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{"created":"2022-01-31T17:02:19.099462+00:00","id":"lit15455","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"T\u00f6nnies, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 235-245","fulltext":[{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nOtto Ammon. Die nat\u00fcrliche Auslese beim Menschen. Auf Grund der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden und anderer Materialien dargestellt. Jena, Gustav Fischer, 1893. 326 S.\nDie Anthropom\u00e9trie \u2014 deren Vertreter ihre Disciplin als. Anthropologie schlechthin zu bezeichnen pflegen \u2014 findet sicherlich nicht so viele Aufmerksamkeit und Pflege, als sie, besonders auch f\u00fcr psychologische Verwertung, in Anspruch nehmen darf. Wir k\u00f6nnen daher die vorliegende Arbeit, die mit nicht geringem Fleifse unternommen worden ist, f\u00fcglich willkommen heifsen, wenigstens ehe wir sie im einzelnen kennen gelernt haben.\nDer Verfasser bekennt, dafs ihm unerwarteterweise die Gesetze der Vererbung und wider seinen Willen die nat\u00fcrliche Auslese beim Menschen in den Vordergrund der Betrachtung gekommen sei. Er ist darauf gefafst, dafs man seine Lehre wegen ihrer Konsequenzen als eine ideallose, wohl gar als eine umst\u00fcrzende angreifen werde, er h\u00e4lt es f\u00fcr geboten, von vornherein mit \u201eeinem gewissen religi\u00f6sen Standpunkte\u201c sich auseinanderzusetzen. Demnach scheint er auf eigentlich wissenschaftliche Kritik entweder nicht zu rechnen, oder gegen solche sich sicherer zu f\u00fchlen.\nNun ist schon etwas merkw\u00fcrdig, wenn an die Spitze des Buches unter der \u00dcberschrift \u201eDie wichtigsten Gesetze der Vererbung\u201c ein Auszug aus den Theorien Weismanns dargeb\u00f6ten wird denn es sind doch wohl verschiedene solche einander gefolgt, obgleich Hr. A. nur von der Theorie redet und dazu bemerkt: \u201eDiese Theorie wurde gew\u00e4hlt, weil die aus ihr zu ziehenden Folgerungen mit den von uns beobachteten Vererbungsthatsachen \u00fcbereinstimmen.\u201c (Satz 11 Not.)1 Was alsdann \u00fcber Vererbung mitgeteilt wird, teils aus einem anthropologischen Familienhuche, das der Verfasser angelegt hat, teils nach den Aufnahmen beim Ersatzgesch\u00e4fte, die zwischen K\u00f6rpergr\u00f6fse, Kopfindex, Augen-, Haar-und Hautfarbe und anderen Merkmalen zahlreiche Wechselbeziehungen \u25a0ergeben haben, kann ich vorl\u00e4ufig \u00fcbergehen, ebenso die dann folgenden Ausz\u00fcge aus Galton und de Candolle. Dagegen ist im II. Hauptst\u00fccke die eigentliche Beweismasse f\u00fcr die besonderen Entdeckungen enthalten,\n1 Es wird immer die Nummer der \u201eS\u00e4tze\u201c, d. h. Paragraphen, citiert werden, weil der Autor sich selber so citiert.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nBesprechungen.\ndie der Verfasser sich zuschreibt. Deshalb darf auch die Kritik, wenn sie hier einsetzt, einstweilen genug zu thun glauben.\nDer 137. Satz giebt als Resultat vorausgehender Zahlenreihen an: \u201eSchon die Einwanderung vom flachen Lande in die St\u00e4dte hat den Charakter einer nat\u00fcrlichen Auslese, indem von den vorhandenen. Langk\u00f6pfen (als solche werden alle Indices unter 80 zusammengefafst) ein gr\u00f6fserer Teil in die St\u00e4dte wandert, als von den Rundk\u00f6pfen (Indices 85 und dar\u00fcber) .. . Indessen ist dieser Unterschied nicht sehr erheblich, wohl deshalb, weil auch der Zufall, wie z. B. das Bed\u00fcrfnis nach Arbeitsgelegenheit, viele ohne R\u00fccksicht auf den Kopfindex (man bemerke die Ausdrucksweise!) in die St\u00e4dte treibt. Die in die St\u00e4dte Eingewanderten erleiden daselbst eine abermalige Auslese. Von den Rundk\u00f6pfen verschwindet ein gr\u00f6fserer Teil, von dem wir vorerst nicht wissen, wohin er ger\u00e4t, wogegen von den Langk\u00f6pfeii ein gr\u00f6fserer Teil sefshaft wird und durch \u00dcbertragung seiner Langk\u00f6pfigkeit auf die Nachkommen die langk\u00f6pflgeren Stadtgeborenen (Halbst\u00e4dter) erzeugt. Die nat\u00fcrlich a Auslese wirkt auf diese im gleichen Sinne zum dritten Male. \"Wiederum verschwindet von den Rundk\u00f6pfen ein gr\u00f6fserer Teil, und nur der langk\u00f6pfiger'e Teil gelangt dazu, in d\u00e8r zweiten Generation der Stadtans\u00e2ssigk\u00ebit S\u00f6hne zum Ersatzgesch\u00e4fte (die eigentlichen St\u00e4dter) zu bringen.\u201c Diese S\u00e4tze, wie immer sie begr\u00fcndet sein m\u00f6gen, sehen noch unscheinbar genug aus. In 174 wird als besonderes Ergebnis des III. Hauptst\u00fcckes hinzugef\u00fcgt: dafs die grofsen St\u00e4dte ihre Anziehungskraft nicht auf die hellen Pigment-Merkmale aus\u00fcben; \u201eeher w\u00e4re eine Anziehung der dunklen Farben, wenn auch nur in leichtem Grade, zu vermuten.\u201c Dann aber heifst es von dem \u201eweiteren Siebungsprocefs durch die auslesende Kraft des st\u00e4dtischen \"Wettbewerbes\u201c: \u201eDie n\u00e4chste Generation, welche von den Eingewanderten in der Stadt erzeugt ist, also die der Halbst\u00e4dter, zeigt eine bedeutende Zunahme der Langk\u00f6pfe, und der hellen Pigmente (Sperrdruck von mir). In der Summe der dritten und der folgenden Generationen, bei den eigentlichen St\u00e4dtern, erfahren sowol die Langk\u00f6pfe als die hellen Komplexionen (Sperrdruck von mir) eine abermalige Zunahme, die besonders bei den ersteren sehr auffallend ist.\u201c Die eigentliche Bedeutung dieser behaupteten Auslesen wird zwar \u00f6fters vorausbedeutet, aber erst im VI. Hauptst\u00fccke enth\u00fcllt. Dazwischen fallen noch Hauptst\u00fcck IV und V, als deren Resultat (238) die treibende Wirkung des Stadtlebens dargestellt wird: Wachstum und. allgemeine Entwickelung \u2014 durch das Auftreten von K\u00f6rper-, Bart-, Achsel- und Schamhaaren, sowie durch Stimmbrechung charakterisiert \u2014 zeigen sich, beschleunigt. Ein Resultat, das ich als wahrscheinlich genug anerkenne, ohne es hier pr\u00fcfen, zu wollen. Das VI. Hauptst\u00fcck handelt \u00fcber \u201edie nat\u00fcrliche Auslese und die seelischen Anlagen\u201c. Der erste Satz (239), auf den sodann eine ganze Philosophie der Geschichte aufgebaut wird, giebt das eigene Hauptresultat des Verfassers gef\u00e4lscht wieder; er beginnt R\u00e4mlich : \u201eIm III. und IV. Hauptst\u00fccke haben wir gesehen, dafs die St\u00e4dte eine nat\u00fcrliche Auslese der langk\u00f6pfigen und der hellpigmentierten (Sperrdruck von mir)... zu st\u00e4nde bringen, indem sie diese in st\u00e4rkerem Mafse vom Lande anziehen, als die rundk\u00f6pfigen und dunkel","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n237\npigmentierten Individuen . . In der Anmerkung wird noch besonders auf die Zusammenfassung der Ergebnisse im Satze 174 verwiesen. Und nun vergleiche der Leser, was oben aus diesem Satze 174 angef\u00fchrt wurde. Hier heifsen nun die langk\u00f6pfigen und hell pigmentierten Individuen Typus A (wie schon Satz 76), die rundk\u00f6pfigen und dunklen Typus B, und in 240 ergiebt \u201eder Schlufs sich ungezwungen, dafs den durch jene \u00e4ufseren Merkmale charakterisierten Bassetypen bestimmte seelische Anlagen innewohnen, die den eigentlich wirksamen Faktor bei der Auslese abgeben.\u201c Nach 241 ist A Typus der Germanen, B eines anderen Volkes, dem Verfasser keinen Namen giebt. In 242 ff. folgt Charakteristik der Germanen, 247 ff. des dunklen rundk\u00f6pfigen Volkes, als Beispiele davon werden Hunnen, Ungarn, Mongolen, T\u00fcrken genannt, \u201evon deren keinem aber die s\u00fcddeutschen \u00dfundk\u00f6pfe abstammen k\u00f6nnen\u201c; die h\u00f6chste Leistung, deren der rundk\u00f6pfige Geist f\u00e4hig war, verk\u00f6rpere die. chinesische Kultur; Japanesen seien nicht rein rundk\u00f6fig. In 252 ff. Gegen\u00fcberstellung der Lang- und Bundk\u00f6pfe. Jene durch ihr ganzes \"Wesen zur Aristokratie bestimmt; diese zum b\u00fcrgerlichen Erwerbe. \u201eBein wissenschaftliche Bestrebungen, denen sich die Langk\u00f6pfe, von Wifs-begier getrieben, mit dem ganzen Ungest\u00fcm ihres Wesens hingeben, liegen den Bundk\u00f6pfen ferner ; der praktische Nutzen neuer Erfindungen entgeht ihnen aber nicht, und sie bringen oft die allzu uneigenn\u00fctzigen Langk\u00f6pfe in wirthschaftliche Abh\u00e4ngigkeit. Ihre Neigung zur demokratischen Gleichheitslehre ist darin begr\u00fcndet, dafs sie selbst in keiner Weise \u00fcber die mittlere H\u00f6he hervorragen und gegen Gr\u00f6fse, \u00bbdie sie nicht fassen k\u00f4nn\u00ebn, Abneigung, wo nicht Hafs empfinden.\u201c Lang- und Kurzk\u00f6pfe gleichm\u00e4fsig werden durch den Geburten\u00fcberschufs vom Lande in die Stadt getrieben , bei der Auslese spielen Zuf\u00e4lle, namentlich das Erbrecht, eine grofse Bolle (253).. \u201eDa aber, wie wir in den S\u00e4tzen 131\u2014137 gesehen haben, namentlich bei den Langk\u00f6pfen eine etwas st\u00e4rkere Beteiligung an dem Wanderstrome bemerkbar ist, als bei den Bundk\u00f6pfen, so m\u00fcssen wir nach den unmittelbar vorhergehenden S\u00e4tzen vermuten, dafs den Langk\u00f6pfen etwas h\u00e4ufiger der Trieb nach besserem Fortkommen und das Bewufstsein der Bef\u00e4higung zu gewerblich e n (Sperrdruck von mir) und wissenschaftlichen Berufsarten innewohnt, den Bundk\u00f6pfen etwas h\u00e4ufiger die Neigung zu der herk\u00f6mmlichen Lebensweise und die Liebe zur angestammten Heimat.\u201c Im vorhergehenden Satze besafsen die aristokratischen, allzu uneigenn\u00fctzigen Langk\u00f6pfe \u201eSinn f\u00fcr b\u00fcrgerlichen Erwerb nur in geringem Grade.\u201c Hier geit \u2019\u00e8 hen, dor geit \u2019e hen. Man h\u00f6re weiter (254): Nicht alle, die in die St\u00e4dte wandern, haben Gl\u00fcck. \u201eDie meisten ziehen nach einem Mifserfolge an einen anderen Ort, - oder verschwinden spurlos, und nur ein Teil wird in der Stadt ans\u00e4ssig bis zur folgenden Generation. Dafs den Langk\u00f6pfen im allgemeinen eine bessere Bef\u00e4higung innewohnt, den st\u00e4dtischen Wettkampf zu bestehen, ist in Satz 137 und bei mehreren anderen Gelegenheiten ausgesprochen worden. Der Verbrauch an Bundk\u00f6pfen in den St\u00e4dten ist ein weit st\u00e4rkerer, als der Verbrauch von Langk\u00f6pfen.\u201c Jawohl, ist ausgesprochen worden! Und sollte hier, in diesem sch\u00f6nen \u201eHauptst\u00fcck\u201c endlich bewiesen werden. Womit wird","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nm.\nes bewiesen? Mit ein paar trivialen, und noch dazu einander widersprechenden Behauptungen, und schliefslich mit Verweisung darauf, dafs es fr\u00fcher ausgesprochen wurde! Der Verbrauch an Rundk\u00f6pfen ist ein weit st\u00e4rkerer! D. h., sie werden weniger ans\u00e4ssig, am Schl\u00fcsse des Buches (402) wird aber noch ausdr\u00fccklich betont, dafs ein R\u00fcckstrom von den St\u00e4dten nach dem Lande nicht vorkomme, Sie ziehen also in andere St\u00e4dte und werden in denen ans\u00e4ssig? Dann machen sie aber doch nicht st\u00e4dtisches Volk schlechthin langk\u00f6pfiger, sondern nur, durch ihren Abzug, dieses erste st\u00e4dtische Volk! Oder verschwinden spurlos? Das heifst doch wohl: sterben aus? Sie bringen vielleicht noch einige Nachkommen in die zweite Generation (die vom Verfasser sogenannten Halbst\u00e4dter), aber fast keine in die dritte (die \u201eeigentlichen St\u00e4dter\u201c). Ob sie nun aussterben oder fortziehen (die Rund-k\u00f6pfe)| jedenfalls haben \u201eselbst in solchen einfachen Stellungen [des kleinen B\u00fcrger- und des Arbeiterstandes, denn die zum einj\u00e4hrig-freiwilligen Dienst Berechtigten waren nicht unter den gemessenen Wehrpflichtigen] die Langk\u00f6pfe bedeutend bessere Aussichten im Wettkampfe des st\u00e4dtischen Lebens\u201c, als jene (255). Im folgenden Hauptst\u00fccke (VH) wird von den Kopfformen der Karlsruher Gymnasiasten gehandelt, unter denen der : Verfasser \u201eeine verh\u00e4ltnism\u00e4fsig bedeutende Zahl von .Bundk\u00f6pfen\u201c angetroffen hat (259 Note). Er kn\u00fcpft daran die Bemerkung: \u201eWir d\u00fcrfen darum nie behaupten, dafs. die Rundk\u00f6pfe nicht begabt seien: unter den Lang- und Rundk\u00f6pfen giebt es verschiedene Grade der individuellen Begabung, und wir d\u00fcrfen nur das Eine fest-halten, dafs die Begabung der Langk\u00f6pfe von anderer Art ist, und daf^ im grofsen und ganzen bei ihnen die h\u00f6heren Grade von Begabung gefunden werden. Es. ist mehrfach betont worden, dafs die Rundk\u00f6pfe jedenfalls die materiellen Dinge, im Handel und Erwerb, sehr gut verstehen, und damit mag es Zusammenh\u00e4ngen, dafs sie ihre Kinder in verh\u00e4ltnism\u00e4fsig so grofser Anzahl in die Mittelschulen bringen. Die Langk\u00f6pfe sind oft zu uneigenn\u00fctzige Idealisten.\u201c Fr\u00fcher h\u00f6rten wir schon, dafs sie \u201eoft von Rundk\u00f6pfen in wirtschaftliche Abh\u00e4ngigkeit gebracht werden.\u201c Und doch soll es der Idealismus sein, was die nat\u00fcrliche Auslese bedingt, die materiellen und praktischen Rundk\u00f6pfe k\u00f6nnen sich in den St\u00e4dten nicht halten, obgleich sie auf Handel und Erwerb sich sehr gut verstehen. Dies ist des Verfassers ernstliche Meinung. \u201eEs ist wahrscheinlich, dafs die Ursache der \u00dcberlegenheit der Langk\u00f6pfe nicht blofs in ihrer Intelligenz, sondern daneben in anderen Ursachen zu suchen ist, vielleicht darin, dafs sie den gesundheitlichen Sch\u00e4digungen und den sittlichen Verlockungen des Stadtlebens besser z\u00fc widerstehen verm\u00f6gen.\u201c Offenbar verm\u00f6ge ihres Idealismus. In 356 tritt die Vermutung schon als Behauptung auf. \u201eDie Ursache dieser Auslese (in den St\u00e4dten) liegt in den seelischen Anlagen... n\u00e4mlich einesteils in der gr\u00f6fseren Intelligenz und Anstelligkeit der Langk\u00f6pfe .. . andern-\u25a0teils in ihrer st\u00e4rkeren sittlichen Widerstandskraft gegen die Verlockungen .des Stadtlebens\u201c und in der Anmerkung ergibt sich die Annahme, dafs diese gr\u00f6fsere Widerstandskraft vorhanden sei, als notwendige Folgerung aus der Thats\u00e4che, dafs die Intelligenz auf dieser Stufe keine","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n239\nso vorwiegende Solle spielt, um die Bevorzugung der Langk\u00f6pfe erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen.\u201c Der Idealismus bewirkt aber auch und ganz, besonders die Auslese der h\u00f6heren St\u00e4nde, deren Bildung \u00fcberhaupt durch die nat\u00fcrlichen Anlagen bestimmt wird (XII. Hauptst.). Im unteren Stande ist eine tiefste Schicht vorhanden, die wegen schlechter Anlagen oder doch ung\u00fcnstiger Kombinationen im Kampfe ums Dasein unterliegen mufs ; dies sind die geborenen und unverbesserlichen Landstreicher und Verbrecher, die, wie der Verfasser weifs, einen Teil und, wie er offenbar meint, den gr\u00f6fsten Teil der Arbeitslosen in den St\u00e4dten ausmachen. Die grofse Mehrheit des unteren Standes hat solche Anlagen, dafs sie sich gerade auf ihrer Stufe erhalten kann; eine Minderheit ist f\u00e4hig, emporzusteigen. Aus diesen besser Begabten bildet sich zun\u00e4chst der Mittelstand und endlich erfolgt, auf Grund besonderer F\u00e4higkeiten, die Absonderung des Standes der Studierten (368). Die Absonderung der St\u00e4nde ist ein Erzeugnis der nat\u00fcrlichen Auslese, durch die grofsen Vorteile, die sie bietet (365). \u2014 Da man nun in der untersten Schicht ausstirbt, so scheint zu folgen, dafs man in der obersten am entschiedensten sich vermehrt Aber nein. \u201eDie \u00e4lteren Generationen der Stadtbev\u00f6lkerungen sterben fortw\u00e4hrend aus\u201c (durchschnittlich schon in den Enkeln), wovon die Ursachen \u201esich s\u00e4mtlich unter den Gesichtspunkt bringen lassen, , dafs die einseitige Entwickelung der geistigen F\u00e4higkeiten.... der k\u00f6rperlichen Entwickelung sch\u00e4dlich ist\u201c (376). \u201eDer Mittelstand und der Stand der Studierten werden aber wegen ihrer h\u00f6heren geistigen Ausbildung in st\u00e4rkerem Grade, als der untere Stand von den . . . be-zeichneten Sch\u00e4dlichkeiten betroffen\u201c (377). Die Hauptthese des Verfassers ist, wie erinnert werde, dafs die Rundk\u00f6pfe in den St\u00e4dten zu Grunde gehen, und dafs die Zunahme der Langk\u00f6pfe mit der Dauer der Ans\u00e4ssigkeit durch nat\u00fcrliche Auslese erkl\u00e4rt, werden m\u00fcsse.;, dies wird noch in einer besonderen Tabelle (zu 372) dargestellt, aus der hervorgehen soll, dafs, w\u00e4hrend die Langk\u00f6pfe in der dritten Generation sich zu denen in der zweiten wie 77,8:100 verhalten, dasselbe Ver_ h\u00e4ltnis der Bundk\u00f6pfe nur 33,3 ausmacht (in Karlsruhe), wozu auch bemerkt wird, es sei schon in Satz 254 \u201edargethan\u201c worden, dafs in den Stadtbev\u00f6lkerungen von einer Generation zur anderen die Rund-k\u00f6pfe in weit st\u00e4rkerem Mafse sich vermindern, als die Langk\u00f6pfe. Diese nat\u00fcrliche Auslese zu Gunsten der Langk\u00f6pfe ist ja das eigentliche Thema des Buches. Zuweilen h\u00f6ren wir aber eine sonderbare Ansicht der nat\u00fcrlichen Auslese. Wodurch hat der mittlere Kopf index , der deutschen Bev\u00f6lkerung sich so bedeutend erh\u00f6ht? Durch die nat\u00fcrliche Auslese und Vernichtung der Langk\u00f6pfe (403). Sie werden aus dem Landvolke herausgenommen und zum allgemeinen Nutzen verbraucht (das.), Fr\u00fcher geschah es weniger durch die St\u00e4dte, sondern der Adel mufste aussterben infolge von Kriegen und Fehden, und durch die Wirkung von Kl\u00f6stern (it.). Ich denke, es wird hiermit eine nat\u00fcrliche Auslese zu Gunsten der Rundk\u00f6pfe geschildert. Dafs die nat\u00fcrliche biologische und die an sich ebenso nat\u00fcrliche,- wenn auch durch Absichten bef\u00f6rderte sociale Auslese ganz verschiedene Dinge sind und einander entgegengesetzte Folgen haben k\u00f6nnen, dieser Ge-","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nBesprechungen.\ndanke ist dem Verfasser verschlossen gehlieben. Dafs aber sein Hauptsatz \u2014 von der besseren Erhaltung der Langk\u00f6pfe in den St\u00e4dten \u2014 in das ganze nachherige System nicht hineinpafst, scheint er am Schl\u00fcsse zu ahnen, wenn er ihn, rekapitulierend, folgendermafsen einfuhrt (394): Merkw\u00fcrdigerweise (Sperrdruck von mir) sind es haupts\u00e4chlich die Rundk\u00f6pfe, welche auf dieser Stufe des st\u00e4dtischen Lebens (soll heifsen : bald nach der Einwanderung) aufgerieben werden, wogegen die Langk\u00f6pfe sich besser behaupten,\u201c und nun tritt wieder die ererbte sittliche Widerstandskraft auf. Es m\u00fcfste daraus folgen, dafs die Runden, wenn nicht gleich aussterben, so doch wenigstens im unteren Stande verbleiben, und dafs das Emporsteigen durch Langk\u00f6pfigkeit bedingt sei, Dies ist denn auch die reine Absicht des Verfassers, aber durch Kreuzung mit der rohen Erfahrung, die er nicht verschweigt, wird sie ihm unter den H\u00e4nden verdorben. Wo er vom Unteren Stande und von den Arbeitslosen handelt, sagt er \u00fcber deren anthropologische Merkmale nichts (360 f), vom Mittelst\u00e4nde aber heifst es: \u201eK\u00f6rperlich sind die Angeh\u00f6rigen ... bezeichnet als Mischlinge, vorzugsweise solche, die von dem urspr\u00fcnglichen Typus B den runden Kopf und etwas von der dunklen Earbe, vom Typus A eine leichte Aufhellung der Farbe ererbt haben\u201c (362). Von dehStudierten aber (368):\" \u201eIm Anschlufs an die hervorragenden Verstandes- und Charakteranlagen des Typus A sind die Angeh\u00f6rigen dieses Standes vorherrschend langk\u00f6pfig in dem Grade, dafs sie die langk\u00f6pfigsteGruppe bilden, die bei unseren Untersuchungen vorgekommen ist. Dabei sind sie jedoch dunkler gef\u00e4rbt, als Typus A, besitzen demnach auch einige Merkmale des Typus B.\u201c Wenn der Gegensatz von kleinem und grofsem Index versagt, so mufs der von Typus A und B einspringen.\n- Bis hierher habe ich nur die innere Konstruktion dieser oberfl\u00e4chlichen und verworrenen Theorie beurteilt. Es ist aber notwendig, dafs wir auch die Thatsachen betrachten, das Fundament, worauf sie aufgebaut ist.\nWenn ich dies in mehr boshafter als streng gerechter Art kennzeichnen wollte, so w\u00fcrde ich sagen: bei Messungen eines Jahrganges badischer Wehrpflichtiger hat Herr A. in Karlsruhe unter 20 eigentlichen St\u00e4dtern 8 Langk\u00f6pfe' und nur 2 Rundk\u00f6pfe gefunden, in Freib ur g unter 27 ebensolchen sogar 13 JUang- und nur 3 Rundk\u00f6pfe. In Wahrheit steht die Sache auf der einen Seite erheblich besser. .Nicht blofs der j\u00fcngste Jahrgang, sondern es sind noch 2 Jahrg\u00e4nge Zur\u00fcckgestellter gemessen worden. Auch wenn diese hinzugenommen werden \u2014- es sind davon je 48 Mann in beiden St\u00e4dten \u2014, so.ergiebt sich ein hoher Procentsatz von Langk\u00f6pfen unter den eigentlichen St\u00e4dtern. Und damit nicht genug, sondern \u201edie verschiedenen Grade von Ans\u00e4ssigkeit in der Stadt stellen, verglichen mit dem l\u00e4ndlichen Durchschnitt, eine vollkommene Stufenleiter von der Rundk\u00f6pfigkeit zur Langk\u00f6pfigkeit vor\u201c (136). Am deutlichsten wird dies durch die \u201e\u00dcbersicht \u00fcber das ganze Material\u201c (137).\nIm \u201el\u00e4ndlichen Durchschnitt\u201c, d. h. in den bisher gemessenen 31 von den 52 Amtsbezirken Badens,1 wovon aber f\u00fcr den Zweck dieses Durch-\n1 Wir erfahren nicht einmal die Namen dieser Amtsbezirke !","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n241\nSchnittes die St\u00e4dte von mehr als 12 000 Einwohnern ansgeschlossen wurden, ergab sich aus allen 3 Jahrg\u00e4ngen,\ndagegen in Karlsruhe unter den Eingewanderten; Halbst\u00e4dtern ; eigentlichen St\u00e4dtern:\nLangk\u00f6pfe % 12,2\t14,9\t25,9\t33,3\nRundk\u00f6pfe % 38,2\t33,3\t18,4\t12,4\nin Freiburg\t12,4\t22,5\t43,7\n\t31,3\t. 27,7\t14,8\nDie Bewunderung dieser sch\u00f6nen Folge wird nun freilich ged\u00e4mpft, wenn wir die absoluten Zahlen betrachten, aus denen sie abgezogen wurde. Es lagen Beobachtungen vor\nbei den\nEingewanderten ; Halbst\u00e4dtern ; St\u00e4dtern : beim l\u00e4ndl. Durchschn. 11,120 in Karlsruhe 615\t119\t48\nin Freiburg 403\t80\t48\nIndessen will ich darauf, dafs die Abweichungen der Verteilung wahrscheinlich innerhalb des mittleren Fehlers fallen,, jetzt kein Gewicht legen. Die Gleichm\u00e4fsigkeit und die Gleichartigkeit in beiden St\u00e4dten spricht doch f\u00fcr die Bedeutung der Thatsachen. Auch will ich nicht sehr hervorheben, dafs, wenn man den j\u00fcngsten Jahrgang allein nimmt, die Folge bei den Eingewanderten unterbrochen wird. Es sind n\u00e4mlich insgesamt unter 6748 F\u00e4llen 15,0 Lang-, 33,5 Rundk\u00f6pfe, dagegen bei 278 Eingewanderten\nin Karlsruhe\t14,9\t\u201e\t34,3\t\u201e\nbei 149 Eingewanderten\nin Freiburg\t14,1\t\u201e\t32,2\t\u201e\nDie schw\u00e4chste Seite der Zahlen liegt anderswo. Wir wissen, dafs die zum einj\u00e4hrigen Dienste Berechtigten nicht mitgez\u00e4hlt sind, da ja beim Aushebungsgesch\u00e4fte die Untersuchungen angestellt wurden. Dafs diese Berechtigten in grofsen St\u00e4dten einen weit gr\u00f6fseren Teil der jungen Mannschaft bilden, als auf dem Lande,' liegt auf der Hand. Ebenso ist klar, dafs sie unter den \u201eEingewanderten\u201c nur schwach vertreten sein k\u00f6nnen. Gegen\u00fcber dem Schwarme von jungen Leuten, die nach Vollendung der Volksschule als Lehrlinge, Kellner, Fabrikarbeiter und zu allgemeinen Dienstleistungen .in die Hauptstadt, sich dr\u00e4ngen, kommen die ausw\u00e4rts geborenen Sch\u00fcler schon darum nicht relativ in Betracht, weil sie meist nur mit ihren Eltern einwandern, sonst wenigstens selten aus den entfernteren Gegenden des Landes, und nur Sch\u00fcler konnte derVerfasser zur Vergleichung heranziehen, da eine-Universit\u00e4t in Karlsruhe nicht vorhanden ist, und da er \u00fcberhaupt die ganze Zahl der im entsprechenden Alter stehenden Berechtigten \u2014 dazu h\u00e4tten noch kommen m\u00fcssen die etwa 20j\u00e4hrig schon dienten oder gar gedient hatten \u2014 nicht zu seiner Verf\u00fcgung hatte. Es ist kein Wunder, dafs, zumal ..in einer grofsen Stadt unter den h\u00f6heren Sch\u00fclern die Stadtgeborenen ein starkes \u00dcbergewicht haben; eher darf man \u00fcberrascht sein, zu bemerken, wie zahlreich unter den Stadtgeborenen die h\u00f6heren Sch\u00fcler angetroffen werden. Die Angaben des Verfassers sind freilich, wie er eingesteht, Zeitschrift f\u00fcr Psychologie VI.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nBesprechungen.\niu diesem Punkte ungenau und nook ungenauer, als er eingestellt.. Er hat die Zahl der Wehrpflichtigen j\u00fcngsten Jahrganges mit der Zahl derer, die \u201ein. einem Jahre\u201c die Berechtigung erhalten, zusammengestellt; als solche begreift er ohne weiteres die von ihm in den Untersekunden der Gymnasien Vorgefundenen Sch\u00fcler, denen er die Realsch\u00fcler der obersten Klasse nach einem gedruckten Verzeichnisse hinzuf\u00fcgt; darin waren jedoch Halbst\u00e4dter und Ganzst\u00e4dter nicht getrennt, so dafs Verfasser selber die Trennung \u201eungef\u00e4hr nach dem Verh\u00e4ltnis bei den Gymnasiasten\u201c vorgenommen hat.1 *. Von den Summen der Berechtigten hat er sodann die der Abiturienten abgezogen, diese aber auch nur berechnet! n\u00e4mlich als den- dritten Teil der Sch\u00fcler der obersten drei Klassen der Gymnasien. Auf diese Weise hat sich ergeben, dafs auf 100 eingewanderte Landgeborene in Karlsruhe 82,0 Wehrpflichtige, 13,9 blofs Berechtigte und 4,1 Abiturienten kamen; auf 100 Halbst\u00e4dter 40,8, 49,0, 10,2; auf 109 Ganzst\u00e4dter 39,2, 35,3, 25,5. Sehr weit von der Wirklichkeit k\u00f6nnen diese Angaben immerhin nicht entfernt sein. Man versteht auch leicht, dafs in. einer Stadt, die allein von 1875 bis 1890 ihre Einwohnerzahl von 42 900 auf 73 700 gebracht hat, ein grofser Teil der einheimischen B\u00fcrger zu Wohlstand, wenn nicht Beichtum gelangt ist; aufserdem ist die Haupt- und Residenzstadt angef\u00fcllt mit Beamten, deren S\u00f6hne meistens Stadtgeborene sein m\u00f6gen und den h\u00f6heren Schulen nicht leicht vorenthalten werden. Die Schl\u00fcsse, die der Verfasser aus der Thatsache zieht, indem die blofs Berechtigten ihm den Mittelstand, die Abiturienten den gelehrten Stand (den er naiverweise immer, mit dem h\u00f6heren Stande zu identificieren scheint) darstellen, sind elend.3 Nat\u00fcrlich erblickt er hier, wie \u00fcberall, die Langk\u00f6pfe, die kraft ihres Idealismus und ihrer Klugheit emporsteigen. Aber o weh! die Untersekundaner sind kurzk\u00f6pfig! Nun mufs er auf einmal bekennen, dafs \u201edie auffallende Verminderung der Rundk\u00f6pfe des unteren Standes nur zum Teil durch ihr Unterliegen geschehe, w\u00e4hrend ein verh\u00e4ltnism\u00e4fsig betr\u00e4chtlicher Teil von ihnen in den Mittelstand \u00fcbergeht und durch die Erlangung des Berechtigungsscheines . . aus der Reihe der Wehrpflich-\n1 Bei den Untersekundanern hat Verfasser die Nichtbadener und die Israeliten weggelassen, ebenso wie bei den Wehrpflichtigen. Konnte er auch hier diese Ausscheidung vornehmen? Vermutlich nicht. Als Wehrpflichtige sind die Nichtbadner besonders behandelt; das sind aber,\noffenbar nur selbst Eingewanderte. Ich vermisse jede Auskunft \u00fcber geborene Karlsruher, deren V\u00e4ter aufserhalb Badens geboren sind; ob sie in irgend einer anderen Gruppe inbegriffen sind? Gerade diese h\u00e4tte vielleicht einiges Licht \u00fcber die wahre Ursache der Langk\u00f6pfigkeit in den gr\u00f6fseren St\u00e4dten Badens r- wenn sie zugegeben wird \u2014 verbreitet.\n3 Z. B. S. 293: \u201eMan sieht ferner,, dafs die Stadtgeborenen das eigentliche Material f\u00fcr das h\u00f6here Studium abgeben: es mufs eine mindestens einmalige, noch besser eine zweimalige Siebung durch den Kampf ums Dasein vorausgegangen sein [um so gescheite Leute hervor-zubringen !], Anderswo f\u00fchrt er als B,eweis daf\u00fcr, dafs .die S\u00f6hne des Proletariats wegen ihrer Dummheit nicht zum Studium gelangen, an, dafs \u201etrotz der in Baden reichlich ge\u00fcbten Schulgeldnachl\u00e4sse die S\u00f6hne der arbeitenden Klasse nur einen sehr geringen Bruchteil der Sch\u00fcler h\u00f6herer Lehranstalten\u2019ausmachen\u201c !! (274.)","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n243\ntigen beim Ersatzgesch\u00e4fte ausscheidet\u201c (372). Zum Tr\u00f6ste gereichen aber die Abiturienten ; denn unter den Sch\u00fclern der drei obersten Klassen [Obersekunda und beide Primen] hat der Messende bei den Eingewanderten 22,7, bei den Halbst\u00e4dtern 20,0, bei den Ganzst\u00e4dtern 40,5 Langk\u00f6pfe gefunden; die absoluten Zahlen sind freilich nur 44, 30, 37. \u2014 Ob diese gesamten Thatsachen zu irgendwelchen Folgerungen hinreichenden Grund geben, lasse ich dahingestellt. Auch wenn man die kurzk\u00f6pfigen Untersekundaner in die Wagschale legt, so bleibt immerhin \u2014 vorausgesetzt, dafs jene ganze Zusammenstellung methodisch zugelassen wird \u2014 als bemerkenswert \u00fcbrig, dafs unter den Ganzst\u00e4dtern1 mehr Langk\u00f6pfe Vorkommen, als unter den Halbst\u00e4dtern, und unter diesen mehr, als unter den Eingewanderten, und das Ergebnis wird durch seine Zwiefachheit \u2014 in Karlsruhe und in Freiburg \u2014 verst\u00e4rkt. Hieraus hat Verfasser seine Vorstellung von einer \u201edoppelten Siebung\u201c gewonnen. Diese Idee beruht aber in der stillschweigenden Voraussetzung, dafs unter denen, die mit den GrofsV\u00e4tern der Ganzst\u00e4dter eingewandert sind, dasselbe Verh\u00e4ltnis von Lang- und Bundk\u00f6pfen gewesen sei, das unter den jetzt Eingewanderten angetroifen wird (da die Meinung ist, ein Teil der Bundk\u00f6pfe sei infolge ihres Mangels an intellektueller- und besonders an moralischer Begabung ausgemerzt worden). Diese Voraussetzung kann auf keine Weise gebilligt werden. Denn 1. ist es sehr unwahrscheinlich, dafs jene Grofsv\u00e4ter s\u00e4mtlich eingewandert waren. Vielmehr hat man Grund, anzunehmen, dafs einige schon durch Generationen von eingeborenen St\u00e4dtern abstammten, da auch die st\u00e4dtische Bev\u00f6lkerung ehemals stetiger gewesen ist, einzelne vielleicht auf urspr\u00fcngliche Ansiedler zur\u00fcckgehen, die in Karlsruhe doch erst zu Anfang vorigen Jahrhunderts sich niedergelassen haben und zum guten Teile Norddeutsche gewesen sind, wie berichtet wird. Wenige Individuen, deren niedriger Index von solchen ererbt w\u00e4re; konnten schon dem Besultate seinen Charakter gegeben haben. 2. Wenn auch alle eingewandert sind, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, dafs jene viel geringere Ein_ Wanderung aus denselben Bezirken sich rekrutierte, wie die gegenw\u00e4rtige massenhafte. Vermutlich haben damals wandernde Handwerker, die in ihre ferne Heimat nicht zur\u00fcckkehrten, weil sie am Orte z\u00fcnftig werden konnten, etwa durch Verheiratung mit eines Meisters Tochter oder Witwe, ein viel gr\u00f6fseres\u00bb, Kontingent zur Einwanderung gestellt, als jetzt der Fall sein kann. Vielleicht bestand am Sitze eines F\u00fcrstenhofes ein Teil jener Grofsv\u00e4ter sogar aus nichtdeutschen K\u00fcnstlern, H\u00e4ndlern, Per\u00fcckenmachern. \u2014 Alles in allem: die Grundlagen, auf denen die anspruchsvolle Bassenphilosophie dieses Buches steht, sind morsch. Den Fleifs, der in der m\u00fchevollen Arbeit steckt, darf man r\u00fchmen. Die Methode ist sehr mangelhaft, die Besultate sind mehr als fragw\u00fcrdig und mit platten Widerspr\u00fcchen behaftet.\n1 Bei den Sch\u00fclern sind alle mitgerechnet, die in einer Stadt von mehr als 12 000 Einwohnern nicht blofs die in Karlsruhe geboren sind und von einem gleichfalls stadtgeborenen Vater abstammen (191).\n16\u00ae","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nBesprechungen.\n-Es ist angenehm, ans dem Vorworte zu erfahren, dafs _ in einem gr\u00f6fseren officiellen Werke die Ergebnisse der gesamten, beim Ersatz\u00bb; gesehafte in Baden seit 1886 angestellten Untersuchungen ver\u00f6ffentlicht werden sollen, von denen der gr\u00f6fsere Teil dieser Privatarbeit zu Grunde gelegt wurde. Man hat den Eindruck, dafs hier auch die Zahlen und Rechnungen nicht durchaus zuverl\u00e4ssig sind. Z. B. S. 127 soll die Zerlegung von 48 Ganz- und 119 Halb-Karlsruhern auf die einzelnen Indices in Procents\u00e4tzen dargestellt werden. Dabei ergiebt sich aber als Summe der letzteren nur 118. Die Zahl 10 wird einmal als 8,3, einmal richtig als 8,4. 7 zweimal richtig als 5,8, einmal als 5',7 angegeben. Inden Gruppen ist die Summe der Indices 80\u201484 richtig berechnet, wenn es 66 K\u00f6pfe sind, als 55,4%; damit aber die Summe herauskomme, mufs es bei 81 heifsen 11,8 statt 11,6 und bei 84 5,9, statt 5,8. Die Gruppe 85\u201489 ist richtig (wenn 21 K\u00f6pfe) mit 17,6 angegeben; als Summe ergiebt sich aber nur, selbst nach Korrektur von 5,8 statt 5,7 : 16,6. Rechnet man 1 Kopf f\u00fcr 89 hinzu,, so m\u00fcssen doch die beiden 7 (statt 5,8.8) wieder mit 5,9 berechnet werden, damit die Summe sich ergebe. Wenn man \u00fcbrigens die Zerlegung auf Indices bei den mitgeteilten gr\u00f6fseren Zahlen ansieht, so zeigt sich, wie anderweitig der Sache nach bekannt, eine Symmetrie der Verteilung um das Mittel herum, die dem Wahrscheinlichkeitsgesetze folgt. Der Verfasser hat diese, wie die Anthropologen pflegen, als Kurven dargestellt; bei den kleinen Zahlen treten zackige Linien an deren Stelle. Nun verdient bemerkt zu werden, dafs diese Symmetrie bei Verteilung der Indices in die \u00fcblichen Gruppen (Dolicho-, Meso-, Brachykephale u. s. w.) v\u00f6llig und \u00fcberall verwischt wird. Sie kann aber leicht wiederhergestellt werden, wenn man, anstatt die Gruppen \u00e0 5 Indices zu bilden, eine solche von dreien in die Mitte setzt dies sind dann notwendigerw\u00e9ise die \u00fcberall am st\u00e4rksten besetzten Nummern 82, 83, 84 \u2014 und die \u00fcbrigen \u00e0 2 darum gruppiert. Es kommen dann z. B. folgende Reihen heraus, vorausgesetzt, dafs hier die Einzelrechnungen des Verfassers richtig sind:\n1. J\u00fcngster Jahrgang\t2. sog. l\u00e4ndlicher Durchschnitt\t3. in Karlsruhe Eingewanderte\naller Gemessenen\t(3 Jahrg\u00e4nge)\t(3 Jahrg\u00e4nge)\n6748\t11120\t615\n0,3\t0,2\t0,1\n1,0\t0,7\t1,0\n3,8\t2,8 .\t4.3\n9,9\t8,3\t9,5\n18,2\t16,1\t15,4\n32,9\t33,5\t36,2\n16,9\t18,6\t18,0\n10,1\t11,8\t10,7\n4,3\t5,2\t3,5\n1,7\t1,9\t0,8\n0,6\t0,5\t0,3\n99,7\t99,7\t99,8\n(Die einzelnen \u00b0/o sind auch hier nicht hinl\u00e4nglich genau.)\nEs ist deutlich, dafs sich diese Reihen als Variationen eines ideellen Schemas betrachten lassen, in dem 1/s in die Mitte, '/\u00bb nach oben und % nach unten zu stehen k\u00e4me; zugleich w\u00fcrden die einzelnen Zahlen progressive Verdoppelung darstellen und ann\u00e4hernd durch die Folge 1, 2, 4, 8, 16, 32, 16 u. s. w. charakterisiert werden. Nun ist zu bemerken, wie bei den kleinsten Zahlen ganze Gruppen entstellt werden, andere ausfallen. Z. B.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Besp rechungen\n245\n1. Eigentliche St\u00e4dter in Karlsruhe. (3 Jahrg\u00e4nge.)\n48\n0,0\n0,0\n8,3\n24,9\n16,6\n37,4\n8,2\n2,0\n0.0\n2:0\n2. Halbst\u00e4dter daselbst (3 Jahrg\u00e4nge.)\n119\n0,8\n1.6\ne;7\n16.7\n21.8 33,5 10,1\n6.7 0,8 0,0 0,8\ndie untere 16 nicht ver-\nEs f\u00e4llt \"besonders auf, dafs in beiden treten ist.\nF. T\u00f6nnies (Kiel).","page":245}],"identifier":"lit15455","issued":"1894","language":"de","pages":"235-245","startpages":"235","title":"Otto Ammon: Die nat\u00fcrliche Auslese beim Menschen","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:02:19.099467+00:00"}