Open Access
{"created":"2022-01-31T16:19:16.131673+00:00","id":"lit15589","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meumann, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 7: 418-420","fulltext":[{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nLitteraturbericht.\neiner Rechtfertigung seiner Theorie der Harmonie und Disharmonie. Nicht ganz gerecht wird er, wie uns scheint, der STUMPFSchen Annahme eines \u201er\u00e4umlichen Grundkapitals\u201c bei der Geh\u00f6rslokalisation. Die F\u00e4higkeit, die Eindr\u00fccke des rechten von denen des linken Ohres zu scheiden, mufs allerdings als eine urspr\u00fcngliche, nicht erst durch Assoziationen vermittelte angesehen werden, so schwer es bei dem jetzigen Stande unseres Wissens auch sein mag, dar\u00fcber verst\u00e4ndliche und sichere Aussagen zu machen. Zum Schlufs wendet sich Verfasser noch mit Recht gegen Stumpfs Behauptung, dafs ein Zusammenklang als Ganzes die H\u00f6he des tiefsten Tones habe, und gegen die Konstruktion der Klangfarbe aus den Tonfarben der einzelnen den Klang bildenden T\u00f6ne.\nO. K\u00fclpe (Leipzig).\nAlfred J. Ritter von Dutczynski. Beurteilung und Begriffsbildung der Zeitintervalle in Sprache, Vers und Musik. Psycho-philosophische Studie vom Standpunkt der Physiologie. Leipzig. Schulze. 1894.\nDer Inhalt der vorliegenden Arbeit ist ein sehr mannigfaltiger. Verfasser bietet uns theoretische Er\u00f6rterungen \u00fcber Rhythmus in Sprache und Musik, \u00fcber Reim und Alliteration, \u00fcber Versmafse und metrische Prinzipien im allgemeinen, \u00fcber Einflufs des Sprechens und des Anh\u00f6rens von Takten auf Blutumlauf und Atmung, \u00fcber Naturalismus in der Dichtkunst, Erziehung der Sinne; sodann erhalten wir eine l\u00e4ngere \u201eAbschweifung\u201c \u00fcber Begriffsbildung und ein \u201epsychophysikalisches Definitionsverfahren\u201c, an das sich \u201edie moderne Philosophie\u201c \u201ewird halten m\u00fcssen\u201c, \u201ewenn sie nicht wieder zur Sophistik, Dialektik und dergleichen Klopffechtereien herabsinken will\u201c (S. 19); endlich teilt der Verfasser einige Experimente \u00fcber H\u00f6rf\u00e4higkeit und Blutumlauf mit, um deren willen Referent die Arbeit f\u00fcr erw\u00e4hnenswert h\u00e4lt. Die Sprache des Verfassers ist eine ganz absonderliche. Sein Lieblingswort ist das schreckliche \u201ediesbez\u00fcglich\u201c, er schreibt konsequent \u201eAcceleration\u201c und bildet f\u00fcr \u201ebeschleunigen\u201c das k\u00fchne Wort \u201esich accellieren\u201c ; er kennt eine \u201eMuscula densor tympanii\u201c, ein Foramen spinosus\u201c, eine \u201eArteria temp, superficialis\u201c, einen Singularis \u201edie Intervalle\u201c u. s. w. und versichert uns zum Schlufs seiner Schrift: \u201eWir Deutsche \u2014 ich meine \u00d6sterreichisch-Deutsche \u2014 vernachl\u00e4fsigen unsere Sprache in ganz gewissenloser Weise\u201c (S. 47), wozu er zahlreiche und treffende Argumente beigebracht hat.\nDie Geringsch\u00e4tzung, mit der der Verfasser von den Philosophen spricht, wird jeder vern\u00fcnftige Leser entschuldigen, denn wie kann man sch\u00e4tzen, wen man nicht kennt? Mit Emphase versichert uns von Dutcztnski, \u201e\u00fcber den Zeitsinn selbst ist aufserordentlich wenig geschrieben worden\u201c (S. 21), und dabei sindihm von der ganzenZeitsinnlitteratur nur Vierordts und Machs Schriften bekannt. Aufserdem versteht der Verfasser die wenigen ihm bekannten Experimente vielfach falsch. Er weifs nicht, dafs gegen Br\u00fcckes Versuche, skandierende Sprechbewegungen zu registrieren, l\u00e4ngst der Einwand gemacht ist, dafs skandierendes Sprechen etwas v\u00f6llig anderes ist als das freie k\u00fcnstlerische Deklamieren, wie es dem \u00e4sthetischen Eindr\u00fccke entspricht, und bei Vierordts Experiment \u00fcber","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n419\ndie Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Zeitgr\u00f6fsen bei zwei synchron schlagenden Metronomen sieht er nicht, dafs es sich um ein Urteil \u00fcber Simultaneit\u00e4t handelt (S. 20).\nImmerhin, der experimentelle Teil der Arbeit f\u00fchrt zu einigen erw\u00e4hnenswerten Ergebnissen. Da der Verfasser der Meinung fst, dafs wir eine Zeitgr\u00f6fse nur beurteilen k\u00f6nnen, wenn wir in uns eine innere Periode besitzen, an der wir das geh\u00f6rte Intervall bemessen (aber woran bemessen wir die innere Periode?), so fragt er nach der physiologischen Basis derselben. Dafs es eine solche geben mufs, ist ihm nicht zweifelhaft. Zwischen der Frequenz und St\u00e4rke der Herzkontraktionen eines Individuums und'dem Rhythmus seines Sprechens, seines Gehens u. s. w. bestehe eine \u201eKoordination\u201c. Durch wiederholte Pulsz\u00e4hlungen an mehreren Beobachtern, vor, w\u00e4hrend und nach einem Gespr\u00e4che, einer Rede oder Deklamation hat sich der Verfasser \u00fcberzeugt, dafs die Zahl der Arsen in der Rede h\u00e4ufig mit der Zahl der Herzschl\u00e4ge auffallend \u00fcbereinstimmt, dafs die besonders betonten Silben vielfach mit Pulsschl\u00e4gen zusammenfallen. Er bringt eine Reihe von Thatsachen bei, um zu beweisen, dafs beim passiven Anh\u00f6ren von Takten oder dem nat\u00fcrlichen Sprach-rhythmus eine Akkommodation der Herzth\u00e4tigkeit und des Atmens an den geh\u00f6rten Rhythmus stattfinde; Thatsachen, die \u00fcbrigens meist bekannt waren. In der Pulsperiode findet nun der Verfasser auch das gesuchte innere Zeitmafs. Der Einwand, dafs wir diese Periode doch nicht wahrnehmen, st\u00f6rt den Verfasser nicht. \u201eSobald wir permanent an eine Erscheinung gew\u00f6hnt sind (sic !), so werden wir diese schliefslich \u00fcberhaupt nicht mehr beachten, und so k\u00f6nnte es ja wohl sein, dafs wir dieses Mafs unbewufst verwenden.\u201c (S. 28).\nDas Vorhandensein dieser Periode wird aber aufserdem experimentell bewiesen, indem der Verfasser zeigt, dafs unser Geh\u00f6r durch den Pulsschlag beeinflufst wird. Zu diesem Zwecke wurde ein \u201eL\u00e4utewerk\u201c, welches alle Sekunde einen Schlag ausl\u00f6ste, aus solcher Entfernung beobachtet, dafs man die Schl\u00e4ge bei aufmerksamem Horchen eben noch h\u00f6ren konnte. Es fragte sich, \u201ewelche Wirkung der mit dem Pulse synchrone und welche der ungleichzeitige Glockenschlag auf das Geh\u00f6r aus\u00fcbte\u201c. Indem es dem Verfasser bisweilen gelang, \u201eeinen Moment zu erhaschen, in welchem der Puls genau 60 Schl\u00e4ge pro Minute aufwies\u201c, bezw. in dem der Puls k\u00fcnstlich auf 60 Schl\u00e4ge gebracht wurde und dann das L\u00e4utewerk so in Th\u00e4tigkeit gesetzt ward, dafs es mit dem Pulse synchron schlug, zeigte sich, dafs in diesem Falle die H\u00f6rf\u00e4higkeit gesteigert war, die Schl\u00e4ge konnten in gr\u00f6fserem Abstande vernommen werden. Das Ergebnis ist darum auffallend, weil man bei den zahlreichen Versuchen \u00fcber Aufmerksamkeitsschwankungen bei minimalen Geh\u00f6rreizen niemals etwas Derartiges beobachtet hat; es wird v\u00f6llig zweifelhaft, wenn man in Erw\u00e4gung zieht, dafs der Verfasser den Puls seiner Versuchspersonen (bezw. den eigenen Puls) niemals registrierte und das L\u00e4utewerk mit einer Schnur ausschaltete, w\u00e4hrend er den (Aorten-) Puls der Versuchsperson betastete, also jedenfalls sich einer sehr unsicheren Versuchstechnik bediente.\nDie Kr\u00f6nung des Werkchens bilden aber 1. der Schlufs, den der\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nLitteraturbericht.\nVerfasser aus diesen Versuchen zieht, und 2. seine Erkl\u00e4rung des Ergebnisses. Die Schlufsfolgerung ist diese: \u201eDurch diese Beobachtungen und Befunde ist der Beweis zur Gen\u00fcge erbracht, dafs der Puls auf das Geh\u00f6r einwirkt und ein periodisches Perzeptionsmaximum existiert; daraus folgt, dafs mit unserem Geh\u00f6r auch unsere Begriffsbildung beein-flufst werden mufs, und dafs wir somit jene Vergleichsintervalle besitzen, welche wir gesucht haben, und die f\u00fcr die Perzeption der Zeit oder richtiger f\u00fcr die Relation, welche die Kausalit\u00e4t der Zeit zur Begriffsbildung ahgiebt, unbedingt notwendig ist\u201c (S. 35\u201436). Die Erkl\u00e4rung endlich, durch die jene Steigerung der Geh\u00f6rsschwelle durch den Aortenstofs begreiflich gemacht wird, erhalten wir in den Worten: \u201eZum Beweise einer Beeinflussung des H\u00f6rens durch den Pulsschlag braucht man sich nunmehr nur das Gesetz der Superposition der Schwingungen zu vergegenw\u00e4rtigen\u201c (S. 32), und um ja keinen Zweifel zu lassen, wie diese \u201eSuperposition\u201c gemeint sei, wird dieser Bemerkung die andere voraufgeschickt, \u201edafs man hei Beobachten des Trommelfelles mit dem Ohrenspiegel ganz deutlich sehen kann, wie nicht nur das Trommelfell, sondern das ganze innere Ohr unter der Wirkung des Pulses zu leiden hat. Man sieht es pulsieren\u201c (\u00e4hnlich S. 34). Es scheint, dafs die Vorstellungen, die der Verfasser \u00fcber physikalische Superpositionen hat, seinen logischen Superpositionen nichts nachgeben.\nMeumann (Leipzig).\nFr\u00e8nkel. Fehlen des Ermiidungsgeftthles bei einem Tabiker. Neurol Centralbl. XII. No. 13. S. 434\u2014436. (1893.)\nIn einem Falle von Tabes dorsalis mit Ataxie, die an den unteren Extremit\u00e4ten st\u00e4rker hervortritt als an den oberen, und links wiederum besser ausgepr\u00e4gt ist als rechts, und mit herabgesetzter Sensibilit\u00e4t, die ebenfalls links am ganzen K\u00f6rper sich mehr zeigt als rechts, beobachtet Verf. ein Fehlen des Erm\u00fcdungsgef\u00fchles in den oberen Extremit\u00e4ten. Dieses zeigte sich namentlich darin, dafs Patient 25 Minuten die Arme in horizontaler Lage gestreckt halten konnte ohne gleichzeitiges oder folgendes Erm\u00fcdungsgef\u00fchl. Nur bei geschlossenen Augen sank der linke Arm infolge der gr\u00f6fseren Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rung allm\u00e4hlich herunter, so dafs er in 10\u201415 Minuten das Sopha ber\u00fchrte. \u00c4hnliche Versuche mit den unteren Extremit\u00e4ten liefsen sich wegen Darm- und Blasenbeschwerden nicht anstellen.\nDiese auff\u00e4llige Thatsache glaubt Verf. durch die Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rung um so weniger erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen, als Tabiker mit v\u00f6lliger An\u00e4sthesie in den oberen Extremit\u00e4ten normales Erm\u00fcdungsgef\u00fchl zeigten, so dafs nach 7 Minuten langem Strecken des Armes schon konvulsivische Zuckungen eintraten. Vielmehr fehlte in diesem Falle die Schmerzempfindung in den betreffenden Muskeln, vielleicht infolge einer besonderen anatomischen Ursache. Die Schmerzempfindung zeigt n\u00e4mlich nicht den h\u00f6chsten Grad der Kontraktionsf\u00e4higkeit an, sondern sch\u00fctzt und warnt nur vor Ersch\u00f6pfung der Muskelkraft.\nArthub Wreschner (Berlin).","page":420}],"identifier":"lit15589","issued":"1894","language":"de","pages":"418-420","startpages":"418","title":"Alfred J. Ritter v.Dutczynski: Beurteilung und Begriffsbildung der Zeitintervalle in Sprache, Vers und Musik, Psycho-philosoph. Studie vom Standpunkt der Psychologie. Leipzig, Schulze 1894","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:19:16.131678+00:00"}