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{"created":"2022-01-31T13:02:27.452936+00:00","id":"lit15466","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"T\u00f6nnies, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 254-256","fulltext":[{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nLitteraturbericht.\nDie Abhandlung bezeichnet einen Fortschritt in der Aufkl\u00e4rung \u00fcber die Frage nach der Beschaffenheit der allgemeinen Ideen. Marchesini nennt die Logik den intellektuellen Rhythmus der Ph\u00e4nomene. Interessant w\u00e4re es gewesen, wenn der Verfasser auch einzelne Arten des bei der Bildung abstrakter Vorstellungen vorkommenden Rhythmus untersucht h\u00e4tte. Der Rhythmus ist z. B. ein verschiedener, je nach dem Grade der Abstraktion, je nach der Intensit\u00e4t des Interesses, welches die allgemeine Vorstellung bietet, je nach der Seltenheit oder H\u00e4ufigkeit ihres Vorkommens u. s. w. Es w\u00fcrde sich ferner fragen, bei welchen abstrakten Vorstellungen sich eine gewisse Konstanz in der Heranziehung bestimmter, zu ihrer Illustration dienender Specialvorstellungen herausbildet, bis zu welchem Grade diese Konstanz geht, von welchen Bedingungen sie abh\u00e4ngig ist \u00fc. s. w.\tGiessler (Erfurt).\nA. Binet et J. Courtier. Sur la vitesse des mouvements graphiques.\nRev. pMosoph. 1893. No. 6. S. 664\u2014671.\nDie Verfasser haben den h\u00fcbschen Gedanken zur Ausf\u00fchrung gebracht, Edisons elektrische Schreibfeder zu einer psychologischen Untersuchung zu verwerten. Diese Schreibfeder ist eigentlich eine Art elektrisch getriebener Punktiernadel, die \u00fcbrigens wie jede andere Feder gehandhabt wird.. Die Schriftz\u00fcge, welche sie auf dem besonders pr\u00e4parierten Schreibpapiere hervorbringt, bestehen demnach aus lauter eng aneinandergereihten feinsten L\u00f6chern. Je schneller die Schreibnadel \u00fcber das Papier gef\u00fchrt wird, um so gr\u00f6fser wird nat\u00fcrlich der Zwischenraum zwischen den Lochpunkten. Umgekehrt kann man aus dem Wachsen und Abnehmen dieser Zwischenr\u00e4ume auf die wechselnde Schnelligkeit, mit der geschrieben \u2019wurde, zur\u00fcckschliefsen. Auf diese Weise wurde an mehreren unbefangenen Personen folgendes ermittelt. Man schreibt Buchstaben oder geometrische Figuren um so schneller, je gr\u00f6fsere Dimensionen man ihnen giebt; man schreibt schneller von links nach rechts, als umgekehrt ; eine gerade Linie wird am Anfang und Ende langsamer, in der Mitte schneller geschrieben; Winkel und B\u00f6gen, welche die gerade Richtung unterbrechen, werden langsamer ausgef\u00fchrt ; dasselbe gilt von W\u00f6rtern, deren Buchstaben getrennt nebeneinander -gestellt werden, gegen\u00fcber W\u00f6rtern, die. in einem Zuge geschrieben sind. Diese Regeln sind, so konstant und zwingend, dafs man sich auch beim besten Willen nicht ganz von ihnen zu emancipieren vermag. \u2014 In einer Nebenuntersuchung' haben die Verfasser auch noch aus den Abst\u00e4nden der Punkte die Zeit berechnet, welche man zum Schreiben verschiedener Zeichen und Figuren gebraucht. Unter anderem stellten sie z. B. fest, dafs die Feder von dem Buchstaben D in 0,04 Sekunden einen Centimeter zu Papier bringt.\tSchaefer (Rostock).\nG. Tarde. Les transformations du droit. Paris. Alcan. 1892. 212 S. Fr. 2.50.\nDer vielleicht allzu th\u00e4tige Verfasser unternimmt hier einen koncen-trierten Angriff auf den socialen Evolutionismus, der die \u00c4hnlichkeiten","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n255\nder Rechtssysteme \u00fcbertreibe, und alle diese '\u00c4hnlichkeiten durch Atavismus und Vererbung erkl\u00e4ren wolle, anstatt das einfachere und klarere Prinzip der Nachahmung in sein Recht einzusetzen. Er geht daher die einigermafsen fest geronnenen Theorien der Sociologen \u00fcber die Entwickelung des Strafrechts, des Processes, des Familien- und des G\u00fcterrechtes, endlich der Obligationen kritisch durch, um mit einem Kapitel \u00fcber Naturrecht (Oh. VI) und mit einer Rekapitulation (Ch. VII) zu schliefsen. Es bestehe ein Widerspruch, heifst es hier, zwischen der Gesetzm\u00e4fsigkeit der Entwickelung und der anerkannten Differenzierung, selbst bei nahe verwandten und \u00e4hnlich bedingten V\u00f6lkern. Eine normale und glatte Entwickelung gebe es \u00fcberhaupt nicht,' im Rechte wie insbesondere auch in der Sprache beruhe alle entschiedene Ver\u00e4nderung auf m\u00fchevollen Insertionen neuer Ideen, die von aufsen oder von innen herankommen. Erfindung sei das eigentliche Werk der socialen Logik, die in vielen R\u00fccksichten, auf sehr verschiedener Basis, zu h\u00f6chst \u00e4hnlichen Ergebnissen f\u00fchre. Zu den epochemachenden Erfindungen geh\u00f6ren die religi\u00f6sen und philosophischen Systeme in der Sph\u00e4re der Erkenntnis, die der Moral und Gesetzgebung in der Sph\u00e4re des Handelns.\n\u00dcber die Theorien Tardes, die in seinen Lois de Vimitation ausgebreitet vorliegen, habe ich in den Philosoph. Monatsheften (Juli 1893) Bericht erstattet und einige Bedenken ausgesprochen. In der gegenw\u00e4rtigen Schrift macht er von diesen Theorien behutsamen Gebrauch, ja er. ist schon sie einzuschr\u00e4nken und zu verbessern beflissen. Seine Kritik gewisser schematischer Vorstellungen, ' die bei den Sociologen herrschend geworden sind, beruht in einer weit umfassenden und oft in einer tiefen Anschauung historischen und gegenw\u00e4rtigen socialen Lebens. Sehr sch\u00f6n wird die intime Beziehung zwischen der juristischen Theorie der Obligation und der \u00f6konomischen des Wertes nachgewiesen 1'- 137 ff.): Wertsch\u00e4tzung wie Bindung des Willens sei das Ergebnis eines Kampfes, oder einer Verbindung, verschiedener W\u00fcnsche und Meinungen; die Kombination einer Meinung mit einem Wunsche sei der moralische Syllogismus, der als Regel des Willens wie der intellektuelle als Regel des Urteils angesehen werden m\u00fcsse (128). Hie Modifikationen im System der Werte, selber durch einschneidende Erfindungen, Entdeckungen oder individuelle Neuerungen herbeigef\u00fchrt, bewirken nicht allein Umwandlungen des Kriminalrechts, sondern ziehen auch die Reform der b\u00fcrgerlichen Gesetzgebung, als endliche Folge nach sich. \u2014 Ich darf hier daran erinnern, dafs die von mir entworfene Theorie der Willk\u00fcr (Gemeinschaft un<J Gesellschaft B. 2) an mehreren Punkten mit den hier von Tarde dargestellten Ideen sich ber\u00fchrt. Auch Tarde weist oft auf den Gegensatz sich erhaltenden Familiengeistes und des individuell-socialen Fortschrittes ; auf den Gegensatz des Zusammenlebens Bekannter und des Verkehres mit Fremden hin (z. B. 139 ff.). Aber er sieht nicht deutlich genug, dafs der Wunsch zu tauschen und durch Tausch zu gewinnen, ein psychologisches Element, das, mehr oder weniger frei oder notwendig, keinem Manne jemals fehlt, in seinen h\u00f6chst mannigfachen Gestaltungen die eigentlich individualisierende und. revolution\u00e4re Macht in allen Kulturen bedeutet. Er meint etwas,","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nLitteraturbericht.\ndem ich vollkommen zustimme, wenn er mit einem blendenden Ausdrucke sagt: \u201edie Psychologie ist f\u00fcr die socialen Thatsachen, was die Chemie f\u00fcr die lebenden Wesen ist\u201c, und wenn er nach stabilen Wahrheiten, nach allgemeinen Formeln sucht, denen unter allen Umwandlungen und Entwickelungen ihre Geltung verbleibe. Seine Andeutungen \u00fcber sociale Logik haben aber noch ziemlich unvermittelt neben jenes Theorem der Nachahmung sich gestellt. Der Gedanke des M\u00fcssens, dem solche Logik eine allgemeine Begr\u00fcndung geben soll, ist noch weit tiefer und mannigfacher, als er ihn darstellt,\tF. T\u00f6nnies (Kiel).\nM. Beaujeu. Psychologie des premiers C\u00e9sars. Paris, G. Masson. 56 S.\nDer Verfasser will an der Hand der geschichtlichen \u00dcberlieferung das Leben der f\u00fcnf ersten C\u00e4saren einer wissenschaftlichen Untersuchung unterziehen, um zu einer Entscheidung dar\u00fcber zu gelangen, ob sie dem Einfl\u00fcsse einer erblichen Anlage anheimfielen, oder ob ihre Verkehrtheit ein Ergebnis der Zeit und der Umst\u00e4nde war.\nDafs \u00e4hnliche Untersuchungen bereits fr\u00fcher angestellt worden, und unter anderen ein gewisser G. Feeytag die Bezeichnung des C\u00e4sarenwahnsinns daf\u00fcr aufgebracht hat, ist dem Herrn Verfasser anscheinend nicht bekannt, aber auch abgesehen davon mangelt ihm mit Ausnahme des Mutes so ziemlich alles andere, um ein solches Unterfangen zu einem gedeihlichen Ende zu bringen.\nEtwas Neues erfahren wir nicht, das Altbekannte wird ohne alle Kritik vorgebracht; und des Buches K\u00fcrze ist sein wesentlichster Vorteil.\nWas Freytag mit wenigen scharfen Strichen ausf\u00fchrt, dafs, je h\u00f6her der Mensch stehe, er um so gr\u00f6fsere Schranken n\u00f6tig habe, um die Willk\u00fcr seines Wesens zu b\u00e4ndigen, und um so gr\u00f6fser die Versuchungen seien, diese Schranken zu \u00fcberschreiten, dafs nichts gef\u00e4hrlicher sei, als unumschr\u00e4nkte Herrschermacht, wo der Einzelne nicht auf die H\u00fclfe seiner Nebenmenschen angewiesen sei, das erhalten wir von Beaujeu verd\u00fcnnt und in einer gelehrten Sauce serviert.\nNach ihm bestehen beim Menschen zwei Instinkte, welche die Gruppe des Ehrgeizes bilden, Instinkte mit vorwiegend socialen Ent-\u00e4ufserungen, und zwar der Stolz oder das Bed\u00fcrfnis der Herrschaft und die Eitelkeit, oder das Bed\u00fcrfnis der Anerkennung.\nF\u00fcr gew\u00f6hnlich werden sie durch die \u00e4ufseren Umst\u00e4nde in Schranken gehalten, bei den C\u00e4saren aber bestand diese Hemmung nicht und daher ihr .Heranwachsen zum C\u00e4sarenwahnsinn, f\u00fcr dessen Entwickelung die Erblichkeit ohne Bedeutung, die sociale Mitte alles ist.\nSo ohne weiteres m\u00f6chte ich das nicht unterschreiben, andererseits trage ich kein Verlangen, mich mit Herrn Beaujeu dar\u00fcber auseinanderzusetzen, nur das erlaube ich mir noch in aller Eile zu bezweifeln, dafs wir den C\u00e4sarenwahnsinn oder die \u201eCesarite\u201c auf allen Stufen der socialen Leiter und \u00fcberall da finden, wo jemand pl\u00f6tzlich eine h\u00f6here Stellung erlangt hat, als die war, welche er vordem einnahm.\nPelman.","page":256}],"identifier":"lit15466","issued":"1894","language":"de","pages":"254-256","startpages":"254","title":"G. Tarde: Les transformations du droit. Paris, Alcan 1892, 212 S, Fr. 2. 50","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:02:27.452942+00:00"}