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{"created":"2022-01-31T16:10:58.517440+00:00","id":"lit16101","links":{},"metadata":{"alternative":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie","contributors":[{"name":"Morelli, Doct. G. B.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Deutsches Archiv f\u00fcr die Physiologie 7: 231-237","fulltext":[{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"231\n.An den obern Extremit\u00e4ten eines weiblichen Leichnams fehlte vom gemein fchaftUchen obern Fin gerben-ger, M. flexor digit, commun, fublimis, die Abtheilung, welche dem kleinen Finger angehorte, g\u00e4nzlich; jedoch war lie an der rechten Hand erfetzt, indem von dem Ligam, carpi volar, proprio ein kleiner Muskel ent-fprang, der bis zur Mitte der hohlen Hand fleifchig war, und ficli mit feiner Sehne, die wie die \u00fcbrigen Sehnen des oberfl\u00e4chlichen Fingerbeugers, ebenfalls durchbohrt wurde, und fleh in Hinficht ihrer \u00dfefefti-gung an den kleinen Finger ganz fo verhielt wie diefe, zu diefer begab.\nVII.\nSeltner Fall von Milsbildung der m\u00e4nnlichen Gefchlechtstheile und der Harnorgane, beobachtet im grofsen Hofpital zu Brescia. Vom Doct. G. B. Morelli, (Mitgetheilt aus den Annali univerfali di medicina com-pilati'dal Herr Sgr. Dr. A. O m o d e i, No. s U Luglio, Agofto 182h p. na.)\n.Oie Natur, fo bewundernswerth. in ihren Erzeugniflen, bietet dem Beobachter h\u00e4ufig fonderbare Erfcheinungen in der Organifation der lebenden Wefen dar, indem fie die thierifchen Formen mifsbildend fo ver\u00e4ndert, dafs lie uns h\u00e4ufig \u00fcber die Art und das Gefchlecht des Individuums, in welchem fie ihr Spiel \u00fcbte, in Zweifel l\u00e4lst. Von diefer Art ift die Erfcheinung, welche ich liier hefchreiben will, beobachtet an einem gewiffen Peter Pini, aus Baifano, 68 Jahr alt, der wegen chronifcher Diarrhoe, am acht und zwanzigften Mai 18x9 in unfer","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nHofpital gebracht wurde, wo er, einem paffenden Heilverfahren zum Trotz, am vierzehnten Juni ftarb.\nDa derfelbe durch feine ungew\u00f6hnlich gebildeten GefchJecbtstheile unfere Neugier erregte, fo ward der Leichnam in die Todtenkammer gebracht, wo in Gegenwart einiger jungen Mecliciner, eine genaue anato-mifche Unterfuchuug angeftellt wurde, welche hierauf auch der gelehrte und erfahrne praktifchc Arzt, Herr Alberti, fo wie der ausgezeichnete Wundarzt, Herr Bonizzardi beit\u00e4tigten, nachdem \u00dfe die pr\u00e4parirten Theile unterfucht hatten.\nDieler Ungl\u00fcckliche, der einer guten Gefundheit genoffen, hatte eine mittlere Statur, die Form der Glieder war m\u00e4nnlich, und feine Muskelkr\u00e4fte vollkommen entwickelt. Das Iiinn war mit ftarkem Barte bedeckt, fo wie die Gegend des Brul\u2019tbeins mit dickem Haare. Spuren eines vorhandenen Nabels fand man nicht. Das Becken war eng, die Schenkel gerade, Die Schamgegend und der Damm waren mit dichtem, rothen Haar bedeckt, ln beiden Jnguinalgegenden erhoben fich zwei l\u00e4ngliche Gefchw\u00fclfte, nach unten bis ans Perin\u00e4um zu-fammenlaufend, dazwifchen eine Furche, oder perpen-diculare Spalte, etwa zwei Zoll tief, ohne irgend eine Oeffnung, frei von Haaren wie die grofsen Schamlefzen der Weiber 1 ).\nAn dem obern Theile der Furche erhob fich ein cylindrifcher Auswuchs von etwa einem Zoll L\u00e4nge, nach Art der Ruthe, aber unf\u00e4hig zur Erection und nicht ganz von der Haut bedeckt, fo dafs gleichfam eine imperforirte Eichel \u00fcbrig blieb, mit unf\u00f6rmlicher\nl) Der Dr, Camifani verficliert mich in einem Briefe, dafs er gleich nach der Geburt, Zweifel wegen des Gefchlechts veranlafste, ehe er getauft wurde. Er hatte zwei Br\u00fcder, die wie die Eltern ohne die geringften Fehler an den Ge-burtstheilen waren.","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Krone, ohneVorhautundB\u00e4ndchen. Es fand fich in ihm keine Spur von den fchwammigten K\u00f6rpern, noch von der Harnr\u00f6hre.\nVon diefem Auswuchs einen Zoll oberw\u00e4rts erhob fich ein Hof, von der Gr\u00f6fse eines Mail\u00e4nder Thalers, dunkelroth, mit Hautrunzeln, als fey es der Nabel, umgeben von einer kleinen Furche, welche von der Verdoppelung der Haut gebildet wurde. In der Mitte von diefem befand fich auf jeder Seile ein kleines Loch, welches eine feine Sonde durchliefs, und aus welchem unwiJlkiihrlich der Urin abflofs. Eine in diefe befagte Harnkan\u00e4le eingef\u00fchrte Sonde drang leicht, von oben nach unten, und von innen nach aufsen durchgehend, in die H\u00f6hlung der l\u00e4nglichen Gefehw\u00fclfte, die bereits eben befchrieben find. Nachdem ich einen dieler Kan\u00e4le aufgefchnitten, ward ich gewahr, dal's ich in eine kleine Harnblafe gedrungen fey, die an der Bafis derfelben Gefchwulft lag, und zwei bis drei L\u00f6ffel voll Urin enthielt. ln den andern Kanal fpritzten wir Fl\u00fclfigkeit, the leicht in eine zweite Blafe drang, (der erftern \u00e4hnlich , ebenfalls an der Balis der andern Gefchwulft befindlich) und ihre W\u00e4nde ausdehnte, fo dafs ihr Umfang einem H\u00fchnerei glich. Nachdem diefe beiden Blafen aufgefchnitten waren, zeigte fich ihre innere Oberfl\u00e4che, etwas runzlig, aus feilen H\u00e4uten befte-liend, gleich der Harnblafe. Auf dem Grunde derfelben erhob fich nach innen an der hintern Seite eine fleiichigte Subltanz, wenig vorragend , von der Gr\u00f6fse einer Buchecker, fehr mondf\u00f6rmig, bedeckt mit einer feften Membran, gleich der albuginea des Hoden. Die Textur war unf\u00f6rmlich vascul\u00f6s, ohne Ausf\u00fchrungs-gange. Im Waller macerirt, zeigte fie fich beim Auseinanderziehen wie feine verwickelte F\u00e4den.\nDie beiden Ausf\u00fchrungskan\u00e4le, welche hier die Function der Harnr\u00f6hre verfahen, vertraten im F\u00f6tus","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\ndie Stelle<Jes Urachus. Das, was das noch \u00fcbrige der Gefchwiilfte billete, war die Harnblafe, gebildet aus der Verl\u00e4ngerung des Periton\u00e4mns, welches durch den Canalis inguinalis herabftieg, da der Durchgang der herausgetriebenen Eingeweide frei war, und der Bruch-fack an clen \u00e4ufsern W\u00e4nden h\u00e4ngen blieb, welche ihn umgaben. Das Gewebe beftand aus fefter, dichter und verdickter Membran. ln ihm fand fich eine grofse Schlinge des lleums: an der linken Seite fand fich, aufser einer grofsen Schlinge des d\u00fcnnen Darms, welche frei herein und hinaus ging, noch am Fundus des Sackes felbl't ein Theil des Netzes, welches wir bei der Oeffnuu\u201d des Unterleibes lehr erfchlafft fanden.\nDie Nieren waren an Form und Lage widernat\u00fcrlich , die Harnleiter von gew\u00f6hnlichem Durchmeffer, nur wichen iie einer von dem andern ab, indem fie zum Canalis inguinalis nur in Begleitung der Venen gingen, nicht aber der Arterien, weiche auf beiden Seiten von den Arter. und ven. renal, abgingen, fo wie die foge-nannten Vafa fpermat., welche fich in die Blafen und in den unf\u00f6rmlichen K\u00f6rper am Fundus der gedachten Blafen verbreiteten.\nDie Harnleiter durchbohrten dann die hintere Wand, ungef\u00e4hr am untern Drittheil jeder Blafe, etwas fchief durch deren Membranen durchgehend, ehe fie fich einm\u00fcndeten. Die Harnblafe fehlte, aber die beiden kleinen erw\u00e4hnten Blafen erfetzten lie. Ferner bemerkten wir, dafs das Ligam. falciforme, oder fu-fpenfor. hepatis, aus der Verdoppelung des Darmfells und der Nabelvene im F\u00f6tus,gebildet, fich bis zur Regio hypogaftrica verl\u00e4ngerte, l\u00e4ngs der Linea alba eine leichte Erhabenheit bildete, und fich im Mittelpunkt jenes rothen Hofes endigte, welcher fich in der Schamgegend erhob und die Stelle des Nabels vertrat.","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"1235\nSo felir die Natur im Allgemeinen fich unver\u00e4nderlich einigen befondern Geietzen bei der Erzeugung und Organii'ation der Wefen unterwirft, fo iehen wir doch h\u00e4ufig eigene Abweichungen entftehn, welche man, wie es fcheint, von irgend einer zuf\u00e4llig zuiani-mentreffenden Urfache ahleiten mufs ; und indem der fcharffinnige Forfcher hier\u00fcber Muthmafsungen entwirft, gelingt es ihm nicht feiten, wahrfcheinliehe Erkl\u00e4rungen der wunderbaren Erfeheinungen zu finden, welche fielt ihm darbieten.\nDie hier befchriebene Erfcheinung, in welcher die Zeichen von Mifsgeburt aller drei von den Naturkundigen angenommenen Abtheilungen, n\u00e4mlich der von Ueberftafs, Mangel oder Verletzung der Theile fielt vereinten, indem wir einige Organe fehlend , Eingeweide doppelt und Ortsverirrung anderer Theile fanden, bietet Stoff zu angenehmen und intereffanten Un-tevfuchungen, um fie zu erkl\u00e4ren. Die geiftreicliea Hypothelen eines Buff an, Bonnei:, Maiiperdus, Malebranche, Darwin und vieler andern \u00fcber den Urfprimg der Mifsgeburten, wor\u00fcber fchon fo viel gefagt ift, find hinreichend bekannt. Will man nun gar mit noch andern die Pr\u00e4exiftenz mifsgeftalteter Keime annehnten, fo h\u00f6rt alle Unterfuchung \u00fcber die erfte Urfache diefer Erfeheinungen auf.\nWir wollen aber diefe abftraclen und allgemeinen Unterteilungen bei Seite fetzen und uns darauf be-fchr\u00e4nken, nach der beobachteten Ordnung, in welcher die Theile in diefem zergliederten Subject vertheilfc waren, die Art und Weife anzugeben, nach welcher man vern\u00fcnftiger Weife die befchriebene Verdrehung und Ver\u00e4nderung der Theile entbanden glauben kann. Es mufs daher bemerkt werden, dafs in diefem Ungl\u00fccklichen, als F\u00f6tus, die Hoden im liebenten Monat durch den Canalis inguin. herabfteigend, auf die Bl\u00e4schen ftie-","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nfsen, mit denen fie verwuchfen, und von ihnen mit der Membrana propria bekleidet wurden, wodurch ihr eigner Zufammenhang und ihre Function unterbrochen und gehindert ward. Ihre Aufl\u00f6fung ward daher befchleu-nigt, indem fie wahrfcheinlich zwifchen jenen beiden lagen, wie die Eingeweide des Unterleibes im Periton\u00e4o, welche in der That aufserhalb deffelben find, obgleich fie innerhalb zu feyn fcheinen. Da nun der Inguinalweg frei blieb, fo bildete fich um fo leichter der bedeutende Bruch, welcher, durch die \u00e4ufsere Gefchwulft, den Anfchein des weiblichen Gefchlechts hervorbrachte.\nIn dem hier befchriebenen Subject ilt die Natur ftets regelm\u00e4fsig vorgefchritten in der Entwicklung der Theile feines K\u00f6rpers, nach dem verfchiedenen Lebensaltern. In der Pubert\u00e4t zeigten fich die Kennzeichen des Gefchlechts deutlicher in den eigent\u00fcmlichen Formen, die Theile, welche fich in ihr mehr entwickeln, wurdenmit Haaren bekleidet, aufser einigen auf dem K\u00f6rper zerftreuten. Es fcheint hiernach, dafs fo merkliche Ver\u00e4nderungen nicht ganz und gar v\u00f6n dem angenommenen Einflufs der entwickelten Hoden auf den ganzen Organismus abh\u00e4ngen. TJnfer Pini war der fiifsen und heftigen Empfindungen beraubt, durch welche jedes Individuum mehr die Erhaltung der eigenen Art als des Individuums bezweckt.\nDie Gefohichte der Zwitter und Mifsgeburten liefert verfchiedone Beifpiele von Abweichungen von der Natur. In BaiUie's pathologifcher Anatomie find einige verzeichnet, die der Gefchlechtsempfindung beraubt wurden, weil in Folge von Krankheit, die Hoden faft ganz verzehrt waren. Murcol\u00efni 1 ) erz\u00e4hlt einen Fall, wo er gar keine Spur des Nabels am Bauche fand, und ihn in einem Auswuchs zwei Querfinger breit\ni) Vol. II. p. t~5","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"fiber der Scham fetzt, der an der Seite zwei L\u00f6cher hatte, aus denen Her Urin tr\u00f6pfelte. Wir finden bei Conradi1) mehrere Beobachtungen anderer Schriftfteller von mehreren Blalen in einem Individuo und ihrer rnonftr\u00fclen Bildung. PortalJ) und viele andere ber\u00fchmte Aerzte haben den Atisfiufs des Harns aus dem Nabel bemerkt, und Haller 3) lagt: non tarnen rarum eft, non in i'olo infante urinam per umbilicum erupiffe, fed in adultis homini-bus... Duodecimo et decimo quarto anno urachus apertus vifus eft, et urina per eum fub umbilico pro* diit... Etiam in animalibus adultis urachus per aliquot fpatium apertus manfit.\nAn diele eben erw\u00e4hnten F\u00e4lle, aufser vielen arvc dern, die wir in den Sammlungen verzeichnet finden, habe ich geglaubt, den hier erz\u00e4hlten anreihen zu d\u00fcrfen, wegen der Seltenheit fo grofser organifcher Ver\u00e4nderungen der zur Beftimmung des Gefchlechts noth-wendigen Eingeweide.\nl} Anat. patbol. T. IV. p. 2.\ns) M\u00e9m. de l\u2019aead. roy. d. fcienc. an. 1770. p. 237. ?) Eiern. Phyliol. T. VIII. Lib. XVI. Seet. 2. p. 79-","page":237}],"identifier":"lit16101","issued":"1822","language":"de","pages":"231-237","startpages":"231","title":"Seltner Fall von Mi\u00dfbildung der m\u00e4nnlichen Geschlechtstheile und der Harnorgane, beobachtet im Hospital zu Brescia: Mitgetheilt aus den Annali universali di medicina compilati dal Herr Sgr. Dr. A. Omodei, No. 55, Luglio, Agosto, 1821, p. 112","type":"Journal Article","volume":"7"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:58.517446+00:00"}