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{"created":"2022-01-31T16:09:18.043550+00:00","id":"lit15569","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meumann, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 402-405","fulltext":[{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nLitteraturbericht.\nphysiologischen \u00c4quivalent der psychischen Vorg\u00e4nge, wird zu Unrecht als das einzige hingestellt, das \u00fcberhaupt die Psychologie zu l\u00f6sen habe ; ein Forschungsobjekt, das, fr\u00fcher vernachl\u00e4ssigt, in den letzten Jahren erst die geb\u00fchrende Beachtung und Untersuchung gefunden hat, n\u00e4mlich die Empfindung, wird unberechtigterweise zum Allerweltsprinzip gemacht, das jedem Bewufstseinsakt, heifse er nun Wille oder Gef\u00fchl, zu Grunde liegen m\u00fcsse. \u2014 Diese Einseitigkeiten und \u00dcbertreibungen sind vorhanden, und es kann nur von Vorteil sein, wenn ein Forscher wie Ward auf dieselben aufmerksam macht und sie der Kritik unterzieht. Freilich, so allgemein wie er es glaubt, sind jene Erscheinungen doch wohl nicht; die Mehrzahl der modernen Psychophysiker und Experimentalpsychologen hat wohl Besonnenheit genug, um die Schranken ihres Gebiets und ihrer Methodik zu erkennen. W.s Kritik gilt, wie mir scheint, insbesondere jenseits des Oceans.\nAllein mit den obengenannten Fehlern ist das S\u00fcndenregister der \u201emodernen\u201c Psychologie nach W. noch nicht ersch\u00f6pft, ja sie werden sogar nur beil\u00e4ufig gestreift, w\u00e4hrend der Hauptteil der W.schen Ausf\u00fchrungen sich um einen anderen Punkt dreht, um die Begriffe des \u201eSubjekts\u201c, des \u201eIch\u201c, des \u201eSelbstbewufstseins\u201c. Der \u201emoderne\u201c Psychologe wolle das Subjekt objektivieren, das \u201eIch\u201c zu einem \u201eMich\u201c machen, das Bewufstsein in eine Reihe von \u201eBewufstseinsinhalten\u201c aufl\u00f6sen. Er \u00fcbersehe, dafs das Selbstbewufstsein nicht ein seelischer Vorgang neben vielen anderen sei, sondern das einigende Band zwischen ihnen, die Form ihrer Beziehung; er beachte nicht, dafs dasich sichnicht selbst vorstellen kann, weil es es selber ist. Sogar Wundt, der ja in der \u201eApperception\u201c die spontane Th\u00e4tigkeit des subjektiven Ich postuliere, falle in dem Augenblicke dem gleichen Fehler anheim, da er im Gehirn ein besonderes Centrum f\u00fcr diese Apperception neben den Centren anderer Seelenvorg\u00e4nge aufzustellen suche. \u2014 Nun mag zugegeben werden, dafs die neueren Psychologen thats\u00e4chlich ziemlich allgemein das Bestreben zeigen, die Ichvorstellung, das Selbstbewufstsein u. s. w einer psychologischen Analyse zu unterziehen und als kommensurabel mit anderen Seelenerscheinungen zu betrachten. Die Frage, ob sie hierzu berechtigt sind, will ich an dieser Stelle nicht untersuchen, nur auf eines m\u00f6chte ich hinweisen. Derartige Bestrebungen treten wohl auf in der modernen Psychologie, aber sie sind nicht ihr allein eigent\u00fcmlich. Vielmehr sind sie seit Hume nicht mehr vom Schauplatze der Forschung verschwunden und haben w\u00e4hrend unseres Jahrhunderts in der Schule Herbarts die ausgepr\u00e4gteste Gestalt angenommen. Mag man daher jenen Versuchen je nach dem Standpunkte, den man einnimmt, die Berechtigung zu- oder absprechen: ein Charakteristikum speziell der \u201emodernen\u201c Psychologie scheinen sie mir jedenfalls nicht zu sein.\tW. Stern (Berlin)\n1.\tR. von Koeber: JEAN Pa\u00fcLs Seelenlehre. Schriften der Gesellsch. f\u00fcr psychologisch Forschung. Heft 5. S. 517\u2014551. Leipzig. Abel. 1893.\n2.\tMix Offner: Die Psychologie Charles Bonnets. Ebda. S. 553\u2014722.\nDas f\u00fcnfte Heft der Schriften der Gesellschaft f\u00fcr psychologische Forschung enth\u00e4lt zwei Beitr\u00e4ge zur Geschichte der Psychologie.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n403\nR.\tvon Koeber hatte die Aufgabe, die in den verschiedenen Werken Jean Pauls zerstreuten Ans\u00e4tze zu einer Betrachtung des Seelenlebens zu einem geordneten Ganzen zusammenzuf\u00fcgen. Der Verfasser hat sich die Sache dadurch leicht gemacht, dafs er sich in der Sammlung des Materials sehr beschr\u00e4nkt, indem er im wesentlichen nur auf diejenigen Schriften Jean Pauls eingeht, in denen der genannte Autor seine Ansichten in mehr zusammenh\u00e4ngender Form vorgetragen hat. w\u00e4hrend eine ausgiebige Benutzung der zahlreichen Aphorismen, gelegentlichen Bemerkungen, geistreichen Einf\u00e4lle, die sich fast in jedem Kapitel Jean PAULScher Werke finden, sicherlich eine nicht minder dankenswerte, wenn auch schwierigere Aufgabe gewesen w\u00e4re.\nVerfasser charakterisiert zun\u00e4chst die Stellung Jean Pauls in der Philosophie seiner Zeit, er rechnet ihn einmal zu den Gef\u00fchls- und Glaubensphilosophen, sodann mit einer etwas einseitigen Charakteristik der Romantik als moderner Mystik zu den Romantikern. Die Vertreter der Romantik, Mystik und Glaubensphilosophie sollen das Gemeinsame haben, dafs f\u00fcr sie das \u201eUnbewufste\u201c im mehr popul\u00e4ren Sinne dieses Wortes von grundlegender Bedeutung f\u00fcr ihre Weltauffassung wird. Die W\u00fcrdigung des Unbewufsten bilde auch die Grundlage der Psychologie Jean Pauls. In den Beweisen f\u00fcr das Unbewufste und seine Bedeutung im menschlichen Seelenleben k\u00f6nnte man versucht sein das charakteristische Forschungsmotiv der psychologischen Studien Jean Pauls zu finden. Die Thatsachen des Instinkts, des Genies, des Traumlebens (\u00fcber das Jean Paul einige wertvolle Beobachtungen gemacht hat, vergl.\nS.\t534) des \u201eorganischen Magnetismus\u201c sind ihm die Hauptbeweispunkte f\u00fcr das Vorhandensein und die Bedeutung der Welt des Unbewufsten. Diese letztere wird ihm dann wieder zum \u201eErkenntnisgrund der \u00fcbersinnlichen Welt\u201c. Es ist f\u00fcr Jean Paul bezeichnend, dafs das Studium der \u201emagnetischen Erscheinungen\u201c ein besonders umfangreiches Kapital seiner Psychologie bildet. Der Versuch, dieselben zu erkl\u00e4ren, f\u00fchrt ihn zu dem Postulat eines zweiten Leibes, des eigentlichen Seelen- oder Atherleibes als des Tr\u00e4gers der somnambulen Wirkungen. In dem \u00c4therleib wiederum findet er das Mittel, um die Lehre von der Unsterblichkeit, auf die er ganz besonderen Wert legte, zu begr\u00fcnden. Es mag bemerkt werden, dafs die k\u00fcrzlich erschienene Monographie von Jos. M\u00fcller: Jean Paul und seine Bedeutung f\u00fcr die Gegenwart, M\u00fcnchen 1894 (vergl. auch desselben Verfassers Dissertation: Die Seelenlehre Jean Pauls, M\u00fcnchen 1894)unserm Autor vorwirft, er habe in offenbarem \u201cWiderspruch mit des Dichters klaren Worten\u201c \u201edie Wiederverk\u00f6rperung\u201c \u201eals wirkliche Lehre\u201c Jean Pauls hingestellt (a. a. O. S. 173). Im Widerspruch mit der Lehre Jean Pauls steht die Annahme der Wiederverk\u00f6rperung jedenfalls nicht. Es wird sich eben fragen, was man unter diesem Begriff versteht. Als Fortexistenz des \u00c4therleibes ist die leiblich-geistige Existenz nach dem Tode jedenfalls unerl\u00e4fsliche Konsequenz der Lehre Jean Pauls.\nGerade in diesem Punkte ber\u00fchrt sich Jean Paul mit Bonnet, auf den er sich f\u00fcr die Theorie des \u00c4therleibes ausdr\u00fccklich beruft (vergl. S. 539).\nDie Darstellung der Psychologie Bonnets ist der Gegenstand der\n20*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nhitteraturbericht.\nzweiten, weit ausf\u00fchrlicheren Arbeit dieses Heftes der \u201eSchriften\u201c. Der Verfasser derselben, Max Offner beherrscht die Mittel der modernen historischen Methode. In einem ersten Abschnitte \u201eBonnets Schriften zur Psychologie\u201c wird uns eine sehr vollst\u00e4ndige Geschichte dieser Schriften geboten, durch die ihr Verfasser seine bestimmte chronologische und sachlich-historische Einreihung erh\u00e4lt und der quellenm\u00e4fsige Grund gelegt wird zu dem im Verlauf der ganzen Arbeit durchgef\u00fchrten Nachweis der verschiedenen Einfl\u00fcsse, die Bonnets Ansichten erfahren haben, bezw. seiner Originalit\u00e4t gegen\u00fcber Zeitgenossen und Vorg\u00e4ngern. Sodann wird in 3 Abschnitten \u201eBonnets Lehre vom Vorstellungsleben\u201c \u201eBonnets Lehre vom Gef\u00fchlsleben\u201c, \u201eBonnets Lehre vom Willensleben\u201c das psychologische System Bonnets entwickelt. Dasselbe erh\u00e4lt in dem 5. Abschnitte \u201eBonnets Unsterblichkeitslehre ; sein Einflufs auf Sp\u00e4tere\u201c eine kurze, die Hauptpunkte zusammenfassende Charakteristik, worauf die Nachwirkungen der BoNNETSchen Psychologie verfolgt werden. Es ist unm\u00f6glich, den Gedankengang der Schrift \u00d6ffners im einzelnen wiederzugeben. Bonnet wird in der Hauptsache charakterisiert durch die konsequente Durchf\u00fchrung der physiologischen Er kl\u00e4r ungs weise psychologischer Ph\u00e4nomene, in dieser mutet er uns so modern an, dafs man sagen darf, in der Erkl\u00e4rung der physiologischen Grundlage des Ged\u00e4chtnisses, des Wieder-erkennens (der Assoziationsthatsachen), des Vergessens, der Gew\u00f6hnung, geht unsere heutige Auffassung vielfach nicht wesentlich \u00fcber Bonnet hinaus. Man mufs erstaunen, bei Bonnet schon die Lehre von den spezifischen Energien und dem ad\u00e4quaten Beiz (S. 580), von der Enge des Bewufstseins (die letztere sogar durch \u201eeine Reihe von Experimenten\u201c best\u00e4tigt, S. 593), eine sehr ausf\u00fchrliche Er\u00f6rterung der Assoziationsgesetze (594 ff.) und eine Theorie der Hallucinationen (610 ff.) zu finden. Ganz besondere Beachtung schenkt der Verfasser dem Verh\u00e4ltnis Bonnets zu Condillac und Locke. Eines der Ergebnisse dieses Vergleiches ist, dafs Bonnet nicht als Sensualist betrachtet werden darf (S. 637 ff.), da er neben den sinnlichen Ideen als zweite Erkenntnisquelle \u201edas Nachdenken (Reflexion)\u201c anerkennt, welches in der \u201eBearbeitung der sinnlichen Idee\u201c besteht, er entfernt sich aber wieder von Locke, indem die Reflexion nicht n\u00e4her bestimmt wird durch spezielle Angabe des geistigen Materials, das aus dieser zweiten Erkenntnisquelle fliefsen soll, vielmehr schrumpfe die Reflexion in die Behauptung einer Aktivit\u00e4t der Seele ohne n\u00e4here Angabe der Leistungen dieser Aktivit\u00e4t zusammen. Bemerkenswert ist auch die Hervorhebung der rationalistischen Elemente in Bonnets Philosophie (vergl. S. 619 ff.) Mit vollem Recht hat der Verfasser die Meinungen seines Autors nicht einfach registriert, sondern der historischen Darstellung eine Kritik vom Standpunkte der heutigen Forschung und best\u00e4ndige Hinweise auf heutige Problemstellungen und L\u00f6sungen beigef\u00fcgt. In dieser Hinsicht verf\u00fcgt der Verfasser aber \u00fcber ein sehr einseitiges Material an Kenntnissen. Wer aus den Anmerkungen und Hinweisen des Verfassers sich ein Bild von der modernen Psychologie machen wollte, m\u00fcfste zu dem Glauben kommen, dafs eigentlich nur H\u00f6ffding, allenfalls noch dessen Landsmann Kromann sich mit einiger Ausf\u00fchrlichkeit \u00fcber psychologische Fragen verbreitet h\u00e4tten. (Vergl.","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht\n405\nz. B. S. 632 die Lehre vom Selbstbewufstsein und Wundts Psychologie. 4\u00b0 II 303). Sehr zu billigen ist der wiederholte Hinweis auf Einseitigkeiten in der Darstellung Bonnets in den \u00fcblichen Handb\u00fcchern der Geschichte der Philosophie (vergl. S. 643, Anm. 4).\nMeumann (Leipzig).\nC. Eisenlohe. Beitr\u00e4ge zur Hirnlokalisation. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde III. S. 260\u2014285. (1893.)\nW\u00e4hrend bisher in der Neuropathologie L\u00e4hmungen mit schnell eintretender degenerativer Muskelatrophie lediglich als Ausdruck einer peripherischen oder spinalen Vorderhornerkrankung galten, sind in den letzten Jahren Beobachtungen dahin gehend gemacht worden, dafs auch bei Gehirnerkrankungen gelegentlich eine solche atrophische L\u00e4hmung vorkomme. Joffroy und Achard haben dies so gedeutet, dafs es sich um eine auf dem Wege der Pyramidenbahn fortgepflanzte Beeinflussung der Ganglienzellen der Vorderh\u00f6rner handle, welche zun\u00e4chst nur dynamischer Natur sei, weiterhin aber auch zu materiellen Ver\u00e4nderungen der Ganglienzellen f\u00fchren k\u00f6nne; eine lediglich dynamische Beziehung liege bei den von der franz\u00f6sischen Schule aufgestellten hysterischen Muskelatrophien vor. Borgherini , welcher gleichfalls entsprechende F\u00e4lle beobachtet und untersucht hat, schiebt die cerebrale Muskelatrophie ebenfalls auf die Vorderhornganglienzellen, welche, wie er meint, vom Gehirn aus auf dem Wege des sensitiven B\u00fcndels der Kapselbahn erregt und ver\u00e4ndert werden. Eisenlohr bemerkt nun, dafs ihm diese Hypothese von der dynamischen L\u00e4sion der Ganglienzellen zu gek\u00fcnstelt erscheine; es liege n\u00e4her, an direkte Beziehungen des peripherischen motorischen Apparates zu gewissen Hirncentren zu denken. Was die Lokalisation im Gehirn betrifft, so hatte Borgherini die Ansicht ausgesprochen, dafs die fr\u00fchzeitige Muskelatrophie bei cerebralen L\u00e4sionen sich einerseits den Erkrankungen der motorischen Hirnrinde, andererseits denjenigen bestimmter subkortikaler Centren, wahrscheinlich des Thalamus opticus, hinzugeselle. Eisenlohr teilt nun F\u00e4lle mit, bei welchen in der That Erkrankungen im Thalamus opticus anatomisch nachgewiesen wurden, nachdem er fr\u00fcher schon einen solchen untersucht hatte, welcher einen Abscefs in der Region der Central Windungen aufgewiesen hatte. Er ist also geneigt, dem sich auf die Lokalisation beziehenden Teil der Hypothese Borgherinis zuzustimmen, macht jedoch mit grofsem Recht darauf aufmerksam, dafs bei der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der Affektionen der Centralwindungen, bezw. des Thalamus opticus keine fr\u00fchzeitige Muskelatrophie eintrete und dafs somit die Annahme dieser Beziehung jedenfalls keine allgemeine G\u00fcltigkeit besitze; m\u00f6glicherweise komme auch die Natur des Prozesses in Betracht. Man sieht also, dafs der Zusammenhang doch noch in ein Dunkel geh\u00fcllt bleibt. Aufserdem bespricht Verfasser die interessante Beziehung des Thalamus zu den mimischen Bewegungen des Gesichts und res\u00fcmiert kurz einen Fall seiner eigenen Beobachtung, bei welchem eine mit","page":405}],"identifier":"lit15569","issued":"1894","language":"de","pages":"402-405","startpages":"402","title":"1. R. von Koeber: Jean Pauls Seelenlehre. Schriften der Gesellsch. f\u00fcr psychologische Forschung, Heft 5, S. 517\u2013551, Leipzig, Abel 1893","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:09:18.043556+00:00"}