Open Access
{"created":"2022-01-31T16:00:26.774486+00:00","id":"lit15557","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 318-319","fulltext":[{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nLitteraturbericht.\nSamuel Wilks. The Origin of Music. Med. Magazine. London. Jan.\n1894. S. 503\u2014511.\nVerfasser kommt nach einer Kritik der Theorien Darwins, Spencers und Weismanns auf jene Theorie zu sprechen, welche die Musik psychologisch aus dem Zeitsinn entstehen l\u00e4fst, und sagt, dafs \u201eder Sinn f\u00fcr Rhythmus (rhythmical sense) oder Zeitsinn dasselbe sei, wie der Muskelsinn, den Physiologen schon l\u00e4ngst als einen wichtigen Teil der musikalischen Bef\u00e4higung erkannt haben\u201c (p. 511). Taktschlagen sei in der That nichts anderes, als eine An- und Abspannung der Muskel. Diese Ansicht d\u00fcrfte Psychologen und Musiker \u00fcberraschen, denn Takt ist bekanntlich noch etwas mehr, als blofse Muskelspannung. Wir haben alle Muskelsinn, aber nicht jeder hat den musikalischen Zeitsinn (Taktgef\u00fchl) . \"\u00dcberdies ist Sinn f\u00fcr Rhythmus und Zeitsinn auch nicht dasselbe (vergl. die viel tieferen Auseinandersetzungen Dauriacs1); so kann z. B. der Papagei den Rhythmus eines Liedes ganz korrekt wieder-geben und hat doch kein Taktgef\u00fchl. Takt erfordert einen Grad von Beobachtung, von Auffassung, den kein einzelner Sinn, auch nicht der Muskelsinn, enth\u00e4lt. Allerdings ist es schwer, \u00fcber Takt im Englischen zu sprechen (\u2018time\u2019 heifst auch Zeitmafs), die Sache mufs umschrieben werden, und darauf mag zum Teil Wilks\u2019 Verwirrung zur\u00fcckzuf\u00fchren sein. James Sully sprach in seiner Psychologie einfach von \u2018time in the sense of the German Takt\u2019, und das war jedenfalls das beste Auskunftsmittel. Wilks sagt auch, dafs er selbst schon fr\u00fcher die Theorie verfochten habe, dafs der Muskelsinn einen wichtigen .Bestandteil der musikalischen F\u00e4higkeit bilde. In der citierten Stelle erw\u00e4hnt er, dafs unser rhythmisches Atmen, Taktz\u00e4hlen, Accentuieren von Versen etc. eine physiologische Muskelleistung sei. Gewifs, aber das alles hat mit dem Taktgef\u00fchl nichts zu thun, denn es kann vor sich gehen mit und ohne Wissen vom Takt. Und das ist es, was Wilks \u00fcbersieht: Rhythmus ist Empfindung, Takt ist Auffassung. Wenn wir schon taktm\u00e4fsig auffassen, auf Grund einer Empfindung, so ist doch die Geh\u00f6rsempfindung der weit h\u00e4ufigere und wichtigere Anlafs dazu. Es kann ja sein, dafs eine taktm\u00e4fsige Auffassung auf Grund einer Muskelempfindung entsteht, aber es m u fs nicht sein, und die Muskelempfindung allein wird nie den musikalischen Geist ausmachen, ebensowenig, als es die Geh\u00f6rsempfindung allein thut, dazu mufs der kortikale Vorgang der taktm\u00e4fsigen Auffassung hinzukommen, und deshalb liegt dort, im Cortex, nicht im Muskel oder Ohr allein, der Ursprung der Musik. Ich gebe Wilks vollkommen zu, dafs die Zeitsinn-Theorie keineswegs vollkommen originell sei, diesen Anspruch hat auch meines Wissens nie jemand erhoben, aber die Autorit\u00e4ten, die Wilks als Vorg\u00e4nger citiert (Jubal, Pythagoras, George Elliot), haben vom Zeitsinn als Ursprung der Musik ebensowenig gesprochen, wie er selber. Zum Schlufs macht Wilks eine Bemerkung, die ihm den Zusammenhang zwischen Muskelsinn und Musik erkl\u00e4rt : \u201eIch habe Leute sagen h\u00f6ren, dafs beim Lesen der Musik eine unmerkliche Bewegung der Muskeln der Kehle stattfinde, oder auch nur\n1 Bespr. in dieser Zeitschrift. Bd. VII. S. 202 f.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n31&\neine blofs vorgestellte Bewegung, und dies scheint durchaus notwendig zu sein zur vollen W\u00fcrdigung des Liedes oder der Melodie.\u201c Obgleich die Bemerkung absolut nichts zu thun hat mit dem Ursprung der Musik aus dem Zeitsinn, und durchaus nichts mit der behaupteten Identit\u00e4t des Muskelsinnes und Zeitsinnes, so ist sie doch ungemein charakteristisch. Seit zehn Jahren bildet die Frage, ob wir mit der Musikvorstellung Bewegungen oder Bewegungsvorstellungen associierem m\u00fcssen, eine der wichtigsten und gew\u00f6hnlichsten Diskussionen der physiologischen Litteratur, die seit Stumpf und Stricker bis auf Charcot und -Ribot zu einer kleinen Bibliothek angewachsen ist, und nun pr\u00e4sentiert uns der Verfasser die Frage in ihrem urspr\u00fcnglichen Stadium mit einer bibliographischen Unbefangenheit, als wenn sie wirklich eine unbekannte Neuheit w\u00e4re. Wir d\u00fcrfen unter diesen Umst\u00e4nden doch hoffen, dafs er mit der Zeit noch die weiteren Stadien dieser Frage samt deren wahrscheinlicher L\u00f6sung vom H\u00f6rensagen kennen lernen wird, verzichten aber im Vorhinein darauf, den gegenw\u00e4rtigen Stand, nach zehn Jahren als Neuigkeit mitgeteilt zu h\u00f6ren.\nWallaschek (London).\nB. Bourdon. L\u2019expression des \u00e9motions et des tendances dans le langage.\nParis. Alcan. 1892. 374 S. Fr. 7.50.\nWie keine Form ohne Inhalt ist, so giebt es eine ganze Reihe von mehr formalen Bestandteilen und Eigenschaften des sprachlichen Ausdruckes, welche, obgleich scheinbar fast nur \u00e4ufserlich, dennoch als Folge eines inneren Grundes zu betrachten sind. Nicht um den Unterschied der sogen, formlosen und Formsprachen, um die Verschiedenheit der Grammatik handelt es sich hier, sondern haupts\u00e4chlich um den Einflufs, den Tendenzen und Emotionen auf die sprachlichen Aufserungen \u00fcben. Tendenz ist psychophysische Neigung oder Wesensrichtung; Emotion Steigerung des organischen Durchschnittes. Da ist zun\u00e4chst zu fragen, welche Wirkung beide auf die Elementar-Ph\u00e4nomene des Wortes haben, d. h. auf Intensit\u00e4t, Tonh\u00f6he, Wahl des Lautes, Dauer, Sprechpausen. Tendenz ist z. B. das Vorherrschen der Dentale \u00fcber die Labiale, dieser \u00fcber die Gutturale. Ist die Wahl der Laute meist eigentlich keine Wahl zu nennen, so ist ihre Dauer schon eher von der Emotion abh\u00e4ngig. Auch bei der Verteilung der Intensit\u00e4ten ist das subjektive Element der Emotion beteiligt. Zwar ist die Intensit\u00e4t im allgemeinen eine abnehmende, da das Wichtigste vorangestellt zu werden pflegt (in Tonh\u00f6he, Phrase und Satz \u2014 dessen Definition S. 233 \u2014), aber die Anordnung sprachlich dargestellter objektiver Ereignisse unterliegt doch der Subjektivit\u00e4t des Redenden. Eine besondere Behandlung verlangt der Accent (131 f.) und der Vers (303 f.), zu dem auch wesentlich Assonanz und Alliteration geh\u00f6ren (184 f.) Den Anfang der Syntax bildet die primitive Wortfolge \u2014 soweit sie uns erreichbar ist. Verfasser weist nach, dafs dabei euphonische R\u00fccksichten mitspielen, wie man auch in der Anwendung einfacher Laute Abwechselung liebt (167). Zu den zusammengesetzten Ph\u00e4nomenen, denen das dritte Buch gewidmet ist, geh\u00f6rt auch die Zahl der W\u00f6rter im Satz, f\u00fcr die Verfasser zu verschiedenen Zeiten aus-","page":319}],"identifier":"lit15557","issued":"1894","language":"de","pages":"318-319","startpages":"318","title":"Samuel Wilks: The Origin of Music. Med. Magzine, S. 503\u2013511, London 1894","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:00:26.774495+00:00"}