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{"created":"2022-01-31T16:05:35.344410+00:00","id":"lit15536","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 223-227","fulltext":[{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n223\nZeit, als jenem, weil er eben das Bild als Ganzes simultan im Ged\u00e4chtnis hatte und gewissermafsen ablesen konnte, w\u00e4hrend Inaudi die successiven Geh\u00f6rserinnerungen kombinieren mufste.\tJ. Cohn (Leipzig).\nA.\tLalande. Sur les paramn\u00e9sies. Rev. philos. Bd. 36. S. 485\u2014497.\n(Nov. 1893.)\nDugas. Observations sur la fausse m\u00e9moire. Ebenda. Bd. 37. S. 34\u201445.\n(Jan. 1894.)\nB.\tBourdon. La reconnaissance de ph\u00e9nom\u00e8nes nouveaux. Ebenda.\nBd. 36. S. 629\u2014631. (Decbr. 1893.)\nAlle drei Abhandlungen behandeln dasselbe Thema, die Paramnesie oder Erinnerungst\u00e4uschung. Diese besteht in der Illusion, dafs man glaubt, man nehme zum zweiten Male ein Schauspiel, eine Redensart, eine Lekt\u00fcre oder irgend ein anderes Zusammensein von Empfindungen wahr, w\u00e4hrend doch alles dieses in Wirklichkeit neu ist. Die Paramnesie charakterisiert sich durch das Wiedererkennen aller Einzelheiten des Schauspiels oder des wahrgenommenen Objekts. Z. B. wird man hei einer Landschaft nicht nur die allgemeinen Umrisse, sondern jeden Baum, jedes Blatt, jede Wolke, jeden Sonnenstrahl wiedererkennen. Die Erscheinung ist begleitet von einem peinlichen Affekt. Manche Personen empfinden eine Unruhe oder einen Druck in der Brust, andere eine Art von Schwindel. Ein Herr glaubte, Amsterdam wiederzuerkennen, obwohl er zum ersten Male in den Strafsen umherwandelte. Ein anderer bemerkt eine Frau, welche ihm entgegenkommt. Bevor er, durch seine Kurzsichtigkeit beeintr\u00e4chtigt, im st\u00e4nde ist, ihre Z\u00fcge zu unterscheiden, empfindet er eine Ersch\u00fctterung und merkt, dafs er sie schon einmal gesehen hat. Er empfindet ein Gef\u00fchl der Erwartung bis zu dem Augenblicke, wo er ihre Z\u00fcge und Kleidung unterscheiden kann, welche ihm vollkommen bekannt erscheinen.\nDas Subjekt erkennt aber nicht allein die Thatsachen wieder, sondern es sieht die Folgen derselben voraus oder meint, sie vorauszusehen. Ein Physiker, welcher zum ersten Male einem bestimmten Schauspiele beiwohnte, erkannte alle Einzelheiten wieder. Ein an Paramnesie leidender Milit\u00e4rarzt wohnte einem Schauspiele bei. Als ein Schauspieler eine Tirade begann, sagte er sofort die ersten S\u00e4tze davon seinem Freunde.\nDie Paramnesie ist so weit verbreitet, dafs man sie nicht als ein pathologisches Ph\u00e4nomen ansehen kann. Sie kommt h\u00e4ufig bei gesunden Leuten vor, und zwar bei Leuten jeden Standes, Alters und Geschlechtes. Sie wird hervorgerufen durch eine Erregung der geistigen Funktionen und ist das Resultat einer \u00fcberm\u00e4fsigen Anstrengung des Geistes. Auch bei der M\u00fcdigkeit kommt sie vor, wenn dieselbe, wie nach einem langen Marsche, nach einer intellektuellen Arbeit eine erregende ist.\nAnjel (Arch. f. Psychiatrie. Vol. VIII) erkl\u00e4rt die Erscheinung folgendermafsen :\nM\u00f6glicherweise gehen Empfindung und 'Wahrnehmung in diesem Falle getrennt vor sich, nicht, wie sonst, dicht hintereinander. Die Empfindungen werden bei ihrem Auftreten vom Geiste nicht sogleich organisiert und lokalisiert. Wenn er dann endlich diese Arbeit vollbringt,","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nLitteraturbericht.\nerscheint ihm das Resultat schon bekannt und ruft die Illusion hervor. \u2014 Hierzu bemerkt Lalande, dafs, wenn diese Theorie richtig w\u00e4re, eine gewisse Erm\u00fcdung eingetreten sein m\u00fcsse. Diese trete jedoch that-s\u00e4chlich nicht ein, sondern eine Erregung. Auch hat man w\u00e4hrend des Intervalles mehr das Gef\u00fchl des Zweifels, der Aufhebung des Urteils, welches sich nach erfolgter Wahrnehmung in das Gef\u00fchl des Wohlbefindens, der Ruhe, der Billigung der erfafsten Dinge aufl\u00f6st. Ferner bemerkt Lalande, dafs den Beobachtern der Erscheinung am auff\u00e4lligsten nicht das Wiedererkennen der Objekte selbst ist, sondern das der Eindr\u00fccke und Gef\u00fchle, welche zuerst inspiriert worden waren. Aus allen diesen Gr\u00fcnden sei die Hypothese von Anjel unhaltbar.\nLalande selbst giebt zur Erkl\u00e4rung des Ph\u00e4nomens folgendes an: Erstens ist es m\u00f6glich, dafs die Paramnesie erzeugt wird durch die eigenartige und beinahe undefinierbare Beschleunigung, welche der Gedanke auf Augenblicke annimmt. Der menschliche Geist besitzt die F\u00e4higkeit, sich in einigen Sekunden Reihen von Bewufstseinszust\u00e4nden zu vergegenw\u00e4rtigen, welche sonst mehrere Stunden beanspruchen w\u00fcrden. Zweitens haben wir kein Bewufstsein von allen Wahrnehmungen, welche wir empfinden. Kombinieren wir beide Thatsachen, so erkl\u00e4ren sich viele F\u00e4lle von Paramnesie. Angenommen, wir k\u00e4men in eine neue Landschaft, so erblicken wir ein Ganzes von Bildern, -welche der Geist anfangs nicht bewufst unterscheidet. Jetzt denken wir einige Augenblicke an etwas anderes. Wendet sich dann die Aufmerksamkeit wieder zur\u00fcck, so erkennen wir das Fr\u00fchere wieder, aber wir lokalisieren die fr\u00fchere Operation nicht an ihren wahren Platz, erstens wegen des unbestimmten Charakters der erfafsten Bilder, aber vorherrschend wegen des langen Abwendens der Aufmerksamkeit.\nUm das Vorhersehen in der Zeit zu erkl\u00e4ren, nimmt Lalande eine hyper\u00e4sthetische Macht an, welche fast immer unbewufst bleibt und die Gegenst\u00e4nde auf Entfernung unter g\u00e4nzlich ungewohnten Bedingungen durchschauen l\u00e4fst. Diese unnormale und unbewufste Wahrnehmung nennt er \u201eTelepathie\u201c.\nGesetzt, ich ginge mit einem Freunde spazieren. Er denkt einen Satz, welchen er aussprechen will. Eine telepathische Empfindung macht sich geltend, ich empfinde direkt das \u201einnere Wort\u201c, durch welches er den Satz gedacht hat. Aber diese Empfindung, an welche ich gew\u00f6hnt bin, bleibt unbewufst, wenn der Satz nicht wirklich hervorgebracht wird. Wenn er ihn hervorbringt, so wird die akustische Empfindung in dem dunklen Grunde meines Geistes die identische Wahrnehmung erregen, welche ich soeben gehabt habe. Ich werde also glauben, sie wiederzuerkennen, oder ich erkenne sie in Wirklichkeit wieder.\nDer angegebenen Erkl\u00e4rung kommt der Umstand zu gute, dafs diejenigen Personen, welche die klarsten Paramnesien haben, h\u00e4ufige und wirkliche Vorempfindungen haben.\nUnter Bezugnahme auf die Abhandlung von Lalande giebt Dugas folgende Grundgedanken an :\nEs ereignet sich, dafs einem bei der Wanderung in einer unbekannten Gegend ein Fufspfad, ein Bach, eine Person bekannt vorkommt. Das","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n225\nsind jedoch nur partielle Illusionen, welche durch Nachdenken auf gehoben werden. Die Erinnerungsf\u00e4lschung ist eine totale Illusion, welche alle Vernunftgr\u00fcnde der Welt nicht zu ersch\u00fcttern verm\u00f6gen. Jemand ging auf dem Lande spazieren und mufste pl\u00f6tzlich konstatieren, dafs er den eben verflossenen Augenblick schon einmal durchlebt hatte, dieselbe Landschaft, dieselbe Tagesstunde, denselben Zustand des Geistes. Alle F\u00e4lle von Erinnerungsf\u00e4lschung haben die Eigent\u00fcmlichkeit, dafs sie die Wiederkehr eines absolut identischen Eindruckes sind.\nD\u00fcgas unterscheidet die confusion, n\u00e4mlich den partiellen Irrtum, von dem souvenir faux oder dem totalen Irrtum. Die Konfusion bezieht sich auf eine einzelne Wahrnehmung, das falsche Ged\u00e4chtnis auf die Gesamtheit der Wahrnehmungen und der in einem gegebenen Momente thats\u00e4chlich empfundenen Zust\u00e4nde.\nDie Personen, bei welchen sich die Erinnerungsf\u00e4lschungen finden, besitzen eine Intelligenz, welche das Mittelm\u00e4fsige \u00fcbersteigt, einige sind sogar bemerkbar begabt. Die Erinnerungsf\u00e4lschung ist der Erblichkeit unterworfen. Im Flusse der Unterhaltung kommen die Erinnerungsf\u00e4lschungen am h\u00e4ufigsten vor. Die vollendete Form der Erinnerungsf\u00e4lschung ist das Voraussehen der Ereignisse. Einem Kandidaten, welcher ein geschichtliches Examen absolvierte, kam es so vor, als h\u00e4tte er alle an ihn gerichteten Fragen schon einmal geh\u00f6rt, und zwar von demselben Professor, in demselben Saale, mit derselben Stimme.\nMan kann hier von einer Geistesabwesenheit nicht sprechen, wenn das Subjekt eine Unterhaltung f\u00fchrt oder ein Examen durchmacht. Der Geist m\u00fcfste in jedem Augenblicke entfliehen und sich dann wieder in Beschlag nehmen.\nWollte man einen telepathischen Sinn annehmen, welcher im voraus-die Thatsachen annimmt, so w\u00fcrde man nur eine Anomalie durch eine andere erkl\u00e4ren.\nVielmehr ist nach D\u00fcgas die Erinnerungsf\u00e4lschung ein spezieller Fall der Verdoppelung der Pers\u00f6nlichkeit. Denn der erw\u00e4hnte Kandidat h\u00f6rte seine Stimme, als h\u00e4tte er die Stimme einer fremden Person geh\u00f6rt, aber zu gleicher Zeit erkannte er sie als die seinige wieder. Er wufste, dafs er selbst es war, welcher sprach, aber das Ich, welches sprach, machte auf ihn den Eindruck eines verlorenen, sehr alten und pl\u00f6tzlich wiedergefundenen Ich. Diese Verdoppelung findet vielleicht im Gefolge einer pl\u00f6tzlichen Autohypnotisierung statt.\nBourdon behauptet zun\u00e4chst, dafs es schwer sei, beim erwachsenen Manne und beim J\u00fcnglinge eine absolut neue Wahrnehmung zu konstatieren. Zur L\u00f6sung des Problems machte Bourdon einige experimentelle Beobachtungen. Er sprach verschiedenen Personen Beihen von W\u00f6rtern und Buchstaben vor, von denen einige sich wiederholten. Er fand, dafs, wenn die Zahl der zwischen letzteren liegenden Worte grofs war, das wiederholte Wort als solches nicht erkannt wurde. In anderen F\u00e4llen war das wiedererkannte Wort \u00e4hnlich dem, welches wiedererkannt werden sollte. Demnach kann man Ph\u00e4nomene wiedererkennen, welche zum Teil neu sind, und man kann Ph\u00e4nomene f\u00fcr identisch halten, \u25a0welche nur eine schwache. \u00c4hnlichkeit besitzen. \u201eEs bleibt unbestreitbar,\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VII.\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nLitteraturbericht.\ndafs man nicht allein Ph\u00e4nomene wiedererkennen kann, welche mit anderen nur eine partielle objektive \u00c4hnlichkeit besitzen, sondern auch neue Ph\u00e4nomene, oder wenigstens solche, die ebenso neu sind, wie ein von einem Erwachsenen erfafstes Ph\u00e4nomen es sein kann.\u201c \u201eEs ist \u00fcbrigens falsch, dafs das Wiedererkennen notwendigerweise eine doppelte Vorstellung in sich schliefst.\u201c \u201eDas Wiedererkennen ist eine Art von Gef\u00fchl, welches sich innig an das wiedererkannte Ph\u00e4nomen anschliefst, weniger ein Urteil, ein Vergleichen zweier Vorstellungen.\u201c\nEs sei mir verg\u00f6nnt, auf Grund der vorausgehenden Angaben meine eigene Ansicht \u00fcber das vorliegende Problem zu \u00e4ufsern. Man k\u00f6nnte die beiden Arten von Erinnerungsf\u00e4lschung folgendermafsen erkl\u00e4ren: W\u00e4hrend im normalen Zustande des Bewufstseins ein inniger Zusammenhang besteht zwischen den einzelnen Eindr\u00fccken der Aufsenwelt und den an dieselben sich anschliefsenden Elementargef\u00fchlen, ist dieser Zusammenhang im Zustande der Paramnesie unter dem Einfl\u00fcsse einer Erregung in eigent\u00fcmlicher Weise gelockert. Infolge einer Hemmung des Bewufstseins beschr\u00e4nkt sich dasselbe f\u00fcr Augenblicke vorherrschend auf das Innewerden der Erregung, w\u00e4hrend das Aufmerken auf die Eindr\u00fccke der Aufsenwelt dabei zur\u00fccktritt. Letztere sinken unter die Aufmerksamkeitsschwelle und \u00fcben auf die Aufmerksamkeit nur noch eine Gef\u00fchlswirkung aus. Einige Augenblicke darauf kehrt das Bewufst-sein wieder in den normalen Zustand zur\u00fcck. Infolgedessen werden dieselben Eindr\u00fccke jetzt bewufst aufgefafst und verharren oberhalb der Aufmerksamkeitsschwelle, begleitet von Elementargef\u00fchlen, welche den im Bewufstsein von vorhin sich bereits vorfindenden \u00e4hnlich sind. Aus der \u00c4hnlichkeit der Gef\u00fchle schliefst aber das Subjekt f\u00e4lschlicherweise auf die Identit\u00e4t der sie in beiden F\u00e4llen veranlassenden Eindr\u00fccke. Wenn nun unter den Eindr\u00fccken sich einer oder einige befinden, bei denen die mit ihnen richtig oder f\u00e4lschlich identifizierten, vorangegangenen Eindr\u00fccke wirklich einer fr\u00fcheren Vergangenheit angeh\u00f6ren, so wird unter dem Einfl\u00fcsse einer Art von Autohypnotisierung der Gedanke des zeitlichen Auseinanderliegens bei dem Unterscheiden auch der \u00fcbrigen, einander \u00e4hnlich erscheinenden Eindr\u00fccke in erster Linie verwendet. Es kommt dann dem Subjekte so vor, als h\u00e4tte es das ganze Ph\u00e4nomen schon fr\u00fcher einmal erlebt, w\u00e4hrend es doch in Wirklichkeit nur einen oder einige Eindr\u00fccke fr\u00fcher erlebt hatte, welchen die gegenw\u00e4rtigen \u00e4hnlich sind, und welche nun gleichsam als einleitende Momente funktionieren.\nEtwas anders erkl\u00e4rt sich die zweite Art der Erinnerungsf\u00e4lschung, bei welcher das Subjekt die Thatsachen voraussieht. Auch hier mufs wieder die Existenz eines einleitenden Vorganges angenommen werden, welcher dem Gebiete der partiellen Illusionen angeh\u00f6rt, auch hier wieder eine Bewufstseinshemmung, welche eine Lockerung zwischen den Wahrnehmungen und den sich anschliefsenden Elementargef\u00fchlen hervorruft ; aufserdem aber ist hier eine st\u00e4rkere Erregung wirksam, welche das Ged\u00e4chtnis aufr\u00fcttelt und eine grofse Zahl von verwendbaren Analogien und M\u00f6glichkeiten in Bereitschaft setzt, die sich alle auf einen bestimmten Vorstellungskreis beziehen, w\u00e4hrend alle \u00fcbrigen Vorstellungs-","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht\n227\nkreise zur\u00fccktreten. Das bez\u00fcgliche Material ist dann in solcher F\u00fclle herbeigeschafft, dafs es dem Geiste leicht erscheint, auf Grund der wahrgenommenen Umst\u00e4nde und unter Benutzung fr\u00fcherer Analogien das Eintreten gewisser Ereignisse, sowie das Aussprechen gewisser Worte und Redensarten vorauszusehen. Im Hochgef\u00fchl des Beherrschens der Umst\u00e4nde suggeriert sich das Subjekt den Gedanken des Yoraussehens, und unter dem Einfl\u00fcsse dieses Gedankens wird dann f\u00e4lschlicherweise eine Identit\u00e4t zwischen Vorhergesehenem und Eintreffendem angenommen.\nOb es Telepathie in dem von Lalande erw\u00e4hnten Sinne giebt, weifs ich nicht. Jedenfalls w\u00fcrde dann der eben geschilderte Vorgang ein Vorstadium sein, aus welchem sich der telepathische Zustand entwickeln k\u00f6nnte. Sehr wohl kann, wie Dugas behauptet, in den erw\u00e4hnten intensiven Zust\u00e4nden gleichzeitiger Erregung und Hemmung eine momentane Verdoppelung der Pers\u00f6nlichkeit Vorkommen. \u2014 Die Experimente von Bourdon endlich sind f\u00fcr das vorliegende Problem von grofser Wichtigkeit.\nGiessler (Erfurt).\nBourdon. La sensation de plaisir. Rev. philos. Bd. 36. S. 225\u2014237. (Okt 1893).\nBourdon betrachtet die Lust als eine specifische Empfindung, und zwar als die des Kitzels. Der Kitzel gilt ihm dabei nat\u00fcrlich als eine besondere Qualit\u00e4t des Hautsinns. Er h\u00e4lt dabei selbstverst\u00e4ndlich die Unlust f\u00fcr identisch mit der vielfach angenommenen Schmerzempfindung. Um seine Lehre verteidigen zu k\u00f6nnen, unterscheidet er die Lust (le plaisir) vom Angenehmen (agr\u00e9able) und ebenso den Schmerz (la douleur) vom Unangenehmen (d\u00e9sagr\u00e9able). Das Angenehme ist durch N\u00e4herungs-, das Unangenehme durch Abstolsungsbewegungen charakterisiert. Die Lust ist angenehm, aber nicht alles Angenehme erzeugt Lust. Bourdon sucht nun nachzuweisen, dafs die lustvollen Empfindungen aller Sinnesgebiete von leichten Tastreizen begleitet sind. So soll z. B. die Lust an tiefen T\u00f6nen von den Vibrationen des Thorax herr\u00fchren, die beim Aus-stofsen dieser T\u00f6ne entstehen. Was sich so nicht erkl\u00e4ren l\u00e4fst, wird entweder auf Associationen zur\u00fcckgef\u00fchrt oder unter die Kategorie des Angenehmen und Unangenehmen gebracht. Indem die Theorie Bourdons dieser Ausflucht bedarf, weist sie selbst auf die Unm\u00f6glichkeit hin, die Lust als specifische Empfindung zu fassen. In der That n\u00e4mlich ist diese Unterscheidung des Angenehmen von der Lust v\u00f6llig willk\u00fcrlich. Wenn die Empfindung eines tiefen Tones lustvoll ist, ist dann die Consonanz nur \u201eangenehm\u201c, oder erregt etwa auch sie st\u00e4rkeren \u201eKitzel\u201c, als die Dissonanz? Nebenbei sei darauf hingewiesen, dafs st\u00e4rkerer oder l\u00e4ngere Zeit fortgesetzter Kitzel keineswegs lustvoll ist, vielmehr bekanntlich selbst als Folterqual Verwendung gefunden hat.\nJ. Cohn (Leipzig).\n15*","page":227}],"identifier":"lit15536","issued":"1894","language":"de","pages":"223-227","startpages":"223","title":"I. A. Lalande: Sur les paramn\u00e9sies, II. Dugas: Observations sur la fausse m\u00e9moire, III. B. Bourdon: La reconnaissance de ph\u00e9nom\u00e8nes nouveaux. Rev. Philos. Bd. 36, S. 485\u2013497, Nov. 1893, Ebda., Bd. 37, S. 34\u201345, Jan. 1894, Ebda., Bd. 36, S. 629\u2013631, Decbr. 1893","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:05:35.344415+00:00"}