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{"created":"2022-01-31T14:44:35.336804+00:00","id":"lit15472","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 387-388","fulltext":[{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n387\nWie wir dem B\u00fcchlein f\u00fcr den Schulgebrauch einen besonderen Wert nicht zugestehen k\u00f6nnen, so erst recht nicht f\u00fcr den Selbstunterricht. Es giebt zahlreiche B\u00fccher, die nach Inhalt und Methode besser sind; wir nennen nur Lazarus\u2019 Leben der Seele und Lotzes Mikrokosmus. Allerdings, sind das umfangreiche Werke; aber mufs denn auch alles oberfl\u00e4chlich betrieben werden? Wer die M\u00fche scheut, der lasse lieber die H\u00e4nde von einem so schwierigen und verwickelten Gegenst\u00e4nde, wie es die Psychologie denn doch ist.\nUfer (Altenburg).\nC. Hauptmann. Die Metaphysik in der modernen Physiologie. Dresden, L. Ehlermann. 1892. 388 S.\nVerfasser, ein Sch\u00fcler von Avenarius, versucht zun\u00e4chst eine Kritik der wichtigsten Anschauungen, welche neuerdings von seiten der Physiologen \u00fcber die Beziehungen der psychischen Vorg\u00e4nge zu den materiellen des Gentrainervensystems vertreten worden sind. Speciell pr\u00fcft er die bez\u00fcglichen Ansichten von Lotze, Flourens, Pfl\u00fc\u00f6er, Goltz, Hitzig und Munk. Es ist nicht zu verkennen, dafs die Kritik H.\u2019s in einigen Punkten berechtigt ist. In vielen Hauptpunkten erscheint sie verfehlt. Zun\u00e4chst wird ganz willk\u00fchrlich der modernen Hirnphysiologie als einziges Bestreben untergeschoben, \u201eimmer wieder nur nach dem Sitze der Seele zu suchen\u201c. Der Zweck der modernen Hirnphysiologie war vielmehr einfach der, die Funktionen des Gehirns wie irgend eines anderen K\u00f6rperorgans zu bestimmen. \u201eDiese oder jene Beizung f\u00fchrt zu diesen oder jenen Bewegungen, nach dieser oder jener Exstirpation fallen diese oder jene Bewegungen weg\u201c, lautet ganz allgemein die Lehre der Hirnphysiologie. Wenn viele Hirnphysiologen solche S\u00e4tze weiter dahin formuliert haben, dafs sie von dem Bestehen oder Ausfall psychischer Processe (Empfindungen, Verstellungen u. s. f.) sprachen, so beruht dies im wesentlichen darauf und rechtfertigt sich dadurch, dafs die Hirn-pathologie uns viele ganz eindeutige Daten auch \u00fcber die psychischen Processe geliefert hat. H. scheint zu glauben, dafs die Hirnphysiologie lediglich auf das Tierexperime t angewiesen sei und nur auf Grund von Tierexperimenten sich entwickelt habe. Dieser zweite Irrtum ist f\u00fcr sein Buch verh\u00e4ngnisvoll geworden. . Gerade die Hirnpathologie hat das wichtigste, einwurfsfreieste Material f\u00fcr di\u00e8 Erkennung der Beziehungen der psychischen Processe zu den materiellen der Hirnrinde geliefert. Diese Grundlage der modernen Hirnphysiologie hat H. in kaum begreiflicher Weise ignoriert. Der Mensch, der durch eine Herderkrankung des Occipitallappens seine Sehf\u00e4higkeit eingeb\u00fcfst hat, l\u00e4fst dies nicht nur durch sein Verhalten im allgemeinen erkennen, sondern er sagt es uns direkt. Dies eben ist die Bedeutung der menschlichen Hirnpathologie f\u00fcr die Hirnphysiologie : der Mensch, an dessen Gehirn die Krankheit gewissfermafsen ihr Experiment gemacht hat, vermag \u00fcber seine psychischen Vorg\u00e4nge Auskunft zu geben. Diese Einseitigkeit des Litteraturstudiums des Verfassers erkl\u00e4rt denn auch hinreichend, dafs er zu S\u00e4tzen gelangt wie: \u201eMunks Besultate mufsten physiologisch wertlos sein, weil . . .\u201c\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nLitteraturbericht.\nAuf mannigfache einzelne Missverst\u00e4ndnisse und ungerechtfertigte Deutungen einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Oitate will Recensent schon deshalb hier nicht eingehen, weil er leider selbst zu diesen v\u00f6llig Missverstandenen geh\u00f6rt. Dringend ist auch gegen\u00fcber den Angaben des Verfassers \u00fcber sogenannte \u201eFakten\u201c Vorsicht geboten. So heilst es z. B.: \u201eBlind- oder Taubgeborene haben event, unverk\u00fcmmerte G-ehirne\u201c (p. 223). Soll dies, wie es der Zusammenhang1 erheischt, bedeuten, dafs bei intaktem, peripherem Seh- resp. Hirnapparat angeborene Blindheit oder Taubheit ohne Gehirnl\u00e4sion vorkommt, so ist einfach zu erwidern, dafs ein solches Faktum nicht existiert. Je genauer man in solchen F\u00e4llen das Gehirn untersucht hat, um so regel-m\u00e4fsiger haben sich L\u00e4sionen oder Verbildungen gefunden.\nEinige Anerkennung findet unter den neueren Hirnphysiologen nur Goltz, aber auch der durch ihn geschaffene \u201eEinblick in die objektivphysiologische Natur der Grofshirnfunktionen ist gering genug\u201c;.\nDie Auseinandersetzungen des vierten Teiles : \u201eWoran scheitert eine konsequente Durchf\u00fchrung des Parallelismus von Leib und Seele als eines methodologischen Principes?\u201c enthalten manches Bemerkenswerte. Da Kant fast v\u00f6llig ignoriert wird, so ist es nicht wunderbar, dafs Verfasser viele Schwierigkeiten, die seiner resp. der AvENARiusschen Auffassung entgegenstehen, gar nicht einmal bemerkt.\nIm letzten Teile giebt H. die leitenden Gesichtspunkte f\u00fcr eine dynamische Theorie der Lebewesen. Er will speciell pr\u00fcfen, ob es schon heute gelingt, die Lebewesen insgesamt und diejenigen, die hergebrachter-mafsen als j,beseelt\u201c gelten, im besonderen rein nach Gesetzen der K\u00f6rperwelt zu charakterisieren. In der That glaubt er einige derartige charakterisierende S\u00e4tze gefunden zu haben. Recensent mufs bez\u00fcglich dieser Er\u00f6rterungen auf das Original verweisen. So sehr dasselbe an zahlreichen Stellen Widerspruch und Kritik erfordert, so ist sein anregender Charakter doch nicht zu verkennen.\tZiehen (Jena).\nHugo M\u00fcnsterberg. Beitr\u00e4ge zur experimentellen Psychologie. Heft IV.\nMohr, Freiburg i. B., 1892. 238. S.\nDas vierte Heft der M\u00fcNSTEKBERGSchen \u201eBeitr\u00e4ge\u201e enth\u00e4lt 10 Abhandhandlungen, die von sehr ungleichem Werte sind. Die erste: \u201eStudien zur Associationslehre\u201c macht uns mit vier Versuchsgruppen \u00fcber Associations- und Reproduktionsph\u00e4nomene bekannt. Es wurden zun\u00e4chst die bekannten Versuche von Scripture Phil. Stud. VII, S. 50 ff.) \u00fcber das Vorkommen mittelbarer Associationen (mit einigen Modifikationen) aufgenommen \u2014 mit v\u00f6llig negativem Erfolge. Verfasser vermutet daher, dafs Sc. seine Beobachter nicht immer gen\u00fcgend nach der Mitwirkung associativer Zwischenglieder gefragt habe, und folgert sehr \u00fcbereilt: \u201eMittelbare Associationen durch unbewufste Zwischenglieder giebt es nicht\u201c. Eine zweite Versuchsgruppe kn\u00fcpft an fr\u00fchere Ausf\u00fchrungen des Verfassers {\u201eBeitr\u00e4ge\u201c I., S: 64 ff.), um einen neuen Beweis f\u00fcr die Behauptung zu bringen, dafs es eine \u201eZwischenstufe zwischen \u00e4ufserem Reiz\n1 Anderenfalls verl\u00f6re das Argument alle Beweiskraft.","page":388}],"identifier":"lit15472","issued":"1894","language":"de","pages":"387-388","startpages":"387","title":"C. Hauptmann: Die Metaphysik in der modernen Physiologie. Dresden, L. Ehlermann 1892","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:44:35.336809+00:00"}