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{"created":"2022-01-31T17:02:31.143417+00:00","id":"lit15392","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 66-68","fulltext":[{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nLitteraturbericht.\ntiven Bestandteil ist erst das Ergebnis abstrahierender Reflexion; jene Bestandteile selbst sind nicht einmal konstant in ihrem subjektiven, bezw. objektiven Charakter, sondern h\u00f6chst fluktuierend. Sind gewisse Merkmale vorhanden, so kann die Reflexion dazu f\u00fchren, das Vorstellungsobjekt \u201ein mir\u201c zu lokalisieren; treten andere Merkmale auf, so kann sie ihm \u201eaufser mir\u201c seinen Platz anweisen. Beide Merkmalsgruppen schliefsen sich nicht aus; sie k\u00f6nnen vielmehr in mehrfacher Weise so kombiniert werden, dafs dasselbe Erlebnis zugleich von jenem Standpunkte subjektiv und von diesem objektiv sich darstellt. So sind hier die Schwierigkeiten \u00fcberwunden, welche alle anderen (in dem ersten Artikel gut klassificierten und charakterisierten) erkennis-theoretischen Ansichten vergebens bek\u00e4mpften. Solcher Ansichten giebt es nach K. zwei Arten: die sog. materialen, welche an die Stelle der Erlebnisse von vornherein eine Doppelreihe, eine physische und eine psychische, setzen, und die sog. formalen, welche eine der r\u00e4umlichen Bestimmungen (des \u201ein mir\u201c, bezw. des \u201eaufser mir\u201c) ganz verwerfen oder zur teilweisen Deckung bringen. Seinen eigenen Standpunkt bezeichnet K. als den kritischen.\tW. Steen (Berlin).\nJ. Mark Baldwin. Internal Speech and Song. Phil. Ilev., Vol. II. S. 385 \u2014407 (1893).\nDer Autor bespricht zun\u00e4chst einige F\u00e4lle von Aphasie (im weitesten Sinne des Wortes) mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der seiner Zeit von Ribot hervorgehobenen Typen: Gesichts-, Geh\u00f6rs- und Bewegungstypus. Auf Grund dieses Materials entscheidet er die Frage, ob wir bei der Wortvorstellung Sprachbewegungen associieren m\u00fcssen, dahin, dafs dies ganz von dem Typus abh\u00e4nge, dem das vorstellende Individuum angeh\u00f6rt (390), eine Annahme, die heute wohl ziemlich allgemein geteilt werden wird. Baldwin f\u00fcgt hinzu, dafs die Thatsache, ob und welche Bewegungsvorstellungen einbezogen werden, von der Richtung der Aufmerksamkeit abh\u00e4nge (390). Es entsteht nun die Frage, warum unsere Aufmerksamkeit gerade in eine bestimmte Richtung gelenkt wird ; geschieht dies, weil diese Richtung durch \u00dcbung gest\u00e4rkt wurde, oder weil das Ged\u00e4chtnis f\u00fcr dieselbe eben schon st\u00e4rker war? Man k\u00f6nnte fast fragen, wird eine bestimmte Aufmerksamkeit \u201eerworben\u201c oder ist sie \u201eangeboren\u201c, wird sie von innen oder von aufsen gest\u00e4rkt? St\u00e4rkt die Empfindung die Aufmerksamkeit oder die Aufmerksamkeit die Empfindung? Baldwin entscheidet: wahrscheinlich ist beides der Fall (391). \u201eGr\u00f6fsere Intensit\u00e4t der Empfindung erh\u00f6ht die Aufmerksamkeit, und die Aufmerksamkeit verst\u00e4rkt die Intensit\u00e4t der Empfindung.\u201c Der Autor selbst bezeichnet diesen Procefs als Zirkelschlufs. Jede Empfindung \u00e4ufsert sich in den Muskeln, und diese muskul\u00e4re Resonanz wirkt wieder auf die Empfindungselemente ein (392). Die notwendige Begleiterscheinung der Aufmerksamkeit seien motorische Innervationen, und die reflektive Aufmerksamkeit, die auf eine erh\u00f6hte Intensit\u00e4t sensorischer Erregung folgt, ist nur der Nachklang wiederauflebender motorischer Associationen, w\u00e4hrend die erh\u00f6hte Intensit\u00e4t, welche der Aufmerksamkeit folgt, wieder der Nachklang wiederauflebender sen-","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n67\nsorischer Associationen ist. Baldwin nennt diese Wechselwirkung das \u201eGesetz der sensorisch-motorischen Association\u201c (392, 393).\nIch f\u00fcrchte, dafs dieses Gesetz der obigen Annahme widerspricht. Denn, wenn es nur von dem psychologischen Typus abh\u00e4ngt, ob Bewegungsvorstellungen \u00fcberhaupt associiert werden, dieses vielmehr der Richtung der Aufmerksamkeit zu verdanken ist, so l\u00e4fst sicli damit schwer vereinigen, dafs diese unumg\u00e4ngliche Aufmerksamkeit immer der Nachklang motorischer Associationen ist. Auch l\u00e4fst sich Empfindung und Aufmerksamkeit nur in unserer Betrachtung so scharf trennen, in Wirklichkeit haben wir einen Procefs vor uns, und das Gesetz der Wechselwirkung und Association l\u00f6st sich somit in den Satz auf, dafs eine Erscheinung st\u00e4rker ist, wenn sie eben st\u00e4rker ist. Auch ist gar nicht abzusehen, wieweit bei der immerw\u00e4hrenden gegenseitigen Verst\u00e4rkung von Aufmerksamkeit und Empfindung die Intensit\u00e4t des ganzen Processes noch anwachsen kann.\nDie weitere Bemerkung Baldwins, auf den psychologischen Typus beim Sprachunterrichte R\u00fccksicht zu nehmen, w\u00e4re einer weiteren Ausf\u00fchrung wert, ihre Ber\u00fccksichtigung k\u00f6nnte bei den grofsen psychologischen M\u00e4ngeln unseres Sprachunterrichtes von gr\u00f6fstem praktischen Nutzen sein. Ebenso weist der Autor mit Recht darauf hin, dafs die psychologischen Typen bei Experimenten mit der Reaktionszeit werden -zu ber\u00fccksichtigen sein, da verschiedene Typen verschieden reagieren. Diese Reaktionszeit will er auch bei der Diagnose von Sprachst\u00f6rungen benutzt wissen (396), denn ein aphatischer Patient mit ungew\u00f6hnlich kurzer Reaktionszeit werde wahrscheinlich dem motorischen Typus angeh\u00f6ren. Ich glaube, dafs zu dieser Feststellung direkte Fragen und Aufforderungen ein mehr als wahrscheinliches und einfacheres Mittel sein werden.\nBez\u00fcglich der Vorstellung von Melodien (internal tune) ist B. der Ansicht, dafs diese ausschliefslich dem Geh\u00f6rtypus angeh\u00f6re (396), obgleich er merkw\u00fcrdigerweise auch zugiebt, dafs manche Personen Melodien nur mit dem zugeh\u00f6rigen Texte vorstellen k\u00f6nnen (397), und dafs es auch einen motorischen Typus gebe, der jedoch \u201enur ein Typus sei, zu welchem aufserdem ein Melodienged\u00e4chtnis in der Form des blofsen Geh\u00f6rtypus notwendig sei\u201c (397). Diese Unterscheidung ist mir nicht recht einleuchtend, denn darin besteht eben der Geh\u00f6rs- oder Worttypus der Musiker, dafs sie Melodien nur mit Worten oder Bewegungen associiert vorstellen. Es geht meiner Ansicht nach nicht an, zu sagen, dafs in solchen F\u00e4llen die Bewegungsvorstellungen nur zum reinen Geh\u00f6rstypus hinzukommen, sondern Melodien werden als Bewegungen vorgestellt und bilden deshalb motorischen Typus. Darum glaube ich auch, dafs es bei der Musikvorstellung ebensogut verschiedene Typen giebt, wie bei der Wortvorstellung. B. erw\u00e4hnt, dafs der musikalische Ausdruck nie verloren gehe, ohne die Sprache in Mitleidenschaft zu ziehen (397). Mit nichten; Brazier erw\u00e4hnt in seinem Aufsatze, den Baldwin \u00fcbrigens selbst citiert, solche F\u00e4lle von rein musikalischer Amnesie (sensorisch und motorisch). Unter Musikern, namentlich solchen, welche die Scheu vor dem Publikum noch nicht \u00fcberwunden haben, sind sie sogar eine h\u00e4ufige, ganz gew\u00f6hnliche Erscheinung.\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nLitteraturbericht.\nZiemlich ausf\u00fchrlich hat B. das absolute Tonged\u00e4chtnis besprochen und dabei den wertvollen Aufsatz zu Grunde gelegt, den k\u00fcrzlich v. Kries in dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlicht hat, den ich hier als bekannt voraussetzen mufs. B. ist nicht mit allen Schlufsfolgerungen einverstanden, die v. Kries gezogen hat. Nach B. hat jede Erkennung ein subjektives und ein objektives Element (402), die Tonerkennung jedoch nur ein subjektives (?), und dieses bestehe in der relativen Leichtigkeit, mit welcher die Bewegungselemente des Tones in diejenige der Aufmerksamkeit \u00fcbergehen (403). Durch die Vermittelung der motorischen Elemente der Aufmerksamkeit (des \u201eGesetzes der sensorisch-motorischen Association\u201c) soll die einmal geh\u00f6rte Tonh\u00f6he wiedererkannt werden (403). Eine Analogie dazu bestehe auch auf dem Gebiete der Farben, wo die Unterscheidung und Erkennung auch durch associierte Muskelbewegungen erleichtert werde (405). \u2014 Kein Zweifel, auch die Erkennung der Tonh\u00f6he wird durch Muskelbewegungen erleichtert, oft geradezu erst m\u00f6glich gemacht, und in dieser Beziehung l\u00e4fst Baldwins Theorie nichts zu w\u00fcnschen \u00fcbrig, nur ist das dann kein absolutes Tonged\u00e4chtnis mehr, sondern ein Urteil \u00fcber Tonh\u00f6he durch Heranziehung von H\u00fclfs-vorstellungen. Auf diese Art (etwa durch Bewegung des Larynx) kann jedermann die Tonh\u00f6he erkennen, ohne absolutes Tonged\u00e4chtnis zu besitzen; dieses besteht vielmehr darin, dafs direkt, ohne Zuh\u00fclfenahme von H\u00fclfsvorstellungen und Associationen die Tonh\u00f6he erkannt wird, wie das unter anderem auch Stumpf in seiner Tonpsychologie auseinander-gesetzt hat. Ferner: wir sollen erkennen nach den motorischen Elementen der Aufmerksamkeit, diese werden erregt durch die motorischen Beigaben des Tones selbst (motor associates of the tone [403]); diese letzteren sind nun offenbar immer gleich, wie kommt es dann, dafs die motorischen Elemente der Aufmerksamkeit und damit das ganze absolute Tonged\u00e4chtnis bei verschiedenen Menschen so verschieden, bei vielen gar nicht vorhanden ist ? Es mufs also noch ein Element hinzukommen, das Baldwins Theorie nicht erkl\u00e4rt, und ich bin daher seit den durch Kries ver\u00f6ffentlichten Thatsachen noch immer geneigt, das absolute Tonged\u00e4chtnis durch Benennungsassociation zu erkl\u00e4ren.\nWallaschek (London).\nJ. M. Baldwin. New Questions in Mental Chronometry. Med. Ree.\nNew York. Vol. 43. No. 15. 15. April 1893.\nIm Zusammenhang mit dem vorigen Artikel bespricht Baldwin nochmals die psychologischen Typen und erw\u00e4hnt, dafs die Unterscheidung von sensorischem und motorischem Typus (Lange) in den willk\u00fchrlichen Bewegungen der Sprache und Schrift sich auch auf will-k\u00fchrliche Bewegungen \u00fcberhaupt anwenden lasse, und dafs jede Person in allen Bewegungen dem Geh\u00f6rs-, Gesichts- oder Bewegungstypus angeh\u00f6re. Die diesbez\u00fcgliche Aufmerksamkeit werde durch Gewohnheit und Erziehung in eine bestimmte Richtung gedr\u00e4ngt. Demgem\u00e4fs w\u00fcrde sich auch die Reaktionszeit \u00bbnach den drei Typen richten und nicht blofs in sgpsorische und motorische Reaktionszeit einzuteilen sein (wie Wundt meinte).","page":68}],"identifier":"lit15392","issued":"1894","language":"de","pages":"66-68","startpages":"66","title":"J. Mark Baldwin: Internal Speech and Song. Phil. Rev., Vol. II, S. 385\u2013407, 1893","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:02:31.143423+00:00"}