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{"created":"2022-01-31T13:02:25.213142+00:00","id":"lit17065","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Nuttall, George H. F.","role":"author"},{"name":"H. Thierfelder","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 21: 109-121","fulltext":[{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Thierisches Leben ohne Bakterien im Verdauungskanal\nVon\nGeorge H. F. Nuttall und H. Thierfelder.\n(Mit einer Tafel,) *\n(Aus dem hygienischen Institut der Universit\u00e4t Berlin.) (Der Redaction zugegangen am 24. Juni 1895.)\nr\nIm Anschluss an eine Arbeit von E. Duclaux: \u00abSur la termination dans un sol riche en mati\u00e8res organiques, mais exempt de microbes\u00bb, machte Pasteur im Jahre 1885 in den Comptes rendus Bd. 100, S. 08, folgende Mittheilungeh :\n\u00ab Souvent, dans nos causeries du laboratoire, depuis bien des ann\u00e9es j\u2019ai parl\u00e9 aux jeunes savants qui m'entouraient, de l\u2019int\u00e9r\u00eat qu\u2019il y aurait \u00e0 nourrir un jeune animal (lapin, cobaye, chien, poulet) d\u00e8s sa naissance avec des mati\u00e8res nutritives pures. Par cette derni\u00e8re expression j\u2019entends d\u00e9signer des produits alimentaires qu\u2019on priverait artificiellement et compl\u00e8tement des microbes communs.\nSans vouloir rien affirmer, je ne cache pas que j\u2019entreprendrais cette \u00e9tude, si j\u2019en avais le temps, avec la pens\u00e9e pr\u00e9con\u00e7ue que la vie, dans ces conditions, deviendrait impossible. Si ces genres de travaux se simplifiaient par leur d\u00e9veloppement m\u00eame, on pourrait peut-\u00eatre tenter l\u2019\u00e9tude de la digestion par l\u2019addition syst\u00e9matique aux mati\u00e8res nutritives pures dont je parle de tel ou tel microbe simple ou de microbes divers associ\u00e9s bien d\u00e9termin\u00e9s.\nL\u2019\u0153uf de poule se pr\u00eaterait sans difficult\u00e9 s\u00e9rieuse \u00e0 cette nature d\u2019exp\u00e9riences. Priv\u00e9 ext\u00e9rieurement au pr\u00e9alable de\nZeitschrift f\u00fcr physiologische Chemie. XXI\t9","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\ntoute poussi\u00e8re vivante au moment o\u00f9 le petit poulet va sortir, mis aussit\u00f4t apr\u00e8s dans un espace sans germes quelconques de microbes, espace o\u00f9 se renouvellerait un air pur, on fournirait facilement du dehors au jeune poulet des aliments purs (eau, lait, grains).\nQue le r\u00e9sultat soit positif et confirme la vue pr\u00e9con\u00e7ue que je mets en avant ou qu\u2019il soit n\u00e9gatif et m\u00eame en sens inverse, c\u2019est-\u00e0-dire que la vie soit plus facile et plus active, il y aurait un grand int\u00e9r\u00eat \u00e0 tenter l\u2019exp\u00e9rience\u00bb.\nDiese Bemerkungen von Pasteur haben uns schon vor Jahren angeregt, derartige Versuche auszuf\u00fchren, wenn wir auch von vornherein \u00fcberzeugt waren, ein dem von Pasteur erwarteten entgegengesetztes Resultat zu erhalten. Die Nahrungsmittel werden durch die Fermente des Verdauungskanals so schnell und leicht in zur Resorption geeignetes Material umgewandelt, dass es der Mith\u00fclfe der Bakterien jedenfalls nicht bedarf. Die Ver\u00e4nderungen, welche speciell die Eiweiss-stofTe durch die Mikroorganismen erfahren, sind zwar zun\u00e4chst dieselben, wie die durch Fermente bewirkten, dann aber sehr viel weiter gehende. Als Endproducte bakterieller Zersetzung kennen wir aromatische S\u00e4uren, fl\u00fcchtige fette S\u00e4uren, Phenol, Kresol, Indol, Skatol, Kohlens\u00e4ure, Wasserstoff, Methan, Schwefelwasserstoff u. s. w., Stoffe, welche keinen N\u00e4hrwerth mehr besitzen, welche dem K\u00f6rper nicht nur nicht n\u00fctzlich, sondern zum Theil wenigstens sch\u00e4dlich sind. Nencki1) hat schon sehr bald nach Erscheinen der Pasteur\u2019sehen Bemerkungen diesen Erw\u00e4gungen Ausdruck gegeben und sehr energischen Widerspruch gegen die von Pasteur vertretene Auffassung von der Rolle der Bakterien im Darmkanal erhoben.\nIndessen \u2014 die Frage war einmal aufgeworfen worden, sie musste beantwortet werden; eine entscheidende Antwort konnte nui* das Experiment geben.\nWir beschlossen, das Experiment in Angriff zu nehmen und zu versuchen, ob junge, durch die sectio caesarea geborene Thiere in einem sterilen\n\u2018) Arch. f. exp. Path. u. Pharniak., Bd. 20, S. 385, 1886.\n>","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"ni\nKaum unter Zuf\u00fchrung steriler Luft mit steriler Nahrung aufgezogen werden k\u00f6nnen. Der Gedanke, H\u00fchnereier, welche ja in vieler Beziehung f\u00fcr derartige Versuche Vortheile geboten h\u00e4tten, zu verwenden, wurde alsbald\naufgegeben, da erfahrungsgem\u00e4ss ein grosser Procentsatz derselben von vornherein inficirt ist.\nWir w\u00e4hlten als Versuchsthiere Meerschweinchen nachdem sich herausgestellt hatte, dass es zwar mit einem erheblichen Aufwand von M\u00fche und Geduld, aber doch ohne besondere Schwierigkeiten gelingt, diese Thiere von der Geburt an mit unverd\u00fcnnter Kuhmilch, die ihnen in der Saugflasche zugef\u00fchrt wird, aufzuziehen.\nDie jungen Meerschweinchen mussten ihrer grossen Selbstst\u00e4ndigkeit wegen f\u00fcr unsere Zwecke ganz besonders geeignet erscheinen. Wir glauben, jetzt sagen zu k\u00f6nnen, dass sie unter allen \u00fcberhaupt in Frage kommenden S\u00e4ugethieren die allein brauchbaren sind.\nWir lassen zun\u00e4chst die Beschreibung des von uns benutzten Apparates u. zw. der Modification, mit welcher wir schliesslich zu einem befriedigenden Resultat gelangten, folgen. Die in Klammern beigef\u00fcgten Zahlen beziehen sich auf die beigegebene Zeichnung ('/, nat\u00fcrliche Gr\u00f6sse).\nApparat').\nAls Aufenthaltsraum f\u00fcr das Thier diente eine tubulirte Glocke (15) von 6 Litern Inhalt, 30 cm. H\u00f6he und 17 cm. Durchmesser, die mit ihrem abgeschlifienen unteren Rand auf <ler Schlifffl\u00e4che eines cylindrischert Gelasses (16) von 15 cm. H\u00f6he aufruhte und mit diesem durch eine vielfach umgewickelte Esmarch\u2019sche Binde (24) luft- und bakteriendicht verbunden w ar. Das cylindrische Gefiiss enthielt eine 4 cm. hohe Wasserdicht, auf dieser stand eine 2 cm. hohe Oelschicht. ln halber\n') Alle Theile des Apparates wurden uns von der Firma Pa A11 m a n n, Berlin KW., Louisenstr. 52, geliefert. Wir sind Herrn P. AI\nmann f\u00fcr das verst\u00e4ndnisvolle Eingehen auf unsere W\u00fcnsche zu best\u00ab Dank verpflichtet.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nI\nH\u00f6he des Gesammtraumes befand sich ein vernickeltes Drahtnetz. Dasselbe ruhte auf drei Fussen, die in einen schweren, auf dem Boden des cylindrischen Gefasses liegenden Bleiring (Hl) eingefugt waren. (A 19), Das Drahtnetz, auf dem das Thier sass, stand auf diese Weise vollkommen fest, ohne an die Glockenwandungen anzustossen, vielmehr war zwischen beiden noch ein etwa 1 cm. breiter Spielraum, welcher ein schnelles Aufheben und Niederlassen der Glocke gestattete. Unmittelbar oberhalb des Drahtnetzes befanden sich in der Glocke zwei einander gegen\u00fcberliegende runde Ausschnitte (17 u. 18) mit nach aussen stark gewulsteten R\u00e4ndern, \u00fcber welche gleich zu beschreibende Kautschukst\u00fccke gezogen und festgebunden waren. Das eine, f\u00fcr den gr\u00f6sseren Ausschnitt (17) von 12 cm. Durchmesser bestimmt, stellte einen Fausthandschuh (20) dar, in den die, mit Talk bepuderte Hand bequem eingef\u00fchrt werden konnte. Nach Gebrauch wurde er nach aussen zur\u00fcckgezogen und hing an der Aussenseite der Glocke herunter. Da das\nThier grosse Neigung hatte, an dem Kautschuk zu beissen, sch\u00fctzten wir denselben durch ein Gitter aus Drahtgeflecht, das, an einem auf dem Drahtnetz angebrachten Drahtbogen auf-und abw\u00e4rts verschieblich, f\u00fcr gew\u00f6hnlich heruntergelassen war und nur dann, wenn die Hand eingef\u00fchrt werden sollte, hi na ufg erhoben wurde (A 19). Der Gummihandschuh enthielt einen einige cm. langen Schlitz, welcher den Zugang zu einem Gummisack (21) bildete. Derselbe war mit einer grossen Zahl etwa wallnussgrosser, fest comprimirter und in Seidenpapier eingewickelter Watteb\u00e4uschchen gef\u00fcllt; es gelang leicht, einige von ihnen auf das Drahtnetz zu bef\u00f6rdern, sie hier mit H\u00fclfe der \u00abGummihand\u00bb von der Papierh\u00fclle zu befreien und zu einer weichen Unterlage f\u00fcr das Thier auszubreilen. Sobald sie durch Harn und Faces feucht geworden waren, wurden sie mit H\u00fclfe eines in dem Apparat befindlichen Metallstabes (2C>) zwischen Drahtnetzrand und Glockenwandung nach unten gegossen und durch frische aus dem Gummisack ersetzt. Die hinabfallenden feuchten Watteb\u00e4uschchen sanken unter die Oelschicht. Auf diese einfache Weise Hessen sich Harn und F\u00e4ces vollst\u00e4ndig eliminiren und Versuchsraum und Thier","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"113\ndauernd trocken erhalten. Das zweite Kautschukst\u00fcck bestand aus einer starken K\u00e4utschukplatte mit centralem Loch, welche, von demselben Durchmesser (8 cm.) wie dc?r kleinere Ausschnitt (18) der Glocke, gerade in diesen hineinpasste; sie hatte eine nach der Glocke zu umgebogene Fortsetzung aus d\u00fcnnem Gummi, welche um den Wulst umgeb\u00fcnden wurde, und trug nach der anderen Seite eine Art Glocke ebenfalls aus d\u00fcnnem, leicht beweglichen Gummi, in welche wiederum ein Schlauch eingef\u00fcgt war (vergleiche die Abbildung C, I stellt Profilansicht, II Durchschnittsansicht dar). Der Schlauch ragte als feine Saugspitze in die Kautschukglocke hinein, wahrend er auf der anderen Seite an den Hals der Milchflasche (22) angef\u00fcgt war. F\u00fcr gew\u00f6hnlich befand sich die Saugspitze innerhalb der Kautschukglocke geborgen (C II); sollte das Thier gef\u00fcttert werden, so wurde die Milchflasche vorwartsbewegt und dadurch die Saugspitze durch die centrale Oeffnung der Gummiplatte hindurch in die Glasglocke hineingeschoben. Durch diese Anordnung gelang es, das Zernagen der Saug-spitze dem Meerschweinchen unm\u00f6glich zu machen1). Um auch die Gummiplatte vor seinen Z\u00e4hnen zu sch\u00fctzen, wurde ein Nickelschild (G IV), ebenfalls mit centraler Oeffnung, vor derselben befestigt. Schliesslich ist noch zu erw\u00e4hnen, dass von der Gummiplatte ein schmaler Gummistreifen mit auf-gewulsteten R\u00e4ndern bis in das cylindrische Gef\u00e4ss hinunterhing (C III von vorn, C I und C II von der Seite resp. iin Durchschnitt; auch in der Hauptzeichnung sichtbar). Derselbe hatte den Zweck, die bei der F\u00fctterung etwa verloren gehende Milch in das cylindrische Gef\u00e4ss zu leiten und zu verhindern, dass sie zwischen Gummi und Glaswulst hineinsickerte und sich einen Weg nach aussen bahnte, auf dem dann nat\u00fcrlich in umgekehrter Richtung Keime in den Apparat gelangen konnten. Die Milchflasche (22), ein bimf\u00f6rmiger Kolben Von 500 cbcm. Inhalt, welcher sich ganz allm\u00e4lig in den Hals verj\u00fcngte, ruhte f\u00fcr gew\u00f6hnlich auf einem Sandbad (23), dessen Temperatur durch ein untergestelltes Nachtlicht so regulirt\n0 Ein Versuch musste abgebrochen werden, da das Thier gleich in den ersten Tagen die Spitze vollkommen abgenagt hatte.","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nwurde, dass die Milch stets den richtigen W\u00e4rmegrad hatte. Zum Zweck der F\u00fctterung wurde sie gehoben und, wie oben auseinandergesetzt, nach vorn bewegt. Den Tubus der Glocke verschloss ein gut passender, dreifach durchbohrter Gummistopfen. Die eine Durchbohrung war f\u00fcr das Thermometer bestimmt, w\u00e4hrend die beiden anderen Glasr\u00f6hren f\u00fcr Zu-un\u00e7l Ableitung der Luft enthielten. Die Luft wurde eingepresst. Diese Art der Ventilation bot gr\u00f6ssere Sicherheit in Bezug auf Keimfreiheit als die durch Aspiration bewirkte, weil sie der Luft nur auf einem bestimmten, genau controllirbaren Weg in den Apparat einzutreten gestattete, w\u00e4hrend beim Saugen alle etwa vorhandenen Undichtigkeiten ebenso viele uncon-trollirbare Eingangspforten bildeten. Als Kraftquelle diente ein Wasserstrahlgebl\u00e4se (4). Dasselbe functionirte sehr gut; vor\u00fcbergehende Unregelm\u00e4ssigkeiten, bedingt durch starken Wasserverbrauch aus benachbarten H\u00e4hnen, kamen nat\u00fcrlich vor, st\u00f6rten aber gar nicht. Die Luft trat durch ein Watte-vorfilter (1), welches dazu diente, gr\u00f6bere Staubpartikelchen zur\u00fcckzuhalten und jeden zweiten Tag erneuert wurde, ein, passirte eine durch das abfliessende Wasser kalt gehaltene Bleispirale (2), auf deren von Gondensationswasser feuchten Wandungen Keime haften bleiben sollten, weiter die Wasserstrahlpumpe selbst und gelangte in die mit Chlorcalcium gef\u00fcllten Th\u00fcrme (5). Hier getrocknet, str\u00f6mte sie dann weiter durch das Wattefilter (6), das .Kupferrohr (7), die Platin-spirale (7a), welche durch einen Bunsenbrenner (8) in best\u00e4ndiger Rothgluth erhalten wurde und zum Schutz gegen die Verbrennungsgase mit einem Platinblech umgeben war, das Kupferrohr (7 b), das Wattefilter (9) und das Rohr (10), welches der Wandung der Glocke anlag und unmittelbar \u00fcber dem Drahtnetz m\u00fcndete. Die austretende Luft verliess die Glocke durch das etwas geneigt verlaufende Rohr (11) und passirte das Wattefilter (12), die mit Sublimat gef\u00fcllte Waschflasche (13) und schliesslich die Gasuhr (14). Dem Ausgangsfilter gaben wir eine U-f\u00f6rmige Gestalt, um es in ein mit heissem Wasser gef\u00fclltes Becherglas versenken zu k\u00f6nnen und dadurch die Bildung von Gondensationswasser, welches die","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"115\nWatte allm\u00e4lig undurchg\u00e4ngig gemacht haben wurde, zu vermeiden. Aus demselben Grunde waren der obere Theil des Glockenhalses, das Rohr (11) und der \u00fcber das Wasser hervorragende Theil des Ausgangsfdters mit Watte umwickelt (in der Abbildung durch gestrichelte Linien angedeutet). Die Einschaltung der Waschflasche hatte nur den Zweck, Blasen entstehen zu lassen: an ihnen konnte man sich jeden Augenblick \u00fcber den richtigen Gang der Ventilation orientiren. Die Lufterneuerung war in der Regel eine dreimalige in der Stunde, nur ab und zu, wenn sich Niederschl\u00e4ge auf der Glockenwand zu bilden begannen, wurde die Ventilation verst\u00e4rkt, so dass es vor\u00fcbergehend zu einem f\u00fcnf- bis sechsmaligen Luftwechsel in der Stunde kam. Als Thermostat diente eine Kupferwanne mit doppelten Wandungen und doppeltem Boden, mit Wasser (27) gef\u00fcllt. In dieser Wanne stand das cylindfische Gelass. Um Temperaturschwankungen m\u00f6glichst zu vermeiden, umgaben wjr die Glocke mit einem aus zwei H\u00e4lften bestehenden Glaskasten (28), welche, die eine von vorn, die andere von Hinten, \u00fcber einander geschoben wurden und auf dtm. Thermostaten aufruhten. Sie hatten oben f\u00fcr den Tubus nind auf beiden Seiten f\u00fcr Gummihandschuh und Milchflasche Ausschnitte, so dass die F\u00fctterung kein Abnehmen des Kastens erforderte. Dib Temperatur in der Glocke betrug constant 24\u201425*.\nVorbereitungen.\nMilch. Bei der Entnahme der Milch aus dem Euter gingen wir mit m\u00f6glichster Vorsicht zu Werke. Der Strich, welcher die Milch liefern sollte, wurde mit Sublimat und warmem sterilen Wasser gereinigt, durch den Schlitz eines unter dem Bauch der Kuh straff gehaltenen feuchten Tuches gezogen und unter dem Schutz dieses Tuches mit sterilisierter Hand gemolken. Die ersten Portionen verwarfen wir, die folgenden fingen wir mittelst eines sterilen Trichters in einem sterilen Kolben auf. Im Laboratorium wurde die Milch in die sterilisirte Milchflasche umgegossen und in dieser an drei aufeinanderfolgenden Tagen je 7t Stunde im Dampftopf erhitzt ; sie nahm w\u00e4hrenddessen eine leicht gelbliche Farbe an.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nApparat. Am Tage vor der Operation sterilisirten wir alle Theile des Apparates einzeln, u. zw. jeden in seiner Weise: Die in Papier eingewickelten Wattefilter und Glasr\u00f6hren, sowie die zu gr\u00f6sseren Packeten vereinigten und ebenfalls in Papier eingeschlagenen Watteb\u00e4uschchen im Trockenschrank, Glocke und cylindrisches Gefass durch Abb\u00fcrsten und Absp\u00fclen mit Sublimat, kaltem Wasser, Alkohol, Aether, die Kautschuksachen durch Liegenlassen in Sublimat und nachheriges Ab- und Auswaschen mit gekochtem Wasser und Alkohol, Wasser und Oel des cylindrischen Gef\u00e4sses durch Erhitzen, die Metallgegenst\u00e4nde durch Abbrennen in der Flamme. Darauf f\u00fcgten wir die Theile zusammen nur unter Weglassung der Esmarch\u2019sehen Binde und der Kautschukverbindung zwischen letztem Eingangsfilter und Kupferrohr, sowie zwischen Ausgangsfilter und Waschflasche, brachten den centralen Theil des Apparates in einen grossen Dampftopf und sterilisirten ihn nochmals im Zusammenhang. W\u00e4hrend dieser Sterilisation waren die Schlifflfl\u00e4chen der Glocke und des cylindrischen Gelasses durch zwischengeschobene Glaskl\u00f6tze getrennt, damit der Dampf auch in das Innere ein-dringen konnte. Nach dreiviertelst\u00fcndiger Dampfentwickelung l\u00f6schten wir die Flamme, entfernten die Kl\u00f6tze, \u00fcberdeckten den ganzen Apparat mit einem sterilen Tuch, stellten die Verbindung zwischen Eingangsfilter und Kupferrohr her, z\u00fcndeten die Flamme unter der Platinspirale an, setzten das Wasserstrahlgebl\u00e4se in Th\u00e4tigkeit und liessen trockene sterile Luft durchstr\u00f6men, bis der Apparat vollkommen trocken geworden war. Er blieb dann in dem geschlossenen Dampftopf bis zum Momente der Operation stehen.\nOperationszelt. Die Gefahr einer Infection bestand haupts\u00e4chlich w\u00e4hrend der Zeit, die von der Er\u00f6ffnung tfes Uterus bis zum Einbringen des Thieres unter die Glocke verlief. Um dieselbe nach M\u00f6glichkeit auszuschliessen, wurde die Operation in einem besonderen, f\u00fcr diesen Zweck hergestellten Raum ausgef\u00fchrt. Derselbe bestand aus einem Lattenger\u00fcst, das auf seiner Innenseite mit \u00f6lfarbegestrichener Leinewand glatt \u00fcberspannt war, war sechs Cubikmeter gross,","page":116},{"file":"p0116s0001.txt","language":"de","ocr_de":"Tafel I.\nI\nVerlag.von Karl JTrubner Strasburg","page":0},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"117\ni\nmit einem Fenster und einer kleinen Thur versehen und im Zimmer so aufgestellt, dass das Fenster dem Zimmerfenster gerade gegen\u00fcber lag. Unter dem Fenster, befand sich ein kleiner Operationstisch, daneben stand ein zweiter Tisch f\u00fcr die Aufnahme des Apparates bestimmt.v Am Abend;vor der Operation wurde der ganze Raum (W\u00e4nde, Roden, Decke, Tische) feucht abgewischt und bis zum Moment der Operation nicht wieder betreten.\nThier. Einige Schwierigkeiten machte es, den f\u00fcr die Vornahme des Kaiserschnitts richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Wir haben mehrmals durch zu zeitiges Operiren Misserfolge gehabt, bis wir ein sicheres Zeichen f\u00fcr die nahe bevorstehende spontane Geburt in dem Auftreten der Milclisecretion kennen lernten. Sobald es gelang, aus dem Ausf\u00fchrungsgang der Milchdr\u00fcse Milch auszudr\u00fccken, wurde der ganze oben beschriebene Vorbereitungsapparat in Scene gesetzt und der folgende Tag f\u00fcr die\t*\u25a0\nOperation\nbestimmt. Kurz vor Beginn derselben banden wir das Mutterthier auf einem reinen Brett auf, rasirten die Bauchgegend, reinigten sie mit Seife und Wasser, Sublimat, Alkohol und Aether, bedeckten den ganzen Rumpf ausser dem Operationsfeld mit in warmes Wasser getauchten, das Operationsfeld selbst mit in Sublimat getauchten Filtrirpapierstreifen und steriler Watte. Jetzt zogen wir schnell sterilisirte M\u00e4ntel und M\u00fctzen an und traten in das Operationszelt, dessen Th\u00fcr mit einem feuchten Vorhang verh\u00e4ngt war: der Eine mit dem aufgebundenen Thier, der Andere mit dem eben aus dem Dampftopf herausgenommenen, noch mit dem Tuch bedeckten Apparat in den H\u00e4nden. Ein Diener reichte die in Sublimat liegende Es march\u2019sehe Binde und die sterilisirteii Instrumente hinein.\nDas Thier wurde chloroformirt, Watte und Sublimatpapierstreifen wurden weggenommen. Die Operation ging sehr rasch von Statten. Nach Er\u00f6ffnung des Uterus wurde eines der Jungen, wom\u00f6glich eines der gr\u00f6sseren, mit der Pincette gefasst, durch Torquirung des Nabelstrangs entnabelt","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nund so schnell als m\u00f6glich unter die Glocke auf das Draht-netz geschoben. W\u00e4hrend der Eine von uns die \u00fcbrigen Jungen befreite , wickelte der Andere schnell die sublimat-feuchte Esmarch\u2019sehe Binde um, brachte den Apparat in den Thermostaten, stellte die Verbindungen her, brannte die Flamme an und setzte die Ventilation in Gang. Die Spalten zwischen den \u00fcber die W\u00fclste frei her\u00fcberragenden Enden der Kautschukst\u00fccke und der Glockenwandung wurden mit einer Aufl\u00f6sung von Kautschuk in Chloroform ausgef\u00fcllt und die Enden selbst mit einer Wachsmasse an das Glas angekittet, so dass ein vollkommen luftdichter Abschluss erzielt wurde.\nDas Thier lag anf\u00e4nglich auf der Seite, richtete sich aber bald auf, fing an sich zu putzen und wurde je trockener um so munterer. Nach zw\u00f6lf Stunden bekam es zum ersten Mal zu trinken (in der aus der Abbildung ersichtlichen Weise), dann aber st\u00fcndlich \u00ae) Tag und Nacht hindurch. Die erste F\u00fctterung machte einige Schwierigkeiten, jede folgende ging einfacher von Statten und am dritten Tage schon brauchte man die Gummihand nicht mehr, Wenigstens nicht mehr, um das Thier zum Trinken zu bringen, sondern nur noch, um es von den allzu st\u00fcrmischen Angriffen auf die Saugspitze zur\u00fcckzuhalten. Die Faces hatten normale Consistenz, br\u00e4unliche oder dunkelgr\u00fcne Farbe, Durchf\u00e4lle bestanden zu keiner Zeit. Die Geschwister des Versuchstieres wurden als Controll-thiere aufgezogen u. zw. ganz in derselben Weise, nur mit dem Unterschiede, dass sie gew\u00f6hnliche Luft athmeten und nicht sterilisirte Milch tranken.\n8 Tage nach der Geburt, nachdem das Meerschweinchen etwas \u00fcber 330 ebem. Milch*) getrunken hatte und von mehreren sachverst\u00e4ndigen Herren f\u00fcr dem Augenschein nach v\u00f6llig normal, gesund und munter erkl\u00e4rt worden war, unterbrachen wir den Versuch. Die Milch h\u00e4tte vielleicht noch f\u00fcr ein bis zwei Tage gereicht, der Tag und Nacht ununterbrochene\nEin zweist\u00fcndliches F\u00fcttern gen\u00fcgt den Bed\u00fcrfnissen des Thieres\nnicht.\n'*) 1 in Ganzen waren 364- ebem. verbraucht, doch ging bei den ersten F\u00fctterungsversuchen eine geringe Menge verloren.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"119\nDienst hatte uns aber k\u00f6rperlich so heruntergebracht, dass wir uns zu einem Abschluss entschlossen mussten. Das Thier wurde aus dem Apparat herausgenommen, get\u00f6dtet und unter antiseptischen Kautelen ge\u00f6ffnet. Eine mikroskopische Untersuchung des Darminhaltes im gef\u00e4rbten und ungef\u00e4rbten Pr\u00e4parat ergab ein vollst\u00e4ndiges Fehlen von Bakterien. Wenn auch dieser Befund schon entscheidend war, haben wir doch zum Ueberfluss noch aerobe und anaerobe Kulturen angelegt: Gelatine- und Agarrollkulturen, sowie Zuckeragarstichkulturen u. zw. vom Dick-und D\u00fcnndarminhalt, von der Milch und von den Excrementen, die sich unter der Oelschicht angesammelt hatten. Alle R\u00f6hrchen blieben vollst\u00e4ndig steril, keine einzige Kolonie wurde beobachtet.\nLeider war es nicht m\u00f6glich, eine Gewichtszunahme des Thieres w\u00e4hrend seines achtt\u00e4gigen Lebens zahlenm\u00e4ssig festzustellen, da eine W\u00e4gung zu Beginn des Versuchs nat\u00fcrlich ausgeschlossen war. Dass aber eine Zunahme stattgefunden hat, geht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aus den Gewichtsverh\u00e4ltnissen des Gontrollthieres hervor. Das eine derselben \u2014 das zweite, von Antang an klein und schw\u00e4chlich, starb w\u00e4hrend des Versuchs \u2014 war bei der Geburt von anscheinend derselben Gr\u00f6sse wie das Versuchsthier; es wog 24 Stunden alt 73 gr., eine Woche alt 82,5 gr., das Versuchsthier zu gleicher Zeit 83,0 gr.\nEs braucht nicht besonders erw\u00e4hnt zu werden, dass diesem gelungenen eine Reihe von Fehlversuchen vorausgingen. Die Misserfolge bezogen sich nicht auf die bakteriologische Technik, diese erwies sich von Anfang an als leistungsf\u00e4hig, sie waren vielmehr in erster Linie durch das verdunstende Harnwasser, welches nicht in gen\u00fcgender Weise weggeschafft werden konnte und sich als Condensationswasser auf Glockenwandung und Thier niederschlug, bedingt. Alle Versuche scheiterten an dieser Schwierigkeit, sie wurde erst durch Ein? f\u00fchrung der Watte und des Oels in den Apparat beseitigt.\nDie Frage, derentwegen die Experimente unternommen wurden, ist also in dem von uns","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nerwarteten Sinne entschieden worden: die Anwesenheit von Bakterien im Darmkanal ist f\u00fcr das Leben der Meerschweinchen, also auch der anderen Thiere und der Menschen, nicht erforderlich, wenigstens nicht, solange die Nahrung eine rein animalische ist. Wie es sich bei vegetabilischer oder bei gemischteri Kost verhalt, m\u00fcssen weitere Untersuchungen lehren.\nWir verfolgten bei der Ausf\u00fchrung der Experimente noch einen anderen Zweck, derselbe bezog sich auf den Harn. Bei der F\u00e4ulniss des Eiweiss im Darm bilden sich bekanntlich eine Reihe von aromatischen Stoffen, welche resorbirt und direct bezw. nach Vereinigung mit anderen Producten des Stoffwechsels im Harn erscheinen. W\u00e4hrend nun die einen die Darmf\u00e4ulniss als einzige Quelle der aromatischen Stoffe ansahen, waren andere der Meinung, dass dieselben zum Theil auch in den Geweben gebildet werden m\u00f6chten ; sie st\u00fctzten sich dabei wesentlich auf die Beobachtung, dass im Harn hungernder Thiere die aromatischen Producte zwar abnehmen, aber nicht verschwinden. Baumann1) suchte diese Frage zu entscheiden durch Untersuchung des Harns eines Hundes, der zur Unterdr\u00fcckung der F\u00e4ulnissprocesse im Darm einige Tage gehungert und am 2. und 4. Hungertage je 2 gr. Calomel erhalten hatte. In dem an den beiden folgenden Tagen gelassenen Harn Hessen sich weder gepaarte Schwefels\u00e4ure noch Hippurs\u00e4ure, wohl aber, wenn auch in verringerter Menge, die sogenannten Oxys\u00e4uren (Hydroparacumars\u00e4ure, Paroxyphenylessigs\u00e4ure) nachweisen. Baumann deutet das Ergebniss seines Versuches dahin, dass die aromatischen Paarlinge der im Harn fleischfressender Thiere erscheinenden Aether-schw\u2019efels\u00e4ure und Hippurs\u00e4ure lediglich der Darmtaulniss entstammen, w\u00e4hrend die Oxys\u00e4uren ausser durch die F\u00e4ulnissprocesse im Darm auch in den Geweben gebildet werden k\u00f6nnen. Leider w'urde nicht untersucht, ob sich im Darm des Versuchstieres noch lebende Bakterien befanden. Uns erscheint es\n\u2018) Zeitschr. f. physiol. Chem., Bd. 10, S. 129.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"121\nnicht zweifelhaft, dass dieses trotz der antiseptischen und abf\u00fchrenden Wirkungen des Calomels der Fall war. Da andererseits auch dem Darm hungernder Thiere durch die Dr\u00fcsen stets eiweisshaltiges Material zugef\u00fchrt wird, so ist unserer Meinung nach noch immer die Annahme zul\u00e4ssig, dass die von Baumann im Harn des Calomelhundes gefundenen Oxy-s\u00e4uren im Darm entstanden sind und nicht in den Geweben. Nur durch die Untersuchung des Harns bakterienfreier Thiere wird die Frage nach der Bildungsst\u00e4tte der aromatischen S\u00e4uren endg\u00fcltig entschieden werden k\u00f6nnen. Leider war es uns bisher noch nicht m\u00f6glich, die f\u00fcr diesen Zweck erforderliche Menge Harn zu sammeln.\nWir sind mit der Fortsetzung der Versuche besch\u00e4ftigt. Unsere n\u00e4chste Aufgabe wird sein, die zuletzt ber\u00fchrte Frage in Angriff zu nehmen, sowie zu entscheiden, ob auch Pflanzenfresser ohne Mithilfe von Bakterien im Darm zu leben verm\u00f6gen.\nDie f\u00fcr diese Untersuchung erforderlichen Geldmittel wurden uns aus der Gr\u00e4fin Bose-Stiftung von der medi-cinischen Fakult\u00e4t der Universit\u00e4t Berlin zur Verf\u00fcgung gestellt.","page":121}],"identifier":"lit17065","issued":"1895-96","language":"de","pages":"109-121","startpages":"109","title":"Thierisches Leben ohne Bakterien im Verdauungskanal","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:02:25.213147+00:00"}