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{"created":"2022-01-31T17:03:49.249159+00:00","id":"lit15348","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schaefer, Karl L.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 5: 397-401","fulltext":[{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Nochmalige Ablehnung der cerebralen Entstehung von Schwebungen.\nVon\nKarl L. Schaefer.\nIn seiner Abhandlung \u201eEinige Beobachtungen \u00fcber Schwebungen und Differ1 war E. W. Scripture f\u00fcr eine cerebrale Entstehung von Schwebungen eingetreten. Bei der Tragweite einer solchen Behauptung f\u00fchlte ich mich zu einer Kritik in dieser Zeitschrift2 veranlafst. Auf diese antwortet nun S.,3 und unmittelbar daran ankn\u00fcpfend ver\u00f6ffentlicht W. Wundt einen von demselben Gegenst\u00e4nde ausgehenden Artikel.4\nIch habe in meiner Kritik darauf aufmerksam gemacht, dafs die Beweisf\u00fchrung Scriptures auf einem starken Irrtum basiert sei. Derselbe ist in der That so elementarer Natur, dafs Wundt a. a. 0. sich gewissermafsen entschuldigt, ihn durchgelassen zu haben, indem er mitteilt, er habe Scriptures Experiment vor dem Erscheinen meiner Kritik ganz anders aufgefafst, als es wirklich gemeint gewesen sei. Dafs S. nicht im st\u00e4nde ist, seine Beweisf\u00fchrung zu retten, ist ja selbstverst\u00e4ndlich; dafs sich daher seine Replik wesentlich nicht mit dem Kern der Sache, sondern nur mit der Schale besch\u00e4ftigt, wobei aufserdem die Klarheit der thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse eine starke Beeintr\u00e4chtigung erleidet, ist vielleicht vom pers\u00f6nlichen Standpunkt entschuldbar, f\u00fcr die Sache selbst aber ziemlich belanglos. Ich habe deswegen hier auch nur zwei Punkte zu er\u00f6rtern.\n1\tWundt, Philos, Studien, VII, S. 630 ff.\n2\tBd IV, S. 348 ff.\ns Wundt, Philos. Studien, VT]I, S. 638\u2014640.\n4 Ebenda, S. 641 ff.","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"39B\nKarl L. Schaefer.\nI. Der cerebralen Entstehung von Schwebungen widerspricht auf das direkteste ein von mir im Jahre 1891 in dieser Zeitschrift1 angegebenes Experiment. Erst jetzt in seiner Replik wendet S. sich gegen dasselbe. Es lautet: \u201eEine Stimmgabel wird ganz leise angeschlagen. Der in einiger Entfernung sitzende Beobachter wartet, bis der Ton v\u00f6llig verklungen ist, also unm\u00f6glich durch Luftleitung zu einem der Ohren gelangen kann, und setzt dann den Resonator an, worauf der Ton sehr leise wieder zur Wahrnehmung gelangt, und zwar, wie gew\u00f6hnlich, scheinbar dem Resonator entspringend. Yerschliefsen des anderen Ohres bewirkt nun sofort deutliche Verst\u00e4rkung des Tones und Ann\u00e4herung an die Medianebene.\u201c. \u201eEine andere Erkl\u00e4rung als die, dafs auch das zweite Ohr durch Knochenleitung .... den Ton wahrnimmt .... konnte bis jetzt nicht gefunden werden.\u201c Scriptures Beweisf\u00fchrung gegen diesen Versuch und die daraus gezogene Folgerung beschr\u00e4nkt sich auf folgenden Satz: \u201eGegen dies Experiment und den Schlufs daraus ist nichts einzuwenden; der Resonator ber\u00fchrt den Kopf und \u00fcbertr\u00e4gt ganz nat\u00fcrlich seine Schwingungen direkt durch Knochenleitung auf das andere Ohr.\u201c Mit diesem Satze begeht nun S. einen neuen Irrtum, indem er ohne weiteres behauptet, dafs in meinen Versuchen die Wand des Resonators den Ton, auf welchen dieser abgestimmt ist, auf die Kopfknochen \u00fcbertragen habe. Dem weniger sachverst\u00e4ndigen Leser, der vielleicht derselben Ansicht sein k\u00f6nnte, m\u00f6ge folgende mathematisch - physikalische Bemerkung zur Aufkl\u00e4rung dienen. Gewifs wird die Wand eines funktionierenden Resonators ebenfalls in Schwingungen versetzt, doch sind diese im allgemeinen ganz anderer Natur, als die des Hohlraumes. Sind zuf\u00e4llig die Eigenschwingungen von Wand und Hohlraum nicht gar zu verschieden, so ist theoretisch der Fall m\u00f6glich, dafs beide Teile sich zu einem gleichen Ton vereinigen; dieser ist dann aber von beiden Eigent\u00f6nen verschieden. Die Regel ist jedoch, dafs beide Teile verschieden schwingen, und die Schwingungen der Wand gegen die anderen nicht zur Geltung kommen. Zum \u00dcberflufs kommt f\u00fcr meine Versuche noch hinzu, dafs die Resonatorwand zwischen den\n. 1 Ein Versuch \u00fcber die intrakranielle Leitung leisester T\u00f6ne von Ohr zu Ohr. Bd. II, S. 111 ff.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Nochmalige Ablehnung der cerebralen Entstehung von Schwebungen. 399\nFingern gehalten oder in ein Stativ gefafst wird, woraus noch eine erhebliche Beeintr\u00e4chtigung ihrer Schwingungen resultieren d\u00fcrfte.\nII. Ich habe es a. a. O.1 klar ausgesprochen, dafs, je n\u00e4her die T\u00f6ne der Schwelle kommen, um so mehr die deutliche \u00dcbertragung derselben durch Knochenleitung abnimmt. Scripture kommt in seiner Entgegnung zu dem entsprechenden Resultat, dafs die Knochenleitung an der Schwelle nicht mehr funktioniere, und erkl\u00e4rt, er habe sich in seiner ersten Abhandlung nur auf eben noch h\u00f6here T\u00f6ne bezogen, deren Intensit\u00e4t also den Schwellenwert hatte. Nun, mit dieser nachtr\u00e4glichen2 3 Erkl\u00e4rung f\u00e4llt die ganze Beweisf\u00fchrung Scriptures zu Gunsten der cerebralen Entstehung der Schwebungen \u00fcberhaupt in Nichts zusammen. Denn T\u00f6ne an der Schwelle, getrennt je einem Ohre zugeleitet, geben keine Schwebungen mehr. Diese That-sache ist vielleicht manchem bekannt, von mir jedenfalls an einer fr\u00fcheren Stelle in dieser Zeitschrifts ausdr\u00fccklich genug betont.\nDamit w\u00e4re das Sachliche der ScRiPTUREschen Untersuchung erledigt. Dem Urteil der Leser bleibe hiernach ihr Schlufssatz \u00fcberlassen, welcher lautet: ..Es liegen Beobachtungen vor, in denen die \u00dcberleitung von. einem Ohr zum anderen ausgeschlossen scheint, und gleichwohl die auf je ein Ohr eimvirhenden T\u00f6ne Schwebungen miteinander bilden.\" Nur literarhistorisch sei noch bemerkt, dafs der Ausdruck \u201ePhysiologische Taubheit\u201c nicht von mir geschaffen ist, wie die Leser Scriptures glauben werden. Ich habe ihn aus der Ohrenheilkunde in meine Arbeiten her\u00fcbergenommen, weil er trotz eventueller Schw\u00e4chen, die er dann \u00fcbrigens mit manchen sehr gebr\u00e4uchlichen Bezeichnungen teilt, kurz ist und zu Mifsverst\u00e4ndnissen keinen Anlafs geben kann.\nDer bereits erw\u00e4hnte, dem Aufsatze Scriptures unmittelbar folgende Artikel nIst der H\u00f6rnerv direkt durch Tonschwingungen\n1\tBd. II, S. 111 ff.\n2\tDie betreffende Stelle des ersten Aufsatzes enth\u00e4lt nichts davon.\nVielmehr habe ich aus den Worten:\tso m\u00fcfste der Ton in diesem\nFalle sehr stark in dem geschlossenen Ohr geh\u00f6rt werden,\u201c eher das Gegen teil geschlossen.\t4.....\n3\tBd. II, S. 112. Anmerk. 2.","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nKarl L. Schaefer.\nerregbar\u201c yon W. Wundt beginnt mit den Worten: \u201eNiemand wird verkennen, dafs die Frage, die in dem vorstehenden Aufsatze, sowie in der sie veranlassenden Mitteilung des Herrn K. Schaefer verhandelt wird, ein Interesse besitzt, das weit \u00fcber ihren unmittelbaren Gegenstand hinausreicht.\u201c Dies ist unzweifelhaft richtig; und ich mache daher auch nochmals besonders darauf aufmerksam, dafs von einer cerebralen Entstehung von Schwebungen erst dann im Ernst die Hede sein kann, wenn die Knochenleitungstheorie, also vor allem mein Experiment, vollst\u00e4ndig und definitiv entkr\u00e4ftet ist. Herr W\u00fcndt wird wohl nicht umhin k\u00f6nnen, ausdr\u00fccklich dagegen Stellung zu nehmen. Denn sein Experiment, welches er an die Stelle desjenigen von Scripture setzt, schliefst allenfalls die \u00e4ufsere Knochenleitung aus, bei welcher die Schallwellen direkt aus der Luft auf die Sch\u00e4delknochen \u00fcbertreten, um von da aus zum Ohr zu gelangen. Gar nicht ber\u00fchrt wird aber dadurch die, wie ich glaube, wichtigere innere Knochenleitung, wo die Schallwellen vom Trommelfell, mittleren und inneren Ohr aus \u00fcber die Sch\u00e4delbasis das andere Ohr erreichen. Was andererseits den von W\u00fcndt citierten Versuch der Herrn Cross und Goodwin anlangt, so erscheint mir derselbe \u00fcberhaupt ziemlich nichtssagend. Denn, wenn diese Herrn eine Stimmgabel, welche zu leise ist, um, zwischen die Z\u00e4hne gefafst, noch die Knochenleitung in Th\u00e4tigkeit zu bringen, auf einen das Ohr verschliefsenden Wachspfropf setzen, so setzen sie sie damit eben auf einen Resonanzkasten. Dieser verst\u00e4rkt aber die Intensit\u00e4t wieder in unberechenbarer Weise, und wiederum bleibt es erst zu beweisen, dafs diese Verst\u00e4rkung nicht zur Ilervorrufung der Knochenleitung gen\u00fcge.\nSomit ist, soweit ich sehe, der thats\u00e4chliehe Stand der Dinge : seit meiner Untersuchung \u00fcber die Knochenleitung leisester T\u00f6ne1 immer noch derselbe, n\u00e4mlich der folgende:\nDafs f\u00fcr die Schwebungen' zweier st\u00e4rkerer, getrennt je einem Ohre zugeleiteter. Prim\u00e4rt\u00f6ne die Vermittelung der Knochenleitung nicht ausgeschlossen werden kann, dar\u00fcber sind wir wohl alle einig. Dafs dasselbe auch f\u00fcr schw\u00e4chere und ganz schwache T\u00f6ne gilt, ist mir nicht widerlegt worden. Kommen die T\u00f6ne der Schwelle ganz nahe, so wird einerseits\n1 A. a. 0.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Nochmalige Ablehnung der cerebralen Entstehung von Schwebungen. 401\ndie Knochenleitung undeutlich, andererseits h\u00f6ren aber auch die Schwebungen auf. Hier nun liegt der Angelpunkt der ganzen Diskussion: H\u00f6rt, wenn die Prim\u00e4rt\u00f6ne sich kontinuierlich der Schwelle n\u00e4hern, die Knochenleitung eher auf, als die Schwebungen; oder ist das Umgekehrte der Fall; oder tritt beides gleichzeitig ein? Die cerebrale Entstehung der Schwebungen steht und f\u00e4llt mit dem ersten dieser drei F\u00e4lle. Meine Versuche sprechen entschieden gegen denselben. Ein weiterer Fortschritt scheint mir \u00fcberhaupt nur m\u00f6glich durch Wiederholung der Versuche mittelst Stimmgabeln, deren Intensit\u00e4t ziffernm\u00e4fsig bestimmt, kontinuierlich abgestuft und auf jeder beliebigen H\u00f6he konstant erhalten werden kann.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie V.\n26","page":401}],"identifier":"lit15348","issued":"1893","language":"de","pages":"397-401","startpages":"397","title":"Nochmalige Ablehnung der cerebralen Entstehung von Schwebungen","type":"Journal Article","volume":"5"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:49.249165+00:00"}