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{"created":"2022-01-31T13:11:13.680109+00:00","id":"lit15514","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 202-204","fulltext":[{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"Litteratnrbericht.\nP. Langer. Psychophysische Streitfragen. (Separatabdruck aus dem Programm des Hzgl. Gymnasium Gleichense in Ohrdruf.) Ohrdruf 1898. 32 S.\nL. verteidigt hier die Auffassung, die er vor 17 Jahren den That-sachen des WEBERSchen Gesetzes gegen\u00fcber geltend gemacht hat, gegen die Einw\u00e4nde, welche im Laufe der Zeit gegen dieselbe erhoben worden sind. Auf der einen Seite st\u00f6fst er offene Th\u00fcren nochmals ein, auf der anderen Seite \u00fcbersieht er, dafs es gegenw\u00e4rtig in der Psychophysik Besseres zu thun giebt, als sich ohne Heranziehung neuer Thatsachen oder wesentlich neuer Gesichtspunkte \u00fcber den Grad von Wahrscheinlichkeit herumzustreiten, welcher der von L. vertretenen Hypothese zukommt, dafs \u201eder eben merkliche Empfindungsunterschied der Gr\u00f6fse der Heize, die das Iteizintervall bilden, oder, genauer ausgedr\u00fcckt, einem im Reizintervall liegenden Reize proportional ist\u201c. Die ganze Manier der Untersuchung, die in dieser Abhandlung herrscht, ist einigermafsen veraltet. Beachtenswert erscheint die Auslassung auf S. 15 ff, welche die Bedingungen der Mefsbarkeit und additiven Verkn\u00fcpfung betrifft.\nG. E. M\u00fcller (G\u00f6ttingen).\nLionel Dauriac. Psychologie du Musicien. Rev. Philosoph. Bd. XXXV. S. 449\u2014470 und 595\u2014617. (Mai und Juni 1893.)\nEs ist schwer, den Inhalt dieses Essays wiederzugeben, ohne entweder zu viel oder zu wenig zu sagen; ich mufs mich daher darauf beschr\u00e4nken, einige der wichtigeren Punkte zu besprechen. Mit Bezug auf die Frage, ob der Gesang der Sprache vorangehe oder nachfolge, scheint der Verfasser mehr zu letzterer Ansicht geneigt zu sein, obgleich er zugiebt, dafs die Auffassung (affaire de d\u00e9finition) hier eine grofse Rolle spiele. Der charakteristische Unterschied sei der distinkte Ton zum Unterschied vom undistinkten der Sprache. Ich glaube, dafs dies allerdings ein wichtiger Unterschied ist, sofern wir an die moderne Darstellung der Musik denken. Die primitive Musik schwankte auch im Ton immer herum, und die Musikvorstellung, die interne Erfindung ist auch heute keineswegs von vornherein in den festen Formen distinkter T\u00f6ne. Darum scheint mir der charakteristische Unterschied zwischen musikalischem und anderweitigem t\u00f6nenden Ausdruck psychologisch im Taktgef\u00fchl zu liegen, das dem ersteren zu Grunde liegt. Von ihm gehen alle die Merkmale aus, die dem Tongeb\u00e4ude einen Selbstzweck geben","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n203\nund es zu einer Geistesproduktion erheben, die nicht blos Gef\u00fchlsreflexen entstammend, nicht blos zur Geh\u00f6rsempfindung spricht. Wenn daher Herr Daueiac das Waldweben aus Siegfried als allegorisches Beispiel daf\u00fcr anf\u00fchrt, dafs Siegfrieds Gesang den L\u00e4rm der V\u00f6gel nicht nachahmen k\u00f6nne, weil der letztere nicht distinkte T\u00f6ne habe, so stimme ich dem Verfasser wohl im Resultat, nicht aber in der Begr\u00fcndung bei. Denn auch der Gesang der Nachtigall und mancher anderer Singv\u00f6gel hat ich widerspreche hier dem Verfasser \u2014 manchmal distinkte T\u00f6ne, die sich in unserem Notensystem vollkommen wiedergeben lassen. Aber der Verfasser hat recht, wenn er sagt, dafs der Vogelsang allein zur Erfindung der Musik nicht hingereicht h\u00e4tte. \u201eDie Musik ist eine menschliche Erfindung.\u201c Sie sei \u201ekeine Kunst der Nachahmung\u201c. Das kommt nun meines Erachtens darauf an, was man unter Nachahmung versteht. Man hat in der Musik\u00e4sthetik immer dar\u00fcber gestritten, ob die Musik die \u00e4ufsere oder die innere Natur (das Gef\u00fchlsleben) nachahme, und in diesem Sinne w\u00fcrde ich sagen, sie ahme den Verlauf (die Form) beider nach. Man kann aber Nachahmung auch so verstehen, dafs man meint, ob die Musik ein Natursch\u00f6nes kenne, wie die Malerei und Plastik. Dann hat Daueiac recht, die Frage zu verneinen. F\u00fcr die primitive Musik allerdings w\u00fcrde ich sie in jedem Sinne bejahen. Ich habe doch zu h\u00e4ufig Beispiele gefunden, wo der Musiker der Damaras, Kaffern etc. nichts weiter thut, als den Galopp des Pavians, die Stimmen mancher Lieblingstiere nachahmen. Vielleicht kommt das daher, dafs die primitive Musik nicht isoliert dasteht, sondern mit Tanz und mimischer Darstellung verbunden ist.\nSehr beachtenswert sindDAURiAcs Bemerkungen \u00fcber das musikalische Geh\u00f6r. Er zeigt zun\u00e4chst, in wie verschiedenem Sinne der Ausdruck gebraucht wird. Wir h\u00f6ren ob richtig oder falsch gespielt wird (und auch das in mehrfachem Sinne), wir h\u00f6ren den Unterschied der Klangfarben, Unterschied von H\u00f6he und Tiefe, und meinen damit doch verschiedene psychologische Aktionen, die Daueiac an treffenden Beispielen erl\u00e4utert. Noch besser scheint es mir, in dieser Beziehung dem Vorg\u00e4nge Stumpfs zu folgen, das Kind beim wahren psychologischen Namen zu nennen und zwischen Tonempfindung, -Urteil und -Gef\u00fchl zu unterscheiden, mit welcher Bezeichnung Dauriacs Unterscheidungsbeispiele manches gemein haben. Auch den Rhythmus k\u00f6nne man h\u00f6ren, und auch das sei eine neue spezielle Eigenschaft des musikalischen Geh\u00f6rs. Freilich glaube ich, mit dem Worte Rhythmus sehr vorsichtig sein zu m\u00fcssen, nicht nur wegen der Verchiedenheit der Sprachen, sondern auch wegen der Vielheit der Bedeutung. Rhythmus ist die zeitliche Geltung der T\u00f6ne und Tonfolgen im allgemeinen (man kann ihn auch ohne T\u00f6ne, trommelnd reproduzieren). Rhythmus ist in gewissem Sinne Tempo (Zeitmafs), und er ist schliefslich auch Takt, wenigstens h\u00e4ufig in diesem Sinne gebraucht. Es kommt mir vor, als ob Dauriac das nicht immer genau unterscheiden w\u00fcrde, obgleich er sich gewisser Unterschiede bewufst ist. Er sagt, wir k\u00f6nnten den Rhythmus wahrnehmen an einer Bewegung, die wir sehen, also durch das Auge (hier denkt er offenbar an Zeitmafs, Tempo), oder beim Metronom durch das Ohr (auch das giebt nur das","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nLi tier a turbericht.\nTempo), oder wenn wir als Dirigenten Takt schlagen, durch den Muskelsinn (auch hier giebt der Muskelsinn meiner Ansicht nach nur \u00fcber das Tempo Aufschlufs), und schliefslich f\u00e4ngt ein S\u00e4nger, der rhythmisch richtig singen will, auch an, sich unwillk\u00fcrlich den Takt zu schlagen (hier ist Rhythmus im Sinne von Takt gebraucht). Mit Recht hebt D. hervor, wie verschieden wir \u00fcber Rhythmus (soll heifsen Tempo) urteilen, je nachdem wir ein Musikst\u00fcck blofs h\u00f6ren oder auch den Takt schlagen, also je nachdem wir nach dem Geh\u00f6rsinn oder Muskelsinn urteilen, ja ich w\u00fcrde auch innerhalb des Muskelsinnes unterscheiden zwischen Selbstspielen und hlofsem Taktgehen. \u00dcber diesen Takt selbst, ganz abgesehen vom Zeitmafs, gieht uns meiner Ansicht nach keine Empfindung Auf-schlufs, man mufs ihn wissen oder f\u00fchlen, er ist keine Qualit\u00e4t der Empfindung, sondern der Vorstellung, also von kortikalen Vorg\u00e4ngen abh\u00e4ngig, die physiologisch zu verfolgen uns bisher nicht gelungen ist. Immerhin geh\u00f6rt auch er zur musikalischen F\u00e4higkeit, und man ersieht daraus, aus wieviel verschiedenen Teilen diese F\u00e4higkeit zusammengesetzt ist. Mit Recht hebt daher D. hervor, dafs diese Bef\u00e4higung nicht eine unteilbare, spezifische Einheit sei, sondern das Resultat verschiedener Anlagen. Daraus aber folgt weiter, dafs die musikalische Anlage nicht vom Ohr allein abh\u00e4ngt, und dafs schliefslich zwischen Tontaubheit und Musiktauhheit zu unterscheiden sei. Unter letzterer verstehe man die Unf\u00e4higkeit, einzeln wahrgenommene T\u00f6ne als zusammengeh\u00f6rige Einheit zu erfassen. Ich habe mich an anderer Stelle daf\u00fcr ausgesprochen, dafs diese Eigent\u00fcmlichkeit in letzter Linie auf Mangel an Taktgef\u00fchl (\u00dcbersicht, Gliederung) beruhe. Ich wiederhole hier die von Dauriac gerichtete Aufforderung an Psychiater, zu untersuchen, inwieweit bei F\u00e4llen von Aphasie und Amusie, Musiktaubheit und Tontaubheit untereinander von aphatischen St\u00f6rungen abh\u00e4ngen, beziehungsweise nicht beeinflufst werden, eine Beobachtung, die meines Wissens in den meisten Beobachtungsschemen nicht gen\u00fcgend gew\u00fcrdigt ist.\nDer Artikel ist ungemein fein geschrieben und zeugt von einer gl\u00fccklichen Vereinigung psychologischer Beobachtung mit musikalischpraktischer Erfahrung. Ich schliefse meinen Bericht mit dem Bewufst-sein, nur wenige Fragen des reichhaltigen Inhaltes besprochen zu haben.\nWallaschek (London).\nA. Koelliker. Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. umgearb.\nAufl. 2. Bd. 1. H\u00e4lfte. Leipzig, Engelmann, 1893. 372 S.\nDafs der Autor die Lehre vom Nervengewebe in zwei Teilen erscheinen l\u00e4fst, entschuldigt er durch das Vorwort. Er macht auf den schnellen Wechsel der Methoden und der daraus folgenden Anschauungen aufmerksam und h\u00e4lt es deshalb f\u00fcr ratsam, den ersten Teil erscheinen zu lassen. Der Schlufs d\u00fcrfte uns Ostern 1894 erfreuen.\nEinleitend behandelt K. in einem kurzen Paragraphen das Nervensystem im allgemeinen und er\u00f6rtert die Bestandteile des WALDEYERSchen Neurons. Der n\u00e4chste Abschnitt besch\u00e4ftigt sich des genaueren mit","page":204}],"identifier":"lit15514","issued":"1894","language":"de","pages":"202-204","startpages":"202","title":"Lionel Dauriac: Psychologie du Musicien. Revue Philosoph. Bd. XXXV, S. 449\u2013470 u. 595\u2013617, Mai u. Juni 1893","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:11:13.680115+00:00"}