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{"created":"2022-01-31T15:59:21.352034+00:00","id":"lit15506","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, L. William","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 6: 489-492","fulltext":[{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n489\ngegen bringt nun Offner zwei Argumente vor, die mir eine betr\u00e4chtliche Beweiskraft zu haben scheinen: 1. Hat M\u00fcnsterberg recht, so m\u00fcssen alle die F\u00e4lle, in denen bei der zweiten Versuchsserie doch die richtige Reihenfolge angegeben wurde, auf Zufall beruhen. Daf\u00fcr aber sind die Zahlen viel zu hoch; sie betragen das 12-, bezw. 43- u. 121fache von dem, was die Wahrscheinlichkeitsrechnung bei blofsem Zufall erg\u00e4be. Dies doch noch so h\u00e4ufige Festhalten der rechten Reihenfolge mufs also einen besonderen Grund haben, d. h., da simultane Association durch die Versuchsanordnung ausgeschlossen ist, mufs successive Association als. Thatsache existieren. 2. Die Ged\u00e4chtnisversuche von Ebbinghaus zeigen, dafs beim Wiederlernen einer schon einmal eingepr\u00e4gten Silbenreihe im Vergleich zum Neulernen Zeit erspart wird, selbst dann noch, freilich in weit geringerem Mafse, wenn man das zweite Mal die Reihe mit Auslassung von Gliedern lernt. M\u00fcnsterberg w\u00fcrde nun nach 0. die geringere Zeitersparnis im letzten Falle dadurch erkl\u00e4ren, dafs jene Reihe der Sprachbewegungen auseinandergerissen war, die beim erstmaligen Lernen die Vorstellungsreihe begleitete; nur die Thatsache, dafs die isolierten Silben schon bekannt waren, bewirkte die Abk\u00fcrzung der Lernzeit. In diesem Falle aber, meint nun 0., m\u00fcfste Zeitersparnis, bezw. Zeitverlust ganz gleich sein, in welcher Reihenfolge auch die einmal auseinandergerissenen Silben wiedergelernt wurden, vorausgesetzt nur, dafs der fr\u00fchere Sprachmechanismus nicht mithelfen konnte. Nun zeigen aber die Versuche, dafs bei \u00dcberspringung nur eines Gliedes die Ersparnis gr\u00f6fser war, als bei dem von zwei u. s. w., und somit ist bewiesen, \u201edafs jedes einzelne Glied mit jedem einzelnen sich verkn\u00fcpft hat mit abnehmender St\u00e4rke bei zunehmendem Abstand, d. h. sich associiert hat nach Mafsgabe der Succession\u201c. \u2014 So giebt es denn nach 0. eine selbst\u00e4ndige, freilich der simultanen nahe verwandte, successive Association. Auch bei dieser findet Simultaneit\u00e4t statt, aber nicht zwischen den beiden Vorstellungen, sondern zwischen der einen Vorstellung und einer unter der Schwelle abfliefsenden Nachwirkung der. anderen, die oft noch lange Zeit nach dem Verschwinden der eigentlichen Vorstellung gen\u00fcgende St\u00e4rke haben kann, \u201eum dem zwischen den beiden successiv erregten Centren liegenden Verbindungsweg eine gewisse Disposition zu verschaffen\u201c. Nat\u00fcrlich ist eine solche Disposition und dementsprechend die daraus hervorgehende Association schw\u00e4cher, als die eigentliche simultane, womit auch die kleineren Zahlen in M\u00fcnsterbergs zweiter Versuchsreihe \u00fcbereinstimmen.\tW. Stern (Berlin).\nL. William Stern. Die Analogie im volkst\u00fcmlichen Denken. Eine psychologische Untersuchung. Mit einer Vorbemerkung von Prof. M. Lazarus. (Selbstanzeige.) Berlin, R. Salinger, 1893. 164 S.\nIn logischen Lehrb\u00fcchern findet man die Analogie meist nur auf wenigen Seiten behandelt, und das mit Recht; denn als Form des aus^ gebildeten wissenschaftlichen Denkens ist sie: von verh\u00e4ltnism\u00e4fsig geringer Wichtigkeit. Aber man kann eine Denkform auch unter ganz andersartigen Gesichtspunkten betrachten, nicht nur in ihrem Sein, als starres, fertiges, in sich abgeschlossenes Gebilde, sondern in ihrem","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"490\nLitteraturbericM.\nWerden und in ihrer allm\u00e4hlichen Entwickelung, nicht nur als logische Idealnorm mit alleiniger Ber\u00fccksichtigung ihres objektiven Erkenntniswertes, sondern auch als psychologische Erscheinung in ihrem thats\u00e4chlichen Einflufs auf die Entfaltung menschlichen Geisteslebens. Eine derartige Betrachtungsweise bringt es mit sich, dafs das unwissenschaftliche, volkst\u00fcmliche Denken nicht lediglich als ein fehlerhaftes, abnormes angesehen werden kann, sondern f\u00fcr eine Entwickelungsphase gelten mufs, die ihren eigent\u00fcmlichen Wert in sich und ihr besonderes Interesse f\u00fcr sich hat; sie kann ferner bewirken, dafs manche Denk-processe eine Bedeutung gewinnen, die ihnen vom Richterstuhle der reinen Logik und wissenschaftlichen Methodik aus nicht zugesprochen werden kann,' Dies gilt insbesonders von der Analogie, die unter den angedeuteten Gesichtspunkten zu betrachten obiges Buch unternimmt; und zwar beschr\u00e4nkt es sich vorl\u00e4ufig darauf, die Analogieph\u00e4nomene nur soweit der psychologischen Forschung zu unterwerfen, als sich dieselben im Denken des naiven Menschen vollziehen. Die Gedankeng\u00e4nge des allt\u00e4glichen Lebens, das Spiel des Kindes, die Sch\u00f6pfungen der Mythologie, Sitten und Gebr\u00e4uche, die Sprache sowohl nach Form, wie nach Inhalt und manches Andere' wird in den Kreis der Er\u00f6rterung gezogen. Um indessen die Grundidee des Buches nicht zu verdunkeln, wurden diese Gebiete nicht zu Einteilungsmerkmalen gemacht; vielmehr richtet sich die Anordnung nach der psychologischen Beschaffenheit derjenigen Seelenvorg\u00e4nge, als deren Resultat die Analogie sich ergiebt.\nEin erstes Kapitel betrachtet \u201eDie Entw i ck lungs stadien menschlicher Analogie th\u00e4tigkei t\u201c. Dieselbe l\u00e4fst sich in zwei Gruppen gliedern: in dieBildung von Analogieen und in die analogistische Erg\u00e4nzung. Erstere besteht darin, dafs man zwischen zwei Vorstellungskomplexen in gewissen Merkmalen und Beziehungen \u00dcbereinstimmungen wahrnimmt; sind zwei solche Vorstellungskomplexe gegeben, und f\u00fcgt man dem zweiten erg\u00e4nzend weitere Elemente hinzu, die dem ersten entlehnt sind, so haben wir es mit einer analogistischen Erg\u00e4nzung zu thun. Als Besonderheit zeigt sich, dafs letztere (also die scheinbar komplicier-tere Erscheinung) in ihrer primitivsten Form elementarer ist, als die Analogie - Bildung. Ein h\u00e4ufig vorkommendes, eigent\u00fcmliches \u201eIn-der-Mitte-schweben\u201c zwischen beiden Analogiearten, wie es namentlich bei metaphorischen Ausdr\u00fccken auftritt, findet dann hier seine Besprechung.\nZweites Kapitel: Bildung von Analogieen. Dieser Procefs kann entweder unwillk\u00fcrlich oder willk\u00fcrlich vor sich gehen. Die unwillk\u00fcrliche \u00e4ufsert sich insbesonders in der Bildlichkeit des naiven Denkens (indem es, statt zu beschreiben, vergleicht), in der Analogie der Empfindungen und in derjenigen zwischen Zeit und Raum. Die willk\u00fcrliche Analogiebildung kommt hier nur insoweit zur Er\u00f6rterung, als sie Selbstzweck ist;1 als solche verdankt sie drei Motiven ihren Ursprung. Das erste ist das Verlangen, Fremdartiges bekannten Vorstellungskreisen zu assimilieren ; als Ausflufs desselben zeigt'sich die Volksetymologie,\n1 Soweit sie nur dazu dient, die Unterlage der analogistischen Erg\u00e4nzung abzugeben, wird sie bei dieser behandelt.","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"LilteraturbericM.\n491\ndie Deutung von Gestalten (W\u00f6lken, Felsen) und vor allem die gesamte Mythologie. Das zweite Motiv ist das Streben nach Befriedigung des Nachahmungstriebes, wie-es z. B. in der Kunst und im kindlichen Spiele sich offenbart; das dritte sehen wir in dem gleichzeitigen Streben nach Wiederholung und Abwechselung. Es kommt zum Ausdruck im sprachlichen Gleichklang und zum Teil ebenfalls in der schon erw\u00e4hnten Bildlichkeit d\u00e9s Denkens: indem der Mensch Bilder aus anderen Gebieten! die aber zu seinem augenblicklichen Denkgebiete in Beziehung stehen, herbeizieht, bleibt die Einheitlichkeit (les Gedankenganges gewahrt, w\u00e4hrend zugleich dem Drange nach Mannigfaltigkeit sein Recht wird.\nDas dritte und weitaus l\u00e4ngste Kapitel handelt von der ana-1 ogistischen Erg\u00e4nzung. Es beginn t mit einer psychologischen Analyse ihres Wesens, ihrer doppelten Entstehungsursachen und des Beziehungsbegriffes, der bei den Definitionen der Analogie stets eine grofse Rolle gespielt hat. Derselbe zerf\u00e4llt in die Unterarten der qualitativen und quantitativen Beziehung.\u2014 Die anal ogistische Erg\u00e4nzung besteht, wie schon erw\u00e4hnt, in der Hinzuf\u00fcgung eines dem ersten Vorstellungskomplex entlehnten Elementes zum zweiten. Ist dies Plus-Element eine Vorstellung, so haben wir es zu thun mit dem Analogieschlufs. In seinem primitivsten Stadium ist derselbe unwillk\u00fcrlich, oder, wie Helmholtz es bezeichnete, unbewufst. Durch ihn wird die Interpretation der Empfindungen erm\u00f6glicht, er liegt den Hallucinationen zu Grunde, ebenso der Benennung der Gegenst\u00e4nde. Der willk\u00fcrliche \u00c0nalogieschlufs, dessen verschiedene Entwickelungsstadien eingehend er\u00f6rtert werden, wird um so vollkommener, auf je mehr vor\u00e4ngegangene Vorstellungsgruppen er sich jedesmal st\u00fctzt; bei h\u00e4ufiger Wiederholung gleicher Associationen' verlieren diese ihren Zufallscharakter, und der Schlufs vermag sich mehr und mehr der Erfahrung anzupassen. Der induktive Schlufs, wie der Syllogismus, in den Formen, wie das naive Denken sie anwendet, sind nur Analogieschl\u00fcsse in der vollendetsten Gestalt.\nAusf\u00fchrliche Behandlung findet noch eine besondere Species des Analogieschlusses, die sich verm\u00f6ge ihrer Eigenart und Bedeutsamkeit grunds\u00e4tzlich von allen anderen unterscheidet, der subjektivistische Schlufs. Derselbe geht aus von unserer eigenen psychophysischen Pers\u00f6nlichkeit, in der Th\u00e4tsachen der \u00e4ufseren Erfahrung mit solchen der inneren verbunden sind, und nimmt infolgedessen \u00fcberall da, wo uns lediglich Wahrnehmungen \u00e4ufserer, physischer Vorg\u00e4nge gegeben sind, mit ihnen verbunden innere psychische Processe an; d. h. Objekte der \u00c4ufsenwelt werden als belebt und beseelt gedacht. Diese h\u00f6chst elementare Auffassungsweise findet sich schon beim Tiere und ganz unentwickelten Menschen (Kaspar Hauser.) Der Schlufs, auf die Welt in ihrer Gesamtheit angewandt, erzeugte den Fetischismus und Anthropomorphismus, den Ursach- und Zweckbegriff. Specieller und genauer wurde er, wenn man sich in seiner Anwendung beschr\u00e4nkte auf die organische Natur, und noch mehr, wenn man ihn lediglich auf andere menschliche Individuen bezog. In letzterer Form ist seine Bedeutsamkeit f\u00fcr das gesamte Kulturleben unermefslich. Der auf die Nebenmenschen angewandte sub-j ektivistische Schlufs kann nun in vier Gestalten auftreten; 1. als Schlufs","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492\nLitteraturbericht.\nauf das Vorhandensein gewisser seelischer. Thatsachen \u00fcberhaupt in anderen Menschen (das h\u00e4ufige Fehlschlagen des Schlusses auf dem Gef\u00fchlsgebiete f\u00fchrt zu Parteilichkeit und Intoleranz); 2. als Schlufs von gleichen physischen Thatsachen auf gleiche psychische Wirkungen (Symbole); 3. als. Schlufs von gleichen physischen Aufserungen auf gleiche psychische Ursachen (Ausdrucksbewegungen, Handlungen); 4. als doppelsinniger Analogieschlufs : eine physische Thatsache kann zugleich Aufserung und Ursache derselben psychischen Thatsache sein (die Sprache als Verst\u00e4ndigungsmittel findet hier ausf\u00fchrliche Behandlung).\n' Das Plus-Element der analogistischen Erg\u00e4nzung kannnun,statt durch eine Vorstellung, durch eine motorische Aktion gebildet werden, die sich eben an einen Vorstellungskomplex deswegen anschliefst, weil fr\u00fcher ein \u00e4hnlicher Komplex von dieser Th\u00e4tigkeit begleitet war. Hier sind, wiederum die Sprachbewegungen weitaus die wichtigsten. In der Entwickelung und Ausbildung der Sprach form hat die analogistische Erg\u00e4nzung eine hervorragende Bolle gespielt, wie schon die alten Grammatiker zum Teil erkannten, und zwar zerf\u00e4llt hier die Analogie in. stoffliche (fliegt statt fleucht in Anal, zu [ich] fliege) und formale (frug in Anal, zu trug). Der Einflufs der analogistischen Erg\u00e4nzung auf den Sprachinhalt tritt in den Metaphern zu Tage. Deren Wesen finde ich im Gegensatz zu anderen Definitionen in der \u201eBenennung eines Gegenstandes mit dem Namen eines anderen, ohne dafs diese Benennung die Wesensgleichheit der beiden involvierte\u201c. Nach Er\u00f6rterung der beiden Motive der Metaphernbildung wende ich mich dem Verh\u00e4ltnisse der Metapher zum Mythus zu. Beide sind oft aufeinander zur\u00fcckgef\u00fchrt worden, w\u00e4hrend ihr psychologischer Ursprung mir zu beweisen scheint, dafs sie zwei ganz verschiedenartige, selbst\u00e4ndige Aufserungen des Volksgeistes' sind. Auch die Gebiete, denen die Metaphern entnommen wurden, zeigen von denen des Mythus h\u00f6chst charakteristische Unterschiede.\nEdmond B. Delabarre. L\u2019influence de l\u2019attention sur les mouvements respiratoires. Mev. philos. 1892. No. 6. S. 639\u2014649.\nAnfangs mit H\u00fclfe des MAREYSchen, sp\u00e4ter eines von Verdin verbesserten Pneumographen hat Verfasser die Atembewegungen des Thorax, und zwar zun\u00e4chst immer in ihrem normalen Verlaufe, unmittelbar' darauf in ihrer Beeinflussung durch den Zustand der Aufmerksamkeit aufgeschrieben. Als Geh\u00f6rsreize dienten Metronomschl\u00e4ge, als Tasteindr\u00fccke wurden der Versuchsperson einfache geometrische Zeichnungen, Buchstaben, Ziffern auf die Hand gezeichnet, welche sie, ohne hinzusehen, zu erkennen sich bem\u00fchen mufste. Im allgemeinen zeigte sich der Einflufs der sinnlichen Aufmerksamkeit in einer Beschleunigung der Atmung bei geringerer Tiefe und gr\u00f6fserer Unregelm\u00e4fsigkeit derselben Die Beobachtung der Atmung bei Beaktionsversuchen auf Geh\u00f6rsreize ergab, dafs, w\u00e4hrend bei motorischer Beaktionsweise die Atmung zwischen vorbereitendem Signal und Beaktionsbewegung fast ganz aufgehoben schien, dies bei sensoriellem Beagieren nicht der Fall war, dieselbe hier","page":492}],"identifier":"lit15506","issued":"1894","language":"de","pages":"489-492","startpages":"489","title":"Die Analogie im volkst\u00fcmlichen Denken: Eine psychologische Untersuchung, Mit einer Vorbemerkung von Prof. M. LAZARUS, Selbstanzeige. Berlin, R. Salinger 1893","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:59:21.352044+00:00"}