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{"created":"2022-01-31T14:06:28.130273+00:00","id":"lit15549","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Preyer, William T.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 241-248","fulltext":[{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Die Empfindung als Funktion der Keiz\u00e4nderung.\nVon\nW. Preyer.\nDie Notiz \u00fcber die \u00c4nderungsempfindlichkeit (von E. W. Scriptuee (in dieser Zeitschrift VI, S. 472) erinnert mich an Versuche, welche ich zuerst vor einigen zwanzig Jahren \u00fcber die Wirkung sehr langsam und kontinuierlich zu- und abnehmender Hautreize anstellte. Von den Ergebnissen ist nur ein Teil ver\u00f6ffentlicht worden, abgesehen von beil\u00e4ufigen Bemerkungen und dem, was ich in meinen an der Universit\u00e4t Jena gehaltenen Vorlesungen \u00fcber Psychophysik m\u00fcndlich mitteilte. Mannigfaltige Versuche \u00fcber die Unempfindbarkeit sich langsam und stetig \u00e4ndernder thermischer, chemischer und mechanischer Beize haben unter meiner Leitung Heinzmann (Pfl\u00fcgers Arch. 1872, VI) und Featscher (Jemische Zeitschrift f\u00fcr Naturwissenschaft 1875 IX) ausgef\u00fchrt. Einige davon hat Scripture (S. 473) wiederholt und best\u00e4tigt. So konnte er die eben unmerkliche Temperatur\u00e4nderung bis gegen 10\u00b0 ausdehnen. Ich hatte f\u00fcr mich 4\u00b0 gefunden (Pfl\u00fcgers Arch. VI, S. 236). Auch die grofse Zunahme der eben unmerklichen Tonh\u00f6hendifferenz und Tonst\u00e4rkendifferenz bei sehr langsamer kontinuierlicher \u00c4nderung habe ich in verschiedener Weise demonstriert. Am einfachsten \u00fcberzeugt man sich davon an meinemTondifferenzapparat (Preyee, Pie Grenzen der Tonwahrnehmung. Jena 1876, S. 29), indem man die Schieber ganz allm\u00e4hlich vorzieht und zur\u00fcckschiebt. Dann ^st es leicht, die Unterschiedsschwelle ohne Unterschiedsempfindung zu \u00fcberschreiten trotz gespannter Aufmerksamkeit. F\u00fcr Geruchs- und Geschmacksreize gilt dasselbe, wie gelegentliche Beobachtungen darthun. Doch sind dar\u00fcber bis jetzt messende Versuche nicht angestellt worden. Dafs endlich die Zeitschrift f\u00fcr Psychologie VII.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nW. Preyer.\nUnterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Lichtst\u00e4rken und die f\u00fcr Farben weit unter der Norm bleibt, wenn die zu vergleichenden Reiz-werte nicht, wie es bei s\u00e4mtlichen derartigen Bestimmungen \u00fcblich ist, sprungweise, sondern allm\u00e4hlich ineinander \u00fcbergehen, ist nach meinen Beobachtungen nicht zweifelhaft. Sei es, dafs im Spektralapparat das Prisma oder das Fernrohr mit einer Okularspaltvorrichtung kontinuierlich gedreht wird, sei es, dafs am Hauptspalt die Lichtmenge durch kontinuierliche Drehung der Mikrometerschraube ver\u00e4ndert wird \u2014 bei absolut sehr kleinen Differenzen ist das Urteil dar\u00fcber, ob \u00fcberhaupt eine \u00c4nderung stattfand oder nicht, sicherer, wenn jene Drehungen schnell, als wenn sie sehr langsam vor sich gehen. Doch fehlt es auch dar\u00fcber an quantitativen Ermittelungen.\nNichtsdestoweniger ist allein schon durch die f\u00fcr mechanische, chemische und thermische Reize in meinem Laboratorium festgestellte Thatsache von der Wirkungslosigkeit \u00e4ufserst langsam und kontinuierlich und zugleich m\u00f6glichst gleichm\u00e4fsig anwachsender Reize f\u00fcr sensible Nerven bewiesen, dafs sie einem \u00e4hnlichen Gesetz unterworfen sein m\u00fcssen, wie motorische Nerven bei elektrischer Reizung.\nIn der That veranlafst ein gleichm\u00e4fsiger Druck, wie der der Atmosph\u00e4re, wenn er konstant bleibt oder sich sehr langsam kontinuierlich \u00e4ndert, keine Empfindung. Die Temperatur des Quecksilbers, in welches ich einen Finger tauche, liefert, solange sie der Temperatur der Fingerhaut gleich bleibt oder sich nur sehr langsam kontinuierlich davon entfernt keine Temperaturempfindung.\nDagegen findet man, dafs Empfindungen, wie beim pl\u00f6tzlichen Beginn und Ende der mechanischen, chemischen, thermischen Reizeinwirkung, so auch auf blofse Schwankungen der Reizgr\u00f6fse in beliebigem Sinne erfolgen, wofern diese nur schnell genug vor sich gehen und grofs genug sind.\nDieser Satz ist einem \u00e4hnlichen von E. D\u00fc Bois-Reymond ( Untersuchungen \u00fcber tierische EleMricit\u00fct. Berlin 1848, I, S. 258) nachgebildet, welcher vom Bewegungsnerven mit ausschliefs-licher R\u00fccksicht auf elektrische Reize sagte:\n\u201eDagegen findet man, dafs Zuckungen, wie auf \u00d6ffnen und Schliefsen der Kette, so auch auf blofse Schwankungen der Stromdichtigkeit in dem Nerven in beliebigem Sinne erfolgen, wofern sie nur schnell genug vor sich gehen.\u201c","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Die Empfindung als Funktion der Reiz\u00e4nderung.\n243\nAber die Analogie gebt nocb viel weiter, wie die folgende Parallele zeigt. Links steben meine Worte, rechts die von E. du Bois-Reymond :\nS innesnerven.\nNicht der absolute Reizwert in jedem Augenblicke ist es, auf welchen der Sinnesnerv mit einer entsprechenden Empfindung antwortet, sondern die \u00c4nderung dieses \"Wertes von einem Augenblicke zum anderen, und zwar ist die Anregung zur Empfindung, welche diesen \u00c4nderungen folgt, um so bedeutender, je schneller dieselben bei gleicher Gr\u00f6fse vor sich gingen und je gr\u00f6fser sie in der Zeiteinheit waren.\nDenkt man sich die Reiz-gr\u00f6fsen B als Ordinaten auf die Zeiten t als Abscissen aufgetragen\nR = f(t),\nund nennt man ip das Mafs der in jedem Zeitelemente stattfindenden Anregung zur Empfindung oder der psychophysischen Bewegung, so ist ip nach dem obigen eine mit dem Argument irgendwie wachsende Funktion der Steilheit der Reiz-gr\u00f6fsenkurve in jedem Punkte oder des Differentialquotienten derselben\nBewegungsnerven.\nNicht der absolute Wert der Stromdichtigkeit in jedem Augenblicke ist es, auf den der Bewegungsnerv mit Zuckung des zugeh\u00f6rigen Muskels antwortet, sondern die Ver\u00e4nderung dieses Wertes von einem Augenblicke zum anderen, und zwar ist die Anregung zur Bewegung, die diesen Ver\u00e4nderungen folgt, um so bedeutender, je schneller sie bei gleicher Gr\u00f6fse vor sich gingen, oder je gr\u00f6fser sie in der Zeiteinheit waren.\nDenkt man sich die Dichtigkeiten J als Ordinaten auf die Zeit t als Abscisse aufgetragen\nund nennt man\u00ab das Mafs der in jedem Zeitelemente stattfindenden Anregung zur Bewegung oder der Erregung, so ist s nach dem Obigen eine mit dem Argument irgendwie wachsende Funktion der Steilheit der Dichtigkeitskurve in jedem Punkte oder des Differentialquotienten derselben\nDas von E. du Bois-Reymond zuerst in strenge Form gebrachte allgemeine Gesetz der Erregung motorischer Nerven\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nW. Preyer.\ndurch, den elektrischen Strom, dessen Wortlaut rechts steht, ist ein Specialfall eines f\u00fcr Sinnesnerven und Muskelnerven zusammen, wahrscheinlich auch f\u00fcr sekretorische, hemmende und elektrische Nerven g\u00fcltigen und alle ad\u00e4quaten Reize umfassenden allgemeineren Gesetzes. Am k\u00fcrzesten kann dieses fundamentale Gesetz der Nervenreizung folgendermafsen formuliert werden :\nDer Erfolg einer Nervenreizung nimmt zu und ab mit der Geschwindigkeit, mit welcher die Reiz-gr\u00f6fse sich \u00e4ndert, und mit dem Abstande der Grenzwerte, innerhalb welcher die positive oder negative Schwankung der Reizgr\u00f6fse sich vollzieht.\nDie letztere Bestimmung der Schwankungsgr\u00f6fse ist deshalb notwendig, weil auch die gr\u00f6fste Schwankungsgeschwindigkeit keinen Erfolg hat, d. h. keine Empfindung, keine Muskelkontraktion ausl\u00f6st, wenn beide Grenzwerte innerhalb der Unterschiedsschwelle oder unterhalb der Reizschwelle liegen. Die Reizschwelle selbst aber bezeichnet den oberen Grenzwert derjenigen Reizzunahme, deren Anfangswert Null ist. Auf allen Sinnesgebieten, wie f\u00fcr alle motorischen Nerven und f\u00fcr jede ad\u00e4quate Reizung ist also die Reizschwelle nur eine Unterschiedsschwelle mit dem einen Grenzwert Null.\nDiese wichtige Thatsache, welche auch Fechner in der einzigen Unterredung, die ich jemals mit ihm hatte, anerkannte, wird in die Formel f\u00fcr das allgemeine Gesetz aufzunehmen sein. Sie ist in der von du Bois-Reymond 1848 gegebenen Formulierung des Gesetzes f\u00fcr die durch elektrische, also inad\u00e4quate Reize erregten motorischen Nerven nicht zum Ausdruck gekommen, weil damals von der elektrischen Reizschwelle und Unterschiedsschwelle der Muskelnerven und Muskelfasern noch nicht die Rede war. Die Funktion\nd. h. die Gr\u00f6fse der Muskelzusammenziehung (iZj ist eine Funktion der Stromdichte und der Geschwindigkeit der Schwankung derselben, ist aufserdem wahrscheinlich (Preyer, Das myophysische Gesetz, Jena, 1874) die logarithmische.\nDie Empfindung ist niemals etwas anderes, als ein empfundener Reizunterschied (Preyer, Elemente der","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Die Empfindung als Funktion der Beiz\u00e4nderung.\n245\nreinen Empfindungslehre, Jena 1877, und Wissenschaftliche Eriefe von Gustav Theodor Fechner und W. Preyer, Hamburg, Leopold Yoss, 1890. F\u00fcr sie gilt ganz dasselbe\nInzwischen hat Scripture a. a. 0. f\u00fcr die eben unmerklichen Tonh\u00f6henunterschiede denselben Ausdruck formuliert. Er gilt innerhalb gewisser Grenzen f\u00fcr alle Empfindungen und alle ad\u00e4quaten Eeize. Denn auf jedem Sinnesgebiet mufs die Schwankung vom indifferenten, wie von dem schon mit Empfindung behafteten Erregungszust\u00e4nde aus eine gewisse grofse Geschwindigkeit und eine gewisse Gr\u00f6fse erreichen, um \u00fcberhaupt eine \u00c4nderung im Centrosensorium herbeizuf\u00fchren, w\u00e4hrend die Erregung des peripheren Nerven und die psychophysische Bewegung schon bei der geringsten Geschwindigkeit und unendlich kleinen Schwankungsgr\u00f6fse beginnt. Darauf will ich jedoch hier nicht eingehen.\nEs hat nun ein erhebliches psychologisches Interesse, zu wissen, ob auch innere Reize, welche auf nerv\u00f6se Centren wirken, demselben Gesetze gehorchen. Ich habe dar\u00fcber nicht wenige Versuche ausgef\u00fchrt und Thatsachen gesammelt. Sie f\u00fcgen sich vollst\u00e4ndig dem obigen.\nDie cerebralen motorischen Centren sind der k\u00fcnstlichen langsamen kontinuierlichen Reizung schwer zug\u00e4nglich. Es giebt aber ein niederes Centrum, welches unter gewissen Umst\u00e4nden so langsam durch einen stetig wachsenden Reiz gereizt wird, dafs es zu keiner Kontraktion der normalerweise rhythmisch von ihin aus in Th\u00e4tigkeit gesetzten Muskeln kommt: das Atmungscentrum im Halsmark. B. S. Schultze in Jena hat den von ihm zuerst n\u00e4her beobachteten und gew\u00fcrdigten Fall, dafs ein neugeborenes Kind, welches apnoisch zur Welt kommt und, ohne eine einzige Atembewegung zu machen, asphyktisch stirbt, jedenfalls in der Hauptsache richtig gedeutet (B. S. Schultze, Der Scheintod Neugeborener, Jena 1871), indem er annimmt, dafs der mit der Sauerstoffabnahme des Blutes steigende Atmungsreiz nach Unterbrechung der Placentar-atmung zu langsam wachse, um eine f\u00fcr die Ausl\u00f6sung der Muskelbewegung gen\u00fcgende Erregung des Centrums zu st\u00e4nde","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nW. Preyer.\nkommen zu lassen. Ick habe diesen Fall und den ihm entsprechenden des in der unverletzten Eihaut geborenen apnoischen S\u00e4ugetieres, welches, ohne eine Atembewegung zu machen, stirbt, schon fr\u00fcher (Specielle Physiologie des Embryo, Leipzig 1885, S. 170) ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert und experimentell untersucht. Es ist gewifs, dafs wenigstens das Respirationscentrum dem obigen allgemeinen Gesetz der Nervenreizung gehorcht.\nF\u00fcr das mit ihm eng verbundene Krampfcentrum gilt dasselbe. Denn schon im Jahre 1858 hat Wilhelm M\u00fcller in Ludwigs Laboratorium in Wien die entscheidenden Versuche, freilich in anderer Absicht, ausgef\u00fchrt. Ein Kaninchen atmet Sauerstoffgas aus einem geschlossenen, auf Quecksilber schwimmenden Glasgef\u00e4fse. In dasselbe atmet es aus. Das Gef\u00e4fs ist urspr\u00fcnglich mit reinem Sauerstoffgas gef\u00fcllt. Nun zeigt es sich, dafs das Tier keine Dyspnoe bekommt, wenn es s\u00e4mtliche ausgeatmete Kohlens\u00e4ure mit dem Sauerstoff wieder einatmet. Das Gef\u00e4fs wird gasleer. In diesem Falle wird mit jeder Inspiration ein wenig mehr Kohlens\u00e4ure, als mit der vorhergehenden eingeatmet und anfangs die normale Sauerstoffmenge, sp\u00e4ter ganz allm\u00e4hlich immer weniger von diesem Gase mit jedem Atemzuge aufgenommen. Dabei nimmt die Reizung des von kontinuierlich in Kapillaren str\u00f6mendem Blute gespeisten Atmungs- und Krampfcentrums so langsam zu, dafs schliefslich wegen der inzwischen zu tief gesunkenen Erregbarkeit selbst der durch Sauerstoffmangel maximal gewordene innere Reiz keine verst\u00e4rkte Atm\u00fcng, keine Erstickungskr\u00e4mpfe hervorrufen kann. Von der Richtigkeit der Thatsache, dafs das Tier unter diesen Umst\u00e4nden, wenn \u00e4ufsere Reize fehlen, ganz ruhig, wie in einer Narkose, stirbt, habe ich mich selbst \u00fcberzeugt.\nNoch auffallender zeigt sich die Wirkungslosigkeit \u00fcber einen langen Zeitraum ausgedehnter, sonst unfehlbar krampferregender Reize bei der Verblutung. Die epileptoiden Konvulsionen, welche nach schneller Blutentleerung (z. B. beim Schlachten durch den Halsschnitt) konstant auftreten, bleiben nach meinen Versuchen g\u00e4nzlich aus, wenn man das Tier sehr langsam verbluten l\u00e4fst.\nEin \u00fcber 25 kg schwerer Jagdhund wurde in der R\u00fcckenlage festgebunden.\n10 U. 20 M. legte ich die linke Schenkelarterie blofs ; ein Stich in dieselbe liefs einen h\u00f6chstens 1 mm dicken Blutstrahl, der w\u00e4hrend der","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Die Empfindung als Funktion der Reiz\u00e4nderung.\n247\nnun folgenden anderthalb Stunden noch durch Digitalkompression abgeschw\u00e4cht wurde, zum Vorschein kommen. Das Tier zittert offenbar vor Angst, wird aber nach einem einzigen effektlosen Befreiungsversuche ganz ruhig.\n10\tU. 40 M. Herz 120 bis 128 in 1 Min.\n10\tTT. 45 M. Herz 117.\n10\tTJ. 52 M. Respiration 48 in 1 Min.\n11\tTJ. 0 M. Herz 116.\n11\tTJ. 6 M. Herz 120.\n11\tTJ. 9 M. Herz 140.\n11 TJ. 14 M. Herz 150.\n11 TJ. 23 M. Herz 176.\n11 TJ. 28 M. Herz 160. Zittern, wie vor K\u00e4lte.\n11 TJ. 29 M. Resp. 22 in 1 Min.\n11 TJ; 50 M. Digitalkompression unterbrochen.\n11\tTJ. 55 M. Herz \u00fcber 200.\n12\tTJ. 5 M. die andere Schenkelarterie ge\u00f6ffnet ; es fliefst nur noch sehr wenig Blut aus. Schwache Brechbewegungen.\n12\tTJ. 14 M. Herz 80 in 1 Min. Respiration erlischt ; es erfolgen nur noch schwache inspiratorische Zuckungen. Das Tier streckt sich und bewegt sich dann nicht mehr, abgesehen von einer schwachen Brechbewegung.\n12\tTJ. 16 M. Herz unregelm\u00e4fsig und schwach : 32 Schl\u00e4ge in 18 Sek.\n12 TJ. 17 M. Herzschl\u00e4ge sehr schwach : 18 in 15 Sek.\n12 TJ. 18 M. Herzstillstand.\nW\u00e4hrend der ganzen Dauer des Versuches von zwei Stunden fand keine krampfhafte Bewegung, \u00fcberhaupt keine Bewegung statt, welche mit den heftigen Verblutungskonvulsionen irgend welche \u00c4hnlichkeit gehabt h\u00e4tte.\nDas vor\u00fcbergehende Zittern, die schwachen Brechbewegungen vor und nach der Streckbewegung sind ebenso wie die wenigen effektlosen Inspirationen zuletzt von den epileptoiden Kr\u00e4mpfen Verblutender g\u00e4nzlich verschieden und auch bei anderen Todesarten h\u00e4ufig.\nSomit unterliegt es keinem Zweifel, dafs man durch stetiges Verblutenlassen den starken centromotorischen Reiz wirkungslos machen kann. Indessen mufs man in der That das Blut sehr langsam austreten lassen. Ein Kaninchen, welchem ich zuerst die linke, dann die rechte Vena saphena, hierauf die rechte und endlich die linke Jugularvene \u00f6ffnete, so dais das Blut ohne nennenswerte Unterbrechung in einem kontinuierlichen, immer langsamer fliefsenden Strome den K\u00f6rper veriiefs, starb nach ungef\u00e4hr 25 Minuten, nachdem noch die beiden Schenkelarterien ge\u00f6ffnet worden waren, ohne dafs jedoch daraus mehr","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nW. Preyer.\nals ein paar Tropfen Blut zum Vorschein kamen. Dieses Tier starb nun nicht, ohne heftige Bewegungen ausgef\u00fchrt zu haben, welche zweimal einen entschieden konvulsivischen Charakter hatten; auch war die Reflexerregbarkeit erh\u00f6ht. Indessen kamen jene krampfhaften Bewegungen den gew\u00f6hnlichen Verblutungskr\u00e4mpfen an Dauer und Intensit\u00e4t durchaus nicht gleich. Der Versuch zeigt also, dafs der Zeitraum von 25 Minuten zu kurz ist, um die centrale Reizung wirkungslos zu machen.\nJedenfalls sind derartige rein physiologische Versuche \u2014 auch mit langsam kumulativ wirkenden Hirngiften \u2014 von erheblichem psychologischem Interesse und schliefsen sich an die in mannigfaltiger Weise ausf\u00fchrbaren erstbesprochenen Untersuchungen \u00fcber die k\u00fcnstliche periphere Erh\u00f6hung der Empfindungsunterschiedsschwelle und Reflexschwelle auf allen Sinnesgebieten an.\nDas allgemeine Gesetz der Nervenreizung aber umfafst eine Reihe von Thatsachen, welche psychogenetisch wichtig sind. Denn es ist eine f\u00fcr die Einrichtung des Lebens vorteilhafte Eigenschaft des Nervensystems, dafs es viel leichter auf schnelle und grofse \u00c4nderungen in seiner n\u00e4chsten N\u00e4he reagiert, als auf stetige und kleine \u00c4nderungen. Durch un-mefsbar lange Entwickelungszeiten mufs das centrale Nervensystem diese Anpassung erworben haben, so dafs nicht das Werden, sondern nur das Gewordene unmittelbares Objekt der Wahrnehmung sein kann.","page":248}],"identifier":"lit15549","issued":"1894","language":"de","pages":"241-248","startpages":"241","title":"Die Empfindung als Funktion der Reiz\u00e4nderung","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:06:28.130279+00:00"}