Open Access
{"created":"2022-01-31T12:29:04.467761+00:00","id":"lit16448","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Kossel, Albrecht","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 6: 280-285","fulltext":[{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"Theodor Schwann.\nAm 14. Januar dieses Jahres wurden in C\u00f6ln die sterblichen Ucberreste eines Mannes bestattet, dessen Th\u00e4tigkeit einst einen m\u00e4chtigen Einfluss ge\u00fcbt li\u00e2t auf die Richtung, in der die biologischen Disciplinen unseres Jahrhunderts fortgeschritten sind.\nTheodor Schwann wurde am 7. December 1810 in der Stadt Neuss bei D\u00fcsseldorf geboren. Nachdem er seine Studien auf dem Progymnasium seiner Vaterstadt, auf dem Gymnasium in C\u00f6ln, auf den Universit\u00e4ten Bonn, W\u00fcrzburg und Berlin vollendet hatte, promovirte er im Jahre 1834 in Berlin zum Doctor der Medicin auf Grund einer Dissertation: \u00abDe necessitate a\u00ebris atmospaerici ad evolutionem pulli in ovo.\u00bb ln demselben Jahre vollendete er sein Staatsexamen.\nBereits in Bonn hatte er Johannes M\u00fcller kennen gelernt, er fand ihn in Berlin wieder. Seine Leistungen fallen fast alle in die Zeit, wo er, als Assistent von Johannes M\u00fcller des anregenden Verkehrs mit diesem Manne genoss. Von hervorragendem Einfluss auf die wissenschaftliche Th\u00e4tigkeit Schwanns war ferner der pers\u00f6nliche Umgang mit Schleiden und Heule. Die Ideen, welche durch den Botaniker in ihm wachgerufen wurden, schufen die Zellenlehre.\nIm Jahre 1838, als Schwann sich zur Habilitation in\nBerlin anschickte, erhielt er einen Ruf an die katholische Universit\u00e4t in L\u00f6wen. Zehn Jahre wirkte er hier als Professor der Anatomie, um dann als Vertreter des gleichen Fachs nach L\u00fcttich \u00fcberzusiedeln. Im Jahre 1858 vertauschte er den Lehrstuhl der Anatomie mit dem der Physiologie und diesen gab er erst kurz vor seinem Tode an seinen Nachfolger L\u00e9on Fredericq ab.","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"281\nDio wissenschaftlichen Leistungen des grossen Forschers eingehend und vollst\u00e4ndig besprechen, das hiesse ein gut St\u00fcck Geschichte der biologischen Wissenschaften schreiben ; wir k\u00f6nnen ihrer nur in wenigen Worten gedenken.\nIn seiner ersten Publikation, der vorerw\u00e4hnten Doct\u00f6r-Arbcit, suchte Schwann die Frage zu l\u00f6sen, tob das H\u00fchnchen im Ei die Luft ver\u00e4ndere?\u00bb Der Verfasser, zeigte* da,ss Eier, welche in einer Atmosph\u00e4re von Wasserstoff, Stickstoff oder im luftleeren Raum bebr\u00fctet worden, Kohlens\u00e4ure pro-duciren und eine regelm\u00e4ssige Entwicklung cingehen, ' die indess nur bis zu einem gewissen Grade fortschreitet und in der 15. Stunde nach Beginn der Bebr\u00fctung aufh\u00f6rt. Das Ei bewahrt in der irrespirablen Atmosph\u00e4re sein Leben bis zur 24\u201430. Stunde, sp\u00e4ter hat es auch die F\u00e4higkeit verloren, sich in sauerstoffhaltiger Luit weiter zu entwickeln. \u2019 Schwann entdeckte durch diese Versuche eine Erscheinung, welche erst in neuester Zeit eine principielle W\u00fcrdigung erfahren hat \u2014 active Lebensvorg\u00e4nge ohne Sauerstoff/\nNeben anatomischen Untersuchungen \u00fcber Muskelfasern, \u00fcber Nervenendigungen, \u00fcber elastische Gewebe folgten im Jahre 1836 die ber\u00fchmten Experimente \u00fcber das Pepsin.\nEberle hatte einige Jahre vorher gezeigt, dass die\u00e4uf-l\u00fcsenden Eigenschaften, die man an dem Magensecret Selbst ausserhalb des thierischcn K\u00f6rpers beobachtet hatte, auch der Schleimhaut des get\u00f6dtelen Thieres innewohne, dass Eiweiss \u00ab und Fleisch bei der Digestion mit Schleimhautst\u00fcckchen' und \u00absaurem Schleim\u00bb nicht allein bald gel\u00f6st werden, sondern auch eine chemische Umwandlung erleiden.\nIn welcher Art sollte man sich nun diese Aufl\u00f6sung vorstellen? Sollte in dem Extrakt ein gel\u00f6ster Stoff vorhanden sein, welcher die Verdauung bewirkt? oder handelte es sich um eine Contactwirkung von Seiten der Schleimhautst\u00fccke selbst? Ist der Schleim selbst das verdauende Princip? Hatte man in der Magenschleimhaut ein Universal\u00ab Aufl\u00f6sungsmitte| f\u00fcr alle Nahrungsstoffe? Solche Und \u00e4hnliche Fragen von principieller Wichtigkeit \u2022 waren durch , Eberle\u2019s Versuche nicht gel\u00f6st. Schwann-untersuchte sie","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nmit Scharfsinn und Erfolg. In der ersten gemeinschaftlich mit Joh. M\u00fcller publicirten Abhandlung best\u00e4tigte er im Wesentlichen die Resultate Eberle\u2019s. Als er dann die Untersuchungen allein fortsetzte, machte er die wichtige Beobachtung, dass auch dem filtrirten salzsauren Extrakt der- Schleimhaut die ei weissl\u00f6sende Kraft innewohne. Er bewies, dass diese Kraft hervorgerufen wird durch das Zusammenwirken zweier Substanzen: 1) der Salzs\u00e4ure und 2) eines organischen Stoffes, den er Pepsin nannte. Er beschrieb die chemischen Eigenschaften des Pepsins und definirte die Bedingungen seiner Wirksamkeit \u2014 es gen\u00fcgt hier, zu sagen, dass eine sp\u00e4tere Zeit zu diesem Theil seiner Untersuchungen nichts Wesentliches hinzugef\u00fcgt hat, Er zeigte ferner, dass die Wirkung des Magensaftes sich auf die eiweissartigen Nahrungsstoffe beschr\u00e4nkt ; St\u00e4rkemehl mit der verdauenden Fl\u00fcssigkeit digerirt, bildete keinen Zucker.\nDiese Entdeckungen, von ungew\u00f6hnlichem Interesse f\u00fcr den physiologischen Specialforscher, d\u00fcrfen mit den grossen Errungenschaften der folgenden Jahre nicht verglichen werden.\nDie Erscheinungen der F\u00e4ulniss und G\u00e4hrung waren bevor Schwann\u2019s ber\u00fchmte Abhandlung \u00fcber diesen Gegenstand erschien, bereits mehrfach das Object der Beobachtung und der Er\u00f6rterung gewesen. Am meisten Geltung hatten damals die Ideen von Berzelius. Dieser Forscher beobachtete eine Reihe von Thatsachen, die auf eine wichtige Betheiligung des atmosph\u00e4rischen Sauerstoffs an gewissen F\u00e4ulnissvorg\u00e4ngen hinwiesen. Eine Bedingung, welche die F\u00e4ulniss zu modificiren und zu verst\u00e4rken vermag, hielt Berzelius f\u00e4lschlich f\u00fcr eine Bedingung, ohne welche die F\u00e4ulniss \u00fcberhaupt nicht stattfindet, er stellte die Behauptung auf: \u00abOhne Sauerstoff keine F\u00e4ulniss.\u00bb Gewisse Verh\u00e4ltnisse unter denen die f\u00e4ulnissfahigen Stoffe nicht faulen, waren schon damals bekannt; erhitzte man ein mit dhierischor Substanz gef\u00fclltes und gut verschlossenes Gef\u00e4ss auf 100\u00b0, so trat im Innern desselben keine F\u00e4ulniss ein. Welches Moment verhinderte hier das Eintreten der putriden Zersetzung? Nach Berzelius Ansicht die Abwesenheit von","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Sauerstoff. Schwann widerlegte diese Meinung, indem er zeigte, dass auch hei Zutritt von Sauerstoff die .F\u00e4ulniss in diesem Falle ausbleibt, wenn nur die zugef\u00fchrte Luft vorher gegl\u00fcht wird. Die Stoffe, welche die F\u00e4ulniss erregen, werden durch die Hitze zerst\u00f6rt, es sind die Keime niederer Organismen. Schwann fand sofort eine Analogie f\u00fcr diese Thatsache in der Alkoholg\u00e4hrung. Das Auftreten dieses Prozesses ist an das Vorhandensein der liefe gekn\u00fcpft. Indem er zeigte, dass auch diese g\u00e4hrungerregend\u00f6 Materie aus kleinen Organismen besteht, erkannte er einewichtige Tliat-saclie, deren Schicksal es gewesen ist, oft entdeckt und ebenso oft vergessen oder verkannt zu werden.\nDie Bedeutung der von Schwann entdeckten Erschei-\nnung ist vielfach in falscher Richtung gesucht worden. Es ist durch diese Versuche keine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Wesen dei- F\u00e4tilnlssvorg\u00e4nge gefunden, sondern es ist eine Bedingung f\u00fcr das Auftreten dieser Vorg\u00e4nge klargestellt, deren \u00c9nt-doekung bedeutende Fortschritte auf praktischem Gebiete hervorrief und noch gr\u00f6ssere verspricht. Der Glanz der That-saclien, welche die Praktiker zur antiseptischeri Wundbehandlung f\u00fchrten, hat manche Theoretiker geblendet. Denn in einer Zeit, wo es f\u00fcr die Aufgabe der Physiologie gilt, alle Lebensvorg\u00e4nge auf die Eigenschaften gewisser innerhalb der Organismen wirkender Stoffe zur\u00fcckzuf\u00fchren, hat man sich gestr\u00e4ubt gegen die gl\u00fccklichen Bem\u00fchungen einzelner Forscher, welche versuchten, diese Aufgabe auch f\u00fcr diejenigen Lebensprozesse zu l\u00f6sen, von denen die F\u00e4ulniss abh\u00e4ngig 1st.\nSchwann\u2019s Mittheilungen \u00fcber diese'Thatsachen blieben\nauf eine vorl\u00e4ufige Notiz beschr\u00e4nkt, denn seine Th\u00e4tigkeit\nwurde bald von einer anderen Aufgabe absorbirt. Im Jahre 183(.) erschienen seine \u00abMikroskopische Untersuchungen \u00fcber die Uebercinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum\nder Thiere und Pflanzen.\u00bb\nIn h\u00f6herem Grade als andere Menschen bef\u00e4higt, die \u00abEinheit in der Vielheit\u00bb der Naturerscheinungen zu erkennen, hatte er aus der Uebereinstimnumg einzelner morphologischer","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"Ph\u00e4nomene im Thier- und Pflanzenreiche die Idee zu einer \u00abTheorie der Vegetation und Organisation\u00bb gesch\u00f6pft. Er entdeckte in der Zellbildung ein allgemeines Entwickelungs-prinzip und lehrte, \u00abdass bei der Bildung der Elementar-\u00abIheile der Organismen die Molek\u00fcle nicht auf eine Weise \u00abzusammengef\u00fcgt werden, welche nach der physiologischen \u00abBedeutung der Elementartheile verschieden ist, sondern dass \u00absie \u00fcberall nach denselben Gesetzen sich aneinander legen.\u00bb-Die Zellenlehre Schwann\u2019s ist eine Verallgemeinerung der von Schleiden gewonnenen Anschauungen. Die Schwierigkeiten, die sich der Uebertragung dieses Princips auf den thierischen Organismus entgegenstellten, waren bedeutende, sie wurden erh\u00f6ht durch die theoretischen Anschauungen jener Zeit. Schwann selbst scheint den Hauptwerth seiner Entdeckungen in der Bek\u00e4mpfung der damals herrschenden Lehre von der Lebenskraft erblickt zu haben. In der That musste der Glaube an eine mit Ideen begabte Lebenskraft, welche die Theile des Organismus nach dem Zweck, den sic erf\u00fcllen sollen, bildet, ersch\u00fcttert werden durch die Erkennt-niss, dass die Organe nicht auf dem k\u00fcrzesten Wege entstehen, sondern dass bei ihrer Bildung stets bestimmte Erscheinungen auftreten, die mit der Nothwendigkeit eines physikalischen Gesetzes bei der Entwickelung der verschiedensten Formelemente .wiederkehren.\nDie Zellenlehre ist die Grundlage eines grossen Theils unserer physiologischen und pathologischen Anschauungen geworden. Es ist haupts\u00e4chlich das Verdienst Virchow\u2019s, die Zelle, welche Schwann als eine bei der Entwickelung und beim Wachsthum \u00fcberall und mit Nothwendigkeit auftretende morphologische Erscheinung beschrieben hatte, auch als functionelle Einheit im fertigen Organismus, als \u00abElementargebiet, von dem die Th\u00e4tigkeit abh\u00e4ngt\u00bb, erkannt zu haben.\nEs w\u00fcrde zu weit f\u00fchren, wollten wir der Leistungen des Verewigten auf dem Gebiete der speciellen Muskel- und Nervenphysiologie gedenken. Auch die Untersuchungen \u00fcbei die Rolle der Galle im Darmkanal, welche im Jahre 1844 erschienen, k\u00f6nnen wir nur kurz erw\u00e4hnen. Diese Versuche","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"zeigten, dass die Gegenwart der Galle im Darmkanal f\u00fcr das Lehen noth wendig ist, dass Thiere, denen man die Galle durch Fisteln nach aussen ableitete, abmagerten und starben, Mit der Uebersiedelung nach Belgien war der gr\u00f6ssere Theil der wissenschaftlichen Th\u00e4tigkeit Schwann\u2019s beendet. Ung\u00fcnstige \u00e4ussere Verh\u00e4ltnisse m\u00f6gen dazu beigetragen haben, den Forschertrieb zu hemmen. Erst in den letzten\nJahren seines Lebens ward ihm ein kleines Laboratoriunt mit regelm\u00e4ssigem Etat bewilligt. Bis an sein Lebensende verfolgte er die Entwickelung der physiologischen Disciplinen, pr\u00fcfte einzelnes nach, besch\u00e4ftigte sich auch mit eigenen\u2019 speciollen Untersuchungen, stand aber trotzdem einem Theil der heutigen Anschauungen fremd gegen\u00fcber. Die Entwickelung der physiologischen Chemie als einer selbstst\u00e4ndigen Wissenschaft billigte er nicht.\t-\nEinen grossen Theil der Arbeit seiner letzten Jahre widmete er einem umfassenden Werke, in dem er zugleich religi\u00f6se und wissenschaftliche Anschauungen niederlegcn wollte; dies Werk blieb unvollendet.\nSchwann war in den weitesten Kreisen beliebt. Ver-heirathet war er nicht. Obgleich streng kirchlich gesinnt, widerstand er doch den Bem\u00fchungen der Geistlichkeit, welche\nV\t**\u2019\t\u2019\t''\nihn in die Affaire der Louise La tea u zu verwickeln gedachte.\nAm 23. Juni 1878, zur Feier seines Amtsjubil\u00e4ums, empfing er in vollem Masse Zeichen der Dankbarkeit f\u00fcr die vielen Gaben, die er einst der Wissenschaft gespendet hatte. Adressen aus allen Weltgegenden bezeugten, welche Fr\u00fcchte seine Lehren getragen hatten. Man \u00fcberreichte dem Gefeierten seine Marmorb\u00fcste zur bleibenden Erinnerung f\u00fcr seine Familie: \u00abCette image n'est pas indestructible\u00bb, so redete Stas ihn an, \u00abelle durera moins que votre nom.\u00bb\nA; K os sel. :","page":285}],"identifier":"lit16448","issued":"1882","language":"de","pages":"280-285","startpages":"280","title":"Theodor Schwann","type":"Journal Article","volume":"6"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:29:04.467766+00:00"}