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{"created":"2022-01-31T14:49:16.519432+00:00","id":"lit16607","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Vaughan, V.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 10: 146-149","fulltext":[{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"Ein Ptomain aus giftigem K\u00e4se.\nVon\nProf. Dr. Victor C. Vautrliaii.\n(Dcr'liodakUou zugepaugeu am 7. December Ihm.*\u00bb.)\nIm Jahre 188:1\u201484 wurde dem Gesundheitsamt im Staate Michigan Anzeige gemacht von einer pl\u00f6tzlichen und heftigen Erkrankung von ca. 300 Personen in Folge des Genusses von K\u00e4se. Die ersten Krankheitssymptome waren meistens schon nach 2\u20144 Stunden aufgetreten, einige Personen erkrankten erst nach 8\u201410 Stunden und dann nur sehr leicht. Der anwesende Arzt berichtet, dass die Heftigkeit der Erkrankung im Verh\u00fcltniss gestanden habe zur Quantit\u00e4t des genossenen K\u00e4se, dass keine Person jedoch von der Einwirkung des- Giftes verschont geblieben sei.\nEiner der Physikatsberichte giebt in Betreff der Symptome Folgendes an: \u00abJede Person, welche von dem K\u00e4se genossen hatte, erkrankte heftig unter Erbrechen von Anfangs d\u00fcnnen, w\u00e4sserigen, sp\u00e4ter consistenteren, r\u00f6thlich gef\u00e4rbten Massen; zu gleicher Zeit entleerten die Patienten diarrh\u00f6ische, w\u00e4sserig\u00ab\u201c St\u00fchle. Schmerzen waren nur in der Magengegend vorhanden, die Zunge anfangs weiss belegt, sp\u00e4ter rotli und trocken. Puls weich und unregelm\u00e4ssig, Gesicht bleich mit ausgesprochener Cyanose. Bei einem kleinen Knaben, dessen Zustand sehr bedenklich war, zeigten sich \u00fcber den ganzen K\u00f6rper verbreitete blaue Flecken. *\nTrockenheit im Halse und das Gef\u00fchl des Zusammengeschn\u00fcrtseins in der Kehle geh\u00f6rten zu den ersten Erscheinungen, in einigen F\u00e4llen kam noch eine nerv\u00f6se Abgeschlagen-heit dazu.","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"147\nObgleich nun die Krankheitssymptonie bei einigen Per-^onen so ungemein heftig zum Ausbruch kamen, war doch kein letaler Ausgang zu beklagen. Von den zuerst herbei-gerufcncn Aerzten glaubten einige es mit einer Arsenik Vergiftung zu tliun zu haben und verordneten demgem\u00e4ss Eisen-oxydliydrat, andere beschr\u00e4nkten sich auf Gaben von Alkohol und Excitanticn und verhielten sich bei den weniger Besorgnis* erregenden F\u00e4llen rein expectativ.\t;\nAlle 300 Erkrankungsf\u00e4lle waren verursacht durch 11 K\u00e4se, von denen 9 in ein und derselben, die \u00fcbrigen 3 in 3 verschiedenen Meiereien fabricirt waren.\nEs war mir m\u00f6glich, von allen K\u00e4sen mir zu verschaffen (\\on 10 allerdings nur wenig, von den \u00fcbrigen beiden jedoch ungef\u00e4hr je 18 Kil.). Die K\u00e4se waren vollkommen vorschrifts-m\u00e4ssig gemacht und an ihnen durchaus nichts Auff\u00e4lliges durch Geruch oder Geschmack zu bemerken; jedoch zeigten sich auf der frischen Schnittfl\u00e4che zahlreiche Tr\u00f6pfchen einer schwach opalescirenden Fl\u00fcssigkeit, die blaues, Lakmuspapier sofort intensiv r\u00fcthete. Obgleich ein Mensch an den K\u00e4sen nichts Besonderes am Geruch bemerken konnte, so wusste doch ein llund sowohl wie eine Katze sehr sicher, den guten K\u00e4se vom giftigen zu unterscheiden; Legte man den Thicren hide vor, so suchten sie sich stets den guten aus, ohne jedoch den giftigen, wenn man ihnen denselben allein vor-legle und sie hungrig waren, zu verschm\u00e4hen.\nt\u00fctterungsversuche an Hunden und Katzen hatten keinen tifolg; eine Katze, die ich 7 Tage lang bei giftigem K\u00e4se und Wasser hungern liess. zeigte, obgleich sie von dem K\u00e4se gefressen halte, durchaus nichts Abweichendes von lier Norm, \\veder w\u00e4hrend, noch nach Ablauf dieser 7 Tage. Die sorgf\u00e4ltigste Section ergab durchaus nichts, nicht einmal die M\u00e4gen* Schleimhaut schien angegriffen zu sein. Aus dem, was ich l*iv jetzt \u00fcber das Gift weiss, habe ich die \u00dcoberzeugung gewinnen k\u00f6nnen, dass es in reichlichen Dosen bei niederen Thicren eine Einwirkung zeigen wird.","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nMein College Dr. Stern berg, ein ge\u00fcbter Bact.eriol\u00f6ge untersuchte den K\u00e4se mikroskopisch und fand in den oben erw\u00e4hnten opalescenten Tropfen zahlreiche Microeoccen ; Impf-versuchc an Kaninchen ergaben negative Resultate.\nEs ist mir nach vielen Versuchen gelungen, aus dem K\u00e4se eine giftige Substanz zu isoliren. Zun\u00e4chst konnte ich constatiren, dass eine durch Extrahiren mit Alkohol und nachherigeln Verdunsten des Auszuges bei niederer Temperatur erhaltene Substanz bei mir selbst Trockenheit im Hals, Nausen und Diarrhoe hervorrief; ich schloss hieraus, dass das Gift chemischer Natur sein musste, und nicht lebende Organismen. Darauf stellte ich lest, dass der w\u00e4sserige Auszug des K\u00e4ses das C\u00eeift enthielt ; verdunstete man jedoch den Wasserauszug auf dem Wasserbad, so war der R\u00fcckstand nicht giftig, mithin das Gift fl\u00fcchtig bei oder unter luO\u00b0 C.\nDen Wasserauszug, der stark sauer war, versetzte ich mit Natronlauge im Ueberschuss und extrahirte mit Aether, den Aetherauszug Hess ich in der K\u00e4lte verdunsten, l\u00f6ste den R\u00fcckstand in Wasser, extrahirte wieder mit Aether und 'brachte diesen letzten Aetherauszug einige Stunden in\\s Vacuum \u00fcber Schwefels\u00e4ure, worauf sich nadelf\u00f6rn\u00fcge Krystalle ausschieden. Wenig von diesen Krystallen (die man mit unbewaffnetem Auge erkennen konnte) mir selbst auf die Zungenspitze gebracht, riefen eine scharfe, brennende Empfindung hervor, es folgte bald Trockenheit im Halse, das Gef\u00fchl des Zusammen-geschn\u00fcrlseins und Uebelkeit. Ein Tropfen Fl\u00fcssigkeit von zerflossenen Krystallen verursachte a\u00fcsser den ebenerw\u00e4hnten Symptomen diarrh\u00f6ische Ausleerungen. Ich wiederholte mehrere Male diese Versuche, und zwar nicht allein an mir selbst, sondern auch an drei von meinen Sch\u00fclern, die sich in bereitwilliger Weise zu diesem Experiment hergaben.\nIch habe dieser Substanz den Namen Tyrotoxicon (K\u00e4se-Gift) gegeben. Sie giebt mit Ferricyankalium und Eisenchlorid Berlinerblau, ferner reducirt sie Jods\u00e4ure. Die F\u00e4llungsmittel der Alkaloide wirken auf das Tyrotoxicon nicht ein. Um die Krystalle gut zu erhalten, muss man zuletzt mit","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"ninoni Aether extrahiren, da sonst Verunreinigungen am\nI;ifle haften bleiben und die Krystallisation st\u00f6ren. Die\nKrvstalle haben einen stechenden Geruch, an allen K\u00e4se \u00ab\nerinnernd, und es mag erw\u00e4hnt werden, dass dieser Geruch nach Huscmann und Boehm auch in giftiger Wurst vor-kommt. L\u00e4sst man die Krystalle hei gew\u00f6hnlicher Zimmer-tein}\u00bberatur offen an der Luft stehen, so zersetzen sie sich unter Bildung einer zur\u00fcckbleibenden organischen S\u00e4ure, deren Zusammensetzung ich nicht ermitt ln konnte. Auf dem Wasserbad verfl\u00fcchtigt sich das Tyrotoxicon rasch unter Entwickelung von Stoffen, welche die cliaracteristisehe Trockenheit im Halse und' das Gef\u00fchl des Zusammengeschn\u00fcrtseins hervoirufen; das Tyrotoxicon ist leicht l\u00f6slich in Wasser, Aether und Alkohol.\nAus 16 Kil. von einem K\u00e4se erhielt ich ca. 0,5 gr. Tyi*o-lexicon, von einem anderen K\u00e4se hingegen bekam ich aus derselben Quantit\u00e4t kaum 0,1 gr.; \u00fcbrigens glaube ich nicht, dass ich s\u00e4mmt liebes Gift aus dem K\u00e4se extr\u00e4liirt habe.\nIch bedaure sehr, dass ich nicht die endliche Zusammensetzung dieser Substanz habe bestimmen k\u00f6nnen, da der Vorrath an giftigem K\u00e4se bald ersch\u00f6pft war; meine weiteren diesbez\u00fcglichen Untersuchungen besch\u00e4ftigen sich mit der F\u00e4ulniss der Milch unter verschiedenen Verh\u00e4ltnissen; vielleicht darf ich hoffen, hierbei N\u00e4heres \u00fcber dieses Gift zu ermitteln.\nUniversit\u00e4t zu Michigan, November 1885.","page":149}],"identifier":"lit16607","issued":"1886","language":"de","pages":"146-149","startpages":"146","title":"Ein Ptomain aus giftigem K\u00e4se","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:49:16.519437+00:00"}