Open Access
{"created":"2022-01-31T16:10:50.426722+00:00","id":"lit15787","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Serres","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 7: 337-349","fulltext":[{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Deutfehes Archiv\nf\u00fcr die\nPHYSIOLO G I E.\nSiebenter Band. Drittes Heft.\nI.\nSerres \u00fcber die vergleichende Anatomie des Gehirns. Paris 18-2 >\u2022 (Bericht von G. Cuvier vor der \u00f6ffentlichen Sitzung der Akademie der Wiflenfcliaften zu Paris am 2ten April 1821.)\nDer von der Akademie f\u00fcr diefes Jahr ausgefetzte Preis, die vergleichende Unterfucliung ties Gehirns der Wir* belthiere, ift Herrn Serres, Arzt an der Piti\u00e9, zuge-theilt worden, und das wichtige und ausgebrehete, mit vielen Zeichnungen begleitete Werk deffelben hat allen Anatomen fo fehr gen\u00fcgt, dais ein Auszug daraus W\u00fcnfchenswerth war.\nWenn man feit ungef\u00e4hr dreihundert Jahren nicht gl\u00fccklich in der Erforfchung des Hirnbaues war, fo hat wohl der Punkt, von dem man die Untsrfuchung begann, einige Schuld daram\nDie Anatomen fuchten zun\u00e4chft die Aehnlichkeit des S\u00e4ugthier - und Menfchengehirns, this ihnen vorzugsweife bekannt war, nur tliefe fand man bei denS\u00e4ug-tbieren, wo das Gehirn, von den Verh\u00e4itniffen abgefe-hen, eine Wiederholung des menfchlichen ilt.\nAlles fand und benannte man hier, wie bei ihm. Mit fchon vorgefafsten Vorftellungen ging man tum zu M. d. Archiv. VU. 3.\tY","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"dem Vogelgehirn \u00fcber, wurde aber hier fogleich in der \u00dfe-ftimmung der Theile aufgehallen. Grofses und kleines Gehirn wurde wohl erkannt, dagegen die Vierh\u00fcgel, der ver\u00e4nderten Lage und Geltalt wegen eben io lehr als die Sehhiigel, verkannt und nun eine ganz verfchie-dene Zulammenfetzung des Gehirns angenommen.\nSo war die Kette der Aehnlichkeiten zerriffen und fchien eines fogleich anzufahrenden Umftandes wegen bei den Fifchen nicht wieder anzukn\u00fcpfen.\nDie Anatomen hatten lieh an die Unterfuchung des Gehirns bei dem Menfchen und den S\u00e4ngthieren von oben und vorn nach unten und hinten gew\u00f6hnt, was bei diefen Fo wenig als bei den V\u00f6geln befondern Nachtheil hatte, indem man das grofse und kleine Gehirn fchwerlich verkennen konnte.\nAnders verh\u00e4lt es floh bei den Fifchen, wo die Zufammenfetzung des Gehirns aus zwei bis feclis von vorn nach hinten auf einander folgenden Knoten die \u00dfe-ftimmung des grofsen Gehirns fchwierig macht, fo dafs, da kein beftirnmendes Prindp vorhanden war, bald die vordem, bald die mittler\u00ab, bald die hintern Knoten diefe Benennung erhielten.\nOffenbar rnufste man, ehe man die Verh\u00e4ltniff\u00f6 der verfchiedenen Theile des Gehirns feftfetzte, diefe Ungewifsheit beendigen , und ihre Bedeutung auf, f\u00fcr alle Klaffen g\u00fcltige, Grundl\u00e4tze bauen.\nDiefe Unterfuchung ift der Gegenftand des erftea Theiles des Serres\u2019fchen Werkes, worin das Gehirn jeder Klaffe insbesondere von feinem elften Entfteheu an bis zur vollendeten Ausbildung befchrieben wird.\nNachdem er die einander entfprechenden Theils des Gehirns beftimmt hat, unterfucht er im letzten Theile feines Werkes die Verh\u00e4ltniffe deffelben in den vier Wirbelthierklaffen und giebt dar\u00fcber folgende allgemeine S\u00e4tze,","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Das R\u00fcckenmark bildet lieh in allen Klaffen vor dem Gehirn.\nBei den jungen Embryonen befteht es anfangs aus zwei hinten nicht vereinigten, eine Rinne bildenden Str\u00e4ngen, die lieh bald hinten ber\u00fchren und verbinden. Dann ift das R\u00fcckenmark hohl und enth\u00e4lt einen langen Kanal, den man R\u00fcckenmarkskanal oder H\u00f6hle nennen kann , und der fielt bisweilen mit einer Fliilfig-keit anf\u00fcllt, wodurch eine, bei den Embryonen der S\u00e4ugthiere fehr gew\u00f6hnliche Krankheit, die R\u00fcckenmarks wafferfucht, entlteht.\nIm f\u00fcnften Embryomonat beim Menfchen, jrn fechsten beim Kalbe, am f\u00fcnf und zwartzigften Tage beim Kaninchenembryo, am dreifsigften beim El und -und Katzenembryo verfchliefst fich diefer Kanal, Beim Frofch und Bufo obftetricans erh\u00e4lt er fielt bis zum Erfcheinen beider Gliedmaafsen offen.\nUeberall verfchliefst er fich durch fchichtenweife Ablagerung von grauer Subftanz, welche durch die, in den Kanal dringende Gef\u00e4fshaut abgefondert wird.\nBei jungen Embryonen ift das R\u00fcckenmark in allen Klaffen \u00fcberall gleich dick, ohne vordere und hintere Anfchwellung, wie bei den gliederlofen Amphibien und den meiften Fifcben.\nHiermit h\u00e4ngt der Mangel der Gliedmaafsen bei allen fr\u00fchem Embryonen zulammen\u00bb\nSobald diele erfcheinen, bilden fich dagegen die Anfchwellungen, was vorz\u00fcglich bei der Kaulquappe zur Zeit der Metamorphofe auffallend ift, aber auch bei den Embryonen aller Amphibien, V\u00f6gel und S\u00e4ugthiere Statt findet,\nDie nur mit einem Gliedmaafsenpaare verfehenea Thiere haben nur eine Anfchwellung, welche immer der Stelle der Gliedmaafsen entfpricht, fo dafs fie fich bei Bipes hinten , bei Bimanus vorn befindet,\nY 3","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nBei den fo h\u00e4ufig vorkoinmenden Vogel- und S\u00e4ug-thiermifsbildungen finden fich oft Bipeden und Bima-nen, die auch nur eine, den vorhandenen Gliedmaal\u2019sen entfprechende Anfchwellung haben.\nDas R\u00fcckenmark der Fifche fchwillt ihren Floffen gegen\u00fcber etwas an. Die Kehlflofler haben in der N\u00e4he des Kopfes, die Bruftfloffer in der Bauchgegend des R\u00fcckenmarkes eine folche Anfcbwellunp.\nDie durch die abgefonderten Strahlen ihrer Bruft-floffen bemerkenswerthen Triglen befitzen auch der Zahl und Geftalt nach mit der Zahl und Geftalt der ihnen entfprechenden Strahlen \u00fcbereinkomrnende An-fchwellungen.\nDie electrifchen Fifche haben eine ftarke, dem Nerven, der fich am electrifchen Organ verbreitet, entfprechende Anfchwellung.\nBei den V\u00f6geln finden fich bedeutende Verfchie-denheiten im Verh\u00e4ltnifs diefer Anlchweliunp'.\nBei den wenig oder nicht fliegenden V\u00f6geln ift die hintere Abtheilung gr\u00f6fser als die vordere. Befonders auffallend ift dies beim Straufs; dagegen \u00fcberwiegt bei den \u00fcbrigen, befonders den viel fliegenden V\u00f6geln die vordere.\nGall's Behauptung, dafs an jedem Nerveuurfprunga das R\u00fcckenmark anfchwelle, findet fich bei den Wir-belthieren in keiner Lebensperiode beft\u00e4tigt.\nGail fuchteln diefen angeblichen Knoten das Analogon der doppelten Knotenreihe der Giiederthiere, allein diefer entspricht nicht das R\u00fcckenmark, fondern die Zwifchenwirbelknotenreihe,\nDiefe entfprechen immer in Ilinficht auf Gr\u00f6fse den Nerven, welche durch fie treten und find den Glied-maafsennerven gegen\u00fcber bei weitem am ft\u00e4rkften.\nDas R\u00fcckenmark reicht noch beim dreimonatlichen menfchlichen Embryo bis zum Steifsbein.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"cliefer Zeit an fteigt es bis zum zweiten Lendenwirbel, wo es bei der Geburt ftehn bleibt.\nBeim menfchlichen Embryo findet fich ein, von allen Anatomen bemerkter fchwanz\u00e4hnlicher Anhang bis zum dritten Monate. Diefer \u2022verfchwindet jetzt zugleich mit dein untern Theile des R\u00fcckenmarkes und einem Tbeile der Schwanzwirbel.\nWird das Verfchwinden des untern Theils des R\u00fcckenmarks gehemmt, fo kommt der menfchliche F\u00f6tus mit einem Schw\u00e4nze zur Welt, wo dann das Schwanzbein aus Geben Wirbeln behebt.\nHiernach findet alfo ein Zufammentreffen zwilchen der Lange des R\u00fcckenmarkes und der Schwanzverl\u00e4ngerung des menfchlichen F\u00f6tus und der S\u00e4ugthiere Statt.\nJe fr\u00fcher das R\u00fcckenmark aufh\u00f6rt, defto k\u00fcrzer ift der Schwanz, fo beim Schweine, dem Kaninchen, dagegen ift diefer defto l\u00e4nger , je tiefer das R\u00fcckenmark herabfteigt, wie beim PfeH\u00bb. o-nien, Eichh\u00f6rnchen.\nDer Embryo der Flederm\u00e4ufe r kommt in diefer Hinficht mit dem menfchlichen \u00fcberein: fein anfangs-vorhandener Schwanz fchwindet fchnell, worauf das R\u00fcckenmark fchnell und fehr betr\u00e4chtlich fchwindet.\nDiele Ver\u00e4nderung ift vorz\u00fcglich bei den Frofch-larven auffallend. So lange das R\u00fcckenmark bis in den Schwanzwirbelkanal reicht, bleibt der Schwanz; zur Zeit der Verwandlung dagegen, fchwindet diefer, das R\u00fcckenmark fteigt in den Wirbelkanal zur\u00fcck und die Glieder entwickeln fich. Tritt das R\u00fcckenmark nicht zur\u00fcck, fo beh\u00e4lt der Batrachier feinen Schwanz, wie bisweilen der Menfch.\nDer menfchliche und S\u00e4ugthierf\u00f6tus verwandelt fich daher wie der Batrachierf\u00f6tus.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"343.\nBei den gliederlofen Amphibien, Vipera, Coluber u. f. w. entfpriclit das R\u00fcckenmark dem der Ba-tracbierlarve.\nF\u00fcr die Fifche gilt daffelbe. Oft hat es hier an feinem Ende eine kleine Anfchwellung.\nDie Cetaceen kommen mit den Fifchen, die nicht mit hintern Gliedmaafsen verfehenen menfchlichen F\u00f6tus mit beiden \u00fcberein.\nDie Kreuzung der Pyramiden ift beim menfchlichen Embryo von der achten Woche an fichtbar.\nSie wird vom Menfchen an bis zu den Nagern immer weniger deutlich.\nBei den V\u00f6geln kreuzen lieh nur ein bis zwei B\u00fcndel.\nBei den Amphibien und Fifchen fehlt die Kreuzung ganz.\nDie Gr\u00f6fse des Gehirns und des R\u00fcckenmarkes ftehen im Ganzen bei den Wirbelthieren im entgegengeletzten VC.\nHierin entfpricht der menfchlicbe Embryo den niedern Thieren. Je gr\u00f6fser das R\u00fcckenmark, defto Kleiner ift das Gehirn.\nBisweilen indeffen findet zwifchen beiden ein gleichm\u00e4fsiges Verh\u00e4ltnifs Statt. So ift z. B. befon-ders bei den Schlangen das Gehirn und R\u00fcckenmark gleichmafsig fclimal und d\u00fcnn. Bei den Eidechfen und Schildkr\u00f6ten dagegen verk\u00fcrzen fich beide Theile gleichm\u00e4fsig.\nBei den V\u00f6geln ift das R\u00fcckenmark und das Gehirn defto fchlanker, je mehr der Hals ficli verl\u00e4ngert.\nDieles gerade Verh\u00e4ltnifs zwifchen R\u00fcckenmark und Gehirn erftreckt fich aber nicht auf das ganze Gehirn, fondern nur auf die Vierh\u00fcgel.\nDie Entwicklung dreier und des R\u00fcckenmarkes ftehen in einem durchaus geraden Verh\u00e4ltnifs, fo dafs","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"343\ninan aus der Gr\u00f6fse und der St\u00e4rke des erftern in einer Klaffe oder verfchiedenen Familien derfelben Klaffe mit Sicherheit auf die Gr\u00f6fse und St\u00e4rke des erltern fchliefsen kann.\nEben fo find beim menfchlichen Embryo die Vierh\u00fcgel defto gr\u00f6fser, je anfehnlicher das R\u00fcckenmark ift.\nDie Vierh\u00fcgel bilden fich unter allen Hirntheilen bei allen Wirbelthieren zuerft.\nBei den V\u00f6geln finden fich nur zwei. Sie liegen hier an der Grundfl\u00e4che des Gehirns, weshalb man fie lange verkannt hat.\nZu diefem Zuftande gelangen fie erft durch eine bemerkenswertbe Umwandlung, ln den erlten Tagen der Bebr\u00fctung nehmen \u00dfe, wie in den \u00fcbrigen Klaffen, den obern Theil des Gehirns ein und bilden zwei Lappen, einen auf jeder Seite, Am zehnten Tage theilt eine Querfurche diefe Lappen in zwei H\u00e4lften und jetzt finden fich wirklich vier H\u00fcgel. Vom zw\u00f6lften an fangen fie fich von oben nach unten zu wenden an, und zugleich n\u00e4hern fich das vorher durch fie getrennte gr\u00f6fse und kleine Gehirn und ber\u00fchren einander endlich.\nBei den Amphibien find die Vierh\u00fcgel auch nur Zweih\u00fcgel, allein am f\u00fcnfzehnten Tage bei der Frofch-larve, wie beim H\u00fchnchen am zehnten, durch eineQuer-furche getheilt.\nln diefer Klaffe bleiben fie immer oben, zwifchen dem grofsen und kleinen Gehirn, und find immer eif\u00f6rmig.\nBei den Fifchen hat man fie wegen ihrer anfehn-lichen Gr\u00f6fse immer f\u00fcr die Hemifph\u00e4re des grofsen Gehirns gehalten, zumal da fie eine gr\u00f6fse H\u00f6hle enthalten , in der fich eine, durch Geftalt und Gewebe dem geftreiften K\u00f6rper der S\u00e4ugthiere \u00e4hnelnde Erhabenheit befindet.","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nImmer find fio bei den Fifchen nur Zweih\u00fcgel und bilden ein, nach innen leicht abgeplattetes Sph\u00e4roid.\nBei den S\u00e4ugthieren und dem Menfchen find fie w\u00e4hrend der eri'ten zwei Drittheile des F\u00f6tuslebens nur Zweih\u00fcgel, oval und hohl wie in den vorerw\u00e4hnten Klaffen. Nur im letzten Drittheil werden fie durch eine Querfurche in vier getheilt.\nDie Verfch jeden heit diefer H\u00fcgel in den verfchie-denen S\u00e4ugthierfamilien h\u00e4ngt von der Stelle der Quer* furche ab.\nBeim Menfchen liegt- fie ungef\u00e4hr in der Mitte, und die vordem und hintern find daher ungef\u00e4hr gleich.\nBei den Fleifchfreffern r\u00fcckt die Furche nach vorn, und die hintern \u00fcberwiegen; das Gegentheil findet bei den Wiederk\u00e4uern und Nagern Statt\nBisweilen bleiben fie bei Menfchen und S\u00e4ugthie-ren Zweihiigel, was eine Aehnlichkeit mit den niedern Klaffen ift.\nDie Vierh\u00fcgel der S\u00e4ugthiere find alfo anfangs bei den S\u00e4ugthieren, wie bei den \u00fcbrigen Klaffen immer , hold.\nSie werden , wie das R\u00fcckenmark, durch Abfatz grauer Subftanz von der innern Gef\u00e4fshaut, folide.\nln allen Klaffen und allen Familien derfelben Klaffe ftehen fie in geradem Verh\u00e4ltnifs zu den Sehnerven und Augen.\nBei den Fifchen finden fich mit den gr\u00f6fsten Sehnerven und Augen die gr\u00f6fsten Vierhiigel.\nHierauf folgen in beiden Hinfichten im Allgemeinen die Amphibien.\nDie V\u00f6gel haben gleichfalls fehr ftark entwickelte Vierhiigel, Sehnerven und Augen.\nBei den S\u00fcugthieren nehmen alle diefe Theile gleichm\u00e4fsig von den Nagern zu den Wiederk\u00e4uern, von diefen zu den Fleifchfreffern, den Quadrumanen und dem","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Menfehen ab, bei dem fie unter allen Thieren verh\u00e4lt-nifsm\u00e4i\u2019sig am kleinften find.\nDa die Vierh\u00fcgel die Grundlage zur Beftimmung aller Theile des Gehirns abgeben, mufsten alle lieh auf \u00a3e beziehenden Beweifa vereinigt werden.\nDie Fifche haben mit den gr\u00f6fsten Vierh\u00fcgeln auch die gr\u00f6fsten Zwifchenfcheitelbeine.\nHierauf folgen die Amphibien, dann die V\u00f6gel. Unter den S\u00e4ugthieren haben die Nager die gr\u00f6fsten Zwifchenfcheitelbeine. Auf fie folgen die Wiederk\u00e4uer, dann die Fleifchfreffer, dann die Quadrumanen, endlich der Menich, bei dem man fie nur zuf\u00e4llig findet.\nDie dem Anfchein nach fonderbare Thatfache, dafs fich das kleine Gehirn erft nach den Vierh\u00fcgeln bildet, ift ohne Ausnahme.\nBei den Fifchen ift diefer Theil aus zwei deutlich getrennten Theilen gebildet, einem mittlern, in der H\u00f6hle der \u201eVierh\u00fcgel wurzelnden und zwei Seitenlappen, die vom ftrickf\u00f6rmigen K\u00f6rper kommen.\nDicfe Theile lind bei allen Fifchen ganz von einander getrennt.\nDie grofse Verfchiedenheit des kleinen Gehirns der hohem Thiere h\u00e4ngt von der Vereinigung beider Theile ab, indem der obere den Wurm, der mittlere die Seiteulappen bildet, welche diefelben Verbindungen haben.\nTrotz ihrer Vereinigung find beide Elemente ganz von einander unabh\u00e4ngig.\nDer obere Wurm oder mittlere Lappen und die Seitenlappen ftehen in allen Klaffen in Hinficht auf Gr\u00f6fse im Gegenfatz,\nF\u00fcr die verfchiedenen Familien der S\u00e4ugthiere gilt dalfelbe. Die Nager, die Wiederk\u00e4uer, die Fleilch-freffer, die Ouadrumanen und der Menfch zeigen diefen Antagonismus.","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"Mit Ausnahme der Amphibien fteht die Entwicklung des mittlern Lappens im geraden Verh\u00e4ltnis mit der Entwicklung der Vierh\u00fcgel.\nIn allen Klaffen find die Seitenlappen des kleinen Gehirns im entgegengefotzten Verh\u00e4ltnis mit ihnen entwickelt.\nAuch bei den S\u00e4ugthierfamilien findet diefe doppelte Beziehung ftreng Statt. Bei den Nagern find, mit der ft\u00e4rkften Entwicklung der Vierhiigel, der mittlere Lappen am gr\u00f6fsten, die Seitenlappen am kleinften, der IVlenfch dagegen hat die kleinften Vierh\u00fcgel und die gr\u00f6fsten Seitenlappen.\nIn allen Klaffen entwickelt fielt das kleine Gehirn in Geftalt zweier anfangs nicht in der Mittellinie vereinigter Seitenbl\u00e4tter.\nDas R\u00fcckenmark ift in allen Klaffen im geraden Verh\u00e4ltnifs zum mittlern, im entgegengefetzten zu den Seitenlappen deffelben entwickelt.\nDiefe allgemeinen Thatfachen find vorz\u00fcglich f\u00fcr die W\u00fcrdigung der Verh\u00e4ltniffe des Hirnknotens wichtig.\nDiefer ift im geraden Verh\u00e4ltnifs zu den Seitenlappen, im entgegengefetzten zum Mittellappen des kleinen Gehirns, den Vierh\u00fcgeln und dem R\u00fcckenmarks ausgebildet.\nDie Fifche haben keine Sehh\u00fcgel. Was man daf\u00fcr h\u00e4lt, ift eine den Vierh\u00fcgeln eigne Anfchwellung.\nBei den Amphibien, V\u00f6geln und S\u00e4ugthieren fteht die Gr\u00f6l'se des Sehh\u00fcgels mit der der Hemifph\u00e4re des grofsen Gehirns im geraden, mit der der Vierh\u00fcgel im entgegengefetztem Verh\u00e4ltnifs.\nBeim menfchlichen Embryo findet fich daffelbe Verh\u00e4ltnifs. Die Vierh\u00fcgel fchwinden in dem Maafse als der Sehh\u00fcgel w\u00e4chft. Diefelben Bedingungen bieten die Embryonen der \u00fcbrigen S\u00e4ugthiere, der V\u00f6gel und die Frofchlarve dar.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"347\nMithin ift der Sehh\u00fcgel in den damit verfallenen Klaffen im geraden Verh\u00e4ltnifs zu den Lappen des gro-fsen Gehirns, im entgegengefetzten zu den Vierhiigela entwickelt.\nAlle Wirbelthierklaffen haben die Zirbel, die fielt durch zwei Schenkel an den Sehh\u00fcgel, durch zwei andere an die Vierh\u00fcgel heftet.\nDen Fifchen, Amphibien und V\u00f6geln fehlen die geftreilten K\u00f6rper.\nBei den S\u00e4ugthieren entfpricht ihre Gr\u00f6fse der der grofsen Hirnh\u00e4lften, die im geraden Verh\u00e4ltnifs zu ihnen und den Sehh\u00fcgeln entwickelt find.\nBei den Fifchen bilden diefe Hemifph\u00e4ren einen einfachen, rundlichen Knollen vor den Vierh\u00fcgeln, ia den die Hirnfchenkel ausftrahlen.\nHier, bei den Amphibien und V\u00f6geln find fie fo\u00bb lide und ohne H\u00f6hle.\nDie H\u00f6hle in den Hemifph\u00e4ren kommt nur den S\u00e4ugthieren zu.\nln diefer Hinficlit findet zwifchen den drei untern \u00abml den oberften Klaffen ein merkw\u00fcrdiger Gegenfatz in dem Verh\u00e4ltnifs der Vierh\u00fcgel und Hiruhemifph\u00e4ren Statt.\nIn jc-nen find die Vierhiigel hohl, die Hemifph\u00e4ren folide, hier jene folide, diefe betr\u00e4chtlich ausgeh\u00f6hlt.\nBei den drei untern Klaffen find die Hemifph\u00e4ren glatt, was mit ihrer Solidit\u00e4t zufammenh\u00ffngt, dagegen erfcheinen bei den S\u00e4ugthieren mit den H\u00f6hlen auch Windungen.\nDas Ammonshorn findet fich nur bei den S\u00e4ugthieren, hier aber immer. Von den Nagern zum Men-fchen nimmt es allm\u00e4hlich ab.\nDas kleine Ammonshorn wurde bei keinem S\u00e4ug-tbiere atifser dem Menl'chen gefunden, und auch hier fehlt es bisweilen.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nDie Fifclte und Amphibien haben kein Gew\u00f6lbe ; beirden V\u00f6geln kommt es nur hin und wieder, z. B. bei den Papageyen und Adlern, aber auch nur im Rudiment vor.\nBei den S\u00e4ugthieren fteht es im geraden Verh\u00e4ltnis zum Amnionshorn und nimmt von den Nagern zum Menfchen ab.\nDie drei untern Klaffen haben keine Spur einer Hirnfchwiele.\nDiele und der Hirnknoten find den S\u00e4ugthieren\neigen.\nDie Hirnfchwiele entwickelt fielt im geraden Verh\u00e4ltnifs mit den Hemifph\u00e4ren und vergr\u00f6fsert fielt von den Nagern zum Menfchen.\nSie fteht im geraden Verh\u00e4ltnifs zum Hirnknoten.\nDie Hemifph\u00e4ren des grofsen Gehirns im Ganzen find im geraden Verh\u00e4ltnifs zu denen des kleinen, im entgegengefetzten zu dem mittlern Lappen des letzten, den Vierh\u00fcgeln und dem Riickenmarke entwickelt.\nDie Nerven entftehn nicht vom Gehirn, fondent von dem Organen, und gehen zu dem Gehirn und dem R\u00fcckenmark.\nGall's Meinung, dafs die graue Subftanz vor der weifsen entftehe, iftin Bezug auf das R\u00fcckenmark nicht richtig.\nCuvier zeigt zuerft, dafs bei den Afterien das Ner-venfyftem nur aus weifser Subftanz befteht,\nEben fo find die erfien Rudimente des R\u00fcckenmarks beim H\u00fchnchen weifs.\nBeim Embryo der S\u00e4ugthiere ift gleichfalls die weifse Subftanz int R\u00fcckenmark vor der grauen da.\nDas Gegentheil findet dagegen im Gehirn Statt.\nSehh\u00fcgel und geftreifte K\u00f6rper find bei jungen Embryonen grau, die weifse Maffe enlfteht erft fp\u00e4-","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"ter, und vor der Geburt findet fich im geftreiften K\u00f6rper beim Menfchen keine weifse Subftanz.\nDie Markftreifen in der vierten H\u00f6hle erfcheinen beim Menfchen erft im zw\u00f6lften Monate nach der Geburt.\nIm R\u00fcckenmark bildet fich erft weifse, dann graue, im Gehirn erft graue, dann weifse Subftanz.\nNachwort.\nSo gern man auch einem jeden das Seine l\u00e4fst, foift nian doch gewifs berechtigt, den Verf. f\u00fcr die Herausgabedesganzen Werkes befonders auf folgende aufmerk-fam machen zu d\u00fcrfen, aus denen er ohne grofse M\u00fche erleben wird, dal\u2019s faft alle von ihm angegebenen wahren Thatfachen, Folgerungen und Vergleichungen fchon vor ihm bekannt, dagegen mehrere der ihm eignen Angaben nicht ganz richtig und fchon im Voraus durch die naturgem\u00e4fseren Angaben feiner Vorg\u00e4nger widerlegt find:\nJ. F. Meckel Handbuch der pathol. Anat. Bd. I.\nJ. u. C. Wenzel Prodromus eines Werks \u00fcber das Gehirn u.f.w. T\u00fcbingen 1806.\n-----de penitiori ftructura cerebri etc. Tub. I8t2.\nJ. C. Reil\u2019s Auff\u00e4tze in deffen Archiv. Vom achten Bande an.\nArfaky de pifcium cerebro et medulla fpinali. Hai. !8l2.\nCams Anatomie und Phyilologie des Nervenfyftems. Leipzig ISM-\nJ. D\u00f6llingers Beitr\u00e4ge zur Fntwicklungsgefcliichtc des menfcblichen Gehirns. Frankf, 1814.\nJ. F. Meckel Verfuch einer Entwicldungsgefchichte der Centraltheile des Nervenfyftems in den Saugthi\u00e8ren. Deutfehes Archiv f\u00fcr die Phyliologie. Bd. I. J815.\nJ. F. Tiedemann Anat. und Bildungsgefchichte des Gehirns. u. f. w. 18 r 6.\nSch\u00f6nlein, von der Hirnmetaniorphofe. 1816.","page":349}],"identifier":"lit15787","issued":"1822","language":"de","pages":"337-349","startpages":"337","title":"\u00dcber die vergleichende Anatomie des Gehirns: Bericht von G. Cuvier vor der \u00f6ffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Paris am 2ten April 1821","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:50.426728+00:00"}