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{"created":"2022-01-31T17:03:09.534216+00:00","id":"lit15404","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Auerbach, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 152-160","fulltext":[{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der BitENTANOschen optischen T\u00e4uschung.\nVon\nF. Auerbach.\nAls ich, gelegentlich des Studiums einer anderen Abhandlung den 6. Band dieser Zeitschrift durchbl\u00e4tternd, die Figur 1 auf Seite 2 erblickte, war ich mir nicht nur sofort dar\u00fcber klar, dafs es sich bei ihr um eine optische T\u00e4uschung handle, und dafs diese in der irrt\u00fcmlich ungleichen Sch\u00e4tzung der in Wahrheit gleichen Entfernungen der Scheitelpunkte besteht, sondern ich fand auch fast momentan und rein intuitiv die Erkl\u00e4rung dieser merkw\u00fcrdigen T\u00e4uschung. Wenn ich trotzdem ohne Z\u00f6gern den Aufsatz nachlas, so geschah es also lediglich aus Interesse an dem offenbar reichhaltigen Detail der Betrachtungen, von denen ich mir viel Anregendes versprach, und in denen ich, wie ich gleich vorweg bemerken will, auch viel Anregendes gefunden habe. Um so gr\u00f6fser aber war mein Erstaunen, nicht nur meine Erkl\u00e4rung der Erscheinung in den Zeilen nicht zu finden, sondern statt ihrer auf zwei andere Erkl\u00e4rungen zu stofsen, deren eine von dem Verfasser herr\u00fchrt und der anderen gegen\u00fcber in seinem Aufsatze der sich als eine Replik darstellte, verteidigt wurde. Unter diesen Umst\u00e4nden erscheint es mir angezeigt, meine Erkl\u00e4rung, zumal da sie eine sehr verbreitete und wichtige Erscheinung betrifft, hier darzulegen; ich will mich jedoch, um das einem Physiker gew\u00e4hrte Gastrecht nicht zu mifsbrauchen, so kurz wie m\u00f6glich fassen.1\nEine der \u00fcbrigens nicht in wesentlichen Punkten verschiedenen Formen, in denen man die T\u00e4uschung darstellen\n1 Litteratur: F. Brentano, diese Zeitschr. 3, S. 350,-5, S. 61,\u20146. S. 1. Lipps, ebenda 3, S. 498. \u2014 Delboeuf, Bev. scient. 51, S. 237.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der Brentanoschen optischen T\u00e4uschung.\n153\nkann, ist folgende. Von drei Punkten (Fig. 1), die in einer geraden Linie und in gleichen Abst\u00e4nden voneinander liegen, gehen die Schenkel von gleichen Winkeln aus, lind zwar bei dem links gelegenen Punkte nach rechts, bei dem mittelsten\nFig. l.\nnach links und bei dem rechts gelegenen wieder nach rechts. Beim Ansehen dieser Zeichnung sch\u00e4tzt man die Abst\u00e4nde der Scheitelpunkte nicht gleich, sondern man sch\u00e4tzt den zwischen den konvergierenden Schenkeln gelegenen Abstand kleiner, als den zwischen den divergierenden Schenkeln gelegenen; mit anderen Worten: man hat den Eindruck, als ob die durch die drei Scheitelpunkte geteilte Linie nicht in zwei gleiche, sondern in zwei ungleiche Teile geteilt sei. Diese T\u00e4uschung ist eine rein physiologische und \u00fcberaus nat\u00fcrlich und einfach; sie ist eine Folge der Beeinflussung dessen, was man. sehen soll, durch das, was man daneben noch indirekt sieht. \u00dcber und unter der Linie abc (Fig. 2) nimmt das Auge zahlreiche\nFig. 2.\nandere, der ersten parallele Linien wahr, die durch Punkte auf den Schenkeln der Winkel begrenzt resp. geteilt sind: die Linien def, ghi, .... Mm, und ebenso auf der unteren H\u00e4lfte der Figur. Diese Linien sind aber durch den mittelsten Punkt nicht in gleiche, sondern in ungleiche Teile zu Ungunsten der linken Seite geteilt, und hierdurch wird der Eindruck der Hauptlinie und ihrer gleichen Teilung getr\u00fcbt. Die Linie abc soll im folgenden als Hauptlinie, die Linien def u. s. w. als","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nF. Auerbach.\nNebenlinien bezeichnet werden. Eichtet man zun\u00e4chst einmal das Auge auf die ganze Figur, um zu beurteilen, wie grofs durchschnittlich die rechten Teile aller dieser Linien gegen\u00fcber den linken sind, so wird man ein bestimmtes Verh\u00e4ltnis zu Gunsten der ersteren finden; wenn z. B., wie in der Figur, die oberste Linie im Verh\u00e4ltnis von 2,6:1 geteilt ist, so wird man sich aus dem Teilungsverh\u00e4ltnis der Hauptlinie (1:1) und dem der \u00e4ufsersten Nebenlinie (2,6:1) einen Durchschnitt1 bilden und sagen: Die Linien rechts sind im Durchschnitt 1,6 mal so lang, wie die links. Statt dessen kann man auch sagen: Die Fl\u00e4che rechts ist 1,6 mal so grofs wie die Fl\u00e4che links. Nun soll man aber nicht so, wie angenommen, verfahren, man soll vielmehr das Augenmerk ausschliefslich auf die Hauptlinie abc richten; das kann man nicht, und folglich wird man f\u00fcr ihr Teilungsverh\u00e4ltnis einen Wert finden, der zwar vermutlich nicht so falsch ist, wie der obige Durchschnittswert, aber immerhin falsch. Man kann auch sofort quantitative Anhaltspunkte f\u00fcr den Sch\u00e4tzungsfehler, der zu erwarten ist, gewinnen. Er wird zun\u00e4chst desto gr\u00f6fser sein, je ungleicher das Teilungsverh\u00e4ltnis der obersten Nebenlinie ist, bei gleicher Winkelgr\u00f6fse also desto gr\u00f6fser, je l\u00e4nger die Schenkel sind; er wird zweitens desto gr\u00f6fser sein, durch je mehr Nebenlinien die Hauptlinie, resp. ihr Anblick gest\u00f6rt wird, also je h\u00f6her die Figur ist, d. h. bei gleichem Winkel wiederum, je l\u00e4nger die Schenkel sind. Drittens endlich wird er desto gr\u00f6fser sein, je n\u00e4her gleich stark st\u00f6rende Nebenlinien der Hauptlinie sind, was bei gleicher Winkelgr\u00f6fse nicht vorkommt. Mit wachsender Schenkell\u00e4nge mufs also (aus den beiden ersten Gr\u00fcnden) die T\u00e4uschung zunehmen. Dagegen wird die Abh\u00e4ngigkeit der Gr\u00f6fse der T\u00e4uschung von der Gr\u00f6fse des Winkels keine einfache, sondern von zusammengesetzter Natur sein, weil hier die verschiedenen Einfl\u00fcsse in entgegengesetztem Sinne wirken. Bei grofsen Winkeln wird die T\u00e4uschung zwar klein sein, weil die Ungleichheit der Teilung der obersten Linie nicht betr\u00e4chtlich ist und weil die erheblicher abweichend geteilten Linien von der Hauptlinie schon ziemlich entfernt sind, sie wird aber grofs sein, weil\n1 Wie eine kleine Rechnung zeigt, handelt es sich nicht um den arithmetischen Mittelwert, sondern um eine etwas kleinere Zahl.","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der Brentanoschen optischen T\u00e4uschung.\n155\ndie H\u00f6he der ganzen Figur, also auch, die Zahl der st\u00f6renden Nebenlinien, ziemlich grofs wird; und umgekehrt bei kleinen Winkeln. In beiden F\u00e4llen k\u00e4mpfen also die Einfl\u00fcsse miteinander, und daraus folgt nach einem allgemeinen mathematischen Grunds\u00e4tze, dafs die T\u00e4uschung weder bei grofsen noch bei kleinen, sondern bei einem gewissen mittleren Winkel am gr\u00f6fsten sein wird. Dafs bei sehr spitzen Winkeln die T\u00e4uschung besonders geringf\u00fcgig ist, hat \u00fcbrigens noch den besonderen Grund, dafs die fast horizontale Erstreckung der Schenkellinien hier keine rechte Anschauung der st\u00f6renden Nebenlinien zu st\u00e4nde kommen l\u00e4fst. Alle diese Forderungen werden durch das Experiment best\u00e4tigt; hinsichtlich des letzten Punktes hat Brentano selbst gefunden, dafs die T\u00e4uschung bei Winkeln von etwa 60\u00b0 am st\u00e4rksten ist; mir scheint sie eher bei Winkeln von 90\u00b0 am st\u00e4rksten zu sein, und das w\u00fcrde auch theoretisch verst\u00e4ndlich sein, weil dann die Schenkel unter 45\u00b0 nach oben, resp. unten gehen, bei dieser Neigung aber die Entfernung von der Hauptlinie und die Abnahme, resp. Zunahme der Nebenlinienabst\u00e4nde einander gleich sind.\nDie Theorie l\u00e4fst aber noch eine so grofse Zahl weiterer, zur Pr\u00fcfung geeigneter Schl\u00fcsse zu, dafs ich mich hier auf einige wenige beschr\u00e4nken mufs. Alles, was dem direkten Sehen, gegen\u00fcber dem indirekten Sehen, zu statten kommt, mufs die T\u00e4uschung vermindern. So werden verschiedene Personen die T\u00e4uschung verschieden stark wahrnehmen, je nachdem sie mehr an diffuses oder mehr an koncentriertes Sehen gew\u00f6hnt sind. Das Letztere gilt in besonders hohem Mafse von den Vertretern gewisser Berufe, z. B. von den J\u00e4gern und den Mathematikern, und in der That stellt sich in Beispielen dieser Art der Fehler als ungew\u00f6hnlich klein heraus, n\u00e4mlich bei mittlerer Schenkell\u00e4nge als gesch\u00e4tztes Verh\u00e4ltnis des gr\u00f6fseren zum kleineren Abschnitte 1,05 bis 1,25, w\u00e4hrend es sonst meist 1,2 bis 1,5 ist. Ferner vermag eine und dieselbe Person mit einiger Anstrengung des Auges und des Willens die Koncentration zu erh\u00f6hen, und dann nimmt die scheinbare Ungleichheit der Abschnitte zusehends ab, wenn es auch den meisten kaum gelingen wird, sie v\u00f6llig zum Verschwinden zu bringen. Wenn man die Zeichnung mehr und mehr vom Auge entfernt, wird die T\u00e4uschung immer gr\u00f6fser, wie es sein mufs, da die st\u00f6renden Nebenlinien der Hauptlinie","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nF. Auerbach.\nhierbei, gemessen durch den Sehwinkel, n\u00e4her kommen. Zeichnet man die Schenkel der Winkel nadelartig anschwellend, so wird die T\u00e4uschung schw\u00e4cher oder st\u00e4rker, je nachdem die Abschwellung vom Scheitel nach den Enden oder von den Enden nach dem Scheitel hin verl\u00e4uft (Figg. 3 a und 3 b). Sie wird\n< >\t<\n< >\t<\nFigg. 3 a und 3 b.\naber auch dann schon st\u00e4rker, wenn man die Schenkelstriche gleichm\u00e4fsig verdickt, und das f\u00fchrt uns auf einen f\u00fcr die ganze Frage sehr wichtigen Punkt. Die drei Punkte, deren Abst\u00e4nde verglichen werden sollen, sind als selbst\u00e4ndige Punkte in der Zeichnung n\u00e4mlich gar nicht vorhanden, sie existieren nur als die Orte, wo die Schenkel Zusammentreffen; sie h\u00e4ngen also mit den Schenkeln nicht nur zusammen, sie h\u00e4ngen geradezu von ihnen ab und sind ihnen untergeordnet: kein Wunder, dafs diese Linien selbst eine grofse Rolle spielen. Verst\u00e4rkt man nun die Schenkellinien, so treten diese deutlicher hervor und ziehen die Aufmerksamkeit st\u00e4rker auf sich, w\u00e4hrend die Scheitelpunkte zwar auch gewissermafsen gr\u00f6ber werden, aber doch nach wie vor abstrahiert werden m\u00fcssen. Wie wichtig diese Erw\u00e4gung ist, sieht man ein, wenn man die Scheitelpunkte durch kleine Kreisscheibchen besonders hervorhebt (Eig. 4 a), die T\u00e4uschung h\u00f6rt dann sofort fast g\u00e4nzlich\nFig. 4 a.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der Brentanoschen optischen T\u00e4uschung.\n157\nauf; sie wird auch dann sehr erheblich schw\u00e4cher, wenn man die Scheitelpunkte, ohne sie st\u00e4rker als die Schenkel zu zeichnen, von diesen losl\u00f6st (Fig. 4b). Sehr frappant ist auch die Wirkung,\nFig. 4h.\ndie entsteht, wenn man die Scheitelpunkte in abweichender, lebhafter Farbe zeichnet. Es sind das eben alles Mittel, um das direkte Sehen zu f\u00f6rdern und dem Einfl\u00fcsse des indirekten Sehens zu entziehen.\nVon anderen Modifikationen des Versuches seien noch kurz die vier in Figg. 5 a, 5 b, 5 c, 5d zusammengestellten angef\u00fchrt.\nFigg. 5a, 5b, 5e, \u00f6d.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nF. Auerbach.\nBei 5a ist nur die obere H\u00e4lfte der Figur gezeichnet, die T\u00e4uschung ist hier nur wenig abgeschw\u00e4cht. Bei 5 b ist f\u00fcr jeden Winkel ebenfalls nur ein Schenkel gezeichnet, es sind diesmal aber drei einander parallele gew\u00e4hlt ; hier ist die T\u00e4uschung geringf\u00fcgiger, weil keine st\u00f6renden horizontalen Nebenlinien vorhanden sind; dafs die T\u00e4uschung immerhin noch ziemlich kr\u00e4ftig ist, erkl\u00e4rt sich dadurch, dafs hier schiefe Nebenlinien vorhanden sind, welche, da sie zwischen den beiden linken Schenkeln k\u00fcrzer, zwischen den beiden rechten l\u00e4nger sind, einen, dem fr\u00fcheren gleichartigen, ihrer geringeren sich aufdr\u00e4ngenden Kraft wegen jedoch schw\u00e4cheren Einflufs aus\u00fcben. Bei 5 c (ein auch von Brentano betrachteter Fall) sind die Winkel durch B\u00f6gen ersetzt, und doch bleibt die T\u00e4uschung, wenn auch abgeschw\u00e4cht, bestehen; sie bleibt bestehen, weil die st\u00f6renden Nebenlinien vorhanden sind, sie wird schw\u00e4cher, weil das Gesetz, nach welchem die Ungleichheit des Abschnitt-Verh\u00e4ltnisses, von der Hauptlinie aus, zunimmt, ein sanfteres ist. Umgekehrt ist dies Gesetz bei 5d ein schrofferes, und deshalb die T\u00e4uschung besonders lebhaft. Endlich sei an die Figuren 7 und 8 der ersten BRENTANOschen Abhandlung erinnert, die mit ihrem fast v\u00f6llig negativen T\u00e4uschungsergebnis durchaus den Forderungen unserer Theorie entspricht, und zwar so genau, dafs sich auch der verbleibende T\u00e4uschungsrest durch die Existenz zweier k\u00fcrzerer Nebenlinien in Figur' 7, n\u00e4mlich der beiden \u00e4ufsersten links und rechts, erkl\u00e4rt.\nZum Schl\u00fcsse m\u00f6gen die Ergebnisse einiger Versuche, das Problem auch quantitativ zu behandeln, hier Platz finden. Nat\u00fcrlich wurde dabei die Thatsache benutzt, dafs man mit viel gr\u00f6fserer Sicherheit die Gleichheit zweier Raumgr\u00f6fsen konstatieren als f\u00fcr ihre Ungleichheit Sch\u00e4tzungswerte angeben kann. Es wurde daher auf einem Blatte die Figur 1 sechsmal untereinander gezeichnet, wobei der Abstand der beiden linken Scheitelpunkte immer derselbe war, der der rechten jedoch von Fall zu Fall um ein Kleines verschieden gew\u00e4hlt war, bei der obersten Figur am kleinsten, bei der untersten am gr\u00f6fsten, n\u00e4mlich gleich dem linken Abstand. Der Beschauer wurde dann aufgefordert, zu erkl\u00e4ren, in welcher Figur er die Abschnitte f\u00fcr gleich halte, resp. zwischen welchen beiden F\u00e4llen er glaube, dafs die Wahrheit liege, und welche dieser beiden Figuren ihr n\u00e4her komme. Ergab sich so als wirkliches Ver-","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Erkl\u00e4rung der Brentanoschen optischen T\u00e4uschung.\t159\nh\u00e4ltnis der f\u00fcr gleich gehaltenen Abschnitte u :\u00df) so konnte das Sch\u00e4tzungsverh\u00e4ltnis wirklich gleicher Abschnitte gleich \u00df-.a gesetzt werden. Nat\u00fcrlich wurde darauf gehalten, dafs lediglich gesch\u00e4tzt wurde, aufserdem aber stets der erste, frische Eindruck, nicht der allm\u00e4hlich sich meist etwas \u00e4ndernde ber\u00fccksichtigt. Auf diese Weise wurden immerhin schon recht empfindliche Zahlen erhalten. Es wurden Winkel von 90\u00b0 gew\u00e4hlt und die zuerst sehr kurz gezeichneten Schenkel allm\u00e4hlich immer mehr verl\u00e4ngert, so dafs das Abschnittsverh\u00e4ltnis der beiden \u00e4ufsersten Nebenlinien immer ungleicher wurde. Es ist ganz erstaunlich, mit welcher Begelm\u00e4fsigkeit hierbei die f\u00fcr richtig gehaltene Figur von unten nach oben wandert. In der folgenden Tabelle giebt Spalte I die Schenkell\u00e4nge (mm), II das dieser Schenkell\u00e4nge entsprechende \u00e4ufserste Abschnittsverh\u00e4ltnis, III A und B das von zwei Personen gesch\u00e4tzte Verh\u00e4ltnis wirklich gleicher Abschnitte, IV A und B die entsprechenden Sch\u00e4tzungsfehler, ausgedr\u00fcckt in Bruchteilen der wirklichen durchschnittlichen Verschiedenheit aller rechten und aller linken Horizontallinien; der Deutlichkeit halber sei angef\u00fchrt. dafs, wenn das \u00e4ufserste Abschnittsverh\u00e4ltnis z. B. 2,0 (d. h. 2:1), also die wirkliche Verschiedenheit dieser Teilung 1,0 ist, die durchschnittliche Verschiedenheit aller Horizontallinien 0,4 ist (n\u00e4mlich nach der obigen Anmerkung nicht das arithmetische, sondern ein anderes Mittel zwischen 0 und 1). Die wirkliche L\u00e4nge jedes Abschnittes betrug 50 mm.\nI\tII\tIII\t\tIV\t\n\t\tA\tB\tA\tB\n5\t1,33\t1,16\t1,25\t1,0\t1,7\n7V t\t1,50\t1,24\t1,28\t1,0\t1,3\n10\t1,70\t1,31\t1,39\t1,0\t1,3\n13\t2,03\t1,43\t1,47\t1,0\t1,1\n16\t2,57\t1,47\t1,51\t0,8\t0,9\n20\t3,55\t1,51\t1,56\t0,6\t0,7\nDie Zahlen k\u00f6nnen nur eine mittlere, keine allgemeinere Bedeutung beanspruchen, da sie sich auf eine bestimmte Winkelgr\u00f6fse, Strichdicke, Sehweite und nur auf zwei Beobachter beziehen, deren Zahlen \u00fcbrigens, von einer gewissen pers\u00f6nlichen Differenz abgesehen, ziemlich parallel laufen. Die Zahlen unter III zeigen eine \u00fcberraschend grofse Gesetzm\u00e4fsig-","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nF. Auerbach.\nkeit des Anwachsens mit der Schenkell\u00e4nge. Besonders interessant sind die Zahlen unter IV, insofern sie erkennen lassen, in welchem Verh\u00e4ltnis die st\u00f6rende Kraft des indirekten Sehens zur gewollten Kraft des direkten Sehens steht. Bei dem Beobachter A macht sich diese st\u00f6rende Kraft bei kurzen Schenkeln mit dem vollen Betrage, dann successive mit einem immer geringeren Bruchteile geltend, was leicht verst\u00e4ndlich ist. Der relative Verlauf der Zahlen ist bei dem Beobachter B ganz analog, die Zahlen f\u00fcr kurze Schenkel sind aber hier merkw\u00fcrdigerweise wesentlich gr\u00f6fser als 1, d. h. der Beobachter l\u00e4fst sich von dem indirekten Sehen sogar st\u00e4rker beeinflussen, als von dem direkten \u2014 ein Ergebnis, das als \u00e4ufserst paradox bezeichnet werden m\u00fcfste, wenn nicht wiederum daran zu erinnern w\u00e4re, dafs die durch die Winkelscheitel dargestellten Punkte relativ schwer aufzufassende und von den Schenkeln abh\u00e4ngige, die ganzen Fl\u00e4chen hingegen sich stark aufdr\u00e4ngende Gebilde sind.\nWeiter auf den Gegenstand einzugehen, scheint mir nicht gen\u00fcgendes Interesse zu bieten. \u00dcberhaupt mufs ich gestehen, dafs die Erscheinung, je l\u00e4nger man sich mit ihr von dem hier eingenommenen Standpunkte aus besch\u00e4ftigt, desto mehr den Charakter des Selbstverst\u00e4ndlichen annimmt.\nDafs meine Betrachtungen irgendwie neu seien, ist mir an sich wenig wahrscheinlich. Es mufs aber wohl so sein, da doch sonst in den Aufs\u00e4tzen, durch welche der meinige hervorgerufen wurde, irgend etwas an sie Anklingendes1 zu finden sein m\u00fcfste.\nJena, Februar 1894.\n1 Wie ich bei der Korrektur erfahre, findet sich ein solcher Anklang in einer von Brentano nicht genannten Arbeit von M\u00fcller-Lyer.","page":160}],"identifier":"lit15404","issued":"1894","language":"de","pages":"152-160","startpages":"152","title":"Erkl\u00e4rung der Brentanoschen optischen T\u00e4uschung","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:03:09.534224+00:00"}