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{"created":"2022-01-31T17:01:20.774730+00:00","id":"lit15482","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meumann, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 399-405","fulltext":[{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n399\nwahrscheinlich ist, so w\u00fcrden doch die \u00fcbrigen 90% auf andere Weise besser rechnen lernen. Sodann aber fragt es sich, ob sich bei den f\u00fcr die Anwendung von Zahlenbildern wirklich in Betracht kommenden Sch\u00fclern nicht bereits bestimmte Vorstellungsweisen festgesetzt haben, gegen welche die vom Lehrer mitgeteilten wirkungslos bleiben, wie es ja bei der Verfasserin selbst der Fall ist, die auch in den Unterrichtsstunden immer nur nach ihrem eigenen oben mitgeteilten Schema, nicht nach dem f\u00fcr die Sch\u00fclerinnen zu gemeinsamem Gebrauche aufgestellten hat rechnen k\u00f6nnen.\nMan wird also wohl auch ferner daran gut thun, die psychologische Methodik des Bechenunterrichts nach dem normalen Typus \u2014 das Wort im Sinne Ohaboots genommen \u2014 zu gestalten. Bei sorgf\u00e4ltiger Beobachtung l\u00e4fst sich alsdann leicht finden, ob ein Kind zum Gesichtstypus geh\u00f6rt, worauf es genau nach seiner Individualit\u00e4t zu behandeln ist. Hier bietet sich dem Einzelunterrichte ohne Zweifel ein dankbares Arbeitsfeld.\n\u00dcbrigens gilt dasselbe auch vom Geh\u00f6rs- und vom Bewegungstypus, was der Verfasserin entgangen . zu sein scheint. Hierzu mag die in Bd. V. S. 340 dieser Zeitschrift von mir angezeigte Schrift Queyrats verglichen werden,\tUfer (Altenburg).\nAlfred Lehmann. Die Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens.\nVon der kgl. d\u00e4nischen Akademie der Wissenschaften mit der goldenen Medaille preisgekr\u00f6ntes Werk. Unter Mitwirkung des Verfassers, \u00fcbersetzt von F. Bendixen. Leipzig, Beisland, 1892. 356 S.\ni)as LEHMANNScbe Werk giebt in seinem ersten Hauptteile eine allgemeine Er\u00f6rterung von der \u201eNatur der Gef\u00fchle\u201c, ihres Verh\u00e4ltnisses zu den k\u00f6rperlichen Zust\u00e4nden, zu den Empfindungen, Vorstellungen und Willenserscheinungen, sowie eine \u201eHypothese von der Natur des Gef\u00fchls\u201c. Im zweiten Hauptteile folgt eine eingehende Behandlung der \u201especiellen Gesetze der Gef\u00fchle\u201c, d. h. die komplexen Gef\u00fchlszust\u00e4nde, die Affekte, werden auf ihre elementaren Bestandteile und die Gesetze ihrer Komplikation hin untersucht. Endlich enth\u00e4lt der dritte Teil (\u201eBeitrag zur Systematik der Gef\u00fchle\u201c) einen Versuch, das vorher er\u00f6rterte Material systematisch zu ordnen. Der Referent wird sich gegen\u00fcber der F\u00fclle des in diesen drei Hauptteilen gebotenen Stoffes darauf beschr\u00e4nken, diejenigen Partien herauszugreifen, die ihm originell und die der kritischen Er\u00f6rterung ganz besonders bed\u00fcrftig erscheinen.\nDer erste Abschnitt wird nach einigen historischen Vorbemerkungen eingeleitet mit begrifflichen Bestimmungen. Unter \u201eemotionellen Elementen\u201c oder \u201eGef\u00fchlst\u00f6nen\u201c will Verfasser die elementaren Bestandteile der Lust und Unlust verstehen, unter \u201eGef\u00fchlen\u201c schlechtweg die mit intellektuellen. Elementen gemischten, komplexen Zust\u00e4nde, als welche sich in Wirklichkeit die Gef\u00fchle stets repr\u00e4sentieren sollen. Nachdem sodann der Gegensatz der Theorien hinsichtlich des Verh\u00e4ltnisses von Gef\u00fchlen und Vorstellungen er\u00f6rtert worden ist (KANTische und","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nI\u00c0tteraturbericht.\n\u00dcERBARTisohe Theorie), versucht der Verfasser, wesentlich auf dem Boden der \u201eKANTischen Theorie\u201c drei Behauptungen zu beweisen: 1. die Gef\u00fchls-t\u00f6ne sind von den intellektuellen Elementen des Seelenlebens qualitativ verschieden; 2. sie kommen niemals getrennt von jenen vor; 3. die emotionellen Elemente der Lust und Unlust besitzen keine qualitativen Modifikationen, sondern alle \u201eF\u00e4rbungen\u201c der Gef\u00fchlszust\u00e4nde r\u00fchren von den beigemischten intellektuellen Elementen her. Diese Behauptungen werden zuerst mit theoretischen Argumenten gest\u00fctzt, denen .Referent durchaus beistimmen kann. (S. 18\u201422.) Sodann wird speciell der zweite und dritte Punkt durch Experimente best\u00e4tigt, indem der Verfasser zeigen will, dafs den drei Empfindungsqualit\u00e4ten der Haut auch drei specifische Schmerzqualit\u00e4ten entsprechen (Druck-, W\u00e4rme-, K\u00e4lteschmerz), die durch Beimischung der betreffenden Empfindungselemente zu der immer gleichen Unlustqualit\u00e4t entstanden zu denken sind. Zum Zwecke dieses Beweises werden die Blix-Goldscheid Kitschen Untersuchungen \u00fcber die Sinnespunkte der Haut wieder aufgenommen und (gegen Dessoirs abweichende Ergebnisse) durchaus best\u00e4tigt gefunden. Entsprechend den drei Arten von Sinnespunkten fanden sich bei Reizung der Punkte mit ihrem ad\u00e4quaten Reize die drei entsprechenden gut unterscheidbaren Schmerzqualit\u00e4ten (gegen Goldschbider). Hiermit betrachtet L. zugleich den Einwand gegen seine Theorie: \u201eAller Schmerz ist derselben Art\u201c als widerlegt. Zwei weitere Einw\u00e4nde (zwischen Empfindung und Gef\u00fchlston verstreiche h\u00e4ufig ein mefsbarer Zeitraum; und Gef\u00fchlselemente tr\u00e4ten in gewissen Fallen ohne Empfindung auf) werden durch Versuche \u00fcber Druck- und W\u00e4rmereaktion, sowie durch physiologische \u00dcberlegungen beseitigt.\nAls zweite Hauptfrage wird sodann \u201edas Verh\u00e4ltnis der Gef\u00fchle zu den k\u00f6rperlichen Zust\u00e4nden\u201c behandelt. (S. 56 ff.) Indem der Verfasser die physischen Begleiterscheinungen der Gef\u00fchle systematisch aufsucht und theoretisch deutet, d\u00fcrfte er damit eine Methode zur Untersuchung der Natur der Gef\u00fchlszust\u00e4nde eingeschlagen haben, die noch sehr der Erweiterung f\u00e4hig ist, und die als eine zweite Art und Weise der Untersuchung der Gef\u00fchle neben der von Fechner (speciell f\u00fcr die \u00e4sthetischen Gef\u00fchle) bisher verwendeten Methode der direkten Aussage \u00fcber die vorhandenen Gef\u00fchlsqualit\u00e4ten angesehen werden mufs.\nWir \u00fcbergehen einige begriffliche Bestimmungen des Verfassers, in denen zwischen \u201eGef\u00fchl\u201c, \u201eAffekt\u201c und \u201eStimmung\u201c unterschieden wird, und widmen der experimentellen Behandlung der physischen Begleiterscheinungen der Gef\u00fchle eine genauere Betrachtung. Bei welchen k\u00f6rperlichen \u00c4ufserungen der Gef\u00fchlszust\u00e4nde mufste die Untersuchung der Gef\u00fchle ansetzen? C. Lauge, F\u00e9r\u00e9, Mosso fanden, dafs Ver\u00e4nderungen der Atmung, Herzth\u00e4tigkeit und des Blutzuflusses zu den verschiedenen Teilen des Organismus die auffallendsten organischen Begleiterscheinungen der Affekte sind. Deshalb wurden die Atembewegungen mittelst des Pneumographen (Makey), die Puls- und Volumver\u00e4nderung des rechten Armes mittelst des Plethysmographen (Mosso) auf der Kymographion-trommel aufgenommen. Es kann nicht Aufgabe der Berichterstattung","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n401\nsein, diese Experimente im einzelnen zu schildern, nur die Versuchs^ technik, die thats\u00e4chlich gefundenen Ausdruckserscheinungen der Gef\u00fchle, ihre Deutung durch den Verfasser glaubt Deferent erw\u00e4hnen zu m\u00fcssen.\nMan vermifst zuerst eine genaue, vorherige Feststellung dessen, wor\u00fcber uns ein Plethysmogramm \u00fcberhaupt eindeutig belehren kann. Das Plethysmogramm giebt die Pulskurve auf der Volumkurve super-poniert, dadurch wird die erstere vielfach bis zur Unerkennbarkeit verwischt. Eine wenigstens vergleichsweise durchgef\u00fchrte specielle Pulsuntersuchung w\u00e4re daher am Platze gewesen. So ist es auch wohl zu erkl\u00e4ren, dafs die sehr auffallenden Pulsschwankungen, die das Sphygmogramm gerade im Moment des Eintrittes eines stark gef\u00fchlsbetonten Beizes zeigt, bei L. \u00fcberhaupt nicht sichtbar sind, sie wurden durch die Schwankungen der Volumkurve vernichtet. Es d\u00fcrfen ferner durchaus nicht alle abnormen Ausschl\u00e4ge des Pneumographen als Gef\u00fchlswirkungen betrachtet werden, insbesondere sind die m\u00e4chtigen Atemz\u00fcge, die bei starken Schmerzerregungen auftreten, entschieden rein reflektorischer Natur. Die sorgf\u00e4ltigste Beobachtung des Indifferenzzustandes der Versuchsperson scheint dem Deferenten ferner unerl\u00e4fslich, diese ist aus den LEHMANNSchen Kurven kaum zu sehen, und was ist z. B. von der Gef\u00fchlskurve einer Versuchsperson zu halten, die, wie L. selbst sagt, vor der Untersuchung in hohem Grade \u201efebril\u201c war ? (Vgl. von Ebbt, Die Untersuchung des Pulses, Leipzig, 1892.) Deferent will hiermit nur Andeutungen dar\u00fcber gegeben haben, in welcher Hinsicht ihm die Methode des Verfassers der Verbesserung f\u00e4hig scheint, es ist aber ohne Zweifel dem Verfasser gelungen, f\u00fcr Lust und Unlust vollkommen charakteristische Merkmale nachzuweisen, womit der Erfolg der Methode gesichert ist. (Die Kurven sind auf f\u00fcnf angeh\u00e4ngten Tafeln abgebildet.)\nEs wurden nun zuerst einfache Lust- und Unlustzust\u00e4nde untersucht, indem der Versuchsperson wohl- oder \u00fcbelschmeckende Stoffe (Saccharin, Chinin u. s. w.) auf die Zunge gebracht, wohl- oder \u00fcbelriechende Essenzen unter die Nase gehalten wurden u. s. w. Als k\u00f6rperliche \u00c4ufserungen der einfachen Lustzust\u00e4nde zeigten sich in den Kurven: Langsames und gleichm\u00e4fsiges Steigen des Armvolums, Erh\u00f6hung der einzelnen Pulsschl\u00e4ge, tieferes Atmen. Verfasser deutet diese Erscheinungen als \u201eaktive Erweiterung der Gef\u00e4fse\u201c, Vergr\u00f6fserung des Umfanges der Herzkontraktionen, Erh\u00f6hung der Innervation der willk\u00fcrlichen Muskeln, insbesonders der Atemmuskulatur. Einfache unlusterregende Eindr\u00fccke \u00e4ufserten sich weit komplicierter. Schwache Unlustreize bewirkten eine rasche Verminderung des Armvolums und der H\u00f6he der einzelnen Pulsschl\u00e4ge, darauf Steigen des Volums und der\u2019 Pulsschl\u00e4ge. Bei st\u00e4rkeren (nicht schmerzhaften) Eindr\u00fccken kamen hierzu einige tiefe Atemz\u00fcge unmittelbar nach der Keizung, bei st\u00e4rksten (schmerzhaften) einige \u201egewaltige\u201c Bespirationsbewegungen und \u201eSt\u00f6rungen in der Innervation der willk\u00fcrlichen Muskeln\u201c, Allen Unlustzust\u00e4nden gemeinsam war das deutliche Eingreifen des Atems in die Volumkurve, wovon bei Lust nichts sp\u00fcrbar, alle unterscheidet von den Lustzust\u00e4nden der Gegensatz des Beiz-\n26\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VI.","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nLitteraturbericht.\neintrittes (\u201eStofs\u201c) und des weit eren Verlaufes der organischen Ver\u00e4nderungen, w\u00e4hrend die Lustzust\u00e4nde stets einen einfachen Verlauf zeigten. L. deutet die Unlust\u00e4ufserungen als tiefere Atmung \u201eund Erh\u00f6hung der Innervation anderer willk\u00fcrlicher Muskeln\u201c f\u00fcr den Moment des Reizeintrittes (den \u201eStofs\u201c); hierauf folge zun\u00e4chst: Spasmus der peripheren, Erschlaffung der inneren Gef\u00e4fse, Verminderung der Herzkontraktionen, sodann Venenstauung infolge der verminderten Herz-th\u00e4tigkeit; ferner Erschlaffung an Stelle des Spasmus der peripheren, zunehmender Tonus an Stelle der Erschlaffung der inneren Gef\u00e4fse. Der Verfasser wirft nun die f\u00fcr die psychologische Deutung dieser (Resultate entscheidende Frage auf: Sind diese organischen Ver\u00e4nderungen unmittelbare Wirkungen des dem Eeize entsprechenden Bewufstseins-zustandes, oder sind sie lediglich Wirkungen der betreffenden Medikamente, durch Einf\u00fchrung derselben in die Verdauungsorgane vermittelt ? Er entscheidet sich f\u00fcr das erstere : Sie sind Erscheinungen der Appli-kations-, nicht der Intoxikationswirkung, denn 1. rufen Stoffe von ganz verschiedenartigem medikament\u00f6sen Einflufs stets in dem Mafse gleichartige Aufserungen hervor, wie die entsprechenden Empfindungen gleichartige Gef\u00fchlst\u00f6ne haben; 2. waren nach L. die verabreichten Dosen zu gering; 3. traten die k\u00f6rperlichen Aufserungen viel zu schnell ein, als dafs an Intoxikationswirkung gedacht werden k\u00f6nnte. Experimentell wird dasselbe zu beweisen versucht, indem ein und derselbe Stoff, Tabak, einem Raucher und. einem Nichtraucher dargeboten wird und bei dem ersten eine Lust-, bei dem zweiten eine Unlustkurve erzeugt, wobei L. jedoch den Einwand hinnehmen mufs, dafs der K\u00f6rper des ersteren an das Narkotikum adaptiert (\u201evergiftet\u201c) ist, der des letzteren nicht. Jedenfalls glaubt L. bewiesen zu haben, dafs es die durch den Reizeintritt erzeugte Empfindung und ihre Gef\u00fchlsbetonung sind, welche die organischen Ver\u00e4nderungen erzeugen. Der Verfasser schreitet sodann zu einer Untersuchung der Affekte im engeren Sinne: \u201e\u00c4sthetische und intellektuelle Lust\u201c, \u201eErschrecken, Schreck und Furcht\u201c, \u201eKummer und deprimierte Stimmung\u201c und \u201eZorn\u201c werden experimentell behandelt. Die Schwierigkeiten k\u00fcnstlicher Erzeugung solcher Seelenzust\u00e4nde sind teilweise mit Geschick \u00fcberwunden, wenn auch manchmal mit etwas gewaltsamen, offenbar von starken reflektorischen Erscheinungen begleiteten Mitteln (\u201eStich mit einer Ahle in die Nates!\u201c). Als Resultate werden drei Behauptungen- gewonnen : 1. Die eigentlichen Affekte \u00e4ufsern sich in denselben (meist nur der Anzahl, Ausdehnung und Intensit\u00e4t nach bedeutenderen) physischen Begleiterscheinungen, wie die einfachen \u201eGef\u00fchle\u201c; 2. diese Ver\u00e4nderungen sind abh\u00e4ngig von den jeweiligen Gef\u00fchlst\u00f6nen des betreffenden Empfindungs-Vorstellungskomplexes; 3. das Verh\u00e4ltnis der physischen Begleiterscheinungen zu einander ist noch eine offene Frage, jedenfalls darf man nicht die vasomotorischen Erscheinungen als Ursachen aller \u00fcbrigen betrachten (0. Lange).\nDie nun folgenden theoretischen Er\u00f6rterungen \u00fcber: \u201eDas Kausalverh\u00e4ltnis zwischen dem Gef\u00fchlszustande und den physiologischen Erscheinungen der Affekte\u201c und die \u201eSt\u00f6rungen","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturberieht.\n403\ndes Vorstellungsverlaufes w\u00e4hrend der Affekte\u201c entbehren vielfach der n\u00f6tigen Gr\u00fcndlichkeit in der psychologischen Analyse ; so ist die Unterscheidung zwischen \u201enormalem\u201c und \u201eunmotiviertem\u201c Affekt verfehlt; die Argumente f\u00fcr die an sich zu billigende Behauptung, dafs die Gef\u00fchlselemente nicht zu reducieren sind auf Organempfindungen, werden (mit Ausnahme des letzten auf die Selbstbeobachtung sich st\u00fctzenden) den Gegnern des Verfassers leichtes Spiel gew\u00e4hren. Beachtenswert ist dagegen des Verfassers Meinung von den \u201eSt\u00f6rungen des Vorstellungsverlaufes bei den normalen Affekten\u201c. (Zusammenfassung, S. 132.) Sie sind nicht direkte Wirkungen des prim\u00e4ren Gef\u00fchles (Kant), auch nicht die Ursache der Gem\u00fctsbewegungen (Hebbart und teilweise Wundt), vielmehr entstehen sie aus den Innervations\u00e4nderungen der Blutgef\u00e4fse des Gehirns und \u201edie einmal entstandenen St\u00f6rungen\u201c m\u00fcssen nun wieder \u201eeinen bedeutenden Einflufs auf den gesamten Bewufstseinszustand erhalten\u201c. (Wundt.)\nDer dritte Abschnitt (C) dieses ersten Teiles: \u201eDas Verh\u00e4ltnis des Gef\u00fchles zu den Willens\u00e4ufserungen\u201c geh\u00f6rt wieder zu den besten Partien des Werkes. Die Stufenfolge der Willensph\u00e4nomene, ihre Abgrenzung gegen die Affekte, die Hervorhebung des Gemeinsamen und Verschiedenen in denselben linden (mit Ausnahme der etwas \u00e4ufserlichen Bestimmung \u201ejeder Affekt ist zugleich Trieb\u201c (S. 140) den unbedingten Beifall des ^Referenten.\nDen Schlufs dieses Hauptteiles macht der Verfasser mit seiner \u00bbHypothese von der Natur des Gef\u00fchles\u201c. Es wird zuerst eine Betrachtung angestellt \u00fcber die \u201eBedeutung\u201c der Gef\u00fchlst\u00f6ne f\u00fcr das Wohl und Wehe des Organismus und des psychischen Lebens. Damit treten wir in die teleologische Betrachtungsweise ein und es ist eine modificierte teleologische Hypothese, worauf des Verfassers Theorie hinauskommt. Es ist merkw\u00fcrdig, dafs man von jeher den Gef\u00fchlen gegen\u00fcber eine teleologische Betrachtungsweise eingeschlagen hat und daran vielfach noch festh\u00e4lt, w\u00e4hrend niemand dasselbe Verfahren gegen\u00fcber den Empfindungen oder Vorstellungen befolgen wird. Wenigstens nicht im psychologischen Interesse. Wir fragen vielleicht nach der \u201eBedeutung\u201c des WahrnehmungsVorganges f\u00fcr die Erkenntnis, im Sinne und Interesse der Erkenntnistheorie, nach der \u201eBedeutung\u201c des reproduktiven Vorstellungsverlaufes f\u00fcr die logischen Beziehungen, .nach der \u201eBedeutung\u201c der Gef\u00fchle im \u00e4sthetischen oder ethischen Interesse, aber alles das sind ebenso viele nicht-psychologische Gesichtspunkte. Eine relative Berechtigung teleologischer Betrachtungsweise den Gef\u00fchlen gegen\u00fcber liegt nur darin, dafs sie mittelbar dem psychologischen Interesse dient, indem wir bei Lust und Unlust mehr als sonst in Verlegenheit sind um Angabe eines physiologischen \u00c4quivalents und in der \u201eBedeutung\u201c der Gef\u00fchle ein Mittel sehen zur Auffindung desselben. Kurz nur als heuristisches Prinzip geh\u00f6rt diese ganze Betrachtungsweise in die Psychologie hinein. Die Angabe also, dafs etwa Lust n\u00fctzlich, Unlust sch\u00e4dlich ist, hat als solche gar nichts mit der Psychologie des Gef\u00fchles zu thun. Es war der Fehler der \u00e4lteren teleologischen Gef\u00fchlstheorien, dafs sie bei derartigen Angaben stehen blieben, womit\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nLitteraturbericht.\ndie Psychologie des Gef\u00fchles nicht weiter kam. Es liegt aber eine zweite Gefahr in der teleologischen Betrachtungsweise, dafs sie n\u00e4mlich zu falscher Fragestellung f\u00fcr die psychophysische Erkl\u00e4rung des Gef\u00fchls veranlafst. Anstatt dafs man nach dem physiologischen \u00c4quivalent der Gef\u00fchle fragt, wird das Problem so gewendet, dafs man die physiologische Deutung der N\u00fctzlichkeit oder S ch\u00e4dlichkeit ein es Eindruckes f\u00fcr den Organismus anstrebt. Damit wird dann gerade das verschleiert, um was es sich allein bei der psychophysischen Erkl\u00e4rung der Gef\u00fchle handeln kann: die Angabe eines qualitativ bestimmten gef \u00fchls er zeugen den Nervenproc esse s , und anstatt dessen wird irgend eine sekund\u00e4re Beziehung der psychophysischen Gef\u00fchlsprocesse aufgestellt. In1 diesen Fehler ist L. verfallen, und es ist leicht, zu zeigen, wie gerade die teleologische Betrachtungsweise ihn irre gef\u00fchrt hat. Zun\u00e4chst veranlafst sie ihn zu einer (modiiicierten) teleologischen Gef\u00fchlstheorie. Referent erkennt an, dafs der Nachweis der N\u00fctzlichkeit der Lust der Sch\u00e4dlichkeit der TJnlust f\u00fcr das specielle empfindende Organ (nicht f\u00fcr den Organismus im ganzen) eine berechtigte Korrektur der teleologischen Gef\u00fchlsthe\u00f6rie ist. Die Widerlegung oft geh\u00f6rter Einw\u00e4nde, wie desjenigen, dafs Gifte angenehm schmecken k\u00f6nnen, ist vortrefflich (vgl. S. 148 ff.), aber f\u00fcr die Psychologie der \u201eemotionellen Elemente\u201c ist damit nichts gewonnen, und die Fragestellung f\u00fcr die psychophysische Erkl\u00e4rung von Lust und Unlust wird nun sq gegeben: \u201eUnsere erste Aufgabe mufs es also werden, zu untersuchen, worauf die N\u00fctzlichkeit oder Sch\u00e4dlichkeit eines Eindruckes f\u00fcr den Organismus beruht\u201c. (S. 153.) Man kann sich nun nicht wundern, wenn L. ausdr\u00fccklich betont, dafs die Angabe eines \u201eneuen psychophysischen Processes zur Erzeugung dieser Zust\u00e4nde\u201c (Lust und Unlust) \u00fcberhaupt unn\u00f6tig sei. (S. 159.) Nun ist nach L. ein Eindruck \u201en\u00fctzlich\u201c (f\u00fcr das empfindende Organ), wenn der Arbeitsverbrauch im Nerven und im Centralorgan die Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit nicht \u00fcberschreitet, und in diesem Falle ist er von Lust begleitet. Ein sch\u00e4dlicher und von Unlust begleiteter Eindruck ist dagegen dann zu konstatieren, wenn der Arbeitsverbrauch gr\u00f6fser ist, als die Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit, oder wenn bei l\u00e4ngerer Unth\u00e4tigkeit \u201edie normale Ern\u00e4hrung dadurch gehemmt wird, dafs kein Verbrauch eintritt\u201c. (S. 156.) (Vgl. die sehr verwandte Ansicht von Marshall, Bd. Ill, S. 344 dieser Zeitschrift.) Es ist also einfach der nerv\u00f6se Procefs der Empfindung selbst, genauer das \u201eVerh\u00e4ltnis\u201c von Arbeitsverbrauch und Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit in demselben, was die Gef\u00fchlst\u00f6ne erzeugt, oder Lust imd Unlust sind \u201edie psychischen Resultate des Verh\u00e4ltnisses\u201c \u2014 \u201ezwischen Energieverbrauch und Energiezufuhr\u201c. (S. 160.) In der That liegt in einer solchen Theorie der Verzicht auf die Angabe eines besonderen, den Gef\u00fchlselementen entsprechenden physiologischen Vorganges, denn das \u201eVerh\u00e4ltnis\u201c zwischen Zufuhr und Verbrauch ist kein neuer Vorgang neben Zufuhr und Verbrauch. Eben deshalb aber kommt der Verfasser keinen Schritt \u00fcber den empfindungserzeugenden Nervenprocefs hinaus. Denn besteht dieser jedenfalls in Vorg\u00e4ngen der Zufuhr und des Verbrauches, so liegt kein Grund vor, anzunehmen, dafs das Verh\u00e4ltnis zwischen beiden","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n405\nsich nicht lediglich in Empfindnngsver\u00e4nderungen \u00e4ufsern solle. Es wird ja allgemein angenommen, dafs z. B. gesteigerte Empfindungs-intensit\u00e4t auf gr\u00f6fserem Verbrauch an nerv\u00f6ser Energie, und dafs gewisse abnorme Schw\u00e4chungen der Empfindungsintensit\u00e4t (Abstumpfung und Erm\u00fcdung) oder abnorme Steigerungen derselben (krankhaft erh\u00f6hte Reizbarkeit) gerade auf dem Mifsverh\u00e4ltnis zwischen Stoffzufuhr und Verbrauch im Nerven beruhen. (Vgl. ferner die Herinssche Theorie des Farben- und Temperatursinnes.) Bes Verfassers Gef\u00fchlstheorie d\u00fcrfte sogar einen R\u00fcckschritt gegen fr\u00fchere Theorien machen, indem schon Lotze (der auffallenderweise nicht erw\u00e4hnt wird!) einen besonderen gef\u00fchlserzeugenden Nervenprocefs postuliert hat {Medic. Psychol. S. 247) und Meynert (der nicht einmal erw\u00e4hnt wird !), sowie Wundt, wenn auch in sehr verschiedener Weise eine qualitative Bestimmung der gef\u00fchlserzeugenden nerv\u00f6sen Processe versuchen.\nDer zweite Teil des LehmannscIien Werkes: \u201eDie speciellen Gesetze der Gef\u00fchle\u201c zeigt, dafs die St\u00e4rke des Verfassers in dem Reichtume psychologischer Detailkenntnis besteht, seine Schw\u00e4che in der systematischen Verarbeitung des reichlich gesammelten Materials. Der \u00c4sthetiker, der P\u00e4dagog, der Erforscher des pers\u00f6nlichen sittlichen Lebens werden hier eine F\u00fclle feiner Bemerkungen finden, aber die methodischen Grunds\u00e4tze der Analyse erregen vielfach den Widerspruch des Referenten. So ganz besonders die Darstellung der verschiedenen Grade und Arten der Gef\u00fchlsmischung auf Grund des ganz heterogenen Gesichtspunktes der Festigkeit der Association der beigemengten Vorstellungen (vgl. S. 240), da hiermit \u00fcber das Verhalten der emotionellen Elemente nichts entschieden ist. Die Terminologie des Verfassers bew\u00e4hrt sich hier nicht. Dagegen ist die Erweiterung der \u00e4sthetischen Principien Rechners zu allgemeinen Gef\u00fchlsgesetzen eine wertvolle Bereicherung der Gef\u00fchlspsychologie. Ein weiteres Eingehen auf diesen Teil der Schrift mufs Referent sich wegen Raummangels versagen.\n\u00dcber den \u201eBeitrag der Systematik der Gef\u00fchle\u201c, mit dem das Werk abschliefst, kann Referent nur noch bemerken, dafs er ganz und gar aus dem Geiste empirischer Forschung herausf\u00e4llt, in dem sich die fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen des Verfassers bewegen. Wer wird nach dem Vorigen Ausf\u00fchrungen erwarten, wie diese: \u201eDas Ich greift aktiv in die Aufsen-welt ein: die Th\u00e4tiglceitsgef\u00fchle\u201c; \u201edas Ich fafst sich selbst als wirksames Glied der Welt auf: die Selbstgef\u00fchle\u201c u. s. w. (S. 343.) Der Begriff der \u201eunabh\u00e4ngig Variabein\u201c (S. 324), auf dem sich diese \u201eSystematik\u201c aufbaut, kann nur zu einer Klassifikation f\u00fchren nach ganz heterogenen, f\u00fcr den behandelten Stoff gleichg\u00fcltigen Gesichtspunkten.\nEndlich mufs Referent den Stil des Verfassers (oder \u00dcbersetzers?) r\u00fcgen, durch den der Sinn der Ausf\u00fchrungen oft geradezu entstellt wird. So wenn \u201ebei weitem\u201c als Negation gebraucht wird, und die \u201eHinrichtung der Aufmerksamkeit\u201c (statt Hinlenkung), mit der die Nerven des Lesers jeden Augenblick ersch\u00fcttert werden, ist eine Kleinigkeit gegen Ausdr\u00fccke wie \u201eunerlaublich weitschwebend\u201c, au s\u00e9rieux genommen\u201c, \u201eKomposanten\u201c, \u201ein der eigenen Sache der Natur liegt es\u201c, \u201eaufsmal\u201c, \u201eleiderdessen\u201c, \u201eannehmlich\u201c (statt \u201ewie man annehmen kann\u201c), \u201ewillk\u00fcrlich\u201c (statt beliebig, S. 201 !) u. s. w. Meumann (Leipzig).","page":405}],"identifier":"lit15482","issued":"1894","language":"de","pages":"399-405","startpages":"399","title":"Alfred Lehmann: Die Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens, Von der kgl. d\u00e4nischen Akademie der Wissenschaften mit der goldenen Medaille preisgekr\u00f6ntes Werk. Unter Mitwirkung des Verfassers, \u00fcbersetzt von F. Bendxen. Leipzig, Reisland 1892","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T17:01:20.774736+00:00"}