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{"created":"2022-01-31T17:00:07.957400+00:00","id":"lit15405","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"K\u00f6nig, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 161-171","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der physikalischen Abteilung des Physiologischen Institutes\nzu Berlin.)\nEine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit. (Pseudo-Monochromasie. )\nVon\nArthur K\u00f6nig.\n\u00a7 1. Einleitung.. Seit dem Abschl\u00fcsse der gemeinsam mit Hrn. C. Dieterici ausgef\u00fchrten Analyse aller uns damals bekannten Typen von Farbensystemen1 habe ich ununterbrochen mein Augenmerk darauf gerichtet, noch weitere Typen aufzufinden. Trotzdem ich durch die dankenswerte Liebensw\u00fcrdigkeit der Leiter und Assistenten mehrerer hiesiger Augenkliniken Gelegenheit hatte, Farbenblinde in grofser Zahl zu untersuchen, waren meine Bem\u00fchungen bis vor kurzem vergeblich. Ich hatte bereits alle darauf bez\u00fcgliche Hoffnung aufgegeben, als mir vor einiger Zeit durch Hrn. Dr. Albrand ein hiesiger Kanzleibeamter zugef\u00fchrt wurde, der die ScH\u00d6LERsche Augenklinik wegen presbyopischer Beschwerden aufgesucht und dabei dem untersuchenden Arzte, Hrn. Dr. Albrand, mitgeteilt hatte, dafs er fast keine Farben unterscheiden k\u00f6nne.\nBereits die ersten Einstellungen an einem Helmholtz-schen Farbenmischapparate ergaben, dafs hier ein neuer Typus der Farbenblindheit vorlag.\nHr. E. H., Kanzleibeamter, ist 50 Jahre alt. Das rechte Auge ist emmetropisch und besitzt volle Sehsch\u00e4rfe; das\n1 A. K\u00f6nig und C. Dieterici, Sitzungsber. der Berl. Akad. vom 29. Juli 1886. S. 805. In ausf\u00fchrlicherer Darstellung in dieser Zeitschr. Bd. IV. S. 241\u2014347. Auch separat erschienen bei L. Voss. 1892. Hamburg. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie VII.\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nArthur K\u00f6nig.\nlinke Auge hat eine Hyperm\u00e9tropie von 1 D., nach deren Korrektion sich ebenfalls volle Sehsch\u00e4rfe ergiebt. Es besteht grofse Lichtscheu, und der Patient kann sich bei guter Beleuchtung auf der Strafse nur mit einem gewissen Unbehagen zurechtfinden. Nimmt die Beleuchtung ab, so verschwindet die Beschwerde. Im Verlaufe unserer Untersuchung stellte sich aber au\u00fch heraus, dafs bei etwas zu geringer Intensit\u00e4t alle Aussagen unsicher wurden und Unbehagen bei dem Patienten eintrat. Das Intervall der benutzbaren Helligkeit ist demnach recht eng. Ophthalmoskopisch ergiebt sich ein ganz normaler Befund, insbesondere eine mittlere Pigmentierung des Augenhintergrundes, so dafs die Lichtscheu keineswegs auf den Mangel an Pigment zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.\nTrotz der guten Sehsch\u00e4rfe sind die Augen sehr leistungsunf\u00e4hig, denn bei irgend welcher Anstrengung derselben treten bald heftige Kopfschmerzen auf, welche dem Patienten die Aus\u00fcbung seines Berufes erschweren und auch bei der hier geschilderten Untersuchung l\u00e4ngere Beobachtungsreihen an dem Spektralapparate unm\u00f6glich machten. Es mufste daher die Pr\u00fcfung seines Farbensystems auf mehrere Tage verteilt und dann auch noch durch gr\u00f6fsere Pausen unterbrochen werden. Bei diesem Verfahren und unter Benutzung der f\u00fcr den Patienten angenehmsten Helligkeitsgrade der zu vergleichenden Felder waren die Angaben zuverl\u00e4ssig und ergaben unter sich eine gute \u00dcbereinstimmung. Trotzdem mufsten aber zwei wichtige Fragen (Bestimmung der Elementarempfindungskurven und das Vorhandensein des PuRKiNjEschen Ph\u00e4nomens) ungel\u00f6st bleiben, da zu ihrer Beantwortung angestrengtere und sicherere Einstellungen erforderlich gewesen w\u00e4ren, als sie der Patient bei bestem Willen und eigenem Interesse an der Sache zu leisten im st\u00e4nde war.\n\u00a7 2. Die Qualit\u00e4t der Empfindungen. Der Patient erkl\u00e4rt fast alle Gegenst\u00e4nde f\u00fcr v\u00f6llig farblos; nur sehr wenige verursachen ihm eine specifische Farbenempfindung, und auch diese nur bei mittleren Intensit\u00e4ten der Beleuchtung. Bei der Aufforderung, aus vorgelegten Wollf\u00e4den die farbigen heraus zu suchen, bezeichnet er als solche die blauen, roten und gelben (aber nur stark ges\u00e4ttigte Nuancen). Die beiden letzteren erkl\u00e4rte er eigentlich f\u00fcr gleichfarbig, der Unterschied best\u00e4nde nur in der verschiedenen Helligkeit. Es kommen","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Eine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit. 163\nhierbei aber oftmals Verwechselungen vor; jedoch wird ges\u00e4ttigtes Blau stets richtig bezeichnet.\nIn \u00dcbereinstimmung mit dieser Vorpr\u00fcfung erschien ihm das Spektrum als ein in der Mitte grau, resp. weiis gef\u00e4rbtes Band, welches nach den Seiten schwach gelbe, resp. blaue F\u00e4rbung zeigte.\nZwei mit Licht von den Wellenl\u00e4ngen 670 fi/i und 430 fifi monochromatisch erleuchtete Felder, zum Vergleich nebeneinander gebracht, werden zwar als merklich, aber doch wenig voneinander verschieden angegeben. Bei unaufmerksamer Betrachtung k\u00f6nnten sie wohl verwechselt werden. Die Farben werden als Gelb und Blau bezeichnet. Dafs die Verschiedenheit in ihrem Aussehen thats\u00e4chlich sehr gering ist, ergab sich daraus, dafs sowohl Licht von der Wellenl\u00e4nge 670 fifi wie 430 fifi, mit Licht von der Wellenl\u00e4nge 490 fifi verglichen, keinen merklichen Unterschied zeigte. Die Verschiedenheit zwischen 670 fifi und 430 fifi kann also nicht mehr als die doppelte Unterschiedsschwelle betragen.\nDie schnellste, ja die einzig vorkommende merkliche \u00c4nderung der Nuance mit der Wellenl\u00e4nge tritt in der Spektralregion von 500 fifi bis 480 /ifi ein. Denn, wie soeben erw\u00e4hnt, wird 490 fifi noch mit 430 fifi stets verwechselt, w\u00e4hrend 500 fifi schon von 430 fifi (ja bereits von 460 fifi) verschieden war. Andererseits war aber 480 fifi schon von 670 fifi verschieden, w\u00e4hrend 490 fifi bereits mit 670 fifi verwechselt wurde. Dieser Umschlag im Farbenton vollzieht sich also an derselben Stelle, wo auch im Spektrum der \u201eBotblinden\u201c und \u201eGr\u00fcnblinden\u201c die gr\u00f6fste Abh\u00e4ngigkeit der Nuance von der Wellenl\u00e4nge besteht.\nIch hebe ausdr\u00fccklich hervor, dafs diese Angaben \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr die Nuance sich auf diejenige Intensit\u00e4t des Spektrums beziehen, bei der Hr. E. H. die relativ gr\u00f6fste Empfindlichkeit besitzt, so dafs also seine auffallend geringe Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Wellenl\u00e4ngen\u00e4nderung nicht etwa durch die Benutzung einer ungeeigneten Helligkeitsstufe zu erkl\u00e4ren ist.\nDa sonst derartige Versuche nur von Personen angestellt worden sind, hei denen bereits mehr oder minder eingehende Pr\u00fcfungen des Farbensystems vorgenommen waren und bei denen man daher wohl einige \u00dcbung voraussetzen konnte, was\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nArthur K\u00f6nig.\nbei Hrn. E. H. nicht der Fall -war, so habe ich zum Vergleich einen \u201egr\u00fcnblinden\u201c Philologie-Studenten, Hrn. A., der noch niemals irgendwelche Farbenvergleichungen gemacht hatte und sich nur sehr wenig der Mangelhaftigkeit seines Farbensystems bewufst war, auf seine Empfindlichkeit gegen Wellen-l\u00e4ngen\u00e4nderung gepr\u00fcft. Es ergab sich, dafs 490 fifi sowohl von 500 fifi, wie von 480 fifi bereits so verschieden war, dafs eine Verwechselung f\u00fcr unm\u00f6glich erkl\u00e4rt wurde. Daraus geht unzweifelhaft auch f\u00fcr unge\u00fcbte \u201eRotblinde\u201c eine Empfindlichkeit von ganz anderer Gr\u00f6fsenordnung hervor. Die hochgradige Unempfindlichkeit bei Hm. E. H. ist also auf die Beschaffenheit seines Farbensystems zur\u00fcckzuf\u00fchren.\n\u00a7 3. Die Verteilung der Helligkeit im Spektrum. Wenn man auch aus der Geringf\u00fcgigkeit der im Spektrum \u00fcberhaupt vorkommenden Nuancenverschiedenheiten ohne weiteres schliefsen konnte, dafs ein Versuch, die Gestalt der Elementar-empfindijngskurven zu bestimmen, scheitern mufste, so habe ich doch bei der grofsen Wichtigkeit, welche eine derartige Bestimmung gehabt h\u00e4tte, einen solchen Versuch wirklich angestellt. Hierbei zeigte sich aber, dafs fast jede durch Drehung des NicoLschen Prismas bewirkte St\u00f6rung einer hergestellten Farbengleichung wieder durch \u00c4nderung der Spaltbreiten ausgeglichen werden konnte. Damit war die Unm\u00f6glichkeit einer Bestimmung der Elementarempfindungskurven nachgewiesen. Ich mufste mich daher zur weiteren Untersuchung des Farbensystems auf die Ausf\u00fchrung blofser Helligkeitsgleichungen beschr\u00e4nken, die freilich hier fast alle v\u00f6llige Farbengleichungen waren. Aus den oben angef\u00fchrten Gr\u00fcnden war es aber auch hierbei unm\u00f6glich, f\u00fcr die dunkleren Enden des Spektrums sichere Gleichungen zu gewinnen. Es wurden am ersten Beobachtungstage zwei und an zwei anderen Tagen je eine Versuchsreihe gemacht, welche sich auf die Spektrumsregion von 630 fi/i bis 490 fift, erstreckte. Die Bestimmungen geschahen in der Art, dafs f\u00fcr jede untersuchte Lichtart solche Spalteinstellungen gemacht wurden, bei denen das betreffende Licht eben merklich zu hell und andere Einstellungen, bei denen es eben merklich zu dunkel war. Beide Einstellungsarten wechselten regelm\u00e4fsig miteinander ab und wurden dann an jedem Tage zu einem Mittelwert vereinigt. Nach einigen Versuchen hatte sich dieses Verfahren als das vorteilhafteste ergeben. Jede der so ge-","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Ro\u00fcibUnd\u2022\"\nEine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindest. 165\n580\t570\t560\t550\t590\t530\t520","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nArthur K\u00f6nig.\nwonnenen vier Reihen ergab f\u00fcr sich einen etwas unglatten Verlauf. Da mit dem Fortgang der Beobachtungen deutlich eine wachsende Sicherheit in der Beurteilung hervortrat, so habe ich aus den vier erhaltenen Reihen wiederum das Mittel gebildet, indem ich den beiden Reihen des ersten Tages das Gewicht 1, der des zweiten Tages das Gewicht 2 und der des dritten das Gewicht 3 beilegte. Die so erhaltenen Werte sind in der nachfolgenden Tabelle in der Kolumne 1 verzeichnet und als ausgezogene Kurve in der umstehenden Figur eingetragen. Da sie sich auf das in dem Farbenmischapparat entstehende Dispersionsspektrum des von einem sog. Triplex-Gas-brenner 1 gelieferten Lichtes beziehen, so ist in der Figur auch ein Dispersionsspektrum als Abscissenachse benutzt worden.\nEine bestimmte Angabe \u00fcber den wahrscheinlichen Fehler der mitgeteilten Zahlen l\u00e4fst sich wegen der Art, wie sie gewonnen wurden, nicht machen. Um aber einen \u00dcberblick \u00fcber die relative Gr\u00f6fse der Unsicherheit bei den einzelnen untersuchten Spektralregionen zu geben, habe ich die wahrscheinlichen Fehler der Gesamtmittel aus den Resultaten der einzelnen Beobachtungsreihen unter Ber\u00fccksichtigung der diesen beigelegten Gewichte berechnet und in der Tabelle hinzugef\u00fcgt. Sie sind relativ am gr\u00f6fsten f\u00fcr 630 jiji und 490 [ifi und dann f\u00fcr 570\tin den beiden ersten F\u00e4llen, weil die\nbetreffende Helligkeit f\u00fcr Hrn. E. H. schon etwas zu gering war und auch weniger Einstellungen als an den \u00fcbrigen Punkten gemacht wurden; in dem letzten Falle wohl, weil die betreffende Helligkeit etwas zu grofs war, um ohne Beschwerde ertragen werden zu k\u00f6nnen.\nDie so gewonnene Kurve der Helligkeitsverteilung hat un-gemein grofse \u00c4hnlichkeit mit der Helligkeitskurve der \u201eRotblinden\u201c ; ja sie kann wohl ohne Zweifel innerhalb der Grenzen individueller Abweichungen mit ihr identificiert werden. Zum Beweise hierf\u00fcr habe ich in der Figur aufserdem noch die Helligkeitskurven zweier anderer \u201eRotblinden\u201c eingezeichnet und ihre Ordinatenwerte aufserdem in der Tabelle eingetragen. Von ihnen ist eine (Kolumne 3) einer fr\u00fcheren Abhandlung von\n1 Angefertigt von der optisch-mechanischen Firma Franz Schmidt & H\u00e4nsch in Berlin.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Eine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit. 167\nmir1 entnommen und bezieht sich auf das Farbensystem des Hrn. R. Ritter. Dafs sie nach einer etwas anderen Methode gewonnen, kann nur so geringe Abweichungen zur Folge haben, dafs wir sie nicht weiter zu beachten brauchen. Damit ein Vergleich der Zahlenwerte leichter ist, habe ich in der Tabelle aufser den Werten f\u00fcr die von Hrn. Rittee beobachteten Wellenl\u00e4ngen auch noch diejenigen (durch graphische Interpolation gewonnen) eingetragen, welche sich auf die von Hrn. E. H. beobachteten Wellenl\u00e4ngen beziehen. Die andere Kurve (Kolumne 2) habe ich an dem Farbensystem des oben bereits erw\u00e4hnten Hrn. stud. A. im unmittelbaren Anschlufs an die bereits mitgeteilten Vergleichsbeobachtungen gewonnen.\nWellen- l\u00e4nge\t1 E. H.\t2\t|\t3 \u201eKotblind\u201c\t\t4 X.\t5 Monochro- mat Beyssell\t6 \u201eGr\u00fcn- blind\u201c Bkodh\u00fcn\n\t\tstud. A.\tRitter\t\t\t\n670 fifi\t\u2014\t\u2014\t0.47\t0.71\t\u2014\t2.70\n650 \u201e\t\u2014\t\u2014\t1.40\t1.83\t0.11\t6.84\n630 \u201e\t2.83 + 0.50\t3.33\t3.60\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n625 \u201e\t\u2014\t\u2014\t4.44\t5.17\t0.49\t13.15\n605 \u201e\t\u2014\t\u2014\t8.96\t9.76\t2.70\t15.01\n600 \u201e\t9.52 + 0.48\t10.93\t10.16\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n590 \u201e\t\u2014\t\u2014\t12.50\t13.70\t4.95\t12.69\n575 \u201e\t\u2014\t\u2014\t14.54\t14.77\t8.70\t10.91\n570 \u201e\t14.47 + 1.06\t14.44\t14.55\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n555 \u201e\t\u2014\t\u2014\t12.71\t13.39\t12.90\t8.30\n550 \u201e\t11.81 + 0.62\t12.02\t11.92\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n535 \u201e\t\u2014\t\u2014\t9.\u2014\t10.\u2014\t15.-\t5.\u2014\n530 \u201e\t8.75 \u00b10.11\t7 36\t7.86\t\u2014\t\u2014\t~\n520 \u201e\t\u2014\t\u2014\t5.45\t7.\u2014\t13.95\t2.88\n510 \u201e\t5.37 + 0.34\t5.13\t3.58\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n505 \u201e\t\u2014\t\u2014\t2.83\t4.92\t9.15\t1.12\n490 \u201e\t1.96 \u00b10.51\t1.95\t1.37\t2.50\t4.05\t0.42\n470 \u201e\t\u2014\t\u2014\t0.459\t\u2014\t\u2014\t\u2014\n1 \u00dcber den Helligkeitswert der Spektralfarben bei verschiedener absoluter Intensit\u00e4t. Beitr\u00e4ge zur Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane (Helmholtz-Festschrift). S. 309. Hamburg 1891.. Leopold Voss.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nArthur K\u00f6nig.\nDer Mafsstab dieser beiden und auch der \u00fcbrigen Vergleichskurven ist so gew\u00e4hlt-, dafs ihre maximale H\u00f6he ungef\u00e4hr mit derjenigen der Kurve des Hm. E. H. \u00fcbereinstimmt. Eine dritte Kurve stellt die spektrale Helligkeitsverteilung f\u00fcr ein Auge, das urspr\u00fcnglich \u201erotblind\u201c und infolge einer Netzhautabl\u00f6sung monochromatisch geworden ist. Ich habe diesen bemerkenswerten Fall fr\u00fcher eingehend beschrieben1 und unter geeigneter Reduktion die Ordinatenwerte (Kolumne 4), welche unter der Bezeichnung X. eingetragen sind, meiner damaligen Publikation entnommen.\nEin Blick auf die Figur zeigt, dafs diese drei Vergleichskurven mit der Kurve des Hm. E. H. sehr gut \u00fcbereinstimmen und ohne Zweifel demselben Typus angeh\u00f6ren. Damit dieses augenf\u00e4lliger hervortritt, habe ich aufserdem noch die Helligkeitskurve des \u201egr\u00fcnbiinden\u201c Hrn. E. Brodhun2 (Kolumne 6) und die Intensit\u00e4tskurve des fr\u00fcher von Hrn. C. Dieterici und mir3 untersuchten angeborenen monochromatischen Farbensystems des Hrn. A. Beyssell (Kolumne 5) eingezeichnet. Beide haben einen ganz abweichenden Verlauf, der v\u00f6llig aufserhalb der m\u00f6glichen Beobachtungsfehler liegt.\nVon einem Nachweis des P\u00fcRKiNJEschen Ph\u00e4nomens mufste bei Hm. E. H. Abstand genommen werden, da der Bereich der Helligkeit, in dem mit einiger Sicherheit Beobachtungen angestellt werden konnten, daf\u00fcr zu eng war.\n\u00a7 4. Zusammenfassende Betrachtung. Das Farbensystem des Hrn. E. H. ist, was die Qualit\u00e4t seiner Empfindungen anbetrifft, den bisher von Donders, Hrn. E. Hering und Hrn. C. Dieterici und mir genauer untersuchten Systemen angeborener Monochromasie nahe verwandt, w\u00e4hrend die quantitative Ver- * teilung der Helligkeit im Spektrum mit derjenigen der \u201eB,ot-blinden\u201c \u00fcbereinstimmt. Es bildet also gewissermafsen einen \u00dcbergang zwischen beiden Formen. Die eigentlichen Farbenempfindungen sind sehr schwach und gelangen nur bei g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden ohne besondere Aufmerksamkeit zum Bewufstsein. Da sie aber immerhin vorhanden sind, so k\u00f6nnen wir doch Hrn. E. H. nicht in vollem Sinne als Monochromat bezeichnen,\n1\tIn der eben citierten Abhandlung.\n2\tA. K\u00f6nig. \u00dcber den Helligkeitswert u. s. w.\ns A. K\u00f6nig und C. Dieterici. Herl. Sitzungsber. 29. Juli 1886 und diese Zeitschr. Bd. 4. S. 241\u2014347.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Eine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit. 169\nund ich m\u00f6chte deshalb f\u00fcr sein Farbensystem den Namen \u201ePseudo-Monochromasie\u201c vorschlagen.1\nSehen wir nunmehr zu, wie sich unsere Beobachtungen mit den verschiedenen Farbentheorien vereinigen lassen.\n1. Die HERiN\u00f6sche Farbentheorie hat die angeborene totale Monochromasie in gl\u00fccklicher Weise mit der Ver\u00e4nderung in Verbindung gesetzt, welche normale trichromatisehe Farben-systeme bei st\u00e4rkster Herabsetzung der \u00e4ufseren Reizintensit\u00e4t erleiden. Hr. Hering hat auf Grund seiner theoretischen Ansichten vorausgesehen und dann auch durch Beobachtung best\u00e4tigt, dafs die spektrale Helligkeitsverteiluug bei angeborener Monochromasie mit derjenigen \u00fcbereinstimmt, welche f\u00fcr normale Systeme dann eintritt, wenn die absolute Intensit\u00e4t des Spektrums so gering ist, dafs die Farbennuancen verschwinden und das ganze Spektrum nur in einem mehr oder minder hellen Grau erscheint. Ich selbst habe sehr bald darauf diese Thatsache ebenfalls beobachtet und dieselbe Beziehung auch zwischen monochromatischen und dichromatischen Farbensystemen nachgewiesen. Hr. Hering erkl\u00e4rt sie in der Weise, dafs bei dem monochromatischen System die Schwarz-Weifs-Substanz die einzig vorhandene Sehsubstanz ist, w\u00e4hrend sie in den anderen Farbensystemen die bei geringen Intensit\u00e4ten allein zur Wirkung kommende Sehsubstanz ist, da die \u00fcbrigen farbigen Sehsubstanzen h\u00f6here Intensit\u00e4ten erfordern, um in Funktion zu treten. In beiden F\u00e4llen ist die Zersetzung der Schwarz-Weifs-Substanz also allein dasjenige, was die Verteilung der Helligkeit bewirkt. Bei Hrn. E. H. haben wir nun, wenn wir uns auf den Standpunkt der HERiNGschen Theorie stellen, anzunehmen, dafs die Rot-Gr\u00fcn-Substanz fehlt, w\u00e4hrend von der Blau-Gelb-Substanz nur Spuren vorhanden sind. Wie ist dann aber die von uns gefundene Helligkeitsverteilung zu erkl\u00e4ren? Nach Hrn. Hering k\u00f6nnte sie doch nur sehr wenig\n1 Diese Bezeichnung ist eigentlich ebenso unrichtig, wie die Bezeichnung \u201eMonochromat\u201c f\u00fcr einen Total-Farbenblinden. Letztere sehen eben nicht alles in einer Farbe, sondern sie sehen es in der einen Reihe Schwarz-G-rau-Weifs. Man m\u00fcfste sie demnach \u201eAchromaten\u201c und den hier beschriebenen Fall \u201ePseudo-Achromat\u201c nennen. Da die Bezeichnung Monochromat, Monochromasie sich aber einmal einzub\u00fcrgern scheint und jeder mit der Sache Vertraute weifs, was er darunter zu verstehen, so mag jene unexakte Bezeichnungsweise beibehalten bleiben.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nArthur K\u00f6nig.\nvon derjenigen der Monocliromaten ab weichen, wie sie in der Zeichnung als Kurve des Hm. Beyssell eingetragen ist; denn die nur in geringen Mengen dissimilierte und assimilierte Blau-Gelb-Substanz k\u00f6nnte doch auch nur einen entsprechend geringen Einflufs aus\u00fcben. Jedenfalls liegt hier eine Schwierigkeit vor, deren Hebung, soviel ich sehe, auf dem Boden der gegenw\u00e4rtigen Gestaltung der HE\u00dfiNGschen Theorie nicht zu erm\u00f6glichen ist.\n2.\tHr. H. Ebbinghaus hat neuerdings eine Earbentheorie aufgestellt, welche das grofse Verdienst hat, zum ersten Male die bekannten Absorptions- und Zersetzungsvorg\u00e4nge in dem Sehpurpur, Sehgelb u. s. w. mit den Thatsachen des Farbensehens, der Farbenmischungen u. s. w. versuchsweise in einen Zusammenhang gebracht zu haben. Die in dieser Abhandlung mitgeteilten Beobachtungsthatsachen bereiten der Ebbinghaus-schen Theorie aber dieselben Schwierigkeiten, wie der Hering-schen, da beide den Zusammenhang zwischen der angeborenen totalen Farbenblindheit und den \u00fcbrigen Farbensystemen in ann\u00e4hernd gleicher Weise erkl\u00e4ren. Nach Hrn. Ebbinghaus kann freilich noch eine andere Art totaler Farbenblindheit dadurch zu st\u00e4nde kommen, dafs die von den photochemischen Substanzen der Netzhaut ausgehende specifische T\u00f6nung der Erregung irgendwo auf dem Wege zum Gehirn durch einen pathologischen Prozefs eine St\u00f6rung erleidet und dadurch wieder verloren geht (Sehnervenatrophie; hysterische, apoplektische, hypnotische Zust\u00e4nde). Von einer solchen Ursache der Farbenblindheit kann bei Hrn. E. H. absolut keine Rede sein.\n3.\tDie YouNG-HELMHOLTZsche Farbentheorie mufs freilich von ihrer urspr\u00fcnglichen Form der absoluten Konstanz der spektralen Verteilung der einzelnen Grund empfind\u00fcngen ab-lassen, wenn sie eine einigermafsen befriedigende Erkl\u00e4rung der vorliegenden Beobachtungen geben will. Bereits fr\u00fcher haben Hr. 0. Dieterici und ich gemeinsam darauf hingewiesen, dafs die bisher bekannten Formen der typischen \u201eRotblindheit\u201c und \u201eGr\u00fcnblindheit\u201c wohl nicht in der Weise aufzufassen sind, dafs die rot empfindenden, bezw. gr\u00fcn empfindenden Elemente einfach fehlen. Man mufs vielmehr annehmen, dafs sie auch hier ebensogut vorhanden sind, wie bei den Farbent\u00fcchtigen; aber es ist die Abh\u00e4ngigkeit ihrer Erregungsst\u00e4rke von der Wellenl\u00e4nge des reizenden Lichtes eine andere geworden, und zwar","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Eine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit. 171\nkommen die typischen Formen der \u201eRotblindheit\u201c und \u201eGr\u00fcnblindheit\u201c dadurch zu st\u00e4nde, dafs bei ihnen sowohl die Rotsubstanz wie die Gr\u00fcnsubstanz dieselbe _ spektrale Verteilung der Erregbarkeit besitzen; bei der \u201eRotblindheit\u201c ist es diejenige, welche der Gr\u00fcnsubstanz, bei \u201eGr\u00fcnblindheit\u201c diejenige, welche der Rotsubstanz bei Farbent\u00fcchtigen zukommt. Dadurch werden beide Substanzen stets in gleicher Weise erregt, und es tritt nur die Empfindung Gelb auf. Die Blausubstanz hingegen ist in beiden F\u00e4llen unver\u00e4ndert geblieben. Im Farbensystem des Hrn. E. H. ist nun aber nicht nur die Empfindlichkeit der Rotsuhstanz in der eben geschilderten Weise ver\u00e4ndert, sondern es hat auch die Blausubstanz eine \u00e4hnliche \u00c4nderung erlitten: Die spektrale Verteilung ihrer Erregbarkeit ist derjenigen der Gr\u00fcnsubstanz sehr \u00e4hnlich geworden, und daher wird das Spektrum in seiner ganzen Ausdehnung weifslich erscheinen. Nur an den Enden, wo die gr\u00f6fsten Abweichungen der normalen Blaukurve von der normalen Gr\u00fcnkurve sind, bleibt eine geringe Abweichung der Blaukurve bestehen, und damit ist eine schwache Gelb-, bezw. Blauf\u00e4rbung gegeben.1\nIch schliefse diese Abhandlung mit dem Ausdrucke des Dankes an Hrn. Dr. Albrand, dafs er mich auf diese bisher noch unbekannte Form anomalen Farbensinnes aufmerksam gemacht und mir ihre Untersuchung erm\u00f6glicht hat.\n1 Ich lasse es zun\u00e4chst unentschieden, oh diese \u00c4nderungen in der spektralen Verteilung der Empfindlichkeit der verschiedenen Sehsubstanzen durch \u00c4nderung der Substanzen selbst, oder durch \u00c4nderung ihnen beigemischter Sensibilisatoren bewirkt werden.","page":171}],"identifier":"lit15405","issued":"1894","language":"de","pages":"161-171","startpages":"161","title":"Eine bisher noch nicht beobachtete Form angeborener Farbenblindheit (Pseudo-Monochromasie)","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:00:07.957406+00:00"}