entfernen,, w\u00e4hrend sie auf der korrespondierenden Strecke im linken Auge eine sich n\u00e4hernde ist, weil wir hier zum Achsenpol hinschreiten. Es giebt also im binokularen Gesichtsfelde eine horizontale Strecke entsprechend einer Winkel\u00f6ffnung =2\u00ab, welche vom Fixierpunkt halbiert wird, innerhalb welcher bei Ausf\u00fchrung des Versuchs der \u201eFlatternden Herzen\u201c die subjektive Bewegungstendenz in den beiden Augen eine entgegengesetzte ist, was der Wahrnehmung dieser Erscheinung innerhalb dieses Bereiches offenbar nicht f\u00f6rderlich ist. Aufserhalb dieser kleinen Zone ist aber die subjektive Bewegungstendenz im ganzen Umfang des binokularen Gesichtsfeldes eine synergistische.\nOb das Vorhandensein jener centralen Zone, innerhalb welcher die subjektive .Fortbewegungstendenz eine antagonistische ist, nicht etwa einen gewissen Nutzen mit sich bringt, in welchem Falle dann die mangelhafte Centrierung des Auges, solange die Abweichung in den beiden Augen symmetrisch ist, eine zweckm\u00e4fsige, die st\u00f6renden Folgen der Farbenabweichungen mildernde Einrichtung darstellen w\u00fcrde, scheint mir eine Frage, welche eine besondere,. Untersuchung verdiente. H\u00e4tte man die Aufgabe, ein zur Beobachtung der Eigenbewegung der Farben m\u00f6glichst t\u00fcchtiges Augenpaar zu konstruieren, so w\u00fcrde man entweder jedes einzelne Auge ganz genau centriert hersteilen, oder aber den Winkel u (womit hier im allgemeinen die Abweichung von genauer Centrierung ausgedr\u00fcckt sein soll) in den beiden Augen nicht, symmetrisch zur Medianebene des Kopfes, sondern in identischem Sinne anlegen und demselben in beiden Augen absolut gleiche Gr\u00f6fse geben. Nun sind aber die Sehwerkzeuge nicht zum Zweck der Beobachtung von \u201eFlatternden Herzen\u201c da, und die F\u00e4higkeit, diese Erscheinung besonders leicht wahrzunehmen, stellt eine Eigenschaft dar, welche im praktischen Leben nur hinderlich wirken kann.\nBequemer als die EiNTHOVBNschen Buchstaben sind quadratische Gitterzeichnungen, \u00e4hnlich den von Szili angegebenen, um die hier besprochenen Verh\u00e4ltnisse zur Anschauung zu","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nA. Schapringer.\nbringen. Auf beistebender Fig. 3 stellen die ausgezogenen Linien schwarze, und die gestrichelten farbige, rote bez. blaue Linien dar. Von schlagender Beweiskraft f\u00fcr die hier verfochtene Theorie scheinen mir folgende zwei Anordnungen zu sein:\n1. Auf blaues Papier zeichne man ein schwarzes quadratisches Gitter und in dieses hinein ein rotes. Statt Striche zu ziehen, kann man schmale farbige Papierstreifen aufkleben. Beim Hin- und Herbewegen des Papierblattes scheinen die roten Striche sich rascher zu bewegen, als die schwarzen.\n2. Auf rotem Papier bringe man ein blaues quadratisches Gitter an und in dieses hinein zeichne man ein schwarzes. Beim Hin-und Herbewegen des Papiers werden die schwarzen Gitterstreifen sich rascher zu bewegen scheinen, als die blauen, die letzteren scheinen sogar sich im entgegengesetzten Sinne zu bewegen.\nDie angegebenen beiden Versuche gelingen im allgemeinen sowohl binokular, Fig- s.\twie auch monokular.\nDie Metamorphopsie durch Farbendifferenz ist um so ausgepr\u00e4gter, je peripherer im Gesichtsfeld der bewegte Gegenstand sich befindet. Dieser Umstand k\u00f6nnte wohl in Beziehungen stehen mit der von Exner nachgewiesenen gr\u00f6fseren Empfindlichkeit excentrischer Hetzhautteile f\u00fcr die Wahrnehmung kleiner Bewegungen. Nach Exner ist die Netzhautperipherie, bei ihrer bekannten Unvollkommenheit in der Wahrnehmung r\u00e4umlicher Formen, im Vergleich zum Netzhaut-centrum, doch in hohem Grade bef\u00e4higt, Bewegungen (und wohl Ver\u00e4nderungen \u00fcberhaupt) zu erkennen. Die Eigenbewegung der die Farbe eines in Bewegung befindlichen Objektes zusammensetzenden Spektralkomponenten ist nun dem Erkennen der Form desselben zwar nur hinderlich, zum Erkennen der Bewegung als solcher aber offenbar nur f\u00f6rderlich, da sie gleichsam als Multiplikator wirkt.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Theorie der \u201eFlatternden Hersen\u201c.\n395\nDie Abweichung der Gesichtslinie von der Pupillenmitte bewirkt, dafs auch bei vollst\u00e4ndig unverdeckter Pupille die Farbenzerstreuung im Auge unter geeigneten Umst\u00e4nden merklich werden kann. Die symmetrische Anordnung dieser Abweichung der Gesichtslinie in beiden Augen \u00fcbt aber hierbei eine kompensatorische Wirkung aus, wie folgender Versuch von Einthoven beweist (1. c., S. 231): Er hielt ein mattschwarzes St\u00e4bchen eine Arml\u00e4nge senkrecht vor dem Auge gegen eine weifse Wolke gewendet und sah bei scharfer Accommodation mit einem Auge den einen Rand bl\u00e4ulich, den anderen r\u00f6tlich. Bei abwechselndem Fixieren mit dem rechten und dem linken Auge wechselten die R\u00e4nder ihre Farbe. Beim binokularen Sehen verschwanden die farbigen R\u00e4nder, weil dann Blau und Rot auf kongruierende Punkte fielen und ihre Wirkung sich grofsenteils neutralisierte.\nManche Sch\u00fctzen behaupten bekanntlich, beim Schiefsen auf die Scheibe durch gelbe Gl\u00e4ser besser zielen zu k\u00f6nnen. Dieser bisher so r\u00e4tselhafte und von vielen Seiten angezweifelte Vorteil erkl\u00e4rt sich auf ungezwungene Weise aus dem eben angef\u00fchrten Versuche Einthovens, da es sich beim Zielen um monokulares Sehen handelt, die kompensatorische Wirkung des anderen Auges also wegf\u00e4llt und auf der Scheibe bekanntlich schwarze und weifse Ringe miteinander abwechseln, was eine Analogie mit der EiNTHOVENschen Versuchsanordnung darstellt. Sch\u00fctzen, deren Gesichtslinie genau durch die Mitte der Pupille geht, werden aus farbigen Brillen keinen Vorteil ziehen k\u00f6nnen.\nBei den augen\u00e4rztlichen Pr\u00fcfungen der Sehsch\u00e4rfe pflegt diese bei binokularer Pr\u00fcfung gr\u00f6fser zu sein, als bei monokularer. Da es sich hierbei um schwarze Buchstaben auf weifsem Grunde handelt, so liegt die Erkl\u00e4rung nahe, dafs diese Erscheinung, wenn auch nur zum Teile, von der gegenseitigen Farbenabweichungskompensation der beiden Augen ahh\u00e4ngen m\u00f6ge.\nNew York, im Mai 1893.","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nA. Schapringer.\nLitteratur.\nEs seien Mer blois solche Arbeiten angef\u00fchrt, welche in der ersten Auflage des v. Helmholtz sehen Handbuchs der Physiologischen Optik, Seite 387, sich nicht verzeichnet linden.\nH. W. Dove. Darstellung der Farbenlehre und Optische Studien. Berlin,\n1853.\nAdolf Szili. Zur Erkl\u00e4rung der \u201eFlatternden Herzen\u201c. Du Bois-Beymonds 'Arch. f. Physiologie. 1891. Seite 157.\nW. Einthoven. Stereoskopie durch Farbendifferenz, v. Graefes Arch. XXXI. Bd. 3. Abt. Seite 211. (1885.)\n\u2014 Stereoscopie door kleurverschil. Utrecht, 1885.\nG.\tMayerha\u00fcsen. Studien \u00fcber die Chromatokinopsien, Arch. f. Augenhe\u00fck. XIV. Bd. Seite 31. (1885.)\nAdolf Szili. \u201eFlatternde Herzen\u201c. Zeitschr. f. Psychologie u. Physiol, d. Sinnesorgane. Bd. III. S. 359.\nH.\tv. Helmholtz. Handb. d. Physiolog. Optik. 2. AufL Seite 533.\nS. Exner. Ein Versuch \u00fcber die Netzhautperipherie als Organ zur Wahrnehmung von Bewegungen. Pfl\u00fcgers Archiv 38. Bd. S. 217.","page":396}],"identifier":"lit15347","issued":"1893","language":"de","pages":"385-396","startpages":"385","title":"Zur Theorie der \"Flatternden Herzen\"","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:04:09.979480+00:00"}