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Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen. Erster Band, dritte verbesserte Auflage

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{"created":"2022-01-31T13:05:41.461355+00:00","id":"lit17251","links":{},"metadata":{"contributors":[{"name":"M\u00fcller, Johannes","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Coblenz: Verlag von J. H\u00f6lscher","fulltext":[{"file":"a0001.txt","language":"de","ocr_de":"HANDBUCH\n(1 e r\nPHYSIOLOGIE des MENSCHEN\nf\u00fcr Vorlesungen.\nV\u201e n\nDr. Johannes M \u00fc 11 e r,\nordcntl. \u00f6ffentl. Professor der Anatomie und Physiologie an der K\u00f6nigl. Friedrich Wilhelms - Universit\u00e4t und an der K\u00f6nigl. medicin. - chirurg. Milit\u00e4r-Academie in Berlin, Director des K\u00f6nigl. anatom. Museums und anatom. Theaters; Ritter des Rothen Adlerordens 4. Classe; Mitglied der K\u00f6nigl. Aca-demiecn der Wissenschaften zu Berlin und zu Stockholm, Correspondent der Kaiserl. Academie der Wissenschaften zu St. Petersburg, der K\u00f6nigl. Academie der Wissenschaften zu Turin, Mitglied der K\u00f6nigl. Soc. d. Wissensch. zu G\u00f6ttingen und Upsala.\nErster Band.\n\u00dcriltc verbesserte Auflage.\nMit K\u00f6niglich W \u00fc r t emb er g i s c h en Privilegien.\nCoblenz,\nVerlag von J. II \u00f6 1 s c h e r. 1S38.","page":0},{"file":"a0003.txt","language":"de","ocr_de":"HANDBUCH\n(1 c r\nPHYSIOLOGIE des MENSCHEN\nfiir Vorlesungen.\nVo n\n]) r. J o li a n n c s M ii 1 1 c r,\nordcnll. offcutl. Professor .1er Anatomie lind Physiologie an (1er K\u00f6nigl. Pried rieh \"Wilhelms-Universit\u00e4t und an der K\u00f6nigl. medicin. - ehirurg. Mdit\u00e4r-Academic in Berlin, Director des K\u00f6nigl. anatom. Museums und anatom. Theaters; Mitglied der K\u00f6nigl. Academiecn der Wissenschaften zu Berlin und /.u Stockholm, Correspondent der Kaiscrl. Academie der Wissenschalten zu St. Petersburg, der K\u00f6nigl. Academie der Wissenschaften zu Turin, der K\u00f6nigl. Soc. d. Wissensch. zu Upsala, u. a. gelehrten Gesellschaften Mitglied.\nErsten Bandes erste, ylbtheihing.\nDritte verbesserte Auflage.\nM it K\u00f6niglich Wr \u00f6 rt cnilic r g i s c h en P r i \\ i 1 e g i e n.\nCoblenz,\nVerlag v o n\tIl \u00fc I s c li e r.\n1 837.","page":0},{"file":"a0004.txt","language":"de","ocr_de":"M AX-PLANCK-INSTITUT\nFMR WISSENSCHAFTSGESCHICHTE\nBibliothek\n3 V - 4 6 43","page":0},{"file":"a0005content.txt","language":"de","ocr_de":"V\nI n h a I I.\nProlegomena \u2022\tSeite\ni. Yon der organischen Materie .......................... 1\nIT. Vom Organismus und vom Leben ...............\u2022\t..... 19\n[II. Von dem thierischen Organismus und von dem thierischen Leben 40\nIV.\tlieber die den unorganischen und organischen K\u00f6rpern gemeinsamen Wirkungen. Electricit\u00e4t, W\u00e4rme, Licht .............. 61\nDer speciellen Physiologie Erstes Buch.\nVon den allgemein verbreiteten organischen Saften, von der S\u00e4ftebewegung und von dem. Gef\u00e4sssystem.\n/. Abschnitt. Vom Blut!\t....................... 101\nI.\tMicroscopisch - mechanische Analyse des Blutes ...... 104\nII.\tChemische Analyse des Blutes ......................... 125\nIII.\tAnaly se des Blutes durch die galvanische S\u00e4ule....... 139\nIV.\tVon den organischen Eigenschaften und Verh\u00e4ltnissen des Blutes 146 //. Abschnitt. Von dem Kreislauf des Blutes und dem B\u00efut-\ngefaisssy stem.  ........... ...................... 163\nI.\tVon den Formen des Gef\u00e4sssystems in der Thierwelt .... ib.\nII.\tVon den allgemeinen Erscheinungen des Kreislaufs ..... 173\nIII.\tVom Herzen als Ursache des Kreislaufs ................ 187\nIV.\tVon den einzelnen Theilen des Gef \u00e4sssystems ......... 198\nV.\tVom Verhalten der Blutgef\u00e4sse bei der Aufnahme und Aus-\nscheidung der Stoffe ..............................237\n///. Abschnitt. Von der Lymphe und dem Lymphgef\u00e4sssystem 255\nI.\t-Von der Lymphe ..................................... ib.\nII.\tVon dem Ursprung und Bau der Lymphgef\u00e4sse ........... 260\nIII.\tVon den Actionen der lymphatischen Gcf\u00e4sse .......... 271\nDer speciellen Physiologie Zweites Buch.\nVon den organisch-chemischen Ver\u00e4nderungen in den S\u00e4ften und den organisirten Theilen.\nI.\tAbschnitt. Vom Athmen......................................... 289\nI.\tVom Athmen im Allgemeinen ........................... 289\nH. Organologie der Athemwerkzeuge ........................ . 293\nIII.\tVom Athmen des Menschen und der Thiere ............... 302\nIV.\tVon den Ver\u00e4nderungen des Blutes durch das Athmen .... 317\nV.\tVon dem chemischen Processe des Athmens ............   324\nVI.\tVon den Athembewegungen und Athemnerven .............. 336\nII.\tAbschnitt. Von der Ern\u00e4hrung, vom W achsthum u n d v o u\nder W iedererzeugung.................................350\nI. Von der Ern\u00e4hrung ..................................... ib.\nIT. Vom Waehsthum......................................... 371\nIII.\tVon der Wiedererzeugnng ............................   394\nIII.\tAbschnitt. Von der Absonderung.............................. 423\nL Von den Absonderungen im Allgemeinen .................. 423\nIL Von dem innern Bau der Dr\u00fcsen ........................ 433","page":0},{"file":"a0006.txt","language":"de","ocr_de":"VI\nSeit#*\nIII.\tUcber den Secretionsprocess .......................... 159\n/ V. Abschnitt. Von der Verdauung, Chylifi cation und Ausscheidung der zersetzten Stoffe................................... 474\nI.\tVon der Verdauung im Allgemeinen ..................... ib.\nII.\tVon den Verdauungsorganen ............................ 483\nIII.\tVon den Bewegungen des Darmkanals .................... 493\nIV.\tVon den Verdauungss\u00e4ften ............................. 507\nV.\tVon den Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal ....... 526\nVI.\tVon der Chylification ................................ 557\nVII.\tVon der Function der Milz, der Nebennieren, der Schilddr\u00fcse\nund der Thymusdr\u00fcse ................................ 567\nVIII.\tVon der Ausscheidung der zersetzten Stoffe ........... 577\nDer speciellen Physiologie Drittes Buch.\nPhysik, der Nerven.\n/. Abschnitt. Von den Eigenschaften der Nerven i in Allgemeinen...........................................................   597\nI.\tVom Bau der Nerven ................................... d>.\nII.\tVon der Reizbarkeit der Nerven ......................   617\nIII.\tVon dem wirksamen Principe der Nerven ................ 641\nII.\tAbschnitt. Von den Empfindungsnerven, Bewegungsner-\nven und organischen Nerven.......................... 649\nI.\tVon den sensitiven und motorischen Wurzeln der R\u00fccken-\nmarksnerven ....................................     649\nII.\tVon den sensitiven und motorischen Eigenschaften der Ge-\nhirnnerven ......................................... 657\nIII.\tVon den sensitiven und motorischen Eigenschaften des Gan-\ngliennerven ......................................   670\nIV.\tVom grauen oder organischen Fasersystem ...............675\nV.\tVom Nervensystem der Wirbellosen..................*\u2022\u2022\u2022 683\nIII.\tAbschnitt. Von der Mechanik des Nervenprincip ............... 685\nI.\tMechanik der motorischen Nerven ....... .............. 688\nII.\tMechanik der Erapfindungsnerven ..................... 695\nIII.\tVon der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen .. 717\nIV,\tVon der verschiedenen Action der sensibeln und motorischen\nNerven ......................-...................... 731\nV- Von den Gesetzen der Wirkung und Leitung in dem Nervus\nsympathicus ........................................   737\nVI.\tVon den Sympathien .................................   760\nIV.\tAbschnitt. Von den Eigent\u00fcmlichkeiten der einzelnen\nNerven ............................................ 779\nI.\tVon den Sinnesnerven ................................. ,b.\nII.\tVon den Eigent\u00fcmlichkeiten anderer Nerven ............ 784\nV.\tAbschnitt. Von den G entraltheilcn des Nervensystems. ... 803\nI. Von den Centraltheilen des Nervensystems im Allgemeinen .. 803 II. Vom R\u00fcckenmark ...............................'. 810\nIII.\tVom Gehirn ........................................... 821\nBerichtigungen und Nachtr\u00e4ge...................................... 867","page":0},{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Prolegomena.\nDie Physiologie ist die Wissenschaft von den Eigenschaften und Erscheinungen der organischen K\u00f6rper, der Thiere und Pflanzen, und von den Gesetzen, nach welchen ihre Wirkungen erfolgen. Die erste Frage, welche man sich heim Eintritt in diese Wissenschaft zu beantworten hat, ist die nach dem Unterschied der organischen und unorganischen K\u00f6rper. Sind die K\u00f6rper, welche die Erscheinungen des Lehens darbieten, in ihrer materiellen Zusammensetzung von den unorganischen K\u00f6rpern verschieden, deren Eigenschaften die Physik und Chemie untersuchen? und da die Erscheinungen in beiden Reichen so verschieden sind, sind auch die Grundkr\u00e4fte, welche sie bewirken, verschieden, oder sind die Grundkr\u00e4fte des organischen Lebens nur Modificationen der physischen und chemischen Kr\u00e4fte?\nI. Von der organischen Materie.\nEmpfindung, Ern\u00e4hrung, Zeugung haben kein Analogon in den \u00fcbrigen physischen Erscheinungen, und dennoch sind die Elemente der organischen K\u00f6rper solche, welche in die Zusammensetzung der unorganischen K\u00f6rper eingehen. Die organischen K\u00f6rper enthalten zwar als n\u00e4chste Bestandtheile Materien, welche nur ihnen eigenth\u00fcmhch sind, und welche durch keinen chemischen Process k\u00fcnstlich erzeugt werden k\u00f6nnen, wie Eiweiss, Faserstoff etc. Allein bei der chemischen Analyse zerfallen alle diese K\u00f6rper in Elemente der unorganischen K\u00f6rper. Die wesentlichsten Bestandtheile der Pflanzen sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, seltener Stickstoff ; ausserdem finden sich bald seltener, bald h\u00e4ufiger Phosphor und Schwefel (beide vorz\u00fcglich im Pflan-zeneiweiss und Kleber, dann besonders in den Tetradynamisten mit Stickstoff), Kalium (fast allgemein), Natrium (vorz\u00fcglich in den Pflanzen des Meeres), Calcium (fast allgemein), Aiumium (selten), Silicium, Magnium (sparsam), Eisen und Manganium h\u00e4ufig, Chlor, Jod und Brom (beide in Seepflanzen). In'der Thierwelt finden sich diese Stoffe ausser Aiumium wieder; Natrium ist h\u00e4ufiger, Valium seltener als in Pflanzen, Jod und Brom in einigen See-thieren. Die Bestandtheile des menschlichen K\u00f6rpers und der l\u00f6heren Thiere sind: Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel (vorz\u00fcglich in den Haaren, im Eiweiss und Ge-Jnrne), Phosphor (vorz\u00fcglich in den Knochen, Z\u00e4hnen und im e nt ne), Chlor, Fluor (vorz\u00fcglich in den Z\u00e4hnen und Knochen), a mm, Natrium, Calcium (vorz\u00fcglich in den Knochen und Z\u00e4h-non), Magnium (vorz\u00fcglich in den Knochen und Z\u00e4hnen), Manga-jUui*'l ('n cJcn Haaren), Silicium (in den Haaren), Eisen (vorz\u00fcglich rn\t*m schwarzen Pigmente, in der Krystalllinse). Der erste\nMallei'\u2019s Physiologie. I,\tj","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"\u20182\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nUnterschied der organischen und unorganischen K\u00f6rper betrifft also die Zahl der in sie eingehenden Elemente. Nicht alle Elemente gehen in die Zusammensetzung der organischen K\u00f6rper ein, mehrere sind f\u00fcr das Lehen derselben sch\u00e4dlich. Der zweite Unterschied betrifft die Art der Combination. Die Verschiedenheit der unorganischen und organischen Materie beruht h\u00f6chst wahrscheinlich in folgender zuerst von Fourcroy und Berzeiuus dargestellten Eigentb\u00fcmlichkeit:\nI) In der unorganischen Natur gieht es nur bin\u00e4re Verbindungen, indem zwei einfache Stoffe sich unter sich verbinden, oder diese bin\u00e4re Verbindung wieder mit einem andern Stoffe oder einer andern bin\u00e4ren Verbindung sich vereinigt. Die Kohlens\u00e4ure ist eine bin\u00e4re Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff, das Ammonium eine bin\u00e4re Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff'; Kohlens\u00e4ure und Ammonium verbinden sich zu kohlensaurem Ammonium.\nkohlensaures Ammonium.\nEine unmittelbare Verbindung von 3, 4, oder mehreren Stoffen unter einander, wo alle Bestandtheile gleich mit einander verbunden sind, scheint nur unter dem Einfl\u00fcsse des thierischen oder pflanzlichen Lebens oder der organischen Kr\u00e4fte m\u00f6glich. So entsteht aus denselben Elementen Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, welche durch bin\u00e4re Verbindung kohlensaures Ammonium bilden, unter dem Einfl\u00fcsse des organischen Lebens organische Materie. Diese Verbindungen nennt man nach der Zahl der zugleich gebundenen Elemente tern\u00e4re, und f/uatern\u00e4re. So sind Pflanzenschleim, Zucker, St\u00e4rkmehl, Fett, tern\u00e4re Verbindungen von Kohlenstoff , Sauerstoff und Wasserstoff. Quatern\u00e4re Verbindungen sind der Kleber, der Eiweissstoff, der Faserstoff, der thierische Schleim, der K\u00e4sestoff, sie enthalten als vierten Bestandtheil noch Stickstoff'. Alle chemischen Verbindungen der unbelebten Natur sind bin\u00e4re, in erster 2. 3. 4. Ordnung, n\u00e4mlich entweder einfach bin\u00e4re Verbindungen aus zwei Elementen , oder Verbindungen eines Elementes mit einer bin\u00e4ren Verbindung, oder bin\u00e4re Verbindungen von bin\u00e4ren Verbindungen der Elemente. Diese Theorie der Zusammensetzung der organischen K\u00f6rper aus tern\u00e4ren und quatern\u00e4ren Zusammensetzungen ist zwar von Einigen in Zweifel gezogen, hat aber immer noch, namentlich in Beziehung auf die h\u00f6heren organischen Verbindungen, wie sie in den Pflanzen und Thieren selbst Vorkommen, als Eiweiss, Faserstoff u. a. eine gr\u00f6ssere Wahrscheinlichkeit. Dagegen giebt es allerdings Producte aus organischen Stoffen, welche erwiesen bin\u00e4r zusammengesetzt sind, wie der Weingeist (aus Aether und Wasser) u. a. Die Art der Verbindung der Elemente ist jedenfalls in den organischen K\u00f6rpern so eigenth\u00fcmlich und durch so eigenth\u00fcmliche Kr\u00e4fte bewirkt, dass die Chemie zwar organische Verbindungen aufzul\u00f6sen, aber keine zu bilden vermag. Berard, Proust, Doebereiner, Hatchett glauben zwar organische","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Eigent\u00fcmlichkeit der Zusammensetzung.\n3\nVerbindungen k\u00fcnstlich erzeugt zu haben; allein diese haben sich nicht hinl\u00e4nglich best\u00e4tigt, und es k\u00f6nnen nur Woehler\u2019s Entdeckungen hierher gerechnet werden. Bei S\u00e4ttigung von w\u00e4sserigem Ammonium durch Cyangas, enth\u00e4lt die Fl\u00fcssigkeit viel Klee-s\u00e4'ure, wie Woehler entdeckt hat. Auch hei der Darstellung des Kaliums aus Kohle und kohlensaurem Kali, geht mit dem Kalium eine schwarze Masse \u00fcber, die mit Wasser behandelt viel oxal-saures Kali giebt. Die Klees\u00e4ure wird jedoch jetzt ais eine bin\u00e4re Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff betrachtet; sie zersetzt sich zwar, wenn man ihr alles Wasser entzieht; hierin verh\u00e4lt sie sieh indess wie Salpeters\u00e4ure, die beim Entziehen des letzten Antheils von Wasser sich zersetzt. Mitscherlich Chemie 416. Nach Woehler\u2019s Entdeckungen erh\u00e4lt man Harnstoff statt cyanichtsauren Ammoniaks, wenn man frisch gef\u00e4lltes cyanicht-saures Silberoxyd mit einer Aufl\u00f6sung von Chlorammonium \u00fcbergiesst, wobei sich das Silbersalz in Chlorsilher verwandelt. Harnstoff bildet sich auch bei der Zersetzung des cyanichtsauren Bleioxyds durch w\u00e4sseriges Ammoniak. Die Aull\u00f6sung enth\u00e4lt anfangs cyanichtsaures Ammoniak, aber nach dem Verdunsten der Aufl\u00f6sung verwandelt sich das Salz in Harnstoff. So fand auch Woehler, dass sich Ammoniakgas und cyanichtsaurer Dampf zu cyanichtsaurem Ammoniak condensiren, das sich aber beim Schmelzen, Kochen oder freiwilligen Verdunsten seiner Aufl\u00f6sung in Harnstoff verwandelt. So bildet sich auch zuerst cyanichtsaures Ammoniak und daraus Harnstoff, wenn man cyanichte S\u00e4ure mit Wasser, oder mit fl\u00fcssigem Ammoniak zusammenbringt. Gme-lin\u2019s Chemie 3. 6. Berzelius Thierchemie. 356. Der Harnstoff steht indess an der \u00e4ussersten Grenze der organischen Stoffe, und ist mehr Excretum, als Bestandtheil des thierischen K\u00f6rpers. Der Harnstoff ist vielleicht nicht einmal eine solche Verbindung, welche die charakteristischen Eigenschaften der organischen Producte hat.\n2)\tBerzelius f\u00fchrt auch einen andern wesentlichen Unterschied an. In den organischen Verbindungen zeigen die Mischungsgewichte kein so einfaches Zahlenverh\u00e4ltniss, als in den unorganischen. So giebt es z. B. eine grosse Menge von Fettarten, die Ciievreul untersucht hat, und die nach ihm zum Theil nur durch Bruchtheile in dem Zahlenverh\u00e4ltnisse der Molecule von einander unterschieden sind.\n3)\tDie organischen K\u00f6rper bestehen ferner gr\u00f6sstentheils aus verbrennlicher Substanz, und zwar enthalten die verbrennlichen Theile der Thiere und Pflanzen (mit Ausnahme der S\u00e4uren) den Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff in einem solchen Verh\u00e4ltnisse, dass der Sauerstoff nicht hinreichen w\u00fcrde, den s\u00e4mmt-licheu Wasserstoff in Wasser und den Kohlenstoff in Kohlens\u00e4ure zu verwandeln.\nEine ausf\u00fchrliche Entwickelung dieser Unterschiede findet man in den classischcn Lehrb\u00fcchern \u00fcber Chemie von Berze-J.ius und von Gmelin, und \u00fcber Anatomie von E. Ht Weher. Hildebrandt\u2019s Ilandb. d. Anal. <1. Menschen. 1. Ausgabe von E. H. Weber. 1. Band.\nDie in den organischen K\u00f6rpern vorhandene organische Ma-\n1 *","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"I\nProlegomena. 1. Organische Ma!crie.\nFiinlniss.\ntcrie erh\u00e4lt sich nur w\u00e4hrend des Lehens der organischen K\u00f6rper vollst\u00e4ndig. Schon w\u00e4hrend des Lehens k\u00f6nnen Elemente oder bin\u00e4r verbundene Stoffe, von aussen auf die organischen K\u00f6rper wirkend, das Gleichgewicht der Stolle in den organischen Verbindungen st\u00f6ren, und die organische Continuation zersetzen, wie z. B. in der Verbrennung einzelner Tlieile des lebenden K\u00f6rpers. Zuletzt tritt diese St\u00f6rung des Gleichgewichtes in jedem lebenden K\u00f6rper von selbst ein, der Zustand, oder die Kraft, welche die organischen Combinationen erhielten und umwandelten, werden immer schw\u00e4cher, bis sie nicht mehr im Stande sind, dem Streiten der in der organischen Materie befindlichen Elemente zu bin\u00e4ren Verbindungen unter sich und mit anderen Elementen das Gleichgewicht zu halten, und der organische K\u00f6rper mit der organischen Materie zerf\u00e4llt, Daun ist die organische Combination nicht allein ohne die organischen Erscheinungen, die sie vorhin zeigte, sondern auch mehrenlheils nicht f\u00e4hig, sich zu erhalten, sondern den chemischen Gesetzen der bin\u00e4ren Combination unterworfen, und zerf\u00e4llt in bin\u00e4re Verbindungen mit den Erscheinungen der Gablung und F\u00e4ulniss, stinkender F\u00e4ulniss besonders dann, wenn die organischen Materien viel Stickstoff enthalten. Die Erfahrung zeigt also, dass hei den unorganischen K\u00f6rpern die Verbindung von der Wahlverwandtschaft und den Kr\u00e4ften der verbundenen Stoffe abh\u00e4ngt, dass in den organischen K\u00f6rpern dagegen die bindende und erhaltende Gewalt nicht bloss die Eigenschalten der Stoffe selbst sind, sondern noch etwas Anderes, welches der chemischen Wahlverwandtschaft nicht allein das Gleichgewicht liait, sondern auch nach den Gesetzen eigener Wirksamkeit organische Combinationen verursacht. Von den impondera-beln Materien haben Licht, W\u00e4rme, Electricit\u00e4t, aut die Verbindungen und Trennungen der Stoffe in den organischen K\u00f6rpern eben so Einfluss, wie auf die Verbindungen und Trennungen in d :n unorganischen K\u00f6rpern; aber nichts berechtigt uns, eines dieser Agentien ohne Weiteres als letzte Ursache der Wirksamkeit in der belebten organischen Materie anznsehen.\nDie organischen Substanzen zerfallen nach dem Aufh\u00f6ren des Lehens immer, wenn die Bedingungen zur Aeusserung der chemischen Wahlverwandtschaft vorhanden sind. Die hierbei stattfindenden Zersetzungen sind nach Gmf.lis folgende: Es werden theils Bestandteile der organischen Verbindungen abgeschieden, als Stickgas, Wasserstoffgas; theils vereinigen sie sich untereinander zu unorganischen Verbindungen, wie Wasser, Kohlens\u00e4ure, Kohlenoxyd, Kohlenwasserstollgas, \u00f6lerzeugendes Gas, Ammoniak, Cyan, Blaus\u00e4ure, Phosphorwasserstoffgas, Hydrothions\u00e4ure, theils vereinigen sie sich nach anderen Verh\u00e4ltnissen zu einer neuen organischen Verbindung oder zu mehreren, Zucker aus St\u00e4rkemehl. Bisweilen zerf\u00e4llt aber eine organische Verbindung einerseits in unorganische Verbindungen, anderseits in organische, wie der Zucker hei der G\u00e4hrung in Kohlens\u00e4ure und Weingeist. Im vollkommen trockenen Zustande zersetzen sich die organischen Verbindungen bei gew\u00f6hnlicher Temperatur nicht; zu dieser freiwilligen Zersetzung ist wenigstens Wasser, oft auch die Luft","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Zustand der mineralischen Stoffe in dm organ. K\u00f6rpern. 5\n\u201e\u00f6tbig. Gm Elin erkl\u00e4rt den Umstand, dass die Zersetzung bei manchen organischen Substanzen nicht immer sogleich nach dem Tode des Thieres oder der Pflanze beginnt, aus dem Mangel der n\u00f6thigen Bedingungen f\u00fcr das Eintreten der Wahlverwandtschaft. Diess hat denselben Grund, warum z. B. gewisse unorganische Verbindungen erst hei einer bestimmten Temperatur sich zersetzen. Gmelin\u2019s them. 3. 9. Nasse thierisehe Theile zerfallen von seihst, auch ohne atmosph\u00e4rische Luft, unter Quecksilber, wiewohl die atmosph\u00e4rische Luft die F\u00e4ulniss am meisten, selbst mehr als reines Sauerstoffgas, bef\u00f6rdert, so w ie anderseits ein gewisser Grad von Warme noting ist. Die Producte der F\u00e4ulniss thierischer und besonders menschlicher Substanzen sind kohlensaures Gas, zuweilen auch Stickgas, Wasserstollgas, Schwefelwasserstoffgas, Phosphorwasserstoffgas und Ammoniak. Auch bildet sich Essigs\u00e4ure und zuweilen Salpeters\u00e4ure, und es bleiben ausser dem langsamer sich zersetzenden Moder zuletzt die fixen Bestandteile, Erden, Oxyde, Salze, und bilden mit dem Moder Humus. S. Weber 4. Ausg. i>on Hildeiirandt\u2019s Anatomie. 1. p. 70. Im Wasser und in manchen Gr\u00e4bern, selbst ohne Zutritt des Wassers, erleiden thierisehe und menschliche Leichen eine Umwandlung vieler Theile in eine fettige Substanz, Adipocire, Fettwachs. Gay-lussac und Cuevreul halten diess f\u00fcr das schon im frischen Zustande in den organischen Tbeilen enthaltene Fett, was \u00fcbrig bleibt, wenn die \u00fcbrigen Substanzen zerst\u00f6rt werden. Denn nach diesen beiden Chemikern soll die Menge des in frischen Thiertheilen chemisch darstellbaren Fettes nicht geringer seyn, als sich durch F\u00e4ulniss derselben Theile in Wasser ergiebt. Berzelius dagegen glaubt, dass eine wirkliche Umwandlung von Faserstoff, Eiweiss und F\u00fcrbstolf des Blutes in Fettwachs stattlinde. S. Weber a. a. O.\nDie Hauptverschiedenheiten in der Zusammensetzung der organischen Materie scheinen von dem Verh\u00e4ltnisse der Mischungsgewichte der Elemente Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff abzuhangen. Von diesen gilt es haupts\u00e4chlich, dass die organischen Verbindungen tern\u00e4re und quatern\u00e4re, aber keine bin\u00e4ren Verbindungen sind, ln welchem Zustande aber die sparsam vorkommenden mineralischen Elemente in den organischen Verbindungen sind, ob ebenfalls zu quatern\u00e4ren und mehrfachen Verbindungen verwandt, oder als beigemengte bin\u00e4re Verbindungen, ist eine andere sehr wichtige und jetzt unaufl\u00f6sbare Frage. Von der w\u00e4sserigen Aufl\u00f6sung von F\u00fcrbestofl' des Blutes und anderen thierischen aufgel\u00f6sten Substanzen kann man nach Engelhart die mineralischen Bestandteile trennen, indem man Chlorgas durch die Aufl\u00f6sung leitet, worauf die thierisehe Materie frei von erdigen und metallischen Bestandteilen zu Boden sinkt, ohne dass die Combination von Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff in der organischen Materie aufgehoben wird. Berzelius l\u00e4sst es unsicher, in welcher Form Schwelel und Phosphor in den Thieren enthalten sind, -ob im elementaren Zustande zu quatern\u00e4ren und mehrlachen Verbindungen verwandt, oder mit tern\u00e4ren und quatern\u00e4ren Verbindungen bin\u00e4r verbunden, oder ob jeder dieser","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"Prolegomena. 1. Organische Materie.\nG\nStoffe in einer bin\u00e4ren Verbindung wieder mit andern verbunden ist. Bei Verbrennung des Hirnfettes erhielt Vauquelin eine nicht ein\u00e4scherbare Kohle, die so viel Phosphors\u00e4ure enthielt, dass diese den zur Verbrennung n\u00f6thigen Zutritt der Luft verhinderte. Nach Ausziehung der Phosphors\u00e4ure mit Wasser brannte die Kohle wieder bis zu einem gewissen Grade, und h\u00f6rte dann wieder auf, worauf sie sauer geworden. Aus diesem Umstande, sagt Berzelius, sieht man, dass die Kohle den Phosphor in einer nicht fl\u00fcchtigen Verbindung, und auf eine in der unorganischen Natur bis jetzt noch unbekannte Weise enthalte. Thierchemie. 16. Auch ist es nach Berzelius einigermassen wahrscheinlich, dass das Eisen im Blute regulinisch und nicht als Oxyd enthalten ist. Denn nach Engelhart\u2019s Entdeckung wird dem aufgel\u00f6sten Blut-roth und anderen thierischen aufgel\u00f6sten Substanzen durch Chlorgas oder Chlorwasser alles Eisen, Calcium, Magnium und Phosphor entzogen, und diese Substanzen bleiben in dem durch Chlor bewirkten Zustande aufgel\u00f6st, w\u00e4hrend die von allen erdigen und metallischen Theilen befreite thierische Substanz mit Salzs\u00e4ure verbunden zu Boden f\u00e4llt. Nun bat aber Chlor keine Verwandtschaft zu Oxyden, wohl aber eine sehr grosse zu regulinischen Metallen; ferner wird Eisen von mineralischen S\u00e4uren nicht aus dem Blute ausgezogen, da sie doch eine grosse Verwandtschaft zu Metalloxyden, aber keine zu regulinischen Metallen haben. Hiernach hielt es Berzelius f\u00fcr wahrscheinlicher, dass das Eisen im Blute im regulinischen Zustande und nicht als Oxyd enthalten ist. Indessen haben Versuche von Heinr. Rose die Sache wieder zweifelhaft gemacht. Derselbe bat n\u00e4mlich entdeckt, dass ein grosser Theil nicht fl\u00fcchtiger organischer Stoffe, wie Zucker, St\u00e4rke, Gummi, Milchzucker, Leim, die Eigenschaft haben, dass bei Vermischung ihrer w\u00e4sserigen Aufl\u00f6sung mit einer kleinen Menge eines Eisenoxydsalzes, das Eisenoxyd bei Zusatz eines Alkalis nicht niedergeschlagen wird, dass auch Blutwasser und verd\u00fcnntes Ei-weiss mit einem Eisenoxydsalze und kaustischem Ammoniak versetzt, kein Eisenoxyd niederschlagen. Diese Versuche Hessen wiederum vermuthen, dass das Eisen in dem F\u00e4rbestoffe des Blutes in einer analogen Verbindung von Eisenoxyd mit dem eigentlichen rhierstoff enthalten sey. Gleichwohl glaubt Berzelius das Letztere nicht. Seine Versuche machen es n\u00e4mlich wahrscheinlich, dass die Art Verbindung, welche bei Rose\u2019s Versuchen das Eisenoxyd im F\u00e4rbestoffe oderEiweiss aufgel\u00f6st erh\u00e4lt, nicht die sey, durch welche der F\u00e4rbestoff des Blutes eisenhaltig ist, weil diese sonst durch Einwirkung von S\u00e4uren, wie in Berzelius vergleichenden Versuchen, ihren Eisengehalt verlieren m\u00fcsste. Berzelius Thier\u2014 chemie. p. 61. Dass es anderseits im thierischen K\u00f6rper nicht blosse Verbindungen von thierischen Materien mit mineralischen Elementen, sondern auch entweder beigemengte, oder gebundene bin\u00e4re Verbindungen giebt, wie die Oxyde, Salze, wird aus vielen Phatsachen wahrscheinlich. Hierher geh\u00f6rt 1. die Erscheinung mikroskopischer kleiner Salzkrystalle in bloss ausgetrockneten thie-rischen S\u00e4ften. 2. Die Leichtigkeit, womit der Gehalt der Pflanzen an mineralischen Stoffen nach ihrem Standorte wechselt, was,","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Organische Materie und Wasser.\n7\nwenn die mineralischen Elemente nur als Elemente in die Bildung der thierischen Materie eingingen, nicht der Fall seyn k\u00f6nnte* 3. Die Leichtigkeit, womit die dem Blute zuf\u00e4llig beigemischten Salze im Harne wieder sich absetzen. 4. Kochsalz lasst sich, wie Autenrieth bemerkt, aus dem festen thierischen Stolle auswaschen. Physiol. 1. \u20182.9.\t5. Der Zustand der phosphorsauren Kalkerde in\nden Knochen. Denn cs ist, wie E. H. Weder zeigt, gewiss, dass der phosphorsaure Kalk nicht als Phosphor, Sauerstoff und Calcium in den Knochen enthalten ist, sondern dass der phosphorsaure Kalk als binare Verbindung wieder mit dem Knorpel der Knochen verbunden, oder vielleicht nur beigemengt ist. Diess beweist die Farberr\u00f6the, Rubia tiiictorum, die eine grosse Verwandtschaft zum phosphorsauren Kalk, aber nicht zur Kalkerde oder zum Calcium hat, und die von den Knochen eines lebenden Thieres, das man mit Farberr\u00f6the f\u00fcttert, aus dem Blute hei der Ern\u00e4hrung angezogen wird. Anderseits zersetzen mehrere S\u00e4uren die in den Knochen enthaltenen Kalksalze und ziehen sie aus, ohne die Form des Knorpels zu verwandeln und ihn zu zersetzen. Weber I. c. p. 318. 340.\nSieht man auf die Reste der thierischen Tlieile, und sieht man ab von dem, was in einzelnen F\u00e4llen Educt oder Product der chemischen Analyse seyn kann, so kann man mit E. II. Weber zwei Reihen bin\u00e4rer Verbindungen im thierischen und besonders im menschlichen K\u00f6rper annehmen, n\u00e4mlich:\n1)\tbin\u00e4r zusammengesetzte Materien aus mineralischen Bestandteilen, wie phosphorsaures Natron, phosphorsaurer Kalk, phosphorsaure Magnesia, kohlensaures Natron, kohlensaurer Kalk, salzsaures Kali, salzsaures Natron, Fluorcalcium, Kieselerde, Man-ganoxvd, Eisenoxyd, Natron;\n2)\tbin\u00e4r zusammengesetzte Materien aus zumTheil organischen, zum Theil unorganischen Bestandteilen. Hierher w\u00e4re das Ei-weiss im Blute zu rechnen, wo es eine Verbindung mit Natron bilden soll, Albuminat von Natron. Auch die milchsauren Salze, milchsaures Kali, Natron w\u00e4ren hierher zu rechnen.\nWir gehen nun zur Betrachtung der einfachsten Formen \u00fcber, in welchen die organische Materie erscheint. Sic sind folgende:\n1)\tdie organische Materie ist in vielen S\u00e4ften in einem vollkommen aufgel\u00f6sten Zustande; sie zeigt bei mikroskopischen Untersuchungen keine sichtbaren Molecule. So enth\u00e4lt das Blutwasser Thierstoff im aufgel\u00f6sten Zustande, der sich erst durch die Wirkung der galvanischen S\u00e4ule, oder durch Erhitzung und andere chemische Einfl\u00fcsse zu K\u00fcgelchen bildet. In demselben Zustande befindet sich ein Theil der thierischen Materie in der Lymphe der Lymphgef\u00e4sse.\n2)\tDie lebenden festen Theile befinden sich in einem nur den organischen Wesen eigenen Zustande der Aufweichung. Das Wasser theilt ihnen die Eigenschaft der Ausdehnbarkeit, Biegsamkeit mit, ohne dass man sic nass nennen kann und ohne dass sie andere durch Mittheilung dieses Wassers benetzen k\u00f6nnen. Diess Wasser betr\u00e4gt nach Berzelius bis ihres Gewichtes. Es scheint ihnen, wie Berzelius bemerkt, nicht durch chemische Verwandt-","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nSchaft anzugeh\u00f6ren, da es allm\u00e4hlig wegtrocknet und man es in einer starken Presse zwischen Fliesspapier augenblicklich aus ihnen herausdr\u00fccken kann. Durch den Verlust des Wassers wird in der thierischen Materie mit Ausnahme einiger der niedersten Thiere und Pllanzen, die beim Erweichen wieder aufleben, die Lebensf\u00e4higkeit ganz zerst\u00f6rt. Berzelius Thierchemie p. 7. Nach Ciievreul kann nur reines Wasser das Ph\u00e4nomen der vollen Aufweichung hervorbringen, obgleich gesalzenes Wasser auch von trockenen thierischen Theilen, so wie Alcohol, Aether, Oel eingesogen werden.\nNasse thierische Theile lassen aber durch ihre unsichtbaren Poren, welche von dem Wasser erf\u00fcllt werden, zu, dass Stoffe, die mit ihnen in Ber\u00fchrung kommen, wofern sie im AVasser aufl\u00f6slich sind, sich in deinAVasser, was die thierischen Theile nass macht, aufl\u00f6st, oder wofern sie schon aufgel\u00f6st waren, weiter vertheilen. Diess gilt auch f\u00fcr gasf\u00f6rmige Fl\u00fcssigkeiten. Ehen so leicht giebt das Wasser der nassen thierischen Theile Aufgel\u00f6stes an andere Theile ab, welche davon aufl\u00f6sen k\u00f6nnen. Die Gesetze der Anziehung der Stoffe hei der Aufl\u00f6sung und Mischung, die Gesetze des Gleichgewichtes der Vertheilung mischbarer Fl\u00fcssigkeiten haben daher auch in den nassen thierischen Theilen ihre Anwendung. Da eine por\u00f6se organische Membran, wenn sie auf Leiden Seiten mit Wasser in Ber\u00fchrung steht, durch ihre Poren ein Continuum von Wasser von dein einen zu dem andern Wasser bildet, so k\u00f6nnen Stoffe, in dem beiderseitigen Wasser aufgel\u00f6st, jene Membran bis zum Gleichgewichte der Mischung und Vertheilung allm\u00e4hlig durchdringen. ' Diess gilt auch f\u00fcr Gase, die mit nassen thierischen Theilen in Ber\u00fchrung stehen. Wir werden in der Folge sehen, dass hierbei, gleichwie bei por\u00f6sen unorganischen K\u00f6rpern, ein merkw\u00fcrdiges Gesetz obwaltet, dass n\u00e4mlich die dichtere L\u00f6sung durch die por\u00f6sen K\u00f6rper hindurch mehr von der d\u00fcnnem L\u00f6sung, als diese von jener aufnimmt.\nDie organischen Stoffe sind w\u00e4hrend des Lebens niemals kry-stallisirt, und die Excretionsstoffe der Thiere, Harnstoff und Harns\u00e4ure und einige Fettarten, die f\u00e4hig zu krystallisiren sind, kommen in den lebenden Theilen nicht \"krystallisirt vor, obgleich in den Pflanzenzellen zuweilen krystallisirte mineralische Stoffe beobachtet werden. H\u00e4ufig erscheint der organische Stoff zu rundlichen mikroskopischen Moleculen gebildet. Diese organischen Molecule erscheinen nun theils in den S\u00e4ften; zu diesen geh\u00f6ren die\nBlutk\u00f6rperchen heim Menschen von einem Durchmesser von________L\u2014\n\u2014 Woo eines P. Z., die K\u00f6rnchen des Chylus\tP. Z. nach\nPr\u00e9vost und Dumas, des Speichels 30V0 P- Zoll nach Weber. Die K\u00f6rnchen des Chylus, der Milch, der Galle sind rund, die des Blutes sind platt, plattrund bei den S\u00e4ugethieren, plattoval bei den A\u00f6geln, Amphibien, Fischen; die Blutk\u00f6rnchen enthalten immer einen Kern in einer \u00e4ussern Schale. Undeutlicher sind die K\u00fcgelchen des geronnenen Eiweisses und Faserstoffes. Die Gewebe der organischen und insbesondere thierischen K\u00f6rper scheinen aber selbst Vielen nur aus einer Aggregation von Moleculen zu Fasern, Bl\u00e4ttchen und H\u00e4uten zu bestehen. Am deutlichsten","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Molecule der organischen Materie.\n9\nerscheinen diese Molecule im Gehirne und in der Substanz des Embryo, z. B. in der Keimhaut des Eies, undeutlicher in den \u00fcbrigen Geweben, wo es immer zweifelhaft ist, oh die Unebenheiten der Oberfl\u00e4che durch mikroskopische T\u00e4uschung nicht etwa als K\u00fcgelchen erscheinen. Der undurchsichtige Theil der Keimbaut des Vogelembryo zeigt z. B. ein Aggregat von ziemlich grossen K\u00fcgelchen, die man schon mit einer einfachen Lupe sieht, und diese K\u00fcgelchen gleichen ganz den K\u00fcgelchen des Dotters selbst. Allein schon die in der Keimhaut sich verbreitenden Gelasse sind nach meinen Beobachtungen aus einer ganz unvergleichlich feinem Materie gebildet, so wie der durchsichtigemittiere Theil der Keimhaut, area pellucida, und der Embryo selbst. Es scheint hier wirklich, dass die Keimhaut durch Anziehung und Aggregation der Dotterk\u00fcgelchen w\u00e4chst; allein alle Formationen in der Keimhaut selbst geschehen durch Aufl\u00f6sung und Umwandlung dieser aggregirten Theile in eine so zarte Materie, dass die Elementarteilchen derselben nicht deutlich erkannt werden k\u00f6nnen, und dass sie jedenfalls unvergleichlich viel kleiner seyn m\u00fcssen, als die Aggregaltheile der Keimhautsubstanz. Nach meinen Beobachtungen beim Frosche sind die Primitivfasern der Muskeln 5 \u2014 Sinai d\u00fcnner als seine Blutk\u00f6rperchen, und d\u00fcnner als die Kerne der Blutk\u00f6rperchen ; die Muskelfasern der Fr\u00f6sche und h\u00f6heren Thiere unterscheiden sich wenig an Dicke, wohl aber sehr ihre Blutk\u00f6rperchen. Die Primitivlasern der Nerven sind nach meinen Beobachtungen bei S\u00e4ugetieren {\u2014 ^ so d\u00fcnn als die Blutk\u00f6rperchen derselben, und dicker als die Kerne der letztem. Beim Frosch fand ich die Primitivfasern der Nerven = ^ des Durchmessers seiner Blutk\u00f6rperchen, was hier wieder viel weniger ist, als der Durchmesser der Kerne seiner Blutk\u00f6rperchen. Ich habe mich nicht \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass die Nervenfasern aus aneinander gereihten K\u00fcgelchen bestehen. Sie zeigen allerdings aufeinander folgende geringe Unebenheiten, aber ziemlich, unregelm\u00e4ssig. Endlich macht die Entdeckung von Ehrekbf.rg, dass Monaden von ^-g-g-Linie noch zusammengesetzte Organe haben, diese Theorie der Aggregation aus K\u00fcgelchen, die selbst gr\u00f6sser seyn sollen als \u00ef\u00f4V\u00f4 Linie, im h\u00f6chsten Grade unwahrscheinlich. Die Zusammensetzung der Gewebe aus Moleculen ist wegen der Unsicherheit, Unebenheiten von K\u00fcgelchen mikroskopisch zu unterscheiden, jetzt noch immer eine gewagte Hypothese. Jedenfalls sind aber die organischen Molecule nur die kleinsten Formen, in welchen die zusammengesetzte organische Materie erscheint, nicht aber die Atome der organischen Combination.\nWir kennen die Kraft, welche die organischen K\u00f6rper beseelt, nur an den organischen K\u00f6rpern. Sie \u00e4ussert sich nur an den organischen Verbindungen, welche diese erzeugen, und nie entsteht aus freien St\u00fccken aus den Grundelementen, wo sie zuf\u00e4llig Zusammenkommen, organische Materie. Fray behauptet zwar, beobachtet zu haben, dass sich mikroskopische oder Infu-sionsthiere aus reinem Wasser gebildet h\u00e4tten, und Gruithuisen will in Aufg\u00fcssen von Granit, Kreide und Marmor eine gallertartige Haut entstehen sesehen haben, worin sich sp\u00e4ter Infusorien","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nbildeten. Auch auffallend ist, was Retzius (Froriep\u2019s Notizen 5. p. 56.) beobachtete, dass n\u00e4mlich in einer Aufl\u00f6sung von salzsaurem Baryt in destillirtem Wasser, die ein halbes Jahr in einer mit einem gl\u00e4sernen St\u00f6psel verschlossenen Flasche gestanden batte, eine eigene Art Conferven sich bildete. Allein es ist oei jenen merkw\u00fcrdigen Erfahrungen wohl gewiss, dass jene Substanzen oder die Gef\u00e4sse, oder das Wasser eine auch noch so geringe Menge organischer Materie enthielten, wie denn nach den Beobachtungen von Schultze Staubmolecule von organischen Substanzen hinreichen, um unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden die Ph\u00e4nomene zu erzeugen, welche man zur generatio aequivoca der Infusorien rechnet. Selbst die Thiere sind nicht einmal im Stande aus blossen Elementen oder aus blossen bin\u00e4ren Verbindungen organische Materien zusammenzusetzen. Die Thiere wachsen durch Aufnahme von schon vorher gebildeten organischen Materien von anderen Thieren oder von Pflanzen; sie k\u00f6nnen nur die Zusammensetzung der organischen Materie erhalten und umj'mdern ; die Pflanzen scheinen dagegen nicht allein organische Materie von Thieren und Pflanzen umzuwandeln, sondern auch zugleich aus Elementen und bin\u00e4ren Verbindungen der Elemente, wie Kohlens\u00e4ure und Wasser zu erzeugen, obgleich sie ohne alle organische Materie des Bodens nicht gedeihen. Die Erzeugung der organischen Materien aus bin\u00e4ren Verbindungen in den Pflanzen scheint deswegen anzunehmen n\u00f6thig, weil ohne diese neue Bildung das Nutriment auf der Erde immer abnehmen w\u00fcrde, da unaufh\u00f6rlich Pflanzen und Thierk\u00f6rper durch Verbrennen, Faulen etc. in bin\u00e4re Verbindungen zersetzt werden.\nDie einmal von Pflanzen gebildete oder in Pflanzen und Thieren enthaltene und umgewandelte organische Materie ist wieder lebensf\u00e4hig, wenn sie von einem lebenden K\u00f6rper angeeignet und der organischen Kraft desselben unterworfen wird. Auf diese Art k\u00f6mmt alle organische Substanz, welche auf der Erde verbreitet ist, nur von lebenden organischen K\u00f6rpern ; der Tod oder das Erl\u00f6schen der Ki\u2019aft, welche organische Verbindungen erzeugt und erh\u00e4lt, trifft das Einzelwesen, w\u00e4hrend die organische Materie, so lange sie nicht in bin\u00e4re Verbindungen zerfallen ist, Lebensf\u00e4higkeit beh\u00e4lt.\nDie Lebensf\u00e4higkeit der organischen Materie besteht darin, dass sie wieder einen lebenden organischen K\u00f6rper ern\u00e4hren kann. Gew\u00f6hnlich entstehen organische K\u00f6rper gewisser Art nur cyklisch von organischen K\u00f6rpern derselben Art, d. h. durch Eier oder Sprossen. Es fragt sich aber, oh die organische Materie bei der Zersetzung eines organischen K\u00f6rpers nicht auch Organismen anderer Art unter gewissen Einfl\u00fcssen erzeugt, ob sie nicht allein lebensf\u00e4hig ist, sondern in modificirter Art fortlebt, ob sie unter gewissen Bedingungen, n\u00e4mlich unter Einwirkung von atmosph\u00e4rischer Luft, Wasser, Licht in Kleinen mikroskopischen thierischcn Wesen, lebenden Infusorien zerf\u00e4llt, oder unter anderen Bedingungen, in niedersten Pflanzen, Schimmel wieder aullebt. In einem ausgedehnteren Sinne halten schon die Alten, namentlich Aristoteles die generatio aequivoca, die freiwillige Erzeugung","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Generatio aet/uivoca. Infusoria.\t11\nder Thiere angenommen. Es war n\u00e4mlich eine alte Tradition, dass aus der F\u00e4ulniss niedere Thiere, Insecten, W\u00fcrmer erzeugt werden sollten. Diese Meinung hatte sich in dem naturwissenschaftlichen und medicinischen Aberglauben bis ins 17. Jahrhundert erhalten. Da schrieb Redi seine exp\u00e9rimenta circa generatio-nem insectorum und bewies, dass alle Beispiele, welche die Alten von generatio aerjuivoca aufgef\u00fchrt hatten, falsch seyen, dass alle diese W\u00fcrmer, Insecten aus Eiern entstehen, die vorher von Thieren an die Orte gelegt worden. Diese Beweise waren \u00fcberzeugend, und kein unterrichteter Naturforscher glaubte fortan mehr an die Fabel von der Erzeugung durch F\u00e4ulniss, so dass der Satz: orrme vivum ex ovo unangetastet blieb. Sp\u00e4ter aber trat Needham auf und zeigte, dass zwar durch F\u00e4ulniss keine Insecten, aber doch kleine mikroskopische, bisher ungekannte Thierchen, Infusorien, entstehen. Uebergiesst man thierische oder pflanzliche Substanzen mit Wasser und setzt sie der atmosph\u00e4rischen Luft und dem Lichte aus, so zeigen sich hei gew\u00f6hnlicher Temperatur der mildern Jahreszeit nach einigen Tagen, w\u00e4hrend sich die organische Materie allm\u00e4hlig zum Theil zersetzt, zum Theil umwandelt, zum Theil in K\u00fcgelchen, zum Theil ganz aufl\u00f6st, entweder Schimmel oder jene mikroskopischen Thierchen, hei welchen Ehrenberg jetzt die gl\u00e4nzende Entdeckung gemacht hat, dass sie eine viel zusammengesetztere Organisation haben, als Jemand vorher geahnet hatte.\nDie ersten Beobachtungen \u00fcber die Entstehung der Infusorien sind von Needham {nouv. observ. micruscop.) mitgetheilt, sp\u00e4ter haben Wrisberg, O. Fr. Mueller, Ingenhouss, G. R. Treviranus, Gruitiiuisen, Schultze um die Kenntniss dieses Gegenstandes sich Verdienste erworben. Nach W risherg\u2019s (observ. de animale, infus.) Beobachtungen erzeugen sich ohne den Einfluss der Luft aus in-lundirten organischen Substanzen keine Infusorien, wie z. B. wenn \u00ablie Infusion mit Oliven\u00f6l bedeckt wurde. Dagegen sind alle dem Wasser beigemischten vegetabilischen oder animalischen Substanzen zur Erzeugung der Infusorien geeignet, wenn sie nur keine saure oder scharfe Eigenschaft haben und nichts enthalten, was die F\u00e4ulniss hindert. Die Entwickelung der Infusorien erfolgt, nachdem die organische Materie einen gewissen Grad von Zersetzung unter Entwickelung von Luftblasen erlitten hat. Gleichzeitig mit dieser Entwickelung und sp\u00e4ter zeigt die Infusion eine fosse Menge mikroskopischer Molecule, die bald zerstreut liegen, bald eine Art von Membran an der Oberfl\u00e4che der Infusion bilden und aus der Zertheilung der organischen Materien entstehen. ;Nach Fray und Burdach sollten sich Inf'usionsthiere auch in Wasserstolfgas und Stickgas in der Infusion erzeugen. Die generatio aequivoca der Infusionsthiere wurde von mehreren Naturlor-sSjlern> besonders aber von Spallanzani (physical. und mathem. \u25a0ribband/.) angegriffen, welcher die Entstehung der Inf'usionsthiere als eine durch W\u00e4rme, Wasser, atmosph\u00e4rische Luft und Licht bedmgte Entwickelung von zuf\u00e4llig beigemischten Eiern jener \"erclien erkl\u00e4rt. Indessen lehren Spallanzani\u2019s eigene Versu-Cle, dass gekochte organische Substanzen eben so tauglich als","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nungekochte zur Erzeugung der Infusorien sind, so wie denn auch destiliirtes Wasser gleich dienlich zur Infusion ist. Sonst beweisen Spallahzahi\u2019s Versuche nur, dass die atmosph\u00e4rische Luit zur Entwickelung der Infusorien noting ist, und dass sich in hermetisch verschlossenen, mit Infusionen gef\u00fcllten Flaschen, die eine Stunde lang in einem Gef\u00e4sse mit Wasser der Siedhitze ausgesetzt worden, keine Infusorien zur Zeit der sp\u00e4tem Untersuchung der Flaschen gebildet hatten. Spallaszani fand auch die Structur der Infusionsthiere verschieden nach der Verschiedenheit der Infusion. Versuche mit Samen von Wassermelonen, K\u00fcrbissen, Hanf und Hirse zeigten, dass die Zahl der Infusorien gr\u00f6sser ist von dem wachsenden Keime, als von dein erst keimenden Samen und mit dem Verderber, des Samens abnimmt. Auf kleine Gattungen sollten gr\u00f6ssere folgen, bis die Entwickelungsf\u00e4higkeit nach einer gewissen Zeit verloren schien. Die Infusionsthiere von unbesch\u00e4digtem Samen sollten gr\u00f6sser gewesen seyn, als die von zerriebenem Samen. Aus Kornmehl erzeugten sich eben sowohl Infusorien als aus bloss zerdr\u00fccktem Samen. Wurde aber die St\u00e4rke des Mehls (ainylum) von dem Kleber (gluten) abgesondert und die Substanzen besonders infundirt, so erschienen in der Infusion von St\u00e4rke weniger oder gar keine Thiere, dagegen in der andern Infusion ein Heer von belebten Wesen. Dagegen zeigten sich in Infusionen von Gerste, t\u00fcrkischem Weizen, Bohnen, Wolfsbohnen, Reis und Leinsamen gar keine Thierchen. Treviranus Biologie II. p. 279-\u20142S0. Da indess die Gattungen und Arten der Infusorien eben so bestimmt sind, wie in den h\u00f6heren Thierklassen, und Spallanzani die Unterschiede der Form seiner Infusorien nicht bestimmt hat, da wir ferner die Entwickelungsstufen einer und derselben Species von Infusorien noch nicht kennen, so verlieren Spallanzani\u2019s Versuche viel von ihrem Gewichte, wenn er in Infusionen von K\u00fcrbissamen, Chamillensamen, Sauc\"-ampfersamen, Korn, Spelz ganz verschiedene Thierchen entdeckt haben will. Treviranus hat durch seine zahlreichen, mit mehr Critik angestellten Beobachtungen der Hypothese von der genera-tio aefjuivoca ein viel gr\u00f6sseres Gewicht gegeben. Seine Gr\u00fcnde st\u00fctzen sich auf folgende Umst\u00e4nde:\n1)\tVerschiedene organische Substanzen mit einerlei Wasser infundirt, erzeugen verschiedene Infusionsthiere, wie z. B. Kressensamen und Roggensamen.\n2)\tDer Einfluss des Lichtes hat auf die Beschaffenheit der generatio aet/uiooca den gr\u00f6ssten Einfluss. So erzeugt sich die nach Priestley genannte gr\u00fcne Materie, welche sich durch ihre Eigenschaft, Sauerstoffgas auszuhauchen, auszeichnet, nur unter dem Einfl\u00fcsse des Lichtes, wenn Wasser, besonders Brunnenwasser, offen oder in verschlossenen, aber durchsichtigen Gef\u00e4ssen der Sonne ausgesetzt wird, und zwar als eine aus runden oder elliptischen K\u00f6rnchen bestehende gr\u00fcnliche Kruste, worin man anf\u00e4nglich feine Bewegungen einzelner Molecule, und sp\u00e4ter sich unregelm\u00e4ssig bewegende durchsichtige F\u00e4den entdeckt. Diese Ver\u00e4nderungen hat Ingenhouss ( Vermischte Schriften phys. medic. Inhalts) am l\u00e4ngsten beobachtet. (Nach R. Wagner besteht die","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Genera/io arr/uivnra. Infusoria.\n13\nPriestleysche gr\u00fcne Materie aus abgestorbenen Leibern gr\u00fcner Thierchen Euglena viridis und anderer Infusorien. Dann w\u00e4ren jene beweglichen F\u00e4den wohl eigene von der \u00fcbrigen gr\u00fcnen Materie verschiedene Wesen, und Ingknhouss h\u00e4tte unrichtiger Weise verschiedene Arten einfacher Wesen als Umwandlungen derselben Molecule angesehen.)\n3)\tAuch die Eingeweidew\u00fcrmer und die in dem Samen der Thiere, seihst der wirbellosen, beobachteten mikroskopischen Thierchen, die Samenlhierchen, geschw\u00e4nzte K\u00f6rperchen mit thierischen Bewegungen, scheinen f\u00fcr die freiwillige Entstehung lebender Wesen in organischer Materie zu sprechen.\n4)\tIn Treviranus Versuchen zeigten sich unter sonst gleichen Umst\u00e4nden in verschiedenen Infusionen verschiedene Wesen, n\u00e4mlich Infusionstbiere oder Schimmel, und die Ursache dieser Verschiedenheit lag nicht in dem Wasser, sondern an den infundirten Substanzen.\n5)\tTreviranus beobachtete, dass in verschiedenen H\u00e4lften einer und derselben Infusion sich unter verschiedenen zuf\u00e4lligen Bedingungen verschiedene Infusionstbiere erzeugten, n\u00e4mlich aus dem Aufgusse von Irisbl\u00e4ttern mit frischem Brunnenwasser entwickelten sich in einem langem, mit Leinwand bedeckten, der Sonne ausgesetzten Gelasse Infusionstbiere, in einem zweiten Ge-f\u00e4sse hei einem andern Standorte gr\u00fcne Materie. So zeigten sich in derselben Infusion von Roggenk\u00f6rnern mit Brunnenwasser die Producte verschieden, wenn Treviranus in eine der Infusionen eine Eisenstange gelegt hatte. Hiermit scheint \u00fcbereinzustimmen, dass Gi.editsch auf verschiedenen, mit Mousselin bedeckten Melonenst\u00fccken hei einem verschieden hohen Standorte ein ungleiches Verh\u00e4ltnis der erzeugten Gebilde, Schimmel, Byssus, Tre-mellen fand. Man k\u00f6nnte hierzu noch hinzusetzen, dass Gruit-huisen in Infusionen von Eiter und Schleim ganz verschiedene Infusionsthierchen gefunden haben will. Aus allen diesen Gr\u00fcnden hat G. R. Treviranus die Schlussfolgen gezogen: dass in der ganzen Natur eine stets wirksame, absolut indecomponible und unzerst\u00f6rbare (?) Materie vorhanden ist, wodurch alles Lebende von dem Byssus bis zur Palme, und von dem punkt\u00e4hnlichen In-fusionsthiere bis zu den Meerungeheuern Lehen besitzt, und welche, unver\u00e4nderlich ihrem Wesen, doch ver\u00e4nderlich ihrer Gestalt nach, unaufh\u00f6rlich ihre Formen wechselt, dass diese Materie an sich formlos und jeder Form des Lehens f\u00e4hig ist, dass sie nur durch den Einfluss \u00e4usserer Ursachen eine bestimmte Gestalt erh\u00e4lt, nur hei der fortdauernden Einwirkung jener Ursachen in dieser verharrt, und eine andere Form annimmt, sobald andere Kr\u00e4fte auf sie wirken. Nach Wrisberg und Andern erzeugen sich die Infusorien aus den sich abl\u00f6senden Partikeln der infundirten Substanz seihst, welche sich allm\u00e4hlig zu bewegen anfangen; nach Gruithuisen erscheinen sie dagegen erst, wenn der Extra-ctivstoff des infundirten K\u00f6rpers von Wasser extrahirt worden, in diesem. Sciiultze sagt: Nie habe ich in einem Aufgusse von\nlut, Milch oder Hirnsubstanz, ein Blutk\u00fcgelchen, Milchk\u00fcgelchen oder Markk\u00fcgelchen sich als Monade fortbewegen oder in eine","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nsolche verwandeln gesehen. Jedes einzelne dieser K\u00fcgelchen giebt durch sein Zerfliessen zum Entstehen von mehreren hundert Monaden den Stoff. Diess Letztere widerspricht indess der Micro-metrie; denn nach Eurenberg hat die kleinste sichtbare Monade \u2022J\u00fcV\u00f6 P- Linie im Durchmesser, diess ist\tZoll. Die Blutk\u00fc-\ngelchen des Menschen betragen aber x\u00f4V\u00ef\u201450V0 Zoll im Durchmesser, die Milchk\u00fcgelchen noch weniger. Schultze will die Entstehung von Infusorien aus organischen Staubthcilchen beobachtet haben, die sich in Wasser in einigen Stunden mit einem tr\u00fcben Ringe umgeben, der sich bis zum Zerfliessen des Staub-theilchens ausbreitet. Dieser Ring l\u00f6se sich in Monaden auf. Treviranus Biologie II. p. 264 \u2014 406. Gruithuisen Beitr\u00e4ge zur Physiognosie und Eautognosie. .M\u00fcnchen 1812. 8. Burdach Physiologie. T. 1. C. A. S. Schultze mikroskopische Untersuchungen \u00fcber R. Browns Entdeckung lebender Theilchen in allen K\u00f6rpern, und \u00fcber Erzeugung der Monaden. Carlsruhe 1824.\nWir gehen nun zur Critik der vorhergehenden Beobachtungen \u00fcber. Die Art, wie Versuche \u00fcber generatio aequiooca angestellt werden k\u00f6nnen, lasst keine Gewissheit \u00fcber nicht statt gefundene T\u00e4uschung zu.\n1)\tDiejenigen, welche mit ausgekochter organischer Substanz an der atmosph\u00e4rischen Luft experimentirt haben, k\u00f6nnen nicht beweisen, dass die erzeugten Infusorien oder Schimmel nicht von dem mit der atmosph\u00e4rischen Luft zugef\u00fchrten Staube vertrockneter Infusorien oder ihrer Keime herr\u00fchren. Vielleicht dass, wie Alexander von Humboldt in seinen Ansichten der Natur deutet, die Winde die Keime der einfachsten organischen Wesen aus den trocknenden Gew\u00e4ssern emporheben und diese im Staube von dem belebenden Wasser aufgenommen, wieder aullebeu, wie das Wiederaufleben von dem R\u00e4derthierchen, nach Spallanzani\u2019s best\u00e4tigten Versuchen, thats\u00e4chlich bekannt ist. Dass der \u00fcberall in der Luft umh erfliegen de Staub kleine organische, im Wasser aufquellende Theilchen enth\u00e4lt, hat neuerlichst Schultze zur Erkl\u00e4rung der Infusorien benutzt; er h\u00e4lt diese gerade f\u00fcr eingetrocknet gewesene Infusorien (Monaden), die durch Benetzung von Neuem belebt werden. Indessen h\u00e4lt Schultze diese sehr h\u00e4ufige Quelle der Infusorienbildung nicht f\u00fcr die einzige und giebt die Umwandlung der organischen Substanzen in Protozoen zu.\n2)\tDiejenigen, welche mit ausgekochtem organischen Stoff experimentirt und gemeines Wasser zur Infusion benutzt haben, k\u00f6nnen eben so wenig die neue Bildung der Infusorien beweisen, denn das Wasser kann diese als Eier oder wirkliche Infusorien selbst enthalten haben, die sich schnell auf Kosten der infundir-ten organischen Substanz vermehren. Die Anwendung eines ganz reinen destillirten Wassers ist fast in keinem Fall vorauszusetzen, da selbst f\u00fcnfmal destillirtes Wasser noch organische Theilchen enthalten kann.\n3)\tDiejenigen, welche mit frischen organischen Substanzen und destillirtem Wasser oder gar k\u00fcnstlich bereiteten Luftarten experimentirt haben, k\u00f6nnen nicht beweisen, dass nicht etwa die Eier der Infusorien oder diese selbst in der organischen Substanz","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"G\u00e9n\u00e9raiio aequipoca. Infusoria.\n15\nenthalten waren ; mikroskopische Thierchen kennt man in lebenden Theilen zwar wenige, und die gew\u00f6hnlichen K\u00fcgelchen organischer Fl\u00fcssigkeiten, wie des Blutes, sind jedenfalls nicht individuell Leicht; allein der Schleim enth\u00e4lt bereits mikroskopische Thierchen, der Darmschleim des Frosches wie der Same enthalten mikroskopische Thierchen ; in den Muscheln hat von Baer an verschiedenen Stellen mikroskopische sich bewegende Theilchen gesehen. Siehe Nop. art. nat. cur. 13. 2. p. 594. Die Samen des Weizens und einiger Agrosfis enthalten oft Vibrionen, die selbst getrocknet bei der Befeuchtung aufleben. Einige Thierchen, die in anderen Thieren Vorkommen, leben auch im Wasser fort, besonders aber solehe, die auf anderen Thieren leben, Epizoen.\n4) Endlich, wenn auch einige Beobachter mit ausgekochten organischen Substanzen, mit destillirtem Wasser, mit k\u00fcnstlich bereiteter Luft zugleich experiinentirt haben sollten, so ist. doch die zu einem entscheidenden Resultate n\u00f6thige Genauigkeit hier weder wahrscheinlich vorauszusetzen, noch \u00fcberhaupt m\u00f6glich, da jedes zum Wechseln von Wasser benutzte Instrument in einer absoluten Reinheit von allem Anflug organischer Theilchen h\u00e4tte seyn m\u00fcssen, und jede Reinigung wieder eine Gelegenheit zu Irr-th\u00fcmern giebt.\nDiese Bemerkungen widerlegen die generatio aequiooca nicht, sondern zeigen bloss, dass ein entschiedener Beweis derselben durch directe Beobachtung nicht wohl m\u00f6glich ist. Nun hat aber Ehrenberg durch genaue Untersuchungen der Organisation der Thiere und Pflanzen, welche durch generatio aequipoca entstehen sollen, diese letztere wirklich ziemlich unwahrscheinlich gemacht. Ehrenberg hat erstens das wirkliche Keimen der Pdz-und Schimmelsamen entdeckt. ISooa act. nat. cur. T. X. Vergl. Nees v.Esenbeck Flora. 1826. p. 531. Schilling in Kastner\u2019s Ar chip. X. p. 429. Hierdurch wurde die Fortpflanzung der Schimmel und Pilze l\u2019cst-gestellt, es wurde gezeigt, wie man durch Schimmelsamen neue Schimmel bewirken kann, und es wurde wahrscheinlich, dass in den F\u00e4llen unerwarteter Entstehung von Schimmel auch durch Wasser oder Atmosph\u00e4re verbreiteter Schimmclsaine nur den zur Entwickelung n\u00f6thigen Boden gefunden hat. Was nun die Infu-sions-Thiere betrifft, so hat Ehrenberg f\u00fcr\u2019s Erste den zusammengesetzten Bau dieser Thiere entdeckt, so dass selbst die kleinsten Monas von ^qV\u00f6 Linie Durchmesser noch einen zusammengesetzten Magen haben, dass sie Bewegungsorgane in Wimpern besitzen. Bei anderen beobachtete Ehrenberg die Eier, die Fortpflanzung durch Eier. Diess erregte den gr\u00f6ssten Zweifel gegen die Richtigkeit fr\u00fcherer Beobachtungen, wo man ohne den zusammengesetzten Bau dieser Thiere zu kennen, das unmittelbare Entstehen derselben aus Theilchen der infundirten Substanz gesehen haben wollte. Ehrenberg hat es nie in der Gewalt gehabt, bestimmte ormen von Infusorien durch bestimmte Infusionen zu erlangen; \u25a0>uch zeigen sich bald diese, bald jene Infusorienformen bei der 8 eichartigsten Behandlung. Vielmehr giebt es nach Ehrenberg gewisse, aber doch nur eine bestimmte Anzahl am meisten verleiteter Formen, deren Eier oder Individuen in allen Gew\u00e4ssern","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nselbst in einigen, vielleicht aber nur schadhaften Pflanz,enlheiien vorhanden seyn m\u00f6gen, und von denen sieb dann bald die einen, bald die anderen, je nachdem Eier oder Individuen davon im Wasser waren oder hineingebracht worden, stark vermehren. Die Vermehrung dieser Thiere scheint ausserordentlich schnell. Ein Raderthierchen, Ifydatina senta, das \u00fcber 18 Tage beobachtet wurde und langer lebt, ist in 24 \u2014 30 Stunden einer vierfachen Vermehrung f\u00e4hig. Diese Vermehrung giebt in 10 Tagen schon 1 Million Individuen, woraus sich die ausserordentliche H\u00e4ufigkeit der Infusorien in einem Tropfen einer Infusion einiger-rnassen erkl\u00e4ren liesse. Im Thau und Regen hat Eubenberg nie Infusorien \u25a0 bemerkt; sonst fand Ehrenberg einige Infusorien in Afrika lind Asien, gleichwie in Europa, im Meerwasser wie im Flussfvasser, in den Tiefen der Erde wie auf der Oberfl\u00e4che. Aber die Entwickelung dieser Thiere scheint formenreich, und man kann leicht verschiedene Arten dieser Thiere zu sehen glauben, w\u00e4hrend man nur die Entwickelungszust\u00e4nde beobachtet. Aus allen diesen Beobachtungen schliesst Eubenberg, dass alle Infusorien, gleich den \u00fcbrigen Tbieren, von Eiern entstehen, ornne oleum ex ooo, und l\u00e4sst es ungewiss, ob die Eier zum Theil wirklich das Product der genera/io primitioa sind. Siehe Ehrenberg in Poggehdorf\u2019s Annalen 1832. 1. Vcrgl. R. Wagner Isis 1832. 383. Den von mehreren M\u00e4nnern beschriebenen Uebergang von Infusorien in Priestleysche Materie h\u00e4lt Wagner f\u00fcr ausgemacht; diese Materie ist aber nichts anders als der Piest von abgestorbenen Infusorien, Euglena viridis. Dagegen bezweifelt Wagner wohl mit Recht die von Mehreren beschriebenen Ueberg\u00e4nge der Priestleyschen Materie in Conferven, TJlven, Tremellen oder gar Laubmoose. Die primitive Umbildung von noch unorganisirtein Thierstolf zu gewissen Thieren l\u00e4sst sich jetzt noch am meisten bei den Eingeweidew\u00fcrmern vertheidigen. Eine ganze Reihe von Gr\u00fcnden f\u00fcr die gencratio aequivoca beruht auf der Unm\u00f6glichkeit, die erste Entstehung der Eingeweidew\u00fcrmer ohne freiwillige Zeugung zu erkl\u00e4ren. 1. Die ungeheure Mehrzahl der Eingeweidew\u00fcrmer sind in der Organisation ganz von allen Gesch\u00f6pfen verschieden, die ausser dem thierischen K\u00f6rper Vorkommen. Die Aehnlicbkeit einiger Distoma mit den Planarien des s\u00fcssen und salzigen Wassers ist nur scheinbar. 2. Die wenigsten Eingeweidew\u00fcrmer kommen in verschiedenen Gattungen von Thieren vor. So sind die Bandw\u00fcrmer des Menschen nur diesem eigen, dagegen die Leberege!, Distoma hepaticum, dem Menschen, Hasen, Rindvieh, Cameel, Hirsch, Pferd, Schwein; der Spuh 1 wurm, Ascaris lumbricoides, dem Menschen, Schweine, Ochsen, Pferd gemein scheinen. Die mehrsten Thiere haben ihre eigenth\u00fcmlichen spe-cifisch verschiedenen Eingeweidew\u00fcrmer. 3. Viele Eingeweidew\u00fcrmer sind in ihrem Vorkommen auf gewisse Organe beschr\u00e4nkt. 4. Die Eingeweidew\u00fcrmer sterben in der Regel ausser dem lebenden thierischen K\u00f6rper. 5. Man hat diese W\u00fcrmer schon in Embryonen beobachtet. 6. Dass eine Uebertragung von Eingeweidew\u00fcrmern oder ihren Keimen durch die Nahrung nicht stattfinde, beweisen die bloss von Pflanzen lebenden Thiere, die gleichwohl","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Generatin acquioaca.\n17\nihre eigenen Eingeweidew\u00fcrmer haben. Nur in sehr wenigen Fallen kann dieser \u00fcebergang bei fleischfressenden Thieren an-oenomrnen werden, wie denn der Echinorhynchus der Feldmaus zuweilen beim Falken, W\u00fcrmer der Fr\u00f6sche zuweilen bei Schlangen, die Ligula der Fische, der Bolhriocephalus solidus des Stichlings auch im Darmkanal der Sumpf- und Schwimmv\u00f6gel gefunden worden sind. Allein viele andere W\u00fcrmer kommen ausser dem Darmkanale und den Wegen der Uebertragung vor. Siehe Bremer \u00fcber lebende W\u00fcrmer im lebenden Menschen. Wien 1819.\nEhrenberg sucht die generatio aer/uiooca der Eingeweidew\u00fcrmer zu entkr\u00e4ften, indem er sich zu der alten Meinung hinneigt, wonach die Eier der Eingeweidew\u00fcrmer durch die Saftcjrculation der Thiere in alle Theile des K\u00f6rpers getrieben w\u00fcrden. Ermmmt an, dass, weil die Genitalien der Eingeweidew\u00fcrmer eine grosse Menge Eier enthalten, diese auch durch die Circulation im ganzen K\u00f6rper eines Thieres verf\u00fchrt werden, und nur unter gl\u00fccklichen Umst\u00e4nden an den zu ihrer Entwickelung n\u00f6thigen Boden abgesetzt werden und auskommen, so dass alle S\u00e4fte eines Thieres gleichsam von Eiern solcher Eingeweidew\u00fcrmer inficirt sind, die das Thier in einzelnen Organen bat. Die Milch, wovon sich andere Individuen derselben Art n\u00e4hren, kann die Eier dieser W\u00fcrmer schon enthalten. Der Embryo der S\u00e4ugethiere, in dem man schon Eingeweidew\u00fcrmer fand, kann die Eier von den S\u00e4ften der Mutter haben. Man hat Eingeweidew\u00fcrmer in gelegten Eiern gefunden. Escimoez fand welche in H\u00fchnereiern. Burdacil Physiol. 1. p. 22. Sie k\u00f6nnen anf\u00e4nglich von den S\u00e4ften der Mutter dahin gelangt seyn ; allein in der That, die Widerlegung der generatio aequivoca begiebt sieb liier in eben so grosse Unwalir-sclieinlichkeiten als die Annahme derselben. Die Eier der Eingeweidew\u00fcrmer sind offenbar zu gross, um aus den Organen, wo die W\u00fcrmer leben, in die Lymphgef\u00e4sse zu gelangen, sie sind viel zu gross, um in Capillargef\u00e4sscn des Blutes von 0,00025 Zoll Durchmesser zu circuliren und endlich gar in die Absonderungs-producte, z. B. die Milch, den Dotter, zu gelangen; also die Erkl\u00e4rung des Vorkommens der Eingeweidew\u00fcrmer durch Ueber-gang von Mutter auf Kind, z. B. bei pflanzenfressenden S\u00e4ugelhie-ren, widerspricht gar sehr den erfahrungsm\u00e4ssigen Daten der Mikrometrie, wenn man nicht annehmen will, auch die kleinsten Theile von Keimstolf der Eingeweidew\u00fcrmer, wie er von vorhandenen W\u00fcrmern gebildet worden, seyen eben so f\u00e4hig zur Fortpflanzung als ein ganzes Ei. Von den Samenthierehen nimmt Ehrenberg an, dass sie jedem animalischen Wesen bei der Zeugung eingeimpft werden.\nDirecte Versuche \u00fcber generatio aequivoca sind bei dem jetzigen Zustande der Wissenschaft ungemein schwer. Diejenigen, welche in neuester Zeit angestelit sind, sind der Lehre von der freiwilligen Erzeugung nicht eben g\u00fcnstig. Fr. Ferd. Schultze beobachtete, dass atmosph\u00e4rische Luft, die durch Schwefels\u00e4ure \u2018 Urchgeleitet ist, keine Entwickelung von Infusorien in ausgckoch-cn hl\u00fcssigkeiten zul\u00e4sst. Schwann machte die Erfahrung, dass ln gekochten Fl\u00fcssigkeiten, die nur mit ausgegl\u00fchter, aber an\n\u00bbliillei-\u2019s\t1.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nProlegomena. 1. Organische Materie.\nSauerstoff noch reicher und h\u00e4ufig erneuerter Luft in Ber\u00fchrupg sind, keine Infusorien- oder Schiminelbildung und keine F\u00e4ulniss vor sich geht.\nv. Baer\u2019s Beobachtungen (Nor. act. nat. cur. XIII. 2.) enthalten \u00fcbrigens noch manches R\u00e4thsel \u00fcber die Zeugung von Eingeweidew\u00fcrmern. Die Thierchen, die er Bucephalus nennt, erzeugen sich in fadenf\u00f6rmigen Reimst\u00f6cken, welche in den Muscheln Vorkommen, und Bojanus und Bakr haben in Limnaeus stagnalis einen Wurm beschrieben, der wieder lauter Thiere einer ganz andern Form, Cerkarien, enth\u00e4lt. Vergl. Siebold \u00fcber Monosto-mum mutahile, Wifgm. Archie. 1. 45. Carus \u00fcber Leucochloridium paradoxum [Not>. act. nat. cur. XVII. p. 1.). v. Nordmann (mikrogr. Beitr\u00e4ge, Berlin 1832.) hat Monaden im K\u00f6rper lebender Eingeweidew\u00fcrmer, lliplostomen, beobachtet, und im Innern von faulenden Eiern von Lernaeen Infusorien entstehen gesehen. Anderseits verdienen wieder die Ver\u00e4nderungen gewisser Eingeweidew\u00fcrmer Beachtung, z. B. der Ligula und des Bothriocephalus solidus der Fische, die erst in den Wasserv\u00f6geln deutliche Genitalien erhalten; die anf\u00e4ngliche Gestalt einiger jungen Distomen, z. B. Bist, nodu-losum des Barsches, das nach v. Nordmann anf\u00e4nglich ohne Saugnapf, mit einerSpur von Auge, und mit Wimpern wie zum Schwimmen im Wasser besetzt ist. Die Infusorien und Binnenw\u00fcrmer der lebenden Pflanzen sind noch zu untersuchen. Wichtig genug, dass die kranken Samen von Agrostis-, Phalaris- und Triti-cum-Arten nach Steinbucii ( Analccien 1802.) und Bauer (Philos. Trans. 1823.) Vibrionen enthalten, dass Bauer im Stengel der jungen Weizenpflanze die Vibrionen wiederfand, die er dein Sarnen eingeirnpft hatte, und dass nach Steinbuch und Bauer die W\u00fcrmer der getrockneten Samen mehrere Jahre, f\u00e4hig blieben, im Wasser wieder aufzuleben.\nDie Bildung von Infusorien ist keine primitive Zeugung organischer Materie; Aie setzt schon die Existenz von organischen Wesen voraus, da nie organischer Stoff von selbst entsteht, sondern nur die lebenden Pflanzen f\u00e4hig scheinen, aus bin\u00e4ren Verbindungen, wie Wasser und Kohlens\u00e4ure, tern\u00e4re organische Verbindungen, organische Materie zu erzeugen, w\u00e4hrend die Thiere nur von schon gebildeten organischen Materien leben, selbst aber keine aus Elementen, oder bin\u00e4ren Verbindungen zu erzeugen verm\u00f6gen und also die Existenz der Pflanzenwelt zu ihrer Existenz voraussetzen. Wie nun zuerst die organischen Wesen entstanden sind, auf welche Art eine Kraft, die zur Bildung und Erhaltung der organischen Materie durchaus nothwendig ist, aber anderseits sich auch nur an organischen Materien \u00e4ussert, zur Materie gekommen ist, liegt ausser aller Erfahrung und Wissen. Es l\u00e4sst sich auch nicht der Knoten zerhauen, indem man behauptet, die organische Kraft wohne von Ewigkeit der Materie bei, als wenn organische Kraft und organische Materie nur verschiedene Betrachtungsweisen desselben Gegenstandes w\u00e4ren; denn in der That sind die organischen Erscheinungen nur einer gewissen Combination der Elemente eigen, und selbst die lebensf\u00e4hige organische Materie zerf\u00e4llt in unorganische Verbindungen, sobald die Ur-","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Theilbarkeit und Untheiibarkeit d. unorgan, u. organ. K\u00f6rper. 19\nsache der organischen Erscheinungen, die Lebenskraft, aufh\u00f6rt. Indess die L\u00f6sung jenes Problems ware \u00fcberhaupt nicht die Auf-oabe der empirischen Physiologie, sondern der Philosophie. I)a \u00f6ie Ueberzeugung in der Philosophie und in den Naturwissenschaften eine ganz verschiedene Basis hat, so sind wir hier zun\u00e4chst darauf angewiesen, das Feld einer denkenden Erfahrung nicht zu verlassen. Wir m\u00fcsten uns also bescheiden, zu wissen dass die Kr\u00e4fte, welche die organischen K\u00f6rper lebend machen, eigenth\u00fcinlich sind, und dann die Eigenschaften derselben n\u00e4her untersuchen.\nII. Vom Organismus und vorn Leben.\nDie organischen K\u00f6rper unterscheiden sich nicht bloss von den unorganischen durch die Art ihrer Zusammensetzung aus Elementen, sondern die best\u00e4ndige Th\u00e4tigkeit, welche in der lebenden organischen Materie wirkt, schafft auch in den Gesetzen eines vern\u00fcnftigen Plans mit Zweckm\u00e4ssigkeit, indem die Theile zum Zwecke eines Ganzen angeordnet werden, und diess ist gerade, was den Organismus auszeichnet. Kant sagt: die Ursache der Art der Existenz hei jedem Theile eines lebenden K\u00f6rpers ist im Ganzen enthalten, w\u00e4hrend hei todten Massen jeder Theil sie in sich selbst tr\u00e4gt.. Durch diesen Charakter begreift man, warum ein blosser Theil des organischen Ganzen meist nicht fortlebt, warum der organische K\u00f6rper ein Individuum, ein Untheil-ba res scheint. Insofern nun die Theile ungleichartige Glieder eines Ganzen sind, kann auch der Stamm nach dem Verlust eines das Ganze integrirenden Theiles nicht fortleben. Nur dann, wenn sehr einfache Thiere oder Pflanzen eine gewisse Summe gleichartiger Theile besitzen, oder wenn die zum Ganzen geh\u00f6rigen ungleichartigen Glieder in jedem Abschnitt des Ganzen sich fortsetzen, kann das Ganze sich theilen, und die getrennten St\u00fccke, welche nun auch noch die ungleichartigen Glieder des Ganzen, aber von geringerer Anzahl enthalten, leben fort. Abgeschnittene Zweige von Pflanzen werden eingepflanzt wieder zu neuen Individuen. Die verschiedenen Theile von Pflanzen sind einander noch so \u00e4hnlich, dass sie sich in einander umwandeln k\u00f6nnen, wie die Zweige in Wurzeln, die Staubf\u00e4den in Blumenbl\u00e4tter. Goethe Metamorphose der P\u00dfanzen. Hieher geh\u00f6ren auch einige einfache Thiere, wie die Polypen. St\u00fccke eines durchschnittenen Polypen hat man wieder fortwachsen gesehen, wie die Versuche von Tremblev, Roesel und Anderen beweisen. Eben so mit einigen W\u00fcrmern, z. B. Naiden, bei welchen man in verschiedenen Abschnitten des K\u00f6rpers ungef\u00e4hr dieselben ungleichartigen, qualitativ verschiedenen Theile, wie des Darmes,' der Nerven, der Blutgef\u00e4sse, sich fortsetzen sieht. Diese Thiere hat man durch 1 heilung sich fortpflanzen gesehen. Bonnet will sogar ein Wiederfortwachsen und Erg\u00e4nzen bei den St\u00fccken eines getheillcn cgenwurms beobachtet haben. Allein eine solche Trennung die\u2014 Sei rhiere, wobei die getrennten St\u00fccke nicht mehr die qualita-","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20 Prolegomena. 2. Organismus. Zivcrkmiissigke.it d. Gestaltung.\ntiven Glieder des Ganzen enthalten, k\u00f6nnte auch keine Fortsetzung des Lehens zulassen. Lei den h\u00f6heren Thieren und heim Menschen gieht es gewisse Organe, d. h. qualitativ verschiedene Glieder des Ganzen, die ohne Verlust des Lehens, ohne Aufhellung des Begriffs vom Ganzen, nicht entfernt werden k\u00f6nnen und auch nur einfach Vorkommen, wie Gehirn und R\u00fcckenmark, Herz, Lungen, Darmkanal etc. Andere Iheile dagegen, welche keine unbedingt nothwendigen Glieder im Begriff des Ganzen, oder welche mehrfach vorhanden sind, k\u00f6nnen entfernt werden, dagegen kann auch kcinTheil der h\u00f6heren Thiere getrennt fortleben, weil keiner die integrirenden qualitativen Glieder des Ganzen enth\u00e4lt. IN'ur das Ei, der Keim seihst, ist in diesem Zustande, weil die organische Kraft die integrirenden Thcile des Ganzen noch nicht gebildet hat, und entwickelt sich getrennt von dem Ganzen zum neuen Ganzen. Im Organismus ist also eine die Zusammensetzung aus ungleichen Gliedern beherrschende Einheit des Ganzen. Aus den eben mitgclheilten Thatsacben sieht man, dass die organischen K\u00f6rper nicht absolut untheilbar sind, sie sind vielmehr dann immer mit Erhaltung ihrer Kr\u00e4fte theilhar, wenn die getrennten St\u00fccke noch die qualitativ verschiedenen Glieder des Ganzen in einer gewissen Ausdehnung enthalten, und seihst hei der Zeugung der h\u00f6chsten Thiere und Pflanzen findet ja eine Theilung statt. Die unorganischen K\u00f6rper kann man dagegen in einem weit ausgedehnten) Sinne tbeilen, ohne dass die Tbeile die chemischen Eigenschaften des Ganzen verlieren, man kann sie nach einem gew\u00f6hnlichen Ausdruck ins Unendliche theilen, d. h. nach der atomistischen Lehre bis auf die Uratome, welche ihrer Kleinheit wegen den Sinnen entgehen und in chemisch zusammengesetzten K\u00f6rpern bis auf die aus verschiedenen constituircn-den Atomen zusammengesetzten Molecule, welche ebenfalls den Sinnen entgehen. Doch gieht es auch unter den unorganischen K\u00f6rpern solche, welche nicht bis auf die Urtheilchen theiibar sind, ohne von ihren Eigenschaften zu verlieren; ich meine die Krystalle. Diese sind nur in gewissen Richtungen leicht theilhar, und die Theile, die dadurch gewonnen werden, sind doch schon oft von der Form des Ganzen verschieden, daher Einige auch die Krystalle als Individuen betrachten, -welche durch die fortgesetzte Th\u00e4tigkeit der Kraft bestehen, die sie bildete, und vergehen, wenn die \u00e4usseren chemischen (Verwittern) oder mechanischen Einfl\u00fcsse \u00fcber ihre Krystallisationskraft, H\u00e4rte, das U\u00dcbergewicht erlangen. Vergl. Mohs Grundriss der Mineralogie. I. Vorrede p. 6. Allein wenn man auch die Krystalle in diesem Sinne als Individuen betrachten ivollte, so ist doch der grosse Unterschied, dass die Molecule der Crystalle gleichartig im ganzen Krystall sind, und dass der Krystal 1 wenigstens in gleichartige Aggregate der Molecule theilhar ist, w\u00e4hrend die organischen K\u00f6rper aus ganz verschiedenen Gliedern eines Ganzen, z. B. Geweben mit besonderen Eigenschaften zusammengesetzt sind. Organische Combinational sind \u00fcbrigens in den organischen K\u00f6rpern zur Zeit ihres Lebens in der Regel nicht krystadisirt. Ist ein unorganischer K\u00f6rper ein Aggregat von verschiedenartigen gemengten","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Crystallisation und Organisation.\t\u2019-il\nSubstanzen, so fehlt der Bezug dieser Thcile f\u00fcr das Bestehen des Ganzen.\nDie Zusammensetzung der organischen K\u00f6rper aus ungleichartigen Gliedern eines Ganzen nach dem Gesetze der Zweckm\u00e4ssigkeit l\u00e4sst sogleich auch die Nothwendigkeit eines durchgreifenden Unterschiedes der \u00e4ussern und innern Gestaltung der organischen K\u00f6rper und Organe von den unorganischen K\u00f6rpern ein-sehen. Wir bewundern in dem ganzen Thiere nicht allein den Ausdruck der waltenden Kr\u00e4fte, wie die Krystallisation der Erfolg einer gewissen Kraft in einer bin\u00e4ren Combination ist, sondern die Gestalt der Thiere und Organe zeigt auch wieder die vern\u00fcnftig zweckm\u00e4ssige Anordnung f\u00fcr die Aus\u00fcbung der Kr\u00e4lte, eine pr\u00e4stabilirte Harmonie der Organisation mit den F\u00e4higkeiten f\u00fcr den Zweck der Aus\u00fcbung dieser F\u00e4higkeiten des Ganzen, wie jeder Theil, z. B. das Auge, Geh\u00f6rorgan, zeigt. Die Krystalle dagegen zeigen durchaus keine Zweckm\u00e4ssigkeit der Gestaltung f\u00fcr die Th\u00e4tigkeit des Ganzen, weil der ganze Krystall nicht ein aus ungleichartigen Geweben zusammengesetztes zweckm\u00e4ssiges Ganze ist, sondern durch Aggregation gleichartiger Elemente oder Bil\u2014 dungstheile entsteht, welche denselben Gesetzen der krystallini-schen Aggregation unterworfen sind. Daher wachsen auch die Krystalle durch \u00e4ussere Aggregation an die zuerst gebildeten Thcile, dagegen die verschiedene Organisation neben einander verbundener Thcile in dem organischen K\u00f6rper meist gleichzeitig ist, so dass das Wachsthum der organischen K\u00f6rper von allen Partikeln der Substanz aus gleichzeitig geschieht, w\u00e4hrend die Vermehrung der Masse in unorganischen K\u00f6rpern durch \u00e4ussere Apposition geschieht. Sehr sch\u00f6ne weitere Vergleichungen zwischen der Organisation und Krystallisation hat E. H. Weber in seiner allgemeinen Anatomie gegeben.\nDas Gesetz der organischen Gestaltung, Zweckm\u00e4ssigkeit, beherrscht nicht allein die Bildung ganzer Organe, sondern auch der einfachsten Elementargewebe, wie es sich denn in der Folge zeigen wird, dass die mannigfachen Formen absondernder Drifscn-gebilde nur auf der verschiedenen Art beruhen, wie eine grosse absondernde Fl\u00e4che im kleinen Raume realisirt werden kann. Die Faserbildung der Muskeln ist nothwendig, wenn ein Organ in einer gewissen Richtung durch winkelf\u00f6rmige Kr\u00e4uselung der Fasern k\u00fcrzer werden soll, und so wird sich auch in der Physik der Nerven zeigen, dass ohne die Zertheiluug der Nerven in eine gewisse Summe einfacher, nicht communicirender Primitivlasern \u00f6rtliche Nervenwirkung, \u00f6rtliche Empfindung unm\u00f6glich w\u00e4re. -Dieselbe Zweckm\u00e4ssigkeit zeigt sich eben so nothwendig in der Organisation der Pflanzen. Da die Organe der Pflanzen weniger ungleichartig und zahlreich und weniger im Innern verborgen sind, sondern an der Oberfl\u00e4che sich ausbreiten, und weil die Wechselwirkung mit der Aussenwclt weniger von einzelnen Punkten aus, als von der ganzen Oberfl\u00e4che geschieht, so zeigt das Allgemeine der Pllanzcnbildung eine mit vollkommner Zweckm\u00e4s-S1hkeit sich vermehrende Oberfl\u00e4che in den manniefaltigon Blatt\u2014","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nProlegomena. 2. Organismus.\nsind so reichlich, als sie die lebendigste Phantasie nicht erdenken kann, wie denn ein grosser Theil der Terminologie nur ein Versuch ist, logisch mit der Natur ein gleichlaufendes Schema der m\u00f6glichen Fl\u00e4chenvermehrung durch Ab\u00e4nderung der Bl\u00e4tter und des Verh\u00e4ltnisses zu Stiel, Zweig, Ast, Stamm zu entwerfen. Das Einzige, was man in den organischen und unorganischen K\u00f6rpern passend vergleichen kann, ist die Art, wie die Symmetrie in beiden verwirklicht ist. Die Krystalle haben symmetrische und asymmetrische Fl\u00e4chen, Winkel, Ecken. Auch die Tliiere haben symmetrische und asymmetrische Theile, und die Gesetze der symmetrischen und asymmetrischen organischen Gestaltung zeigen \u00e4hnliche, mannigfaltige Ab\u00e4nderungen. Die Urform des thieri-sclien Keimes ist z. B. eine rundliche platte Scheibe, der Hahnentritt im Vogelei, besser die Keimscheibe, Blastodern.a, welche im Ei des Eierstocks nach den Untersuchungen von Purkinje und Baer ein Bl\u00e4schen zu seyn scheint. Scheibenf\u00f6rmig zeigt sich der Keim auch hei Wirbellosen, wie ich hei Planaria gesehen. Die Form des Eies und Dotters darf man mit der Form des Keimes nicht verwechseln. Anders sind die ausgebildeten Formen. Wir unterscheiden z. B. einen strahlenf\u00f6rmig symmetrischen Typus in den Radiarien, mit gleichartigen Theilen um einen gemeinsamen Mittelpunkt, wobei das Asymmetrische bloss die Vorder-und Hinterseite der sternf\u00f6rmigen Organisation ist. Wir unterscheiden 2. die Symmetrie gleichartiger Theile auf einem \u00e4stigen Typus, wie in den Pflanzen die Bl\u00e4tter undBl\u00fclhen das sich wiederholende Symmetrische, die Polypen das Symmetrische auf dem verzweigten Polypenstamm sind. Wir unterscheiden 3. die reihenf\u00f6rmige Symmetrie in der Succession gleichartiger Theile von vorne nach hinten hei den W\u00fcrmern, wo die asymmetrischen Theile nur Bauch und R\u00fccken sind. 4. Endlich unterscheiden wir die doppelseitige Symmetrie in der bloss seitlichen Wiederholung gleicher Theile hei den h\u00f6heren Thieren und heim Menschen, wo das Asymmetrische die hinter einander liegenden Organe, und die Asymmetrie von Bauch- und R\u00fcckenfl\u00e4che sind. Bei vielen Thieren ist die seitliche Symmetrie zum Theil mit der successiven Symmetrie von vorne nach hinten verbunden, wie bei den h\u00f6heren Thieren in den Wirbeln. Abgesehen davon, dass die Symmetrie und Asymmetrie der krystallisirten unorganischen K\u00f6rper immer in ebenen Fl\u00e4chen und geraden Linien stattfindet, wovon sich das Gegentheil hei den organischen K\u00f6rpern zeigt, so bleibt immer noch der grosse Unterschied, dass symmetrische und asymmetrische Theile der Krystalle eine einfache Zusammensetzung haben, dass dagegen die Theile, welche sich bei organischen K\u00f6rpern symmetrisch wiederholen, seihst erst aus ungleichartigen Geweben zusammengesetzt sind. Welche Ursachen \u00fcbrigens die angef\u00fchrten verschiedenen jTypen der organischen Symmetrie bedingen, und welche Gr\u00fcnde in dem Keime zuerst die Lage der Achsen z. B. f\u00fcr die doppelseitige Symmetrie, das Vorn und Hinten, und die Bauch- und R\u00fcckenseite in den h\u00f6heren Thieren bestimmen, k\u00f6nnen wir eben so wenig ahnen, als die Ursachen der symmetrischen Krystallbildung. Die Organtlicile des Orga-","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Erzeugung der Theile des Ganzen.\n23\nxiismiis sind \u00fcbrigens nie krystallinisch, und wenn auch einige fettarten im reinen Zustande krystallisiren, so gilt diess nur, wenn sie den \u00e4usseren Einfl\u00fcssen unterworfen und der Lebenskraft entzogen sind; eben so mit dem Zucker, dem Harnstoff, der Harns\u00e4ure. D*e meisten S\u00e4fte und organischen Stoffe krystallisiren nicht einmal ausser dem lebenden Organismus. Der R\u00fcckgratskanal und die Sch\u00e4delh\u00f6hle der Fr\u00f6sche enthalten um die Cen-traltheile des Nervensystems eine Lage von breiartiger weisser Materie, die nach Ehrenberg\u2019s und Husciiile\u2019s Entdeckung aus mikroskopischen Krystallen von kohlensaurem Kalke besteht. An der Bauchhaut der Fische und im Silberglanze der Chorioidea der Fische hat Ehrenberg auch mikroskopische Krystalle aus einer organischen Materie entdeckt. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. und Physiol, p. 15S.\nIch habe bis jetzt bloss die Eigentlmmlichkeit der organischen K\u00f6rper untersucht, dass sie organische Ganze sind, aus ungleichartigen Organen zusammengesetzt, welche den Grund ihrer Existenz in dem Ganzen haben, wie Kvnt sich ausdr\u00fcckte. Die organische Kraft des Ganzen, welche die Existenz des Einzelnen bedingt, hat aber auch die Eigenschaft, dass sie die zum Ganzen nothwendigen Organe aus organischer Materie erzeugt. Einige haben geglaubt, das Leben oder die Th\u00e4tigkeit der organischen K\u00f6rper sey nur die Folge der Harmonie, des Ineinaudergreifens gleichsam der R\u00e4der der Maschine, und der Tod sey durch eine St\u00f6rung dieser Harmonie bedingt. Die Harmonie, dieses Ineinandergreifen findet offenbar statt; denn das Atomen in den Lungen ist die Ursache der Th\u00e4tigkeit des Herzens, und die Bewegung des Herzens bringt in jedem Augenblick dem Gehirn das durch das Athmen ver\u00e4nderte Blut, wodurch das Gehirn alle \u00fcbrigen Organe belebt, und wieder die Atheinbevvegungen bedingt. Der \u00e4ussere Impuls zu diesem Getriebe ist aber die atmosph\u00e4rische Luft beim Athmen. jede Verletzung einer dieser Haupttriebfedern in dem Mechanismus des organischen K\u00f6rpers, jede gr\u00f6ssere Verletzung der Lungen, des Herzens, des Gehirnes kann die Ursache des Todes werden, daher man sie die Alna mortis genannt hat. Allein diese Harmonie der zum Ganzen nothwendigen Glieder besteht doch nicht ohne den Einfluss einer Kraft, die auch durch das Ganze hindurch wirkt, und nicht von einzelnen Thei-len abh\u00e4ngt, und diese Kraft besteht fr\u00fcher, als die harmonischen Glieder des Ganzen vorhanden sind; sie werden hei der Entwik-kelung des Embryo\u2019s von der Kraft des Keimes erst geschaffen. Bei einem zweckm\u00e4ssig zusammengesetzten Mechanismus, z. B. einer Uhr, kann das zweckm\u00e4ssige Ganze eine aus der Zusammenwirkung der einzelnen Theile hervorgehende Th\u00e4tigkeit zeigen, die von einer Ursache aus in Bewegung gesetzt wird; allein die organischen Wesen bestehen nicht bloss durch eine zuf\u00e4llige Verbindung ihrer Elemente, sondern erzeugen auch die zum Ganzen nothwendigen Organe durch ihre Kr\u00e4fte aus der organischen Materie. Diese vern\u00fcnftige Sch\u00f6pfungskraft \u00e4ussert sich in jedem f hiere nach strengem Gesetz, wie es die Natur jedes Thieres erfordert; sie ist ju dein Keime schon vorhanden, ehe selbst diu","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nProlegomena. 2. Organismus.\nsp\u00e4teren Tlieile ties Ganzen gesondert vorhanden sind, und sie ist cs, welche die Glieder, die zum Begriff des Ganzen geh\u00f6ren, wirklich erzeugt. Der Reim ist das Ganze, Potcntia, hei der Entwik-kelung des Keimes entstehen die integrirenden Tlieile des Ganzen aclu. Wir sehen diess Werden des Einzelnen aus dem potentiellen Ganzen vor unseren Augen hei der Beobachtung des bebr\u00fcteten Eies. Alle Tlieile des Eies sind bis auf die Keimscheibe, Blasloderma, nur zur Wahrung des Keimes bestimmt; die ganze Kraft des Eies ruht nur in der Keimscheibe, und da \u00e4ussere Einwirkungen f\u00fcr die Keime, der verschiedensten organischen Wesen gleich sind, so muss man die einfache, aus k\u00f6rnigem formlosem Stoffe bestehende Keiinscheibe als das potentielle Ganze des sp\u00e4tem Thieres betrachten, begabt mit der wesentlichen und spe-cifischen Kraft des sp\u00e4tem Thieres, f\u00e4hig, das Minimum dieser specifischen Kraft und Materie durch Assimilation der Materie zu vergr\u00f6ssern. Dieser Keim breitet sich zur Keimhaut aus, welche den Dotter umw\u00e4chst, und die Organe des Thieres entstehen durch Umwandlung des Keimes, indem zuerst die Elemente des Nervensystems, des Darmscblauchs, des Gef\u00e4sssystems entstehen, und selbst wieder aus den Elementen der organischen Systeme die Details der Organisation sich immer weiter ausbilden, so dass man die erste Spur der Centraltheile des Nervensystems weder f\u00fcr Gehirn, noch f\u00fcr R\u00fcckenmark, sondern f\u00fcr das noch potentielle Ganze der Centraltheile des Nervensystems halten muss. Auf gleiche Art entstehen die Tlieile des Herzens sichtbar aus einem gleichartigen Schlauche, und die erste Spur des Darmschlauches ohne Speicheldr\u00fcsen, Leber, ist mehr als Darmschlauch, sondern das potentielle Ganze des Digestionsapparates, weil Leber, Speicheldr\u00fcsen, wie Pancreas, wie von Baer zuerst entdeckt hat, aus dem, was man f\u00fcr Rudiment des Darmschlauches h\u00e4lt, wirklich sich durch weitere Vegetation sichtbar entwickeln. Es kann jetzt nicht mehr bezweifelt werden, dass der Keim nicht die blosse Miniatur der sp\u00e4teren Organe ist, wie Bonnet und Haller glaubten, sondern dass der Keim das von der specifischen organischen Kraft beseelte und bloss potentielle Ganze ist, welches aclu sich entwik-kelt und die Glieder zur Th\u00e4tigkeit des Ganzen neben einander erzeugt. Denn der Keim selbst ist nur formlose Materie und die ersten Rudimente der Organe werden nicht durch Vergr\u00f6sserung erst sichtbar, sondern ihr erstes Erscheinen ist deutlich, und die Rudimente sind sogleich schon ziemlich gross, aber einfach, so dasi wir aus der Umgestaltung des einfachen Organes die sp\u00e4tere Zusammensetzung desselben entstehen sehen. Diese Bemerkungen sind heut zu Tage keine Meinungen mehr, sondern Facta, und nichts ist deutlicher als die Entstehung der Dr\u00fcsen aus dem Darmschlauch, die Entstehung des Darms aus dem sich absondernden Tlieile der Keimhaut. H\u00e4tte Ernst Stahl diese Thatsachen gekannt, so w\u00fcrde er noch mehr in seiner berufenen Ansicht gest\u00e4rkt worden seyn, dass die vern\u00fcnftige Seele selbst das primuni movens der Organisation, dass sie selbst der letzte und einzige Grund der organischen Th\u00e4tigkeit scy, dass die Seele ihren K\u00f6rper nach den Gesetzen ihrer Wirksamkeit zweckm\u00e4ssig baue und","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Lebenskraft und organische Materie.\n25\nerhalte, und dass durch ihre organische Th\u00e4tigkeit die Heilung der Krankheiten geschehe. Stahl\u2019s Zeitgenossen und Nachfolger haben diesen grossen Mann zum Theil nicht verstanden, wenn sie glaubten, nach seiner Ansicht sollte die Seele, welche vorstellt, mit Bewusstseyn und Absicht, auch die Organisation betreiben. Stahl\u2019s Seele ist die nach vern\u00fcnftigem Gesetz sich \u00e4ussernde Kraft der Organisation seihst. Allein Stahl ist darin zu weit gegangen, wenn er die mit Bewusstseyn verbundenen Seelen\u00e4usserungen in gleichen Rang mit der zweckm\u00e4ssig, aber nach blinder Nothwendigkeit sich \u00e4ussernden Organisationskraft stellte. Die organisirende Kraft, die nach ewigem Gesetz die zum Bestehen des Ganzen n\u00f6thigen Glieder erzeugt und belebt, residirt wohl nicht in einem Organ ; sie \u00e4ussert sich in der Ern\u00e4hrung noch hei der hirnlosen Missgeburt bis zur Geburt; sie ver\u00e4ndert das schon vorhandene Nervensystem wie alle \u00fcbrigen Organe hei der sich verwandelnden Insectenlarve, so dass dann mehrere Knoten des Nervenstranges verschwinden und andere sich vereinigen, sie bewirkt, dass hei der Umwandlung des Frosches das R\u00fcckenmark sich verk\u00fcrzt, in dem Maasse, als der Schwanz seine Organisation verliert und die Nerven der Extremit\u00e4ten entstehen. Die bewusstlos wirkende zweckm\u00e4ssige Th\u00e4tigkeit wirkt auch in den Erscheinungen des Instinctes. Cuvier sagt davon sehr sch\u00f6n und verst\u00e4ndlich, dass die Thiere heim Instinct gleichsam von einer angebornen Idee, von einem Traum verfolgt werden. Allein dasjenige? was diesen Traum erregt, kann nur die nach vern\u00fcnftigen Gesetzen wirkende organisirende Kraft, die Endursache eines Gesch\u00f6pfes seihst seyn. Diese ist vor allen Organen im Keim vorhanden, und scheint daher auch im Erwachsenen an kein Organ gebunden; das Bewusstseyn dagegen, welches keine organischen Producte erzeugt, sondern nur Vorstellungen bildet, ist ein sp\u00e4tes Erzeugniss der Entwickelung seihst und an ein Organ gebunden, von dessen Integrit\u00e4t das Bewusstseyn abh\u00e4ngt, wenn das primum movens zweckm\u00e4ssiger Organisation seihst in der hirnlosen Missgeburt noch fortwirkt. In den Pflanzen fehlt das Bewusstseyn mit dem Nervensystem, w\u00e4hrend die nach dem Urhilde der PHanzenspecies wirkende Kraft der Org anisation vorhanden ist. Man dart daher die organisirende Kraft nicht mit etwas dem Gei-syesbewusstseyn Analogen, man darf ihre blinde nothwendige Th\u00e4tigkeit mit keinem Begriffbilden vergleichen. Unsere Begriffe vom organischen Ganzen sind blosse bewusste Vorstellungen. Die organische Kraft dagegen, die Endursache des organischen Wesens i\u00bbt eine die Materie zweckm\u00e4ssig ver\u00e4ndernde Sch\u00f6pfungskraft* rganisches Wesen, Organismus, ist die factische Einheit von organischer Sch\u00f6pfungskraft und organischer Materie. Ob beide jemals getrennt gewesen seyen, ob die schaffenden Urbilder, die ewigen Ideen Platon\u2019s, wie er im Timaeus deutete, zu irgend ei-TV ZU* ^a^(;l'e gelangt sind, und sich von da an in jedem 1 ^,U\"d ieder PUanze fortan verj\u00fcngen, ist kein Gegenstand es V\\ issens, sondern der unerweislichen Mythen, Traditionen *e uns die Grenze unseres blossen Bewusstseyns deutlich genug Das Thats\u00e4chliche ist, dass jede Thierform, jede Pflan-\nanzeigen","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"\u201826\nProlegomena. 2. Organismus. Form und Mischung.\nzenform sich unab\u00e4nderlich durch ihre Producte erh\u00e4lt, und dass es hei einer ungef\u00e4hr berechneten Anzahl von so vielen tausend Pflanzen und Thierarten keine wahren Ueberg\u00e4nge von einer Art zur andern, von einer Gattung zur andern giebt; jede Familie der Pflanzen, der Thiere, jede Gattung, jede Art ist an gewisse physische Bedingungen ihrer Existenz auf der Erde, an eine gewisse Temperatur und bestimmte physisch-geographische Verh\u00e4ltnisse gebunden, f\u00fcr welche sie gleichsam erschaffen. In dieser unendlichen Mannigfaltigkeit der Gesch\u00f6pfe, in dieser Gesetzm\u00e4ssigkeit der nat\u00fcrlichen Klassen, Familien, Gattungen und Arten, \u00e4ussert sich eine das Leben auf der ganzen Erde bedingende gemeinsame Sch\u00f6pfungskraft. Aber alle diese Arten des Organismus, alle diese Thiere, die gleichsam eben so viele Arten, die umgebende Welt mit Empfindung und Reaction zugeniessen, sind, sind von dem Zeitpunkte ihrer Sch\u00f6pfung selbstst\u00e4ndig; die Art vergeht mit der Ausrottung der productiven Individuen, die Gattung ist nicht mehr f\u00e4hig, die Art zu erzeugen, die Familie nicht f\u00e4hig, die Gattung herzustellen. Thierarten sind im Verlaufe der Erdgeschichte durch Revolutionen der Erdrinde untergegangen und in den Tr\u00fcmmern vergraben ; sie geh\u00f6ren llieils ausgestorbenen, theils noch lebenden Gattungen an.\nDas Studium der aufeinander liegenden Erdschichten, worin die Reste organischer Gesch\u00f6pfe Vorkommen, scheint zu beweisen, dass nicht alle Wesen, welche ihre Reste auf der Erde zur\u00fcckgelassen, zugleich auf der Erde gelebt haben, dass die einfachen Gesch\u00f6pfe auch zuerst die Erde bewohnt haben, und die Reste der h\u00f6heren Thiere und besonders des Menschen kommen nicht in den tieferen Lagern solcher Niederschl\u00e4ge vor, welche organische Reste enthalten. Aber keine Thatsache berechtigt uns zu Vermuthungen \u00fcber den erstem oder sp\u00e4tem Ursprung der Gesch\u00f6pfe, keine zeigt uns die M\u00f6glichkeit, alle diese Verschiedenheiten durch Umwandlung zu erkl\u00e4ren, da alle Gesch\u00f6pfe die ihnen gegebene Form unab\u00e4nderlich erhalten.\nDie factische Einheit der organisirenden Kraft und der or-ganisirten Materie liesse sich besser begreifen, wenn es sich beweisen liesse, dass die organisirende Kraft und alle Lehenserscheinungen erst die Folge, der Ausdruck, die Eigenschaft einer gewissen Combination der Elemente, die Folge der Mischung seyen. Der Unterschied der belebten und unbelebten organischen Materie best\u00e4nde dann darin, dass in der letztem der Mischungszustand der Elemente ver\u00e4ndert worden. In der That hat .Ioh. C. Reil den k\u00fchnen Versuch einer solchen Darstellung in seiner ber\u00fchmten Abhandlung \u00fcber 'die Lebenskraft, Reil\u2019s Archie f\u00fcr die Physiologie, I. Bd., gemacht, welche Einige, wie Rudolphi, als ein Meisterst\u00fcck betrachten, wie allein die Anfangsgr\u00fcnde der Physiologie gelegt werden m\u00fcssen. Reil leitet den Grund der organischen Erscheinungen von der urspr\u00fcnglichen Verschiedenheit der der Mischung und Form organischen (K\u00f6rper ah. Verschiedenheit der Mischung und Form sind nach ihm die Ursachen aller Verschiedenheit der organischen K\u00f6rper und ihrer Kr\u00e4fte. Werden zwei Principien, Mischung und Form, unerkunul,","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Lebenskraft und organische Materie.\n27\nso bleibt die Aufgabe ungel\u00f6st, und es fragt sicli jetzt wieder, ivie die Mischung zur Form, die Form zur Mischung kam. Dass (bei- die Form der organischen Materie die Art ihrer Wirkungen nicht urspr\u00fcnglich bestimmt, zeigt sich darin unwiderleglich, dass die organische Materie, aus welcher alle Formen entstehen, anfangs fast formlos ist. Der Keim ist bei allen Wirbelthieren und wahrscheinlich auch bei den Wirbellosen, wie wir es von einigen wissen und ich es von Planaria beobachtet habe, eine runde Scheibe einfacher Materie; wo ist hier die Verschiedenheit der Form bei der Verschiedenheit der Thiere? Anderseits wird die Form der unorganischen K\u00f6rper immer erst durch ihre Elemente oder die Combination der Elemente bestimmt. Auch giebt diess Reu, selbst wieder zu; denn er sagt p. 17: \u201eForm der Materie ist schon eine Erscheinung, die in einer andern, n\u00e4mlich in der Wahlanziehung der Grundstoffe und ihrer Producte, gegr\u00fcndet ist.\u201c Hieraus w\u00fcrde folgen, dass, wenn die Mischung allein die Ursache der organischen Kr\u00e4fte w\u00e4re, die Mischung selbst zugleich das formende Princip w\u00e4re. Da nun die Mischung in den der organischen Kr\u00e4fte beraubten organischen K\u00f6rpern unmittelbar nach dem Tode nicht von der Mischung der Elemente w\u00e4hrend des Lebens verschieden scheint, so musste Rf.it, annehmen, dass es noch feinere, von der chemischen Analyse nicht erkennbare Materien gebe, welche in dem belebten organischen K\u00f6rper noch vorhanden seyen, in dem todten aber fehlen. Es muss allerdings in die Zusammensetzung der Stoffe irn lebenden K\u00f6rper noch ein unbekanntes, im REii/schen Sinne feineres, materielles Princip eingehen, oder die organische Materie muss durch die Wirke ng unbekannter Kr\u00e4fte die damit verbundenen Eigent\u00fcmlichkeiten erhalten. Ob man sich diess Princip als imponderable Materie, oder als Kraft zu denken habe, ist eben so ungewiss, wie dieselbe Frage bei mehreren wichtigen Erscheinungen in. der Physik, und die Physiologie ist hier nicht hinter den \u00fcbrigen Naturwissenschaften zur\u00fcck; denn die Eigenschaften dieses Princips sind in den Wirkungen der Nerven bald eben so gut bekannt, als die des Lichtes, der W\u00e4rme, der Electricit\u00e4t in der Physik. Auf jeden Fall ist die Beweglichkeit dieses Princips gewiss. Wir erkennen die r\u00e4umliche Ausbreitung dieses Princips in unendlich vielen Lebenserscheinungen. WTir sehen, dass stej\u00a3 gefrorne, der Empfindung und Bewegung beraubte Theile von der Grenze der belebten Theile allm\u00e4hlig belebt werden, wir sehen diese Mittheilung noch deutlicher nach dem aufgehobenen Druck eines Nerven, der das sogenannte Einschlafen der Glieder bewirkt hatte. \"lr sehen den in der Entz\u00fcndung von der Oberfl\u00e4che des Organes ausgeschwitzten Faserstoff belebt und organisirt werden. Die organische Kraft wirkt \u00fcber die Grenze der Organe hinaus bei der Umwandlung der thierischen Materie in den Gelassen, bei der Umwandlung des Chymus und Chylus, der in den Lymph-gef\u00e4ssen bei seinem W^eiterr\u00fccken neue Eigenschaften erh\u00e4lt; sic wirkt von den W\u00e4nden der Blutgef\u00e4sse aus auf das Blut und be-u'gt dessen Fl\u00fcssigkeit, w\u00e4hrend das Blut ausser den Gel\u2019\u00e4sscn as unter allen Bedingungen gerinnt, wenn cs nicht zersetzt wird.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nProlegomena. 3. Organismus. Lebenshedingungen.\nEndlich erw\u00e4hne ich mit AuteniuEth die F\u00e4lligkeit der thieri-schen Theile, wodurch ihnen bald Lebenskraft entzogen, bald mitgetheilt wird, und wodurch sich die Lebenskraft oft schnell in einem Organe anh\u00e4uft. Ich glaube nicht, dass die Wirkung der Lebenskraft in dem nicht bebr\u00fcteten Ei den Dotter und das Eiweiss vor F\u00e4ulniss sch\u00fctzt, wie Hunter bemerkt, aber sogar eine ausgetretene oder eingeschlossene oder krankhaft angesam-melte Fl\u00fcssigkeit, selbst zersetzter ThierstofF, Eiter, wird l\u00e4nger im lebenden K\u00f6rper, als ausser ihm vor F\u00e4ulniss bewahrt, was nicht bloss das Abschl\u00fcssen von der Luft verursacht, da sonst hei gesunkenen Kr\u00e4ften oft schnell Blut und Eiter im K\u00f6rper sich zersetzen. A\u00fcteniueth Physiol. 1. So gewiss nun mit allen diesen Thatsachen die Existenz einer oft schnell wirkenden und r\u00e4umlich sich ausbreitenden Kraft oder eines imponderablen Stoffes ist, so wenig ist man berechtigt, denselben mit den bekannten imponderablen Materien oder allgemeinen Naturkr\u00e4ften, W\u00e4rme, Licht, Electricit\u00e4t, f\u00fcr identisch zu halten, eine Vergleichung, die vielmehr durch jede n\u00e4here Untersuchung widerlegt wird. Die Untersuchungen \u00fcber den sogenannten thierischen Magnetismus schienen Anfangs einiges Licht \u00fcber diese r\u00e4thsel-hafte Kraft oder imponderable Materie zu verbreiten. Man glaubte, dass Bestreichen eines Menschen durch einen andern, Il\u00e4ndcauflegen und dergleichen, merkw\u00fcrdige Wirkungen hervorbringe, die von einem \u00dceberstr\u00f6men des sogenannten thierischen magnetischen Fluidums herr\u00fchren; ja Einige haben dieses hypothetische Fluidum sogar durch gewisse Vorrichtungen anzuh\u00e4ufen geglaubt. Diese Geschichten sind indess ein bedauernswerthes Irrsal von Lug und Trug und Aberglauben geworden, und es hat sich nur gezeigt, wie unf\u00e4hig die meisten A\u00e9rzte zu einer empirischen Untersuchung sind, und wie wenig sie eine Vorstellung von einer Pr\u00fcfung haben, die in den \u00fcbrigen Naturwissenschaften zur allgemeinen Methode geworden ist. Kein einziges Factum existirt \u00fcber diesen Gegenstand unzweifelhaft, als die Gewissheit unendlicher T\u00e4uschungen; in der Empirie der Arzneikunde zeigt sich auch keine Thatsache, welche sich mit diesen wunderbaren Dingen in Verbindung bringen liesse, als jene oft wiederholten, ^aber auch der Best\u00e4tigung bed\u00fcrfenden Berichte von der Heilung gel\u00e4hmter Menschen, deren Glieder man in frisch geschlachtete Thiere geh\u00fcllt, und die gerne geglaubten M\u00e4hrchen von Verj\u00fcngung der Alten und Kr\u00e4nklichen in dem Umgang und in der Ausd\u00fcnstung gesunder Kinder, und umgekehrt.\nSo viel wir jetzt gesehen haben, bestehen die organischen K\u00f6rper aus Materien, welche eine eigene, in der unorganischen Natur nicht vorkommende, n\u00e4mlich tern\u00e4re, quatern\u00e4re oder noch mehrfache Combination der Elemente zeigen; diese Combinatio-nen erzeugen sich nur in den organischen K\u00f6rpern, so lange sie th\u00e4tig sind oder leben. Die organischen K\u00f6rper bestehen ferner aus Organen, d. i. qualitativ verschiedenen Gliedern des Ganzen, die den Grund ihrer Erhaltung in dem Ganzen haben; sic bestehen nicht allein daraus, sondern sie erzeugen aus eigener Kraft diese Glieder des Ganzen; das Leben ist daher keine blosse Folge","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Reizbarkeit. Lehensreiz.\n2!)\n1er Harmonie und Wechselwirkung dieser Glieder, sondern bc-^innt sich zu \u00e4ussern mit einer in der Materie des Iveimes wirkenden Kraft, oder imponderabeln Materie, -welche in die Zuunmensetzung derselben eingeht und der organischen Combination Eigenschaften mittheilt, die mit dein Tode aufh\u00f6ren.\nDas Wirken der organischen Kraft ist aber nicht unbedingt. Die zum Leben notbwendige Mischung und Kraft kann vorhanden seyn und sich doch nicht durch Lebenserscheinungen \u00e4us-rn u'nd dieser ruhige Zustand der organischen Kraft, wie er in dein* unbebr\u00fcteten befruchteten Keime des Eies, im Pflanzenei, so laiwe es nicht keimt, stattfindet, muss wohl von dem Tode unterschieden werden. Est ist auch nicht Leben, sondern specifische Lebensf\u00e4higkeit. Das Leben selbst, die Aeusserung der organischen Kraft, beginnt mit der Einwirkung gewisser Bedingungen des Lebens, wie der W\u00e4rme, der atmosph\u00e4rischen Luft, bei den Eiern, die im Wasser ausgebr\u00fctet werden, der im Wasser aufgel\u00f6sten Luft, und der Zufuhr befeuchteter Nabrungsstoffe, also des Nahrungsstoffes und Wassers, und diese Bedingungen bleiben f\u00fcr das Lehen nothwendig, so lange es sich \u00e4ussern soll.\nDas Thier- und Pflanzenei bleibt nur so lange Keim, als es vollkommen ruhig in keiner Wechselwirkung mit der Aussenwelt erhalten wird; cs bleibt dann entwicklungsf\u00e4hig, und die schallende Kraft des Keimes erh\u00e4lt sich, aber sie bleibt ruhig, ohne sich zu \u00e4ussern. So k\u00f6nnen Eier derThiere ihre Entwickelungsf\u00e4higkeit lange behalten, wenn sie nur der Einwirkung der Luft und W\u00e4rme entzogen werden. So erh\u00e4lt sich die Keimkraft vieler Insecteneier im Winter, und Eier von Insectcn der \u00fcberseeischen L\u00e4nder kommen in botanischen G\u00e4rten Europa\u2019s aus, wie ich davon selbst ein Beispiel kenne. So soll sich die Keimkraft der Samen vieler plianerogamischen Pflanzen unter Wasser bis 20 Jahre, unter der Erde ausser aller Einwirkung der atmosph\u00e4rischen Luft bis i\u00fc\u00fc Jahre erhalten. Ann. d. Sc. nat. T. V. -ISO. Trevibajhjs f\u00fchrt Beobachtungen von van Swieten an, dass Mimosenk\u00f6rner nach SO, und Bohnen nach 200 Jahren noch gekeimt hatten, und citirt eine andere Beobachtung, dass man sogar eine vielleicht 2000 Jahre alte Zwiebel aus der Hand einer Aegyptischen Mumie noch zum Treiben gebracht habe. Trevira mjs Erscheinungen u. Gesetze des organischen Lehens, p. 47. Sobald aber jene Einfl\u00fcsse der \u00e4ussern Natur einwirken, entwickelt sich entweder der Keim, wenn er zur Entwicklung geeignet ist, oder der Keim fault, wie dann auch der schon entwickelte Organismus, wenn die zur weitern Entwickelung n\u00f6tliigen \u00e4usseren Bedingungen fehlen, entweder scheintodt wird, wie im Winterschlaf, oder ganz abstirbt. Die ruhende Lebenskraft des Keimes bedarf also zwar keiner \u00e4usseren Reize zu ihrem ruhigen Fortbestehen, wohl aber das entwickelte und sich \u00e4ussernde Leben.\nDie zum Lehen nothwendigen \u00e4usseren Bedingungen, W\u00e4rme,. Wasser, atmosph\u00e4rische Luft und Nahrungsstoff, bringen, indem Sle das Leben unterhalten, best\u00e4ndig Stoffver\u00e4nderungen in den organischen K\u00f6rpern zu Stande, so dass sie sich mit den organischen K\u00f6rpern verbinden, w\u00e4hrend Beslandlheile der organischen","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nProlegomena. 2. Organismns.\nK\u00f6rper wieder zersetzt und ausgeschieden werden. Man hat diese Einwirkungen Reize oder Lebensreize genannt; man muss sie indessen von vielen anderen zuf\u00e4lligen Reizen wohl unterscheiden, welche zum Leben nicht nothwendig sind, und man muss sich nur immer vorstellen, dass diese Lebensreize die Erscheinungen des Lebens durch materielle Ver\u00e4nderungen, Austausch ponderabeler und imponderabeler Materien bewirken, indem sie best\u00e4ndig die zum Leben noth wendige Mischung der S\u00e4fte, z. B. des Blutes, unterhalten, und das durch die Lebensreize ver\u00e4nderte Blut wieder alle Organe reizt, d. h. organische, zur Aeusserung des Lebens nothwendige, materielle Ver\u00e4nderungen, Austausch ponderabeler und imponderabeler Materien in ihnen hervorbringt, die zugleich mit einer Zersetzung schon vorhandener Bestandteile der Organe und mit Ausscheidung derselben verbunden sind. Auch die Nerven der Thiere bewirken wichtige materielle Ver\u00e4nderungen in den Organen, und das in denselben wirkende, wahrscheinlich imponderable Agens ist ein wichtiger innerer Lebensreiz. Man hat diese Eigenschaft aller organischen K\u00f6rper, durch die genannten Lebensreize gewisse zur Aeusserung des Lebens nothwendige best\u00e4ndige materielle Umwandlungen zu erleiden, ineilabilitas, Reizbarkeit, genannt. Diese Reize sind gleichsam der \u00e4ussere Impuls f\u00fcr den Gang des R\u00e4derwerks der ganzen Maschine; so unpassend der Vergleich mit einem Mechanismus auch seyn mag, die organische Kraft, welche in den organischen K\u00f6rpern den zum Leben nothwendigen Mechanismus erschafft, ist doch keiner Acte ohne diesen \u00e4ussern Impuls und ohne best\u00e4ndige materielle Umwandlungen mit H\u00fclfe der \u00e4usseren sogenannten Lebensreize f\u00e4hig. Richerand bat dal er die Aeusserungen des Lebens nicht uneben mit den Erscheinungen der Verbrennung und der Flamme verglichen. Die Erscheinung des Feuers dauert nur so lange, als die zur Verbrennung n\u00f6thigen Combinationen und Trennungen stattlinden; der Sauerstoff verbindet sieb mit dem brennenden K\u00f6rper, W\u00e4rme wird entwickelt, und so lange Sauerstoff und brennbare Materien zugef\u00fchrt werden, dauern die Ph\u00e4nomene des Feuers. Ich bin weit entfernt, das Leben als von einer Verbrennung abh\u00e4ngig zu machen, ich will nur sagen, dass hier, wie dort, gewisse best\u00e4ndige Combinationen und Zersetzungen der Materie die Erscheinungen dort der Verbrennung und Lichterscheinung, hier die Erscheinungen der organischen Kraft hervorbringen, dass die Lebensreize f\u00fcr die organischen K\u00f6rper dasselbe sind, was der Sauerstoff der Atmosph\u00e4re und das brennbare Material f\u00fcr die Erscheinung des Feuers, wo man den Sauerstoff doch nicht den Reiz der Flamme nennt, und dass der Name Reiz, Lebensreiz, ohne sich die dadurch veranlassten materiellen Ver\u00e4nderungen dabei zu denken, ohne best\u00e4ndige neue Bindung und Ausscheidung ponderabeler und imponderabeler Materien ein leerer, und sogar falscher Begriff ist. Man muss nur immer bedenken, dass die durch die Lebensreize bewirkten materiellen Ver\u00e4nderungen, obgleich Stoffe der unorganischen Natur dabei wirken, nicht wieder bin\u00e4re Verbindungen im Organismus erzeugen, sondern nur bin\u00e4re Verbindungen als zersetztes, wie Kohlens\u00e4ure,","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Reizbarkeit. Lebensreize.\n31\nausscheiden, w\u00e4hrend der beim Athmen zum Theil an das Blut tretende Sauerstoff das Blut ver\u00e4ndert, und das ver\u00e4nderte Blut in den mit der organischen Kraft begabten Organen ganz andere materielle Ver\u00e4nderungen hervorbringen muss, als man sie sich in einem todten K\u00f6i-per zu denken hat.\nDiese allgemeinen Bedingungen des Lebens, die Lebensreize, oder integrirenden Reize, sind f\u00fcr Pflanzen und Thiere gemein; f\u00fcr die Pflanzen insbesondere ist auch das Licht unentbehrlicher belebender Reiz, f\u00fcr die thierischen K\u00f6rper ist es (obgleich Entziehung des Lichteinflusses scrophul\u00f6s und rhachitisch macht), weniger unmittelbar nothwendig, wie viele Thiere, namentlich die Eingeweidew\u00fcrmer, beweisen, und dessen Mangel wirkt auf die thierischen Organismen nur mehr in sofern sch\u00e4dlich ein, als es die anderen Lebensbedingungen modificirt. F\u00fcr die Thiere ist als unentbehrliche Lebensbedingung, nicht bloss Aufnahme neuer Materien, sondern auch vorzugsweise schon organisirter Materien zu nennen, w\u00e4hrend die Pflanzen organisirte Materien theils in bin\u00e4re Verbindungen zerlegt als Nahrung aufnehmen, und bin\u00e4re in tern\u00e4re Verbindungen verwandeln. Sonst ist die Nothwendig-keit von neuer Materie, W\u00e4rme, Wasser und atmosph\u00e4rischer Luft f\u00fcr die Entwickelung der organischen Wesen, ihr Fortbestehen und ihr Wacbsthum eine ganz unbedingte. Man hat sehr geirrt, indem man diese belebenden Reize mit anderen Reizen zusammen-gestellt bat, welche in die Zusammensetzung der organischen K\u00f6rper nicht wesentlich eingehen, und ihre Kr\u00e4fte nicht vermehren. Ein mechanischer Reiz, welcher den Zustand einer empfindlichen Haut modificirt, z. B. Druck, bewirkt zwar eine Lehenserscheinung, Empfindung, aber belebt nicht und verst\u00e4rkt nicht die organischen Kr\u00e4fte; dagegen tragen die zum Leben unbedingt noth-wendigen Reize zu der Bildung der organischen Materie selbst wesentlich bei. Die Nahrungsmittel fur\u2019s Erste sind nicht allein Reize der organischen K\u00f6rper, sondern selbst lebensf\u00e4hig, sie sind Reize, welche beleben und selbst belebt werden k\u00f6nnen. Der Mensch entbehrt sie ohne t\u00f6dtliche Folgen im gesunden Zustande kaum l\u00e4nger als eine Woche, die h\u00f6heren Thiere entbehren sie ohne t\u00f6dtliche Folgen nicht mehrere Wochen lang, die Amphibien hat man dagegen Monate lang fasten gesehen, wie von Schlangen und Schildkr\u00f6ten vorz\u00fcglich bekannt ist. Das Wasser, mag es in die organischen Verbindungen als solches eingehen, oder seine Elemente zu den organischen Verbindungen beitragen, ist auch in seinem ungebundenen Zustande zur Aeusserung des Lebens durchaus nothwendig. weil die thierischen Theile ohne im Zustande der Aufweichung von Wasser zu seyn, keines Lebens f\u00e4hig sind. Die atmosph\u00e4rische Luft endlich ist eine f\u00fcr die Lebenserscheinungen so nothwendige Bedingung, dass das Leben der h\u00f6heren Thiere keinen Augenblick besteht ohne Athmen, ohne die mit dem Ath-nien verbundenen Ver\u00e4nderungen des Blutes und ohne den Ein-uss dieses Blutes auf die Organe. Die Zufuhr der Nahrungsmit-j. kann eine geraume Zeit lang fehlen, z. B. bei den Amphibien, Aufnahme von neuen Nahrungsstoffen aus dem Blute in die rgane fehlen, aber jene andere Ver\u00e4nderung, welche das Blut in","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nProlegomena. 2. Organismus.\nden Organen durch das Athmen hervorbringt, kann hei den Amphibien nur eine kurze Zeit, und hei den Menschen nur einige Sccunden fehlen. Die W\u00e4rme endlich, vorz\u00fcglich dann wichtig, wenn das thierische Wesen Anfangs selbst noch keine W\u00e4rme zu bilden vermag, \u00fcberhaupt aber f\u00fcr alle organische Wesen, Pflanzen und Thiere unentbehrlich, scheint auch in die Zusammensetzung der organischen Wesen einzugehen. Denn die organischen Processe erfordern hei jedem Thiere und hei jeder Pflanze eine bestimmte Temperatur ; wir wissen auch, dass chemische Processe bin\u00e4rer Verbindungen, indem sie eine gewisse Temperatur erfordern, ein bestimmtes Quantum W\u00e4rme f\u00fcr die Bildung neuer Verbindungen absorbiren. Unter dem Einfl\u00fcsse jener Bedingungen, Nahrungsstoff, Wasser, atmosph\u00e4rische Luft und.W\u00e4rme, entwik-kelt sich das organische Wesen aus dem Keim von seihst, indem best\u00e4ndig vorhandene organische Materie zersetzt wird und die Lehenserscheinungen seihst die Erscheinungen der best\u00e4ndigen Bindung neuer Stoffe und Zersetzung vorhandener, so wie der Ver\u00e4nderungen in der organisirten Materie sind. Oh auchElec-tricit\u00e4t zur Entwickelung des Lehens nothwendig ist, ist uns noch ganz unklar.\nNun zeigt sich aber sogleich eine verschiedene Abh\u00e4ngigkeit der lebenden Wesen gegen verschiedene Lehensreize. Edwards bat beobachtet, dass neugehorne warmbl\u00fctige Thiere am meisten \u00e4ussere W\u00e4rme noting haben, und ohne dieselbe nicht leben k\u00f6nnen , w\u00e4hrend diese Thiere viel l\u00e4nger ohne zu athmen lebend unterWasser zubringen, als erwachsene. Ihre F\u00e4higkeit im Wasser auszudauern, nimmt mit der Temperatur des Wassers von 0 \u201420\u00b0 zu, bleibt von 20\u201430\u00b0 und vermindert sich von 30\u201440\u00b0 des Wassers. Edwards del influence des agens physic/ues sur la vie. Paris 1824. Froriep\u2019s IW. 150, 151. Vergl. Legallois exp. sur le principe de la vie. Das erwachsene Thier ist durch die Lebensverh\u00e4ltnisse seiner Art und Gattung auf eine gewisse \u00e4ussere Temperatur und daher auf eine gewisse geographische Verbreitung zu seinem Gedeihen angewiesen. Die Dauer der Reizbarkeit ohne Lehensreiz steht im Allgemeinen im umgekehrten Verh\u00e4ltniss mit der Organisation. Die einfachsten Thiere entbehren diese Reize am l\u00e4ngsten. Mollusken, Insecten hat man Monate lang ohne Nahrung gesehen. Man sehe das \u00e4hnliche Beispiel vom Scorpion in meiner Abhandlung, Meckel\u2019s Archiv 1828. Schlangen und Schildkr\u00f6ten leben Monate lang ohne Nahrung, w\u00e4hrend der Mensch im gesunden Zustande kaum \u00fcber eine Woche hungernd ausdauert. Mehrere Insecten leben Tage lang in mephitischen Gasarten, die Oestrus\\&r\\z z. B. lange Zeit in irrespirabler Luft nach den Versuchen von Sciiroeder van der Kolk. Mollusken hat man 24 Stunden unter der Luftpumpe erhalten. Die Amphibien leben sehr lange ohne zu athmen, in luftlosem Wasser, nach Spallanzani und Edwards z. B. einige Stunden, in lufthaltigem Wasser 10 \u2014 20 Stunden, und Fr\u00f6sche, denen ich die Lungen exstirpirt, lebten noch 30 Stunden. Indessen geh\u00f6ren die vielen Erz\u00e4hlungen von lebend gefundenen Kr\u00f6ten u. s. w. in Marmorbl\u00f6cken, in B\u00e4umen, wohl zu den T\u00e4uschungen und zum physikalischen Aberglauben, wenn gleich","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Wieder erzeugung und Verg\u00e4nglichkeit der Organismen. 33\nH\u00e9rissant und Edwards Amphibien in Gyps eingeschlossen, einige Zeit lebend erhielten. Edwards hat sich \u00fcberzeugt, dass Gyps f\u00fcr atmosph\u00e4rische Luft durchdringlich ist, daher Amphibien in Gyps und Quecksilber eingeschlossen so schnell wie bei der Submersion in Wasser starben. Edwards in Meckel\u2019s Archie. 3. (i'17. Vergi. Buckland Frohiep\u2019s Notizen. 33. Bd. Die Complication der Or-nbildung erh\u00f6ht das abh\u00e4ngige Verh\u00e4ltniss der Organe von einander, daher einfache Thiere nach Verletzungen l\u00e4nger leben als h\u00f6here Thiere. Der Scheintod l\u00e4sst bei niederen Thieren viel leichter Wiederaufleben zu. Spallanzani und Fontana sahen vertrocknete R\u00e4derthierchen selbst nach langer Zeit durch Wasser wieder aufleben, was Ehrenberg l\u00e4ugnet. Dasselbe haben Steinbuch und Bauer von den Vibrionen der kranken Samen des Weizens und einer Agrostis gesehen, als die Samen nach Jahren wieder befeuchtet wurden. Die gr\u00f6ssten Verletzungen lassen bei Amphibien noch lange Zeit Zeichen des Lebens zur\u00fcck, und bekannt ist die lange dauernde Reizbarkeit in Muskeln und Nerven dieser Thiere. Auch bei jungen Thieren sind wahrscheinlich wegen der grossem Einfachheit die Lebenszeichen ausdauernder. Ich habe die Muskelreizbarkeit in get\u00f6dteten Embryonen von Kaninchen l\u00e4nger dauern gesehen, als in erwachsenen Kaninchen; ich sah lebende Kaninchen-Foetus, aus dem Uterus genommen, 15 Minuten in der Luftpumpe ausdauern. Legallois hat hier\u00fcber sch\u00f6ne Versuche angestellt. Es geht daraus hervor, dass, wenn man Thiere nach der Geburt am 1. 5. 10. und so fort bis 30. Tage durch Untertauchen in Wasser, Ausschneiden des Herzens, Er\u00f6ffnung der Brust zu t\u00f6dten sucht, die Dauer der Sensibilit\u00e4t alle 5 Tage k\u00fcrzer wird, so dass sic z. B. nach der Geburt 15 Min., am 30. Tage Min. betr\u00e4gt. Dasselbe beobachtete Legallois in Hinsicht der Dauer des Kreislaufs nach Zerschneidung der Medulla spinalis, Amputation des Kopfes. Alle diese Erscheinungen erkl\u00e4ren sich v\u00f6llig aus dem Satze, dass, je entwickelter die Theile eines Ganzen sind, desto abh\u00e4ngiger sie von einander seyn m\u00fcssen.\nNun bleibt uns noch die Verg\u00e4nglichkeit der organischen K\u00f6rper und der organischen Materie zu untersuchen \u00fcbrig.\nDie organischen K\u00f6rper sind verg\u00e4nglich, indem sich das Leben mit einem Schein von Unsterblichkeit von einem zum andern Individuum erh\u00e4lt, vergehen die Individuen seihst, aber mit der Vertilgung aller Individuen stirbt auch eine Pflanzen- oder Thicr-species aus, wie die Geschichte der Erde beweist. Die organische Kraft ergiesst sich gleichsam in einem Strom von den pro-ducirenden Theilen aus in immer neue producirte, w\u00e4hrend die alten absterben. Diess hat Autenrieth sch\u00f6n geschildert. Au-tenrieth sagt: \u201eNur diejenigen organischen K\u00f6rper, welche durch Ausl\u00e4ufer, wie die kriechenden Pflanzen, oder wie manche B\u00e4ume durch abw\u00e4rts gesenkte Zweige immer wieder neue Wurzeln schlagen, sterben nicht. Bei diesen ist in einer gewissen Zeit der neue Sprosse jedesmal zugleich ein Theil des alten organischen K\u00f6rpers und ein neuer f\u00fcr sich bestehender. Immer aber stirbt auch hei diesen Pflanzen der alle Stamm nach und nach ab, und\ni'liillcr\u2019s t\u2019hjsiulogiu. I.\til","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"Prolegomena. 2. Organismus.\nU\ndie Lebenskraft wirkt nur in dem neuen Sprossen fort, der auf der einen Seite ebenfalls sieb wieder verl\u00e4ngert, um auf der andern Seite immer wieder abzusterben. Was liier in einem Zusammenh\u00e4nge geschieht, n\u00e4mlich das Absterben auf einer Seite und die Bildung eines neuen fortlebenden K\u00f6rpers auf der andern, das geschieht abgebrochen beim Menschen und den vollkommenen Thieren. Das Kind l\u00f6st sich als neuer fortdauernder K\u00f6rper von der Mutter fr\u00fcher ab, als diese stirbt, und diese stirbt auf einmal, w\u00e4hrend die Speeles unsterblich scheint.\u201c AutenrieTh Physiol. 1. 112. Die Frage, warum die organischen K\u00f6rper vergeben, und warum die organische Kraft aus den producirenden Thcilcn in die jungen lebenden Produkte der organischen K\u00f6rper \u00fcbergeht und die alten producirenden Theile vergehen, ist eine der schwierigsten der ganzen allgemeinen Physiologie, und wir sind nicht iin Stande, das letzte R\u00e4thsel zu l\u00f6sen, sondern nur den Zusammenhang der Erscheinungen darzustellen. Es w\u00fcrde ungen\u00fcgend sein, hierauf zu antworten, dass die unorganischen Einwirkungen das Leben allm\u00e4hlig aufreiben; denn dann m\u00fcsste die organische Kraft vom Anfang eines Wesens schon abzunehmen anfangen. Es ist aber bekannt, dass die organische Kraft zur Zeit der Mannbarkeit noch in solcher Vollkommenheit besteht, dass sie sieh in der Keimbildung multiplicirt. Es muss also eine ganz andere und tiefer liegende Ursache seyn, welche den Tod der Individuen bedingt, w\u00e4hrend sie die Fortpflanzung der organischen Kraft von einem Individuum zum andern und auf diesem Wege ihre Unverg\u00e4nglichkeit sichert. Man k\u00f6nnte auch behaupten, dass die zunehmende Gebrechlichkeit der organischen K\u00f6rper im Alter durch die zunehmende Anh\u00e4ufung gewisser zersetzter Stolle in ihnen entstehe, deren Wahlverwandtschaft sich mit der Lebenskraft in Gleichgewicht setzte; allein auch dann m\u00fcsste die organische Kraft von Anfang an abnehmen. So erkl\u00e4rt Dutrochet das Alter aus der zunehmenden Anh\u00e4ufung von Sauerstoff im thierischen K\u00f6rper. Allein dieser Anh\u00e4ufung fehlt der Beweis. Wir sind hier bloss im Stande, den Zusammenhang der Erscheinungen mit der Entwickelung darzustellen. Vergleicht man den Keim eines organischen Wesens mit seinem Zustand im h\u00f6chsten Alter, so besteht das Ganze, welches nach Kamt die Existenz der einzelnen Theile bedingt, im h\u00f6chsten Alter fast bloss in der Wechselwirkung der einzelnen Theile und ihrer Kr\u00e4fte, \u00e4hnlich einem Mechanismus, der bloss durch die Wechselwirkung seiner Theile erhalten wird. In dem Keim dagegen ist die Kraft, welche den Grund zur Production aller Theile enth\u00e4lt, noch unvertheilt vorhanden. Das organische Princip ist im Keim gleichsam im Zustande der gr\u00f6ssten Concentration. Die Entwiekelungsf\u00e4bigkeit ist jetzt am gr\u00f6ssten, die Entwickelung am geringsten. Hat nun jene Kraft eine Zeitlang gewirkt, ist der Organismus bis \u00fcber die Jugend entwickelt, so haben wir nicht mehr ein Einfaches mit der unverlheilten Kraft des Ganzen vor Augen, sondern ein Mannigfaltiges mit vert heilten Kr\u00e4ften. Je mehr aber die Kraft des Ganzen vertheilt ist, je weniger noch unverwandte organische Kraft vorhanden, um","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"35\nWechsel tier organischen Materie,\n5o mehr scheint der Organismus die F\u00e4higkeit zu verlieren, durch jeu Einfluss allgemeiner Lehensreize belebt zu werden, um so in\u00b0er w;rcl gleichsam die Affinit\u00e4t zwischen der organischen Materie und den allgemeinen Lebensreizen, welche das Leben \u2022deich der Flamme anfachen, daher nach vollendeter Entwickelt^ wenn das unsterbliche Leben gesichert sein soll, die Erzeu-nung eines Keimes n\u00f6lliig ist, der wegen der noch unvertheilten Kraft, auch gleichsam noch die gr\u00f6sste Affinit\u00e4t zu den Lebensreizen besitzt, die in dem Maasse abnimmt, als der Organismus sich entwickelt. Dies sieht einer Erkl\u00e4rung gleich, im Grunde ist es aber nur eine Darstellung des Zusammenhangs der Erscheinungen, von welcher nicht bestimmt behauptet werden kann, dass sie richtig ist.\nWir wenden uns nun zur zweiten Frage, warum auch die Materie best\u00e4ndig w\u00e4hrend des Lebens eines organischen K\u00f6rpers verg\u00e4nglich ist und durch neue organische Materie ersetzt werden muss? Diess ist weniger bei den Pflanzen der Fall und zeigt sich wenigstens vorzugsweise nur in dem allm\u00e4hiigen Absterben \u00e4lterer Bl\u00e4tter, dahingegen das einmal gebildete, wie Tiedemann bemerkt, lange keinem Stoffwechsel unterworfen ist, sondern eine Zeitlang in seiner Mischung beharrt. In den Thie-ren zeigt sich dagegen ein best\u00e4ndiger Wechsel der Stoffe. Tiedemann leitet indess diesen Unterschied davon ab, dass in den Thieren Kraft\u00e4usserungen Vorkommen, welche Ver\u00e4nderungen in dem materiellen Substrate der Organe hervorbringen, wie es mit der Wirkung der Nerven der Fall zu seyn scheine. Physiol. 1.376.\nSniadecki hat sich mit der Aufl\u00f6sung dieser Frage in seinem ausgezeichneten Werke, Theorie iler organischen Wesen, aus dem Polnischen, JMirnherg 1821, besonders besch\u00e4ftigt.\nSniadecki nennt die Materien, welche zur Nahrung der organischen K\u00f6rper dienen k\u00f6nnen, die belebungsf\u00e4higen Materien. Die Belebungsf\u00e4higkeit dieser Materien ist aber eine ganz allgemeine; sie ist aller Formen gleich f\u00e4hig, so lange nicht bestimmte Einfl\u00fcsse auf sie wirken, und eben darum ohne bestimmte Form. Die organische Materie strebt also, wie Sniadecki sich ausdr\u00fcckt, im Allgemeinen zum Leben und zur Qrganisirung. Sobald aber ein gewisser Theil derselben unter d ie Gewalt irgend eines Individuums ger\u00e4th, ertheilt die individuelle Kraft diesem allgemeinen liehen eine gewisse Richtung; daher kommt die individuelle und \u00f6rtliche Gestalt und die Gattung und Art des Lebens. Jede besondere Organisation ist also nach Sniadecki der Erfolg zweier estrebungen, einer allgemeinen, welche in der Materie selbst statt-\u2022a \u2019 verm\u00f6ge welcher gewisse Stoffe zum Leben und zur Organi-Slraii8 Allgemeinen streben, und einer zweiten besondern, W,e cae *n den Individuen stattfindet, welche die Art eines sol-\u00ce7,,er\u00ee Gebens und die Form der Organisation bestimmt. Dieses ei chen der belebbaren Materie also, welches die Wirkung ei-Sewissen individuellen Kraft zuin Theil oder ganz erfahren \u25a0\u2022 \u25a0\u00bbd welche. in dem Maasse belebt ist, muss, weil es deshalb zum au/Seh\u00f6rt hat, belebbar zu seyn, verm\u00f6ge dieser Eigenschaft weitern Leben streben und zur Annahme aller anderen or-\n3 *","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":";u;\tProlegomena. 2. Organismus.\nganiseben Formen, nur diejenige ausgenommen, weiche es schon besitzt. Vergleicht man es also mit ganz unorganisirler belehba-rer Materie, welche nach allen Formen gleich strebt, so muss es offenbar weniger belebbar seyn als diese. Jene Verminderung seiner Belehharkeit muss gleich seyn dem Streben, welches es zur Annahme dieser besondern Form hatte, in welcher es sich befindet, weil dieses besondere Streben schon ges\u00e4ttigt und gestillt ist.\nSniadecki sehliesst hieraus: dass die Belebungsf\u00e4higkeit der Materie in den Individuen f\u00fcr diese im umgekehrten Verh\u00e4ltniss der organischen Kraft ist, deren Einwirkung die Materie schon erfahren hat, oder die Materie, welche in die organischen Wesen gelangt, und theils von ihnen im Zustande der organischen Verbindung aufgenommen, wie von Thieren, theils darin verwandelt wird, wie von Bilanzen, verliert eigentlich so viel an Belebungsf\u00e4higkeit, als sie an individueller Kraft gewinnt, folglich in dem n\u00e4mlichen Verh\u00e4ltniss, in welchem sie eine gegebene Gestalt an-nirmnt, verliert sie die F\u00e4higkeit zu derselben. Sobald sie also vollkommen organisirt wird und die ganze individuelle Kraft erleidet, wird sie auch aller Lebensf\u00e4higkeit in Hinsicht dieses Individuums beraubt. Sobald dieses erfolgt, verliert die organische Kraft ihre ganze Gewalt \u00fcber dieselbe, und diese Materie wird mitten in dem lebenden K\u00f6rper nicht belebbar und unth\u00e4tig, und folglich nur tauglich seyn, um aus dem K\u00f6rper geworfen zu werden. Auf diese Art erkl\u00e4rt Sniadecki den ewigen Wechsel der organisirbaren Materien in den organischen K\u00f6rpern. Nimmt man diese Erkl\u00e4rung an, so lassen sich ohne Zweifel die allgemeinen Vorg\u00e4nge in den organischen K\u00f6rpern weiter erkl\u00e4ren, wie Snia-decki mit wunderbarer Einfachheit und Consequenz gethan hat. Indessen lassen sich gegen die Triftigkeit dieser S\u00e4tze gegr\u00fcndete Einw\u00fcrfe machen. Nach Sniadecki ist das einzig Wesenhafte in den organischen K\u00f6rpern nicht die organisirte Materie, sondern die organische Kraft. Diese \u00e4ussert sich so lange, als sie organisirt, d. h. als nicht organisirte Materie vorhanden ist; das Organisirte seihst besitzt keine organische Kraft, und ist als Excrement untauglich. Allein nach dieser Ansicht m\u00fcssen die excrementiel-len Stoffe den Charakter der vollkommenen Organisation an sich tragen, und f\u00fcr andere organische Wesen und ihre individuelle Kraft sogleich wieder organisationsf\u00e4hig seyn. Diess ist nicht der Fall. Die allgemeinsten Excremente sind der Harn und die Kohlens\u00e4ure, welche beim Athmen ausgeschieden wird. Allein diese Materien sind f\u00fcr thierische Wesen gar nicht mehr organisirbar, sie sind zersetzte Thierstoffe. Es l\u00e4sst sich viel angemessener annehmen, dass das von einem organischen K\u00f6rper Organisirte in dem Maasse zugleich theilhaftig der organisirenden Kraft wird, als es organisirt wird. Die organisirende Kraft ist in vielen einfachen organischen Wesen theilhar, indem die organisirte Materie getheilt wird. Diess f\u00fchrt ganz zum entgegengesetzten Grundsatz von Sniadecki. Letzterer behauptet, die Materie verliert an F\u00e4higkeit zu leben, in dem Maasse, als sie belebt wird. Wir sagen, die Materie ist in dem Maasse belebt, als sie die belebende Kraft erfahren hat, sie ist belebend in dem Maasse, als sie schon","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Wechsel der organischen Materie.\n37\nbelebt ist, sie \u00e4ussert die belebende Kraft auf andere Materien, je \u00e4ussert sie aber mir unter Einwirkung gewisser Lebensreize, -eiche, indem sie sich auch mit den organisirten Theilen verbinden, andere Stoffe ausscheiden. Indern gewisse Lebensreize, z p. beim Athmen, an das Blut \u00fcbergehen, dann auf die organischen Tlieile einwirken, wird die Affinit\u00e4t zwischen gewissen Theilen der organisirten Materie und dem Lebensreiz des Blutes gr\u00f6sser als zwischen den Theilen der organisirten Materie unter sich. Die Belebung der organisirten Materie durch eine Art, die mit Ausscheidung verbunden ist, macht sie wieder zur Aufnahme von Nahrungsstoffen f\u00e4hig; aber in dem Maasse, als eine Materie belebt wird, erh\u00e4lt sie die F\u00e4higkeit, selbst andere Materien zu beleben und zu organisiren, sie wird nicht Excrement, sondern der or'umisirenden Kraft der vorhandenen Materie theilhaftig.\nDie Ursache, warum best\u00e4ndig organische Materien in den organischen K\u00f6rpern zersetzt und ausgeworfen werden, k\u00f6nnte man auch auf den ersten Blick in folgendem Umstande suchen. Die Verwandlung der Nahrungsmittel in Nahrungsstofl kann die Ausscheidung gewisser Stoffe bedingen, welche ein Uebergewicht unbrauchbarer Elemente enthalten. So sondern die Pflanzen, indem sie Kohlens\u00e4ure und Wasser in eine tern\u00e4re Verbindung zu Pflanzenstoff umwandeln, \u00fcberfl\u00fcssigen Sauerstoff aus. Bei den Thieren sind die Hauptexcretionsstoffe, welche vollends unbrauchbar sind, nur Kohlens\u00e4ure und Harn. Die Thiere scheiden zwar fast eben so viel Materie aus, als sie aufnehmen, allein ein Theil davon sind reine unbrauchbare Excreta, viele sind zu besonderen Zwecken bestimmt, oder werden zuf\u00e4lliger Weise mit ausgef\u00fchrt, wie der Darmschleim, vielleicht auch die Galle. Die Darmexcrc-inente bestehen selbst wieder zum Theil aus den aufgenommenen Nahrungsmitteln. Dagegen w'erden Kohlens\u00e4ure und Harn nicht allein aus den organisirten Theilen ausgeschieden, sondern sind auch rein unbrauchbar. Nun \u00e4ndert sich zwar die Beschaffenheit des Harns nach den Nahrungsmitteln, und der Harn scheidet also offenbar auch noch unbrauchbare Theile der genommenen Nahrung ab, ehe sie ganz organisirt wird. Allein die Bestandteile des Harns werden doch bei Thieren, die gar keine Nahrung zu sich nehmen, und wie manche Amphibien, Schlangen und Schildkr\u00f6ten, Monate lang hungern, nicht ver\u00e4ndert. Es ist also gewiss, dass durch den Harn aus den schon organisirten Stoffen der Thiere unbrauchbare Theile ausgeschieden werden, und dass das Leben Materie unbrauchbar macht. So bilden ja auch die Puppen der Insekten zur Zeit ihrer' Verwandlung, wo sie gar nichts zu sich nehmen, doch Excretionsstoffe durch die Malpighischen Gef\u00e4sse, und wir wissen durch Wukzer, Brugnatelli und Cue-Vreul, dass diese Gef\u00e4sse Harns\u00e4ure ausscheiden. So scheidet auch der Embryo der h\u00f6heren Thiere ein besonderes Excretum durch die Wour\u2019schen K\u00f6rper ab, noch ehe die Nieren in Fun-etion treten. Merkw\u00fcrdig ist auch, dass die Excretion von Harn-st\u00b0ff oder Harns\u00e4ure nicht allein bei den Wirbeltieren, sondern auch bei vielen Wirbellosen stattfindet; wie denn die Insekten tuich die Malpighischen Gef\u00e4sse Harns\u00e4ure absondern, und Ja-","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nProlegomena. 2. Organismus.\ncoBSOPJ \u00ablie Harns\u00e4ure in einem besondern Ausscheidun^sorgane ]>ei Mollusken entdeckt hat. Was aber die Wechselwirken\" der thieriseben K\u00f6rper mit der atmosph\u00e4rischen Luft betrifft so halsen wir zwar noch keine entfernt begr\u00fcndete Vorstellung \u00fcber \u00ablie Ursachen dieser f\u00fcr das Leben so nothwendigen Verkn\u00fcpfung \u2022 aber die Hypothese, dass durch das Athmen die noch fehlenden Elemente zur Bildung von Thierstoff hinzutreten, oder die \u00fcberfl\u00fcssigen zu dieser Bildung abgeschieden werden, widerlegt sich sogleich aus dem Factum, dass die meisten Thiere den ThierstofF schon gebildet aufnehmen, und dass die Amphibien doch athmen Sauerstoff der Atmosph\u00e4re verzehren, und Kohlens\u00e4ure ausathmen wenn sie auch keine Nahrung Monate lang zu sich nehmen. Die best\u00e4ndigen Ausscheidungen, welche der Lebensprocess auch ohne die Zufuhr von Nahrungsstoffen bewirkt, Kohlens\u00e4ure und Harnstoff (und Harns\u00e4ure), sind unf\u00e4hig andere thierische Wesen zu ern\u00e4hren; die Kohlens\u00e4ure ist bereits eine durch Zersetzung von Thierstoff entstandene bin\u00e4re Verbindung der Harnstoff steht einer bin\u00e4ren Verbindung sehr nahe, oder ist selbst vielleicht schon bin\u00e4re Verbindung, wenigstens ist seine Entstehung aus cyanicht-saurem Ammonium, wie Woehler zeigt, \u00fcberaus leicht. Da diese Excretionen fort und fort auch ohne alle Zufuhr von'Nahrun\u00abs-initteln stattfinden, so folgt nothwendig, dass das Leben an und fur sich mit einer best\u00e4ndigen Zersetzung schon organisirter Stoffe verbunden ist. Diess ist auch nicht anders m\u00f6glich, wenn es wahr ist, was vorher bewiesen worden, dass die organische Kraft in einem thierischen Wesen sich nur so lange \u00e4ussert, als gewisse Lebensreize best\u00e4ndig materielle Umwandlungen in den lebenden Theilen bewirken, wovon die Lebenserscheinungen nur die Erscheinungen sind, wie das Feuer die Erscheinung der materiellen Umwandlung bei der Verbrennung. Der Antrieb zu diesen materiellen Umwandlungen geschieht durch das Athmen; das durch das Athmen best\u00e4ndig ver\u00e4nderte Blut bewirkt wieder best\u00e4ndig materielle Umwandlungen in den Organen; aus schon gewesenen Bestandtheilen der Organe kommen die allgemeinen ZeVsetzun-s-producte, Kohlens\u00e4ure und die an Stickstoff \u00fcberaus reichen Be-standtheile des Harns, Harnstoff und Harns\u00e4ure, und diese den Lebensprocess begleitende Zersetzung der organischen Materie macht wieder die Zufuhr neuer Nahrungsstoffe noting welche die organisirende Kraft erfahren. Ein organisirter Theil zeLf nur so lange Lebenserscheinungen, und organis\u00e2t so lan^e nur andere Materien, als er best\u00e4ndig in seiner Ruhe durch neue Aeusserun! gen organischer Affinit\u00e4t zwischen dem Blute und den Bestand-theilen der Organe angeregt wird, wovon die Zersetzung gewisser 1 heile der Organe bedingt ist, die wieder ersetzt werden durch die Wirkung dor organischen Kraft auf die neuen Nahruimsstoffe.\nDie Nahrungsstoffe der Thiere sind schon organisch '\u2019zusammengesetzte Materien der Thiere und Pflanzen; die Nahrnn^sstoffe der Pflanzen sind theils Stoffe von Pflanzen und Thieren im nicht ganz zersetzten Zustande, theils selbst bin\u00e4re Combinationen n\u00e4mlich Kohlens\u00e4ure und Wasser. Man hat geglaubt, dass d\u00fc-\u2019Pflanzen aus reiner Kohlens\u00e4ure und Wasser sich ern\u00e4hren k\u00f6nnen,","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Wechsel der organischen TMatcrie.\n39\n\u2022 Jessen haben die Erfahrungen von Hassenfratz, Th. de Saus-111 F Giobeht, Link gezeigt, dass Pflanzen unter diesen Umst\u00e4n-s, nur sein' k\u00fcmmerlich oder gar nicht gedeihen, selten bl\u00fchen j fructificiren. S. Tiedemann Physiologie J. 218. Es scheint daher dass die Pflanzen organische Materie aus binaren Combi-\u25a0itionen (Kohlens\u00e4ure und Wasser) nur dann bilden, wenn sic nleich von aufgel\u00f6sten, nicht vollkommen zersetzten, organischen Combinationen sich n\u00e4hren. Den Pflanzen kann man aber das Verm\u00f6gen, organische Materie aus bin\u00e4ren Combinationen zu bilden deswegen nicht ganz absprechen, weil ohne diess Verm\u00f6gen die Pflanzenwelt und Thierwelt bald zu Grunde gehen w\u00fcrden. Durch die Thiere wird best\u00e4ndig eine grosse Menge organischer Materien zersetzt, die wenigstens f\u00fcr die Thiere unbrauchbar und von den Pflanzen erst in brauchbare organische Combinationen um\u00b0ewandelt werden. Da nun best\u00e4ndig durch Verbrennen und andere Zersetzung eine ungeheure Menge gebildeter Pflanzenmaterien in bin\u00e4re Combinationen und in die Elemente zerlegt wird, so w\u00fcrde das Nutriment der belebenden Thiere und Pflanzen immer kleiner werden, wenn die Pflanzen nicht wirklich das Verm\u00f6gen besessen, wieder neue organische Materie aus Elementen und bin\u00e4ren Combinationen zu bilden. Man kann also nicht annehmen, dass bloss die einmal vorhandene organische Materie in der Pflanzen- und Thierwelt circulirt, indem sie aus einem Wesen in das andere \u00fcbergeht. Die unaufh\u00f6rliche Zerlegung organischer K\u00f6rper setzt die Bildung von neuer organischer Materie aus bin\u00e4ren Combinationen und Elementen durch die Pflanzen voraus.\nNun wird die organische Kraft bei dem Wachsthum und der Fortpflanzung der organischen K\u00f6rper multiplied!, denn aus einem Wesen entstehen viele andere, und aus diesen wieder viele andere, w\u00e4hrend auf der andern Seite die organische Kraft der sterbenden organischen K\u00f6rper zu Grunde zu gehen scheint. Da aber die organische Kraft nicht etwa bloss aus einem Individuum in das andere \u00fcbergeht, da vielmehr eine Pflanze, nachdem sie j\u00e4hrlich die Keime von sehr vielen neuen Producenten gleicher Art erzeugt, immer noch f\u00e4hig zu derselben Production, Producent bleiben kann, so scheint die Quelle der Vermehrung der organischen Kraft auch in der Organisation neuer Materien zu liegen, und diess zugegeben, m\u00fcsste\" man den Pflanzen das Verm\u00f6gen zuschreiben, indem sic neue organische Materien aus unorganischen Stoffen unter dem Einfl\u00fcsse des Lichts und der W\u00e4rme bilden, auch die organische Kraft aus unbekannten Ursachen der Aussen-vvelt zu vermehren, w\u00e4hrend auch die Thiere die organische Kraft aus den Nahrungsmitteln unter dem Einfluss der Lebensreize wieder erzeugen, und auch hei der Fortpflanzung vereinzeln k\u00f6nnen. Db bei der Aus\u00fcbung des Lebens ausser der best\u00e4ndigen Zersetzung von Stoffen auch organische Kraft best\u00e4ndig und wie sie verloren geht, ist g\u00e4nzlich unbekannt. So viel scheint aber gewiss, dass beim Sterben der organischen K\u00f6rper die organische Kraft wieder in ihre allgemeinen nat\u00fcrlichen Ursachen aufgel\u00f6st w ird, aus denen sie von der Pflanze regenerirt zu werden scheint. Sollte man die Vermehrung der organischen Kraft au* uubekann-","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nten Quellen tier Aussenwelt in den einmal vorhandenen organischen K\u00f6rpern nicht zugeben, so m\u00fcsste man annehmen, dass die scheinbare unendliche Multiplication der organischen Kraft bei dem Wachslhum und der Fortpflanzung bloss eine Evolution in einander eingeschacbtelter Keime sey, oder man m\u00fcsste das Unbegreifliche annehmen, dass die beim Fortpflanzen stattfindende Thei-lung der organischen Kraft die Intensit\u00e4t derselben nicht schw\u00e4che. Immer aber w\u00fcrde die Thatsache \u00fcbrig bleiben, dass best\u00e4ndig bei dem Sterben der organischen K\u00f6rper organische Kraft unwirksam oder in ihre allgemeinen physischen Ursachen aufgel\u00f6st wird.\nIII. Von dem thierischen Organismus und von dem thierischen Leben.\nEntwickelung, Wachstbum, Reizbarkeit, Fortpflanzung, Verg\u00e4nglichkeit sind allgemeine Erscheinungen und Eigenschaften aller organischen K\u00f6rper und Folgen der Organisation ; allein nur die thierischen K\u00f6rper zeichnen sich durch den Resitz ande=> rer Eigenschaften aus, die man darum vorzugsweise animalische Eigenschaften im Gegensatz der allgemeinen organischen nennen kann. Hierunter sind das Verm\u00f6gen zu empfinden und sich will-k\u00fchrlich zu bewegen die vorz\u00fcglichsten. Man kann zwar den Pflanzen die Bewegung nicht ganz absprechen, denn ihre Organisation ist mit unmerklichen Bewegungen begleitet, es findet Saftbewegung in ihnen statt; sie wenden sich nach dem Lichte, die Wurzeln wachsen nach dem bessern Boden hin, Pflanzen ranken entlang den K\u00f6rpern, die ihnen eine Befestigung darbieten k\u00f6nnen, ihre Staubf\u00e4den neigen sich zum Griffel zur Zeit der Befruchtung hin; ja viele Pflanzen, besonders Mimosen, zeigen in den Blattstielen eine durch Reize bedingbare Bewegung, wobei sich das allgemeine Gesetz wiederholt, dass organische Theile von gewissen reizbaren Eigenschaften diese auf sehr verschiedene Beize auf gleiche Art \u00e4ussern. Denn mechanische, galvanische, chemische Einfl\u00fcsse, wie Weingeist, mineralische S\u00e4uren, Aether, Ammoniak, Wechsel der Temperatur, der Erleuchtung, bringen denselben Erfolg hervor, Treviranus Biologie 5, 201\u2014229. Endlich zeigt sich bei Hedysarum gyrans ausser dem allgemeinen Einfl\u00fcsse des Lichtes auf die Bewegung des mittlern Blattes ein unaufh\u00f6rliches Erheben und Senken der kleineren Nebenbl\u00e4tter, selbst ohne dass \u00e4ussere Reize die Ph\u00e4nomene bedingen; auch einige der niedersten Pflanzen, wie die Oscillatorien, bewegen sich best\u00e4ndig pendelartig. Wenn nun aber auch das Schlingen der Pflanzen nach Palm (\u00fcber das Winden der Pflanzen p. 48.) aus dem Umstande sich erkl\u00e4ren l\u00e4sst, dass Schlingpflanzen mit den Spitzen der Zweige Kreise beschreiben und also verm\u00f6ge dieser Art des Wachsthums nahe Gegenst\u00e4nde erreichen, so scheint das Winden der Cuscuta um bloss lebende Pflanzen nicht ohne alle organische Anziehung zu seyn; cs bieten sogar","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschiede der Pflanzen und Tldere.\n41\ndie Bewegungen der Staubfaden und Blattstiele zu viele Aehnlich-keit mit der Reizbarkeit der Muskeln dar, um sie nicht damit zu vergleichen. Dutrociiet (recherches anal. et physiol, sur la structure intime des animaux et des v\u00e9g\u00e9taux) hat den Sitz der Reizbarkeit bei den Mimosen in der Rindensubstanz eines Wulstes an den Gelenken der Blattstiele entdeckt, ein Wulst, der nur den reizbaren Mimosen eigen ist. Alle Bewegung h\u00f6rte auf nach dem Abtragen dieses Organes, nach dem Abschneiden der obern H\u00e4lfte des Wulstes erfolgte noch Aufrichten, aber nicht mehr Senken. Hiernach glaubt Dutrociiet, dass Heben und Senken durch entgegengesetzte Kr\u00fcmmungen in der Rinde des Wulstes entstehen, rvi\u00e8 man denn in Scheiben der Rinde beider H\u00e4lften unter Wasser Kr\u00fcmmungen erfolgen sieht. Auf diese Art soll sieh ein Blatt erheben, wenn die Rinde der untern H\u00e4lfte des Wulstes convexer als die der obern Fl\u00e4che wird, und sich senken, wenn die Kr\u00fcmmung der Rinde in der obern H\u00e4lfte zunimmt. Andere Beobachter haben bei der Bewegung der Wulste Farben Ver\u00e4nderung wahrgenommen, wie Lindsay, Ritter, 'Mayo, so dass man das Ph\u00e4nomen auch vom Zustr\u00f6men der S\u00e4fte ableiten k\u00f6nnte. Tiedemann Physiol. 1. 623. G. R. Treviranus Erscheinungen und Gesetze des organischen Lehens. I. 171 \u2014 177. Es giebt also in den Pflanzen \u00e4hnliche Organe, entweder wie die Muskeln, oder wie die durch Saftstr\u00f6mung erectilen Theile bei den Thieren ; allein die thierischen Bewegungen erfolgen nicht bloss durch Wirkungen des Reizes auf reizbare Theile, sondern aus innern Bestimmungen von nicht beweglichen Theilen, den Nerven, auf bewegliche. Du-TRoenET hat zwar gesehen, dass, wenn er bei Mimosen den Focus eines Brennglases auf ein einzelnes Blatt richtete, der Eindruck sich nach und nach auf die \u00fcbrigen Zweige und Bl\u00e4tter fortpflanzte, und er betrachtet die falschen Tracheen als die Organe der Leitung. Allein G. R. Treviranus bemerkt hierbei mit Recht, dass diess nur Hypothese bleibe; denn Andere haben von der Einwirkung des concentrirten Lichtes auf die Mimosen nur \u00f6rtliche Wirkung beobachtet, und dann kann von einer \u00f6rtlichen Bewegung die ganze Pflanze zugleich ersch\u00fcttert, zur Mitbewegung gereizt werden. Das Bewegungsverm\u00f6gen der Thiere hat aber auch das Ausgezeichnete, dass die Bewegungen zum Theil nicht bloss durch die zweckm\u00e4ssige Organisation des Ganzen, sondern durch Zwecke, welche ein einzelnes Organ, n\u00e4mlich das Organ der Seelen\u00e4usserungen, bestimmt, veranlasst werden, d. h. dass sie willk\u00fchrlich sind. Anderseits muss man Reizbarkeit nicht mit Empfindlichkeit verwechseln. Die Pflanzen sind reizbar, aber flicht empfindlich; so sind die Muskeln auch vom K\u00f6rper getrennt noch reizbar, aber nicht empfindlich. Dass aber Empfindung in den Pflanzen stattfinde, kann ohne Aeusserungen des Bewusst-seW8 nicht statuirt werden. Aeusserungen von Empfindung und wulk\u00fchrliche Bewegung sind das einzige charakteristische Merkmal ei einfachsten Thiere. Zusammengesetzte Thiere haben oft eine \u00e4stige und. vegetabilische Form und sitzen mit dem Stamme im . \u00b0H\u00aen| l|ie individuellen F\u00e4higkeiten der einzelnen Polypen, die 1 k\u00fchr\u00fcchen Bewegungen jedes Polypen des gemeinsamen Stain-","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nProlegomena. 1. Thier-Organismus.\nmes zeigen aber nur eine organisatio animalis multiplicata und nichts Pflanzliches. Die Bewegungen der Infusorien sind frei und willk\u00fchrlich. Wenn daher immer gewisse einfache organische Wesen, die Spongien und mehrere sogenannte Alcyonien, in Hinsicht ihrer vegetabilischen oder animalischen Natur zweifelhaft scheinen, so muss der Mangel aller willk\u00fchrlichen Bewegung des Ganzen oder der einzelnen Theile entscheiden, und diese m\u00fcssen besser zu den vegetabilischen Seegcbilden gezahlt werden. Hiergegen lasst sich zwar erinnern, dass der Embryo der Spongien nach Grant (Edinh. philos. Journal. Vol. XIII. g. 382.), gleich dem Embryo der Polypen und Corallen, durch Wimpern Bewegungen \u00e4ussert, allein wir haben keine hinreichenden Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Embryo der Spongien und Infusorien des Meeres, dann aber hat man schon vielfach an dem Embryo wahrer Vegetabilien, wie der Algen, solche Bewegungen beobachtet. Solche Beobachtungen hat Trentepohl an Conjerva Ililatata \u00df. llo/h (Eclosprrma clavata Vauch.) und G. R. Treviranus an Conferva limasa Dilltv. gemacht. Biologie T. 4. p. 634. Neuerdings hat Unger (Nov. act. a/ad. nat. cur. T. XIII. p. 2. p. 7S9.) dieselben Beobachtungen mit Beachtung aller Ueberg\u00e4nge an Conferva ddalata wiederholt, und es scheinen, wie auch G. R. Tre-yiranus gegen die von Vaucher gemachte Vermuthung einer T\u00e4uschung durch Infusorien behauptet, jene anfangs beweglichen Keimk\u00f6rner wieder in Algen, von denen sie gekommen, \u00fcberzugehen. Siehe Treviranus Biol. T. 4. Erscheinungen und Gesetze des organischen Lehens, p. 51. und 183. Hieher geh\u00f6ren auch die Zoocarpees von Bory St. Vincent, die als gegliederte F\u00e4den in-fusorienartig sich bewegende Keimk\u00f6rner ergiessen, welche dann wieder vegetabilisch werden und die er mit der ganzen Zunft Atthrodie'cs zwischen Thierwelt und Pflanzen stellt. Die Bewegungen der Eier von Zoophyten durch Wimpern sind nicht f\u00fcr willk\u00fchrlich zu halten. Die Schwingungen der Wimpern nn den athmenden Kiemen einiger niederen Thiere sind dasselbe Ph\u00e4nomen. Nach den Untersuchungen von Nitzscii (Beitr\u00fcge zur Infusorienkunde, Halle 1817) w\u00e4ren einige vegetabilische und animalische Infusorien sich sehr verwandt. So sollen sich Bacillaria pectina/is und andere Arten ganz wie Pflanzen, andere Arten der Gattung wie Thiere verhalten. Ehrenberg dagegen scheint eine solche Verwandtschaft beider Reiche nicht anzuerkennen; er bemerkt auch, dass die activen Bewegungen hei Algen nicht die Idee von Thierheit erwecken sollen. Nie hat er einen beweglichen Algensamen die geringste feste Nahrung zu sieh nehmen gesehen, und so unterscheidet sich nach Ehrenberg die fruchtstreuende Alge von der sie umschw\u00e4rmenden Monade, wie der Baum vom Vogel. Poggendorf\u2019s Ann. 1832. 1. Derselben Meinung ist nach eigenen Beobachtungen R. Wagner, indem er bemerkt, dass die Bewegung jener Keimk\u00f6rner nicht f\u00fcr thierische gehalten werden k\u00f6nne, wenn sie gleich wunderbarer scheint als die tactm\u00e4ssige Bewegung einiger niederen Vegetabilien, der Oscillalorien.\nDie Organe, durch welche die Empfindungen und die Be-","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschiede der Pflanzen und Tliiere.\n43\ntiinmungen zur willk\u00fchrlichen Bewegung, also die thierischen Verrichtungen der Thiere geschehen, sind das Nervensystem. yon den Nerven zeigen sich die Organe der Thiere in eben so ..rosser Abh\u00e4ngigkeit, wie die Pflanzen vom Liebte. Man bat bisher Nerven ausser den Wirbelt!)ieren nur bei einem Theile der Wirbellosen verfolgt, und man war sehr einstimmig der Meinung, dass bei den niederen Thieren gar keine Nerven vorhanden seyen, indem die noch einfache Substanz in denselben Partikeln empfindlich, beweglich und verdauend sey. In der That schien die \u2022\u2022rosse Theilbarkeit der einfachen Wesen hiezu einigermaassen zu berechtigen. Man kannte also die Nerven der Infusorien, der Corallenthiere und Polypen, der Acalephen, der meisten Eingeweidew\u00fcrmer nicht. Aber von Stronsylus Gigas, einem Wurm der Nieren, batte Otto das Nervensystem beschrieben. Beim Spuhlwurm ist ein nervenartiger Strang zwischen den zwei Ge-f\u00e4ssst\u00e4mmen nicht zu verkennen. Das Nervensystem von Distoma hepaticum hat Mehlis, von Pentastoma und Diplozoon bat v. Nord-mak\u00bb beschrieben. Kein Zweifel, dass es allen Eingeweidew\u00fcrmern zuk\u00f6mmt. Ferner batte Tiedemann das Nervensystem der Echinodcrmen, wenigstens der Seesterne entdeckt. Endlich hat Ehrenberg die grosse Entdeckung von der zusammengesetzten Bildung der niedersten Thiere, der Infusorien, gemacht. Ehrenberg Organisation der Injusionsthierchen. Berlin 1830. Bei den einfachsten Infusorien hat Ehrenrerg den Mund und einen zusammengesetzten Magen, bei andern Mund, Darm und After entdeckt. Bei den vollkornmneren Pi\u00e4derthierchen und einigen Infusorien hat Ehrenberg selbst eine Art Z\u00e4hne am Munde, m\u00e4nnliche und weibliche Geschlechtsorgane, Muskeln, B\u00e4nder, eine Spur von Gelassen und Nerven und Augenpunkte sehr deutlich beschrieben und abgebildet. Diese Augenpunkte, welche Ehrenberg auch bei den Seesternen und Medusen gefunden, sind f\u00fcr die Controverse von dem Nervensystem der einfachsten Thiere von ganz besonderer Wichtigkeit. Da nun bei den schon viel zusammengesetzteren Planarien, eben solche dunkle Augenpunkte am Kopfe, wie bei vielen Ringelw\u00fci\u00e4nern, deren Nervensystem man kennt, Vorkommen, und da nach meinen Beobachtungen die schwarzen Augenpunkte einiger Nereiden wirklich eine vom schwarzem Pigmente becherf\u00f6rmig bekleidete Anschwellung der Sehnerven darstellen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Planarien und \u00fcberhaupt alle niederen Thiere, die solche Augenpunkte besitzen, Sehnerven und also ein Nervensystem besitzen. Wenn Gruithuisen glaubt, dass jede dunkle Stelle der Haut gewissermaasen mit dem Sehen in Beziehung stehe, we>l sie Licht absorbire, so ist diess ganz unexact. Denn die erste Bedingung zum Sehen ist, dass der Nervus opticus specifische Sensibilit\u00e4t f\u00fcr das Licht besitze und nicht blosser Gef\u00fchlnerve sey. Niedere Thiere, welche gegen das Lichtagens ohne Auge empfind-\u00fcch sind, k\u00f6nnen das Licht durch die Haut als W\u00e4rme emptin-\u2018 eji, aber zur Lichtempfindung selbst geh\u00f6rt specifische Reizbar-e,t. Daher besitzen die W\u00fcrmer, xvie einige Nereiden, ohne tass optische durchsichtige Apparate zur Unterscheidung des","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"14\nProlegomena. 3. Thier - Organismus.\nGegenst\u00e4nde besitzen, docli Nerven zur blossen allgemeinen Unterscheidung von Licht und Dunkel, und gerade die Existenz der Sehnerven zur allgemeinen Licbtemplindung bei einem Thiere, das wegen Mangel optischer Apparate nichts Bestimmtes unterscheiden kann, beweist sehr, dass die Lichtempfindung doch immer noch an bestimmte Nerven gebunden ist. Siebe meine Beobachtungen \u00fcber den Bau der Augen bei den Nereiden, Annales des sciences nal. T. XXII. p. 19.\nIch komme darauf zur\u00fcck, dass nach den Beobachtungen von Ehrenberg \u00fcber den Bau der Infusorien und nach meinen Erfahrungen \u00fcber den Bau der einfachsten Augen, immer wahrscheinlicher wird, dass alle Thiere ohne Unterschied Nerven besitzen. Wie schwierig sind doch schon die Nerven der Seesterne, ja mehrerer Mollusken, wie der Muscheln, zu untersuchen; wir d\u00fcrfen also nicht zu viel Werth darauf legen, dass selbst gr\u00f6ssere, einfache Thiere, wie die Actinien, die Medusen, uns keine deutliche Spur dieser Zusammensetzung darbieten.\nDie Thiere unterscheiden sich aber nicht allein von den Pflanzen durch das Empfinden und willk\u00fchrliche Bewegungsverm\u00f6gen. Diese Attribute modificiren auch noth wendig die \u00fcbrigen Eigenschaften, welche die Thiere mit den Pflanzen gemein haben. Diess hat Cuvier in der Einleitung zur vergleichenden Anatomie sehr sch\u00f6n ausgef\u00fchrt. Die Gew\u00e4chse, an den Boden geheftet, absor-biren unmittelbar durch ihre Wurzeln die ern\u00e4hrenden Theile der in sie eindringenden Fl\u00fcssigkeiten, die Thiere hingegen, die meist nicht an ihren Aufenthaltsort gebunden, ihn vielmehr ganz ver\u00e4ndern oder wenigstens als Polypen eines festen Stammes du e Beute ergreifen, mussten den ihnen zur Ern\u00e4hrung n\u00f6thigen Vorrath von S\u00e4ften mit sich fortnehmen k\u00f6nnen. Die allermeisten haben eine innere H\u00f6hle erhalten, in welche sie die zu Nahrungsmitteln bestimmten Stoffe bringen, und in deren W\u00e4nden die einsaugenden Gef\u00e4sse bei den h\u00f6heren Thieren wurzeln, welche nach einem sehr passenden Ausdruck Boerhave\u2019s wahrhafte innere Wurzeln sind. Cuvier vergl. Anat. T. I. p. 11. Bei einigen Thieren fehlt der After, bei anderen ist selbst der Darm zweifelhaft. Doch sollen die Bandw\u00fcrmer nach Meiilis, gegen die gew\u00f6hnliche Annahme, einen gefassartigen, von der engen Mund\u00f6fl\u2019nung beginnenden, bald gabelig getheilten Darm haben. Bei den Echino-rynchen soll ein bekannter enger, zweischenkelig gespaltener Canal der Dann seyn. Eine besondere, zur ersten Assimilation bestimmte H\u00f6hle ist noch aus einem andern Grunde noth wendig: der Nah-rungsstoflt\" der Thiere muss erst aufgel\u00f6st werden. Der Nabrungs-stoff der Pflanze findet sich aufgel\u00f6st vor, und besteht theils aus kohlens\u00e4urehaltigem Wasser, theils aus aufgel\u00f6sten organischen Materien des humus. Die Thiere m\u00fcssen ihren Nahrungsstoff, der aus schon vorhandenen organischen Verbindungen besteht, vorbereiten, zerkleinern, aufl\u00f6sen, daher ist die Verdauung eine bloss den Thieren eigene vorbereitende Assimilation der Speisen.\nDie Saftbewegung der Bilanzen ist viel einfacher als bei den Thieren, und immer ohne besondere bewegende Organe f\u00fcr die Verbreitung, ohne Herz. In einigen einfachen Pflanzeu giebt es","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschiede der Pflanzen und Thiere.\n45\neine rotatorische Bewegung des Saftes im Innern von Gliedern oder in Zellen. Corti hat diese Bewegung in der Chara entdeckt, Poktvna, die beiden Treviranus, Amici, C. II. Schultz, Agardu, Raspail, haben sie in den Charen wieder gesehen; Meyen hat eine \u25a0 hnliche Bewegung in den Zellen der Vallisneria spiralis und in den Haaren der Wurzelfasern von Ilydrocharis morsus ranae entdeckt. B> den von Saftgef\u00e4ssen durchzogenen h\u00f6heren Pflanzen li\u00e2t C. H. Schultz eine fortschreitende Bewegung des Saftes entflocht. Weber den Kreislauf des Saftes im Sch\u00f6llkraut. Berlin 1822. C H. Schultz, die Natur der lebendigen Pflanzen. Berlin 1823. Annales des sc.nat. T. XXII. p. 75,79. Nach Schultz ist diese letztere Bewegung ein vollkommener Kreislauf, in den einen Gef\u00e4ssen aufsteigend, in den anderen absteigend, in Quergef\u00e4ssen aber com-municiren beiderlei Str\u00f6me der verschiedenen Gef\u00e4sse. In den feinen Durchschnitten der Blattstiele vieler Pflanzen sieht man auch deutlich, dass der Saft in verschiedenen Gelassen verschiedene Richtung hat, und diess habe ich selbst an feinen Durchschnitten der Blattstiele von Feigenbl\u00e4ttern sehr deutlich gesehen. Ob nicht die Zerschneidung der Gef\u00e4sse an der Richtung der Str\u00f6me Antheil habe, kann bloss durch Beobachtungen verschiedener Str\u00f6me in unverletzten Bl\u00e4ttern ausgemittelt werden. In den Bl\u00e4ttern des Chelidonium, die mit dem lebenden Stamme noch verbunden waren, habe ich selbst allerdings entgegengesetzte Str\u00f6me gesehen. Der Umstand, dass nach Dutrochet\u2019s Beobachtungen in einem aufrecht stehenden d\u00fcnnen Glascylindcr mit Wasser, durch ungleiche Erw\u00e4rmung an verschiedener Seite, sich eine aufsteigende und absteigende rotatorische Bewegung einstellt, kann ohnehin nicht die Saftbewegung in den Pflanzen erkl\u00e4ren. Es scheint daher, dass Anziehung und Abstossung von Seite der Bl\u00e4tter und Wurzeln auf eine noch ungekannte Art die Saftbewegung in den Pflanzen vermitteln. Dass aber das Licht die S\u00e4fte anzieht, ist wohl gewiss, da es offenbar das Wachsen der ganzen Pflanzen bestimmt. Bei den Thieren sind dagegen die Triebfedern des Kreislaufes weniger \u00e4ussere Einfl\u00fcsse, sondern die Zusammenziehung eines Centralorganes, des Herzens. Diess aber wird belebt von dem durch den Einfluss der atmosph\u00e4rischen Luft beim Athmen ver\u00e4nderten Blute. Ob vollkommene Circulation ein absolutes Pr\u00e4dicat der Thiere ist, ist noch unklar; wir kennen wenigstens in vielen einfachen Thieren bis jetzt weder Herz noch Gef\u00e4sse.\nDas in dem Pflanzen am meisten verbreitete Gewebe, das Zellgewebe, welches zugleich zur Fortleitung der S\u00e4fte dient, unterscheidet sich wesentlich vom Zellgewebe der Thiere, es hat geschlossene Zellen, die sich mit geraden W\u00e4nden begrenzen. Die H\u00f6hlungen des interstitialen Zellgewebes der Thiere liegen dagegen unter einander zusammen. Doch war es fehlerhaft den thieren das Zellgewebe mit geschlossenen Zellen ganz abznspre-en> solches pflanzenartige Zellgewebe k\u00f6mmt in mehreren Thei-en vor, dahin geh\u00f6rt das Fettzellgewebe, welches bei den Wic-erk\u00e4uern selbst polyedrisch ist, ferner das Zellgewebe des Glas-01pers und der churda dursalis der Emhi'yonen und Knorpelfische.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nEinen sehr wichtigen Unterschied hietet die Respiration der Pflanzen undThiere dar. Bei den Pflanzen und einfachsten Thie-ren findet die Respiration auf' ihrer ganzen Oberfl\u00e4che statt. Bei den zusammengesetzten Thieren dagegen ist die Oberfl\u00e4che nicht hinreichend zur Wechselwirkung mit der Atmosph\u00e4re, und es bedarf eines Organes, welches im kleinen Raume eine ungeheure athmende Fl\u00e4che der Atmosph\u00e4re darbietet. Allein auch die Producte der Respiration sind im Thier- und Pflanzenreich ver-schieden. Bei den Pflanzen besteht die Assimilation zum Theij darin, dass die bin\u00e4ren Verbindungen, Kohlens\u00e4ure (also Kohlenstoff und Sauerstoff) und Wasser (Wasserstoff und Sauerstoff), in tern\u00e4re Verbindungen von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff zu Pflanzenmaterie umgewandelt werden. Da nun aber bei dieser Verwandlung ein \u00dceberschuss von Sauerstoff \u00fcbrig bleibt, so wird dieser durch die Bl\u00e4tter ausgehaucht. Die Bl\u00e4ttEr nehmen auch Kohlens\u00e4ure aus der Atmosph\u00e4re auf, wie die Untersuchungen von Priestley, Scheele, Ingenhouss, Spallanzani, Senebieb, v. Humboldt, Th. de Saussure beweisen. K\u00e4uflich die Bl\u00e4tter zersetzen die in der Luft enthaltene Kohlens\u00e4ure so, dass der Kohlenstoff mit einem Antheile des Sauerstoffes sich mit den Pflanzen verbindet, w\u00e4hrend der gr\u00f6sste Theil des Sauerstoffes an die Luft zur\u00fcckgegeben wird. In der Nacht aber und irn Schalten, im krankhaften und welkenden Zustande nehmen sie einen Theil des Sauerstoffes der Luft auf und d\u00fcnsten Kohlens\u00e4ure aus, aber weniger als sie am Tage aufnehmen. Tiedemann\u2019s Physiologic T. I. p. 273. Gilbv Edinb. phil. .7.1821. 7. Das Ath-men scheint daher bei den Pflanzen eine blosse Correction der Assimilation; durch das Athmen der Pflanzen verliert die Luft best\u00e4ndig einen Theil der von den Thieren ausgebauchten Kohlens\u00e4ure, und erh\u00e4lt einen Reichthum von Sauerstoff. Die Thiere leben nur von schon gebildeter organischer Materie, und ihre Subtanz enth\u00e4lt, ausser Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, auch Stickstoff, der vielen Pflanzen ganz fehlt und in anderen nur in sehr geringer Quantit\u00e4t vorhanden ist. Da nun best\u00e4ndig eine grosse Menge Thierstoff fault und in chemische Verbindungen sich zersetzt, die Thiere aber keinen neuen organischen Stoff aus einfachen Elementen oder bin\u00e4ren Verbindungen bilden k\u00f6nnen, so sind die Pflanzen, welche dieses Verm\u00f6gen besitzen, den Thieren durchaus noting; so wie die Thiere wiederum den Pflanzen noting werden. Denn die Thiere athmen gerade dasjenige aus, was die Pflanzen einathmen, Kohlens\u00e4ure, und athmen wieder ein, was die Pflanzen ausathmen, Sauerstoff. Auf diese Art w\u00fcrde ohne die Pflanzenwelt die Luft f\u00fcr die Thiere irrespirabel werden; durch die Wechselwirkung von Pflanzen und Thieren erh\u00e4lt sich aber die fast absolute Gleichheit der atmosph\u00e4rischen Luft als eine Zusammensetzung von 79 Theilen Stickstoff und 21 Sauerstoff.\nDa nun endlich die Pflanzen nur eine einfache Kraft\u00e4usserung, n\u00e4mlich die Vegetation besitzen, so bed\u00fcrfen sic, ausser Wurzel, Stengel, Bl\u00e4ttern, nicht mannigfaltiger Organe, sondern sie bieten, mit Ausnahme der Fructificationswerkzeuge, durchg\u00e4n-","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Grundkr\u00fcfic und organische Systeme der Thiere.\n17\na\\n \u00e4hnliche Theile dar, indem sich das einfache Verh\u00e4ltniss von Stendel zu Bl\u00e4ttern immer weiter vom Stamme und Theilen des Stammes aus multiplicirt, ja sogar die Fructificationswerkzeuge ie\\aen sich den Bl\u00e4ttern verwandt und bilden sich zuweilen in Bl\u00e4tter um. Da ferner die Pflanzen vor der Fructification nur eine Wiederholung \u00e4hnlicher Theile zeigen, deren Anf\u00e4nge im Stamme zu einem ensem/de verbunden sind, so sind auch diese Theile seihst wieder f\u00e4hig, abgetrennt selbstst\u00e4ndig zu werden; denn es giebt ohnehin hier eine best\u00e4ndige Zeugung durch Sprossen. Auch der Same ist ein selbstst\u00e4ndiger Theil, der sich von den Sprossen nur darin wesentlich unterscheidet, dass seine Vegetationskraft gross, aber seine Vegetation selbst gering ist oder noch gar nicht existirt. In den Thieren zeigt sich dagegen die Wechselwirkung von Blutkreislauf, Athmen und Nerven zum Leben durchaus nothwendig. Die Nerven bedingen die Athem-bewegungen, die Nerven wirken aber nicht ohne Blut, welches geathmet hat, und das Blut fliesst allen Theilen und so den Nerven nicht zu, ohne die Zusammenziehung des Herzens, das wieder von dem hellrothen Blute und der Nervenwirkung abh\u00e4ngig ist. Gehirn, Herz und Lungen sind daher gleichsam die in einander greifenden Hauptr\u00e4der in der thierischen Maschine, welche durch den Stoffwechsel beim Athmen in Bewegung gesetzt werden. Bei dem Wachsthume zeigt sich auch nicht ein \u00e4usseres Hervortreiben neuer Theile, \u00e4hnlich den alten, sondern meist eine Ver-gr\u00f6sserung des Ganzen durch Vergr\u00f6sserung aller zuerst gebildeten Theile des Innern und Aeussern. Die Thiere wachsen in der Regel nicht auf Pflanzenart, nur die zusammengesetzten Polypen wachsen durch Sprossenbildung. Die mekresten Thiere sind, je vollkommener sie sind, nicht ein Aggregat \u00e4hnlicher Theile, durch einen Stamm verbunden, sondern sie enthalten Theile von ganz verschiedenen Eigenschaften, mannigfaltige Organe, die eine Zeugung durch Theilung wachsender Theile unm\u00f6glich machen, wenn nicht die sich abtrennenden Theile die wesentlichen Organe des Ganzen noch mit enthalten, wie bei Polypen und einigen W\u00fcrmern, Naiden u. A., bei denen O. ha. Mueller, Gruilhuisen eine Fortpflanzung durch k\u00fcnstliche oder von seihst erfolgende Theilung gesehen haben. Diese ganze Vergleichung hatte nur den Zweck, zu zeigen, wie die Existenz neuer Eigenschaften bei den Thieren auch diejenigen Functionen modiiieirt, welche die Thiere mit den Pflanzen gemein haben.\nDie Vergleichung der Thiere mit den Pflanzen f\u00fchrte die Alten zur Methode, wie sie die Functionen der Thiere abzuhan-Aeln hatten.\nDie Functionen, welche die Pflanzen und Thiere mit einan-oer gemein zu haben scheinen, hat man organische oder vitale Errichtungen genannt; sie haben die Erzeugung und Erhaltung \u00ae er Theile aus dem selbstst\u00e4ndigen Ganzen zum Zw'eck. Sie sind eusserungen der organischen Affinit\u00e4t unter den Wirkungen der wesentlichen Ursache des Lebens. Die Functionen, welche vor-US lch die thierischen Wesen auszeichnen, Empfindungen, Bevve-","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"4S\nProlegomena. 3. Thier-Organismus.\njungen, Vorstellungen u. s. w., sclieinen der Zweck des thierischen Daseyns zu seyn, es sind die, welclie das Thier cliaracterisiren w\u00fcrden, wenn es auch nur einen Augenblick ausdauern sollte. Die Alten haben sie im Gegensatz der ersteren animalische Verrichtungen genannt.\nEine dritte Reihe der Erscheinungen umfasst die Vorg\u00e4nge, welche zur Bildung neuer Keime in einem Individuum und zur Absonderung und Entwickelung derselben f\u00fchren, und also die Erhaltung der Gattung w\u00e4hrend der Verg\u00e4nglichkeit der Individuen bezwecken. Diese Eintheilung hat ihre Vortheile, kann aber auch Missverst\u00e4ndnisse erzeugen. Die Kraft, welche die Entwickelung des Keimes bedingt, ist dieselbe, welche die best\u00e4ndige Erhaltung des Ganzen und die Wiedererzeugung desselben verursacht, und darnach w\u00fcrden also Vegetationskraft, Bewegungskraft und Empfindungskraft gleichsam die Grundkr\u00e4fte seyn; allein es fragt sich wieder, oh diese Trennung nicht k\u00fcnstlich ist.\nMan kann sich vorstellen, dass die wesentliche Kraft des Pflanzenlehens, die Vegetationskraft, in den Thieren noch mit anderen Kr\u00e4ften verbunden sey, z. B. mit der Empfindungskraft und Bewegungskraft, oder mit der Nervenkraft, wenn man die F\u00e4higkeit der Muskeln, sich durch den Einfluss der Nerven zusammenzuziehen, nicht als urspr\u00fcngliche Kraft, sondern als Folge ansehen will. Man kann sich vorstellen, dass die Vereinigung dieser Kr\u00e4fte im Keime existirt und dass sie sich von der Entwickelung an in den verschiedenen Organsystemen, die in einander greifen, \u00e4ussern, so dass die Vegetationskraft, von der Nervenkraft bestimmt, auch die Organe des Nervenlebens wiedererzeugt und best\u00e4ndig erh\u00e4lt, die Nerven aber wieder die Ursache sind, dass organisirte Theile empfindlich sind. Wenn man diess aber weiter durchdenkt, so gelangt man auf Widerspr\u00fcche.\nVielmehr scheinen diese Hauptformen nur verschiedene Wirkungen einer und derselben vis essen/ia/is der Thiere, bedingt durch die verschiedene Zusammensetzung der verschiedenen Organe. Es liegt etwas Absurdes in der Vorstellung, dass die R.e-productionskraft die Nervensubstanz erzeuge, w\u00e4hrend die Wirkungen der gebildeten Nerven Folgen einer Kraft seyn sollen, die verschieden ist von der Kraft, welche die Nervensubstanz bildet. Die letzte Ursache des Lebens, welche in den Thieren wirkt, erschafft alle zum Begriff eines thierischen Wesens geh\u00f6rigen Theile, und erzeugt diejenige Mischung in denselben, deren Erfolg Bewegungsverm\u00f6gen und Empfindungsverm\u00f6gen oder Leitungsverm\u00f6gen f\u00fcr Eindr\u00fccke sind, die auf einen Centraltheil der Einwirkungen und der R\u00fcckwirkungen verpflanzt werden. Nur die verschiedenen Producte dieser ersten und einen Kraft der Thiere, dieses alle Theile erzeugenden und wiedererzeugenden primum rnovens, sind theils zur Umwandlung von Materien f\u00e4hig, die weiter gef\u00fchrt f\u00fcr den Nutzen des Ganzen bestimmt sind, theils Bewegungsorgane, theils Organe, durch welche die Einwirkungen aller Organe auf ein Centralorgan und die R\u00fcckwirkungen erfolgen. Die ersteren sind die Reproductionsorgane, die zweiten die Muskeln, die dritten die Nerven. Dann eicht es auch noch solche Theile,","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Grvndkr\u00fcfte uni] organische Systeme der Thiere.\n49\n{i;c durch die schaffende und wiedererzeugende Th\u00e4tigkeit oder ch'e Grundursache aller Organe keine anderen wesentlichen Eigenschaften als physikalische Qualit\u00e4ten der Festigkeit, Elasticit\u00e4t, Z\u00e4-],iokeit u. s. w. erlangen, wie die Knochen, Knorpel, B\u00e4nder, Sehnen.\n\u00f6 Die Dr\u00fcsen erlangen z. B. durch die Ern\u00e4hrung und Wiedererzeugung aus dem Blute die F\u00e4higkeit, gewisse Theile des Blutes in ihrer N\u00e4he anzuziehen, neu zu combiniren und auszuscheiden; durch denselben Act der Ern\u00e4hrung und Wiedererzeugung aus dem Blut erhalten die Muskeln die zur Attraction ihrer Theilchen oder zur Bewegung durch gewisse Ursachen n\u00f6thige F\u00e4higkeit, und diese F\u00e4higkeit ist das Product jener Erzeugung, nicht aber eine besondere Grundkraft, die von der Generationskraft verschieden w\u00e4re. So erhalten die Nerven durch eben diese Urkraft der Bildung und Wiedererzeugung aus dem Blute die F\u00e4higkeit zu ihren Lebenserscheinungen, und ihre F\u00e4higkeiten sind nur die Erfolge dieser Erzeugung. Ganz verkehrt scheint es aber nun gar, die Wiedererzeugung zur Indifferenz der bewegenden und sensitiven Kraft zu machen. Sieht man von den Theilen ab, welche durch den organischen Process ihrer best\u00e4ndigen Wiedererzeugung nur physikalische Eigenschaften der Elasticit\u00e4t, Festigkeit u. s. w. erlangen, so kann man die Eigenschaften der \u00fcbrigen Hauptsysteme in den Thieren folgendermassen bezeichnen.\nf. Organe, welche die Mischung der Fl\u00fcssigkeiten f\u00fcr den Zweck des Ganzen ver\u00e4ndern, wie die Absonderungsorgane, die Blutgef\u00e4sse und Lymphgef\u00e4sse, die Lungen. Das eigenth\u00fcmliche Ph\u00e4nomen, welches diese Organe darbieten, ist nicht etwa die Ern\u00e4hrung, denn diese kommt allen Organen zu, sondern die Ver\u00e4nderung der organischen Combination in den Fl\u00fcssigkeiten, die mit ihnen in Ber\u00fchrung stehen, durch Aeusserungen organischer Affinit\u00e4t.\nII. Muskul\u00f6se Organe, welche auf gewisse Einfl\u00fcsse sich zusammenziehen, und deren Fasern sich kr\u00e4uselnd gegen die Stelle, wo eine Ver\u00e4nderung der Muskelsubstanz geschieht, verk\u00fcrzen. Hauler hat die F\u00e4higkeit der Muskeln auf mechanische, chemische und elektrische Einwirkungen sich zusammenzuziehen, Irritabilit\u00e4t genannt, und die Haller'scIic Irritabilit\u00e4t kann keinen anderen Theilen als den muskul\u00f6sen Theilen zugeschrieben werden, w\u00e4hrend andere sich durch Erscheinungen anderer Art von Reizbarkeit auszeichnen. Einige verwirrte Schriftsteller haben diesen Begriff von Irritabilit\u00e4t zu einer Formel f\u00fcr willk\u00fchrliche Fictio-nen gemacht, so dass man sogar von einer Irritabilit\u00e4t in den Nerven gesprochen, als wenn bald die Irritabilit\u00e4t, bald die Sensibilit\u00e4t derselben ver\u00e4ndert seyn k\u00f6nnte. Im lebenden K\u00f6rper geschehen die Wirkungen der Muskeln immer unter dem Einfluss der Muskelnerven, und Alles, was die Zusammensetzung der Nerven nur leise ver\u00e4ndert, bewirkt gleichsam eine Entladung der Ner-venkraft, welche die Zusammenziehung der Muskeln bedingt. Da-*er das Studium der Bewegungen, der Kr\u00e4mpfe und L\u00e4hmungen grossentheils zur Untersuchung der Gesetze der Wirkungen in en Nerven zur\u00fcckf\u00fchrt. Die Bewegung findet hei allen materiellen Ver\u00e4nderungen, bei der Generation, Ern\u00e4hrung, Absonde-ler\u2019s Physiologie. I.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nProlegomena. .3. Thier-Organismus.\nrung, st.itt, organische Affinit\u00e4t zwischen S\u00e4ften unil Organen bewirkt Turgescenz - Bewegungen ; inan muss sich wohl h\u00fcten, die Muskeln Ihr die einzigen der Bewegung f\u00e4higen Theile zu halten, die muskul\u00f6sen Theile sind nur die einzigen Organe, welche \u00abhuch Zusammenziehung und Kr\u00e4useln von Fasern sich bewegen, und alle Theile, welche sich so zusammenziehen k\u00f6nnen, und nicht wesentlich Muskeln sind, sind meist durch eingestreute Muskelsubstanz, besonders Muskelfasern, beweglich, w'ie die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen, welche sich, wie ich zeigen werde, contrahiren.\nIII. Die Nerven haben theils die F\u00e4higkeit, hei geringen Ver\u00e4nderungen ihres Zustandes Bewegungen in den Muskeln zu bewirken, w\u00e4hrend die Ver\u00e4nderungen der Nerven seihst den Sinnen des Beobachters entgehen, theils besitzen sie ein Leitungsverm\u00f6gen f\u00fcr jede Ver\u00e4nderung ihres Zustandes nach dem Gehirn, dem Centralorgane, wovon Wirkungen auf alle \u00fcbrigen Organe ausgehen, und diess nennt man empfinden. Empfindungen finden nur so lange statt, als die Nerven noch mit dem Gehirne in Verbindung stehen. Viele vom Gehirn und R\u00fcckenmarke ausgehende Nerven sind durch das Gehirn und R\u00fcckenmark will-k\u00fchrliehe Exeitatoren der Bewegung in den Muskeln, so lange die Nerven noch mit Gehirn oder R\u00fcckenmark in Verbindung stehen, w\u00e4hrend sie in dieser Verbindung und ohne diese Verbindung auch unwillk\u00fchrliche Zusammenziehungen der Muskeln bei einer Ver\u00e4nderung ihres Zustandes bewirken. Dagegen sind die vom Aervus sympa! hirus abh\u00e4ngigen beweglichen Theile dem Willen entzogen und nur in einer bedingten Abh\u00e4ngigkeit von dem Gehirn und R\u00fcckenmarke, mit welchen der Nervus sympa-thicus mittelbar, n\u00e4mlich durch Vermittelung wirklicher Cerehralund Spinalnerven zusammenh\u00e4ngt, ln den Nerven zeigt sich die gr\u00f6sste Beweglichkeit der organischen Kr\u00e4fte, ohne Bewegung der ponderabeln Masse, und ihre Wirkung ist zur Aus\u00fcbung aller Functionen noting, indem alle Theile durch Ver\u00e4nderungen der Nerven auf Gehirn und R\u00fcckenmark zur\u00fcckwirken, und von diesen aus gewisse zu ihrer Action nothwendige Einfl\u00fcsse erfahren.\nDiese organischen Systeme greifen verschiedenartig in einander. Alle Organe sind nur durch den Antheil von Nerven, die in ihre Gewebe treten, empfindlich, die Organe, die der chemischen Verwandlung der Fl\u00fcssigkeiten dienen, sind, wenn sie sich zusammenziehen, nur durch eingestreute Muskelfasern zusammenziehbar, und alle Organe oder einzelnen Theile, in welchen ausser besonderen Lehenseigenschaften auch noch Absonderungen tropfbarer Fl\u00fcssigkeiten f\u00fcr den Zweck des Ganzen stattfinden, haben f\u00fcr diesen Zweck auch eigent\u00fcmliche Gewebe, wie in den Organen der Sinnesempfindung auch tropfbare Absonderungen durch besondere Gewebe stattfinden.\nSowohl die Wechselwirkung dieser Systeme unter sich, als ihre Wiedererzeugung aus dein Blute, kann ohne Affinit\u00e4ts\u00e4usserung der ponderabeln und imponderabeln Materien mit organischer Anziehung nicht vor sich gehen. Die Kenntniss dieser","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetze der thierisrhen Reizbarkeit.\n51\nGesetze w\u00e4re von der gr\u00f6ssten Wichtigkeit, allein wir kennen kaum einige merkw\u00fcrdige Facta, wie die Anziehung des Blutes Theilen, welche der Erection f\u00e4hig sind, und wo eine gr\u00f6ssere T\u00e4tigkeit stattfindet, und jene merkw\u00fcrdige Verwachsung zweier Reime, woraus ein Theil der Doppelmissgeburten zu erkl\u00e4ren ist, was ohne Anziehung gleichartig gebildeter Theile nicht geschehen kann, da fast in der Regel gleichnamige Theile verwachsen, Gesicht mit Gesicht, Schnauze mit Schnauze von vorn oder von der Seite, oder IJinterkopf mit flinterkopf, von der Mitte oder von der Seite, Hals mit Hals oder Brust mit Brust, oder bloss Bauch mit Bauch, oder Seite mit Seite, oder Bloss Steiss mit Steiss. Eine Verbindung, wobei immer die verwachsenden Theile beider Embryonen gemeinsam und einfach werden, und sich nach den Doppelh\u00f6hlungen hin theilen. Eine einzige Beobachtung organischer Anziehung und Abziehung an kleinsten Theilen w\u00e4re hier von unendlicher Wichtigkeit. Allein alle meine Bem\u00fchungen um ein Experiment in diesem Punkte sind fruchtlos gewesen, mochte ich einen blossgelegten und heraus pr\u00e4pa-rirten Nerven eines Frosches unter das Mikroskop legen und das Ende mit Blutk\u00fcgelchen umsp\u00fclt beschauen, oder Samen des Frosches mit Theilen des unbefruchteten Eies vom Frosche unter dem Mikroskop beobachten.\nDie Gesetze der Reizbarkeit der organischen Wesen sind im Allgemeinen schon im vorigen Abschnitt untersucht worden ; dort ist das Verh\u00e4ltniss der Lebensreize zur Aeusserung der Th\u00e4tig-keit bestimmt. Hier werden nun zun\u00e4chst die Gesetze der Reizbarkeit in den Thieren n\u00e4her bestimmt werden, obgleich es bei dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft kaum m\u00f6glich ist, Licht \u00fcber diese schwierigen Probleme zu verbreiten, und doch w\u00e4re diese Kenntniss so w\u00fcnschenswerth, da die Arzneikunde hier die gr\u00f6ssten Anforderungen an die Physiologie zu machen hat.\nMag die organische Kraft das Resultat der Mischung ponde-rahler und imponderabler Materien seyn, oder selbst die Mischung der organischen Materie bedingen und erhalten, wir sehen, dass sie sich unter gewissen Umst\u00e4nden in einzelnen Organen verst\u00e4rken kann; die Actionen sind in diesem Falle gr\u00f6sser und dauernder, wie man in den Genitalien in der Schwangerschaft und in er Brunst beobachtet. So nimmt die organische Kraft auch in em fr\u00fcher organisirteu Geweih der Hirsche ab, wenn es ab-Sf*r a\u2019 Un<^ verst\u00e4rkt sich wieder, wenn es irn organisirteu Zu-s ande von Neuem erzeugt wird. Zu einem mehr belebten Theile s.r\u00f6mt mehr Blut, und es wird mehr Blut als sonst in organi-sirte Materie umgewandelt. Tiedemann sagt, dass ein gereiztes rgan schnellere Ver\u00e4nderungen in seiner materiellen Zusammensetzung erfahre, und eben daher auch das Blut, welches al-ln im Stande ist, zu gesteigerten Kraft\u00e4usserungen zu bef\u00e4hi-^ rascher und in gr\u00f6sserer Menge anziehe. Physiologie 1.326*.\nter^'1]? cIaSe8cn ein organischer Theil einen Schaden durch ma-j_\"Ie e Umwandlung erleidet, so entsteht in einem solchen Theile\nzur Wiederherstellung dieses\nda\u00abn auch\nSch H\u2014** Clne Sr\u00f6ssere Th\u00e4tigkeit\na ens, wenn die Zersetzung des organischen Theiles nicht zu","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\tProlegomena. 3. Thier- Organismus.\ngross gewesen. Die organischen K\u00f6rper besitzen best\u00e4ndig das Verm\u00f6gen, die zum Leben des Ganzen n billige* Zusammensetzung der Tlieile zu erhalten. So oft diese Zusammensetzung verletzt wird, \u00e4ussert sich jenes Streben heilkr\u00e4ftig. Diess lolgt schon aus dem Satz, dass die organischen K\u00f6rper best\u00e4ndig der chemischen Einwirkung das Gleichgewicht zu halten suchen. Deswegen str\u00f6mt einem verletzten Theilc noch mehr Blut zu, weil die organische Th\u00e4tigkeit sich in demselben vergr\u00f6ssert. Die Wechselwirkung der vermehrten organischen Th\u00e4tigkeit, welche dem Anf\u00e4nge der Zersetzung das Gleichgewicht zu halten strebt, und des schon eingetretenen Strebens zur Zersetzung erkennt man in der Entz\u00fcndung. Deswegen l\u00e4sst sich aber doch nicht behaupten, dass die Entz\u00fcndung wesentlich eine vermehrte Th\u00e4tig-keit ist, sondern sie ist zusammengesetzt aus den Erscheinungen einer \u00f6rtlichen Verletzung, einer \u00f6rtlichen Neigung zur Zersetzung und einer dagegenwirkenden verst\u00e4rkter; organischen Hurtigkeit, welche dem Zersetzungsstreben das Gleichgewicht zu halten strebt. Bei einem hohem Grade von Zersetzung in den thierisehen 1 heilen k\u00f6mmt es gar nicht zu dieser R\u00fcckwirkung, und die Entz\u00fcndung entsteht nicht, wie bei den narkotischen Verg\u00fctungen. Wenn sie aber entsteht, so kann die durch eine Verletzung bedingte Zersetzung bald so gross werden, dass die organische R\u00fcckwirkung das Gleichgewicht nicht zu halten vermag, und dass \u00f6rtlicher Tod eintritt.\nDiese und viele andere F\u00e4lle, ja schon die Erm\u00fcdung und Ersch\u00f6pfung nach grossen Anstrengungen zeigen uns, dass die organische Kraft durch die Aus\u00fcbung der Functionen gleichsam consumirt wird. Diess zeigt sich noch nach dem lode. Denn wenn man von zwei gleichen Muskelst\u00fccken eines frisch geschlachteten Thieres den einen Theil mit dem Messer zu kleinen Zuk-knngen reizt, w\u00e4hrend man den andern sich selbst \u00fcberlasst, so wird der erste in dem Maasse fr\u00fcher seine Reizbarkeit verlieren, als er sich mehr bewegt. Autenbieth\u2019s Physiol. I. 63. Jeder Lichteindruck stumpft das Auge einigerrnaasen ab, und der gleiche Reiz bringt kurz darauf keine gleiche Reaction hervor, bis sich das Auge erholt hat. Man k\u00f6nnte dies daraus erkl\u00e4ren, dass ein Theil der Kraft zur Ausgleichung der durch den Reiz bewirkten materiellen Ver\u00e4nderungen wirkt. Allein diese Erm\u00fcdung erfolgt auch in dem Falle, wo die Th\u00e4tigkeit ohne \u00e4ussern Reiz vermehrt wird, sobald nur nicht die Kraft zugleich vermehrt ist. Es scheint also, dass diese Th\u00e4tigkeit selbst eine materielle Ver\u00e4nderung in den Organen hervorbringt. Vielleicht indem jene best\u00e4ndige Ver\u00e4nderung der organischen Substanz durch die beim Athmen ver\u00e4nderten Bestandtheile des Blutes welche zum Leben, gleich wie die Zersetzung zu den Erscheinungen der Verbrennung nothwendig ist, beschleunigt oder vermehrt wird, da doch zur Zeit dieser Beschleunigung nicht auch die Wiedererzeugung aus den Nahrungsstoffen vermehrt ist, sondern in der Weise der Erholung erst allm\u00e4hlig geschehen kann. Ueherhaupt aber, je th\u00e4tiger ein Mensch ist, um so gr\u00f6sser scheint die Zersetzung der Stoffe, und um so mehr hat Jemand Bed\u00fcrf-","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetze der thierischen Reizbarkeit.\n53\nniss nach Nahrungsmitteln. Menschen und Tbiere, die nach sehr heftigen Kraft\u00e4usserungen gestorben sind, wie z. B. ein zu Tode ,:aoter Hirsch, sollen selbst schneller faulen als ein zu Tode gebluteter K\u00f6rper. Autenrieth, welcher diess bemerkt, f\u00fchrt auch an, dass ein Muskel aus einem noch reizbaren Thiere geschnitten, ungleich schneller faule, wenn er zu h\u00e4ufigen Zusa'm-menziehungen vor seinem Absterben gereizt wurde, als ein anderes gleiches St\u00fcck, das ruhig gelassen wurde. Physiologie I. 115, Ver\u00b0l. A. v. Humboldt \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. In den Verrichtungen des Nervensystems ist die Erholung besonders so nothwendig, dass selbst das gleichm\u00e4ssigste Leben des Schlafes bedarf, der von selbst eintritt, auch wenn die das Nervensystem in Th\u00e4tigkeit setzenden Ursachen, die \u00e4usseren Reize, fortdauern, weil die durch die Th\u00e4tigkeit verursachte Ver\u00e4nderung im Nervensysteme letzteres unempfindlich f\u00fcr diese Eindr\u00fccke macht.\nDie best\u00e4ndige Wiederbelebung der organisirten Theile aus den allgemeinen integrirenden Lebensreizen ist sonst meistenthcils mit der F\u00e4higkeit zu einer gleichm\u00e4ssigen Th\u00e4tigkeit verbunden. Wird aber die Action verst\u00e4rkt und beschleunigt, so muss Ruhe erfolgen, wenn so viel F\u00e4higkeit sieh zu neuen Actionen bilden soll, als durch die Action verloren ist.\nObschon im gesunden Leben im Allgemeinen eben so viel Kraft in einer gewissen Zeit wiedererzeugt wird, als durch die Th\u00e4tigkeit unwirksam geworden ist, so giebt es doch F\u00e4lle, in welchen die Wiedererzeugung allm\u00e4hlig immer st\u00e4rker wird, hei gleichm\u00e4ssiger geregelter Th\u00e4tigkeit oder bei abwechselnder Th\u00e4tigkeit und Ruhe. Diess ist namentlich in der Jugend der Fall, weil aus fr\u00fcher entwickelten Gr\u00fcnden die Affinit\u00e4t der organischen Theile zu den allgemeinen Lebensreizen um so gr\u00f6sser scheint, je weniger die Entwickelung vorgeschritten ist; aber \u00fcberhaupt wird durch eine nicht zu angestrengte Th\u00e4tigkeit mit Ruhe abwechselnd d.e Kraft eines Organes vermehrt, wie in der Uebung, w\u00e4hrend blosse Ruhe die Organe oft erschlafft. Abwechselung von Th\u00e4tigkeit oder Uebung und Ruhe, darin liegt das GeheimnLss, die Kraft unserer Actionen allm\u00e4hlig zu verst\u00e4rken. Vielleicht wird durch die Action ein Theil der Stoffe eines Organes zersetzt, wie das Leben \u00fcberhaupt mit Zersetzung verbunden ist, vielleicht wird ein Theil der Stoffe durch die Action ei-nes Organes zersetzt, w\u00e4hrend durch die vermehrte Action ein anderer Theil inniger gemiseht wird, so dass ein Organ durch le th\u00e4tigkeit zwar verliert, aber durch die Action f\u00e4higer wird, 2,\u00aeue. Stoffe anzuziehen und sich zu verst\u00e4rken. Wenn aber die i.\tzu h\u00e4ufig und zu stark wiederholt worden ist, so ist\n'e Wiedererzeugung selbst geringer, und es tritt Ersch\u00f6pfung ein. 'Css ist dann der Fall, wenn die Consunition organischer Kraft \u00b0.w ^as Unwirksam-werden derselben durch verst\u00e4rkte Action Die- F er^\u00a3t> a*s Wiedererzeugung in gleichen Zeiten ist.\nlese Ersch\u00f6pfung ist umso gr\u00f6sser, je mehr und je edlere Theile GdiV^ l'\"C^ heftiS *u th\u00e4tigkeit versetzt werden, wie z. B. beim lls\u2018 das ganze Nervensystem in eine mit Gonsumtiou von","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nProlegomena. 3. Thier - Organismus.\nKraft verbundene Th\u00e4tigkeit versetzt wird, und je mehr ein Theil bei den Actionen anderen Organen etwas mittheilt, was er selbst verliert, wie es eben bei den Nervenactionen scheint und je mehr endlich eiti Theil durch seine Action einen wesentlichen materiellen Verlust f\u00fcr das Ganze erzeugt, wie bei den verst\u00e4rkten Absonderungen, z. B. der Milch. Die augenblickliche Unwirksamkeit der organischen Kraft nach der Th\u00e4tigkeit, und ihre allm\u00e4hlige Wiederherstellung bemerkt man selbst noch an abgeschnittenen Theiten der Fr\u00f6sche, indem wahrscheinlich durch Wechselwirkung des noch in ihnen enthaltenen Blutes und der Luft mit den Organen sich die Reizbarkeit bersteilt. So macht der galvanische Reiz, auf abgeschnittene Froschschenkel wiederholt applicirt, diese unwirksam, und die Reizbarkeit Stellt sich erst allm\u00e4hlig in der Zeit der Ruhe wieder her.\nWird ein Organ seltener in Th\u00e4tigkeit gesetzt, so nimmt die F\u00e4higkeit f\u00fcr fernere Actionen in der Ruhe nicht so zu, wie bei einem gewissen Grade von Th\u00e4tigkeit. Das Auge sieht, je mehr es in Th\u00e4tigkeit gesetzt wird, hei demselben R.eize augenblicklich schw\u00e4cher; war es aber einige Zeit vollkommener Ruhe \u00fcberlassen, z. B. im Dunkeln, so werden nun zwar die Eindr\u00fccke viel lebhafter empfunden. St\u00e4rkt man das Auge nach dem fr\u00fcher er\u00f6rterten Gesetz durch abwechselnde Anstrengung und Ruhe allm\u00e4hlig, so wird es auch f\u00e4hig zu gr\u00f6sseren Anstrengungen, ohne so bald als fr\u00fcher ersch\u00f6pft zu werden; l\u00e4sst man das \u00c4uge aber lange Zeit in vollkommener Ruhe, so hat sich zwar wieder eine grosse Empfindlichkeit, wie \u00fcberhaupt nach der Ruhe, angesammelt, aber die Lebenskraft ist in diesem Theile nun um so schw\u00e4cher geworden, je weniger er ge\u00fcbt worden, und ein pl\u00f6tzlicher starker Lichteindruck vermag ein lange von dem Lichte entw\u00f6hntes Auge selbst zu erblinden. Die Muskeln verlieren in langer Ruhe viel von ihrer Bewegkraft, wie sich z. B. die F\u00e4higkeit mancher Muskeln, als der Ohrmuskeln, verliert. Autenrieth Physiol. 1. 104.\nBisher ist die Ver\u00e4nderung der organischen Th\u00e4tigkeit der Thiere bloss im Allgemeinen betrachtet worden. Jetzt soll untersucht werden, wie die \u00e4usseren Einfl\u00fcsse auf Ver\u00e4nderung derselben wirken. Nicht allein die \u00e4usseren Lebensreize, welche das Leben unterhalten, veranlassen zu organischen Wirkungen. Alles, was die materielle Zusammensetzung und das Gleichgewicht der Vertheilung imponderabler Materien in den organischen Thei-len st\u00f6rt, kann auch die Action der Organismen und Organe ver\u00e4ndern. Diese Ver\u00e4nderung nennt man Reaction, wenn sie lebhaft ist; die Einwirkung, welche die Reaction von Seiten des Organismus hervorbringt, nennt man Reizung, Irritation, und die ver\u00e4ndernde Ursache Reiz, Irritamentum. Die Reaction gegen einen Reiz ist immer eine Lebenserscheinung, eine Aeusserung einer organischen Eigenschaft des Organismus. Die F\u00e4higkeit, durch \u00e4ussere Einwirkungen zu Kraft\u00e4usserungen bestimmt zu werden, ist nicht den organischen und insbesondere tbierischen K\u00f6rpern allein eigen. Viele unorganische K\u00f6rper entwickeln z. B. Licht unter gewissen Bedingungen, z. B. beim Stoss, oder ent-","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Gesetze (1er thierisehen Reizbarkeit.\n'ekeln W\u00e4rmen Die Physiker machen es hierbei wahrscheinlich dass das Licht 0(Ier die W\u00e4rme vorher in den K\u00f6rpern ebnnden waren, und durch den \u00e4ussern Einfluss frei werden. |och mehr k\u00f6nnte man die elastischen K\u00f6rper liicher rechnen, deren kleinste Theilchen so sehr einander anziehen, dass ein Versuch zur Verschiebung mehrerer Theilchen oft auf alle zur\u00fcckwirkt, und dass durch die Anziehungskr\u00e4fte der Theilchen zu einander eine restitutio in integrum erfolgt, die sich unter dem Ph\u00e4nomen der Elasticit\u00e4t und der Schnllschwingungen \u00e4ussert. Allein kein unorganischer K\u00f6rper zeigt sich so gleichf\u00f6rmig in diesen Aeusserungen als die Organismen, die unter den verschiedenartigsten Einwirkungen, welche die Zusammensetzung der Theilchen st\u00f6ren, immer das n\u00e4mliche Ph\u00e4nomen, zu dem ein Organ durch sein Leben bef\u00e4higt wird, \u00e4ussern. Diess r\u00fchrt wahrscheinlich von jener Grundeigenschaft der organischen K\u00f6rper her, den St\u00f6rungen ihrer Zusammensetzung das Gleichgewicht zu halten, eine Kraft, die im gesunden Falle viel gr\u00f6sser ist als die Ursache, welche die Zusammensetzung des organischen K\u00f6rpers st\u00f6rt. Jene Kraft, welche das Gleichgewicht in den organischen Theilen nach einer St\u00f6rung derselben wiederherstellt, ist dieselbe, welche einen Theil eigenth\u00fcmlicb durch die best\u00e4ndige Ern\u00e4hrung und Wiedererzeugung erh\u00e4lt. Das Ph\u00e4nomen, welches bei der Herstellung des Gleichgewichtes erfolgt, ist zusammengesetzt von der Ver\u00e4nderung des organischen Theiles durch eine \u00e4ussere Ursache und von dem Streben des organischen Theiles zur restitutio in integrum, zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes. Dutrochet behauptet, dass alle erregenden Ursachen auf den Organismus die gleiche Ver\u00e4nderung hervorbringen, dass sie die Oxydation des ihnen ausgesetzten organischen Stoffes ino-dificiren; nach ihm sollen die erregenden Ursachen gleichzeitig auf den Sauerstoff und auf den organischen Stoff wirken, um sie zu einer Verbindung zu bewegen. So ingeni\u00f6s diese Ansicht ist, so ist sie doch eine bis jetzt ganz unbegr\u00fcndete Vermuthung, eben so wie Dutrochet\u2019s Folgerung, dass die Excitabilit\u00e4t eine wirkliche Verbrennbarkeit sey. Diese soll in der Jugend sehr gross seyn, weil in dieser Lebensperiode der Organismus in hohem Grade oxydirbar sey und nur wenig gebundenen Sauerstoff besitze, im Alter dagegen sollen die Erregungsmittel wenig Wirkung haben, weil die Tendenz zur Oxydation geringer ist, und zwar im Verh\u00e4ltnisse der Menge des schon gebundenen Sauerstoffes. Alles diess ist hypothetisch. Froriep's Notizen 724.\nZu einer jeden Reizung eines organischen Theiles geh\u00f6rt irgend ein\u00e8 materielle Ver\u00e4nderung in demselben, die wir selbst f>ei dem Reize des Lichtes auf das Auge voraussetzen m\u00fcssen; n\u00e4mlich Licht scheint in die Zusammensetzung vieler K\u00f6rper einzugehen, und bewirkt chemische Ver\u00e4nderungen, wie sich an vie-en chemischen Pr\u00e4paraten und selbst an den Pflanzen zeigt, aus denen es Sauerstoff entwickelt. Die n\u00e4chste Ver\u00e4nderung, welche ein -\u00dfeiz hervorbringt, ist durch die Natur des Reizes und des \u00aerganischen K\u00f6rpers, welcher gereizt wird, bedingt, z. B. eine Usarnmendr\u00fcckung, eine chemische Ver\u00e4nderung; allein die dar-","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nauf folgende Gegenwirkung widerstrebt dieser Ver\u00e4nderung und ist von der Natur des Reizes ganz verschieden, nicht mechanisch, nicht chemisch, sondern eine Aeusserung der Lehenseigenschaft eines Organes, wie Empfindung als Schmerzen, oder Entz\u00fcndung, oder Zuckung. W\u00e4rme, Electricit\u00e4t, Licht theilen sich den organischen K\u00f6rpern wie anderen nach allgemeinen physicalischen Gesetzen mit, aber es entsteht bei der restitutio in integrum immer zugleich eine Lebens\u00e4usserung, verschieden nach dem Th eile, welcher ver\u00e4ndert wird, und die Ph\u00e4nomene bis zur Herstellung des Gleichgewichtes sind zusammengesetzt aus der Wirkung des Reizes und der Reaction gegen den Reiz. Die chemisch wirkenden Stoffe ver\u00e4ndern auch die organischen K\u00f6rper und suchen bin\u00e4re Verbindungen auf Kosten der organischen K\u00f6rper zu erzeugen. Wenn diess gelingt und die Affinit\u00e4t der organischen Theile nicht hinreicht, die organische Combination zu erhalten, und der chemischen Einwirkung das Gleichgewicht zu halten, so entsteht ein chemisches Product mit dem Tode des afficirten Thei-les, z. B. bei der Verbrennung, bei der Einwirkung einer Minerals\u00e4ure, eines caustischen Alkali\u2019s. Allein so lange der organische Theil, welcher einem chemisch wirkenden K\u00f6rper ausgesetzt wird, noch lebt, so lange agirt er auch in den ihm eigenen Wirkungen, z. B. Empfindungen, Bewegungen, Entz\u00fcndung. Chemische Einfl\u00fcsse, wie S\u00e4uren, Alkalien, k\u00f6nnen zwar an dem Ort ihrer Einwirkung auf organische K\u00f6rper bin\u00e4re Verbindungen hervorbringen und auf diese Art Brand oder Tod bewirken; allein so w'eit an einem so afficirten Theile noch Leben besteht, und an der Grenze des Todes \u00e4ussert cs sich auch in den organischen Eigenschaften, wie Entz\u00fcndung u. s. w.\nAber nicht allein ist die Wirkung der thierischen K\u00f6rper gegen \u00e4ussere Reize Reaction in organischen Eigenschaften, sondern die Art dieser Reaction, die Eigenschaften, welche reagiren, sind h\u00e4ufig verschieden nach der Natur eines Theiles und seiner Zusammensetzung. Daher bewirken z. B. mechanische, chemische, electrische Reize, auf einen Muskel angewandt, dieselbe Reaction des Muskels, n\u00e4mlich Bewegung. Alle diese verschiedenen Reize bewirken dagegen in einem Empfindungsnerven nur Empfindungen, und die Art der Empfindung ist seihst bei verschiedenen Nerven verschieden, wenn gleiche, und hei denselben Nerven gleich, wenn verschiedene Reize darauf wirken. So z. B. bewirken mechanische und electrische Reize in den Sehnerven nur Lichtempfindungen als Eigenschaften dieser Nerven, und scheinen keinen Schmerz zu bewirken, w\u00e4hrend die Empfindungen des Schmerzes und nicht des Lichtes in den Gef\u00fchlsnerven m\u00f6glich sind. So erregen mechanische und electrische Reize, auf den Geh\u00f6rnerven wirkend, Tonempfindungen, der electrische Reiz in dem Geruchsnerven Geruchsempfindungen. So erregen die vorderen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven im gereizten Zustande von mechanischem oder galvanischem Reize keine Empfindungen, sondern Zuckungen in den Muskeln, aber die hinteren Wurzeln dieser Nerven erregen unter denselben Umst\u00e4nden nur Empfindungen, keine Zuckungen. Die Physiologie gewinnt eine eben","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkungskraft der Arzneistoffe.\n57\nsichere Empirie, wie die \u00fcbrigen Naturwissenschaften, wenn sie die eigent\u00fcmliche Reactionsart aller Theile des thierischen K\u00f6rpers kennt.\nEs ist nun nicht auffallend, dass die Symptome desselben Oganes in ganz verschiedenen Zust\u00e4nden sich oft sehr \u00e4hnlich sind weil es z. B. im Zustande von gereizter Kraft\u00e4usserung so ut wie im Zustande der Reizung bei abnehmender Kraft die ihm eigenen Lehenseigenschaften mit mehr oder weniger Energie kund giebt. Es giebt eine gewisse Gruppe von Hirnsymptomen, jjerzsymptomen, die in verschiedenen Krankheiten dieser Theile Vorkommen. Hierbei l\u00e4sst sich ein Blick auf die Thorheit der Hom\u00f6opathen werfen, welche mit Mitteln, die eine der Krankheit \u00e4hnliche Wirkung hervorbringen, zu heilen glauben, w\u00e4hrend sie doch entweder gar nichts thun, oder w\u00e4hrend die Natur die ihr dargebotenen Mittel anders verwendet als der Arzt glaubt. Wenn zwei Mittel einige \u00e4hnliche Symptome in einem Organe hervorrufen, so beweist diess noch nicht, dass sie ganz \u00e4hnliche Wirkungen hervorbringen, sondern dass sie auf dasselbe Organ wirken, wobei ihre qualitativen Wirkungen ganz verschieden seyn k\u00f6nnen. Syphilis und Mercurialkrankheit k\u00f6nnen wesentlich verschieden seyn, und doch sich darin gleichen, dass gewisse Organe in beiden Krankheiten zerst\u00f6rt sind. So zerst\u00f6ren Minerals\u00e4uren und Alkalien die organischen Theile gleich stark, und Niemand wird behaupten, dass sie Similia seyen. So kann also Mercur durch gelinde Umwandlung der organischen Materie sie f\u00fcr die Fortsetzung der syphilitischen Zerst\u00f6rung unf\u00e4hig machen, worauf der nat\u00fcrliche Lehensprocess (nicht der Mercur) die weitere Heilung bewirkt.\nDa die Reize die Organe in Th\u00e4tigkeit setzen, und jede ohne gleichzeitige Vermehrung der organischen Kraft vermehrte Th\u00e4tigkeit die Kraft f\u00fcr eine Zeit unwirksam macht, und gleichsam consumirt, so consumiren auch die Reize und bewirken insofern,\nwenn sie nicht integriren, wie die allgemeinen Lebensreize, jedesmal einen Nachlass der hervorgerufenen Th\u00e4tigkeit, auch wenn sie fortfahren einzuwirken. Hierdurch entsteht das Periodische mancher Lebenserscheinungen. Ein contractiles Organ, welches eine mechanisch oder chemisch reizende Materie enth\u00e4lt, zieht sich zusammen. Durch diesen Act wird der contractile Theil unf\u00e4hig, sich in dem n\u00e4chsten Momente gleich stark zusammenzuziehen; aber die Erregbarkeit entsteht allm\u00e4hlig wieder, und der fortdauernde Reiz wird wieder wirksam. So k\u00f6nnen sich die Zusammenziehungen von Zeit zu Zeit wiederholen. Wir sehen dieses Schwanken in den Undulationen der Iris hei gleichbleibendem Lichteinflusse, in den periodischen Zusammenziehun-|en des Mastdarmes, der Ged\u00e4rme, des Magens, des Herzens, des Hterus, der Harnblase, der Muskeln, welche die Contenta der Harnr\u00f6hre hei dem Coitus austreiben. Der Reiz der Zusammenziehung ist hier oft \u00e4usserlich, ein Contention, wie der Harn, die xeremente u. s. w\\ Er scheint aber auch oft innerlich, z. B. urch die Nerven zuzustr\u00f6men, w\u00e4hrend die Contraction doch Periodisch ist, wie z. B. beim Herzen. Denn wenn auch das","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nHerz durch seine Zusammenziehung abwechselnd Blut austreibt, und zugleich von der andern Seite Blut empfangen muss, und dieser Reiz des Blutes das Herz zu periodischen Contractionen veranlassen muss, so ist doch das Contention des Herzens nicht die einzige und erste Ursache der rhythmischen Contraction des Herzens; denn das Herz zieht sich auch ausgeschnitten noch lange, besonders hei Amphibien, iin blutleeren Zustande rhythmisch zusammen, und es scheint nicht, dass bloss die Luft hier den Reiz ersetze, sondern dass ein innerer, von der Wechselwirkung der Muskelfasern und der Nerven bedingter Reiz stattfinde, der periodisch wirkt, oder auf den das Organ nur periodisch r\u00fcckwirken kann.\nReize, welche zu h\u00e4ufig fortgesetzt werden, stumpfen die Organe ab und machen sie f\u00fcr lange unf\u00e4hig f\u00fcr diese Reize. Hieraus ist ein Theil der Erscheinungen erkl\u00e4rlich , -welche die Gew\u00f6hnung an einen Gegenstand darbietet, obgleich viele Hinge, an welche man sich gew\u00f6hnt, nicht bloss Anfangs Reizerscheinungen, sondern auch qualitative dauernde Ver\u00e4nderungen durch Aenderung der Zusammensetzung bewirken, woraus allein schon das Unwirksamwerden dieser Reize erkl\u00e4rlich ist.\nDa die grosse Menge auf den Organismus einwirkender Agen-tien und Stoffe je nach ihrer Natur und Zusammensetzung die Zusammensetzung der organischen Theile auf die mannichfaltig-ste und irn Einzelnen nicht zu bestimmende Art ab\u00e4ndern k\u00f6nnen, so ist es nicht m\u00f6glich, die Arzneimittel nach der Art ihrer Wir-, kungen unter allgemeine passende Gesichtspunkte zu bringen; diess ist die schadhafte Seite der Medicin. Die besten Schriftsteller \u00fcber diese Materie haben noch viel zu viel mit nicht existiren-den und bloss gedachten Factoren und Polarit\u00e4ten, unfruchtbaren Formeln in unserer Wissenschaft zu thun. Doch kann es im Allgemeinen nur vorz\u00fcglich drei Arten dieser Einwirkung geben.\n1) Reizmittel. Die wahren und wichtigsten Reizmittel sind die Lebensbedingungen selbst, die Lebensreize, durch deren best\u00e4ndige Einwirkung auf die von der organischen Kraft beseelten Theile das Leben allein sich \u00e4ussert, und die organische Kraft sich vermehrt, ein gewisser Grad W\u00e4rme, atmosph\u00e4rische Luft, Wasser, Nahrungsstoife, die schon organisirt waren, von Pflanzen oder Thieren. Diese Einfl\u00fcsse ver\u00e4ndern nicht bloss die Zusammensetzung der organischen Theile, und reizen nicht bloss durch Ver\u00e4nderung des Gleichgewichtes, sondern gehen auf eine f\u00fcr das Leben unentbehrliche Weise integrirend in die Zusammensetzung der Organe ein. Nach einer Krankheit sind diese best\u00e4ndigen Einfl\u00fcsse, welche, indem sie reizen, keine Ersch\u00f6pfung zulassen, auch die wahren und allein hinreichenden Mittel zur Erholung der Kr\u00e4fte. Ausser diesen Einfl\u00fcssen giebt es noch viele andere, welche nach dem vorher aufgestellten Begriffe von Reiz auch Reactionen hervorbringen, aber nicht unbedingt und \u00fcberhaupt nicht alle integriren, sondern welche grossentheils, ausser dass sie Symptome, Erscheinungen hervorbringen, gar keinen belebenden Einfluss auf die organischen K\u00f6rper, vielmehr im Maasse der materiellen Ver\u00e4nderung, die sie bedingen, sogar sehr","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"59\nWirkungsart der Arzneistoffe.\nachtteilige Folgen haben. Die Verwechselung aller Einfl\u00fcsse, -ich welchen nur das Gleichgewicht in dem Organismus sich herstellt, und welche dadurch Erscheinungen bewirken, mit solchen Einfl\u00fcssen, welche zur Erhaltung des Lebens unbedingt n\u00f6-t| - s;n\u00fc und integriren, hat in der Medicin unendlichen Nach-theil gehabt und vielen Menschen das Lehen gekostet, indem min hierdurch zu dem falschen Begriffe gelangt ist, dass, weil wisse Reize das Lehen gleich der Flamme anfachen, Reizen \u00fcberhaupt zum Lehen nothwendig sey. Unter der Menge der Einfl\u00fcsse ausser den allgemeinen Lehensreizen giebt es nun wieder solche, welche bedingt unter gewissen Umst\u00e4nden auch einen den allgemeinen Lehensreizen \u00e4hnlichen localen, belebenden und st\u00e4rkenden Einfluss haben, indem sie n\u00e4mlich durch ihren ponderabel und imponderabel materiellen Einfluss die Zusammensetzung eines Organes integriren oder so ver\u00e4ndern, dass die Wiedererzeugung aus den allgemeinen Lehensreizen leichter wird. Alles dieses ist aber durch den Zustand des kranken Organes bedingt, und die F\u00e4lle, in welchen solche im Rufe der Belebung und St\u00e4rkung stehende Arzneien diess wirklich thun, sind ungeniein selten. Dagegen schon Mancher mit einem Quark von Mitteln, welche unter den vorhandenen Umst\u00e4nden oder \u00fcberhaupt wohl reizen, aber nur einen Aufruhr erregen, nicht st\u00e4rken, zu Tode gereizt worden ist. Die zu den bedingt belebenden Stoffen geh\u00f6rigen Arzneien wirken durch ihre Zusammensetzung auch vorzugsweise auf Organe von verschiedener organischer Zusammensetzung belebend ein, und bilden nat\u00fcrliche Gruppen je nach ihrer vorzugsweisen Wirkung auf das Nervensystem oder auf die Organe, welche der Umwandlung des Blutes bestimmt sind, u. s. w. Mehrere Einfl\u00fcsse dieser Art sind imponderable Materien, wie die Elektricit\u00e4t. Die Elektricit\u00e4t hat man mit Erfolg in L\u00e4hmungen angewandt. Die W\u00e4rme, derjenige Einfluss, der bei der Entwickelung des Embryo schon nothwendig ist, hat aber auch noch einen eminenten Einfluss auf Belebung, wenn andere Mittel fruchtlos sind, z. B. in den Krankheiten der Nerven und des R\u00fcckenmarkes, L\u00e4hmungen, Neuralgia dorsalis, und anfangender Tabes dorsalis, wenn die Application der W\u00e4rme z. B. in Form von Moxen geschieht und oft wiederholt wird (auch wohl eine neue Moxa auf das wuchernde Fleisch der alten Stelle), \u25a0wobei freilich das Setzen nur einer Moxa Spielerei ist. Einen \u25a0viel nachhaltigem Eindruck belebender W\u00e4rme, besser als Moxa und Gl\u00fcheisen, bewirkt das anhaltende schmerzhafte Erhitzen eines kranken Theiles durch eine nahe gehaltene brennende Kerze, wobei man die wohlth\u00e4tige Wirkung einer schmerzhaften Erhitzung ohne Brandbildung und sp\u00e4tere Eiterung hat, die hierbei oft von keinem Nutzen ist, und wobei man zugleich die Wirkung lange unterhalten kann, w\u00e4hrend sie hei der Moxa und dem Gl\u00fcheisen kurz und vor\u00fcbergehend ist. Wie die W\u00e4rme in diesen F\u00e4llen wirkt, ist unklar; die Moxen wirken in Krankheiten des R\u00fcckenmarkes nur in der N\u00e4he dieses Organes selbst, w\u00e4hrend doch allenthalben Schmerz erregt werden kann.\nDer mechanische Einfluss ist in den Frictionen bedingt he-","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nlebender Reiz, wahrscheinlich, indem dadurch gelinde chemische Umwandlungen in der Zusammensetzung der Theile bewirkt werden, wodurch die Affinit\u00e4t der Theile zu den allgemeinen Lebensreizen, die im Organismus seihst sind, zunimmt.\nAuf der andern Seite k\u00f6nnen alle Mittel dieser Art, sowohl Arzneien als die h\u00f6heren W\u00e4rmegrade, wie in der Verbrennung, die Elektricit\u00e4t, der mechanische Einfluss, als Druck, Quetschung^ in einem hohen Grade ihrer Einwirkung gerade das Gegentheil der Belebung hervorbringen, indem sie dann die Materie so gewaltsam ver\u00e4ndern, dass die zum Lehen n\u00f6thigen Zusammensetzungen nicht erhalten werden; deswegen sind die hier ber\u00fchrten Einfl\u00fcsse specielle, bedingt belebende Einfl\u00fcsse. Sie beleben unter gewissen Umst\u00e4nden, indem ihre Wirkung in der organischen Materie die nat\u00fcrliche Zusammensetzung der Theile bef\u00f6rdert. Daher kann man sie homogene Reize nennen, wenn man alle \u00fcbrigen Reize, welche ^die nat\u00fcrliche Zusammensetzung und so den Zustand der Kr\u00e4fte nur st\u00f6ren, heterogene Reize nennen kann, die von keinem belebenden, sondern nachtheiligen Einfluss f\u00fcr das Leben sind. Man bedenke aber nur, dass jedes homogene Reizmittel durch Anwendung unter unpassenden Umst\u00e4nden zum heterogenen Reizmittel wird, d. h. zu einem solchen, welches bloss den Zustand der Kr\u00e4fte und die nat\u00fcrliche Zusammensetzung st\u00f6rt. Nach diesen Erkl\u00e4rungen zerfallen die reizenden Einfl\u00fcsse also 1. in allgemeine Lebensreize, 2. specielle Reize, a. homogene, b. heterogene. Ich- erw\u00e4hnte schon, dass nach Du-trochet die wahren Erregungsmittel so wirken sollen, dass sie die Bindung des Sauerstoffes mit der organischen Materie bef\u00f6rdern und beschleunigen. Vielleicht beruht die reizende chemische und dynamische Wirkung mancher Reizmittel wenigstens darauf, dass sie die Affinit\u00e4t zwischen dem durch das Athmen zum. Pieizmittel gewordenen Blute und der organischen Substanz bef\u00f6rdern, und die materiellen Umwandlungen in der organischen Materie durch dieses Princip im Blute verst\u00e4rken und beschleunigen.\nIn F\u00e4llen, wo die Lebenskraft schnell abnimmt, verl\u00e4sst uns \u00fcbrigens der ganze Apparat unserer reizenden Arzneien, wovon ein grosser Theil ohnehin nur einen Aufruhr macht, ohne zu st\u00e4rken.\n2. Alleranticn. Eine grosse Menge von Stoffen werden in der Arzneikunde darum von grosser Wichtigkeit, weil sie eine solche chemische Umwandlung in der organischen Materie erzeugen, wodurch die Materie nicht etwa unmittelbar integrirt wird und an Kraft gewinnt, sondern ein in der Zusammensetzung der Materie befindliches materielles Hinderniss zu gesunden Actionen oder ein Reiz zu kranken Actionen entfernt wird, oder die Organe so chemisch ver\u00e4ndert werden, dass sie von einem krankhaften Reiz nicht mehr afficirt werden; oder, weil die Materie so ver\u00e4ndert wird, dass gewisse zu f\u00fcrchtende materielle Ver\u00e4nderungen und Zersetzungen nicht mehr m\u00f6glich werden (wie bei dem entz\u00fcndungswidrigen Verfahren); oder endlich, weil sie die Beschaffenheit der Nahrungss\u00e4fte ver\u00e4ndern. Eine grosse Menge wichtiger Mil lei geh\u00f6ren unter die Alteraruicn. Der Arzt kann damit keine krankhaft zusammengesetzten Organe chemisch zu gesunden mu","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkungsart der Arzneistoffe.\n61\nsondern nur durch eine gelinde chemische Umwandlung 1 Antrieb gehen, dass die Natur selbst durch die unersch\u00f6pfte O eile der best\u00e4ndigen \u2019Wiedererzeugung die nat\u00fcrliche Zusamensetzung wiederherstellt. Diese Mittel bieten wieder den Haupt-W terschied dar, ob sie in dieser Art mehr auf das Nervensystem, ''der auf die \u00fcbrigen vom Nervensystem abh\u00e4ngigen Organe wir-? In der ersten Hinsicht sind die wichtigsten Alterantien die Genannten Narkotica, in letzterer die grosse Menge der Arznei-S\u00b0iUel' die auf die Ver\u00e4nderungen der Materie in den \u00fcbrigen Organen wirken. Auch diese Mittel werden mittelbar, indem sie die Hindernisse zur Heilung entfernen, zu belebenden Reizen, so wie ihre Anwendung seihst auch durch Ver\u00e4nderungen des Gleichgewichtes Reizungssymptome bewirken kann. Werden diese Mittel unangemessen angewandt, so wirken sie entweder als heterogene Reize nachtheilig, oder indem sie schnell zersetzen, mit der Zersetzung die organische Kraft aufheben, wie die Narkotica. Da nun aber alterirende Mittel ganz verschieden nach ihrer Zusammensetzung in die Zusammensetzung der Organe eingreifen, so kann ein Stoff seine Wirkung durch S\u00e4ttigung verlieren und keine Ver\u00e4nderungen mehr hervorbringen , w\u00e4hrend sie ein anderer noch hervorbringt. Eine grosse Menge der F\u00e4lle, welche zu den Erscheinungen der Angew\u00f6hnung geh\u00f6ren, sind hieher zu rechnen. Auch die Anwendung der Arzneien zeigt unz\u00e4hlige-mal die Best\u00e4tigung davon. Die Organe haben durch ein chemisch die Zusammensetzung ver\u00e4nderndes, alterirendes Mittel eine solche Ver\u00e4nderung erlitten, dass dieser Stoff nicht mehr dieselbe Affinit\u00e4t von Seite des Organismus gegen sich vorfindet, w\u00e4hrend sie ein anderer Stoff noch haben kann. Auch imponderable Materien wirken auf diese Art alterirend: das Auge wird f\u00fcr die gr\u00fcne Farbe, die es lange ansieht, immer unempfindlicher, das Gr\u00fcne wird immer schmutziger und grauer. Zu dieser Zeit ist aber die Empfindlichkeit des Auges f\u00fcr Roth am gr\u00f6ssten, dagegen langes Ansehen von Roth f\u00fcr Gr\u00fcn empf\u00e4nglich macht. So mindert langes Betrachten eines gelben Feldes die Empfindlichkeit f\u00fcr Gelb, und steigert die f\u00fcr Violett und umgekehrt; langes Ansehen von Blau steigert die f\u00fcr Orange, und umgekehrt w\u00e4hrend die lange fixirte Farbe selbst immer schmutziger gesehen wird.\n111. Zersetzende Mittel. Hieher sind diejenigen Einfl\u00fcsse zu rechnen, welche, ohne erst zu reizen oder eine unsch\u00e4dliche Alteration zu bewirken, sogleich die organisirten Theile zersetzen. Es geh\u00f6ren hieher theils Einfl\u00fcsse, welche im gelinden Grade der Einwirkung reizend, aber durch st\u00e4rkere Einwirkung den Zustand der Kr\u00e4fte zu wesentlich st\u00f6ren, wie W\u00e4rme, Elektrici-fat u. s. w., theils Alterantia, die im hohem Grade von Einwirkung die Zusammensetzung heftig ver\u00e4ndern, indem sie mit einer Gewalt der Wirkung, Combinationen mit organischen Stoffen erzeugen, welcher die organische Kraft das Gleichgewicht nicht 2U halten vermag, wie die Alterantia narcotica auf diese Art zu versetzenden Stoffen werden, und die Alterantia, welche in die ddung und Umwandlung der organischen S\u00e4fte eingreifen, z. B.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nProlegomena. 3. Thier- Organismus.\nAntimonialia, Mercurialia, Minerals\u00e4uren, Alkalien hei dem heftig, sten Grade ihrer Einwirkung im concentrirten Zustande ehen so zersetzend werden. Die Reize k\u00f6nnen auf doppelte Art desor-ganisiren. Erstens k\u00f6nnen sie nur in einem gewissen Grade Reize seyn, hei h\u00f6herem Grade der Einwirkung, statt selbst zu integriren, oder die Integration durch Erregung neuer Affinit\u00e4ten zu bef\u00f6rdern, sogleich die Zusammensetzung wesentlich ver\u00e4ndern. Dann geht dem \u00f6rtlichen oder allgemeinen Tode gar keine Reizung mehr voraus, sondern die Zersetzung erfolgt unmittelbar, wie bei dem Tode durch Elektricit\u00e4t, Blitz u s. w. Oder ein an sich bedingter Weise integrirender Reiz setzt ein Organ zu lange in Th\u00e4tigkeit, so dass nach den Gesetzen der Erregung in einer gewissen Zeit mehr Kraft unwirksam wird, als in eben so viel Zeit Ruhe wieder wirksam werden kann. Dieses nennt man Ueberreizen. Ein Organ wird dabei fortdauernd schw\u00e4cher, wie bei der Ueberreizung des Auges durch das Licht. Die Arzneikunde macht von zersetzender Wirkung der Stoffe nur Gebrauch, wenn sie wirklich zerst\u00f6ren will.\nJohn Brown, als er in den Elementa medicinae durch Entdek-kung einiger Gesetze der Reizbarkeit den ersten Schimmer eines wissenschaftlichen Systems der Medicin in einer noch rohen, fur die Anwendung gef\u00e4hrlichen Gestalt gab, kannte so wenig als seine Nachfolger in der Erregungstheorie die durch die Alteran-tien verursachte Wirkung. Nach der BiiowN\u2019schen Theorie giebt es keine Ver\u00e4nderung der erregbaren Kr\u00e4fte ohne vorausgegangene Erregung, und die Erregbarkeit sollte mit dem Leben nur durch Ueberreizung ersch\u00f6pft werden k\u00f6nnen. Die Brownianer mussten behaupten, \u00fcberall, wo eine Einwirkung ersch\u00f6pft, ging eine absolute Ueberreizung voraus. Sie f\u00fchrten als Beweise f\u00fcr diese Behauptung an, dass gewisse Stoffe, die in geringem Maasse angewandt einigermaassen reizen, in grosserem Maasse eine ganz andere Wirkung, und im gr\u00f6ssten Maasse Ersch\u00f6pfung hervorbringen, wie z. B. Opium. Im letztem Falle, sagten sie, ist die Zeit der Reizung ausserordentlich klein und unmerklich. So erkl\u00e4rten sie auch die Wirkungen aller schnell schw\u00e4chenden Einfl\u00fcsse. Allein es giebt viele Stoffe, welche in kleinen Gaben schon schw\u00e4cher diese zersetzenden Wirkungen hervorbringen, wie irrespirable Gasarten, das Viperngift u. s. w. Die Contrastimulisten Rasori , Borda, Brera, Tommasini haben diesen Fehlgriff von Brown und seinen Nachfolgern aufgegriffen, und die Stoffe, welche statt zu reizen, gleichsam das Gegentheil davon thun, n\u00e4mlich die F\u00e4higkeit gereizt zu werden vermindern, Contrast, imulan-tien genannt, so dass sie ihre Arzneien in Stimulantien und Contrast imulantien eingetheilt haben ; allein obgleich sie einen grossen Missgriff von Brown eingesehen, so haben sie doch die\" alteri-rende Wirkung so vieler Arzneimittel, die oben festgestellt worden ist, nicht erkannt.\nDie Unterscheidungen von Brown beruhen auf einer ganz einseitigen Anwendung einiger wohlgegr\u00fcndeten Facta von der Reizbarkeit, und auf einer Vermengung der integrirenden Le-bensbedingungen oder der Lebensreize, Wasser, atmosph\u00e4rischer","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Verschiedenheit der Krankheiten.\n63\nft Nahrungsstoff, bestimmter W\u00e4rmegrade mit denjenigen Stof-\u2019 welche nur die Reaction der organischen Kr\u00e4fte und die\n^Cn indc Zusammensetzung ver\u00e4ndern, und insofern reizen, (\n\u00ab iutepi'iren. Ein narkotisches Mittel, d. h. ein Alterans Heroen? kann von Anfang bis zuletzt Symptome hervorbringen; ' dem es die Zusammensetzung ver\u00e4ndert, insofern wirkt es auf !\" Grundeigenschaft der organischen K\u00f6rper, von aussen, nach inneren Gesetzen bestimmt, oder wenn man will, gereizt zu werden- aber dieser Reiz ist kein Reizmittel im therapeutischen Sinne wo man darunter einen die Organe belebenden und ihre Zusammensetzung integrirenden Reiz versteht.\nJohn Bhown bat die Krankheiten in sthenische und asthenische eingetheilt. In den ersteren sollte die Lebenskraft vermehrt, in den \"letzteren vermindert seyn. Indessen ist die Krankheit, worin die Lebenskraft vermehrt ist, ein Widerspruch, und es giebt nur unendlich viele locale oder allgemeine Fehler in der Zusammensetzung der organisirten Theile, wobei die allgemeinen Kr\u00e4fte bald gleich von Anfang darniederliegen, oder im Anf\u00e4nge vorhanden, sp\u00e4ter abnehmen; daher ist die naturhistorische Ein-theilung der Krankheiten nach den afficirten Organsystemen und nach den naturhistorischen Krankheitsbildern die zweckm\u00e4ssigste. Man hat immer gern die Entz\u00fcndung als eine Krankheit mit vermehrter Lebenskraft angesehen; die Entz\u00fcndung ist eine Krankheit, wobei gewisse Erscheinungen verst\u00e4rkt sind, wie die W\u00e4rme; die Menge des Blutes in den kleinsten Gef\u00e4ssen ist gr\u00f6sser; andere Erscheinungen ver\u00e4ndert sie, w\u00e4hrend die Function eines Organes darniederliegt und die Empfindungen eine heftige Verletzung anzeigen. Durch eine Entz\u00fcndungsursache entsteht eine chemische Ver\u00e4nderung in der Zusammensetzung eines Organes, wir bringen sie auf diese Art durch chemische Agentien hervor. Hiedurch kann eine chemische Affinit\u00e4t, eine Anziehung zwischen dem Blut und der chemisch ver\u00e4nderten Substanz eines Organes entstehen. Diese Affinit\u00e4t kann gr\u00f6sser als im gesunden Zustande zwischen dem belebten Theile und dem Blute seyn. Ob nun aber diese verst\u00e4rkte Affinit\u00e4t zwischen Substanz und Blut in der Entz\u00fcndung bloss eine Verst\u00e4rkung der nat\u00fcrlichen organischen Anziehung ist, wie sie sich in gewissen gesunden Ph\u00e4nomenen wirklich verst\u00e4rkt, wie in allen Ph\u00e4nomenen der Turgescenz, oder ob diese Affinit\u00e4t wirklich verschieden ist von der lebendigen Anziehung, und mehr eine neu entstandene chemische Affinit\u00e4t zwischen der zersetzten Substanz und dem Blute ist, ist nicht mit Sicherheit auszumachen, Wenn aber auch diese ver-naehrte Affinit\u00e4t zwischen Blut und Substanz wirklich eine Ver-s Arkung der best\u00e4ndigen Wechselwirkung zwischen Blut und Sub-anz w\u00e4re, so ist die Entz\u00fcndung doch noch keine Krankheit \u00aelt vermehrter Lebenskraft, denn die Erscheinungen der Entz\u00fcn-^ung entstehen eben sowohl von dem vorhandenen Streben zur (je^S^ZunSi verursacht durch chemische Ver\u00e4nderung, als von Reaction der organischen Theile gegen diese Zersetzung. sond^16 *nn\u2018\u00a7e Wechselwirkung aller Theile des Organismus, be-ers durch Vermittelung des Nervensystems, bewirkt in dem\nohne\nder","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nthierischcn K\u00f6rper eine Art Statik der Kr\u00e4fte, wo eines aile \u00fcbrigen bestimmt; aucli eine auf einen Tlieit wirkende Krankheitsursache, indem sie Ver\u00e4nderungen ponderabler und iinponderabler Materien bewirkt, wirkt durch eine Kette von Ver\u00e4nderungen oft bis in entfernte Thcile, welche f\u00fcr diesen Krankheitseinfluss gerade am empf\u00e4nglichsten sind. Nicht allein, dass die Entziehung von Stoffen an einem Orte die Anh\u00e4ufung von \u00e4hnlichen oder un\u00e4hnlichen Stoffen an einem andern Ort verhindert, worauf die Anwendung der Ausleerungen in anderen Orten als dem leidenden beruhet. Die Vermehrung der organischen Th\u00e4tigkcit in einem Organ erregt viele andere Tlieile; so steht die Vermehrung der organischen Th\u00e4tigkeit in den Genitalien im Zusammenhang mit der Wiedererzeugung des Geweihes bei den Hirschen, mit der Ver\u00e4nderung vieler Organe bei dem Menschen, Ver\u00e4nderungen, welche dort wie hier die Castration aufhebt. Auch die integri-rende Reizung eines Theiles wirkt belebend auf das Ganze zur\u00fcck, namentlich von der Haut auf die Centralorgane des Nervensystem\u00bb durch die Nerven, wie man denn mit Erfolg Frictionen und andere Hautreize zur Wiederbelebung anwendet.\nIV. Ueber die den unorganischen und organischen K\u00f6rpern gemeinsamen Wirkungen.\nDie organischen K\u00f6rper theilen die allgemeinen Eigenschaften der ponderahlen Materie. Die Mechanik, Statik, Hydraulik finden auch hier ihre Anwendung. Mehrere Eigenschaften, welche organische Materien mit unorganischen gemein haben k\u00f6nnen, wie Coh\u00e4renz, Elasticit\u00e4t, u. s. w. entstehen aber nur unter dem fortw\u00e4hrenden Wirken der organischen Kraft zur Erzeugung einer gewissen Mischung, wie die elastische Arterienhaut ihre Elasticit\u00e4t einige Zeit nach dem Tode verliert. Dann ist die Anwendung der Mechanik, Statik, Hydraulik auf die organische Physik deswegen beschr\u00e4nkt, weil die organischen Ursachen der Bewegung hier am meisten interessiren. Auch die imponderablen Materien, Elek-tricit\u00e4t, W\u00e4rme, Licht, kommen in den organischen K\u00f6rpern zur Erscheinung. Mit diesen Wirkungen werden wir uns jetzt besonders besch\u00e4ftigen.\nI. Entwickelung von E1 e kt ri cit\u00e2t.\nFrictionselektricit\u00e4t kann bekanntlich vorz\u00fcglich an vielen K\u00f6rpern organischen Ursprungs entwickelt werden ; die galvanische oder Ber\u00fchrungs-Elektricit\u00e4t entsteht nicht bloss durch Contact von heterogenen Metallen; viele andere Materien (besonders Kohle, auch Graphit) k\u00f6nnen nach den Untersuchungen von A-v. IIumroldt und Pfaff die elektromotorischen Metalle ersetzen, und selbst verschiedene thierische Theile wirken in leitender Verbindung in sehw\u00e4cherm Grade \u00e4hnlich verschiedenen Metallen. Es w\u00fcrde daher eine ganz falsche Vorstellung seyn, wenn mau in den Eigenschaften der verschiedenen Metalle allein die Ursachen","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Elektricitiit. Elektrische Fische.\t65\nder galvanischen Elektricit\u00e4t suchen wollte. Seebeck, hat entdeckt, dass sogar homogene Metallstangen von verschiedener Temperatur an einander gelegt, galvanisch werden, dass eine einfache Metall-stan^e an beiden Enden verschieden erw\u00e4rmt, galvanische Elektri-cit\u00e4t erzeugt; so dass Ileterogeneit\u00e4t der Theile beim Contacte durch Spannung der in allen K\u00f6rpern vorhandenen elektrischen Materie in + E und \u2014E, oder Ver\u00e4nderung des Gleichgewichtes in der elektrischen Materie und leitende Verbindung die allgemeinsten Bedingungen zur Erzeugung des Galvanismus zu seyn scheinen. Unter diesen Umst\u00e4nden werden auch galvanische Erscheinungen an thierischen Theilen beobachtet. A. v. IIumboedt entdeckte, was ich \u00f6fter best\u00e4tigt gefunden habe, dass schwache Zuckungen in einem Froschschenkel erfolgen, wenn man einen Nerven und Muskel mit einem frischen St\u00fcck Muskelfleisch zugleich ber\u00fchrt. Diese Erscheinung geh\u00f6rt zwar zu den seltneren der galvanischen Versuche, ich kann jedoch ihre Richtigkeit best\u00e4tigen. Buntzen baute sogar eine schwache galvanische S\u00e4ule von abwechselnden Lagen von Muskelfleisch und Nerven. Nach Pr\u00e9vost und Dumas wirkt schon eine Kette von homogenem Metall, frischem Muskelfleisch und Salzwasser oder Blut auf das Galvanometer. Wenn man an die Conductoren des Galvanometers Platten von Platina befestigt und an die eine ein St\u00fcck Muskelfleisch von einigen Unzen bringt und die Conductoren in Blut oder eine Salzl\u00f6sung taucht, entsteht eine Deviation der Magnetnadel des Instrumentes. Eben so, wenn man an einen Conductor ein mit salzsaurem Antimon oder Salpeters\u00e4ure befeuchtetes St\u00fcck Platina, an den andern Conductor ein Fragment von Nerve, Muskel oder Gehirn bringt und beide ber\u00fchrt. Magendie Journal de Physiol. T. 3. Kaemtz (Schweigg. Journ. 56. 1.) hat ferner gezeigt, dass sich wirksame trockne S\u00e4ulen auch aus organischen K\u00f6rpern ohne alle Mitwirkung metallischer K\u00f6rper errichten lassen. Concen-trirte L\u00f6sungen von organischen K\u00f6rpern wurden auf d\u00fcnnes Papier aufgetragen und aus Scheiben dieses Papiers S\u00e4ulen aufgebaut, so dass zwei ungleichartige Schichten durch zwei Papierdicken getrennt waren; die Elektricit\u00e4t dieser S\u00e4ulen ward an einem Bohnenbergerschen Elektrometer gepr\u00fcft. So zeigten sich\npositiv\t\tnegativ\nNatron\tgegen\tHammeltalg.\nHefen\t\u2014\tRohrzucker.\nHefen\t\u2014\tKochsalz.\nHefen\t\u2014\tMilchzucker.\nLein\u00f6l\t\u2014\tZucker.\nLein\u00f6l\t\u2014\tweisses Wachs.\nSt\u00e4rkemehl\t\u2014\tGummi.\nGummi\t\u2014\tSalep.\nGummi\t\u2014\tTraganthschleim.\nGummi\t\u2014\tB\u00e4rlappsamen.\nEiweiss\t\u2014\tGummi.\nEiweiss\t\u2014\tOchsenblut.\nOchsenblut\t__\tBelladonnenextract.\nOchsenblut ysiologie. I.\t\u2014\tSt\u00e4rkemehl.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"fif)\nProlegomena. 4. Physikalische Erseheimmgen.\nDie elektrischen Fische sind nach diesen Pr\u00e4missen weniger wunderbar, obgleich ihre Entladungskraft nur w\u00e4hrend des Lebens und hei ungest\u00f6rtem Nerveneinfluss stattfindet. Die bekanntesten elektrischen Fische sind der Zitterrochen, Torpedo, wovon T. mar. morata und T. ocellata in den s\u00fcdlichen europ\u00e4ischen Meeren \u25a0Vorkommen, der Zitteraal, Gymnolus electricus, in mehreren Fl\u00fcssen von S\u00fcdamerika, der Zitterwels, Silurus electricus seu Malapte, rurus electricus, im Nil und im Senegal. Weniger bekannt sind Rhinobatus electricus, Triebiurus electricus undTctrodon electricus. Zur Eenntniss der elektrischen Fische haben am meisten Walsij, Fahlenberg, Gay-Lussac und v. Humboldt beigetragen. Die elektrischen Organe der Zitterrochen liegen zu beiden Seiten des Kopfes und der Kiemen, und bestehen aus neben einander stehenden 5\u2014 fiseiligen Prismen, welche die ganze Dicke des Fisches an jenen Stellen einnehmen. Jedes Prisma bildet eine mit Nerven und Ge-f\u00e4ssen umgebene R\u00f6hre mit d\u00fcnnh\u00e4utigen W\u00e4nden, in der eine grosse Menge (150) \u00fcberaus d\u00fcnner, parallel auf einander geschichteter Querplatten mit einer zwischen allen verbreiteten gallertartigen Fl\u00fcssigkeit liegen. Zu diesen Organen gehen |ederseits drei starke Nerven, vom N. vagus, welche vorher Zweige den Kiemen abgeben. Auch ein Ast vom N. quintus verbreitet sich in den vordem Tbeil des Organes. Hunter Philos, transact. 177-1. p. 2. tab. 20. Die Organe des Zitteraals und Zitterwelses liegen nach Rudolpui\u2019s genauen Untersuchungen zu beiden Seiten vom Kopf bis zum Schwanz und sind jederseits doppelt, ein oberfl\u00e4chliches und ein tieferes; beide sind durch eine Scheidewand, bei Gyrnnotus seitlich auch von Muskeln getrennt. Bei Gyrnnotus electricus bestehen die Organe aus horizontalen, in der L\u00e4nge des Fisches ausgespannten H\u00e4uten von 1 Lin. Distanz, zwischen denen von innen nach aussen gerichtete , senkrechte Scheidew\u00e4nde sich befinden, in deren Zwischenr\u00e4umen Fl\u00fcssigkeit ist. Das kleinere tiefere Organ ist noch feiner getheilt. Die Nerven des Organes sind 224 Intercostalnerven, die an der innern Seite des Organes hinabgehen und sich in alle Lagen zertheilen, w\u00e4hrend feinere Enden der Intercostalnerven unter dem kleinen Organ an die Haut des Fisches gehen. Ein Nerve, der durch Zweige vom 'Nt quintus und N. vagus zusammengesetzt wird, geht oberfl\u00e4chlich, ohne sich in dem Organe zu vertheilen, in die R\u00fcckenmuskeln. Rudolpiii in den Abhandlungen der Academie von Berlin 1820 \u2014 1821. p. 229. tab. I. II.\nBei dem Zitterwels giebt es, wie Rudolphi gezeigt hat, auch jederseits zwei elektrische Organe, die ich nach Rudolphi und nach eigener Anschauung dieser Theile beschreibe. Beide sind durch eine aponeurotische Haut getrennt, das \u00e4ussere liegt oberfl\u00e4chlich unter dem corium, das innere \u00fcber der Muskelschicht; die Nerven des \u00e4usseren kommen vom N. vagus, der unter der aponeurosis intermedia hergeht, aber diese mit seinen Zweigen duchbohrt, um in das \u00e4ussere Organ zu gehen; die Nerven des innern Organes kommen von den Intercostalnerven und sind \u00e4us-serst fein. Das \u00e4ussere Organ besteht aus sehr kleinen rautenf\u00f6rmigen Zellen, die man mit der Loupe betrachten muss, das","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Elektricit\u00fct. Elektrische Fische.\n67\ninnere scheint auch aus Zellen zu bestehen. Rudolpiii nennt die Substanz des inncrn Organes flockig. Rudolpiii in Abhandlungen der Academie zu Berlin i 824.\nDie Wirkungen der elektrischen Fische auf thierische Wesen gleichen ganz den elektrischen Entladungen. Die Ersch\u00fctterung des Zitterrochens reicht bei der Ber\u00fchrung mit der Hand bis zum Oberarme, die Zitteraale verm\u00f6gen dagegen selbst Pferde zu bek\u00e4mpfen und zu schw\u00e4chen, was A. v. Humboldt so sch\u00f6n in seinen Ansichten der JSatur beschrieben hat. Es steht fest, dass sowohl beim Zitterrochen als beim Zitteraal, welche bisher allein in Hinsicht der Wirkungen n\u00e4her untersucht sind, die Isolatoren der Elektricit\u00e4t die elektrische Kraft der Organe aufhalten, und die Conductoren, wie Metall, Wasser, sie leiten, dass sich die Entladung durch eine Kette von Personen fortpflanzt, wenn die \u00e4ussersten Glieder den Fisch ber\u00fchren. Walsii hat sogar beim Zitteraal elektrische Funken entlockt, indem er den Schlag durch einen auf eine Glasscheibe geklebten und in der Mitte durchschnittenen Staniolstreifen leitete; er sah mit Pringle, Magellan und Jngenhouss den Funken von der einen H\u00e4lfte des Streifens zur andern \u00fcberspringen. Journ. de phys. 1776. Oct. 331. Faiilenbf.bg hat diesen Versuch mit gleichem Erfolge wiederholt, indem der Fisch sich in der Luft befand. Vetensk. Acad. nya handling. 1801. 2. p. 122. Linari und Matteuci ist es neulich selbst beim Zitterrochen gelungen, einen Funken zu erhalten. A., institut. 167. Sie wandten bei ihren Versuchen Spiralen von 300\t577 Meter L\u00e4nge des Kupferdraths an. Im Innern einer\noder zweier der Spiralen befand sich eine Stange von weichem Lisen. Die Enden der Windungen waren in Linari\u2019s Versuchen an zwei Silberschienen befestigt, welche mit dem Bauch und ucken des Fisches in Verbindung gebracht wurden. Der Dratli, we eher die letzte Windung der Spirale mit einer der Silberne lenen verband, war unterbrochen und die Drathenden in Miecksilber gestaucht. Beim Herausheben und Wiedereinsenken s JJraths im Quecksilber sprang der Funke \u00fcber, wenn das llep Zl!a^c'ch mit den Silberschienen gerieben wurde.\nLs ist fr\u00fcher niemals gelungen eine Reaction auf das Elck-d'un*10^1' ZU erlanSen- J- Davy war der Erste, der bei Anwen-S \u00fces Galvanometers auf den Zitterrochen einen entschiede-auch Dr folg beobachtete. Philos. Transact. 1834. p. 2. Er bat stellt P' ^ers,,c^e \u00fcber die Wasserzersetzung mit Erfolg ange-wie j ner \u00fcer feinsten Reagentien f\u00fcr die Elektricit\u00e4t ist liier St\u00e4 l t,C- sot,st eine gelatin\u00f6se Masse, die man durch Zusatz von\ne ln Pulver zu einer ges\u00e4ttigten oder fast ges\u00e4ttigten Solu-pfer V\u00b0n ^0c^alium erh\u00e4lt. Eine einfache Combination von Ku-ser y Un^ Zinkdrath und sehr verd\u00fcnnter S\u00e4ure bewirkt in die\u2014\n\u25a0jU.sammensetzung e'ne Pr\u00e4cipitation von Jodst\u00e4rkmehl.\nlutenrilT ^Vla^ c^er Entladung ist ganz willk\u00fchrlich und an die\nc^er Nerven I ektriscben Fischen lan\u00a7e Sch\njener Organe gekn\u00fcpft. Man kann den das Herz ausschneiden, und sie k\u00f6nnen noch oder\tausPieden, aber mit der Zerst\u00f6rung des Gehirns\nurchschneidung jener Nerven h\u00f6rt das Verm\u00f6gen der Ent-\n5 *","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nladung auf; die Zerst\u00f6rung des elektrischen Organes einer Seite liebt die Wirkung des andern nicht auf. Auch ist es von allen Beobachtern anerkannt, dass die Entladung nicht hei jeder Ber\u00fchrung erfolgt, sondern von der Wiilkiihr des Fisches abh\u00e4ngt, so dass man ihn oft erst reizen muss, oder dass, wenn v. Humboldt und Bo\u00efsi\u2019lakd den Fisch an Kopf und Schwanz anfassten, nicht immer sogleich der Schlag erfolgte und auch nicht immer beide den Schlag erhielten. Hieraus scheint hervorzugehen, dass die elektrischen Fische selbst die Richtung der Entladung bestimmen k\u00f6nnen. Zuweilen str\u00e4ubt sich das Thier bei Qu\u00e4lereien, ohne Schl\u00e4ge zu ertheilen. Die Schl\u00e4ge scheint es selbst kaum zu empfinden. Beim Zitteraal bemerkt man bei der Ersch\u00fctterung gar keine Bewegung, beim Zitterrochen nur eine geringe Bewegung der Brustflossen ; dagegen sind die elektrischen Fische in Wunden f\u00fcr den k\u00fcnstlichen galvanischen Reiz vollkommen sensibel. Anderseits erleiden Zitteraale, indem sie den Schlag eines andern leiten, keine krampfhaften Bewegungen, wie v. Humboldt gesehen.\nDer elektrische Schlag wird f\u00fchlbar, wenn das Thier zu dessen Frtheilung geneigt ist, sey es nun, dass man mit einem einzelnen Finger nur eine einzige Oberfl\u00e4che der Organe ber\u00fchre, oder dass man mit beiden H\u00e4nden seine beiden Oberfl\u00e4chen oben und unten anfasse. ln beiden F\u00e4llen ist es gleichg\u00fcltig, ob die Person, welche den Fisch ber\u00fchrt, isolirt sey oder nicht, v. Humboldt. In vielen Punkten stimmen nun Zitterrochen und Zitteraal \u00fcberein, in einigen weichen sie ah. Gay-Lussac und v. Humboldt haben dar\u00fcber sehr sch\u00f6ne Aufschl\u00fcsse gegeben. Wenn eine Person den Zitterrochen mit einem einzigen Finger ber\u00fchrt, so erfolgt die Entladung, die Person mag isolirt seyn oder nicht. Wenn sie aber isolirt ist, so muss die Ber\u00fchrung unmittelbar seyn. Man ber\u00fchrt den Zitterrochen mit Metall ohne Erfolg, w\u00e4hrend der Zitteraal seine St\u00f6sse durch das Mittel eines mehrere Fuss langen Eisenstabes ertheilt. Wird ein Zitterrochen auf eine ganz d\u00fcnne Metallscheibe gelegt, so f\u00fchlt die Hand, w\u2019elche die Scheibe h\u00e4lt, niemals eine Ersch\u00fctterung, wenn gleich eine zweite isolirte Person das Thier reizt, und obschon die krampfhaften Bewegungen der Brustflossen sehr starke Entladungen dar-thun. Wird hingegen der auf der Metallscheibe liegende Zitterrochen, wie vorher, von Jemand mit der einen Hand gehalten, mit der andern Hand an der obern Fl\u00e4che ber\u00fchrt, so wird alsdann eine kr\u00e4ftige Ersch\u00fctterung in beiden Armen versp\u00fcrt. Die Empfindung ist die n\u00e4mliche, wofern der Fisch sich zwischen zwei Metallscheiben befindet, deren R\u00e4nder sich einander nicht ber\u00fchren, und wenn alsdann beide H\u00e4nde gleichzeitig an diese Scheiben gelegt werden. Wenn aber die R\u00e4nder beider Metallscheiben sich ber\u00fchren, so h\u00f6rt jede Ersch\u00fctterung auf, die Kette zwischen beiden Oberfl\u00e4chen des elektrischen Organes wird alsdann durch die Scheiben gebildet, und die neue Verbindung, welche durch Ber\u00fchrung beider H\u00e4nde mit den Scheiben zu Stande kommt, bleibt ohne Wirkung.\nUngeschw\u00e4chte elektrische Fische wirken gleich stark unter","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Eleklricit\u00fct. Elektrische Fische.\n69\ndem Wasser und in der Luft. Bilden mehrere Personen die Kette zwischen der obern und untern Fl\u00e4che des Fisches, so wird die Ersch\u00fctterung nur dann f\u00fchlbar, wenn jene Personen sich die H\u00e4nde benetzt haben. Die Wirkung wird dagegen nicht unterbrochen, wenn zwei Personen, die mit ihren rechten H\u00e4nden den Zitterrochen halten, statt sich mit der linken zu fassen, jede ein metallenes St\u00e4bchen in einem auf einem isolirten K\u00f6rper befindlichen Wassertropfen einsenken. Gay-Lussac et Humboldt, ann. de chemie 65. 15. A. v. Humboldt\u2019s Reise in die Ae<iuinoctiaL \u201eegenden des neuen Continents. 3. Theil. p. 295\u2014324. Treviranus Riol. 5. 144-180.\nSchon J. Davy beobachtete ein elektrisch verschiedenes Verhalten der Oberfl\u00e4chen der elektrischen Organe des Zitterrochen. Dasselbe fanden Linari und Matteuci. Die Richtung der Str\u00f6mung ist durchgehends vom R\u00fccken nach der untern Bauchgegend, und der R\u00fccken l\u00e4sst sich als der positive, der Untertheil des Bauches als der negative Pol des Organes betrachten. Ber\u00fchren die Dr\u00e4the des Galvanometers R\u00fccken und Bauch zugleich, so tritt keine Abweichung der Nadel ein.\nSpallanzani wollte bemerkt haben, dass der Zitterrochen seine elektrische Kraft durch Abziehen der Haut verliere. Nach Matteuci wird die F\u00e4higkeit zu Entladungen nur dadurch geschw\u00e4cht. Die Entladungen erfolgen sogar noch, wenn Scheiben von dem Organ weggeschnitten worden.\nEigentliche physiologische Versuche an den Nerven der elektrischen Fische sind noch wenig angestellt worden. Als das Gehirn eines Zitterrochens der L\u00e4nge nach getheilt wurde, beobachtete Davy noch fortdauernde Schl\u00e4ge, diese h\u00f6rten aber auf, als das Gehirn herausgenommen war, auch wurde kein Schlag erhalten, als Davy mit einem scharfen Instrument die elektrischen Nerven reizte. Einmal, als ein kleines St\u00fcck Gehirn zuf\u00e4llig \u00fcbrig gelassen war, das mit den elektrischen Nerven an der einen Seite zusammenhing, gab der Fisch bei der Reizung einen Schlag. Nach Matteuci nimmt die Intensit\u00e4t des Schlags ab, wenn man die Zahl der zu dem Organ gehenden Nervenl'\u00e4den vermindert; nach der Durchschneidung s\u00e4mmtlicher Nerven des Organes h\u00f6rt die Entladung auf. Der Tod des Fisches von Morphium ist von starken Schl\u00e4gen und Convulsionen begleitet. Hat der Zitterrochen aufgeh\u00f6rt auf Reizung Schl\u00e4ge zu crtheilen und ber\u00fchrt man dann die Stelle des Gehirns, wovon die Nerven der elektrischen Organe abgehen, so erh\u00e4lt man st\u00e4rkere Schl\u00e4ge als gew\u00f6hnlich. Matteuci schliesst aus diesen Thatsachen, dass die Elektricit\u00e4t des Zitterrochens sich nicht in den Organen erzeugt, dass die Str\u00f6mung ihre Richtung von dem Gehirn erh\u00e4lt und dass die Elektricit\u00e4t in dem Apparate nur verst\u00e4rkt wird, wie in einer Leidner Flasche oder secund\u00e4ren S\u00e4ule. Dies erscheint j?lr mdess keineswegs aus den Beobachtungen zu folgen. Denn ann m\u00fcssten sich nach Entfernung der elektrischen Organe noch vom Gehirn aus elektrische Str\u00f6me erregen und naclrwei-sen lassen. Das Gehirn kann durch Erregung eines heterogenen c enuschen Zustandes in den Organen diese laden, oder wenn","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nProlegomena, 4. Physikalische Erscheinungen,\nsie an und f\u00fcr sich durch sich seihst geladen werden, die Entladung bewirken.\nDie elektrischen Erscheinungen der elektromotorischen Fische sind durch besondere Apparate bewerkstelligt. Ob aber sonst irri Thierreich und beim Menschen durch die gew\u00f6hnlichen organischen Th\u00e4tigkeiten sich Elektricit\u00e4t entwickele, ist eine andere Frage. Elektrische Materie ist im Zustande des Gleichgewichtes von -J-E \u2014E in allen K\u00f6rpern und lasst sich durch Contact auch in den lebenden Fr\u00f6schen in -J-E und \u2014E trennen, d. h. zur Erscheinung bringen. Im Fr\u00fchjahre vor der Begattung besitzen die Fr\u00f6sche eine ausserordentliche Pieizbarkeit f\u00fcr das galvanische Fluidum und dann erh\u00e4lt man am Leiclitesten folgende von mir beobachtete Ph\u00e4nomene. Man nehme einen auf die gew\u00f6hnliche Weise pr\u00e4parirten Froschschenkel, lege ihn auf eine Glasplatte. Wenn man in die eine Hand eine Zinkplatte nimmt und mit dieser Platte den Nerven ber\u00fchrt, w\u00e4hrend ein Finger der andern Hand den Froschschenkel ber\u00fchrt, so entsteht jedesmal eine starke Zuk-kung; mit einer Kupferplatte geht es auch, aber schw\u00e4cher. Legte ich den Nerven des Schenkels auf eine Zinkplatte und verband Nerven und Schenkelmuskeln durch ein St\u00fcck von einem Frosch, so entstand jedesmal auch eine Zuckung. Diess ,geschah sogar, wenn die Zinkplatte, worauf der Nerve der Schenkelmuskeln lag, der Oberfl\u00e4che des Schenkels gen\u00e4hert wurde. Endlich bewirkte ich an einem blossen Unterschenkel mit heraush\u00e4ngendem Stamm des Schenkelnerven selbst Zuckung, wenn ich den Nerven mit' einem isolirenden St\u00e4bchen dem Unterschenkel n\u00e4herte und mit dem Nerven die nasse Oberhaut des Unterschenkels ber\u00fchrte. Auch erfolgte eine Zuckung, wenn ich den Nerven vom Unterschenkel wieder abzog. Dieser Versuch, der auch v. Humboldt schon einmal in anderer Art gelang, ist iiusserst merkw\u00fcrdig, und der einfachste galvanische Versuch, den man an einem Frosche machen kann. Es ist gar kein Metall dazu nothwendig; der Unterschenkel mit heraush\u00e4ngendem Schenkeinerven muss aber auf einer Glasplatte liegen. Man hebt den Nerven auf einem Federkiel sanft auf und ber\u00fchrt mit dem Nerven nur den Unterschenkel, den Nerven zur\u00fcckbeugend, so erfolgt zuweilen eine Zuk-kung. Complicirter ist der von mir angestellte Versuch, dass man zwischen dem Nerven des pr\u00e4parirten Froschschenkels und dem' Unterschenkel die Kette schliesst durch zwei lebende Fr\u00f6sche oder zwei Froschbeine; ja selbst St\u00fccke von einem todten faulenden Frosche sind zur Schliessung der Kette hinreichend. Legt man den Schenkelnerven, der am Unterschenkel heraush\u00e4ngt, in ein Sch\u00e4lchen mit Blut oder mit Wasser (gleichviel) und verbindet das Wasser und die Oberschenkelmuskeln mit einem Kupfer\u2014 drath, so entsteht auch wieder eine Zuckung, eben so gut, wie wenn man den Nerven selbst und den Oberschenkel durch einen Kupferdrath oder durch ein St\u00fcck frisches oder faules Muskelfleisch verbindet. Als,-ich zuerst die Zuckung gesehen hatte, wenn ich mit meinem eigenen K\u00f6rper die Kette zwischen dem auf einer Zinkplatte liegenden Nerven und dem Unterschenkel schloss, glaubte ich, dass diu Elehlricil\u00e4l meines eigenen K\u00f6rpers","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Elektrische Erscheinungen heim Frosch und beim Menschen. 71\ns Ph\u00e4nomen bewirke; davon kam ich aber sogleich zur\u00fcck, I Sjch sah, dass ein todler Frosch, ein St\u00fcck faules Muskel-\u00ae S. \u25a0 dasselbe that, und als ich mit Kupferdrath und Wasser j. kette zwischen Nerv. ischiadicus und Oberschenkelmuskeln 'hl-essend schon eine Zuckung bewirkte. Endlich beweist der Versuch, wo ich (fast wie v. Humboldt) durch blosses Umbeugen des Nerven gegen den noch mit der Oberhaut versehenen Unterschenkel Zuckung bewirkte, ohne Zwischenst\u00fcck von Metall oder Muskelfleisch, dass zum einfachsten elektrischen Ph\u00e4nomen an Fr\u00f6schen und Theilen eines Frosches bloss gegenseitige Ber\u00fchrung des anderseits organisch zusammenh\u00e4ngenden Nerven und Muskels n\u00f6tliig ist, und dass das Ph\u00e4nomen durch Zwischenglieder von Metall, Muskelst\u00fccken (faul oder frisch), nur verst\u00e4rkt wird. Entweder entsteht nun in den lebenden K\u00f6rpern freie Elektricit\u00e4t durch den Lebensprocess, die nach ihrer Ver-theilung heim Contact gewisser Theile \u00fcberstr\u00f6mt und Zuckungen hervorruft, oder es entsteht bloss durch die chemische Heterogenit\u00e4t von Nerven und Muskeln eine elektrische Spannung, welche bei der kettenartigen Verbindung ins Gleichgewicht gesetzt wird und die Zuckung bewirkt. Alle die beschriebenen Ph\u00e4nomene gelingen nur vor der Begattungszeit, entweder wegen gr\u00f6sserer Reizbarkeit, oder wegen wirklich st\u00e4rkerer Elektricit\u00e4tsanh\u00e4ufung.\nAus allen vorher angef\u00fchrten Beobachtungen geht nun hervor, dass die in den thierischen K\u00f6rpern im Tode wie im Lehen der Thiere, gleichwie in allen andern K\u00f6rpern, befindliche elektrische Materie unter gewissen Umst\u00e4nden in Spannung tritt oder in + E und \u2014 E zerlegt wird. Die Entladung entsteht am Froschschenkel sogleich Hei der Schliessung der Kette zwischen den verschieden geladenen Muskeln und Nerven. Der Froschschenkel ist aber in diesem Falle selbst das feinste Elektrometer, indem die in ihm seihst entwickelte Elektricit\u00e4t auch die Zuk-kung desselben bewirkt. Ob die verschiedene elektrische Ladung von einerseits organisch verbundenen, anderseits \u00e4usserlich getrennten Muskeln und Nerven des Froschschenkels, eine Folge des Lebensproeesses ist, oder bloss eine hier wie \u00fcberall durch die chemische Heterogenit\u00e4t der Stoffe bewirkte elektrische Spannung der vorher ruhend vorhandenen elektrischen Materie ist, und ob daher selbst ein todter Nerve und Muskel noch sich in diese elektrische Spannung versetzen, l\u00e4sst sich nicht ausmachen; denn der todte Froschschenkel zeigt wegen des Verlustes der Zusammenziehungskraft der Muskeln nicht mehr die elektrische Spannung an, wenn sie auch in ihnen vorhanden w\u00e4re. Es ist \u00fcber eine den Lebensprocess begleitende Elektricit\u00e4tserregung v|el Fabelhaftes vorgebracht worden. Die Wahrheit ist, dass elektrische Erscheinungen ohne Friction in thierischen K\u00f6rpern nur sehr schwach sich \u00e4ussern, obgleich die mannigfaltigen Stoff-Umwandlungen nicht ohne einige Elektricit\u00e4tseutwickelung vorge-. f0 zu k\u00f6nnen scheinen. Das einzige, was man vom Menschen Her\u00fcber Thats\u00e4chliehes hat, sind die Untersuchungen von Pfaff U. Aureus, Meckel\u2019s Archiv 3. Hit. Die Versuche wurden mit Cl|iern Goldblattelektromcter ungeteilt, nachdem die Personen","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nsich auf ein Isolatorium begehen. Die Collectorplatte des auf das Elektrometer aufgeschrauhten Condensators wurde von der Person ber\u00fchrt, die obere Platte desselben war mit dem Erdboden in leitender Verbindung. Die Resultate sind:\n1- ln der Regel ist die eigenth\u00fcinliche Elektricit\u00e4t des Menschen im gesunden Zustande positiv.\n2.\tSelten \u00fcbersteigt sie an Intensit\u00e4t die Elektricit\u00e4t, welche das mit dem Erdboden in leitender Verbindung stehende Kupfer mit dem Zink hervorbringt.\n3.\tReizbare Menschen von sanguinischem Temperament haben mehr freie Electricit\u00e4t als tr\u00e4ge von phlegmatischem Temperament.\n4.\tDes Abends ist die Menge der Elektricit\u00e4t gr\u00f6sser als zu den anderen Tageszeiten.\n5.\tGeistige Getr\u00e4nke vermehren die Menge der Elektricit\u00e4t.\n6.\tDie Weiber sind \u00f6fter als die M\u00e4nner negativ elektrisch, doch ohne bestimmte Regel. Gardini hatte zur Zeit der Menstruation wie auch w\u00e4hrend der Schwangerschaft negative Elek-tricil\u00e4t gefunden.\n1\u2022 J\u2122 Vinter sehr durchk\u00e4ltete K\u00f6rper zeigen erst keine Elektricit\u00e4t, die aber allm\u00e4hlig mit der Erw\u00e4rmung zum Vorschein kommt.\n8.\tAuch der ganz nackte K\u00f6rper, so wie jeder Theil des K\u00f6rpers, zeigt dieselben Ph\u00e4nomene.\n9.\tW\u00e4hrend der Dauer rheumatischer Krankheiten scheint die Elektricit\u00e4t auf \u00fc zu sinken und so wie die Krankheit weicht, wieder zum Vorschein zu kommen, v. Humboldt (\u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. I. p. 159) batte bemerkt, dass Rheumatische fiir den schwachen Strom der einfachen galvanischen Kette isolirend seyen.\nDass manche Lebensactionen durch Elektricit\u00e4t ei zeugt werden sollen, besonders die Nervenacticn, und dass elektrische Str\u00f6me im thierischen K\u00f6rper circuliren, davon bat man viel gedichtet. Nichts dieser Art ist erwiesen. Person (Magendie Juurn. de Physiol. 10. 216.) so wenig als ich haben je mit dem empfindlichsten Elektrometer Str\u00f6mungen in den Nerven wahrgenommen. Dar\u00fcber werde ich ausf\u00fchrlicher bei den Nerven handeln. Pouillet glaubte bei der Acupunciur elektrische Str\u00f6mungen an den eingestochenen Nadeln zu erkennen, hat aber selbst seine T\u00e4uschung anerkannt. (Magendie .7. d. Ph. 5. p. 5.) Hatte er in einen gesunden oder kranken Theil eine Stahlnadel eingestochen und eine andere Nadel in den Mund genommen, und brachte er nun die Conductoren des Galvanometers mit beiden Nadeln in Verbindung, so bemerkte er mehrmals kurze Zeit nachher Schwankungen der Magnetnadel des Instrumentes, was ich bei Wiederholung des Versuchs nicht, fand. Pouillet kam aber auf den Gedanken, dass die Elektricit\u00e4t von der Oxydation der eingestochenen Nadeln herr\u00fchre, wie denn ein sehr empfindliches Galvanometer schon die Oxydation von Metall anzeigt. In der That trat keine Spur von Schwankung ein, als statt der Stahlnadeln Nadeln von Metall genommen wurden, das sich nicht leicht oxy-","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Elektricit\u00e4t. Hypothese oon der thierischen Elektricit\u00fct. 73\ndirt Gold, Platin, Silber. In jenem Falle kann auch die Schwan-j,un\u20190. ,jer Nadel durch Thermoelektricit\u00e4t veranlasst seyn, insofern\u201d das eine Ende der Nadeln durch thierische Theile erw\u00e4rmt war weil nach Seebeck\u2019s Entdeckung schon eine einfache Metallstange durch verschiedene Erw\u00e4rmung an beiden Enden galvanisch wird. Neulich hat Donn\u00e9 mittelst eines sehr empfindlichen Galvanometers wirklich eine elektrische Reaction zwischen der \u00e4ussern und innern Hautoberfl\u00e4che entdeckt, welche er von dem alkalischen und sauren Verhalten der Secreta ableitet. Ann. des sciences nat. 1834. Fcvr. Matteuci hat bei einem Kaninchen, dessen Magen und Leber mit den Platinenden eines empfindlichen Galvanometers verbunden wurden, eine Abweichung von 15\u201420 \u00abresehen. Dass diese Reaction nicht von der chemisch verschiedenen Natur der Secreta abh\u00e4nge, schliesst er daraus, dass die Reaction nach dem Tode der Thiere sehr schwach war oder ganz aufh\u00f6rte. An den Nerven selbst beobachtete Matteuc\u00ee kein elektrisches Verhalten ; er fand aber auch, dass die Nerven, selbst \u2022wenn sie den Strom einer galvanischen S\u00e4ule leiten, auf das Galvanometer nicht wirken. Hieraus sieht man ein, dass, wenn wirklich elektrische Str\u00f6me in den Nerven vorhanden w\u00e4ren, sie durch das Galvanometer nicht leicht entdeckt werden k\u00f6nnen. Matteuci L\u2019institut JSr. 75. Ueber die Elektricit\u00e4t des aus der Ader gelassenen Blutes, der Galle, des Urins, hat Bellingehi (exp\u00e9rimenta in electricitatem sanguinis, urinae et Inlis. Mein. d. A. d. Tor. V. 81. FnoRiEp\u2019s Not. 19. 177.) Versuche angestellt. Im entz\u00fcndlichen Blut sey die Elektricit\u00e4t vermindert. L\u00e4ngst abgelassenes Blute soll seine Elektricit\u00e4t behalten. O w\u00e4re doch erst die freie Elektricit\u00e4t des Bluts \u00fcberhaupt erwiesen!\nPr\u00e9vost und Dumas sehen die mikroskopischen platten Blutk\u00f6rperchen mit Kern und Schale f\u00fcr galvanische Plattenpaare an, und Dutrochet sucht sogar zu beweisen, dass der Kern elektro-negativ, die Schale clektropositiv sey. Eine Hypothese, welche im Abschnitt vom Blut aus empirischen Untersuchungen entkr\u00e4ftet werden wird. Dutrochet glaubte Muskelfasern zu bilden, als er einen Tropfen von einer w\u00e4sserigen Aufl\u00f6sung von Eiweiss npt den Dr\u00e4then der S\u00e4ule in Verbindung brachte. Es entstanden an den Polen Wellen, an dem Kupferpol eine durchsichtige, an dem Zinkpol eine tr\u00fcbe Welle, die gegen einander wuchsen und jn \u00fcer Ber\u00fchrungslinie eine gekr\u00e4uselte Faser bildeten. Allein diese Faser ist nichts als geronnenes Eiweiss und die von dim beobachtete Contraction dieser Faser ist nur die mit Bewegungen der sich ber\u00fchrenden Wellen verbundene Absetzung des Gerinnsels. Das gebildete Gerinnsel ist vollkommen ruhig.\nMehrere Gelehrten erkl\u00e4ren mit der Elektricit\u00e4t ohne alle \u25a0neweise im thierischen K\u00f6rper zu viel. Hunter, Abernetry, unter uns Prochaska sind diesen Hypothesen gefolgt. Es reicht mcht hin, statt die Wirkungsart der Nerven gr\u00fcndlich zu untersuchen, ein Geb\u00e4ude von entfernten M\u00f6glichkeiten aufzustellen, m Buche von der Physik der Nerven werde ich zeigen, dass, j3 gleich sich Wirkungen elektrischer Materie in thierischen Thei-en scl1<m nach meinen eigenen Untersuchungen erzeugeu lassen,","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\ndoch die Wirkungsart der Nerven sich ganz und gar von der der elektrischen Materie verschieden zeigt.\nUnter den Neueren li\u00e2t Meissner die Hypothese von der Elektricit\u00e4t als Ursache der Lebenserscheinungen im weitesten Umfange angewandt. System der Heilkunde aus den allgemeinsten. Naturgesetzen. JEien 1832. Ohne allen Beweis, ohne welchen heut zu Tage selbst mehr wahrscheinliche Hypothesen als diese in der Physiologie nicht mehr gelitten werden k\u00f6nnen, ohne allen Beweis lasst er in den Lungen durch den chemischen Process des Athmens, bei dem Austausch des Sauerstoffes der atmosph\u00e4rischen Luft und der Kohlens\u00e4ure aus den Lungen das Blut sich mit elektrischem Fluidum laden, w\u00e4hrend dieses Fluidum zugleich durch die Lungennerven und das Gangliensystein sich verbreiten und die Centralorgane des Nervensystems von hier aus geladen werden sollen; er l\u00e4sst das geladene Gehirn, worin der Wille wirkt, durch Abgabe eines elektrischen Funkens an den bestimmten Nerven irgend ein bestimmtes Organ zur Tb\u00e4tig-keit reizen. Das in die Muskeln str\u00f6mende elektrische Fluidum bilde um alle einzelnen, der L\u00e4nge nach fadenartig an einander, haftenden Atome des Muskels elektrische Atmosph\u00e4ren, treibe dadurch die Muskelfasern, welche an beiden Enden des Muskels fest verbunden sind, in der Mitte auseinander und bewirke eben darum die Verk\u00fcrzung; wie wenn man Hollundermarkk\u00fcgelchen auf einen Bindfaden reiht, mehrere solcher F\u00e4den an beiden Enden verbindet \u2018und das Ganze an den elektrischen Conductor h\u00e4ngend elektrisirt, worauf das Ganze sich verk\u00fcrzt, indem die F\u00e4den aus einander fahren. Es ist nicht allein dagegen zu erinnern, dass die Muskelfasern hei der Zusammenziehung nicht aus einander fahren, sondern sich kr\u00e4useln und im Zickzack parallel bleiben, sondern es fehlt f\u00fcr den ganzen Traum an aller Erfahrung. Meissner erkl\u00e4rt auf diese Art die sogenannten thierisch magnetischen Curen. Ein gesunder Mensch, wenn er eine kleinere elektrische Atmosph\u00e4re besitzt, als ein Kranker mit gesteigerter Elektricit\u00e4t, wird durch Auflegen der flachen H\u00e4nde aut den leidenden Theil des Kranken, durch Herabf\u00fchren und pl\u00f6tzliches Entfernen der H\u00e4nde diesem einen Theil seiner elektrischen Atmosph\u00e4re entreissen, im zweiten Fall, wenn die Elektricit\u00e4t des Kranken vermindert ist, wird der Eperimentator durch denselben Hergang eine Mittheilung seiner eigenen elektrischen Atmosph\u00e4re verursachen. Dann soll es auch Kranke geben, die eine \u00fcberaus grosse Capacit\u00e4t f\u00fcr das elektrische Fluidum besitzen und anderen Individuen elektrisches Fluidum, selbst wenn sie wenig haben, entreissen. Kranke mit zu geringer Capacit\u00e4t f\u00fcr das elektrische Fluidum sollen dagegen durch das Bestreichen seihst ihre Elektricit\u00e4t an den Experimentator, wenn er st\u00e4rkere Capacit\u00e4t f\u00fcr die Elektricit\u00e4t besitzt, abgeben, wodurch bald der Kranke, bald der Experimentator gef\u00e4hrdet werden soll. Meissner a. a. O. p. 135. Man untersuche doch lieber erst, oh beim Bebr\u00fcten, Athmen u. s. w. sich Elektricit\u00e4t erzeugt. Pouielet bat zu beweisen gesucht, dass bei der Vegetation der Pflanzen sich sehr viel Elektricit\u00e4t erzeugt. Pouillet untersuchte zuerst","page":74},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\ndicke Wassers\u00e4ule von 1 Millimeter L\u00e4nge. Die Leitungskraft des Wassers wird durch erh\u00f6hte Temperatur vermehrt, die des Metalls vermindert. Aus den Beobachtungen von Weber geht hervor, dass keine Substanz im menschlichen K\u00f6rper den Gab vanismus so gut wie Metalle leitet. Denn die verschiedenen Theile des menschlichen K\u00f6rpers leiten nicht besser als es sich von einem von Blut und salzigen warmen Fl\u00fcssigkeiten durchdrungenen K\u00f6rper erwarten l\u00e4sst, n\u00e4mlich 10 \u2014 20 mal besser als gleich warmes destillirtes Wasser, was mit der Leitungskraft warmen salzigen Wassers \u00fcbereinstimmt. Hierdurch wird die Annahme derjenigen widerlegt, welche die Nerven f\u00fcr sehr gute Leiter gleich den Metallen halten. Die Epidermis isolirt besonders, wenn sie trocken ist, in diesem Fall leitet sie 50 mal schlechter als der \u00fcbrige K\u00f6rper. So wie verschiedene Metalle am todten K\u00f6rper Hydrogalvanismus erzeugen, ebenso auch am lebenden K\u00f6rper. Weber beobachtete es nicht bloss bei der Ber\u00fchrung von Kupier und Zink, die metallisch verbunden waren, sondern auch hei der Ber\u00fchrung des K\u00f6rpers mit Kupfer und Kupfer, wenn sie kettenartig verbunden waren. Hieraus ergieht sich, dass die Versuche von Dome, Matteuci und Anderen \u00fcber mit dem Galvanometer beobachtete galvanische Str\u00f6mungen im thierischen K\u00f6rper ohne alle Beweiskraft f\u00fcr die Existenz wirklicher elektrischer Str\u00f6mungen im lebenden K\u00f6rper sind. Weber hat auch die Erzeugung des Thermogalvanismus am thierischen K\u00f6rper beobachtet, wenn n\u00e4mlich die Enden eines Bogens von Kupfer mit den H\u00e4nden angefasst werden, wovon die eine in kaltes, die andere in warmes Wasser getaucht wird. Das verh\u00e4lt sich also xvie bei den Metallen.\nUm Quellen des Galvanismus im lebenden K\u00f6rper zu entdecken, ist es n\u00f6thig, eine Methode anzuwenden, wobei der Contact der Metalle und des K\u00f6rpers so wie die Unterbrechung des galvanischen Stromes nicht nothwendig sind. Weber suchte daher die etwa vorhandenen Str\u00f6me auf einen eisernen dem K\u00f6rper gen\u00e4herten Stab zu leiten. Denn es ist gewiss, dass ein galvanischer Strom, der an einem Stab von weichem Eisen vorbeigeht, diesen magnetisch macht, wodurch eine in der N\u00e4he befindliche Magnetnadel angezogen wird. Diese Methode wurde von Weber nicht vergebens angewandt; er sah n\u00e4mlich, dass als die Muskeln eines Menschen in der N\u00e4he des Eisenstabes sich zusammenzogen, den Magneten sieh bewegen. In xvie xveit diese Bewegung von galvanischen Str\u00f6men im thierischen K\u00f6rper und nicht von einer anderweitigen St\u00f6rung des magnetischen Zustandes des eisernen Balkens entstehe, beh\u00e4lt sich Weber vor weiter zu untersuchen.\n2. W \u00e4rmeerzeugung.\nDie W\u00e4rme des Menschen betr\u00e4gt in den inneren Theilen, welche zun\u00e4chst zug\u00e4nglich sind, xvie Mund, Mastdarm u. s. xv. 2.9,20\u00b0\u201429,60\u00b0 B. oder 36,50\u00b0\u201437\u00b0 C. oder 97,7\u00b0 \u2014 9S,6\u00b0 Fahr. Die W\u00e4rme des Blutes 30^\u00b0 \u2014 31\u00b0 It. (nach Magendie 31\u00b0, nach Thomson 30|\u00b0), in Krankheiten bis 32|\u2014 33f \u00b0. ln","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmeerzeugung. Winterschlaf.\n77\ni r Blausucht mit gest\u00f6rter Ausbildung des arteri\u00f6sen Blutes in j Lungen von Herzfehlern ist die Eigenw\u00e4rme oft einige Grade \u25a0Inv\u00e4cher, z. B. 21\u00b0 R. in der Hand; in der Cholera asiat. f\u00e4llt *ge W\u00e4rme des Mundes auf 21\u00b0 und 20\u00b0 R. Im Schlafe ist die W\u00e4rme des gesunden Menschen nach Atjtenrietii Grad Fahr, geringer als hei Tage, Abends soll die W\u00e4rme etwas gr\u00f6sser als des Morgens seyn. Bei h\u00f6herer Temperatur der Atmosph\u00e4re in w\u00e4rmeren Climaten soll nach J. Davy die innere K\u00f6rperw\u00e4rme\nm ja___2 Grad Cent, steigen, und diess soll hei Menschen von\nungleichem Alter und hei Eingebornen ehen so, wie hei eingewanderten Fremden aus gem\u00e4ssigten Climaten seyn. Mit dem letztem Satze stehen indess die Versuche von Douvili.e (Frump's Notizen. \u00c4. 686.) im Widerspruch. Auf hohen Bergen und in niederen Ebenen ist die Temperatur der Menschen nach Becqueree\u2019s und Breschet\u2019s Versuchen gleich.\nUebcr die Temperatur der Thiere haben Tiedemann und Rudolphi sehr ausf\u00fchrliche und vollst\u00e4ndige Zusammenstellungen der vorhandenen Beobachtungen geliefert, wo man auch die Lit\u2014 teratur findet. Hiernach variirt die Temperatur der S\u00e4ugethiere in den verschiedenen Gattungen. Als Beispiele k\u00f6nnen dienen der Ochse mit 37,2\u00b0 bis 40\u00b0 Cent., das Schaf mit 38 bis 40; das Pferd mit 36,8 bis 36,11, der Elephant mit 37,5, das Meerschweinchen mit 35,76 bis 38, der Hase mit 37,8 (das Kaninchen mit 37,48 bis 40), das Eichh\u00f6rnchen mit 40,56, Phoca vi-tulina mit 38,89, der Hund mit 37,39 bis 38,50, die Katze mit 37 bis 39,78, Vespertilio noctula mit 38,89, Vespertilio pipi-strellus mit 40,56 bis 41,11, Simia aigula mit 39,7. Die Ceta-ceen unterscheiden sich kaum durch ihre Temperatur von den \u00fcbrigen S\u00e4ugethieren. Delphinus phocaena mit 35,50 bis 37,5, Monodon monoeerus 35,56, Balaena mysticetus 38,89. Siehe Tie-demann\u2019s Physiologie I. p. 454. Die Temperatur der V\u00f6gel scheint fast durchg\u00e4ngig gr\u00f6sser als beim Menschen und bei den S\u00e4ugethieren. Als Beispiele aus Tiedemann\u2019s Zusammenstellung f\u00fchre ich an: Larus mit 37,8, Tetrao albus 38,9, Hahn 39,44 bis 39,88 (Henne 39,44 bis 43,3), Taube 41,5 bis 43,1, verschiedene Arten Enten 41,11 bis 43,9, Vultur barbatus 41,94, verschiedene Falkenarten 40,28 bis 43,18, Rabe 41,1 bis 42,91, verschiedene Arten Fringilla 41,67 bis 44,03, Parus major 44,03, Hirundo lago-pus 44,03.\nDie F\u00e4higkeit, W\u00e4rme zu erzeugen, kommt den warmbl\u00fctigen Thieren nicht unter allen Bedingungen zu. Edwards fand dieses Verm\u00f6gen bei alten Leuten geringer. Der Embryo der S\u00e4ugethiere hat nur die Temperatur der Mutter, und verliert sie aus \u00aber Mutter entfernt nach den Versuchen von Autenrieth und Schuetz (exp\u00e9rimenta circa calorem foetus et sanguinem. Tub. 1799.). Dasselbe schnelle Erkalten bemerkt man nach Edwards selbst e\u2018 den Neugebornen der meisten Raubthiere und Nagethiere, \u00ae\u00b0bald sie bei 10 \u201412\u00b0 Cent, von der Mutter entfernt werden, \u00e4gegen s;e an der Mutter liegend nur 1 \u2014 2\u00b0 Cent, k\u00e4lter als die utter selbst sind. Diess gilt auch von ganz jungen V\u00f6geln, so ass lunge Sperlinge acht Tage nach dem Auskriechen, w\u00e4hrend","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nsie im Neste 35\u201436\u00b0 Cent. W\u00e4rme hatten, ausser dem Neste hei 17\u00b0 Cent, in einer Stunde auf 19* sanken; andere Versuche zeig, ten, dass hieran nicht die Nacktheit schuld ist. Froriep\u2019s Noti-zen 151, Nach Edwards Untersuchnngen kommen mehrere Sau, gethiere in einem viel weniger entwickelten Zustande zur Welt als andere, so wie Hunde, Katzen, Kaninchen, diese haben viel weniger innere W\u00e4rme als viele andere S\u00e4ugethiere, welche nicht blind geboren werden. Nach 14 Tagen gleicht sich diess aus, und jene erreichen dann das Stadium, welches diese hei der Gehurt schon haben. Vergl. Legallois, Meckel\u2019s Archie 3. 454. Beim Menschen ist bekanntlich das Bed\u00fcrfnis \u00e4usserer W\u00e4rme zur Erhaltung der eigenen Temperatur im Zustande des Neuge-hornen auch sehr gross, wohl nicht minder als hei den Baub-thieren und Nagethieren. Auch haben die statistischen Untersuchungen von Edwards gezeigt, dass der Mangel an Temperatur in einem bisher nicht gevr\u00fcrdigten Verh\u00e4ltniss Ursache der Sterblichkeit hei den neugebornen Menschen ist. Edwards de li\u2019n-fluence des agens physiques sur la tie. Paris 1824. Unter den erwachsenen warmbl\u00fctigen Thieren zeigt sich eine gewisse Unabh\u00e4ngigkeit der W\u00e4rmeerzeugung von der \u00e4ussern Temperatur, die indess hei der verschiedenen geographischen Verbreitung der Thiere und nach ihren inneren Lebensverh\u00e4ltnissen verschieden ist, und deren Grenzen die Wanderungen vieler Thiere nach M aassgahe des durch Jahreszeiten bedingten Temperaturwcchsels veranlassen. Indessen dauern die Thiere der Polarl\u00e4nder, z. B. S\u00e4ugethiere, nach Parry\u2019s Beobachtungen, selbst hei der Temperatur des Gefrierpunktes vom Quecksilber (40\u00b0 Cent.), ja bis 46\u201c unter Null aus. S. das N\u00e4here bei Tiedemann a. a. O. p. 461. 466. Einige S\u00e4ugethiere dagegen, die Winterschl\u00e4fer (Murmel-thiere, Siebenschl\u00e4fer, Haselmaus, Hamster, Igel, Flederm\u00e4use, Dachs, B\u00e4r, beide letztere unvollkommen), erhalten ihre W\u00e4rme nur hei einer gem\u00e4ssigten \u00e4usseren Temperatur, und verlieren an Temperatur mit der \u00e4usseren K\u00e4lte, so dass sie in Asphyxie, Scheintod verfallen, und mehrere bei 10 \u201412\u00b0 Cent, unter Null sogar erfrieren. Im Allgemeinen ist die Temperatur der wachenden Winterschl\u00e4fer nicht von der anderer S\u00e4ugethiere verschieden, doch hat Myoxus avellanarius nach Bertiiold im wachenden Zustande nur 23|-0 B. Mit den Erscheinungen des Winterschlafes haben uns Pallas, Spallanzam, Mangili, Prunelle, Saissy, Czermak, Berthold bekannt gemacht. Winterschl\u00e4fer verfallen nicht in diesen Zustand, so lange sie in einer Temperatur von 8\u20149\u00b0 B. erhalten werden, die Haselmaus erh\u00e4lt sogar bis auf 50 B. \u00fcber Null ihre ganze Lebendigkeit, wie Saissy gegen Spallanzani anf\u00fchrt. Mcm. de Turin. 1810\u201412. Mecke\u2019l Archie f\u00fcr Physiol. 3. p. 133. Saissy widerlegt Mangili\u2019s Angabe, dass der Winterschlaf von der Temperatur unabh\u00e4ngig sey, und hei sp\u00e4terem Herbst und fr\u00fcherem Fr\u00fchling darum weder sp\u00e4ter eintr\u00e4te, noch fr\u00fcher aufh\u00f6re. Pallas brachte Murmelthiere in, einen Eiskeller im Sommer, Saissy Igel und Siebenschl\u00e4fer auf dieselbe Art zum Schlafen. Dagegen erwachen die Thiere im strengsten Winter, wenn sie in eine Temperatur von +9 \u2014 10\u00b0","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Wtirmccrzeugiing. Winterschlaf.\n79\ngebracht werden. Czermak\u2019s Beobachtungen am Siebenschl\u00e4fer jvlyoxus glis und Berthoi.d\u2019s Beobachtungen an der Haselmaus JVlyoxus avellanarius sprechen hinwieder f\u00fcr einen gewissen Grad v0n Unabh\u00e4ngigkeit des Winterschlafs von der \u00e4ussern Temperatur. Siehe Mueller\u2019s Archiv 1835. 150. 1837.63. Die letztem verfallen in den Schlaf, sie m\u00f6gen sich im Freien oder im geheizten Zimmer befinden. Die Individuen von Myoxus avellanarius, welche Beetiiold besass, schliefen selbst bei einer Temperatur von 8 \u201414\u00b0 B., obgleich der Schlaf allerdings tiefer und anhaltender ist bei einer niedern \u00e4ussern Temperatur. Die Siebenschl\u00e4fer l\u00e4ngen bei -|-12u R. zu schlafen an und erwachen bei +9\u201c i\u00bbn Fr\u00fchjahre. Einige, die bei +34\u00b0 R. mehrere Stunden lethargisch blieben, verfielen im Sommer bei k\u00fcnstlicher K\u00e4lte bis \u00fcber \u201420\u00b0 R. keineswegs in den Winterschlaf. Die Ursache des Winterschlafs scheint daher ein allgemeiner, mit dem Jahreswechsel im Zusammenhang stehender Mangel an Lebensenergie zu seyn, und scldiesst sich den Ph\u00e4nomenen der Mauser, des Harens, des Wanderns und den periodischen Ver\u00e4nderungen vieler Pflanzen an.\nBerthold\u2019s Beobachtungen zeigen, dass wenn die \u00e4ussere Temperatur im Zunehmen begriffen ist, dieselbe in dem Thiere nicht so schnell steigt, als im Medium. Die Thiere sind im Stande ihre Temperatur einige Grade \u00fcber 0 zu erhalten, wenn die \u00e4ussere Temperatur unter 0 gesunken ist. Vermindert man allm\u00e4hlig die Temperatur des Mediums, so nehmen die Thiere nur allm\u00e4hlig eine niederere Temperatur an.\nDas Athmen der Winterschl\u00e4fer geschieht zwar fort, aber langsam und fast unmerklich, so dass das Murmelthier 7 \u2014 8 mal, der Igel 4 \u2014 5 mal, die grosse Haselmaus 9 \u201410 mal in der Minute athmet. Im tiefsten Erstarrungsschlafe ruht indessen das Athmen g\u00e4nzlich, und man kann die Thiere nach Spallanzani\u2019s Beobachtungen dann in eine irrespirable Gasart bringen, ohne dass es ihnen schadet. Ehe dieser Zustand einlrilt, verbrauchen die Winterschl\u00e4fer nach Saissy\u2019s Beobachtungen auch den Sauerstoffgehalt der Atmosph\u00e4re. Dieser Verbrauch nimmt mit ihrer AV\u00e4rme ab, die Absorption von Sauerstoffgas und das Aushauchen von Kohlens\u00e4ure dauert aber bis zum Verbrauche der letzten Atome des Sauerstoffgases in der Atmosph\u00e4re, w\u00e4hrend die nicht winterschlafenden Thiere, Kaninchen, Ratte, Sperling, bereits starben, nachdem sie wenig Sauerstoffgas unter Glocken verbraucht hatten. Nach Prunelle ist das Arterienblut der Flederm\u00e4use im Winterschlafe weniger hellrolh. Was den Blutlauf der Ainterschl\u00e4fer im Erstarrungszustande betrifft, so fand Saissy, nass sich das Blut schon zu Anf\u00e4nge und gegen das Ende des\ntrstarrungszustandes \u00e4usserst langsam bewegt, dass bei v\u00f6lliger rstarrung jener Thiere die Haargef\u00e4sse der \u00e4usseren Theile fast eer, die gr\u00f6sseren Gef\u00e4sse nur halb ausgedehnt sind. Nur in \u00b0n Hauptst\u00e4mmen der Gelasse der Brust und des Bauches zeigt *lc i noch eine undulatorische Bewegung des Blutes. Die Zahl er Herzschl\u00e4ge bei den Flederm\u00e4usen ist gegen 200 in der Mi-u e> im Winterschlafe 50 \u2014 55 nach Prunelle. Die Empfin-","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\ndungskraft und die Reizbarkeit der Muskeln gegen mechanische und galvanische Reize sich zu contrahiren, nehmen im Winter-schlafe ah, indessen fehlen doch nur im tiefen Erstarrungsschlafe alle Spuren von Reaction gegen Empfindungsreiz, was Saissy einigemal nur bei Igeln und Murmelthieren fand.\nNach Saissy soll das Elut der Winterschl\u00e4fer (Murmelthiere, Igel) auch durch seinen geringem Gehalt an Faserstoff und Ei-weiss sich auszeichnen. Die Galle soll s\u00fcsslich, das Fett nicht ver\u00e4ndert seyn. Nach Prunelle und Tiedemann (Meckel\u2019s yJrchio T. 1. p. 481.) zeigt sich bei den Winterschl\u00e4fern schon vor dem Winterschlafe eine scheinbar dr\u00fcsige, wohl nur fettige Masse am Halse und im mediastino ant., die nach Jacobson\u2019s Bemerkung (ebend. 3. 151. 152.) unpassend mit der Thymusdr\u00fcse verglichen wurde. Otto hat gefunden, das bei diesen Thieren ein der Carotis interna zu vergleichendes Gef\u00e4ss durch den Steigb\u00fcgel der Trommelh\u00f6hle hindurch geht. So ist es bei den Gattungen Ve-spertilio, Erinaceus, Sorex, Talpa, Hypudaeus, Georhychus (Lem-mus), Myoxus, Mus, Cricetus, Dipus, Meriones, Arctomys, Sciurus, die nach Otto s\u00e4mmtlich bald mehr, bald weniger vollkommen in Winterschlaf verfallen. Hyrtl (Mueller\u2019s Arch. 183\u00df. XAIX.) hat die Bildung auch beim Meerschweinchen beobachtet, dagegen sie beim Siebenschl\u00e4fer, Myoxus glis, fehlt; eine \u00e4hnliche aber sehr kleine Arterie k\u00f6mmt zuweilen auch beim Menschen vor. Der von Mangili bemerkten Kleinheit der Ilirngef\u00e4sse der Winterschl\u00e4fer widerspricht Otto bestimmtest; auch fand Otto die von Saissy bemerkte St\u00e4rke der Nerven der \u00e4usseren Theile nicht. JV. act. ac. caes. nat. cur. T. XIII. p. 1. Dass die Winterschl\u00e4fer einen Theil des Ilerbstfettes in Nabrungstoff verwandeln, ist allgemein bekannt. Auch die Absonderungen h\u00f6ren nicht ganz auf. Denn Prunelle fand bei Flederm\u00e4usen vom 19. Februar bis 12. M\u00e4rz einen Gewichtsverlust von Ay. Dass die Anh\u00e4ufung des Fettes und die Vergr\u00f6sserung der Dr\u00fcsen in der Brust und am Halse im Herbste nicht die Ursache des Winterschlafes durch Einengung der Respirationsnerven ist, wie Prunelle glaubte, beweisen Pallas Erfahrungen, der Winterschl\u00e4fer im hohen Sommer durch k\u00fcnstliche K\u00e4lte in den Schlaf brachte. Das R\u00fcckenmark ist beim Igel sehr kurz; allein diess ist kein allgemeiner Charakter der Winterschl\u00e4fer. Die vorz\u00fcglichsten \u00e4lteren Schriften \u00fcber den Winterschlaf sind Saissy recherches experimentales anatomiques chemiques sur la physique des animaux mammif\u00e8res hioernans. Paris et Lyon 1808., \u00fcbersetzt von Nasse, Reil\u2019s Archiv f\u00fcr Physiol. T. XII. p. 293. Saissy Mcm. de Turin. 1810 \u20141812. Meckel\u2019s Archiv f\u00fcr Physiol. T. 3. Mangili \u00fcber den Winterschlaf, in Reil\u2019s Archiv. Bd. 8. Prunelle recherches sur les phaenom\u00e8nes et sur les causes du sonimeil hivernal; Ann. du mus. T. 18. Gilbert\u2019s Annalen. Bd. 40. u. 41.\nUebersteigt die \u00e4ussere Temperatur die eigene Temperatur eines S\u00e4ugethieres, so steigt zwar die W\u00e4rme der letztem uni einige Grade, aber nicht gleichm\u00e4ssig mit dem Wachsen der \u00e4us-sern Temperatur. Duntze (exp. calorem animalium spectantia, Lugd. Bat. 1754.), Fordyce, Banks, Blagden (phil, transact. 1775. v. 65-)","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmeerzeugung.\tWinterschlaf.\n81\nnd Delaroche und Berger haben Versuche hier\u00fcber angestellt. Beagden uncl Andere hielten mehrere Minuten in einer trocknen Luft von \u2014I- 790 R. aus. Delaroche und Berger beobachteten j,e[ Kaninchen in einer Temperatur von 50 \u2014 90\u00b0 Cent, nur ein Stei\u201een um einige Grade. Auch V\u00f6gel setzten sich in hoher \u00e4us-serer Temperatur nicht mit dieser ins Gleichgewicht, sondern wurden bloss um 6 \u2014 7\u00b0 w\u00e4rmer. Exp. sur les effets t/u\u2019une forte chaleur produit dans {\u00e9conomie animale. Paris 1806. Journal de phys. 71. Reil\u2019s Archiv 12. 370. Die Ursache davon liegt in der durch die Verdunstung stattfindenden K\u00e4lteerzeugung. Delaroche Lat dagegen beobachtet, dass Thiere in einer mit Wasserd\u00e4mpfen \u00fcberladenen heissen Luft, worin keine Ausdunstung stattfinden kann, 2 \u2014 3, ja seihst 3 \u2014 4\u00b0 R. w\u00e4rmer wurden als das Medium. Hierbei k\u00f6mmt zugleich die gr\u00f6ssere W\u00e4rmeleitung der feuchten Luft in Betracht. Man darf \u00fcbrigens nicht vergessen, dass die Verst\u00e4rkung der Verdunstung in trockner W\u00e4rme nicht bloss physikalische Ursachen hat, dass die W\u00e4rme hier eine organische Function anregt. In der That wird die Verdunstung hei grosser innerer Hitze sehr h\u00e4ufig durch innere Ursachen verhindert, und in manchen Fiebern ist die Haut nur darum unertr\u00e4glich heiss, weil sie trocken und die Ausdunstung verhindert ist.\nDen kaltbl\u00fctigen Thieren hat man h\u00e4ufig eine eigene Temperatur abgesprochen, was aber nicht statthaft ist. Was zuerst die Amphibien betrifft, so haben Untersuchungen von J. Davy, Czermack, Wilford, Tiedemann gezeigt, dass die Temperatur dieser Thiere mit der \u00e4ussern Temperatur im Allgemeinen bis zu einem gewissen Punkte sinkt, aber doch die \u00e4ussere meist um 1 oder mehrere Grade \u00fcbertrifft, dass die Temperatur der Amphibien eben so mit der \u00e4ussern Temperatur steigt, aber nur bis zu einem gewissen Punkte st\u00e4rker als dieselbe ist, bei h\u00f6heren Temperaturgraden aber selbst geringer ist. Besonders zahlreich sind die Versuche von Czermack. \u00fcber die Temperatur der Amphibien. Baumgaertner\u2019s und Ettinghausen\u2019s Zeitschrift f\u00fcr Physik und Mathematik. 3. Bd. 385.\nBei nackten Amphibien war das Plus der eigenen Temperatur weniger gross als bei den beschuppten Amphibien. So war die Temperatur eines Proteus 14\u00b0 R. bei lO^0 der Luft, 16-t0 hei 14\u00bb der Luft; 14^-0 bei 10^0 des Wassers. Ein Frosch hatte ^i\u00b0 R. bei 5 j\u00b0 des Wassers, 6-J-0 bei 10^\u00b0 der Atmosph\u00e4re. Die auffallendsten Unterschiede von mehreren Graden Reaumur fand Czermack, bei Vergleichung der Temperatur der Eidechsen und Schlangen mit der des Mediums. Vergl. J.Davy, Froriep\u2019s Bot. 579. f J. Davy fand die Temperatur einer Schlange 31,370 C. bei 27,50 der Luft, 32,22 bei 28,30 der Luft, die Temperatur einer Testudo mydas 28,89 bei 29,55 der Luft, 29,44 bei 30,00 der Luft.\nTiedemann beobachtete hei Fr\u00f6schen eine Temperatur, die h\u00f6her als die des Wassers war; als Wasser in der Nacht gefror, \"heb es um den darin befindlichen Frosch ungefroren, und der kroch hatte -f- 0,56 0 Temperatur. Tiedemann Physiologie I.\nDie Versuche von Bertiiold (neue Versuche \u00fcber die Temperatur der kaltbl\u00fctigen Thiere. Gott. 1835.), welche mit besonde-\ntiller\u2019s Physiologic. I,\t6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nrer Sorgfalt angestellt scheinen, zeigen, dass der Unterschied der Temperatur der Amphibien von der des Mediums sehr gering ist. Es h\u00e4ngt einzig von der Willk\u00fchr des Beobachters ab, bei einem kaltbl\u00fctigen Tbiere eine bedeutend h\u00f6here, oder eine bedeutend niederere, oder kaum andere Temperatur zu finden, als die des Mediums. Denn diese Tbiere erfordern, wenn sie vor dein Versuch in einer andern Temperatur sich befanden, oft eine geraume Zeit, bis sich ihre Temperatur mit der des \u00e4ussern Mediums, worin das Experiment angestellt wird, ins Gleichgewicht gesetzt hat. Bei den nackten Amphibien fand Berthold im Allgemeinen eine niederere Temperatur als die der \u00e4ussern Luft wegen des Verdunstungsprocesses. Diess verhielt sich auch im todten Zustande so. Die Temperatur der Fr\u00f6sche ist ziemlich gleich der des Wassers, wenn Frosch und Wasser neben einander beobachtet werden; hat das Wasser eine geringere Verdunstungsfl\u00e4che, so ist seine Temperatur sogar noch etwas h\u00f6her als die des Frosches; befindet sieb der Frosch in dem Wasser, so ist beider Temperatur gleich. In der Begattung begriffene Fr\u00f6sche zeigen eine Temperatur, die um ~ \u2014 10 B. h\u00f6her ist als die des Wassers. Die trocknen Amphibien haben bei mittlerer und h\u00f6herer \u00e4ussern Temperatur \\\u20141\u00b0 B. W\u00e4rme mehr als die Luft und das nebenstehende Wasser.\nNach Delaroche besitzen auch die Fr\u00f6sche eben durch Ausd\u00fcnstung das Verm\u00f6gen, eine geringere Temperatur bei \u00e4usserer Ilitze zu erhalten. Delaroche a. a. O.\nDie Temperatur der Fische ist um -J\u201411, 0 h\u00f6her als die des umgebenden Wassers, wie die Versuche von Martine, J. Hunter, Broussonet, J. Davy, Df.spretz lehren. Broussonet fand bei kleinen Fischen die Temperatur -j \u2014 \u00a7\u00b0 h\u00f6her als im Wasser, beim Aal-|\u00b0, beim Karpfen 1\" h\u00f6her. Desrretz fand bei 10,83 C. Tempel atur des Wassers die Temperatur bei zwei Karpfen =11,69, bei zwei Schleien =11,54. Becquerel und Breschet fanden beim Karpfen nur \\ Grad Differenz zu Gunsten der Tbiere. Berthold beobachtete bei Fischen gar keinen Unterschied. J. Davy fand die Temperatur eines Squalus 25 C. bei 23,75 des Meeres. Von besonderem Interesse sind J. Davy\u2019s Beobachtungen \u00fcber die bedeutende Temperatur der Thunfische. L\u2019inslitut. 108. Nach ihm hat Thynnus pelamys eine Temperatur von 99\u00b0 F. bei 80,5 des Meerwassers. Auch der gemeine Thunfisch soll nach Fischernachrichten eine hohe Temperatur besitzen. Ob hiermit die von Eschricht und mir entdeckten Wundernetze an der Pfortader und an den Eingeweidearterien der Thunfische Zusammenh\u00e4ngen, m\u00fcssen fernere Beobachtungen an Thunfischen und den anderen Fischen, welche nach unseren Beobachtungen Wundernetze haben, Squalus cornubicus und Squalus vulpis, lehren. Eschricht und Mueller \u00fcber die arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Wundernetze an der Leber der Thunfische. Berlin 1836. Abh. d. Academie d. Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1836 und Nachtrag.\nDie kaltbl\u00fctigen Tbiere sind zum Theil auch dem Winterschlafe unterworfen. Franklin erw\u00e4hnt von mehreren Fischen, dass sie, wenn sie aufs Eis gelegt werden, fast augenblicklich","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen der W\u00e4rmeerzeugung.\n83\nerstarren , aber nach Stunden und Tagen wieder aufleben. Man w;|[ Jndess \u00f6fters beobachtet haben, dass Fische itn Eise sich lebend erhalten, und dass das Wasser um dieselben nicht gefro-w;,j-, Jahresbericht der Schtved. dead., \u00fcbersetzt von J. Muel-ljr 1S24. Pati.as (Rudolphi Grundriss der Physiologie 1. p. J 76.) berichtet das Wiedei aufleben der Carauschen in Sibirischen bis auf den Grund gefrornen Seen, und erz\u00e4hlt eine \u00e4hnliche Beobachtung von Bell vom Wiederaufleben der Goldfische aus ge-frornein Wasser. Bei den Amphibien beobachtet man nicht allein den Winterschlaf, vor dessen Eintritte sich die Amphibien verkriechen, sondern auch den Sommerschlaf in den heissen Cli-maten. ln der trocknen Jahreszeit verkriechen sich die Amphibien und gerathen in einen dem Winterschlafe \u00e4hnlichen Zustand, aus dem sie in der Regenzeit wieder aufgeweckt werden. Hier\u00fcber hat A. v. Humboldt in seiner Reise sehr interessante Beobachtungen initgetheilt. Von h\u00f6heren Thieren kennt man in dieser Art nur ein einziges Beispiel, n\u00e4mlich vom Tanrec, dem sogenannten Igel von Madagascar.\nUeber die Temperatur der Wirbellosen fehlt es noch an vollst\u00e4ndigen Beobachtungen; doch zeigen die vorhandenen, dass die W\u00e4rme derselben zwar wie bei den \u00fcbrigen kaltbl\u00fctigen Thieren ver\u00e4nderlich ist nach der Temperatur des Mediums, aber doch auch bei Insecten um einen Grad hoher oder niedriger seyn kann, wie die Versuche von Martine, Hausmann, Rengger und John Davy zeigen\u00bb Dagegen hat man in Bienenst\u00f6cken und Ameisenhaufen schon eine sehr viel betr\u00e4chtlichere Temperatur angetroflen. Beim Flusskrebs sah Rudolpiii das Thermometer\nvon 90 R. des Wassers auf 10 \u201412\u00b0 steigen. Aehnliche, obgleich kleinere Unterschiede hat man hei Mollusken beobachtet. Eine Sammlung der einzelnen Beobachtungen findet man bei Rudolphi Physiol. 17.9. Treviranus Biol. 5. 20. Tiedemann Physiol. 476 \u2014 477. Bei den Schnecken ist die Temperatur 1\u00b0 h\u00f6her als im Medium. Meckel\u2019s Archiv 8. 255.\nDass bei den Wirbellosen auch der Winterschlaf sich wiederholt, weiss man wenigstens sicher von den Insecten und den Mollusken der gem\u00e4ssigten und kalten Climate. Einige niedere Tliiere scheinen eine ziemlich hohe Temperatur zu ihrem Medium noting zu haben. Ausserordentlich scheint das Beispiel der in den warmen Quellen von Abano von 22\u00fc R. lebenden kleinen Schnecken, Cyelostomum thermale Ranzani. Rudolphi sah diese noch im Wasser von 30\u00b0 sich lebhaft bewegen. Indessen leben nie Eingeweidew\u00fcrmer des Menschen und der S\u00e4ugethiere in einer gleichen, und die der V\u00f6gel in einer noch h\u00f6hern Tempe-Jj^ur. Rudolphi bemerkt, dass die Entozoen der warmbl\u00fctigen \u25a0ttuere in der K\u00e4lte erstarren, aber durch warmes Wasser wie-er aufleben, dagegen die der kaltbl\u00fctigen sowohl die K\u00e4lte als einen hohen W\u00e4rmegrad ertragen.\nDen Winterschlaf der Schnecken hat Gaspard beschrieben, as Herz soll nicht mehr schlagen und das Athmen aufh\u00f6ren, ''e Wiedererzeugung verschnittener F\u00fchlh\u00f6rner Stillstehen. Diese nere verlallen auch bei grosser W\u00e4rme in einen Sommerschlaf,\n6 *","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"81\tProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\n\u2022wobei jetloch Alb men, Herzschlag und Reproduction fortdauern. Meclet.\u2019s Archiv 8.\nIch wende mich jetzt zur L'ntersuchung der Ursachen der thierischen W\u00e4rmeerzeugung. Hier ist zuv\u00f6rderst die Verschiedenheit der Temperatur in verschiedenen Theilen von Interesse. J, Davy phil. Iransact. 1814. Meckel\u2019s Archiv II. p. .112. Die Temperatur nimmt gegen die \u00e4ussersten Theile hin ah, wie z. B, beim Menschen die Achselh\u00f6hle 98 F. zeigte, die Leisten 96,5, Oberschenkel 94, Unterschenkel 93 \u2014 91, Fusssohle 90\u00b0 hatten. Sonderbar ist, dass John Davy in mehreren Versuchen die Temperatur des Mastdarms um etwas gr\u00f6sser als die des Gehirns fand, was mir aber doch eher Beobachtungsfehler zu sevn scheint, Becquerel und Bbescuet (arm. d. sc. nat. 1835. Mai. Oct.) wandten zu ihren Untersuchungen den thermoelektrischen Multiplica-tor an. In den zu untersuchenden Theil wird eine Nadel eingestochen, die aus zwei heterogenen Nadein zusammengesetzt ist, die an ihren Enden zusammengel\u00f6thet sind, w\u00e4hrend die entgegengesetzten Enden mit den Dr\u00e4tlien eines thermoelektrischen Multiplicators in Verbindung gebracht werden. Man f\u00fchrt eine dieser Nadeln in den zu untersuchenden Theil ein, so dass die Verbindungsstelle beider Nadeln mitten in den zu untersuchenden Theil kommt, worauf man die beiden freien Enden mit den Dr\u00e4then des Multiplicators verbindet. Zwischen der Temperatur der Muskeln (4 Centim. Tiefe) und des oberfl\u00e4chlichen Zellgewebes (1 Centim. Tiefe) fanden die Verfasser einen Unterschied von 2\u00b0\u20141,25 Centim. zu Gunsten der Muskel, was bloss von dem W\u00e4rmeverlust an der Oberfl\u00e4che des K\u00f6rpers abzuleiten ist. Die mittlere Temperatur der Muskeln des Menschen ist 36\u00b0,77 Cent. Beim Hund war die Temperatur der Brust, des Unterleibs, des Gehirns gleich der der Muskeln.\nVon ausserordentlichem Interesse sind J. Davy\u2019s Versuche \u00fcber den Unterschied der Temperatur beider Blutarten. J. Davy tentamen experimentale de sanguine, Ehinh. 1814. Meckel\u2019s Archiv I. 109. Es waren an Schafen und Ochsen 11 Versuche. Zieht man aus Davy\u2019s Versuchen das Mittel, so folgt, dass das Arterienblut um etwa 1\u201414 Grad Fahr, w\u00e4rmer ist als das Blut der Venen. Mayer (Meckel\u2019s Archiv 3. 337.) fand sogar, dass das Blut der vena jugu/aris um 1\u20142\u00b0 R. k\u00e4lter war als das Blut der carotis; niemals aber konnte er. wie Davy, einen Unterschied in der Temperatur des Blutes beider Herzh\u00e4lften nachweisen. Aehnliches hatte Saissy bei winterschlafenden Thieren beobachtet. Becquerel und Breschet haben diesen Gegenstand weiter untersucht; sie bedienten sich des thermoelektrischen Multiplicators und fanden den mittlern Unterschied des Arterien- und Venenblutes (aorta und vena cava desc.) Leim Hunde 1\u00b0,0.1 Cent., des Bluts in der arteria und vena cruralis 0\u00b0,90. Die Differenz der Temperatur des Bluts im linken und rechten Vorhof eines Truthahns betrug 0\u00b0,90 zu Gunsten des linken Vorhofs. Die Temperatur der arteriellen und ven\u00f6sen Systeme nimmt vom Herzen nach den Extremit\u00e4ten ab. L\u2019institut. 190. Diese Thatsachen f\u00fchren zun\u00e4chst zur Untersuchung der Theorie, dass die thierische","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmeerzeugung. Ursachen. Athmen.\n85\nW\u00e4rme ihre Quelle in den Lungen habe. Nach der Hypothese von Lavoisier und Laplace, welcher die meisten neueren Chemi-j,er \u00abel'olgt sind, wird heim Athmen der Sauerstoff der Atmosph\u00e4re mit Kohlenstoff des Blutes verbunden, und als Kohlens\u00e4ure ausgeathmet. Wenn nun beim Athmen mehr Sauerstoff der Atmosph\u00e4re verschwindet, als in der ausgeathmeten Kohlens\u00e4ure enthalten ist, so wird in einer zweiten Hypothese angenommen, dass das nicht auf Kohlens\u00e4ure verwandte Sauerstoffgas sich durch Verbindung mit Wasserstoff des Blutes in Wasser verwandle und ausgehaucht werde. Nimmt man diese Hypothese an, so kann man die Ursache der thierischen Temperatur in jener W\u00e4rme suchen, welche durch die Vereinigung des Sauerstoffes der cin-geathmeten Luft mit dem vom Blute herstammenden Kohlenstoff der Kohlens\u00e4ure und des Sauerstoffes mit Wasserstoff zu Wasser entsteht. Crawford ( Versuche und Beobachtungen \u00fcber die W\u00e4rme der Thiere. Leipz. 179.9.) suchte diess noch wahrscheinlicher zu machen, indem er angab, wie die Verbreitung der W\u00e4rme, die einmal in den Lungen entstanden, leiehler erkl\u00e4rt werden k\u00f6nne, dass das arterielle Blut eine gr\u00f6ssere W\u00e4rmecapacit\u00e4t als das ven\u00f6se, ungef\u00e4hr im Verh\u00e4ltnisse von 11,5:10,0 besitze. So soll die in den Lungen entstandene W\u00e4rme zur Beibehaltung der Temperatur des arteriellen Blutes angewendet, und dann \u00fcberall im K\u00f6rper frei werden, wo die Organe sich aus dem Blute ern\u00e4hren, und das arteri\u00f6se Blut in ven\u00f6ses \u00fcbergeht. J. Davy hat indess gezeigt, dass die W\u00e4rmecapacit\u00e4t beider Blutarten entweder gar nicht oder nur sehr unbedeutend (wie 10,11:10,00) differire.\nEs l\u00e4sst sich aber direct berechnen, wie viel W\u00e4rme durch das Athmen entstehen kann, angenommen, dass die chemische oder Verbrennungstheorie vom Athmen richtig w\u00e4re. Diese Arbeit haben Dulong und Despretz unternommen. Dulong brachte verschiedene, sowohl fleisch- als pflanzenfressende S\u00e4ugethiere und V\u00f6gel in einen Beh\u00e4lter, worin die Ver\u00e4nderungen der Luft bei dein Athmen bestimmt und die Producte quantitativ gemessen werden konnten, w\u00e4hrend der W\u00e4rmeverlust der Thiere zugleich berechnet wurde. Dulonc fand, dass von allen Thieren mehr Sauerstoffgas verzehrt als in Kohlens\u00e4ure verwandelt wurde. Bei den Pflanzenfressern betrug diese Absorption des Sauerstoffgases nur tV im Durchschnitt, bei den Fleischfressern war die geringste Quantit\u00e4t des absorbirten d. h. nicht in Kohlens\u00e4ure verwandelten Sauerstoffgases \u25a0\u00a7-, die gr\u00f6sste Qantit\u00e4t ^ der verwandten Menge\nGases. Nimmt man nun an, dass das Sauerstoflgas durch seine Verwandlung in kohlensaures Gas beim Athmen eine gleich grosse W\u00e4rme erzeugt, als dieselbe Qnantit\u00e4t Kohlens\u00e4uregas durch Verbrennung von Koble in Sauerstoffgas, und geht man dabei von der Bestimmung der W\u00e4rmequantit\u00e4t aus, wie sie von Kaplace und Lavoisier angegeben wird, so betr\u00e4gt sie nicht mehr ah 0,7 der W\u00e4rme, welche das pflanzenfressende Thier in derselben Zeit verliert, und ^ derjenigen, welche das fleischfressende hier einb\u00fcsst. Nimmt man ferner an, dass das Sauerstoffgas, 'reiches durch das Athmen absorbirt und der Luft nicht in Form","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nvon Kohlens\u00e4ure zur\u00fcckgegeben wird, zur Bildung von Wasser verwandt wird, und dass dabei so viel W\u00e4rme sich entwickelt, als wenn eine gleiche Quantit\u00e4t Sauerstoff durch Verbrennung mit Wasserstoff' in Wasser verwandelt wird, so entspricht die ganze Quantit\u00e4t der W\u00e4rme, welche durch die Verbindung des Kohlenstoffes und Wasserstoffes mit Sauerstoff entsteht, 0,75\u2014. 0,80 derjenigen W\u00e4rme, welche in gleicher Zeit von fleischfressenden sowohl als pflanzenfressenden Thierai entwickelt wird. Also w\u00fcrde das Athmen im Durchschnitt f-\u2014{ der thierischen W\u00e4rme hervorbringen. Nach Berzelius im Schwedischen Jahresbericht, \u00fcbersetzt von J. Mueller. Bonn 1824. p. 67. Vergl. Neues Jour-nal f\u00fcr Chemie und Physik. N. II. lld. 8. S. 505.\nDespretz schloss Thiere bis 2 Stunden in einem mit Wasser umgebenen Beh\u00e4lter ein, zu welchem ununterbrochen Luft ab- und zugeleitet wurde, und bestimmte deren Menge und Zusammensetzung vor und nach dem Versuche, so wie die durch die tbierische W\u00e4rme bewirkte W\u00e4rmezunahme des umgebenden W assers; die durch Verbrennung des hohlenstoffes und AVasser-stoffes beim Athmen nach der chemischen Theorie hervorgebrachte W\u00e4rme betrug 0,75 \u2014 0,91 von der, welche das Thier in derselben Zeit entl\u00e4sst. Gmelim\u2019s Chemie TA. p. 1523. Arm. d. chim. et de phys. 26. 338.\nAus diesen Versuchen geht hervor, dass es noch andere Quellen der thierischen W\u00e4rme als das Athmen geben m\u00fcsse,' seihst wenn man der chemischen Theorie vom Athmen huldigt. Allein es ist \u00e4usserst unwahrscheinlich, dass sich das beim Athmen verdunstende Wasser aus Elementen bildet, wie sp\u00e4ter heim Athmen gezeigt wird, und es ist vielmehr \u00fcberaus wahrscheinlich, dass Sauerstoff nn Blute bleibt; man kann daher nur die von der Kohlens\u00e4urebildung entstandene W\u00e4rme in Anschlag bringen, welche nach Dulong bei Pflanzenfressern 0,7, bei Fleischfressern der thierischen W\u00e4rme betr\u00e4gt. Ausserdem ist es noch eine blosse Hypothese, dass der Sauerstoff der Atmosph\u00e4re sich beim Athmen mit Kohlenstoff des Blutes zu Kohlens\u00e4ure verbindet, obgleich neue Thatsachen es unwahrscheinlich machen, dass die Kohlens\u00e4ure schon im Blute gebildet ist, und nur ausgehaucht wird, w\u00e4hrend der Sauerstoff\u2019 der Atmosph\u00e4re mit dein Blute sich verbindet. Nach dieser letzten Ansicht w\u00fcrde sich der Sauerstoff mit Kohlenstoff erst in dem Wege der Circulation des Blutes zu Kohlens\u00e4ure verbinden, und dem Blute eine h\u00f6here Temperatur mitlheilen, wobei sich nun die Erscheinungen eben so gut, wie hei der andern Hypothese erkl\u00e4ren lassen. Wo nun die Quelle der Kohiens\u00e4urebildung seyn mag, in den Lungen oder im Blute, jedenfalls ware der eingeathmete Sauerstoff hierzu die n\u00e4chste Veranlassung, und man k\u00f6nnte also das Athmen unmittelbar oder mittelbar f\u00fcr eine Quelle der thierischen W\u00e4rme an-sehen, und die von Dulong erlangten Resultate, dass von Kohlens\u00e4urebildung bei Pflanzenfressern 0,7, bei Fleischfressern 0,5 der thierischen W\u00e4rme entstehen, annehmen. Hieraus w\u00fcrde sich also erkl\u00e4ren lassen, warum der Embryo noch keine merkliche eigene W\u00e4rme besitzt, weil noch kein Sauerstoff eingeath-","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"IV\u00e4rmcerieugung. Ursachen.\n87\nmet wird, und warum Blaus\u00fcchtige, bei denen die Verwandlung jes Blutes durch das Athmen wegen Fehler der Kreislaufsorgane ehemmt ist, um einige Grade zuweilen kalter sind, warum die kaltbl\u00fctigen Thiere, bei welchen nur ein Theil des Blutes oxydirt wird, nur eine sehr unbedeutende eigene Temperatur besitzen. jjei den Amphibien athmet nur ein Theil des Blutes w\u00e4hrend des allgemeinen Kreislaufes. Bei den Fischen, wo zwar alles Blut w\u00e4hrend des Durchganges durch die Kiemen athmet, ist das Resultat doch nicht gr\u00f6sser als bei den Amphibien, weil der quantitative Stoffwechsel beim Athmen aus der in dem Wasser aufgel\u00f6sten atmosph\u00e4rischen Luft ausserordentlich viel kleiner ist als bei dem Luftathmen. Um die chemische Theorie der W\u00e4rmeerzeugung durch das Athmen auf eine entscheidende Weise zu pr\u00fcfen, m\u00fcsste man, in der Art wie Dulong und Desfketz, Versuche an kaltbl\u00fctigen Thieren anstellen, um zu sehen, oh die nach den quantitativ bestimmten Producten des Athmens theoretisch berechnete W\u00e4rmeerzeugung nicht zu gross ist gegen die sehr geringe von diesen Thieren entwickelte W\u00e4rme. Diess ist eine sch\u00f6ne Aufgabe f\u00fcr chemische Untersuchungen.\nIndessen muss es noch andere Quellen der thierischen W\u00e4rme geben. Einige, wie Pu. v. Walther und Paris, haben eine Iiaupt-quelle der W\u00e4rme darin gesucht, dass die Absonderungen aus dem Blute Fl\u00fcssigkeiten bilden, die eine geringere W\u00e4rmefassungskraft als das Blut haben, so dass W\u00e4rme frei werden muss. Nach Crawford ist die Capacit\u00e4t der Milch geringer als die des Blutes. Nach Paris (London med. and phys. journ. 21.\t1809.\nMeckel\u2019s Archiv 2. 308.) ist die W\u00e4rmecapacit\u00e4t des Urins 0,777, des arteriellen Blutes 1,003. Damit stehen indess die Versuche von Nasse (Meckel\u2019s .Archiv 1. 500.) im Widerspruch, der, so wie die Capacit\u00e4t des Blutes nach Davy kaum von der des Wassers verschieden ist, so auch die der Absonderungen nicht verschieden fand. Auf eine hei organischen Processen stattfindende Quelle der W\u00e4rmeerzeugung hat Pouillet [arm. ehern, phys. 20. 141. Meckel's Archiv 8. 233.) aufmerksam gemacht. Alle festen K\u00f6rper, sowohl unorganische als organische, werden durch Benetzung mit verschiedenen Fl\u00fcssigkeiten in ihrer Temperatur erh\u00f6ht. Viel gr\u00f6sser ist die Temperaturerh\u00f6hung bei organischen Substanzen, die in mehreren F\u00e4llen selbst 6 \u201410\u00b0 Cent, betrug. Hierauf k\u00f6nnte man besonders bei der Auf'\u00f6sung der Nahrungsmittel durch die Verdauungsfl\u00fcssigkeiten rechnen, und vielleicht die w\u00e4hrend der Verdauung stattfindende gelinde W\u00e4rmevermehrung erkl\u00e4ren. Allein gr\u00f6sser und allgemeiner ist gewiss die Quelle der organischen W\u00e4rme, welche bei den organischen Processen durch die Wirkung der organisirenden Kr\u00e4fte auf die Materie nicht in einem, sondern in allen Organen erzeugt wird, so dass im hohen Grade des Hungers, venu vorhandene Materie ausgeschieden, aber keine neue organiirt wird, nach Martine die W\u00e4rme bedeutend und um einige Gride abr.immt, w\u00e4hrend doch me in der Kohlens\u00e4urebildung Hebende Ursache der W\u00e4rme ortdauert. (Dagegen ein von Currie erz\u00e4hlter Fall vom Verschl\u00fcssen des Schlundes. Wirkunsm des kalten und warmen Was-","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\tProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nsers. Lcipi. Bd. I. p. 267.) In der Entz\u00fcndung erh\u00f6ht sich unter vermehrtem Blutandrange die Temperatur des entz\u00fcndeten Thei-les, die Thomson jedoch nicht f\u00fcr gr\u00f6sser h\u00e4lt als im Blute der grossen Gef\u00e4sse. Lett, on inflammation. Edinh. 1813. 46. Becque-kel und Breschet fanden in lebhaft entz\u00fcndeten skrophul\u00f6-sen Geschw\u00fclsten eine Erh\u00f6hung der Temperatur um 30 Cent. Die Muskelbewegung erh\u00f6ht die Temperatur. Die Contraction der Muskeln war in Becquerel\u2019s und Breschet\u2019s Versuchen jedesmal mit einer \u00f6rtlichen Temperaturerh\u00f6hung von 1\u20142 Grad Cent, verbunden. Ein fieberhafter Zustand kann nach denselben Beobachtern die Temperatur um 3\u00b0 Cent erh\u00f6hen. Dagegen weiss man, das die Unterdr\u00fcckung der organischen Kr\u00e4fte in Nervenzufallen, im Fieberfrost, die Temperatur vermindert, ohne dass sich das Athmen gleich ver\u00e4ndert. (In der Ohnmacht in der Hand nach Currie 22jj B.) Da nun alle organischen Pro-cesse am meisten von dem Einfl\u00fcsse der Nerven auf die organi-sirte Materie abh\u00e4ngig sind, so darf man sich nicht wundern, wenn die Wechselwirkung der Organe mit den Nerven eine Hauptquelle der W\u00e4rme ist. Diess haben die Versuche von Broute, Chaussat und Andern gezeigt, Elliot und Home haben beobachtet, dass nach der Durchschneidung der Nerven eines Gliedes die W\u00e4rme desselben abnehme, und alle best\u00e4tigen diess von der Durchschneidung des Nervus vagus. Dieser Unterschied ist tliermometrisch messbar, dagegen man wohl das subjective Gef\u00fchl der K\u00e4lte nach Verletzung der Nerven eines Gliedes unterscheiden muss. Earle fand bei einer L\u00e4hmung des Armes an der gel\u00e4hmten Hand 70\u00b0 F., an der gesunden 92. Durch Elek-trisiren des Gliedes erhob sich die Temperatur zu 77. In einem andern Falle hatte der gel\u00e4hmte Finger 56, die gesunde Hand 62. Med. Chirurg. Transact. 7. p. 173. ' Meckel\u2019s Archiv 3. p. 419. Aelloly, Med. chirurg. Iransact. 3. Brecouerel und Breschet fanden bei Hemiplegie keinen merklichen Unterschied zwischen dem gesunden und gel\u00e4hmten Gliede.\nBrodie [Phil, transact. 1811. 4, 1812. 378, Beil's Archiv 12. 137. 199.) Und, dass bei einem Thiere, dessen Kopf abge-schnitten ist, oder dessen Medulla oblongata durchschnitten, oder dessen Gehirn zerst\u00f6rt, oder das durch Woraragift get\u00f6dtet worden, durch k\u00fcnstlicn unterhaltenes Atbinen mittelst Lufteinblasen, Kreislauf und Umwandlung des Blutes in den Lungen unterhalten werden k\u00f6nnen, vovon er sich durch Analyse der Luftarten \u00fcberzeugte, dass aber keine W\u00e4rme entwickelt wird, und dass ein solches Thier schneller erkaltet, als wenn das Athmen nicht k\u00fcnstlich unterhalten vird, weil die eingeathmete Luft dasselbe ahk\u00fchlt. Hall fand digegen, dass ein gek\u00f6pftes Thier bei k\u00fcnstlich unterhaltenem A ihnen seine W\u00e4rme l\u00e4nger behielt, Lond. med.phys. Journ. 32, 1814. Vergl. Brodie ebend. p. 295. Meckel\u2019s Archied. 429. 4.34. Lega,lois Versuche {arm. ehern, phys, 4. 1817. Meckel\u2019s Archiv 3. 436.) stimmen auch nicht ganz mit dem Be-sultate von Brodie \u00fcberein er i\u00e4nd, dass bei jeder Erschwerung des Athmeus, wenn Thiere befestigt auf dem B\u00fccken liegen, wenn sie iu verd\u00fcnnter oder mit Uickgas oder Kohlens\u00e4ure versetzter","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"W\u00e4rmeerzeugung. Ursachen.\n89\nLuft athmen, eine Verminderung ihrer Temperatur stattfindet, dass auch das Lufteinbinsen durch Erschwerung desAthmens die Temperatur vermindert, und dass das st\u00e4rkste Erkalten immer dein geringsten Verbrauche von Sauerstoffgas entspricht. Emwert fand \"hei Wiederholung der BflODiE\u2019schen Versuche mit Giften und Lufteinblas\u00e9n nur eine Temperaturver\u00e4nderung von 3\u00b0 R. in 74 Min. Meckel\u2019s Archiv 1. 184. Wilson Philipp (Untersuchungen \u00fcber die Gesetze der Functionen des Lehens, \u00fcbersetzt von Sonthei-mER Stuttg. 1822.) fand, dass eine zu frequente k\u00fcnstliche Respiration schnell abk\u00fchlt, w\u00e4hrend eine gem\u00e4ssigte die Abk\u00fchlung verlangsamt. Indessen sind Brodie\u2019s Versuche in der Hauptsache beweisend. Er hat gezeigt, dass gesunde Kaninchen in ^ Stunde 28,22 K. Z. kohlensaure Luft ausathmen, dass Kaninchen, hei denen nach Vergiftung oder Zerst\u00f6rung der Medulla oblongata das Athmen k\u00fcnstlich unterhalten wird, in \\ Stunde noch 20,24 bis 25,55, bis 28,27 l\\. Z. kohlensaures Gas ausathmen, dass also bei gesunden Kaninchen und bei get\u00f6dteten mit k\u00fcnstlichem Athmen die Produkte des Athmens fast dieselben sind, und dass gleichwohl ein Kaninchen nach Durchschneidung der Medulla oblongata in einer Stunde 6\u00b0 W\u00e4rme verliert. Vergl. \u00fcber Brodie\u2019s Versuche Nasse\u2019s Bemerkungen in Reil\u2019s Archiv 12. p. 404.\nChaussat (Meckel\u2019s Archiv 7. 282.) fand das best\u00e4ndige Sinken der Temperatur bei Thieren, die auf dem R\u00fccken liegend befestigt sind, nicht best\u00e4tigt bei Hunden, er fand dagegen Bro-die\u2019s Beobachtungen best\u00e4tigt. Nach Verletzung des Gehirns sa nk die Temperatur in der 11. \u2014 22. Stunde bis zum Tode von 40\u00b0 auf 24\u00b0 Cent. Die Durchschneidung des Nervus vagus, welche, ohne dass der chemische Athemprocess wesentlich ver\u00e4ndert wird, nach Legallois durch Infiltration der Lungen mit Blut oder Serum t\u00f6c\u2019.tet, bewirkt Sinken der Temperatur, w\u00e4hrend 12\u201436Stunden zu 36\u201437\u00b0, zuletzt bis zu 20\u00b0 Cent. Bei allen diesen Versuchen ist leider die Temperatur der atmosph\u00e4rischen Luft nicht angegeben. Bei Verletzungen des Pi\u00fcckenmarkes an verschiedenen Stellen zeigte sich der Einfluss um so gr\u00f6sser, je hoher die Verletzung stattfand, so dass die Folgen im Verh\u00e4ltnisse der Zahl der unter der Verletzung vom R\u00fcckenmarke abgehenden Nerven steigen, was im Allgemeinen auch f\u00fcr die anderen Folgen der R\u00fcckenmarksverletzungen gilt.\nCiiaussat sucht zuletzt zu beweisen, dass auch der Nervus sympathicus einen grossen Antheil an der thierischen W\u00e4rme habe; denn er fand nach Verletzung des Nervus splanchnicus auf der linken Seite, die er mit Exstirpation der Nebenniere (bei einer nicht zu grossen Wunde?) bewirkt haben will, dass die Temperatur in 10 Stunden oder bis zum Tode von 4\u00f6,19 bis 26\u00b0 C. fort und fort sank. Ferner unterband Chaussat bei einem Hunde die Aorta am Aortenschlitz und mass den Unterschied der Tem-peratur in der obern und untern H\u00e4lfte des Thieres; die Speiser\u00f6hre zeigte hei dem wiederholten Versuch bis zum Tod eine etwas geringere Temperatur als der Mastdarm. Diesen geringen Unterschied rechnete Ciiaussat auf die beim Athmen stattfin-","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\ndende Abk\u00fchlung. Chaussat schliesst daraus, dass die Brusth\u00f6hle viel weniger Antheil an der W\u00e4rmebildung habe als die Bauch, h\u00f6hle durch den Einfluss der Nerven. Das Sinken der Ternpe-ratur nach Durchschneidung des Nervus vagus k\u00f6nne man nicht als Gegenbeweis anf\u00fchren, da dieser Nerve eben so gut Organe der Bauchh\u00f6hle versieht. Allein Chaussat legt hier auf schwankende Versuche, die wenig oder gar nichts beweisen, ein grosses Gewicht, ohne die vielen Einw\u00fcrfe, die man denselben entgegenstellen kann, vorauszusehen.\nIndessen beweisen mehrere der angef\u00fchrten Erfahrungen jedenfalls, dass der Nerveneinfluss auf die organischen Processe einen grossen Antheil an der W\u00e4rmeerzeugung ausser den Lungen hat. Hieinit stimmt auch Berzelius \u00fcberein. Was diese Ansicht ferner zu erh\u00e4rten scheint, ist die schnelle und momentane, bald allgemeine, bald ganz lokale Temperaturerh\u00f6hung in Aufregungen der Nerven, das allgemeine Warmwerden bis zum Schweissausbrechen in Leidenschaften, die aufschiessende Gesichtsw\u00e4rme, welche nicht bloss subjectives Gef\u00fchl ist, die ehen so schnelle Verminderung der Temperatur hei deprimirenden Gem\u00fcthsaffecten, Erscheinungen, die s\u00e4rnmtlich freilich auch von vermehrtem und vermindertem Blutzufluss, und zum Thcil von der ver\u00e4nderten Bewegung des Herzens abgeleitet werden k\u00f6nnen. Wir ziehen aus Allem vorl\u00e4ufig den Schluss, dass Temperaturerh\u00f6hung bei allen organischen Processen stattfindet, dass sie aber zum Theil bestimmt wird durch die von den Nerven abh\u00e4ngige Belebung der organischen Processe. Vergleicht man nun die warmbl\u00fctigen Thiere mit den kaltbl\u00fctigen, so kann man die Ursache des Temperaturunterschiedes zun\u00e4chst in der geringem Intensit\u00e4t des Athemprocesses oder der organischen Processe \u00fcberhaupt suchen. Ohne eine Erscheinung von der andern abzuleiten, ist hier zu erw\u00e4gen, dass bei den niederen Thieren die Nervenrnasse in den Centrallheilen des Nervensystems im Verh\u00e4ltniss zu den Nerven selbst abnimmt, dass das Athmen im Verh\u00e4ltniss zur Masse des K\u00f6rpers weit geringer ist, dass die kaltbl\u00fctigen Thiere weniger gerinnbare Theile des Blutes besitzen, wie Pr\u00e9vost und Dumas zeigen, wie denn auch nach Saissy das Blut der Winterschl\u00e4fer in demselben Fall seyn soll, ja dass nach Pr\u00e9vost und Dumas die V\u00f6gel und einige S\u00e4ugethiere, bei gr\u00f6sserer Quantit\u00e4t der Blutk\u00f6rperchen und des Faserstoffes im Blut, auch eine gr\u00f6ssere W\u00e4rme haben.\nErst wenn man alle diese Thatsachen \u00fcber die Ursachen der W\u00e4rmeerzeugung erwogen hat, lassen sich mit Erfolg die Untersuchungen \u00fcber die von selbst entstehende Abnahme der W\u00e4rmeerzeugung im Winterschlaf und \u00fcber die Ursache dieses letztem ankn\u00fcpfen. F\u00fcr\u2019s Erste darf man den Winterschlaf einiger S\u00e4ugethiere nicht isolirt betrachten, sondern man muss von der Thatsache ausgehen, dass alle Thiere, wenn die \u00e4ussere Temperatur unter ein gewisses Minimum herabsinkt, in Scheintod verfallen, erfrieren, ohne dadurch die F\u00e4higkeit zum Leben gerade zu verlieren, dass aber dieses Minimum nach der Organisa-","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Ursachen fies TV inter- und Sommerschlafs.\n91\nt;on und geographischen Verbreitung der thierischen Wesen verschieden ist.\n1.\tDer Mensch zeigt hierbei offenbar eine grosse Tenacit\u00e4t der organischen Kr\u00e4fte, indem er unter allen Climaten, wo sich thierische Wesen finden, im h\u00f6chsten Norden, wie unter dem A equator, seine eigene Temperatur unter g\u00fcnstigen Bedingungen erh\u00e4lt. Indessen wird auch er hei Mangel an Schutz durch K\u00e4lte (Reizentziehung) scheintodt, und zwar um so leichter, wenn die organische Kraft durch berauschende Mittel unterdr\u00fcckt Avar.\n2.\tViele Thiere erleiden diesen Zustand leicht, wenn die zu ihrem Lehen n\u00f6thige \u00e4ussere W\u00e4rme, wodurch ihre geographische Verbreitung bestimmt ist, fehlt, und V\u00f6gel wandern wegen dieser Ursache.\n3.\tS\u00e4ugethiere, die bei einer gewissen niedern Temperatur im erwachsenen Zustande nicht in Scheintod verfallen, verfallen in Scheintod bei dieser Temperatur, wenn sie noch jung sind, wie Legat.t.ois Beobachtungen von fi \u2014 8w\u00f6chentlichen Kaninchen zeigen, welche durch \u00e4ussere W\u00e4rme wieder belebt werden k\u00f6nnen. Da nun der beim Athmen stattfindende Stoffwechsel als Ursache von W\u00e4rmeerzeugung durch die K\u00e4lte hier offenbar nicht zun\u00e4chst beschr\u00e4nkt wird, da alle beim Scheintode durch K\u00e4lte eintretenden Symptome, Unempfindlichkeit, Schlafsucht,\nKraftlosigkeit, vielmehr n\u00e4hme der organischen Kr\u00e4fte zeigen derte Athmen als Folge\neine durch Reizentziehung bedingte Ab-, so muss man das gemin-, , nicht als Ursache dieses Scheintodes an-sehen, eben so wie hei der Ohnmacht durch Nervenzuf\u00e4lle, und die Abnahme der eigenen W\u00e4rme ist eben so eine Folge der Unterdr\u00fcckung der organischen Kraft, die auch erst durch Ver-\nminderung der Athen)hewegungen und des Athmens die etwa in den Lungen bedingte W\u00e4rmeerzeugung verhindern k\u00f6nnte. Die Ursache, dass gewisse Thiere leichter in Scheintod durch K\u00e4lte fallen als andere, liegt also in ihrem zartem Bau und dem grossem Bed\u00fcrfnis ihres organischen Processes, durch W\u00e4rme ange-fachl und gereizt zu werden. Dieses verbunden mit einem periodisch eintretenden Mangel an Lehensenergie muss man auch a s Ursache des Winterschlafs hei den Winterschl\u00e4fern ansehen, dem nur das Eigenth\u00fcmliche ist, dass ihr Scheintod l\u00e4nger ome Schaden ausgedehnt werden kann. Die von Saissy und ^ ndern^angef\u00fchrten Ursachen des Winterschlafs sind zum Theil gen von der Ver\u00e4nderung der organischen Kraft, zum\nblosse Folgen\nTheil sind die angef\u00fchrten Umst\u00e4nde unrichtig, wie Otto von er supponirten Gr\u00f6sse der \u00e4usseren Nerven bemerkt, so wie auc l die von Mangili behauptete Kleinheit der Hirngef\u00e4sse nach aissy und Otto nicht vorhanden ist. Ueber die Kleinheit der ungen l\u00e4sst sich nach Saissy\u2019s Merkmalen nicht entscheiden.\nDer Winterschlaf der Thiere gleicht daher ganz dem Winterschlaf der Pflanzen , dessen Bedingungen theils Reizentziehung n-.ei,s i.ei'le periodische Ver\u00e4nderung der Lebensenergie ist. Der js^C, lc:le Schlaf der Pflanzen, die Lagever\u00e4nderung der Bl\u00e4tter, se|i U1C1 Reizentziehung, n\u00e4mlich des Lichtes, bedingt, und tritt","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nw\u00e4hrend der Schlaf der Thiere durchaus nicht von Reizentzie. hung bedingt ist, sondern von der durch Th\u00e4tigkeit bedingten Ver\u00e4nderung und Ersch\u00f6pfung herr\u00fchrt, daher auch zu jeder Tageszeit nat\u00fcrlich ist, obgleich er niehrentheils aus zuf\u00e4lligen Ursachen mit der Nachtzeit zusammentrifft.\nDer Sommerschlaf der Amphibien und des Tanrecs scheint durch die von zu vieler W\u00e4rme bedingte Umstimmung der or. ganischen Theile zu entstehen. Der Wassermangel scheint auch hei den sommerschlafenden Thieren mit eine Hauptursache des Verknechens, und es ist also dieser Zustand durch Mangel des einen und zu starke Wirkung eines andern Lebensreizes bedingt. Vergl. Pastr\u00e9 Nop. act. acad. nat. cur. 14. 661. Es schliessen sich diese Thatsachen an die Erfahrungen \u00fcber die deprimirenden Wirkungen eines hohen anhaltenden W\u00e4rmegrades auf die Functionen des Nervensystems hei dem Menschen an, und es lassen sich die Wirkungen der W\u00e4rme und K\u00e4lte hierbei sehr gut parallelisiren. Beide k\u00f6nnen sowohl Umstimmung der Reizbarkeit als Reizung, Entz\u00fcndung und Brand bewirken. Eins pl\u00f6tzliche heftige Einwirkung der K\u00e4lte auf warme thierische Theile wirkt zersetzend. Aeusserst kalte Gegenst\u00e4nde f\u00fchlen sich auch schmerzhaft an und machen dann gef\u00fchllos. In noch h\u00f6-herin Grade entsteht Brand, \u00f6rtlicher Tod. In geringeren Graden bewirkt die K\u00e4lte, verletzend durch W\u00e4rmeentziehung, Entziin-dungs- und Reiznngssymptome bei dem Streben der Theile zur Herstellung des Gleichgewichtes. Bei einer m\u00e4ssigen St\u00e4rke wirkt die K\u00e4lte augenblicklich erregend. So macht kaltes Wasser augenblicklich die Haut ganz roth, wie ich selbst beim Baden im Fluss im October empfand; dies ist aber nur momentan und es folgen schnell Erscheinungen einer innern Umstimmung durch W\u00e4rmeentziehung. Man bedient sich der K\u00e4lte als Reiz in dieser Art zuweilen, um eine Umstimmung im Nervensystem zu bewirken , die wohlth\u00e4tig werden kann. Auch ist kaltes Wasser in Fiebern mit sehr heisser trockner Luft mittelbar oft ein belebendes Reizmittel und stellt den Turgor der Haut her, wie die W\u00e4rme in kalten Theilen. Die secund\u00e4ren Wirkungen anhaltender K\u00e4ltegrade sind immer Abspannung des Nervensystems. Die allm\u00e4hhgc Einwirkung der K\u00e4lte bis zu einem hohen Grade versetzt Menschen in den Scheintod und die Winterschl\u00e4fer in Winterschlaf durch Reizentziehung, w\u00e4hrend ein zu hoher W\u00e4rmegrad allm\u00e4hlig auch die Functionen des Nervensystems, aber wahrscheinlich durch Alteration herabsetzt, und in den Sandw\u00fcsten hei gleichzeitigem Mangel an Wasser asphyktisch macht, und den Sommerschlaf der Amphibien und des Tanrecs in den heissen Climaten bedingt.\n3. Licht ent Wickelung.\nMan weiss jetzt mit Sicherheit, dass das Leuchten des Meeres, jenes Licht, welches die bewegten W ellen, besonders hinter segelnden Schiffen, verbreiten, und weiches bis zum 60. Grade s\u00fcdlicher Breite wahrgenommen worden, von thierischen Wesen herr\u00fchrt. Es sind theils Infusorien (Peridinium tripos, P. l\u00fcsu\u00bb,","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Licht ent Wicklung und subjective Licht empfindung.\n93\np. furca. Prorocentrum inicans Ehrenb.) theils R\u00e4derthierchen (Svnchaeta baltica Ehrenb.) theils Polypen (Veretillum, Seefedern), Pei denen vorz\u00fcglich nur die Polypenblumen zu leuchten scheinen, theils Medusen (Oc\u00e9anien, Heroen, Cydippen), theils Anneliden (Nereiden, Polynoe fulgurans der Ostsee), theils endlich Mollusken (Pholaden, Salpen, Pyrosomen) und Crustaceen (Oniscus fu|\u201eens s. Carcinium opalinum Meyen u. a.) Zuweilen leuchtet auch der Schleim und das Wasser, was von leuchtenden Thieren abfliesst, wie bei Salpen, Heroen, Pholaden, Nereiden. Meyen (non. act. nat. cur. Vut. 16 Suppl.) unterscheidet 3 Arten von Leuchten des Meers. 1. Leuchten des Seewassers durch darin aufgel\u00f6sten Schleim. Das Wasser zeigt eine gleichmassige milchweisse ins Bl\u00e4uliche fallende Farbe. Diess Leuchten findet sich weniger auf offener See, aber h\u00e4ufiger in den Hafen der Tropen. Bewegung und erh\u00f6hte Temperatur steigern das Leuchten; eben das geschieht durch s\u00fcsses Wasser, wenn leuchtende Medusen in einem Gef\u00e4ss mit s\u00fcssem Wasser zerquetscht sich befinden. Meyen sah dasselbe an dem von der Oberfl\u00e4che der Salpen und Heroen mit Wasser abgewaschenen und dann stark gesch\u00fcttelten Schleim, worin er keine Infusorien gefunden hat. Durch frisch zerquetschte Heroen wird das Wasser sogleich leuchtend. 2. Leuchten des Seewassers durch Thiere, welche mit einem phosphorescirenden Schleime bedeckt sind. Diess Leuchten scheint durch eine Oxydation der Oberllache der Schleimdecke zu entstehen, da das verschwundene Leuchten durch eine geringe Ver\u00e4nderung der Oberfl\u00e4che, durch einen Strich mit dem Finger, sofort wieder hergestellt werden kann. Das Leuchten h\u00e4ngt nicht unmittelbar von dem Lehen der Thiere ab, da es oft noch eine Zeit lang nach dem Tode fortdauert. Die durch den sie bedeckenden Schleim leuchtenden Thiere sind nach Meyen Infusorien, R\u00e4derthiere, Salpen, Medusen, Seesterne, Sepien, Sertularien, Pennatulen, Planarien, Crustaceen, Anneliden. 3. Leuchten des Seewassers durch Thiere, welche eigenth\u00fcmliche Leuchtorgane besitzen. Meyen untersuchte das Pyrosorna atlanticum; sein Licht ist sehr lebhaft und von gr\u00fcnlich blauer Farbe. Sobald die Thiere beim Fangen mit dem Netz ber\u00fchrt wurden, senkten sie sich und leuchteten nicht mehr. \\\\ enn man die gefangenen und in Wasser bewahrten Thiere ber\u00fchrte, so trat das Licht zuerst als ganz kleine Funken auf, deren jeder aus einem dunkeln fast kegelf\u00f6rmigen K\u00f6rper im Innern der Substanz jedes besondern Thie-res, meist ganz dicht unter seiner innern Fl\u00e4che hervorkam. Dieser dunkle weiche K\u00f6rper ist rothbraun gef\u00e4rbt. Die Spitze desselben zeigt unter dem Mikroskop 30 \u2014 40 ausser;t kleine rothe P\u00fcnktchen. Fasst man ein schwimmende? nicht leuch ten-, es Pyrosorna an beiden Enden des K\u00f6rpers, so treten die Fun-e\" zuerst an den Enden des K\u00f6rpers auf, sie vergr\u00f6ssern sich Wehr und mehr und endlich fliesst ihr Licht zusammen. Mit uem Tode verschwindet das Leuchten. Dicht hinter der Mund-nung und etwas vor den Respirationsorganen jedes Individuums es zusammengesetzten Thieres liegt das Leuchtorgan. Ein eben-lekanntes Leuchtthier der See ist der Oniscus fulgens, Carci-","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nnium opalinum Meves. Im 4. unci 5. Gliede des Leibes dieses Crustaceums sind die keulenf\u00f6rmigen Leuchtorgane. Im Kopfe des Erythrocepbalus macrophthalmus soll sich auch ein leuchtendes Organ befinden.\nEhrenberg\u2019s Abhandlung \u00fcber das Leuchten des Meers (Abh. der k. Academie der Vissensch. zu Berlin 1835.) enthalt ausser einer ausf\u00fchrlichen historischen Zusammenstellung aller bisherigen Erfahrungen, viele eigentlr\u00e4mliche neue und aufklarende Beobachtungen \u00fcber das an Dunkelheiten bisher so reiche Ph\u00e4nomen. Bei Alexandrien hatte der Verf. Gelegenheit, Beobachtungen \u00fcber das angebliche Leuchten des Spongodium vermiculare anzustellen. Es leuchtete wie verschiedene Fucusarten nur durch anhangende leuchtende P\u00fcnktchen. Ehrenberg fing solche Leuchtpunkte in einem Uhrglase auf und isolirte sie immer enger. Das Mikroskop zeigte in allen Fallen in dem Wasser kleine schleimige runde Partikeln, ohne alle bestimmte Form, ohne deutliche Organe und ohne Leben. Bei zahlreichen Beobachtungen am rotlien Meere gelang es damals auch nicht, das Phaenornen auf bestimmte Thiere zu fixiren. Gl\u00fccklicher w aren die Beobachtungen \u00fcber die Leucht-thierchen der Ostsee und Nordsee, nachdem Ehrenberg auf die von Michaelis beobachteten leuchtenden K\u00f6rper aufmerksam geworden war. Zuerst wurde die Erscheinung an Polynoe i\u00fclgu-rans, einem Ringelwirinchen der Ostsee beobachtet. DieLeucht-organe waren 2 grosse gek\u00f6rnte Organe, den Eierst\u00f6cken vergleichbar. Das hiehcr gesandte Ostseewasser leuchtete noch von fliesen Thieren. ln hieher gesandtem Wasser der Ostsee beobachtete der Verf. sp\u00e4ter noch die leuchtenden Infusorien, Peri-dinium tripos, P. fuses, P. furca und Prorocentrum micans, Ein R\u00e4derthierchen der Ostsee, Synchaeta baltica E. leuchtet nach Michaelis auch. Ina Meerhusen von Christiania in Norwegen beobachtete Eiirenbeeg auch leuchtende Medusen. Oceania mi-croscopica von ~ Linie Durchmesser bildete h\u00fcpfende leuchtende Punkte. Bei Cvdippe pileus \u00fcberzeugte sich Ehrenberg, dass das Leuchten von der Mitte gerade da ausging, wo die beiden Eierst\u00f6cke liegen. Ebenso schien es hei Oceania pileata. Die Medusa aurita sah Ehresberg weder in der Ostsee noch im rotlien Meer leuchten. Beokachtungen auf Helgoland angestellt, zeigten dem Verf. noch fernere leuchtende Formen, die er zu isoliren gl\u00fccklich war; es waren langsam schwimmende Gallertk\u00fcgelchen, Oceania seintiIIans. Die \u00fcber einen Zoll grosse Oceania hemi-sphaerica zeigte eineD ganzen Kranz von Feuerfunken im Umkreis des Randes. Die Funken entsprachen allemal der verdickten Basis der gr\u00f6sseren Cirren am Rande oder Organen in deren N\u00e4he und mit ihnen abwechselnd. Sonst gab der K\u00f6rper dieser Thiere weder lebend noch todt irgend eine Spur von Licht. So \u00fcberzeugte sich Ehrenbelg immer mehr, dass alle todtc Medusen so wenig leuchteten als Fragmente todter Fische oder umbertreibender Schleim, und er vermuLhet, dass auch seine am rotlien Meer und hei Alexandrien gemachten Beobachtungen \u00fcber das Leuchten von Fragmenten zerst\u00f6rter organischer K\u00f6rper nicht auf blosse todte Stoffe zu beziehen scyn m\u00f6gen, sondern","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Licht ent wicklung und subjective Lichtempfindung.\n95\ndass fliese tien zerrissenen noch lebenden Noctiluken und Oc\u00e9anien glichen, welche er auf Helgoland noch leuchten sah. Bei jVereis cirrigera (Photocharis Eubenberg) geht das Licht von 2 fleischigen Cirren auf jedem ihrer Fiisse aus. Erst entstand ein Flimmern einzelner Funken an jedem Cirrus, bis der ganze Cir-rus leuchtete; zuletzt floss das Feuer \u00fcber den R\u00fccken hin und das ganze Thier glich einem brennenden Schwefelfaden. Auch der Schleim der Photocharis leuchtete abgewischt an den Fingern. Ehrenberg bezweifelt, dass die Respiration mit dem Leuchten der Thiere irgendwo im Zusammenhang stehe und erkennt die Verbindung der Lichtentwickelung mit der Sexualfunction an. Das Lichterregende istnach ihmein der Entwickelung von Electricit\u00e4t sehr \u00e4hnlicher Lehensakt, welcher durch Wiederholung schw\u00e4cher wird, aussetzt, und sich im directen Zusammenhang mit den Nerven zu erkennen giebt. Die leuchtenden Insecten sind Eiater noctilucus, phosphoreus, ignitus, Pausus sphaerocerus Afzeh, Scarabneus phosphoreus, mehrere Arten Lampyris, Scolo-pendra electrica. Treviranus Eiol. 5. 97. Bei den leuchtenden Springk\u00e4fern sind die Ilauptstellen, welche leuchten, zwei ovale, mit d\u00fcnnen durchsichtigen Platten bedeckte Stellen zu den Seiten des Brustschildes. Treviranus fand die ieuchtende Substanz einerlei mit dem Fettk\u00f6rper der Insecten. Bei dem Johannisw\u00fcrmchen, Lampyris noctiluca, splendidula, strahlt das Licht aus der untern Seite der drei letzten Bauchringe, besonders aus 2 weisslichen Puncten am letzten Ringe; von Lampyris splendidula leuchten auch die Eier, und es scheint, dass auch seihst Puppe und Larve nicht ganz ohne Licht sind. Nach Treviranus sind hier die inneren Zeugungstheile der Sitz des Lichtes (?) Der scheinbar willk\u00fchrliche Einfluss des Thicres auf das Leuchten geschieht nach Treviranus durch das Athemholen. Das Leuchten dauert in irrespirablen Gasarten und im luftleeren Raume nicht fort oder nimmt wenigstens ah, worin alle Beobachter ausser Macartney und Murray \u00fcbereinstimmen. Nach dem Tode des Thieres ist die F\u00e4higkeit zu leuchten nicht ganz erloschen. Die leuchtenden Theile l\u00e4ngen seihst getrocknet von Neuem zu leuchten an, wenn man sie in Wasser aufweicht. Das Licht der K\u00e4fer nimmt in Wasser erst nach einigen Stunden ah, in Oel dagegen sogleich, kehrt aber wieder zur\u00fcck, wenn das Thier, todt oder lebendig, in D\u00e4mpfe der rauchenden Salpeters\u00e4ure gebracht wird. Siehe \u00fcber alles dieses und das N\u00e4here Trevi-Ranus Biologie a. a. O. Tiedemann\u2019s Physiologie I. 488 \u2014510. Gmeliks Chemie /. 81\u201486. Nach Carrara [Bild. ltal. LXXXII.) soll das Licht der Lampyris italica funkelnd seyn, w\u00e4hrend das Leuchten der L. splendidula gleichf\u00f6rmig ist; erstere soll einen \u25a0n't dem Luftr\u00f6hrensystem nicht zusammenh\u00e4ngenden grossen Luitbeh\u00e4lter haben, welcher der letztem fehlt. Dieser Beh\u00e4lter steht mit dem Munde einerseits und sein spitzes Ende mit dem Wuchtorgan anderseits in Verbindung. Durch den Einfluss der ult auf die leuchtende Substanz werde ihr Licht verst\u00e4rkt und e* Einfluss der Luft durch Compression der Blase erh\u00f6ht. Its scheint nach allen bisherigen Untersuchungen Treviranus Ansicht","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nProlegomena. 4. Physikalische Erscheinungen.\nam wahrscheinlichsten, dass das Leuchten von einer phosphor, haltigen Materie herr\u00fchrt, die sich zwar unter dem Einfl\u00fcsse des Lehens combinirt, aber einmal gebildet auch einigermassen vom Leben unabh\u00e4ngig ist. Mehrere Erscheinungen k\u00f6nnten glauben machen, dass die Leuchtk\u00e4fer Lichtsauger seven, gleich den Bononischen Steinen, und das am Tage absorhirte Licht Abends wieder von sich gehen, wie Carradori, Beccaria, Monti glaubten, besonders da ausser vielen mineralischen Substanzen (Schwefelbaryum mit schwefelsaurem Baryt gemengt, Austerschalen mit Schwefelblumen gegl\u00fcht u. a.) auch organische Theile im getrockneten Zustande (als Samen, Mehl, St\u00e4rkemehl, arab. Gummi, Federn, K\u00e4se, Eigelb, Muskelfleiscb, Sehnen, Hausen-blase, Leim, Horn) ziemlich gute Lichtsauger sind. Indessen widerspricht diesem, was Todd und Murray gefunden haben, dass Leuchtk\u00e4fer auch Abends leuchteten, wenn sie an dunkeln Orten aufbewahrt waren, obgleich Macartney und Macaire das Gegentheil beobachtet haben wollen. Tiedemann\u2019s Physiologie. I. 503.\nUnter den h\u00f6heren Thieren kennt man kein Leuchten, als etwa das Phosphoresciren der Eidechseneier und das bisweilen beobachtete Phosphoreseiren des Harns. Das Leuchten der Augen hei mehreren S\u00e4ugethieren, besonders Raubtbieren und namentlich Katzen, auch bei K\u00fchen, Pferden, ist fast zum medicinischert Aberglauben geworden. Diejenigen Thiere scheinen zuweilen aus den Augen zu leuchten, welche Licht von einem pigmentlosen gl\u00e4nzenden Tapelum reflectiren, gleichwie besonders auch das pigmentlose Auge der weissen Kaninchen leuchtet, wie denn auch des Kakerlaken Sachs Augen leuchten sollten. Pr\u00e9vost bat die Ursache zuerst gezeigt. Biblioth. briiannit/uc ISiO. T. 45. Er zeigte, dass das sogenannte Leuchten der Thieraugen niemals in vollkommener Dunkelheit und weder willk\u00fchrlich, noch durch Affecte hervorgebracht wird, sondern durch Reflexion von einfallendem Lichte entsteht. Gruithuisen hat unabh\u00e4ngig hiervon dasselbe gefunden. Beitr\u00fcge zur Physiognosie und Ea\u00f9tognosie p. 199. Diese Ansicht theilt auch Rudolphi (Physiologie I. 197.) mit und bemerkt, dass das Leuchten nur bei einer gewissen Stellung, wo das reflectirte Licht in unser Auge geworfen wird, erscheint, und dass, wie auch Gruithuisen schon bemerkte, auch die Augen todter Katzen bei g\u00fcnstiger Stellung leuchten. Ich habe dieselbe Beobachtungen gemacht und in meiner Schrift Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes. Leipz. 1826. p. 49. erz\u00e4hlt. INiemals haben die Albinos, oder Kakerlaken bei ihrem scheinbaren Leuchten der Augen selbst die Empfindung des Lichtes, Man sehe Schlegel\u2019s Beitrag zur n\u00e4hern Kenntniss der Albinos. Meiningen 1S24. p. 70. Ferner hat Esser (Kastner\u2019s Archiv. 8. 394.) Versuche \u00fcber das Leuchten der Thieraugen angestellt. Die Augen von Katzen, Hunden, Kaninchen, Schafen und Pferden leuchteten nicht an ganz dunkeln Orten. Die Reflexion des Lichtes erfolgte sonst eben so gut noch nach Entfernung der Hornhaut, Iris, Linse. Ich freue mich, mit diesen Beobachtungen auch Tiedemann\u2019s Erfahrungen \u00fcbereinstimmend zu finden, der das Leuch-","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"97\nLicht ent cvicklung und subjective Licht empfindung.\nten an einem Katzenkopf bemerkte, der 20 Stunden vom Rumpfe\ntrennt war, Physiol, p. 509. Um so befremdender ist es, dass neuerlichst in einem sonst so ausgezeichneten Werke wie Rengger\u2019s Naturgeschichte der S\u00e4ugethiere von Paraguay abermals das Ausstr\u00f6men von Licht bei vielen amerikanischen Thieren behauptet wird, das nach Durchschneidung der Sehnerven aufh\u00f6ren soll. Ich kann jedoch meine Ueberzeugung von der Reflexion seihst auf dieses Zeugniss nicht \u00e4ndern, und es w\u00e4re \u00fcberhaupt eine hlosse Mystification, wenn europ\u00e4ische Schriftsteller die Sache wahrscheinlicher fanden, weil sie von amerikanischen Katzen beobachtet ist. Der verdienstvolle und hochgesch\u00e4tzte Rengger kann sich hierbei leicht get\u00e4uscht haben. Wer f\u00fcr das Leuchten der Katzenaugen aus Neigung eingenommen, dem empfehlen wir, wie wir gethan haben, eine Katze in einen absolut dunkeln Raum mit sich zu nehmen und sich vom Gegentheil zu iiber-zeunen, dabei aber die durch eine schnelle Bewegung unserer eigenen Augen und durch Zerrung des Sehnerven entstehende, bloss subjective Lichtemplindung nicht zu verwechseln. Ein neuerer Versuch, den ich mit einer Katze an einem absolut dunkeln Raum, in einem Keller der hiesigen Anatomie in Gegen wart Mehrerer angestellt, fiel ganz negativ aus. Eine Person hielt die Katze. Diese Person wurde von mir im Dunkeln an einen Ort gestellt, den die andern Anwesenden nicht kannten, den sie aber wahrnehmen mussten, falls die Katze Licht aus den Augen ausstr\u00f6mte. Alle sahen nichts bis auf Einen, dieser wollte 2 feurige Kreise gesehen haben. Sogleich liess ich diesen seinen Arm nach der Gegend ausstrecken, wo er die Kreise gesehen haben wollte. Dann wurde die Thiire ge\u00f6ffnet und nun zeigte sich, dass der Arm nach der entgegengesetzten Seite von derjenigen, wo die Katze gehalten wurde, hinwies, zu nicht geringer Belustigung. Offenbar hatte derjenige, der die 2 feurigen Kreise sah, seine eigene Empfindung gesehen. Bei rascher Wendung der Augen im Dunkeln sieht man wegen Zerrung der Sehnerven sehr leicht zwei feurige Kreise, welche nichts als die gesteigerten Empfindungen der Sehnerven sind.\nDieser Gegenstand hat in der sehr guten Schrift von Hassenstein (de luce ex quorundam anirnaliurn oculis prodeunte atcjue de tapeto lucido. Jenae 1836.) seinen Abschluss erhalten. Die Versuche, die an den Thieren auch im leidenschaftlich aulgeregten Zustande angestellt sind, zeigen, dass die Augen in einem absolut dunkeln Piaume niemals leuchten, wohl aber, sobald in einen solchen Raum ein Minimum von Licht einf\u00e4llt, wozu Mond-hcht hinreicht; diess Leuchten verschwindet auf der Stelle, so wie das Licht entfernt wird. Von besonderem Interesse sind die Beobachtungen \u00fcber das reflectirende weisse Augenpigment der Fleischfresser. Das Tapetum der Pflanzenfresser verliert beim 1 rock neu seine Farbe, das Tapetum der Fleischfresser beh\u00e4lt sie, **nd enth\u00e4lt ein weisses Pulver von rundlichen K\u00f6rnchen. Nach . en damit angestellten Versuchen soll Kalkerde wahrscheinlich ln Verbindung mit Phosphors\u00e4ure seyn.\nEinige haben geglaubt, die Empfindungen von Licht beim\nMuller\u2019s Physiol,,gjt. j,\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"\u00d6S\nProlegomena. 4. Physikalische. Erscheinungen.\nDruck auf das Auge seyen auch hierher zu z\u00e4hlen. Allein diese Empfindung ist bloss subjectiv, wie der Schmerz in der Haut \u25a0weil alle Reizungen der Nervenhaut des Auges, mechanische, elektrische, wie innere organische, z. B. der Blutandrang, Nervenver-stimmung, subjective Lichtempfindung erregen. Niemals kann das ein Anderer sehen, wenn unser Auge die heftigsten subjectiven Empfindungen von Leuchten hat. Die subjectiven Gesichtsaffectio-nen sind bei jedem sehkr\u00e4ftigen Auge nicht selten und bei mir \u00e4usserst h\u00e4ufig, aber das sind subjective Bilder, Affectionen der Nervenhaut, weiche keine \u00e4usseren Gegenst\u00e4nde beleuchten k\u00f6nnen, weil sie ohne Entwickelung jenes irnpouderabeln Fluidums sind, welches auch in unserm Sehorgan Lichtempfindung erregt und Licht genannt wird; es sind blosse Empfindungen, die so wenig beleuchten, als mein Schmerz einem Andern Schmerz, mein Ohrenbrausen einem Andern Ohrenbrausen macht. Niemals findet so etwas statt. Ich habe so viel mit subjectiven Gesichtsaf-fectionen experimentirt, ich m\u00fcsste es beobachtet haben. Man vergleiche meine Bemerkungen \u00fcber den gerichts-\u00e4rztlich vorgekommenen Fall, wo Jemand durch einen Schlag auf das Auge einen R\u00e4uber erkannt haben wollte. Mueller\u2019s Archie f\u00fcr anat. und Physiol. 1834. p. 140.\nUebersicht der speciellen Physiologie.\nI.\tVon den allgemein verbreiteten thierischen S\u00e4ften, von der S\u00e4ftebewegung und dem Gef\u00e4sssystein.\nII.\tVon den organisch-chemischen Ver\u00e4nderungen in den organischen S\u00e4ften und den organisirten Theilen.\nIII.\tVon der Physik der Nerven.\nIV.\tVon den Muskelbewegungen, von der Stimme und Sprache.\nV.\tVon den Sinnen.\nVI.\tVon den Seelen\u00e4usserungen.\nVII.\tVon der Zeugung.\nVIII.\tVon der Entwickelung.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Der\nspeciellen Physiologie\nErstes Buch.\nVon den allgemein verbreiteten S\u00e4ften, von der S\u00e4ftebewegung und\nsystem.\norganischen von dem Gef\u00e4ss","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"I.\tAbschnitt. Vom Blut.\nI.\tVon der mikroskopisch-mechanischen Analyse des Blutes.\nII.\tVon der chemischen Analyse des Blutes.\nIII.\tVon der Analyse des Blutes durch die galvanische Saule.\nIV.\tVon den organischen Eigenschaften und Verh\u00e4ltnissen des\nBlutes.\nII.\tAbschnitt. Von dem Kreislauf des Blutes und dem\nBlutgef\u00e4sssystem.\nI.\tVon den Formen des Gef\u00e4sssystems in der Thierwelt.\nII.\tVon den Erscheinungen des Kreislaufes.\nIII.\tVon dem Herzen als Ursache des Kreislaufes.\nIV.\tVon den einzelnen Theilen des Gef\u00e4sssystems.\nV.\tVom Verhalten der Gef\u00e4ssw\u00e4nde bei der Aufnahme und\nAusscheidung der Stoffe.\nIII.\tAbschnitt. Von der Lymphe und dem Lymphgef\u00e4ss-\nsystem.\nI.\tVon der Lymphe.\nII.\tVon dem Lymphgef\u00e4sssystem.\nIII.\tVon den Actionen der Lymphgef\u00e4sse.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Der speciellen Physiologie\nErstes Buch.\nVon den allgemein verbreiteten organischen S\u00e4ften, yon der S\u00e4ftebewegung und von dem Gef\u00e4sssystem.\nI. Abschnitt. Vom Blut.\nDas Blut, dessen nicht genau bestimmbare Menge man beim erwachsenen Menschen sehr verschieden, von 8 \u2014 30 Pfand gesch\u00e4tzt, ist die Fl\u00fcssigkeit, welche die Stoffe zur Bildung und Erhaltung aller Theile des thierischen K\u00f6rpers enth\u00e4lt, welche die zersetzte Materie aus den Theilen in sich zur Ausscheidung nach besonderen Organen aufnimmt, und welche durch neue Nahrungsstoffe, theils aus \u00e4usseren Stoffen, theils aus Materien, die schon organisirt waren, von dem Lymphgef\u00e4sssystem aus erg\u00e4nzt wird. Die Umwandlung dieser Materien in Blut ist wahrscheinlich weniger eine Wirkung einzelner Organe, als eine allgemeine Wirkung der organisirten Theile, da die Keimhaut, zu welcher sich der Keim durch Anziehung und Umwandlung der Eifl\u00fcssigkeiten aushildet, vor der Existenz der melirsten Organe, und nachdem die ersten Spuren der Centraltheile des Nervensystems gebildet sind, innerhalb der Area vasculosa schon das Blut erzeugt.\nDas von den Lungen durch die Lungenvenen kommende und vermittelst der linken Herzkammer durch die K\u00f6rperarterie und.Aeste dem K\u00f6rper zugetriebene Blut ist hochroth, das durch die K\u00f6rpervenen zur\u00fcckkehrende, und vermittelst der rechten Herzkammer durch die Lungenarterie und Aeste wieder in die Lungen getriebene Blut ist dunkelroth.\nDas Blut ist bei einigen Wirbellosen (Anneliden) auch roth, Unter den Mollusken wenigstens bei Planorhis r\u00f6thlich nach Tre-yiRANus und meiner eigenen Beobachtung, bei vielen Wirbellosen lst es farblos.\nSowohl in den feinsten Gef\u00e4ssen eines durchsichtigen Thei-os als ganz frisch nach dem Ausflusse mikroskopisch untersucht, \u25a0besteht das Blut aus sehr kleinen rothen K\u00f6rperchen und einer","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nklaren farblosen Fl\u00fcssigkeit, Lympha seu Liquor sanguinis, -welchen inan nicht mit dem nach dem Gerinnen sich abscheidenden Blutwasser, Serum, verwechseln muss. Von Thieren, welche gr\u00f6ssere Blutk\u00f6rperchen haben, die nicht durch ein Filtrum von weissem Filtrirpapier gehen, wie beim Frosch, kann man noch vor dem Gerinnen sogleich einen Th ei l des farblosen Liquor sanguinis von den \u00fcbrigen Theilen abseihen, und sich so eine Anschauung von der farblosen Blutfl\u00fcssigkeit ausser den rothen K\u00f6rperchen verschaffen. Die K\u00f6rperchen des Blutes sind specifisch schwerer als die Fl\u00fcssigkeit, und k\u00f6nnen daher keinen luftf\u00f6rmigen Stoff enthalten.\nDas Blut des Menschen hat ein specifisches Gewicht von 1,0527 bis 1,057, einen salzigen Geschmack, reagirt schwach alkalisch, und verbreitet einen eigenth\u00fcmlichen Geruch, Halitus sanguinis, der etwas verschieden ist bei verschiedenen Thieren, und am st\u00e4rksten am Blute des m\u00e4nnlichen Geschlechtes bemerkt wird.\nDas aus der Ader gelassene Blut gerinnt in der Regel hei allen Wirhelthieren nach 2 \u201410 Minuten (beim Menschen nach 3 \u2014 7, bei Kaninchen schon nach 2 Minuten). Zuerst wird das Blut dabei zu einer zusammenh\u00e4ngenden gallertartigen Masse, die sich nach und nach zusammenzieht, und zuerst tropfenweise, dann immer st\u00e4rker eine klare, schmutzig gelbliche Fl\u00fcssigkeit auspresst, das Serum, Blutwasser. Das rothe Gerinsel wird i'.rassument um , P/acenta, Coagulum sanguinis, Blut kucken genannt. Das Blutwasser von 1,027 bis 1,029 spec. Gew. ist von salzigem Geschmack, bei den h\u00f6heren Thieren schwach alkalisch, bei dem Frosche aber sehr undeutlich, fast indifferent. Hermann hielt das Blut f\u00fcr sauer reagirend. Da der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen sich in Lakmustinctur so gut wie in Wasser aufl\u00f6st, so muss das mit Lakmustinctur versetzte Blut ein r\u00f6tldiehes Serum gehen, was Hermann zu dem Fehlgriffe veranlasst hat, das Serum f\u00fcr sauer zu halten. Das Blutwasser enth\u00e4lt thierische Stoffe aufgel\u00f6st, namentlich Eiweiss, Albumen, das aber nicht von selbst gerinnt, sondern nur bei gewissen Einfl\u00fcssen, wie von Erhitzung zu 70\u00b0 Cent, oder S\u00e4ure, Alcohol u. A. Wird das rothe Coagulum lange in Wasser ausgewaschen, so l\u00f6st sich die rothe Materie Cruor, in Wasser auf, und es bleibt eine weisse, fadenartige Materie zur\u00fcck, welche man Faserstoff, Fibrina, nennt. Dieser Stoff sinkt in \u00dflutwasser unter, gleichwie auch das rothe Coagulum, wenn es nicht zuf\u00e4llig, beigemengte Luftblasen enth\u00e4lt. Bei Schwangeren, W\u00f6chnerinnen, im acuten Rheumatismus und in Entz\u00fcndungen, \u00fcberhaupt aber, wenn das Blut langsamer gerinnt, senken sich die rothen K\u00f6rperchen \u00f6fter schon vor dem'Gerinnen unter das Niveau der I'l\u00fcssigkeit; da nun aber doch die ganze Masse gerinnt, so ist der obere Theil des Gerinsels weiss, Crusta inflammatoria, der untere rotli. Wenn frisches Blut geschlagen wird, so werden die rothen K\u00f6rperchen nicht mit von dem Coagulum eingeschlossen, und der Faserstoff gerinnt sogleich in farblosen F\u00e4den, die sich an den Stab anlegen, w\u00e4hrend das \u00fcbrige nun fl\u00fcssig bleibende Biut die rothen K\u00f6rperchen schwebend enth\u00e4lt. Wird das frische Blut einer sehr niedern Tempe-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Allgemeine Beschreibung des Bluts. Gerinnen.\n103\n\u2022itur ausgesetzt, so gefriert es und kann aufbewahrt werden, so dass es erst beim Aufthauen gerinnt. Alkalien verhindern die Ge-rinnung, schon ein Zusatz von 0,001 Aetznutrurn, nach P\u00dfEVOSt mul Dumas; auch einige Salze, schwefelsaures Natron, salpeter-s-iures Kali, kohlensaures Kali und Natron dem aus der Ader gelassenen Blut beigemengt, verhindern oder verz\u00f6gern die Gerinnung des Blutes. Auch Viperngift und Ticunasgift hat nach Fon-to\u2019a diese Wirkung, wenn 1 mit 20 Theilen Blut versetzt wird; dagegen Viperngift in Theile des lebenden K\u00f6rpers gebracht, die Gerinnung des Blutes schnell herbeif\u00fchren soll. Bei Menschen und Thieren, die vom Blitz oder starken elektrischen Entladungen get\u00f6dtet sind, oder nach Vergiftungen von Blaus\u00e4ure, hei Thieren, die bis zum Tode gejagt, beim Tode nach starken Schl\u00e4-<>en auf den Magen, worauf die Muskeln nicht todtenstarr werden sollen, vermisst man auch zuweilen die Gerinnung des Blutes in den Gelassen. Abernethy physiol, lect. pag. 246.\nDas Blut gerinnt sonst ausser dem lebenden K\u00f6rper sowohl in der Ruhe, als wenn es bewegt wird, auch hei einer Temperatur, welche der des lebenden K\u00f6rpers gleich ist, es gerinnt im luftleeren Raum und in vollgef\u00fcllten, luftdicht verschlossenen Gelassen und in nicht atmosph\u00e4rischen Gasarten. Schroeder van der Kolk comment, de sanguinis coagula!inn\u00e9. Craning. 1820. Diss. sist. sang, coagulant is historiam. Groning. 1820. Die einzige Ursache der Gerinnung ist daher, dass sich die Mischung des Blutes, nur unter dein Einfl\u00fcsse der lebenden Theile und namentlich der Gelasse erh\u00e4lt. Blut, welches im lebenden K\u00f6rper aus den Blutgef\u00e4ssen austritt, gerinnt auch meistens. Nach Sciiroeder\u2019s Versuchen gerinnt das Blut ausserordentlich schnell nach gewaltsamer Zerst\u00f6rung des Gehirns und des R\u00fcckenmarks, und man soll einige Minuten nach der Operation schon Coagula in den grossen Ge-f\u00e4ssen finden. Mayer beobachtete, dass nach Unterbindung des Nervus vagus das Blut in den Gelassen gerinne und so t\u00f6dte, dagegen in 4 Versuchen bei 2 Ilunden und 2 Kaninchen, die unter meiner Anleitung angestellt wurden, nach dieser Operation, als die Thiere unmittelbar nach dem erfolgten Tod untersucht wurden, nur 2mal im linken Herzen ein erbsengrosses Coagulum, keines in den Lungengef\u00e4ssen gefunden ward. Hewson, Parmentier V Deyeux und Schroeder haben beobachtet, dass, je mehr die Lebenskraft eines Thieres abnimmt, die Gerinnung des aus der Ader gelassenen Blutes um so schneller ein tritt. Mehrere Beobachter wollen eine Temperaturerh\u00f6hung hei der Gerinnung beobachtet haben, wie Gordon, Thomson, Mayer, w\u00e4hrend j. Davy und Schroeder dies auf das Bestimmteste in Abrede stellen J. Davy teniamen experimentale de sanguine. Edinb. 1814. Meckel\u2019s Archiv. 1. p. 117. Vergl. elend. 2. 317. 3. 451. 3. 456. Ueber das Blut im Allgemeinen sind Parmentier und Deyeux in Beil\u2019s Archiv. B>. 1. II. 2. p.. 76., IIewson vom Blute. ISiirul). 1780., Pr\u00e9vost und Dumas, Bibliothi(/ue universelle T. 17. p. 294. Meck. Archiv. 8., Scudamore \u00fcber das Blut, aus d. Engl. IViirzburg 1826. und Berzelius Thierchemie 1831., Denis rech, experun. sur le sang \u2018Umain. Paris 1830. M. Edward\u2019s in Todd Cyclopaedia oj ana~","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 I. Buch, f on dm organ. S\u00e4ften etc. I. Ah s elm. Vom Blute.\ntomy and physiology, C. H. Schultz System der Circulation, Stutt-gart 1836., H. Nasse das Blut physiologisch und pathologisch untersucht, nachzusehen.\nI. Capitel. M ikr o sk o p i s ch-in e ch a n is ch c Analyse des Blutes*).\n(Nach eigenen Untersuchungen. PoGGEND. Annal. 1832. 8.) a. Untersuchung der Blutk\u00f6rperchen.\nlieber die Form der Blutk\u00f6rperchen waren die Angaben der Schriftsteller, welche man in E. II. Weber\u2019s Ausgabe von Hildebrakdt\u2019s Anatomie und Burdach\u2019s Physiologie. Bd. IV. vollst\u00e4ndig zusammengestellt findet, sehr verschieden. Die vorz\u00fcglichsten Beobachter sind: Muys, Fomtaha (Nouai osservazioni sopra i glohdti rossi del saiigue. Lucca 1766), IIewson (experimental inquiries pari. 3. Load. 1777), Pr\u00e9vost und Dumas (,Bi/dioth. univers. T. 17. Meckel\u2019s Archiv. T. 8.), R. Wacher zur vergleichenden Physiologie des Blutes, 1834. Was ich hier mittheile, ist bloss das Resultat eigner Beobachtung. Um die Blutk\u00f6rperchen zu untersuchen, darf man sie nicht mit Wasser verd\u00fcnnen, man w\u00fcrde sic dann ganz anders sehen, als sie im lebenden I\\orner sind; das Wasser ver\u00e4ndert ihre Form augenblicklich, die elliptischen Blutk\u00f6rperchen werden auf der Stelle rundlich, auch verlieren die Blutk\u00f6rperchen ihre Plattheit. Daher muss man die Blutk\u00f6rperchen entweder ohne Beimischung ganz d\u00fcnn auf dem Objecttr\u00e4ger des Mikroskopes ausbreiten, oder man muss sie mit Blutserum verd\u00fcnnen. Z. B. um die Blutk\u00f6rperchen des Frosches zu untersuchen, wende ich einen Tropfen Serum von schon geronnenem Froschblute an, und setze dazu etwas von einem Tropfen frischen Froschblutes. Wasser, worin etwas Kochsalz oder Zucker aufgel\u00f6st ist, kann ebenfalls zur Verd\u00fcnnung angewandt werden. Diese Aufl\u00f6sungen ver\u00e4ndern die Blutk\u00f6rperchen durchaus nicht. Die Vermischung des Bluts mit Wasser und der Gebrauch schlechter Instrumente haben die verschiedenen Angaben \u00fcber die Form der Blutk\u00f6rperchen veranlasst.\nIch finde die Blutk\u00f6rperchen beim Menschen gr\u00f6sstentheils gleich gross; einzelne sind ein wenig gr\u00f6sser als die Mehrzahl derselben, aber nicht noch einmal so gross im Durchmesser. Beim Frosch sind sie ebenfalls meistens gleich gross, doch sieht man auch solche, die hei \u00fcbrigens gleicher Form doch etwas kleiner sind, und gleichsam noch in der Bildung begriffen zu seyn scheinen. Nach Pr\u00e9vost und Dumas sind die Blutk\u00f6rperchen des Embryo gr\u00f6sser. Beim Embryo des Kaninchens fand ich sie sehr ungleich; hier sieht man einzelne, welche mehr als noch einmal so gross als die Mehrzahl irn Durchmesser sind,\n\u00a5) Dieser Artikel erscheint hier wie in der vorhergehenden Auflage. Zus\u00e4tze sind m den Anmerkungen enthalten.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"405\n1. Mikroskop, median. Analyse. Blut k\u00f6r per dien.\n^\u00e4hrend die Mehrzahl durchaus in der Gr\u00f6sse denen des erwachsenen Kaninchens gleich kommt. Die Blutk\u00f6rperchen der Froschlarven scheinen etwas kleiner, als die der erwachsenen Fr\u00f6sche, und sind viel blasser. Die Gestalt der Blutk\u00f6rperchen ist bei verschiedenen Thieren sehr verschieden, sie sind indess, m\u00f6gen sie kreisf\u00f6rmig oder elliptisch seyn, immer platt. Runde Scheiben sind sie beim Menschen und den S\u00e4ngethieren ; interessant w\u00e4re, zu wissen, wie sie wohl beim Schnabelthier und der Echidna seyn m\u00f6gen. Elliptisch finde ich sie, \u00fcbereinstimmend mit anderen Beobachtern, hei den V\u00f6geln (Huhn, Taube), bei den Amphibien (Frosch, Salamander, Eidechse), und hei den Fischen, wo sie sich zuweilen, wie beim Karpfen, der runden Form n\u00e4hern, ohne vollst\u00e4ndig rund zu seyn. Ruoolfiu giebt sie von den Fischen rund an, wie ich sie fr\u00fcher, als ich sie noch nicht gut zu untersuchen verstand, bei Clupea alosa gefunden habe; diess scheint ein Beobachtungsfehler zu seyn, oder es r\u00fchrte von Vermischung mit Wasser her, wovon die elliptischen Blutk\u00f6rperchen der Fische, Amphibien, V\u00f6gel, nach meiner Beobachtung, jedesmal rund und kugelig werden *). Sp\u00e4ter fand ich die Blutk\u00f6rperchen von Clupea alosa wirklich elliptisch. Die elliptischen K\u00f6rperchen der Amphibien und V\u00f6gel sind im Durchschnitt etwa noch einmal so lang als breit. Dass sie platt sind, dies habe ich nicht allein von den elliptischen K\u00f6rperchen der Fische, V\u00f6gel und Amphibien, sondern auf das Bestimmteste auch von den kreisf\u00f6rmigen K\u00f6rperchen des Kalbes, der Katze, des Hundes, des Kaninchens und des Menschen gesehen. Hierzu bedarf man aber guter optischer Instrumente. Von der Abplattung \u00fcberzeugt man sich, wenn man den mit Serum, Kochsalz oder Zuckerwasser verd\u00fcnnten Blutstropfen unter dem Mikroskop in Bewegung bringt, so dass viele von den Blutk\u00f6rperchen heim Fliessen sich auf den Rand stellen. Am plattesten sind sie, im Verh\u00e4ltnis zu den andern Durchmessern, hei den Amphibien und bei den Fischen; unter allen Thieren finde ich sie am plattesten heim Salamander, sehr platt sind sie auch beim Frosch, wo ihre Dicke 8 bis 10 Mal geringer ist, als ihr L\u00e4ngendurchmesser. Die Blutk\u00f6rperchen des Salamanders zeigen, wenn sie senkrecht auf dem Rande stehen, keine von der Mitte der beiden Seitenfl\u00e4chen hervorragende Erh\u00f6hung, sondern sind ganz gleichf\u00f6rmig platt; die der Fr\u00f6sche zeigen aber zuweilen, nicht immer deutlich, ein auf beiden Seiten hervorragendes mittleres H\u00fcgelchen, wenn sie senkrecht auf dem Rande stehen, so wie es Pr\u00e9vost und Dumas abgebildet haben. Obgleich, wie ich sp\u00e4ter zeigen werde, die Blutk\u00f6rperchen einen Innern Kern haben, so ragt doch dieser nur bei den Fr\u00f6schen in der Mitte etwas hervor; hei allen \u00fcbrigen Thieren dagegen ist er nicht hervorragend. Die elliptischen Blutk\u00f6rperchen der V\u00f6gel sind sich ganz und gar \u00e4hnlich, zwar nicht so platt, wie die der Amphibien, sie sind jedoch entschieden platt, ungef\u00e4hr in dem Verh\u00e4ltniss, wie ein Brod hiesigen Landes. Dass\n\u00a5) Nach R. Wagner\u2019s Untersuchungen sind sie hei den Fischen bald elliptisch bald mehr der runden Form sich n\u00e4hernd.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 I. Buch. I on den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahsch. Vom Blut.\nsie aucli Lei den Saugethieren und dem Menschen platt sind, da-von konnte ich mich fr\u00fcher nicht \u00fcberzeugen, wohl aber, nachdem ich ein kostbares Fraunhofer'scIics Mikroskop anwenden konnte, und gelernt hatte, das man mit Wasser nicht verd\u00fcnnen d\u00fcrfe. Die Abplattung ist hei den Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S \u00e4ugethiere ganz gleichf\u00f6rmig, und sie haben jedenfalls in der Mitte keine Erh\u00f6hung. Wenn sie auf dem Piande stehend gesehen werden, erscheinen sie wie ein kurzer, gleich dicker dunkler Strich, der an beiden Enden nicht abgerundet, sondern fast scharf aufh\u00f6rt, \u00e4hnlich einer M\u00fcnze, die man gegen den Rand ansieht. Doch ist der \u00f6fter gebrauchte Vergleich mit M\u00fcnzen deswegen unrichtig, weil sie im Verh\u00e4ltniss zum Breitendurchmesser nicht so d\u00fcnn wie M\u00fcnzen sind; sie sind heim Menschen nur 4 bis 5mal so d\u00fcnn als breit.\nDie Blutk\u00f6rperchen der nackten Amphibien sind die gr\u00f6ssten, die ich kenne; die der V\u00f6gel und Fische und beschuppten Amphibien sind kleiner. Die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere sind die kleinsten, und unter den Saugethieren sind sie hei der Ziege am kleinsten, wie Pr\u00e9vost und Dumas gefunden haben, und ich wiederfinde. Beim Kalbe sind sie ein Weniges kleiner als beim Menschen. Beim Menschen fand ich ihren Fl\u00e4chendurchmesser \u2014 0,00023 \u2014 0,00035 Par. Zoll. W. und E. Weber, so wie Wollaston, geben sie zu 0,00020, Kater zu 0,00023, Pr\u00e9vost und Dumas zu 0,00025 P. Z. an. Die Blutk\u00f6rperchen der V\u00f6gel, neben einander mit denen der Fr\u00f6sche untersucht, sind etwa halb so gross, als die der Fr\u00f6sche, die der Salamander sind etwas gr\u00f6sser, als die der Fr\u00f6sche, aber nicht 1 gr\u00f6sser, sie sind etwas l\u00e4nglicher; die der Eidechse finde ich ungef\u00e4hr ~ vom Durchmesser derjenigen des Frosches. Die Blutk\u00f6rperchen des Frosches sind, neben denen des Menschen unter sucht, ungef\u00e4hr vier Mal gr\u00f6sser, der Fl\u00e4chendurchmesser der Blutk\u00f6rperchen des Menschen mit dem L\u00e4ngendurchmesser derselben beim Frosche verglichen. Auch das'Blut der Wirbellosen enth\u00e4lt K\u00f6rperchen; sie sind aber noch nicht geh\u00f6rig untersucht.\nIn der Mitte der kreisf\u00f6rmigen und der elliptischen Blutk\u00f6rperchen sieht man einen Fleck, der in den kreisf\u00f6rmigen rund, in den elliptischen elliptisch ist, und auf der Seite der Beleuchtung hell, auf der Seite des Schattens dunkel erscheint; er sieht zuweilen, und zwar bei den V\u00f6geln, Amphibien und Fischen, wie ein Kern im Innern aus, besonders bei heller Beleuchtung, wo die Schalten wegfallen; zuweilen und zwar bei weniger 'heller Beleuchtung sieht er wie eine Erh\u00f6hung aus, und zwar hei den Br\u00f6schen vorzugsweise, durchaus nicht bei den Salamandern, und auch nicht bei V\u00f6geln und Fischen. Bei den Fr\u00f6schen glaubt inan deutlicher eine elliptische Erh\u00f6hung zu sehen, wenn die K\u00f6rperchen in wenig Serum enthalten sind; alsdann glaubt man auch beim Frosch eine Vertiefung zwischen dem wulstigen Rande und der miltlern elliptischen Erh\u00f6hung zu bemerken. Ich sage' hier bloss, was man bei verschiedenen Bedingungen zu sehen glaubt, nicht was ich daf\u00fcr halte. Da nun aber die Blutk\u00f6rper-","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"107\n1. Mikroskop, median. Analyse. Blutk\u00f6rperdien.\nchen der V\u00f6gel, Salamander und vieler Fische, auf dem Rande stehend, an den Seitenfl\u00e4chen nicht eine mittlere Hervorragung zeigen, so kann ihr mittlerer Fleck auch keine Erh\u00f6hung seyn, und der Fleck r\u00fchrt von dem Kern des Blutk\u00f6rperchens her, \u2022welches sich auf eine andere Art beweisen lasst. Da ferner die Blutk\u00f6rperchen des Frosches, auf dem Rande stehend, zuweilen e|u flaches H\u00fcgelchen an den Seitenfl\u00e4chen zeigen, so muss der Kern hier auch eine wirkliche unbedeutende Hervorragung bilden. (R- Wagner hat indess auch an den Blutk\u00f6rperchen vieler anderer Thiere, Amphibien und Fische diese Hervorragung beobachtet.) Die kreisf\u00f6rmigen Blutk\u00f6rnchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere, durch ein gutes Instrument beobachtet, zeigen weder auf dem Rande stehend irgend eine Spur von Hervorragung an den Seitenfl\u00e4chen, noch hat der Fleck, wenn man sie gegen eine der Flachen ansieht, jemals das Ansehn einer Erh\u00f6hung. Die Schriftsteller haben, indem sie best\u00e4ndig von einem Thier auf das andere schlossen, hier zum Theil viel Verwirrung herein gebracht. Die Beobachtungen von Pr\u00e9vost und Dumas habe ich dagegen in vielen Punkten best\u00e4tigen k\u00f6nnen. Die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere sehen zuweilen in einer gewissen Beleuchtung so aus, als wenn sie vom Rande gegen die Mitte ganz seicht ausgeh\u00f6hlt w\u00e4ren. Der Optiker Young ist geneigt, den Fleck f\u00fcr eine wirkliche Aush\u00f6hlung zu halten, ich will das nicht sagen. Es ist mir sogar in hohem Grad unwahrscheinlich, weil ich mich zuletzt \u00fcberzeugt habe, dass die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere einen sehr kleinen Kern enthalten, der die Dicke des platten Blutk\u00f6rperchens hat. Wenn die Scheibchen schief stehen, so dass man etwas von der einen Fl\u00e4che und etwas vom ober\u00bb Rande sieht, so bildet der obere Rand einen dunkeln Halbkreis, nach der einen Seite convex, nach der andern concav. Aus meinen Beobachtungen, die ich sogleich anf\u00fchren werde, ergiebt sich unzweifelhaft, dass die Blutk\u00f6rperchen der Fr\u00f6sche und Salamander einen Kern enthalten, der sich ganz anders chemisch verh\u00e4lt, als die Rinde. Da in den Blutk\u00f6rperchen der Fische und V\u00f6gel dieser Kern mikroskopisch gerade so erscheint, wie bei den Amphibien, so ist es schon hieraus sehr wahrscheinlich, dass auch die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere einen Kern enthalten, was sich nur wegen der Kleinheit nicht so leicht wie dort direct beweisen l\u00e4sst. Ich habe aber auch mit dem FRAUNaoFER\u2019schen Mikroskope an den Blutk\u00f6rperchen des Menschen hei einer gewissen Beleuchtung ganz deutlich einen sehr kleinen, runden, scharfbegrenzten Kern gesehen, der mehr gelblich und gl\u00e4nzend aussah, als der durchscheinende Umfang. Wenn man die Blutk\u00f6rperchen unter dem Mikroskope mit Essigs\u00e4ure vermischt, so Wird die Schale fast ganz aufgel\u00f6st, und es bleiben dann diese \u00dcberaus kleinen Kerne \u00fcbrig, die beim Menschenblut sehr schwer zu sehen sind, w\u00e4hrend sie vom Froschblut als ganz deutliche \u201c-erne erscheinen, die man fr\u00fcher im Innern der Blutk\u00f6rperchen gesehen hat. Beim Menschen sind die Kerne im Innern er Blutk\u00f6rperchen so klein, dass sie nicht dicker sind, als","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nder Durchmesser der Dicke des platten Blutk\u00f6rperchens, und da-rurn m\u00fcssen sie nicht nothwendig eine Erh\u00f6hung in der Mitte Bilden.\nIm Blute der Fr\u00f6sche, so wie es aus dem Herzen seihst erhalten w'ird, habe ich noch eine zweite, viel kleinere Art von K\u00f6rperchen gefunden, die sehr sparsam darin Vorkommen; sie sind ganz rund, nicht platt, und ungef\u00e4hr vier Mal kleiner als die elliptischen Blutk\u00f6rperchen; sie kommen ganz mit den sehr sparsamen K\u00f6rnchen der Lymphe der Fr\u00f6sche \u00fcberein, die ich im 3. Ahschn. beschreiben werde, und sind offenbar Lymphk\u00fc-gelchen von der in\u2019s Blut gelangenden Lymphe, oder Chylusk\u00fcgel-chen. Vielleicht entstehen aus den Lymph- und Chyluskiigelchen die Kerne der elliptischen Blutk\u00f6rperchen. Doch sind die durch Essigs\u00e4ure von der H\u00fclle befreiten Kerne der Froschblutk\u00f6rperchen zwar ungef\u00e4hr so gross, als die seltnere Art von K\u00f6rnchen im Blut und als die K\u00f6rnchen der Lymphe; allein die beiden letzteren sind rund, die durch Essigs\u00e4ure dargestetllen Kerne der elliptischen Blutk\u00f6rperchen sind dagegen elliptisch, und beim Salamander sogar noch deutlich platt. Auch sind die Chyluskiigelchen von S\u00e4ugethieren viel gr\u00f6sser, als die Kerne der Blutk\u00f6rperchen derselben Thiere. Von den ganzen Blutk\u00f6rperchen unterscheiden sich aber die Chylusk\u00fcgelchen dadurch, dass die Chy-lusk\u00fcgelchen in Wasser ganz unaufl\u00f6slich sind, w\u00e4hrend die Blut-K\u00f6rperchen in Wasser bis auf ihre Kerne sich aufl\u00f6sen.\nMan glaubt gew\u00f6hnlich, dass die Natur sehr schnell den zum Blut gelangenden Chylus in Blut umwandele; diess mag allerdings so seyn. Indessen werden die Chylusk\u00fcgelchen im Blut auch durch ihre Zertrennung zwischen den rothen Blutk\u00f6rperchen unsichtbar. Wenn man aber die Gerinnung des Bluts von S\u00e4uge-thieren oder vom Menschen durch ein Mininum von unterkohlensaurem Kali verlangsamt, so sinken die rothen Blutk\u00f6rperchen allm\u00e4hlig vor der Gerinnung einige Linien unter das Niveau der Fl\u00fcssigkeit, und die dar\u00fcber stehende Fl\u00fcssigkeit ist weisslich, offenbar von den dem Blute beigenaengten Chylusk\u00fcgelchen. Bei der gew\u00f6hnlichen Gerinnung werden die Chylusk\u00fcgelchen zwischen der ungeheuren Menge der rothen Blutk\u00f6rperchen mit in das Coagulum eingeschlossen, daher das Serum durchscheinend und nicht weisslich ist, w\u00e4hrend in obigem Versuche vor der Gerinnung die leichten Chylusk\u00fcgelchen im obern, die schwerereu Blutk\u00f6rperchen im untern Theil der Fl\u00fcssigkeit suspendirt sind.\nSo lange die Blutk\u00f6rperchen im Serum des Blutes enthalten sind, l\u00f6st sich ihr Farbestoff nicht auf, wohl aber, wenn Wasser damit in Ber\u00fchrung kommt. Was Home [Phil. Transact. 1818.) von der leichten Zersetzbarkeit der Blutk\u00f6rperchen gesagt hat, davon habe ich nichts best\u00e4tigt gefunden. Wenn Blut von S\u00e4ugethieren geschlagen w\u2019orden ist, so behalten die Blutk\u00f6rperchen ihre Form, und mehrere Stunden sp\u00e4ter, ja seihst am andern Tage, mit den besten Instrumenten untersucht, zeigen die Blutk\u00f6rperchen nicht die geringste Ver\u00e4nderung ihrer Form und Gr\u00f6sse. Selbst nach 24 Stunden ist fast nichts davon im Blutserum aufgel\u00f6st, und das Serum, welches in 24 Stunden einige Li-","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"109\n1. Mikrosk. median. Analyse. Blutk\u00f6rperchen.\niiien li\u00f6ch \u00fcber den im Serum suspendirten Blutk\u00f6rperchen steht, ist gelb und farblos. Nach 12 bis 24 Stunden stehen die Blutk\u00f6rperchen von geschlagenem Schaf- und Ochsenblut 14. Linien unter dem Niveau der Fl\u00fcssigkeit. Von geschlagenem Menschen-Jdut und Ratzenblut sinken die Blutk\u00f6rperchen etwas tiefer, n\u00e4mlich 4 bis (i Linien schon innerhalb einiger Stunden. Solches geschlagene und vom weissen Faserstoffgerinnsel befreite Blut hat ganz das Ansehen des nat\u00fcrlichen Blutes, die K\u00fcgelchen schweben darin, und wenn das Blut vom Schaf und Ochsen bei 15\u00b0 C. mehrere Tage steht, so bleiben sie doch darin suspen-dirt und sinken nicht ganz zu Boden. Die rothen K\u00f6rperchen von geschlagenem Ochsen- und Schafblut senken sich in mehreren Tagen nur h\u00f6chstens 2\\ Linien unter das Nivau der Fl\u00fcssigkeit; das dar\u00fcber stehende Serum, Anfangs farblos, f\u00e4rbt sich in mehreren Tagen nur ganz unbedeutend. Bringt man aber etwas Wasser zu geschlagenem Blute von Saugethieren, so l\u00f6st sich ein Theil des Farbestoifes im Wasser auf, und ein grosser Theil der Blutk\u00f6rperchen sinkt zu Boden. Die Blutk\u00f6rperchen des Frosches sinken dagegen schon im blossen Serum des Froschblutes schnell zu Boden, und das Serum .stellt farblos dar\u00fcber; so erhalten sich die K\u00f6rperchen, hei nicht zu warmer Witterung, ohne die geringste Ver\u00e4nderung ihrer Form und Gr\u00f6sse mehrere Tage lang. Um von Froschblut ein mit Blutk\u00f6rperchen gemengtes Serum zu erhalten, nehme ich das sich bildende Gerinnsel, so wie es sich bildet, nach und nach heraus, bis sich nichts mehr bildet; auch r\u00fchre ich das Gerinnsel vorher in der noch \u00fcbrigen Fl\u00fcssigkeit um, damit die sich anh\u00e4ngenden Blutk\u00f6rperchen sich ab-l\u00f6sen. Aul diese Art erh\u00e4lt man, nach weggenommenem Gerinnsel, Blutserum mit einer grossen Menge von K\u00f6rperchen, w\u00e4hrend ein anderer Theil der K\u00f6rperchen von dem Gerinnsel eingeschlossen ist. In diesem Zustande k\u00f6nnen die im Serum enthaltenen Blutk\u00f6rperchen zu verschiedenen Versuchen dienen, worauf man ihre Ver\u00e4nderung mikroskopisch untersucht, w\u00e4hrend man frisches Blut wegen des sich bildenden Gerinnsels nicht gut zu Versuchen \u00fcber das Verhalten der Blutk\u00f6rperchen zu verschiedenen Stoffen brauchen kann.\nWenn man zu dem, auf die angezeigte Art bereiteten, von Gerinnsel befreiten Gemenge von Serum und Blutk\u00f6rperchen des losches Wasser zusetzt, und das Gemenge umr\u00fchrt, so l\u00f6st sich der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen allm\u00e4hlig im Wasser auf, und cs bleibt zuletzt ein weisser Satz auf dem Boden des Uhrglases, der nun aus runden K\u00fcgelchen besteht, die viermal kleiner sind Is ^ie Blutk\u00f6rperchen, und der sich im Wasser nicht aufl\u00f6st. m die Aufl\u00f6sung des Farbestoffes in dem Wasser zu bef\u00f6rdern, s es gut viel Wasser zuzusetzen. Man vermischt in einem Uhr-^ ?se das Gemenge von Serum und Blutk\u00f6rperchen des Frosches fint Wasser, so dass das Gl\u00e4schen voll w\u2019ird. Nun wartet man urze Zeit, bis sich die Blutk\u00f6rperchen zu Boden gesetzt haben, c senkt sodann das volle Uhrglas in ein gr\u00f6sseres Glas mit \u201e asser vorsichtig so ein, dass der Satz des Uhrglases nicht auf-bCruttelt und zerstreut wird. So l\u00e4sst man das Glas 12 bis 24","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110 I. Euch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Absehn. Vom Blut.\nStunden stehen, worauf der rothe Satz weiss geworden ist. Mikroskopisch untersucht, zeigt sich nun nichts inehr von den fru_ h\u00f6ren elliptischen Blutk\u00f6rperchen, dagegen eine grosse Menge 4mal kleinerer, rundlicher, nur zum Theil ovaler K\u00fcgelchen. Untersucht man den Satz in den Zwischenzeiten vor Ablauf der 12\u201424 Stunden, so kann man sich \u00fcberzeugen, dass der Farbe-stoff in dem Maase, als er sich im Wasser aufl\u00f6st und dasselbe f\u00e4rbt, sich von den elliptischen Blutk\u00f6rperchen entfernt li\u00e2t, so dass sie immer kleiner werden, w\u00e4hrend der Kern derselben bleibt, bis zuletzt bloss der im Wasser unaufl\u00f6sliche farblose Kern \u00fcbrig ist *). Mit diesem weissen Satze kann man dann weiter kleine Versuche anstellen. Im Wasser sich selbst \u00fcberlassen, l\u00f6st er sieb nicht auf, sondern bildet zuletzt ein schleimiges, noch aus denselben kleineren K\u00fcgelchen bestehendes Wesen auf dein Boden des Glases. In Alkalien wird dieser Satz aufgel\u00f6st; Essigs\u00e4ure ver\u00e4ndert ihn in langer Zeit nicht. Der Action der galvanischen S\u00e4ule ausgesetzt, verh\u00e4lt er sich so, wie eine Aufl\u00f6sung von Eidotter, wie sp\u00e4ter ausgef\u00fchrt werden soll.\nDass sich der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen ganz und in allen Verh\u00e4ltnissen im Wasser aufl\u00f6st, wie Berzelius gegen Pr\u00e9vost und Dumas bemerkt, und dass er dann nicht in kleinen Fragmenten im Wasser suspendirt ist, davon kann man sich nicht allein am Blute des Menschen und der S\u00e4ugethiere, sondern auch viel sicherer an den Blutk\u00f6rperchen des Frosches \u00fcberzeugen. Was aus den Kernen der Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere wird, wenn die Blutk\u00f6rperchen mit Wasser gemengt werden, l\u00e4sst sich wegen ihrer ausserordentlichen Kleinheit nicht ausmitteln, und es ist nach Analogie des Froschblutes nur wahrscheinlich, dass die in Wasser unaufl\u00f6slichen Kerne im Wasser suspendirt bleiben, wenn man geschlagenes und vom Gerinnsel befreites S\u00e4ugethierblut mit so viel Wasser verd\u00fcnnt, dass aller Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen sich aufl\u00f6st. Beim Gerinnen des ungeschlagenen S\u00e4ugethierblutes bleiben die Kerne der Blutk\u00f6rperchen mit dem rothen Coagulum verbunden, vielleicht selbst noch, wenn der Farbestoft' aus diesem Coagulum schon ausgewaschen ist ; vielleicht werden sie auch hierbei mit ausgewaschen (ohne wie der Farbestoff aufgel\u00f6st zu werden). Berzelius scheint die Unl\u00f6slichkeit des Farbestoffes im Serum von dessen Eiweiss-\nMan li\u00e2t bemerkt, dass die Schale dar Blutk\u00f6rperchen zwar stark in der Form ver\u00e4ndert werde, aber sich nicht eigentlich in Wasser aufl\u00f6se. Wartet inan lange genug, so sieht man, dass die Schale ganz zerst\u00f6rt wird und dass nur die Kerne \u00fcbrig bleiben. Dass in 21 Stunden an den Blutk\u00f6rperchen die Schale noch nicht zerst\u00f6rt, der Farbestoff aber ausgezogen war, ist eine von mir selbst gemachte Beobachtung Burdach\u2019s Physiologie ltd. 4. 84. Nach mehreren lagen ist die Schale der Blutk\u00f6rperchen vom Wasser ganz zerst\u00f6rt und der \u00fcbrig bleibende Best besteht aus blossen Kernen mit einem Satz von sehr feinem k\u00f6rnigem Wresen, der die Kerne verlassen hat. Der Far-bestofl der Schale wird schon viel fr\u00fcher aus der Schale .ausgezogen. Dass der Farbestoff der Schale von der \u00fcbrigen Materie der Schale noch verschieden ist, geht auch hieraus hervor, und ist a. a. O. bereits bemerkt.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"I. Mi kr os k. median. Analyse. Blut k\u00f6rperdien.\nIll\noelialt abzuleiten, und bemerkt, dass, wenn Wasser, womit der Blutkuchen ausgewaschen worden, Farbestoff absetzt, diess von anb\u00e4ngendem Serum herr\u00fchre. Ich tlieile ganz die Ansicht des grossen Chemikers, dass der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen im Wasser in alien Verh\u00e4ltnissen l\u00f6slich ist; indessen glaube ici), dass die Nichtaull\u00f6sung des Farbestoffes im Serum nicht allein von der Aufl\u00f6sung des Eiweisses, sondern auch vorz\u00fcglich von der Aufl\u00f6sung der Salze im Serum herr\u00fchrt. Wenn ich auf dem Objecttr\u00e4ger des Mikroskopes zu einem Tr\u00f6pfchen Froschblut einige Tropfen von einer w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sung von Eidotter zusetzte, so sah ich die Blutk\u00f6rperchen fast eben so schnell ihre Gestalt ver\u00e4ndern und rund werden, als wenn ich reines Wasser zusetzte. Wenn ich aber zu einem Tropfen Froschblut Tropfen von einer Aufl\u00f6sung eines solchen Salzes brachte, welches das Blut nicht zersetzt, z. B. von unterkohlensaurem Kali oder von Kochsalz, so ver\u00e4nderte sich die Form und Gr\u00f6sse der Blutk\u00f6rperchen durchaus nicht. Auch Zuckerwasser wirkt wie Salzaufl\u00f6sung. Die Natur der Blutk\u00f6rperchen wird sehr aufgekl\u00e4rt durch ihr Verhalten gegen verschiedene Reagentien, welches man mit dem zusammengesetzten Mikroskope an den grossen Blutk\u00f6rperchen der Fr\u00f6sche und Salamander allein deutlich beobachten kann. Man kann hierzu Tropfen frischen Froschblutes nehmen. Da sich indess in diesen ein Gerinnsel bildet, so ist es besser, wenn man sich auf die fr\u00fcher angezeigte Art durch Entfernen des Gerinnsels ein blosses Gemenge von Serum und Blutk\u00f6rperchen des Froschblutes bereitet. Man bringt ein Tr\u00f6pfchen davon aut den Objecttr\u00e4ger des Mikroskopes, und breitet es aus, daneben bringt man einen Tropfen von einem Reagens. W\u00e4hrend man nun observirt, bringt man beide Tropfen mit einander in Verbindung, und betrachtet die Ver\u00e4nderungen der Blutk\u00f6rperchen; oder man betrachtet zuerst die Blutk\u00f6rperchen f\u00fcr sich, setzt dann das Reagens auf dem Objecttr\u00e4ger hinzu und betrachtet sie wieder. Dieser Methode habe ich mich best\u00e4ndig bei den folgenden Untersuchungen bedient.\nSehr merkw\u00fcrdig ist die augenblickliche Ver\u00e4nderung der Blutk\u00f6rperchen durch reines Wasser. Die Blutk\u00f6rperchen des Menschen werden davon undeutlich, man sieht wegen der Klein-eit das N\u00e4here nicht; doch glaube ich bemerkt zu haben, dass s>e ihre Plattheit verlieren. Denn ich konnte beim Vorbeifliessen er Blutk\u00f6rperchen unter dem Mikroskope keine mehr erkennen, le einen scharfen Rand bei ver\u00e4nderter Stellung sehen liessen. 01 Froschblute sieht man aber Alles genau. So wie ein Tropfen asser mit einem Tropfen Blutes in Ber\u00fchrung kommt, werden Augenblicklich die elliptischen platten K\u00f6rperchen rund, und ver-lei.en ihre Plattheit, so dass sich beim Vorbeifliessen keine mehr AU stellen und einen scharfen Rand sehen lassen. Ob sie dabei u sc iwellen, weiss ich nicht; sie iverden kleiner, als der L\u00e4ngen-durfl1 neSSei C^ei ^*Pse war> aber doch gr\u00f6sser als der Breiten-scT\\lmeSSe\" ^erselben. Viele zeigen sich ungleich, uneben, ver-hat\u00b0)et \u2019 me!stei1 s*nt^ rundlich, aber ungenau. Der Kern sich durch die Ber\u00fchrung des Wassers bei vielen verschoben,","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 I\u25a0 Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. J. Alschn. Vom Blut.\ner wird nicht mehr in der Mitte, sondern an der Seite gesehen in anderen fehlt er ganz ; solcher sind jedoch nur wenige, und diese scheinen durch die gewaltsame Ver\u00e4nderung, welche sie vom Wasser erlitten haben, ihre Kerne ausgetrieben zu haben-denn man sieht, so wie Blutk\u00f6rperchen ohne Kerne, so auch elliptische Kerne ohne H\u00fclle auf dem Sehfelde zerstreut, aber nicht zahlreich. Von den erw\u00e4hnten kleineren K\u00fcgelchen des Froschblutes unterscheiden sich diese wenig zahlreichen ausgetriebenen Kerne durch ihre elliptische Gestalt. Nach und nach, wenn man mehr Wasser zusetzt, ver\u00e4ndert sich auch die Gr\u00f6sse der rund gewordenen, zum Theil noch kernhaltigen, zum kleinsten Theil kernlosen Blutk\u00f6rperchen. Sie werden unter den Augen des Beobachters kleiner, zerfliessen, und zuletzt, nach einiger Zeit, ist nichts mehr \u00fcbrig als die Kerne, die sich im Wasser nicht aufl\u00f6sen. Wasser, worin unterkohlensaures Kali, oder Kochsalz, oder Salmiak, oder Zucker aufgel\u00f6st worden, ver\u00e4ndert nicht im Geringsten die Form und Gr\u00f6sse der Blutk\u00f6rperchen. Nur von ges\u00e4ttigter Aufl\u00f6sung von unterkohlensaurem Kali scheinen sie allm\u00e4hlig etwas kleiner zu werden. Bringt man Blutk\u00f6rperchen des Frosches von dem vorn Gerinnsel befreiten Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum mit verd\u00fcnnter oder concentrirter Essigs\u00e4ure unter dem Mikroskope in Ber\u00fchrung, so werden sie augenblicklieh unf\u00f6rmlich, zum Theil rund, und ihre Farbestolf-hiille wird in einigen Minuten fast ganz aufgel\u00f6st, so dass nur die elliptischen Kerne \u00fcbrig zu bleiben scheinen, welche zwischen \u2022jj- bis -j von der Breite der ganzen Blutk\u00f6rperchen im Breitendurchmesser haben. Diess sind nicht etwa zusammengeschrumpfte Blutk\u00f6rperchen, sondern es sind die unver\u00e4nderten Kerne, die man schon fr\u00fcher sah, und um welche herum die Farhestoffh\u00fclle sichtbar kleiner wird, bis sie ganz aufgel\u00f6st scheint. Doch wird nicht die ganze Rinde von Farhestoff um den Kern aufgel\u00f6st; denn mit dem Fraun HOFER\u2019schen Mikroskope konnte ich mich \u00fcberzeugen, dass ein sehr schmaler, \u00fcberaus blasser, unscheinbarer Umriss um die deutlich erscheinenden Kerne herum gehliehen war, dessen Durchmesser aber sehr viel kleiner ist, als der Durchmesser des ganzen Blutk\u00f6rperchens. Diese Kerne entsprechen den Umrissen des ganzen Blutk\u00f6rperchens. Beim Frosche scheinen sie nicht platt zu seyn, wenigstens nicht merklich ; heim Salamander habe ich dagegen die Kerne, nach der Behandlung der Blutk\u00f6rperchen mit Essigs\u00e4ure, ganz deutlich platt gesehen, so platt wie die Blutk\u00f6rperchen seihst. Beim Frosche sind sie ungef\u00e4hr noch einmal so lang als breit, obgleich es auch einzelne gieht, die sich der runden Form mehr n\u00e4hern; heim Salamander sind die Kerne l\u00e4nglicher, und haben fast parallele Seiten, w\u00e4hrend sic an beiden Enden abgerundet sind. Auf diese Art kann-man durch Essigs\u00e4ure auch die \u00fcberaus kleinen Kerne von den Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere darstellen, die man jedoch nur hei der gr\u00f6ssten Aufmerksamkeit mit einem sehr klaren Instrumente sieht.\nVersetzt man unter Umr\u00fchren ein vom Gerinnsel befreites Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum des Frosches in einiger","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"1. Mikrosk. median. Analyse. Blutk\u00f6rperchen.\n113\nQuantit\u00e4t mit Essigs\u00e4ure, so erleiden die Blutk\u00f6rperchen dieselbe Ver\u00e4nderung; aber man siebt nun auch, dass die Kerne, welche sich zu Boden setzen, ein hellbraunes Pulver bilden, welches sich in mehreren Tagen nicht aufl\u00f6st, und sp\u00e4ter, mikroskopisch untersucht, noch aus denselben unver\u00e4nderten Kernen der Blutk\u00f6rperchen besteht. Faserstoff und Eivveiss wird sonst in Essigs\u00e4ure nicht braun, sondern durchscheinend und allm\u00e4hlig etwas dadurch aufgel\u00f6st. Indessen scheint die braune Farbe des Pulvers von etwas noch anh\u00e4ngendem und vielleicht chemisch ver\u00e4ndertem Farbestoff herzur\u00fchren; denn die Kerne der Blutk\u00f6rperchen, welche man durch Behandlung der Blutk\u00f6rperchen mit Wasser in gr\u00f6sserer Quantit\u00e4t auf die angezeigte Art erh\u00e4lt, sind weiss, und bleiben, mit Essigs\u00e4ure begossen, ein weisser Satz. Die hierzu angewandte Essigs\u00e4ure war als chemisch rein gepr\u00fcft, und etwas mehr concentr\u00e2t als die Essigs\u00e4ure der preussischen Pharmacopoe.\nSalzs\u00e4ure l\u00f6ste unter dem Mikroskope die Blutk\u00f6rperchen nicht bis auf ihre Kerne auf, sie wurden nur unmerklich kleiner. Cldorgas entf\u00e4rbte das Froschblut; zuerst wird es n\u00e4mlich br\u00e4unlich, aber schnell ganz weisslich; dabei gerinnt das Eiweiss in K\u00fcgelchen. Sp\u00e4ter, mikroskopisch untersucht, zeigen sich in der weissen Materie noch die Formen der Blutk\u00f6rperchen, sie sind aber etwas kleiner. Man kann den Versuch so anstellen, dass man die R\u00f6hre, wodurch man Chlorgas leitet, mit Froschblut inwendig bestreicht, oder dass man in ein mit Chlorgas gef\u00fclltes, sehr enghalsiges Glas Froschblut hineinfliessen l\u00e4sst und das Glas schnell verstopft. Das Blut fliesst nun eine Strecke an den W\u00e4nden herab, gerinnt aber sehr schnell. Sauerstoffgas und Kohlens\u00e4ure ver\u00e4ndern die Form der Blutk\u00f6rperchen nicht.\nLiquor kali caustici ver\u00e4nderte die Form der Blutk\u00f6rperchen nicht, sondern machte sie in ihren nat\u00fcrlichen Dimensionen immer kleiner, so dass sehr schnell nicht allein die H\u00fclle, sondern auch der Kern ohne Spur aufgel\u00f6st wurde. Liquor amrnonii caustici l\u00f6ste die K\u00f6rperchen noch schneller auf, und ver\u00e4nderte im Momente der Ber\u00fchrung schon die K\u00f6rperchen ins Runde. Auch die Kerne wurden spurlos aufgel\u00f6st. Alkohol ver\u00e4ndert die K\u00f6rper nicht; sie schrumpfen nur ein wenig ein, und werden wegen der K\u00fcgelchen von Eiweiss, die sich durch Gerinnung aus dem Serum bilden und das Gesichtsfeld tr\u00fcben, undeutlich. Strychnin und Morphium brachten in den K\u00f6rperchen keine Ver\u00e4nderung hervor.\nHie Blutk\u00f6rperchen sind im arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Blute von gleicher Fo rin und gleicher Gr\u00f6sse, was mit den Angaben des sonst genauen Kaltenbrunner im Widerspruch steht, welcher behauptet, dass die Blutk\u00f6rperchen in den Capillargef\u00e4ssen etwas anschwellen, und dass zugleich ihre R\u00e4nder weniger umschrieben werden und etwas zerfliessen. Ich fand auch, dass die Form der Blutk\u00f6rperchen durchaus nicht ver\u00e4ndert wurde, als ich Fr\u00f6schen uie Lungen ganz unterband und darauf abschnitt, worauf sie noch . Stunden lebten, wahrscheinlich durch Athmen mit der flaut, Wie die Fische in v. Humboldt\u2019s und Provek\u00e7al\u2019s Versuchen.\nW\u00fctier's Physiologie. I.\ts","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"J14 I. Euch. I on den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Absclm. Vom Blut.\nUcber die Blutk\u00f6rperchen der Wirbellosen siebe die oben angp. f\u00fchrte, sehr reichhaltige Schrift von Wagner.\nb. Untersuchung der Blutfl\u00fcssigkeit.\nUnter Blutfl\u00fcssigkeit, Liquor sanguinis, 'verstehe ich die f\u00e4rb, lose Fl\u00fcssigkeit des Blutes ausser den rothen Blutk\u00f6rperchen, und zwar so, wie sie vor dem Gerinnen des Blutes ist. Bei dem Gerinnen trennt sich diese Fl\u00fcssigkeit in den Faserstoff, der vorher aufgel\u00f6st war, und beim Gerinnen die rothen K\u00f6rperchen mit emsehliesst, und in das Serum, welches nun noch den Ei-weissstolf aufgel\u00f6st enthalt. Wir werden in dieser mechanischen Analyse des Blutes zuerst den Faserstoff, dann das Serum abhandeln.\n1) Vom Faserstoff.\nDie gew\u00f6hnliche Ansicht von der Gerinnung des Blutes ist, dass das rothe Gerinnsel sich durch Aggregation der Blutk\u00f6rperchen bilde, und dass die Kerne der Blutk\u00f6rperchen eben die Fa-serstoftk\u00fcgelchen sind, die von einer H\u00fclle von Farbestoff bekleidet werden, der nach der Coagulation von den aggregirten Fa-serstoffk\u00fcgelchen ausgewaschen werden kann, worauf weisses Coa-gulum zur\u00fcckbleibt. Diese Ansicht haben besonders Home und Pr\u00e9vost und Dumas vorgetragen, und Dutrochet bat sie bei seinen neueren Untersuchungen \u00fcber das Verhalten des Blutes zu der galvanischen S\u00e4ule vorausgesetzt. Berzelius hat indess aus dem Umstande, dass die Lymphe aufgel\u00f6sten Faserstoff enth\u00e4lt, vermuthet, dass auch das Blut aufgel\u00f6sten Faserstoff enthalten m\u00fcsse, weil die Lymphe gleichsam eine von dem Blute abgesei-liefe El\u00fcssigkeit sey. Man k\u00f6nnte als noch triftigem Grund hinzuf\u00fcgen, weil die Lymphe selbst ins Blut gelangt. Berzelius stellte daher vermuthungsweise die Ansicht auf, dass beim Gerinnen des Blutes der im Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff fest werde und die Blutk\u00f6rperchen zwischen sich nehme. Diese Ansicht, dass der Faserstoff im Blute aufgel\u00f6st ist, ist schon zu verschiedener Zeit proponirt worden.*) Ich bin so gl\u00fccklich gewesen, einen definitiven Beweis f\u00fcr Berzelius Vermuthung zu finden, und bin im Stande, zu zeigen, dass das rothe Coagulurn des Blutes nur ein Gemenge von Faserstoff, der vorher aufgel\u00f6st war, und von Blutk\u00f6rperchen ist.\nIch habe zuerst bemerkt, dass, wenn man Froschblut in einem Uhrglas auffangt, vor der Bildung des ganzen Blutcoagulums schon farblose, wasserhelle Gerinnsel entstehen, die man amRande mit der Kadel hervorziehen kann ; so sieht man auch Punkte und\n*) Hevvson fiat schon gute Gr\u00fcnde daf\u00fcr beigebracht, dass der Faserstoff nicht in den Blutk\u00f6rperchen sondern ausser ihnen im Blute enthalten ist. Hier kann er entweder aufgel\u00f6st oder fein vcrtheilt als K\u00f6rnchen vorhanden seyn, die sich hei der Gerinnung verbinden, wie Miene Edwards vermuthete. Die folgenden Beobachtungen beweisen, dass der Easerstoff so gut wie das Kiweiss in der Blutfl\u00fcssigkeit wirklich aufgel\u00f6st ist.","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"1 Mikrosk. mechan. Analyse. Blutfl\u00fcssigkeit. Faserst uff. 115\nkleine L\u00e4ppchen von farblosem, wasserhellem Gerinnsel, wenn nrm das Blut eine bis zwei Minuten nach dem Ausflusse vom Bojen des Uhrglases abfliessen l\u00e4sst. Diese kleinen farblosen Gerinnsel bleiben dann am Boden h\u00e4ngen. Um den Einwurf zu beseitigen, dass beim Abschneiden des Froschschenkels, wodurch ,nan ain leichtesten einen Blutfluss verursacht, Tropfen Lymphe jrJt ausgeflossen w\u00e4ren, deren aufgel\u00f6ster Faserstoff diese Erschei-n\u00ab bewirkt h\u00e4tte, sammelte ich das Blut fernerhin ans der Schenkelarterie, beim Frosche die Art. ischiadica, welche an der bintern Seite des Oberschenkels zwischen den Muskeln verl\u00e4uft, und die man sogleich auffindet, da sie neben dem grossen Nervus ischiadicus, dem Schenkelnerven, wie die Physiker ihn gew\u00f6hnlich nennen, liegt. Diese Arterie legte ich bloss, und sammelte das Blut unter mancherlei vorsichtigen Handgriffen allein aus diesem Gef\u00e4sse, so dass ich sicher seyn konnte, dass ich reines Blut hatte. Ehen so sammelte ich das Blut aus dem bloss-aelegten und angeschnittenen Herzen, was viel leichter ist. Jedesmal bemerkte ich vor dem vollst\u00e4ndigen Gerinnen des Blutes das Entstehen kleiner wasserheller Gerinnsel. Brachte ich einen Tropfen reinen Blutes unter das Mikroskop und verd\u00fcnnte ihn mit Serum, so dass die Blutk\u00f6rperchen ganz zerstreut aus einander lagen, so konnte ich bei mikroskopischer Beobachtung sehen, dass zwischen den Blutk\u00f6rperchen in den Zwischenr\u00e4umen ein Gerinnsel von vorher aufgel\u00f6stem Stoff entstand, durch welches nun allein noch die ganz zerstreuten Blutk\u00f6rperchen zusammenhingen. So konnte ich alle Blutk\u00f6rperchen, so zerstreut sie auch waren, und so gross auch die Zwischenr\u00e4ume zwischen ihnen waren, doch zu gleicher Zeit verschieben, wenn ich mit der Nadel das die Zwischenr\u00e4ume a\u00fcsf\u00fcilende Faserstoffgerinsel zerrte. Da die Blutk\u00f6rperchen des Frosches bei starken Vergr\u00f6sserungen so ungemein gross erscheinen, so l\u00e4sst diese Beobachtung die gr\u00f6sste Deutlichkeit zu, und es bleibt kein Zweifel \u00fcbrig.\nEs giebt indessen eine noch viel leichtere, und sogar noch sicherere Art sich zu \u00fcberzeugen, dass Faserstoff\u2019 im Froschblute aufgel\u00f6st ist. Da ich aus Erfahrung wusste, dass die Blutk\u00f6rperchen des Frosches ungef\u00e4hr 4mal gr\u00f6sser sind, als die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere, so schloss ich, dass das Filtrum sie vielleicht zur\u00fcckh\u00e4lt, w\u00e4hrend es die Blutk\u00f6rperchen des Menschen und der S\u00e4ugethiere durchl\u00e4sst. , So ist. es, und auf diese einfache Auskunft kam ich, wie es gew\u00f6hnlich geschieht, erst zuletzt; und nun freue ich mich, durch einen leichten Versuch in den Vorlesungen zeigen zu k\u00f6nnen, dass Faserstoff jrn Blute aufgel\u00f6st ist, der wasserhell durch Filtrum geht und dann gerinnt. Der Versuch l\u00e4sst sich ganz im Kleinen mit dem Blute eines einzigen Frosches anstellen; ein kleines gl\u00e4sernes Triehtercben und ein Filtrum von gew\u00f6hnlichem weissem Filterpapier, oder nicht zu d\u00fcnnem Druckpapier sind das Einzige, Was man noting hat. Das Filtrum muss nat\u00fcrlich vorher nass spyn, und es ist gut, wenn man das eingegossene frische Blut des r r\u00f6sches schnell mit eben so viel Wasser versetzt. Was dann v\u00b0n dem Filtrum ablliesst, ist ein fast ganz farbloses, klares Se-\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116 I. Buch. Vim dm organ. S\u00fc\u00dfen etc. I.Ahsclm. Vom Blut.\nrum von Wasser verd\u00fcnnt, mit einem ganz leichten Anfluge von Roth, von Farbestoff, welcher von zugesetztem Wasser aufgel\u00f6st worden. Da indessen die Aufl\u00f6sung des Blutroths von Froschblut durch Wasser ziemlich langsam geschieht, so ist das Durchge. seihte kaum r\u00f6thlich zu nennen, und zuweilen ganz farblos. Wendet man statt des zugesetzten Wassers vielmehr Zuckcrwas-ser an (1 Tbeil Zucker auf 200 Theile und mehr Wasser), so wird w\u00e4hrend der Filtration gar kein Blutroth aufgel\u00f6st, und das Durchgehende ist vollkommen farblos und ohne die geringste Spur einer Beimischung. Untersucht man das durchgehende Serum mit dem Mikroskope, so bemerkt man keine Spur von K\u00fcgelchen darin. In diesem klaren Serum entsteht nun innerhalb einiger Minuten ein wasserhelles Coagulum, so klar und durchsichtig, dass man es nach seiner Bildung nicht einmal bemerkt, wenn man es nicht mit einer Nadel aus der Fl\u00fcssigkeit hervorzieht. Nach und nach verdichtet es sich und wird weisslich, fadenartig; es sieht dann gerade so aus, wie das Coagulum der menschlichen Lymphe in meinen Beobachtungen. Vergl. Aischn. 3. Auf diese Art erh\u00e4lt man den Faserstoff von Blut im reinsten Zustande, wie es bisher nicht dargestellt werden konnte. Um die rechte Sorte Filtrirpapier zu finden, muss man erst einige Proben machen. Ist das weisse Filtrirpapier zu d\u00fcnn, so gehen einige wenige Blutk\u00f6rperchen mit durchs Filtrum, die man erst bei mikroskopischer Untersuchung in dem klaren, farblosen Coagulum hier und da eingeschlossen findet. Flat man erst die rechte Sorte von Filtrum aufgef\u00fcnden, so erh\u00e4lt man ein Coagulum von Faserstoff, worin auch keine Spur eines Blutk\u00f6rperchens vork\u00f6mmt. Fs versteht sich von selbst, dass nicht aller im Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff auf diese Art erhalten wird ; der gr\u00f6sste Tbeil gerinnt innerhalb des Filtrums, weil er nicht vor seiner Gerinnung durchs Filtrum gelangen kann. Zu einem rohen Versuche kann man das Blut nehmen, wie man es nach der Amputation eines Froschheines im Knie erh\u00e4lt, und es sogleich in das mit etwas kaum siiss-lich schmeckendem Zuckerwasser versetzte Filtrum austr\u00e4ufeln lassen. Allein dieser Versuch ist roh, weil hier etwas aus der Lymphe von dem Beine mit ausfliessen kann. Um mit reinem Blute des Frosches zu experimentiren, muss man das Blut aus dem blossgelegten und durchschnittenen Herzen seihst austr\u00e4ufeln lassen. Der Faserstoff, den man in diesen F\u00e4llen erh\u00e4lt, ist nicht deutlich k\u00f6rnig, sondern ganz gleichartig, erst wenn er sich zusammengezogen hat und weisslich geworden ist, sieht man mit dem zusammengesetzten Mikroskope eine ganz undeutlich lein-k\u00f6rniges Wesen, einen Anschein, der aber auch von Ungleichheiten der Oberfl\u00e4che herr\u00fchren kann.\nMan kann die Existenz von aufgel\u00f6stem Faserstoff im Blute des Frosches, wie auch in dem der S\u00e4ugethiere und des Menschen noch auf eine andere Art beweisen. Indem man einem Gl\u00e4schen voll Blut irgend eines Thieres oder des Menschen sogleich einige Tropfen von einer sehr concentrirten Aufl\u00f6sung von unterkohlensaurem Kali zusetzt, wird die Gerinnung sehr lange aufgehalten, und die Blutk\u00f6rperchen senken sich allm\u00e4hlig unter","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"I. Mikroskop, median. Analyse. Blutfl\u00fcssigkeit. Faserstoff. 117\ndiis Niveau der durchsichtigen Fl\u00fcssigkeit, ehe die Gerinnung ein-Iritt. Nach his 1 Stunde bildet sich ein zartes Gerinnsel; der untere Theil des Gerinnsels ist, so weit die Blutk\u00fcgelchen stehen, ruth, der obere ist weisslich und fadenziehend.\nPr\u00e9vost und Dumas haben die Quantit\u00e4t der K\u00fcgelchen inr I\u2019lute verschiedener Thiere aus der Menge des rothen getrockneten Coagulums zu bestimmen gesucht, und diese Untersuchungen sind sehr dankenswert!). Berzelius hat indcss bereits bemerkt, dass das Resultat einer solchen quantitativen Analyse nie genau ausfallen k\u00f6nne, weil das Coagulurn eine grosse Menge Serum in sich einschliesse, das beim Trocknen sein Eiweiss und seine Salze zur\u00fcckl\u00e4sst, w\u00e4hrend das Abwaschen nicht allein Serum, sondern auch Blutroth entfernen w\u00fcrde. Da aber Pr\u00e9vost und Dumas von der Voraussetzung ausgingen, dass der Faserstoff des Blutes von den Kernen der Blutk\u00f6rperchen herr\u00fchre, so bed\u00fcrfen ihre Resultate einer neuen Coriection. Was sie n\u00e4mlich Menge der K\u00fcgelchen nennen, muss Summe der K\u00fcgelchen und des vorher aufgel\u00f6sten Faserstoffes heissen. Mit dieser Correction behalten die zahlreichen quantitativen Bestimmungen der beiden Naturforscher ihren Werth. Diese Correction ist auch beiden sonst sehr dankenswerthen quantitativen Analysen von Lecanu \u00fcber die Menge der K\u00fcgelchen in verschiedenen Temperamenten und Geschlechtern noting. Um die Menge des Faserstoffes im Blute verschiedener Thiere und in Krankheiten zu bestimmen, bedarf es ganz neuer Untersuchungen. Das beste Mittel dazu ist das. Schlagen des Blutes.\nDurch das Schlagen des Blutes l\u00e4sst sich der vorher aufgel\u00f6ste Faserstod des Blutes als farbloses oder fast farbloses Gerinnsel erhalten, w\u00e4hrend die Blutk\u00f6rperchen unver\u00e4ndert im Serum suspendirt bleiben. Untersucht man das Blut nach dem Schlagen, so hat es noch ganz sein nat\u00fcrliches Ansehen, man findet die Blutk\u00f6rperchen gleichf\u00f6rmig schwebend, und, wofern kein Wasser zum Blute gekommen ist, auch unver\u00e4ndert. Ich weiss nicht, woran es liegt, dass Berzelius das Gegentheil sagt. Er bemerkt n\u00e4mlich, dass, wenn man nach dem Schlagen das Blut mit dem zusammengesetzten Mikroskope untersuche, es keine Blutk\u00f6rperchen mehr enthalte, sondern kleine, ungel\u00f6ste, zerriebene rothe K\u00f6rperchen, die in einer gelben Fl\u00fcssigkeit schwimmen, und die Berzelius f\u00fcr Theile der Farbestoffh\u00fclle ansieht. pe gehen beim Filtriren durchs Papier; diess thun indess auch me Blutk\u00f6rperchen des frischen Blutes von h\u00f6heren Thieren. \u2019Erzelius sagt, dass, Avenu man das Blut mehrere Tage lang 16'\taufbewahre, diese rothen Theilchen langsam zu Boden\nsinken und die Fl\u00fcssigkeit sich \u00fcber ihnen aufkl\u00e4re, wiewohl sie zuweilen noch durch einen kleinen Theil aufgel\u00f6sten Farbestoffs \u00bbothlich bleibe. Mit der Hochachtung, die ich gegen diesen grossen Mann hege, muss ich doch bemerken, dass ich die Blutk\u00f6rperchen in dem geschlagenen Blute, so lange kein Wasser K^U ^0,11111 \u00a7anz unver\u00e4ndert wieder linde. Ich habe sie vom s ,a, IUH^ Uchsen, vom Menschen und von der Katze in die-SCIR Stunde mit dem FrauimoFER\u2019schen Mikroskope und noch","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 I. liu ch. Von den organ. S\u00e4ften. I. Ahschn. Vom Blut.\neinem andern Instrumente untersucht, und sie weder in der Gr\u00f6sse noch in der Form ver\u00e4ndert gefunden, so dass ich sogar noch eben so gut ihre Abplattung erkennen konnte, wie im ffi_ sehen Blute.\nDas Schlagen des Blutes gew\u00e4hrt den ausserordentlichen durch keinen Kunstgriff zu ersetzenden Vorthei!, die unversehrten Blutk\u00f6rperchen von dem vorher aufgel\u00f6sten Faserstoffe abzuscheiden. Filtrirt man durch Leinentuch die aufgeschwemmten Theile ah und w\u00e4chst den Faserstoff von anh\u00e4ngendem Serum rein, so hat man nach dem Trocknen desselben sicher die in einer gewissen Quantit\u00e4t Blut enthaltene Menge des Faserstoffs. Dagegen l\u00e4sst sich die Menge der Blutk\u00f6rperchen nicht sicher bestimmen. Wenn man die Menge des rothen Coagulums in 100 Th. Blut bestimmt und die Menge des Faserstoffs in 100 Th. Blut davon abzieht, so erh\u00e4lt n.an zwar die Menge der in diesem Coagulum enthaltenen Blutk\u00f6rperchen, allein vermengt mit einer unbestimmten Menge Eiweiss von dem Serum, welches in das Coagulum eingeschlossen war, und dessen Eiweiss und Salze heim Trocknen Zur\u00fcckbleiben. Es giebt einen Ausweg, den Lecanu zur Bestimmung der Menge des Blutroths eingeschlagen zu haben scheint; allein er beruht auf einer Voraussetzung. Man bestimmt die Menge von Eiweiss im Serum des Blutes, man trocknet geschlagenes Blut desselben Thieres, vom Faserstoff befreit, ein und bestimmt die Menge Wasser, die es verliert. Wenn man nun voraussetzt, dass dieses Wasser ganz gleichf\u00f6rmig so viel Eiweiss aufgel\u00f6st enthielt, als man in dein Serum gefunden hatte, wenn man also annimmt, dass das die Substanz der Blutk\u00f6rperchen durchdringende Wasser ebenfalls gleichviel Eiweiss aufgel\u00f6st enthalte, so kann man die Menge des im eingetrockneten Gemenge von Serum und Blutk\u00f6rperchen des geschlagenen Blutes befindlichen Eiweisses bestimmen, und es bliebe die Quantit\u00e4t der Blutk\u00f6rperchen \u00fcbrig. Diess beruht aber auf einer ganz unerweisbaren Voraussetzung.\nDa sich nur die Quantit\u00e4t des vorher aufgel\u00f6sten Faserstoffes sicher, und zwar aus geschlagenem Blute bestimmen l\u00e4sst, so habe ich mich nur damit besch\u00e4ftigt. Vom 3627 Gran geschlagenen Ochsenblutes erhielt ich 18 Gran Faserstoff im getrockneten Zustande, von 3915 Gran Ochsenblut, das nicht geschlagen wurde, 611 Gran rothes Coagulum im getrockneten Zustande; diess macht auf 100 Th. Ochsenblut 16,21STh. trocknes rothes Coagulum, worin 0,1.96 Faserstoff enthalten sind. Nach Fourcroy enth\u00e4lt das Blut 0,0015\u20140,0013 trockne Fibrin, nach Berzelius enthalten 1000 Th. 0,75, nach Lassaigne 1, 2.trockne Fibrin. Aus 22 Beobachtungen fand Lecanu (Transact. med. 6. Oct. 1831.92.) die Menge der trocknen Fibrin zu 1,360\u20147,235 auf 1000 Th. Menschenblut.\nPr\u00e9vost und Dumas haben im arteriellen Blute mehr Blutk\u00f6rperchen gefunden als im ven\u00f6sen ; diess muss auch wieder heissen, mehr rothes Coagulum. Da das Arterienblut ern\u00e4hrt, und da best\u00e4ndig Lymphe mit aufgel\u00f6stem Faserstoffe von den Organen k\u00f6mmt, so l\u00e4sst cs sich schon erwarten, dass das Arte-rienhlut mehr Faserstoff enthalten m\u00fcsse als das Venenblut. So","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"x Mikroskop, median. Analyse. Blutfl\u00fcssigkeit. Faserstoff.\n119\nhabe0 es auc'1 J^'AyER 11 n<* Berthold in mehreren Versuchen gefunden. Es schien mir indess nothwendig, mich hier\u00fcber durch einen Versuch seihst zu vergewissern. Von einer Ziege sammelte ich aus der Juguiarvene 1392 Gran, kurz darauf aus der Carotis 3004 Gran Blut. Beide Blutarten wurden geschlagen, wobei das Ausspritzen des Blutes sorgf\u00e4ltig verhindert wurde. Das Arterienblut lieferte 14'r Gran, das Venenblut 5j Gran trok-kenen Faserstoff. Das Arterienblut der Ziege enthielt also 0,483 Procent, das Venenblut 0,395 Procent aufgel\u00f6sten Faserstoff Nach Denis verh\u00e4lt sich der Gehalt von Faserstoff im ven\u00f6sen und arteri\u00f6sen Blute wie 24: 25; nach Berthoi.d hei Ziegen wie 366:429, bei Katzen wie 474:521, hei Hammeln wie 175:566, bei Hunden wie 500:666. (Burdach Physiol. 4. 382.) Das Mittel aus diesen Beobachtungen ist, dass sich der Faserstoff im Arterien - und Venenblut wie 24:29 verh\u00e4lt.\nDiese Materie, welche bisher al s Faserstoff des. Blutes chemisch untersucht worden ist, ist der im Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff, der, im Fall das Blut geschlagen wurde, rein erhalten ward, im Fall der Faserstoff aus rothem, ausgewaschenem Coagulum erhalten wurde, auch noch die Kerne der Blutk\u00f6rperchen enthalten konnte. Der Betrag dieser Kerne kann indess nicht gross sevn, denn wenn man r\u00f6thes Coagulum auf dem Filtrum ausw\u00e4scht, so. ist die Quantit\u00e4t des erhaltenen Faserstoffs nicht merklich verschieden von derjenigen, welche man erh\u00e4lt, wenn man Blut schl\u00e4gt. Es k\u00f6nnte seyn, dass diese im S\u00e4ugethier- und Menschenbilde jedenfalls kleinen Kerne beim Auswaschen sich gr\u00f6ss-tentheils von dem Coagulum ahl\u00f6sen und in einer Farbestoftaufl\u00f6sung mit suspendirt enthalten sind, so wie man beim blossen R\u00fctteln des rothen Coagulums vom Frosch und von S\u00e4ugethieren selbst eine ausserordentliche Menge sich abl\u00f6sender unver\u00e4nderter ganzer Blutk\u00f6rperchen mit Serum erh\u00e4lt. In einer Farbe-sloffaufl\u00f6sung k\u00f6nnen diese Kerne nicht leicht mit dem Mikroskope entdeckt werden, wenn sie auch wirklich darin enthalten sind. Wenn man von Menschenblut einen Tropfen mit mehreren Tropfen Wasser unter dem Mikroskope verd\u00fcnnt, so werden die Blutk\u00f6rperchen ununterscheidbar, der Farbestoff l\u00f6st sich im Wasser auf, ohne dass man deutlich die Kerne sieht; vermischt man einen Tropfen Menschenblut mit Essigs\u00e4ure unter dem Mikroskope, so sieht man nur mit genauer Noth noch die kleinen Kerne. Ob die Kerne der Blutk\u00f6rperchen, die ich vom Froschblut erhalten habe, Faserstoff sind oder nicht, weiss ich nicht; sie haben die allgemeinen Eigenschaften des geronnenen Faserstoffs und geronnenen Eiweisses, sie l\u00f6sen sich leicht in Alkalien und schwer in S\u00e4uren, seihst in Essigs\u00e4ure ver\u00e4ndern sie sich innerhalb eines Tages nicht, da Essigs\u00e4ure sonst von Faserstoff etwas aufnimmt. In Essigs\u00e4ure bilden die Blutk\u00f6rperchen des Frosches, in kleinen Mengen zugesetzt, ein braunes Pulver, das, mikroskopisch untersucht, noch etwas von der blass gewordenen Farbestoffh\u00fclle zeigt. Faserstoff wird in Essigs\u00e4ure durchsich-hg; indess kann die braune F\u00e4rbung der ellipsoidischen Kerne, wie ich schon bemerkte, vielleicht auch von anh\u00e4ngendem Far-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 I. Buch. Vun den organ. S\u00e4\u00dfen etc. I. Abidin. Vom Blut.\nbestoff lierriiliren. Wenigstens f\u00e4rbte sich der weisse Satz von Kernen der Blutk\u00f6rperchen des Frosches durch Essigs\u00e4ure nicht \u2022 jener weisse Satz n\u00e4mlich, den man erh\u00e4lt, wenn man ein Gel menge von Serum und Blutk\u00f6rperchen mit viel Wasser verd\u00fcnnt in der Entz\u00fcndung und in einigen anderen F\u00e4llen gerinnt das Blut auf eine etwas abweichende Art. N\u00e4mlich ehe das Blut ganz zu einer Gallerte gesteht, senken sich schon die rothen Blutk\u00f6rperchen unter das Niveau der Fl\u00fcssigkeit, so dass das fl\u00fcssige Blut vor dem Gerinnen unten roth und oben farblos oder weisslich nussieht. Nun erst gerinnt es zu einer gallertartigen Masse, die unten roth, oben weiss oder graugelb ist, und allm\u00e4hlig, wie gew\u00f6hnlich, das Serum austreibt. Indem sich der Kuchen zusammenzieht, verkleinern sich der obere und der untere Thei! in ungleichem Verh\u00e4ltnisse; der graugelbe oder weissgelbe obere Theil des Kuchens zieht sich fester zusammen . und sein Durchmesser wird zuletzt viel kleiner als der Durchmesser des untern Theiles des Kuchens, obgleich der Kuchen vorher in jeder H\u00f6he den Durchmesser des Gef\u00e4sses selbst hatte. Die Ursachen dieser besondern Art der Gerinnung sind folgende: Wenn sich im entz\u00fcndlichen Blute die rothen K\u00f6rperchen schon vor der Gerinnung durch irgend einen Grund senken, w\u00e4hrend sie sich im gesunden Blute bis zu der Zeit der Gerinnung noch nicht gesenkt haben, so gerinnt zwar der Faserstoff in der ganzen Masse des Blutes, allein der untere Theil des, Gerinnsels enth\u00e4lt die gesunkenen rothen K\u00f6rperchen eingeschlossen, der obere Theil des Gerinnsels ist ohne rothe K\u00f6rperchen, und heisst nun crusta inflammatoria, obgleich die Materie dieser Kruste auch durch den rothen Kuchen verbreitet, und nichts weiter ist, als der geronnene, vorher aufgel\u00f6ste Faserstoff. Dass der farblose obere Theil des Gerinnsels sich enger und fester zusammenzieht als der untere rothe Theil, ist sehr nat\u00fcrlich, weil der untere rothe Theil des Faserstoff-Coagulums durch die mit eingeschlossenen rothen K\u00f6rperchen in einem gewissen Grade von Ausdehnung erhalten wird. Man kann es dem Blute immer vorher schon ansehen, wenn es eine Kruste, d. h. einen obern farblosen Theil des Coagulums erhalten soll; denn da die Bedingung dazu die Senkung der rothen K\u00f6rperchen unter das Niveau ist, so sieht man an dem Blute, worauf nachher eine crusta inflammatoria entsteht, den obersten Theil der Fl\u00fcssigkeit vor dem Gerinnen zuerst durchscheinend, dann weisslich werden. Diess ist das durch die ganze Masse verbreitete, aufgel\u00f6sten Faserstoff enthaltende Serum, welches vor dem Gerinnen des Faserstoffs einen weisslichen opalisirenden Anschein erh\u00e4lt. IIewson undBiB-BiSGTQN (M\u00e9dico-chirurgical Transact. Vol. A VI. p. 11.) haben gezeigt, dass man dieses farblose Serum vor dem Gerinnen mit einem L\u00f6flelchen absch\u00f6pfen kann, und dass dieses abgesch\u00f6pfte Serum noch gerinnt. Dieses habe ich auch am Blute einer Schw\u00e4ngern best\u00e4tigt gesehen.\nEs fragt sich nun, was ist 'die Ursache, dass meistens im Blute der Entz\u00fcndung, des acuten Rheumatismus und der Schwangeren die rothen K\u00f6rperchen vor der Gerinnung sich senken,","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"I Mikroskop, median. Analyse. Blutfl\u00fcssigkeit. Faserstoff. 121\noclnrch der obere Theil des aufgel\u00f6sten Faserstoffs farblos gerin-kann. Man k\u00f6nnte die Ursache in einer geringem specifi-ne^en Schwere der Blutfl\u00fcssigkeit im Verh\u00e4ltnisse zu den rotlien K\u00f6rperchen jener Blutarten suchen, jedoch ist, soviel man weiss, Serum von entz\u00fcndlichem Blute nicht specifisch leichter, als Se-um von gew\u00f6hnlichem Blute. Da entz\u00fcndliches Blut, wie man allgemein annimmt, in der Regel langsamer gerinnt als gesundes Blut, so k\u00f6nnen die rothen K\u00f6rperchen des entz\u00fcndlichen Blutes noch vor der Gerinnung Zeit haben, sich unter das Niveau zu senken. Diess war schon Hewson\u2019s Ansicht von der Entstehung der crusta inflammatoria. Um diese Ansicht zu pr\u00fcfen, habe ich eine Reihe von Beobachtungen mit verschiedenen \u00dftutarten, und zwar zuerst mit geschlagenem Blute angestellt. Ich wollte zun\u00e4chst wissen, in wie viel Zeit die Blutk\u00f6rperchen im geschlagenen Blute sich zu senken anfangen. Ich habe schon bemerkt, dass diess in geschlagenem Schaf-und Ochsenblut \u00fcberaus langsam geschieht; viel schneller senken sich die Blutk\u00f6rperchen im geschlagenen Katzenblute und geschlagenen gesunden Menschen-blute; sie sinken z. B. hier innerhalb einer Viertelstunde eine Linie, und innerhalb mehrerer Stunden 4 bis 6 Linien unter das Niveau. Allein dieses Factum ist doch nicht hinreichend, die crusta inflammatoria zu erkl\u00e4ren, wenn auch das entz\u00fcndliche Blut langsamer gerinnt, denn so langsam gerinnt es nicht, und gleichwohl hat die crusta inflammatoria zuweilen eine H\u00f6he von \u2022i- Zoll. Nun habe ich ferner beobachtet, dass sich die Blutk\u00f6rperchen in Menschenblut und Katzenblut (nicht in Ochsen - und Schafblut), dessen Gerinnung man durch Zusatz von etwas un-terkohlensaurem Kali verlangsamt, schneller unter das Niveau senken als in geschlagenem Blute, woraus der Faserstoff entfernt ist. In allen F\u00e4llen bew\u00e4hrte es sich, dass die Blntk\u00f6rperchen von gesundem Menschenblute, dessen Gerinnung ich aufgehalten hatte, schon in 5 bis 6 Minuten um 1 bis 1' Linien unter das Niveau gesunken waren, und dass sie innerhalb einer Stunde 4 bis 5 Linien unter dem Niveau standen. Das dar\u00fcber stehende Fluidum wurde alim\u00e4hlig weisslicl), und wenn nicht zu viel kohlensaures Kali zugesetzt war, so gerann es in einen weichen, fadenziehenden Faserstoff, der in einem Falle, selbst bei nicht entz\u00fcndlichem Blut, ziemlich fest wurde und eine Art Kruste bildete. Von Katzenblut erhielt ich dieselben Resultate. Indem ich also d*e Gerinnung verlangsamte, besass ich das Mittel, den Vorgang hei der crusta inflammatoria k\u00fcnstlich zu erzeugen. Der Unterschied liegt nur darin, dass der Faserstoff des farblosen Gerinnsels mehr weich und fadenziehend ist, was vielleicht von dem \u25a0Einfl\u00fcsse des kohlensauren Kali herr\u00fchrt. In wahrhaft entz\u00fcndlichem Blute ist die Kruste schon darum fest, weil, wie Scudamore gezeigt hat, das entz\u00fcndliche Blut mehr Faserstoff enth\u00e4lt.\nFragt man, warum die Blutk\u00f6rperchen im frischen, gesunden Blute bald sich zu senken anfangen, w\u00e4hrend sic im geschlagenen Blute, selbst wenn es entz\u00fcndlich war, sich ungemein langsam senken, so scheint die Antwort schwer. Da geschlagenes \u00f6lut specifisch leichter ist, als das Blut sonst ist, so muss das","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nPh\u00e4nomen eine andere Ursache als in der specifischen Schwere haben. Vielleicht ist die Adh\u00e4sion der Blutk\u00f6rperchen zur Fl\u00fcs_ sigkeit des Blutes, worin noch Faserstoff aufgel\u00f6st ist, geringer als zum Serum des geschlagenen Blutes, woraus der Faserstoff entfernt ist.\nJohn Davy hat indess darauf aufmerksam gemacht, dass entz\u00fcndliches Blut nicht immer langsamer gerinnt. In diesen F\u00e4llen k\u00f6nnen sich vielleicht die Blutk\u00f6rperchen schon darum schneller senken, weil entz\u00fcndliches Blut mehr aufgel\u00f6sten Faserstoff enth\u00e4lt, da die Aufl\u00f6sung des Faserstoffs im Blute \u00fcberhaupt das Blut geneigt macht, die Blutk\u00f6rperchen schneller sinken zu lassen als es in Blut geschieht, woraus der Faserstoff entfernt ist. Hiernach sind die Hauptursachen des Senkens der Blutk\u00f6rperchen und der crusta inflammatoria sowohl die langsamere Gerinnung, als die gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t des aufgel\u00f6sten Faserstoffs. Wenn zuweilen auch andere Blutarten eine lockere Kruste absetzen, unter Umst\u00e4nden, wo man mehr eine anfangende Zersetzung des Blutes vermuthen sollte, als eine gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t von Fi\u2014 brin, so kann diess hinreichend aus der langsameren Gerinnung eines solchen Blutes erkl\u00e4rt werden, da auch gesundes Blut, wie ich gezeigt habe, ziemlich schnell die Blutk\u00f6rperchen sinken l\u00e4sst, und sp\u00e4ter ein oberes farbloses Gerinnsel bildet, sobald man nur die Gerinnung verlangsamt.*)\tx\n2) Vom Blutwasser.\nDie Blutfl\u00fcssigkeit, liquor sanguinis, welche den Faserstoff aufgel\u00f6st enth\u00e4lt, zersetzt sich beim Gerinnen in einen fl\u00fcssig bleibenden Theii und Faserstoff, welcher beim Gerinnen die Blutk\u00f6rperchen zwischen sich nimmt und den Blutkuchen bildet. Das neue \u00fcbrig bleibende Fl\u00fcssige wird Blutwasser oder Serum genannt, welches also wohl von der urspr\u00fcnglichen Blutfl\u00fcssigkeit-zu unterscheiden ist. Das Serum ist gelblich, von salzigem Geschmack und 1,027 bis 1,029 spccifischem Gewicht; es reagirt hei h\u00f6heren Thieren deutlich alkalisch und gesteht beim Erhitzen bis 70\u00b0 \u2014 75\u00b0 C. durch Gerinnung des darin aufgel\u00f6sten Eiweisses (albumen) zu einer Gallerte, im luftleeren Raum, wie in der atmosph\u00e4rischen Luft, dagegen der Faserstoff vom Blut ausser den Adern ohne alle \u00e4usseren Einfl\u00fcsse von selbst gerinnt. Der wesentlichste Bestandtheil des Blutwassers ist Eiweiss. Ausserdem enth\u00e4lt das Serum freies Alkali (Natron, auch Kali nach Berzelius), wahrscheinlich mit Eiweiss verbunden, und Salze von\n\u00a5) fiETZIUS beobachtete einmal eine von der gew\u00f6hnlichen Formation der crusta inflammatoria verschiedene Bildung derselben. Schnell nach dem Aderlass coagulirte das Blut in einen Klumpen. In 2 Stunden war noch kein Serum ausgeschieden, aber nach dieser Zeit erschien es-m Menge und bedeckte den schwarzen Kuchen. Das Serum wurde opalisirend und nach 4 Stunden hatte es eine dicke l.agc Faserstoff abgesetzt. lim 1 heil des Faserstoffs war hier bei der ersten Gerinnung in festen Zustand \u00fcbergegangen, der \u00fcbrige noch im Serum aulgel\u00f6st und der ganze Process von der langsamen Gerinnung des Faserstoffs abh\u00e4ngig. Vergl. \u00fcber Grusta influtmnaloria H. Nasse das Blut Bonn. lS\u2019J\u00dc.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"1. Mikroskop, median. Analyse. Blutivasser.\n123\ndiesen Hasen. Pr\u00e9vost und Dumas haben die relative Quantit\u00e4t der festen Bestandteile im Blutwasser zu den \u00fcbrigen bei vielen Thieren bestimmt.\n\t100 Theile Blut.\t\t\t100 Theile Blutwasser.\t\n\tBlut- kuchen.\tEiweiss.\tWasser.\tEiweiss\tW\u2019asser.\nMensch\t12,92\t8,69\t78,39\t10,0\t90,0\nSimia Callitriche\t14,61\t7,79\t7\" 60\t9,2\t90,8\nHund\t12,38\t6,55\t81,07\t7,4\t92,6\nKatze\tJ 2,04\t8,43\t79,53\t9,6\t90,4\nPferd\t9,20\t8,97\t81,83\t9,9\t90,1\nKalb\t9,12\t8,28\t82,6\t9,9\t90,1\nSchaaf\t9,35\t7,72\t82,93\t8,5\t91,5\nZiege\t10,20\t8,34\t81,46\t9,3\t90,7\nKaninchen\t9,38\t6,83\t83,79\t10,9\t89,1\nMeerschweinchen\t12,80\t8,72\t78,48\t10,0\t90,0\nRahe\t14,66\t5,64\t79,70\t6,6\t93,4\nReiher\t13,26\t5,92\t80,82\t6,8\t93,2\nEnte\t15,01\t8,47\t76,52\t9,9\t90,1\nHuhn\t15,71\t6,30\t77,99\t7,5\t92,5\nTaube\t15,57\t4,69\t79,74\t5,5\t94,5\nForelle\t6,38\t7,25\t86,37\t7,7\t92,3\nAal raupe\t4,81\t6.57\t88,62\t6,9\t93,1\nAal\t6,00\t9,40\t84 60\t10,0\t90,0\nLandschildkr\u00f6te\t15,06\t8,06\t76,88\t9,6\t90,4\nFrosch\t6,90\t4,64\t88,46\t5,0\t95,0\nHieraus gebt hervor, dass beim Menschen im Blutwasser ungef\u00e4hr anderweitige Bestandtheile und besonders Eiweiss aufgel\u00f6st sind, und dass sich diess Verb\u00e4ltniss so ziemlich bei den ihieren bis zu den Fischen erh\u00e4lt, w\u00e4hrend nur die relative Menge des Blutkuchens (K\u00fcgelchen und Faserstoff zusammen) im Blute bei den nackten Amphibien und Fischen abnimmt. Beim Menschen verhalten sich die festen Theile des Blutkuchens zu den nn Blutwasser aufgel\u00f6sten Theilen wie 12,92: 8,69 oder ungef\u00e4hr wie 3: 2. Das Blut der fleischfressenden Thiere liefert mehr Blutkuchen als das der pflanzenfressenden. Nach J. Davy liefert \u201cas Blut vom Lamm weniger und weicheres Coagulum als das yom erwachsenen Schaaf, wie denn auch sowohl Fourcroy als \u201e Coagulum heim Foetus weicher fanden. Nach Berthold I ei,r\u2018ige zur Anal., Zool. u. Physiol. Gott. 1831) scheint die Menge ,es Faserstoffs hei den kaltbl\u00fctigen Thieren nicht geringer, wohl \u00abw die des Cruors.\nLeg a au hat das Blut hei den verschiedenen Geschlechtern, tern, Temperamenten untersucht. Diese Arbeit macht in diesem Theile der physiologischen Chemie eine neue Epoche, er sc leint mit Genauigkeit eine ausserordentliche Anzahl von Beob-i:Ltu:iSei1 gemacht und verglichen zu haben, a. a. 0. p. 94 \u2014\n11*7. Lecanu fand die\nic Quantit\u00e4t des Wassers in 1000 Blul variire","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Abschn. Vom Blut.\nvon 778,625 \u2014 853,135. Mittel 815,880. Beim Weih ist d|e Variation 790,394 \u2014 853,135. Beim Mann ist die Variation 778,625 \u2014 S05,263. Hiernach enth\u00e4lt das Blut des Weibes inehr Wasser, was auch Denis fand in 24 Beobachtungen vorn Mann und 28 vom Weibe. Wach ihm variirt die Menge des Wassers beim Mann von 805,00 \u2014 732, heim Weibe von 848 00 \u2014 750,00, die beiden Mittel verhalten sich wie 767: 787* Die Quantit\u00e4t des Wassers ist nach Lecanu in keinem bestimmten Verh\u00e4ltniss zu den Lebensaltern, dagegen Denis mehr Wasser hei Rindern und Greisen fand. In Hinsicht der Temperamente fand Lecanu, dass das Blut der Sanguinischen weniger Wasser enth\u00e4lt als das Blut der Phlegmatischen; hei sanguinischen Weihern variirte die Menge des Wassers in 4 Beobachtungen von 790,394 \u2014 796,175, hei phlegmatischen Weibern in 5 Beobachtungen von 790,840 \u2014 827,130. Mittel heim sanguinischen Temperament der Weiber 793,007, heim phlegmatischen Temperament der Weiher 803,710. Aus \u00e4hnlichen Beobachtungen an M\u00e4nnern ergab sich das Mittel f\u00fcr das sanguinische Temperament der M\u00e4nner 786,584, f\u00fcr das phlegmatische Temperament der M\u00e4nner 800,566. Die Differenz in plus von Wasser beim phlegmatischen Temperament im ersten Fall 10,703, im zweiten 13,982.\nDie Menge des Eiweisses variirt im Allgemeinen von 57,890 bis 78,2/0; indess ist die Quantit\u00e4t des Albumen bei M\u00e4nnern und Weihern fast gleich, auch zeigt sich kein bestimmter Unterschied in den Altern von 20\u201460 Jahren, eben so wenig zeigt sich ein auffallender Unterschied iu den Temperamenten.\nDie Menge des Blutkuchens (Faserstoff und Cruor) variirt im Allgemeinen von 68,349 \u2014 148,450, Mittel 108,399. Dieselbe variirt bei M\u00e4nnern von 115,850 \u2014 148,450, hei Weihern von 68,349 \u2014 129,990. Das Blut der M\u00e4nner enth\u00e4lt also nach Lecanu ungef\u00e4hr 32,980 mehr Bestandtheile des Blutkuchens, als. das der Weiber. Dagegen scheint die Quantit\u00e4t des Blutkuchens nicht proportioneil mit dein Alter zuzunehmen, wenigstens nicht vom 20.\u201426. Jahre. Aber die Quantit\u00e4t des Coagulums ist gr\u00f6sser heim sanguinischen Temperament als heim phlegmatischen, was auch Denis fand. Das Verh\u00e4ltniss des Coagulums variirte in 4 Beobachtungen bei Weibern von sanguinischem Temperament in 1000 Theden Blut von 121,720 bis 129,654, heim phlegmatischen Temperament in 5 Beobachtungen von 92,670 \u2014 129,990, B\u00fcttel heim sanguinischen Temperament der Weiber 126,174, heim phlegmatischen Temperament der Weiher 117,300. Differenz 8,874. Bei den M\u00e4nnern variirte das Verh\u00e4ltniss des Coagulums in 1000 Theilen Blut beim sanguinischen Temperament in 5 Beobachtungen von 121,540 \u2014 148,450, beim phlegmatischen Temperament ergaben 2 Beobachtungen 115,850 und 117, 484. ln der Menstruation scheint nach Lecanu das Blut des. Weibes an Coagulum zu verlieren.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse, des Blut cs. Farbestoff.\n125\nII. Capilcl. Chemische Analyse des Blutes.\n(Nach Berzelius Thierchemie u. A.)\nVon den Kernen der Blutk\u00f6rperchen hat man noch keine vollst\u00e4ndige Analyse, weil sie nicht in gr\u00f6sserer Menge zu erhalten sind. Man kann sie von Froschblut wegen der Gr\u00f6sse der Blutk\u00f6rperchen leicht gesondert erhalten. Die Methode zu ihrer Gewinnung habe ich schon angegeben. Man versetzt ein Ge-men\u201de von Blutk\u00f6rperchen und Blutwasser, woraus der Faserstoff entfernt ist, in einem Uhrglase mit Wasser, das allm\u00e4hlig den F\u00e4rb es toll aull\u00f6st, worauf der weisse Satz von Kernen der Blutk\u00f6rperchen zur\u00fcck hleiht. Diese sind in Wasser unaufl\u00f6slich, ver\u00e4ndern sich mit Essigs\u00e4ure \u00fcbergossen in mehreren Tagen nicht, sind l\u00f6slich in alkalinischem Wasser sowohl von Kali und Natron als Ammonium. Hierdurch stimmen sie im Allgemeinen mit dem geronnenen Faserstoff und Eiweiss \u00fcberein, die jedoch l\u00f6slicher in Essigs\u00e4ure zu seyn scheinen. Die chemischen Eigenschaften der Schale der Blutk\u00f6rperchen sind auch nur wenig bekannt. Diese Schale ist mit dem in Wasser leicht und in allen Verh\u00e4ltnissen l\u00f6slichen F\u00e4rbestoff durchdrungen. Durch Behandlung der Blutk\u00f6rperchen des Frosches mit Wasser kann man den Farbestoff bald aus ihnen ausziehen. Die Schale ist dann unf\u00f6rmlich geworden, hat ihre Farbe verloren und wird erst sp\u00e4ter vom Wasser angegriffen, n\u00e4mlich innerhalb einiger Tage. Dann ist die Schale der Blutk\u00f6rperchen ganz zerst\u00f6rt und die Kerne sind \u00fcbrig ; als Rest der zerst\u00f6rten Schalen zeigt sich ein schleimiges \u00e4usserst feink\u00f6rniges Wesen auf dem Boden des Uhrglases, auf welchem die Kerne liegen. Die Essigs\u00e4ure l\u00f6st die Schale der Blutk\u00f6rperchen nicht ganz vollkommen auf, indem um die Kerne ein Rand bleibt, der offenbar Rest der Schale ist.\n'Vergl. das fr\u00fcher Bemerkte \u00fcber das Verhalten der Essigs\u00e4ure zur Schale der Blutk\u00f6rperchen. Zu einer vollst\u00e4ndigen chemischen Untersuchung sind der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen, der im Blut aufgel\u00f6ste Faserstoff und die Bestandtheile des Blutwassers nach Abscheidung des Faserstoffs f\u00e4hig.\nI. Farbestoff, Blutroth, Haematin, Cruorin. Berzelius untersucht das Blutroth in 3 Zust\u00e4nden: an den Blutk\u00f6rperchen, oder im Blutwasser aufgeschlemmt, 2. im V asser aufgel\u00f6st, 3. im geronnenen, f\u00fcr Wasser unl\u00f6slichen Zustande. Das Blutroth der Blutk\u00f6rperchen besitzt die Eigenschaft, hei Ber\u00fchrung von atmosph\u00e4rischer Luft oder von Sauerstoffgas letzteres anzuziehen und sich heller roth zu f\u00e4rben. Hierbei wird Kohlens\u00e4ure gebildet und ausgeschieden, was Berthollet, Christison (FRoiuEr\u2019s Not. 644.) und ich selbst fanden (p. 315.). Ein mit Blutk\u00f6rperchen gemengtes Blutwasser wird durch Hindurchstreichen von Sauer-stoffgas durch und durch hellroth, bei der Ber\u00fchrung der atmosph\u00e4rischen Luft, wie das Blut selbst, an der Oberfl\u00e4che hellroth. Jn l\u00e4ngerer Ber\u00fchrung mit Saucrstoffgas schw\u00e4rzt sich das Blut-l0th (vielleicht von der Bindung von Kohlens\u00e4ure) und kann","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Ahschn. Vom Blut.\ndann nicht wieder hergestellt werden. Kohlens\u00e4ure, schweflichte S\u00e4ure und \u00fcberhaupt S\u00e4uren machen das Blut und Blutroth schwarzbraun. Stickstoff'oxydulgas wird in Menge von geschlagenem Blut aufgesogen und das Blut davon purpurroth, worauf atmosph\u00e4rische Luft durch das Blut durchgetrieben, die nat\u00fcrliche Farbe wieder herstellt. Kohlenwasserstolfgas soll dem dunkeln Blute eine hellere rothe Farbe mittheilen. Berzelius Thierchemie 48. Mehrere Salze wie Chlornatrium, salpetersaures Kali, schwefelsaures Natron, geben dem dunkelrothen Blute eine hellrothe Farbe. Schroeder v. d. Kolk, beobachtete, dass der elektrische Funke hellrothe Flecke auf ven\u00f6sem Blute bildete. Man erh\u00e4lt den Farbestoff des Bluts aufgel\u00f6st, indem man Blutkuchen in Wasser ausw\u00e4scht, wodurch sich der Farbestoff in Wasser aufl\u00f6st, wobei sich aber nicht verh\u00fcten l\u00e4sst, dass die vom Coagu-lum mit eingeschlossenen Kerne der Blutk\u00f6rperchen zum Theil sich mit abl\u00f6sen, in die ausgewaschene Fl\u00fcssigkeit gerathen und in die Analyse des Blutroths mit eingehen. Das Blutroth l\u00f6st sich in Wasser in allen Verh\u00e4ltnissen auf.\nDie Aufl\u00f6sung des Blutroths in Wasser r\u00f6thet sich schw\u00e4cher an der Luft als das Blut selbst. Beim Abdampfen hei einer W\u00e4rme bis zu 50\u00b0 Cent, wird sie zu einer schw\u00e4rzlichen Masse, die sich zu dunkelrothem Pulver reiben und dann wieder in Wasser aufl\u00f6sen l\u00e4sst, bei 70\u00b0 C. coagulirt der Farbestoff in der w\u00e4ssrigen L\u00f6sung und ist dann unl\u00f6slich. Dasselbe geschieht von Alkohol, von Mineral-S\u00e4uren, auch wenn zur Behandlung mit Essig-S\u00e4ure Alkali, oder zur Behandlung mit Alkali S\u00e4ure hinzugesetzt wird. Die Niederschl\u00e4ge, die von Erd- und Metalloxyd-Salzen bewirkt werden, sind theils braun, theils schwarz, theils roth. Berzelius a. a. O. p. 50. 51.\nIm dritten Zustande, als Coagulum durch Erhitzen bis 70\u00b0, ist der Farbestoff roth und k\u00f6rnig, in der W\u00e4rme getrocknet wird er schwarz. Kochendes Wasser ver\u00e4ndert den Farbestoff zuletzt, so wie den Faserstoff. Auch bilden die S\u00e4uren mit coagulirtem Blutroth so wie mit Faserstoff neutrale, in reinem Wasser l\u00f6sliche Verbindungen, die vom Blutroth dunkelbraun sind. Alkalien l\u00f6sen das Blutroth auf, GerbestofF schl\u00e4gt es aus seinen Aufl\u00f6sungen in S\u00e4uren und Alkalien nieder. Tiedemann und Gmelin haben entdeckt, dass der Faserstoff allm\u00e4hlig von Alcohol aufgel\u00f6st und letzterer dadurch dunkelroth wird. Berz. a. a. 0. p. 50\u201456. Durch Ausziehung aus geronnenem Blutroth mit Alkohol l\u00e4sst sich das Blutroth vom Eiweiss trennen, welches von Alkohol nicht aufgel\u00f6st wird. Lecanu betrachtete deswegen die Substanz der Schale der Blutk\u00f6rperchen, die er Haematosin nennt, alseine Verbindung von eigentlichem Blutroth, das er Globulin nennt, und Eiweiss. Hierzu ist aber kein Grund vorhanden, da das hierbei erhaltene Eiweiss vom Serum oder gar von den mit ausgewaschenen Kernen der Blutk\u00f6rperchen herr\u00fchren kann. Lecanu in Poggendori\u2019s Anna/. 1832. 4. 550. Nach Michaelis Analyse des Farbestoffs ist dessen elementare Zusammensetzung in","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse des Ulules. Farbestoff.\n127\narteriellem ven\u00f6sem Blut.\nStickstoff .\t.\t17,253\t17,392\nKohlenstoff\t.\t51,382\t53,231\nWasserstoff\t.\t8,351\t7,711\nSauerstoff\t.\t23,011\t21,666.\nHiernach stimmt die elementare Zusammensetzung des Blut-rothes mit der des Faserstoffs, nur dass Blutroth eine gr\u00f6ssere Menge von Asche hinterlasst, und diese viel Eisen enth\u00e4lt. Denn dass, wie Brande und Vauqtjelin glaubten, der Gehalt von Eisen ini Blutroth nicht gr\u00f6sser wie im Serum und anderen thierischen Theilen ist, haben Berzelius und Engeliiart widerlegt. Oehlen-sciilaeger hat auch Eisen im Blute von Hunden gefunden, die noch nicht an der Mutter gesogen. Kastner\u2019s Archie. 1831. Sept. Cet. p. 317. Das Eisen ist also kein zuf\u00e4lliges Ingestion aus den Nahrungsstoffen. Die Asche vom Blutroth ist immer alkalisch und rothbraun, und betr\u00e4gt nach Berzelius I J his I ' Procent vom Gewicht des getrockneten Farbestoffs, sowohl vom Menschen- als Ochsenblut, nach Michaelis 2,2 Proc. im Farbestoff von Kalbsblut. Berzelius erhielt aus 1,3 Theilen Asche von 100 Theilen getrockneten Farbestoffs\nkohlensaures Natron mit Spuren von phosphors. Natron 0,3\nphosphorsauren Kalk....................................0,1\nreine Kalkerde.........................................0,2\nbasisch phosphorsaures\tEisenoxyd.......................0,1\nEisenoxyd..............................................0,5\nKohlens\u00e4ure und Verlust................................0,1\nIn einem andern Versuch erhielt Berzelius aus 400 Gran des getrockneten Blutroths 5 Gr. Asche. Diese war zusammengesetzt aus Eisenoxyd 50,0 basisch phosphors. Eisen 7,5, phosphors. Kalk mit einer geringen Menge phosphors. Talks 6,0, reinem Kalk 20,0, Kohlens\u00e4ure und Verlust 16,5. Das all gemeine Resultat von Berzelius Versuchen ist, dass das Blutroth eine Quantit\u00e4t Eisen enth\u00e4lt, die etwas mehr als l, Procent seines Gewichts metallischem Eisen entspricht. Das Mangan ist im Blute noch nicht von Mehreren gefunden worden. Wurzer (Schweigg. J. 58. p. 481.) fand in 2 Grammen Blutkohle 0,108 Eisenoxyd und 0,034 Ma nganoxyd.\nDas getrocknete lind pulverisirte Blut reagirt nach Menghini durch seinen Eisengehalt gegen den Magnet, das einge\u00e4scherte Blutroth nach Scudamore nicht, allein keines der gew\u00f6hnlichen hm Eisenoxyd empfindlichsten Reagentien, wie Blutlaugensalz, tjerbestoff, Gall\u00e4pfels\u00e4ure und die st\u00e4rksten Minerals\u00e4uren, bringen die geringste Reaction an unverbranntem Blutroth auf Eisen oder phosphorsauren Kalk hervor, und es scheint daraus hervor-Zugehen, dass Eisen und Calcium nicht im Zustand eines Salzes I\u2122 Elute enthalten sind. Die Angabe von Fourcroy, dass das \u2022 \u2019i;!\u20190 . e^ne Aufl\u00f6sung von basisch phosphorsaurem Eisenoxyd \\n Erweiss sey und dass der auch eisenhaltige, aber weisse Chylus s Eisen als neutrales phosphorsaures Eisenoxydul enthalte, ist urcd Berzelius Versuche widerlegt. Denn das basisch phosphor-ure Eisenoxyd ist im Blutwasser und Eiweiss mit oder ohne","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Abschn. Vom Blut,\nZusatz von Alkali unl\u00f6slich. Auch die Behauptung von Pr\u00e9vost und Dumas, dass das Blutroth Eiweiss sey, welches Eisenoxyd aufgel\u00f6st enthalte, schien nicht richtig, weil sonst Minerals\u00e4uren und K\u00f6nigswasser das Eisen aus unverbranntem Blutroth auszie-hen w\u00fcrden. Berz. Thierchemie, p. 58.\nEngelhart {de vera materiae sanguini purpureum colorem irru pertieniis natura. Gotting. 1825.) hat sch\u00f6ne Entdeckungen \u00fcber den Antheil des Eisens an dem Blutroth gemacht. Er zeigte zu-erst, dass eine Aufl\u00f6sung von Blutroth in Wasser, die man mit Schwefelwasserstoff impr\u00e4gnirt, nach einiger Zeit die Farbe verliert, zuerst violett, dann gr\u00fcn wird. Diese Reaction des Schwefelwasserstoffs ganz wie auf Eisen scheint zu beweisen, dass das Eisen im Blutroth zu seiner Farbe beitrage. Dann entdeckte Engelhart, dass sich der w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sung von Blutroth oder dem mit Wasser anger\u00fchrten koagulirten Blutroth und anderen thierischen Substanzen alles Eisen, Calcium, Magnium, Phosphor entziehen lasse, wenn man Chlorgas durch die Fl\u00fcssigkeit leitet, oder diese mit Chlorwasser versetzt. Die Aufl\u00f6sung von Blutroth wird zuerst gr\u00fcnlich, und zuletzt ganz entf\u00e4rbt; die thieri-sche Materie schl\u00e4gt sich in weissen Flocken mit Salzs\u00e4ure oder Chlor verbunden nieder, w\u00e4hrend Eisen, Calcium, Magnium, Phosphor oxydirt oder mit Chlor verbunden , Eisen z. B. als Eisenchlorid, Phosphor als Phosphors\u00e4ure, in der Aufl\u00f6sung bleiben und durch Filtration abgeschieden werden k\u00f6nnen ; wogegen die thierische Materie bei der Verbrennung keine Asche mehr giebt. Nun hat aber Chlor keine Verwandtschaft zu Oxyden, wohl aber eine sehr grosse zn regulinischen Metallen, ferner wird Eisen nicht von Salzs\u00e4ure und anderen Minerals\u00e4uren aus dem Blut ausgezogen, da diese doch eine grosse Verwandtschaft zu Nietalloxyden , aber keine zu regulinischen Metallen haben. Hiernach hielt es Berzelius f\u00fcr wahrscheinlicher, dass das Eisen im Blute im regulinischen Zustande und nicht als Oxyd enthalten sey, obgleich man keine Analogie f\u00fcr die Annahme einer Verbindung von Metall mit Stickstoff, Kohlenstoff) Wasserstoff, Sauerstoff hat.\nZu der Ansicht, dass das Eisen im Blut als Oxyd enthalten sey, hat IIeinr. Rose (Poggend. Ann. 7. 81.) neue St\u00fctzen geliefert. Rose wiederholte Engelhart\u2019s Beobachtung. Wenn er die Fl\u00fcssigkeit nach der Ver\u00e4nderung durch Chlor und nach der Pr\u00e4cipitation der thierischen Materie filtrirte; so konnte das Eisen aus der Fl\u00fcssigkeit abgeschieden werden; wurde sie aber nicht filtrirt, sondern Ammoniak im \u00fceberschuss zugesetzt, so l\u00f6ste sich wieder Alles zusammen zu einer dunkelrothen Farbe auf, und es wurde kein Eisen abgeschieden. Rose vermischte dann eine Aufl\u00f6sung von Farbestoff mit einer gewissen Menge Eisenoxydsalz und setzte Ammoniak im \u00dceberschuss zu, worauf das Eisenoxyd in der Aufl\u00f6sung blieb und weder durch Schwefelwasserstoff noch Gall\u00e4pfeltinctur niedergeschlagen werden konnte. Rose fand ferner, dass ein grosser Thei! nicht fl\u00fcchtiger organischer Stoffe, als Zucker, St\u00e4rke, Gummi, Milchzucker, Leim u. a., die Eigenschaft haben, dass bei Vermischung ihrer w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sung mit einer kleinen Menge eines Eisenoxydsal-","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse fies Blutes. Faserstoff.\n129\nlCi das Eisenoxyd bei Zusatz eines Alkalis nicht, oder nur zum Xheil niedergeschlagen wird. Diese Versuche f\u00fchren wieder zu der Ansicht, dass im Blutroth Eisenoxyd in einer Verbindung mit dem Thierstoff sey.\t\u2022\nDennoch glaubt Berzelius, dass die Art Verbindung, welche ]>ei Rose das Eisenoxyd im Farbestoff oder Eiweiss aufgel\u00f6st enthalt, nicht die sey, durch welche der Farbestoff eisenhaltig jst weil sie sonst durch Einwirkung von Sauren ihren Eisengehalt verlieren m\u00fcsste, und weil eine Verbindung von Farbestoff oder Blutwasser und Eisenoxyd oder Eisenoxydul durch Zusatz VOn einer Minerals\u00e4ure zersetzt wurde, indem Farbastoft oder Fiweiss gef\u00e4llt wurden, und das Oxyd in der S\u00e4ure aufgel\u00f6st blieb.\nBerzelius glaubt daher, dass das Eisen im Blutroth im metallischen Zustande vorkomme, und mit Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, so wie mit kleinen Mengen von Phosphor, Calcium und Magnium organisch verbunden sey. und dass sich beim Ein\u00e4schern des Blutroths dessen Bestandtheile oxydiren, und Phosphors\u00e4ure, Kalk, Talk und Eisenoxyd bilden. F\u00fcr diese Ansicht scheint auch der Zustand des Eisens im Chylus zu sprechen; denn hier muss das Eisen sich in einem ganz andern Zustande und zwar als Oxvd vorfinden, indem es nach Emmert (Reil\u2019s Archie. 8.) durch Salpeters\u00e4ure ausgezogen wird, und dann mit Gall\u00e4pfeltinctur einen schwarzen, mit blausaurem Kali einen blauen Niederschlag bildet. Indessen bek\u00e4mpft Gaielin doch die Vorstellung von dem vorzugsweisen Antheil des Eisens an der Farbe des Blutroths, seihst angenommen, dass Eisen re-gulinisch mit Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff im Blutroth verbunden sey. Er sagt, die Entf\u00e4rbung des Blutroths durch Chlor mit Entziehung von Eisen beweise nicht, dass diese Entziehung die Ursache der Entf\u00e4rbung ist, denn es k\u00f6nnte auch das Chlor das Blutroth bloss durch Entziehung von Wasserstoff oder Uebertragung von Sauerstoff auf dessen Bestandtheile entf\u00e4rben, und die dabei entstehende Salzs\u00e4ure k\u00f6nnte dann das Eisenoxyd der alkalischen Fl\u00fcssigkeit aufnehmen. Hierf\u00fcr f\u00fchrt Gmelin an, dass, wenn man das mit Blutroth gemengte Blutwasser statt mit Chlor mit \u00fcbersch\u00fcssiger kalter Salz- oder Schwefels\u00e4ure versetzt und von dem zwar verdunkelten, aber keineswegs entf\u00e4rbten Blutroth abfiltrirt, man in der Fl\u00fcssigkeit durch schwefelblausaures Kali ebenfalls das Eisenoxyd entdecken kann, also sich Eisenoxyd ohne Zerst\u00f6rung der Farbe entziehen l\u00e4sst. Auch liefere der durch wiederholtes Auskochen mit Weingeist gr\u00f6ss-tentheils entf\u00e4rbte R\u00fcckstand von geschlagenem Blute beim Ein\u00e4schern noch eine merkliche Menge Eisenoxyd. Gmelin Chemie 4. 1169.\nEine eigenth\u00fcmliche Ansicht \u00fcber die Natur des Eisens im Blut hat Treviranus aufgestellt. Winterl erhielt, indem er Blut mit Kali verkohlte, eine im Alkohol l\u00f6sliche Substanz, die nicht Wie das blausaure Kali das Eisen aus seinen Verbindungen niederschlug, sondern roth f\u00e4rbte. Nach Treviranus soll diese Substanz, die Winterl Bluts\u00e4ure nannte, auch im Speichel enthal-M\u00fcller\u2019s Physiologie. I.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130 I. Huch. Von den organ. Stiften etc. 1. Ahsclin. Vom Blut\nten seyn, und Speichel mit, einer salpetersauren oder Schwefel sauren Eisenaufl\u00f6sung hlutroth werden (ich finde die Farbe nicht hlutroth, sondern gelbroth). Nach Treviranus ist diese Substanz in Verbindung mit Eisen die Ursache der rothen Farbe des Blu_ tes. Gmelin hat nun gefunden, dass diese Substanz im Speichel Schwefelblaus\u00e4ure ist (obgleich Kuehn wieder dieses bezweifelt) Siehe den Artikel vom Speichel.\nNeulich hat Hermbstaedt aus der Beobachtung, dass aus fau_ lendem Blut und aus Eiweiss Schwefelwasserstoff sich entwickelt so wie aus mehreren Versuchen geschlossen, das Schwefel im Blut enthalten ist. Die Asche des Blutes enth\u00e4lt ein Alkali, dieses musste, schliesst Hermbstaedt, in der Blutkohle enthalten seyn. Wird aber Blutkohle mit Kali oder Natron gegl\u00fcht, so werden Cyankalium oder Cyannatrium gebildet. Wird Cyan kalium oder Cyannatrium mit Schwefel gegl\u00fcht, so entsteht Schwefel - Cyan-Kalium oder Natrium, welche das Eisenoxyd hlutroth f\u00e4rben. In der That werden Serum oder Eiweissl\u00f6sung, oder Milch mit Schwefelblaus\u00e4ure versetzt nach Hinzuf\u00fcgung einiger Tropfen Eisenchlorid hlutroth. Schweigg. J. 1832. 5. \u00f9. fi. p. 314. Diese Ansicht ist indess von aller Wahrscheinlichkeit entfernt.\nII. Faserstoff, Fibrin.\nMan hat den faserstoff bisher nur im geronnenen Zustande untersucht. Nach der von mir angegebenen Methode l\u00e4sst sich aber auch der noch frische aufgel\u00f6ste Faserstoff des Froschblutes vor der Gerinnung untersuchen. Man bringt n\u00e4mlich das Blut vom fr\u00f6sche schnell mit etwas Wasser oder besser Zuckerwasser zugleich auf das filtrum von weissem P iltrirpapier. Die durchgehende farblose Fl\u00fcssigkeit enth\u00e4lt Faserstoff aufgel\u00f6st, der erst nachher gerinnt. Lasst man die durchs Filtrum gehende f lussigkeit in ein Uhrglas, das mit Essigs\u00e4ure gef\u00fcllt ist, tr\u00e4ufeln, so gerinnt der Faserstoff in der Essigs\u00e4ure nicht. Enth\u00e4lt das auffangende Uhrglas Kochsalzl\u00f6sung, so gerinnt der Faserstoff des f roschblutes darin entweder gar nicht, oder nur zum sehr kleinen Theil, wie auch Kochsalzaufl\u00f6sung dem frischen Froschblute zugesetzt, die Gerinnung desselben ausserordentlich lange aufh\u00e4lt, was auch unterkohlensaures Kali dem frischen Froschblute in Aufl\u00f6sung zugesetzt verursacht, ohne die Gerinnung desselben ganz aufzuheben. Vom Blute des Menschen weiss man schon lange, dass einige Salze, schwefelsaures Natron, salpetersaures Kali, in einiger Menge dem frischen Blute zugesetzt, sein Gerinnen verhindern. Man kann sich hiernach einen Begriff machen, wie die k\u00fchlenden Salze bei dein entz\u00fcndungswidrigen Verfahren auf das Blut wirken ; sie wandeln den Faserstoff um, der in der Entz\u00fcndung eine so grosse Neigung hat, sich anzuh\u00e4ufen, und in den Gef\u00e4ssen des entz\u00fcndeten Organes und nach Ausschwitzungen desselben auf der Oberfl\u00e4che der Il\u00e4ute zu gerinnen.\nDass w\u00e4ssrige L\u00f6sung von kaustischem Kali oder Natron die Gerinnung des aus der Ader gelassenen Blutes vom Menschen zu einer zusammenh\u00e4ngenden Masse verhindert, wusste man schon lange; nach Pr\u00e9vost und Dumas gerinnt das gelassene Blut der","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse des Blutes. Faserstoff.\n131\nh\u00f6heren Thiere nicht mehr, wenn man es mit T<L.- kaust. Natron versetzt. Lasst man die vom frischen Froschblute durchs piltrum gehende Fl\u00fcssigkeit in ein Uhrglas tr\u00e4ufeln, worin sich Liquor kali caustici befindet, so gerinnt der Faserstoff nicht zu einem Kl\u00fcmpchen, sondern es entstehen allm\u00e4hlig ganz kleine Flocken, die man aber nur bemerkt, wenn man recht genau zusieht. Solche kleine Fiocken entstehen noch deutlicher, wenn man die Fl\u00fcssigkeit in ein Uhrglas, das mit Schwefel\u00e4ther angef\u00fcllt ist, tr\u00e4ufeln l\u00e4sst, und im Maasse der Verdunstung des Aethers neuen Aether zusetzt. Von Liquor ammonii caustici setzt der aufgel\u00f6ste Faserstoff des Froschblutes keine K\u00fcgelchen und Flocken ab.\nDen frisch geronnenen Faserstoff gewinnt man zur chemischen Untersuchung durch Schlagen des Blutes, worauf der am Stahe sich anh\u00e4ngende Faserstoff ausgewaschen wird, oder durch Auswaschen des rothen Coagulums. In diesem Zustande ist der Faserstoff specifisch schwerer als Wasser, als Blutwasser und als das mit Blutk\u00f6rperchen versetzte Blutwasser von geschlagenem Blute; in allen diesen sinkt der Faserstoff unter, wenn er von anklebenden Luftbl\u00e4schen befreit ist. Die weitere Beschreibung ist nach Berzelius. Der geronnene und ausgewaschene Faserstoff ist weiss, durch Trocknen wird er gelblich, hart und spr\u00f6de, nicht durchscheinend, und verliert f vorn Gewicht. Von Wasser weicht er wieder auf, ohne sich aufzul\u00f6sen. Er besitzt weder besondern Geruch noch Geschmack. Bei dem W\u00e4rmegrade, wo er zersetzt wird, schmilzt er, bl\u00e4ht sieh auf, entz\u00fcndet sich und hinterl\u00e4sst eine gl\u00e4nzende Kohle, wie andere K\u00f6rper, welche Stickstoff enthalten. Die Kohle verbrennt zu einer grauweisen zusammengebackenen, halbgeschmolzenen Asche, die Procent vom Gewicht des trocknen Faserstoffes ausmacht. Diese Asche ist weder sauer, noch alkalisch, hinterl\u00e4sst nach dem Aufl\u00f6sen in Salzs\u00e4ure Spuren von Kieselerde, und besteht haupts\u00e4chlich aus phosphorsaurer Kalkerde, etwas phosphorsaurer Talkerde und einer sehr unbedeutenden Spur von Eisen. Vor dem Verbrennen lassen sich die Bestandtheile der Asche nicht durch S\u00e4uren aus-ziehen, und scheinen daher zu der chemischen Zusammensetzung des Faserstoffes geh\u00f6rt zu haben. Im geronnenen Zustande ist der Faserstoff sowohl in kaltem als im warmen Wasser unl\u00f6slich, aber bei lange fortgesetztem Kochen mit Wasser ver\u00e4ndert sich seine Zusammensetzung, er schrumpft zusammen, erh\u00e4rtet und zerf\u00e4llt zuletzt bei dem geringsten Druck. Es entwickelt sieh hierbei kein Gas, aber die Fl\u00fcssigkeit wird unklar und enfh\u00e4lt nun eine aus den Bestandtheilen des Faserstoffes neugebildete Substanz aufgel\u00f6st. Diese Aufl\u00f6sung hat keine Aehnliehkeit mit einer Leimaufl\u00f6sung. Berzelius Thierchemie p. 35. 36. Faser-stoff, geronnenes Eiweiss, K\u00e4sestoffund Blutroth haben \u00fcbrigens gemein, dass aus ihnen durch Kochen in Wasser kein Leim ausgezogen werden kann. Der Faserstoff mit einigen anderen Stoffen (nicht Eiweiss) hat auch das Eigenth\u00fcmliche, durch blosse Ber\u00fchrung das Wasserstoffsuperoxyd zu zersetzen und mit Entwicke-ung von Oxygen Wasser zu bilden, ohne dass sich der Faser-\n9 *","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Abschn. Vom Blut.\nstoff ver\u00e4ndert. Bei gr\u00f6sseren Mengen von Faserstoff entwickelt sicli dabei W\u00e4rme. Zu S\u00e4uren und Alkalien verh\u00e4lt sich Faserstoll so, d.iss er bald die Rolle einer Basis, bald die einer S\u00e4ure oder wenigstens eines elektronegativen K\u00f6rpers spielen kann. Mit conccntrirten S\u00e4uren quillt er auf, gelatinirt, wird durchsichtig und stellt, einen sauren K\u00f6rper dar, durch verd\u00fcnnte S\u00e4uren schrumpft der Faserstoff zusammen zu einer neutralen Verbindung von S\u00e4ure mit Faserstoff. Die saure Verbindung mit den Minerals\u00e4uren ist im Wasser unaufl\u00f6slich, die neutrale aufl\u00f6slich, dagegen sind die saure und die neutrale Verbindung des Faserstoffes mit Essigs\u00e4ure beide im Wasser aufl\u00f6slich. Cyaneisenkalium bringt in der essigsauren Aufl\u00f6sung einen Niederschlag hervor, was f\u00fcr den Faserstoff' charakteristisch ist, da diess bei Zellgewebe, Seh nengewehe, elastischem Gewebe der mittlere Arterienhaut nicht der Fall ist. Diese Verh\u00e4ltnisse zu den S\u00e4uren sind jedoch dem Eiweiss avie dem Faserstoff zugleich eigen. Nach Caventou und Bourdois l\u00f6sen sich Faserstoff, Eiweissstoff, K\u00e4se und Schleim in kalter concentrirter Salzs\u00e4ure auf, und nehmen bei + 18\" bis 20\" nach 24 Stunden eine sch\u00f6ne blaue Farbe an, was bei dem Leime und den Sehnen nicht der Fall ist. War der Faserstoff hierbei nicht v\u00f6llig frei von Farbestoff', so wird die Fl\u00fcssigkeit statt blau, purpurfarben oder violett. Faserstoff, EiweissstofF und K\u00e4se stimmen auch darin \u00fcberein, dass sie in \u00e4tzendem Kali und Natron zu einer Gallerte aufgel\u00f6st werden, ohne sich, wie der Hornstoff', in eine seifenartige Substanz zu verwandeln. Die Elemente des Faserstoffes sind nach den Analysen von Gay-Lussac und Thenard, und nach den von Michaelis in folgender Combination:\nG. und T.\tMich.\t\n\tarteriell\tven\u00f6s\nStickstoff 19,934\t17,587\t17,267\nKohlenstoff 53,360\t51,374\t50,440\nWasserstoff 7,021\t7,254\t8,228\nSauerstoff 19,685\t23,785\t24,065\nSiehe Berzelius Thierchemie p. .34 \u2014 47. E. H. Weber in Hildebrandt\u2019s Anatomie I. p. 83.\nDer Faserstoff findet sich ausser dem Blute noch im Chylus und in der Lymphe im aufgel\u00f6sten Zustande, im festen in den Muskeln, im Uterus. Die Fasern der Arterien enthalten dagegen keinen Faserstoff.\nIII. Blutwasser.\nWird das Blutwasser bis 75\u00b0 und dar\u00fcber erhitzt, so gerinnt es zu einer festen Masse, die gr\u00f6sstentheils aus Eiweiss besteht. Diese Masse l\u00e4sst einzelne Tropfen einer braunen Fl\u00fcssigkeit, Serositas, ausschwitzen, welche sich nach Gmelin (Chemie 4. 1381) mit S\u00e4uren tr\u00fcbt und beim Erkalten gallertartig gesteht; sie enth\u00e4lt nach demselben Chemiker ausser dem durch Alkali gel\u00f6st erhaltenen Eiweissstoff, auch K\u00e4sestoff, Speichelstoff, Osma-zom und Salze des Natrons und Kali\u2019s. Der K\u00e4sestoff wurde von Gmelin und Geigert (Gmelin\u2019s Chemie 4. 1073) auch bei einem andern Versuch mit Ochsenblut beobachtet. Wurde n\u00e4m-","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse. Blut coasser.\n133\nJich das Serum des geschlagenen Ochsenblutes mit Weingeist ,s<*ekocht und kochend filfi\u2019irt, so fiel beim Erkalten des rotheu f'iltrats R\u00e4sestoff in reichlichen Flocken nieder, durch anli\u00e4ngen-jes Blutroth ger\u00f6thet und mit Gallenfett verunreinigt.\nL\u00e4sst man Serum ganz vollkommen durch W\u00e4rme coagu-liren, und behandelt die eingetrocknete Masse mit kochendem Wasser, das hierdurch Aufgel\u00f6ste aber wiederholt mit Alkohol, so nimmt der Alkohol auf Chlor-Natrium, Chlor-Kalium, milchsaures Natron, Osmazorn, und das nicht vom kochenden Wasser und Alkohol Aufgel\u00f6ste ist erst das reine Eiweiss. Das Blutwasser enth\u00e4lt also an thierischen Theilen Speichelstoll, K\u00e4sestofl, Milchs\u00e4ure, Osmazorn und Eiweiss.\n1)\tSpeichelstojf, Salwin. Diese Materie, welche ihren Namen vom Speichel hat, hat eine gr\u00f6ssere Verbreitung, und erscheint in verschiedenen anderen Absonderungen; sie findet sich auch in dem Wasser mehrerer Wassers\u00fcchten und in der durch Blasenpflaster erzeugten Blase. Sie ist im kalten und warmen Wasser, nicht in Weingeist l\u00f6slich, wird weder von den Metallsalzen noch starken S\u00e4uren gef\u00e4llt, auch nicht oder wenig von Gall\u00e4pfelinfusion getr\u00fcbt.\n2)\tK\u00e4sestoff\\ casein. Kommt in grosser Menge in der Milch, in geringer Menge nach Gmelus im pankreatisclien Saft und in der Galle vor. \u00c8r ist in kaltem und heissem W asser l\u00f6slich, in kaltem Weingeist wenig, in heissem W eingeist mehr l\u00f6slich; erwirdvon salzsaurem Zinn, essigsaurem Blei, Chlorquecksilher, Gall\u00e4pfelinfusion gef\u00e4llt. Essigs\u00e4ure und die Minerals\u00e4uren f\u00e4llen, gr\u00f6ssere Mengen der S\u00e4ure l\u00f6sen ihn wieder auf. Alaun, f\u00e4llt und \u00fcberfl\u00fcssiger Alaun l\u00f6st nicht wieder auf. Die saure Aufl\u00f6sung des R\u00e4sestoffs wird von Cyaneisenkalium niedergeschlagen wie die eiweissartigen R\u00f6rper. Die Niederschl\u00e4ge des R\u00e4sestoffs von S\u00e4uren und \\\\ eingeist sind in Wasser wieder l\u00f6slich; was den R\u00e4sestoff vom Eiweiss unterscheidet. Charakteristisch ist die Gerinnung des R\u00e4sestoffs vom Verdauungsprincip, Pepsin, welches im Laabmagen der Wiederk\u00e4uer und im Magen andrer Thiere enthalten ist. Dieser Niederschlag ist_ nicht in W asser l\u00f6slich.\n3)\tMilchs\u00e4ure, Acidum galacticum. Diese S\u00e4ure hc teilt aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, sie ist der Essigs\u00e4ure ver-wandt, ist aber nach Berzelius bestimmt von ihr verschieden; sie bildet mit Basen Salze von eigenth\u00fcmlieher Form, die nach Berzelius nicht durch Verunreinigung von Essigs\u00e4ure mit einer thierischen Materie entstehen. Siche das N\u00e4here Tfuerchemie p. 580. Die reine Milchs\u00e4ure, nach der von Berzelius neulichst beschriebenen Methode dargestellt, ist farblos, ohne Geruch und von einem heissend sauren Geschmack, der hei Zusatz von. Wasser sehr rasch abnimmt. Milchs\u00e4ure l\u00f6st sich in Alkohol in allen Verh\u00e4ltnissen, in Aether nur in geringer Menge auf. Die Milchs\u00e4ure findet sich ausser dem Blutwasser auch im Muskelflei-sclie und in der Rrystalllinse ; ferner finden sich Milchs\u00e4ure und \u00bb\u00bb\u2022Ichsaure Salze in vielen Absonderungss\u00e4ften, besonders in der Milch. .Milchs\u00e4ure und ihre Salze sind immer mit Osmazorn verb um","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\t/. Bach. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\ndun, werden durch Weingeist gemeinschaftlich mit ihm ausgezogen, lassen sich aber durch Gall\u00e4pfelaufguss von ihm scheiden\nder das Osmazom niederschl\u00e4gt. Berzelius Thierchemie p. 576______\n584. E. H. Weber\u2019s Anatomie I. II. p. 90.\n4)\tOsmazom, Fleischextract von Thouvenel. Es ist in k\u00e4ltere und heissem Wasser, in kaltem und heissem Weingeist aufl\u00f6slich, zerfliesst an der feuchten Luft, schmilzt in der W\u00e4rme, und wird durch Gall\u00e4pfelaufguss aus seinen Aufl\u00f6sungen niedergeschlagen. Das Osmazom kommt in grosser Menge im Muskelfleisch in geringerer, in den mehrsten organischen Theilen, nach Gmelin auch im Speichel, pankreatischen Safte und Magensafte vor. Berzelius h\u00e4lt das Osmazom nicht f\u00fcr eigenth\u00fcmlich, sondern f\u00fcr eine Verbindung von einer thierischen Materie und milchsaureu Salzen,\n5)\tEixveiss, Albumen. Das Ei weiss bleibt nach der Ausziehung der \u00fcbrigen Materien aus dem getrockneten Coagulum des Serums zur\u00fcck. Dieser Stolf findet sich ausserdem in der Lymphe, im Chylus, in dem Weissen und Gelben des Eies, in letzterem mit Oel gemengt, in dem Absonderungsprodukte der ser\u00f6seu H\u00e4ute, in den Fl\u00fcssigkeiten des Zellgewebes, im Humor aqueus des Auges, im Glask\u00f6rper desselben, im Gehirne und den Nerven mit phosphorhaltigem Fette, in dem Inhalt der GiiAAr\u2019schen Bl\u00e4schen des Eierstockes der S\u00e4ugethiere und des Menschen. Hier ist zun\u00e4chst vom Eiweiss des Blutwassers die Rede. Es giebt davon zwei Zust\u00e4nde.\na. Eiweiss im aufgel\u00f6sten Zustande. Es scheint im Blutwasser mit Natron verbunden, was man Albuminat von Natron nennt. Berzelius glaubt nicht, dass das Eiweiss im Blutwasser durch das Natron aufgel\u00f6st erhalten werde; denn man kann das Natron durch Essigs\u00e4ure s\u00e4ttigen, ohne dass ein Niederschlag erfolgt. Zu dieser Neutralisation sind nach Stromeyer auf 4 Unze Blut 10 Tropfen destillirt.cn Essigs n\u00f6thig. Wird Blutwasser oder Eiweissaufl\u00f6sung bei einer nicht bis -+-60\u00b0 C. gehenden Temperatur abgedampft, so trocknet es, wird durchscheinend, und ist nachher wieder in Wasser aufl\u00f6slich. Bei 70 \u2014 75\" C. gerinnt das Eiweiss und ist dann in Wasser unl\u00f6slich. Eiweiss mit sehr viel Wasser vermischt, wird durch Hitze nicht mehr fest, sondern gerinnt in K\u00fcgelchen zu einer milchartigen Fl\u00fcssigkeit, die indessen beim Abdampfen vollkommen geronnenes Eiweiss darstellt. Das aufgel\u00f6ste Eiweiss gerinnt durch die galvanische S\u00e4ule, durch Weingeist, Minerals\u00e4uren, von Metallsalzen (z. B. von Zinn, Blei, Wismuth, Silber und Quecksilber), von Chlor, von Gall\u00e4pfelinfu-sion und Eiweiss des Blutwassers nach Dutrociiet\u2019s und meinen Beobachtungen durch sehr concentrirte Aufl\u00f6sung vorn fixen Alkali, wenn wenig Blutwajser mit viel Liquor kali caustici versetzt wird, dahingegen dieser nach meinen Beobachtungen nur das unverd\u00fcnnte Eiweiss des Eies coagulirt. Liquor kali caustici schl\u00e4gt nach meinen Beobachtungen auch das Eiweiss der Lymphe und des Chylus nieder. Die Essigs\u00e4ure schl\u00e4gt das Eiweiss nicht nieder, w\u00e4hrend K\u00e4sestoff und der Leim der Knorpel davon niedergeschlagen werden. Gmelin bat beobachtet und ich habe es best\u00e4tigt gesehen, dass das Eiweiss der Eier von weingeistfreiem","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse des Blutes. Eiweiss.\t135\nAether gerinnt, w\u00e4hrend dieser aus Blutwasser nichts nieder-\njg [i l\u00e4fljt*\nMeine Beobachtungen \u00fcber den aufgel\u00f6sten Zustand des Faserstoffes im frischen Blute haben mir Data zur Vergleichung des noch aufgel\u00f6sten Faserstoffes vor dem Gerinnen mit dem aufgel\u00f6sten Eiweiss geliefert. Die Essigs\u00e4ure schl\u00e4gt nichts aus Blutwasser, aber auch nichts aus der frischen Faserstoff lowing nieder; denn l\u00e4sst man von Froschblut die durchs Filtrurn gehende Fl\u00fcs-sJokeit in ein Uhrglas, das mit Essigs\u00e4ure gelullt ist, tr\u00e4ufeln, so eerinnt der Faserstoff in der Essigs\u00e4ure nicht. Die Neutralsalze schlagen nichts aus Serum nieder, und mehrere derselben, kohlensaures Kali und Natron, salpetersaures Kali, schwefelsaures Natron (heim Frosche auch Kochsalz) erhalten den frischen Faserstoff' aufgel\u00f6st, oder verhindern dessen freiwillige Gerinnung. Liquor ammonii caustici schlagt nichts aus der frisch vom Froschblute abfiltrirten Faserstoffl\u00f6sung nieder, so wenig als aus aufgel\u00f6stem Eiweiss und Blutwasser. Liquor kali caustici schl\u00e4gt das Eiweiss aus Blutwasser nieder, eben so wie in kleinen Flocken den Faserstoff' der vom irischen Frosch blute ahgeseihteu Faserstoffl\u00f6sung, wenn man z. \u00df. diese L Bissigkeit in ein Uhrglas voll Liquor kali caustici tr\u00e4ufeln l\u00e4sst. Aether schl\u00e4gt nichts aus Blut-wasser nieder, aber wohl gerinnt der Faserstoff der vom Frosch-Hute abgeseihten Faserstoffaufl\u00f6sung in Flocken, wenn man die Fl\u00fcssigkeit in ein Uhrglas mit Aether tr\u00e4ufeln l\u00e4sst, und im Maasse der Verdunstung neuen Aether zusetzt. K\u00fcnstlich bewirkte Gerinnung von Faserstoff durch Liquor kali caustici oder Aether unterscheidet sich von der freiwilligen Gerinnung desselben, dass letztere ein anfangs durchsichtiges, hernach sich tr\u00fcbendes und ganz fest zusammenh\u00e4ngendes Coaguluin liefert, w\u00e4hrend die k\u00fcnstliche Gerinnung von Faserstoff diesen wie sonst oft das Eiweiss des Blutwassers in nicht fest zusammenh\u00e4ngenden K\u00fcgelchen absetzt. Die Hauptunterschiede des aufgel\u00f6sten Faserstoffes von Eiweissaufl\u00f6sung im Blutwasser sind nun, dass erslerer sieh seihst \u00fcberlassen von selbst gerinnt, dass Eiweiss nur durch Hitze und Reagentien gerinnt, und dass Faserstoffll\u00fcssig-keit von Aether, nicht aber Eiweiss in K\u00fcgelchen gerinnt. Vom geronnenen Kasestoff lassen sich der geronnene Eiweisstoff und Faserstoff leicht unterscheiden, denn der von S\u00e4uren und Weingeist geronnene K\u00e4sestoff ist im Wasser wieder aull\u00f6slich. Eiweiss, Faserstoff und K\u00e4sestoff haben aber das mit einander gemein, dass ihre saure Aullosung von Cyaneisenkalium gef\u00e4llt wird.\nVermischt man aufgel\u00f6stes Eiweiss mit S\u00e4uren oder Alkalien, so wird der Theil, der sich mit dem Reagens verbindet, in denselben Zustund wie geronnenes Eiweiss versetzt, selbst wenn diess Reagens kein Eiweiss niederschl\u00e4gt, wie Essigs\u00e4ure, Ammonium und verd\u00fcnnte Kalil\u00f6sung; die essigsaure Eiweissaufl\u00f6sung wird von Kali, die alkalische Aufl\u00f6sung von S\u00e4ure niedergeschlagen, ganz wie bei dem Farbestoffe.\nWird Blutwasser mit kleinen Mengen von Metallsalzen vermischt und dazu etwas mehr kaust. Kali gesetzt, als zur Zerset-zung des Metallsalzes noting isl. so wird das Oxyd nicht nieder-","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\t/. Buch. Von den organ. Saften. I. Ahschn. Vom Blut.\ngeschlagen, sondern bleibt mit dem Eiweiss in l\u00f6slicher Verbindung. Berzelius, der diess anf\u00fchrt, bemerkt, dass durch diesen Umstand Metallsalze, oder Oxyde vom Darmkanal oder von der Haut absorbirt und vom Blutwasser aufgel\u00f6st gef\u00fchrt, und durch die Excrctioncn ausgeleert werden; wie man denn nach dem Gebrauche von Quecksilber das Oxydul in den Fl\u00fcssigkeiten des K\u00f6rpers aufgel\u00f6st findet. Autenrieth und Zeller, Reil\u2019s Archiv 8. Schubarth, Horn\u2019s Archiv 1823. JSou. 417. Cantu, Mem d. Tor. 29. 1825. Buchner's Toxicol. 538. (Sollten nicht die \u00e4usserst innigen Verbindungen der Metalloxyde mit Eiweiss f\u00fcr die arzneiliche Darreichung passen?) Eiweiss oder Blutwasser mit con-centrirtcn Aufl\u00f6sungen von Erd - oder Metallsalzen vermischt, gerinnt, und das Coagulum enthalt die Bestandteile des Salzes. Auch diese geronnenen Verbindungen der Salze mit Eiweiss verdienen eine gr\u00f6ssere Ber\u00fccksichtigung in der Arzneikunde. Unter den schon angef\u00fchrten Metallsalzen zeichnen sich das essigsaure Blei, und noch mehr der Sublimat (Chlor-Quecksilber), als die empfindlichsten Iteagentien f\u00fcr Eiweiss aus. Sublimat tr\u00fcbt noch eine Fl\u00fcssigkeit, die nur 70V0 Eiweiss aufgel\u00f6st enthalt. Durch seine grosse Neigung, mit diesem Salze Verbindung einzugehen, ist das Eiweiss das Gegengift desselben.\nb. Eiweiss im geronnenen Zustande aus aggregirten K\u00fcgelchen. So verh\u00e4lt sich das Eiweiss chemisch ganz wie Faserstoff, und Berzelius kennt kein verschiedenes Verhalten gegen Re-agentien, ausser dass das geronnene Eiweiss nicht das Wasserstoffsuperoxyd zersetzt. Auch die elementare Zusammensetzung ist wenig abweichend, wie sich aus den von Gay-Lussac, Thenard, Michaelis und Prout gegebenen Analysen ergiebt.\nGav-L. u. Then.\tM\tICH.\tProut.\n\tarteriell.\tven\u00f6s.\t\nStickstoff 15,705\t15,562\t15,505\t15,550\nKohlenstoff 52,883\t53,009\t52,650\t49,750\nWasserstoff 7,540\t6,993\t7,359\t8,775\nSauerstoff 23,872\t24,436\t24,484\t26,925\nUeber das Verh\u00e4ltniss des Eiweisses zu den \u00fcbrigen Bestand-theilen des Blutwassers giebt Berzelius Analyse Auskunft. 100 Theile Blutwasser von Menscbenblut enthalten Wasser 90,59, Ei-w^eiss 8,00; Osmazom, milchsaures Natron 0.4 mit Chlornatrium 0,6 durch Alkohol ausgezogen; ver\u00e4ndertes Eiweiss, kohlensaures und phosphorsaures Alkali 0,41 in Wasser l\u00f6slich. Lecanu hat bei der Analyse des Blutwassers auch sebwefelsaures Alkali, kohlensaure und phosphorsaure Magnesia und phosphorsauren Kalk gefunden. Berzelius vermuthet, dass die drei Ilauptbcstandtheile des Blutes Faserstoff, Blutrot und Eiweiss, nur Modificationen eines und desselben thierischen Stoffes sind, wie z. B. das Blutroth seine Eigent\u00fcmlichkeit dem Eisengehalt verdanken k\u00f6nnte. Derselben Meinung ist Treviranus.\nIV. Fette Materie im Blute.\nDas Blut enth\u00e4lt selten etwas weniges freies Fett, das man dann auf der Oberfl\u00e4,che schillern sieht, allein das meiste der fetten Materie ist an Faserstoff, Farbestoff und Eiweiss gebunden.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"2. Chemische Analyse des Blutes. Fette Materien.\n137\nKocht man das mit Blutroth gemengte Blutwasser von geschlagenem Ochsenblute mit Weingeist, so enthalten die ersten Filtrate nach Gmelin Gallenfett, Talgfett, Oelfett, Talgs\u00e4ure. Gmelih\u2019s Chemie 4. 1163. Von jenem Fette glaubte Berzelius fr\u00fcher, dass es durch die chemische Behandlung sich erst bilde. Dass aber Fett in dein Faserstoffe, in dem Eiweiss, in dem Blutrothe, aus denen man es auszieht, im gebundenen Zustande wirklich enthalten ist, ist deswegen sehr wahrscheinlich, w'eil der Chylus, woraus das Blut sich bildet, fette Materien im ungebundenen Zustande in Form von Emulsion enth\u00e4lt, die sich durch die Blutbildung wahrscheinlich mit der andern thierischen Materie enger verbinden. Vom Faserstoffe des Blutes hat Chevreul mit Aether eine fette Materie abgesondert, analog derjenigen, die man vorn Geliirne erh\u00e4lt, und wie diese vorz\u00fcglich merkw\u00fcrdig durch den Gehalt an Phosphor, den sie im gebundenen Zustande enth\u00e4lt. Jetzt ist Berzelius auch der Meinung, dass jenes Fett nur Educt, nicht Produkt der Analyse sey, besonders, da Faserstoff durch Ausziehen des Fettes mit Aether oder Alkohol chemisch nicht ver\u00e4ndert wird, und sich nach der Ausscheidung der geringen Menge Fett durch fortgesetzte Behandlung kein Fett weiter aus-ziehen l\u00e4sst. Das Fett vom Faserstoffe ist nach Berzelius in einem verseiften Zustande, denn die Aufl\u00f6sung desselben in kaltem Alkohol r\u00f6thet Lakmuspapier, zum Beweis, dass wenigstens ein Theil davon in demselben sauren Zustande wie nach dem Ver-seifungsprocesse seyn m\u00fcsse. Berzelius beschreibt von dem bette des Faserstoffes zwei Modificationen, und schliesst mit der Bemerkung, dass es sehr den von Chevreul beschriebenen sauren Salzen von Talgs\u00e4ure und Oels\u00e4ure mit Kali gleiche, bis auf die gr\u00f6ssere L\u00f6slichkeit des erstem in Aether und Alkohol. Nach Chevreul betr\u00e4gt das Fett im Faserstoffe 4\u20144,5 Procent. Le-caku fand im Blute eine krystallisirbare fette Materie und eine \u00f6lige Materie. Von der erstem fand er 1,20 \u2014 2,10, von der letztem 1,00\u20141,30 in 1000 Blutwasser. Nach Boudet (Essai critique et experimental sur le sang. Paris 1833.) enth\u00e4lt das Blut auch Cholestrine, wie schon Gmelin fand.\nBefindet sich eine gr\u00f6ssere Menge freien ungebundenen bettes ini Blut, so ist das Serum durch die Fettk\u00fcgelchen milchig, was man \u00f6fters bei jungen Thieren, seltner beim erwachsenen Menschen sieht.\nAlle Fettarten zeichnen sich in ihrer Zusammensetzung durch die geringe Menge des Sauerstoffes und die \u00fcberwiegende (Menge de\u00bb Kohlenstoffes aus. Merkw\u00fcrdig ist, dass die frei im K\u00f6rper vorkommenden Fettarten, Stearin und Elain, welche im frei verkommenden Fette immer mit einander verbunden sind, gar kei-\nnen Stickstoff enthalten.\nStearin\tElain\nSauerstoff\t9,454\t9,548\nWasserstoff\t11,770\t11,422\nKohlenstoff\t78,776\t79,030\nAndere Fettaiten sind, wie das Fett im Blute, an andere \u25a0Thierstolfe gebunden, zum Theil beim Erkalten krystallisirbar","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138 1. Buch. Von den organ. S'djten etc. I. Abschn. Vom Blut.\nund stickstoffhaltig (im Blute und Gehirne auch phosphorhaltig), und lassen sich nicht verseifen. Diese Fettarten kommen ausser dem Blute im Gehirne und den Nerven, in der Leher und vielleicht noch in einigen anderen Theilen vor.\nSieht man ab von der durch Absonderungen gebildeten neuen organischen Materie, wie vom Gallenstoll, K\u00e4sestolf, Schleim etc., so sind die n\u00e4heren Bestandtheile aller festen Theile des K\u00f6rpers bereits im Blute enthalten, als Faserstoff, Eiweiss, Osmazorn, Milchs\u00e4ure, fettige Materie. Nur der in den Sehnenfasern, Knorpeln, Knochen, ser\u00f6sen H\u00e4uten, in der \u00e4ussern Haut und im Zellgewebe \u00fcberhaupt, besonders auch im Zellgewebe der Muskeln vorkommende Leim, Gluten, macht hiervon eine Ausnahme. Zwar haben Parmentier und Deveux, und Saissy im Blute auch Leim oder Gallerte zu finden geglaubt. Allein diess war offenbar ein Irrthum. Leim wird aus den genannten Theilen durch kochendes Wasser dargestellt, er ist in Weingeist und kaltem Wasser wenig aufl\u00f6slich, was ihn vom Osmazom unterscheidet, er ist in heissem Wasser aufl\u00f6slich, er gelatinirt beim Erkalten noch in der 150fachen Menge Wasser, so dass in der Gallerte der Leim mit Wasser gebunden ist, und l\u00f6st sich durch kochendes Wasser wieder auf, was ihn von Faserstoff und Eiweiss unterscheidet. Er ist in S\u00e4uren und Alkalien allm\u00e4hlig l\u00f6slich, von Gerbestoff, Weingeist, Chlorquecksilber, schwefelsaurem Platinoxyd, Platinchlorid und Chlor wird er niedergeschlagen. Er wird dagegen nicht von Salzs\u00e4ure, Essigs\u00e4ure, essigsaurem Blei, Alaun, schwefelsaurer Thonerde, schwefelsaurem Eisenoxyd niedergeschlagen. Die saure Aufl\u00f6sung des Leims wird von Cyaneisenkalium nicht gef\u00e4llt. Einige Naturforscher halten den Leim f\u00fcr ein Zersetzungsprodukt der thierischen Theile durch Kochen. Man hat daf\u00fcr angef\u00fchrt, dass nach Bertholi.et Fleisch, welches beim Kochen keinen Leim mehr gab, durch Faulen in gesperrter Luft mit Kohlens\u00e4ureentwickelung die F\u00e4higkeit erlangt, wieder Leim zu liefern. Vergl. Wienholt, Meck. A. 1. p. 206. Berz. T/Uerch. p. 661. Indessen scheint mir jene Ansicht nicht hinl\u00e4nglich begr\u00fcndet, und Vieles spricht dagegen. Denn nur die obengenannten Gewebe liefern durch Kochen Leim, keine anderen; es muss also in ihnen schon eine eigenth\u00fcmliche Materie vorhanden seyn. Neuere Untersuchungen von mir, (Poggend. Ann. XXXVIII) zeigen auch, dass diese Materie noch eigenth\u00fcmliche Verschiedenheiten zeigt, je nach den Theilen, aus welchen sie gewonnen wird. Das sehnige Gewebe und die zu ihm geh\u00f6renden f\u00e4lschlich sogenannten Faserknorpel (Zwischengelenkknorpel), die Knochen, die \u00e4ussere Haut, das Zellgewebe, die ser\u00f6sen H\u00e4ute, die tunica dartos liefern n\u00e4mlich den gew\u00f6hnlichen Leim, gluten, colla, dessen Eigenschaften oben angegeben sind. Die Knorpel, sowohl die permanenten als die der Knochen vor der Ossification und der einzige wirkliche Faserknorpel, die Cornea, liefern dagegen beim Kochen eine Leimart, welche in allen Punkten mit dem gew\u00f6hnlichen Leim \u00fcbereink\u00f6mmt, aber sich darin wesentlich unterscheidet, dass sie von Alaun, schwefelsaurer Thonerde, Essigs\u00e4ure, essigsaurem Blei, schwefelsaurem Eisenoxyd gef\u00e4llt wird, welche","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"3. Analyse des Blutes durch die galvanische S\u00e4ule.\n139\nden gew\u00f6hnlichen Leim nicht f\u00e4llen. Man kann diese Materie Knorpelleim, Chondrin nennen. Vom K\u00e4sestoff unterscheidet sich diese Materie dadurch, dass ihr Niederschlag von Alaun durch \u00fcbersch\u00fcssigen Alaun aufgel\u00f6st, ihr Niederschlag von Essigs\u00e4ure von \u00fcbersch\u00fcssiger Essigs\u00e4ure nicht wieder aufgel\u00f6st wird, worin sich der K\u00e4sestoff umgekehrt verh\u00e4lt, dass sie heim Erkalten gelatinirt, und dass ihre saure Aufl\u00f6sung von Kaliumeisen-cvanid nicht niedergeschlagen wird.\n///. Capitel. Analyse des Blutes durch die galvanische\nS\u00e4ule.\n(Nach eigenen Beobachtungen. PoGGENI). Ann. 1832. 8.)\nDutrochet hat ingeni\u00f6se Versuche \u00fcber das Verhalten thie-rischer Substanzen gegen die galvanische S\u00e4ule gemacht. [Arm. d. sc. nat. 1831. Fboriep\u2019s Not. N. 715.) Er glaubte auch durch Galvanismus aus Eiweiss Muskelfasern zu bilden, und behauptete, dass die Blutk\u00f6rperchen elektrische Plattenpaare seven, wovon der Kern elektronegativ, die Schale elektropositiv sey.\nWird ein Tropfen von einer w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sung von Eidotter (worin sehr kleine mikroskopische K\u00fcgelchen suspendirt sind) galvanisirt, so bemerkt man bald die von Dutrochet zuerst beobachteten Wellen. Die vom Kupferpole oder negativen Pole ausgehende Welle, worin sich das Alkali der zersetzenden Salze anh\u00e4uft, ist durchsichtig wegen Aufl\u00f6sung des Eiweisses durch das Alkali. Die vom positiven oder Zinkpole ausgehende Welle, worin sich die S\u00e4ure sammelt, ist undurchsichtig und weisslich, besonders im Umfange der Welle. Beide Wellen streben einander zu, und in der Ber\u00fchrungslinie entsteht pl\u00f6tzlich ein lineares Gerinnsel, welches ganz die Form der Ber\u00fchrungslinie, und zuweilen, wie der Rand der Wellen im Act der Ber\u00fchrung, gekr\u00e4uselt ist. Die Ber\u00fchrung der beiden Wellen geschieht mit einer lebhaften Bewegung in der Ber\u00fchrungslinie, worauf die Absetzung des Gerinnsels folgt; sobald aber die Absetzung des Gerinnsels seihst geschehen ist, ist Alles ruhig, und an dem Gerinnsel ist niemals die geringste Spur von Bewegung zu bemerken. Es ist daher unbegreiflich, wie ein Beobacuter ersten Ranges, wie Dutrochet, jenes Eiweissgerinnsel f\u00fcr eine durch Elektricit\u00e4t erzeugte contractile Muskelfaser ausgeben konnte. Es \u2022st nichts als geronnenes Eiweiss. Dieses Gerinnsel hat \u00fcberdiess, so wie das Eiweiss, welches sich beim Galvanisiren des Blutserums um den Zinkpol ansetzt, keine Consistenz, sondern besteht aus K\u00fcgelchen, die sich leicht auseinander wischen lassen, und nur m der Form der Ber\u00fchrungslinie der beiden Wellen ohne alle Coh\u00e4sion abgesetzt sind. Setzt man einen Tropfen Blutserum, gleichviel ob vom Frosch oder von einem S\u00e4ugethiere, unver-nnscht mit K\u00fcgelchen, beiden Polen aus, so bemerkt man keine i entliehen Wellen. Aber es erfolgt am Zinkpole die Absetzung von Eiweissk\u00fcgelchen, die hier von innen nach aussen zunehmen,","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\t/. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. ALschn. Vom Blut.\nindem die zuerst lim den Pol abgesetzten nach aussen gedr\u00e4ngt werden, und best\u00e4ndig neue Absetzung erfolgt. Wach den Ansichten, welche Dutrochet bei der Anwendung der galvanischen S\u00e4ule auf Thiersubstanzen befolgt, m\u00fcsste man das Eiweiss des Blutserums f\u00fcr einen elektronegativen K\u00f6rper halten, weil es sich am Zinkpole oder positiven Pole absetzt. Allein diese Absetzung erfolgt durch das Gerinnen des Eiweisses von der am Zinkpole sieh anh\u00e4ufenden S\u00e4ure der zersetzten Salze; am Kupferpole schl\u00e4gt sich das Eiweiss nicht nieder, weil es dort von Alkali aufgel\u00f6st bleibt. Indessen wird doch bei einer sehr starken S\u00e4ule auch am Kupferpol Eiweiss niedergeschlagen, wie Gmklim gezeigt hat, entweder durch die sich dann entwickelnde W\u00e4rme, oder, noch wahrscheinlicher, weil, wie Dutrochet und ich gefunden haben, concentrirte Aufl\u00f6sung von fixem Alkali auch Eiwei-s niederschl\u00e4gt. Offenbar h\u00e4ngt es vom Salzgehalte der Fl\u00fcssigkeiten ab, dass Eidotteraufl\u00f6sung bei derselben St\u00e4rke der angewandten S\u00e4ule kein Gerinnsel am Zinkpole absetzt, sondern nur eine undurchsichtige Welle bildet und bei der Ber\u00fchrung der Wellen beider Pole gerinnt, dass dagegen Blutserum am Zinkpole Eiweiss absetzt. Lassaigne brachte Eiweiss durch Weingeist zum Gerinnen, und wusch es so lange mit Weingeist aus, bis salpetersaures Silber zeigte, dass kein Kochsalz mehr darin sey. Von dem Geronnenen l\u00f6st sich 0,007 im Wasser auf. Dieses wenige Aufgel\u00f6ste gerinnt durch die VoLTA\u2019sche S\u00e4ule darum nicht, weil kein Kochsalz darin ist; denn es gerann, wenn Kochsalz zugesetzt wurde. Ann. de chim. et de phys. T. VA. p. i)~.\t\u00a3. H. Weber\nAnatomie, I. S. 87.\nWenn ich meine Erfahrungen nach Dutrochet\u2019s Grunds\u00e4tzen erkl\u00e4ren wollte, so w\u00e4re das Eiweiss des Eidotters neutral, weil es erst bei der Ber\u00fchrung der beiden Wellen gerinnt, das Eiweiss des Blutserums dagegen elektronegativ, weil es am Zinkpole gerinnt. Man braucht aber nun nach meiner Erfahrung der Eidotteraufl\u00f6sung nur etwas Kochsalz zuzusetzen, so gerinnt sie am Zinkpol, und es bilden sich keine Wellen.\nSetzt man einen flach ausgebreiteten Tropfen BluLes vom Frosch oder von einem S\u00e4ugethiere der galvanischen S\u00e4ule aus, so bilden sich um den Kupferpol die gew\u00f6hnlichen Gasbl\u00e4schen, am Zinkpole gerinnt das Eiweiss als ein unzusammenh\u00e4ngender Brei von K\u00f6rnchen, gerade so, wie wenn Blutserum eben so behandelt wird\u00bb Die Blutk\u00f6rperchen h\u00e4ufen sich weder am positiven, noch am negativen Pole an; der Faserstoff' gerinnt weder fr\u00fcher noch sp\u00e4ter als sonst, und weder am positiven, noch am negativen Pole, sondern im ganzen ausgebreiteten Tropfen zwischen beiden Polen und rund herum in einiger Entfernung der Pole. Unmittelbar um die Pole erleiden die Blutk\u00f6rperchen eine Zersetzung wegen der dort sich anh\u00e4ufenden S\u00e4uren und Alkalien. Der Faserstoff gerinnt im ganzen Tropfen, ohne alle Ver\u00e4nderung der Blutk\u00f6rperchen; diese Gerinnung tritt auf gleiche Art ein, wenn man arterielles oder ven\u00f6ses Blut von Kaninchen statt Froschblut anwendet.\nNimmt man vom frischen Froschblute das sieh bildende Coa-","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"3. Analyse des Jl/utcs durch die galvanische S\u00e4ule.\n141\nouhim so lange heraus, his sich nichts mehr bildet, so bleibt zu-fet/t ein Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum \u00fcbrig. Ein Tropfen von diesem rothen Satze flach ausgebreitet und dem galvanischen Apparate ausgesetzt, zeigt dieselben Ph\u00e4nomene wie frisches Blut, mit Ausnahme des Faserstoffes, welcher hier fehlt. P)ic Blutk\u00f6rperchen h\u00e4ufen sich weder am positiven noch am negativen Pole an, sie bleiben im ganzen Tropfen an ihrer Stelle. Am Zinkpole entsteht der breiige Niederschlag von Eiweissk\u00fcgelchen, wie heim Galvanisiren des Serums, nur dass er hier von Blutk\u00f6rperchen r\u00f6thlich gef\u00e4rbt ist; am Kupferpole bildet sich der gew\u00f6hnliche Schaum und ein fadenziehendes, br\u00e4unliches Wesen von zersetzten Blutk\u00f6rperchen.\nBefreit man rothes Coagulum von S\u00e4ugethierblut auf Fliesspapier vom Serum, so viel es m\u00f6glich ist, so erh\u00e4lt man darauf durch Auswaschen des Kuchens eine m\u00f6glichst reine Aufl\u00f6sung von Farbestoff, in welcher freilich immer etwas Eiweiss des Serums, welches im Coagulum eingeschlossen war, enthalten ist. Wurde ein Tropfen der m\u00f6glichst starken Aufl\u00f6sung von Farbestoff der VoLTA\u2019schen S\u00e4ule ausgesetzt, so erhielt ich verschiedene Resultate, je nachdem ich mit den Kupferdr\u00e4hten selbst die Kette schloss, oder dem sich stark oxydirenden Kupferdrahte des Zinkpoles ein Endst\u00fcck von Platindraht ansetzte, um die Oxydation des Kupfers ausser Spiel zu lassen. Im ersten Falle erhielt ich Ph\u00e4nomene, welche von den von Dutrochet beschriebenen verschieden sind, im zweiten Falle erhielt ich die von Dutrochet beschriebenen Erscheinungen. Wandte ich blosse Kupferdr\u00e4hte zum Scliliessen der Kette an, so entstand ein rothes, breiiges Gerinnsel von Eiweiss und Blutroth um den Zinkpol. Dieses Gerinnsel nimmt immer mehr zu, indem der um den Pol entstandene rotbe Ring von dem weiter erfolgenden Abs\u00e4tze weiter ausgedehnt wird. Die nachfolgenden Abs\u00e4tze sind aber weniger roth, meist weissgrau. Diese Gerinnung findet rund herum um den Draht statt, indess w\u00e4chst das Coagulum in der Richtung vom Zinkpol gegen den Kupferpol hin etwas mehr, als sonst in der Peripherie des Zinkpoles. Diess ist eine Art Niederschlag, der die Form der Welle in den fr\u00fcheren Versuchen hat, aber aus einem consistenten Brei besteht. Am Kupferpole bemerkt man die gew\u00f6hnliche Gasentwicklung und zuweilen eine sehr undeutliche Welle, in welcher der Farbestoff eben so aufgel\u00f6st ist, wie in dem \u00fcbrigen Tropfen; der Rand dieser Welle ist etwas r\u00f6ther. Dutrochet nennt diess eine rothe Welle, wozu gar kein Grund vorhanden ist. Es ist die um den Kupferpol gew\u00f6hnlich stattfindende alkalische Solution des Tbierstolfes, die hier, wie das Uebrige des Tropfens, Farbestoff aufgel\u00f6st enth\u00e4lt, w\u00e4hrend am Zinkpol Diweiss und Farbestoff gerinnen. Dutrochet beschreibt die Ph\u00e4nomene vom Galvanisiren der Farbestoffaufl\u00f6sung ganz anders, vergl. Froriep\u2019s Not. N. 715. Es zeigten sich bei ihm zwei Wel-en\u2019i^'e saure am Zinkpoie war durchsichtig, und trieb, indem sie Wuchs, den rothen Farbestoff vor sich her, welcher sich um die saure Welle her, so wie ausserhalb derselben anh\u00e4ufte; die alka-\n*sc ie Welle am Kupferpole wurde dagegen durch den rothen Far-","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahsch. Vom Blut.\nbestoff selbst eingenommen. Die beiden Wellen bildeten, indem sie sich verbanden, ein leichtes Coagulum, welches von dem Ei-weiss des mitausgewaschenen Serums herr\u00fchrt. Der rothe Farbe-stofF verband sich fast s\u00e4rnmtlich mit diesem Coagulum. Aus diesem Versuche, wo der rothe Farhestoff von dem positiven Pole zur\u00fcckweichen und am negativen Pole sich anh\u00e4ufen soll, schliesst Dutbochet, dass diese Substanz positiv elektrisch sey, ein Schluss, wozu dieser Versuch durchaus nicht berechtigt. Ich habe schon erw\u00e4hnt, dass, wenn ich Kupferdr\u00e4hte zum Schliessen der galvanischen Kette anwandte, der Faserstoff sogleich mit Eiweiss um den Zinkpol gerann, und dass das rothe Gerinnsel von neuem Gerinnen von Eiweiss nur weiter ausgedehnt wurde. Setzte ich dagegen an das sich beim Schliessen der Kette oxydirende Ende des Kupferdrahtes, zur Vermeidung dieses Einflusses, ein St\u00fcck sich nicht oxydirendes Metall, ein St\u00fcck Platindrath an, so erhielt ich fast ganz die von Dutbochet beschriebenen Ph\u00e4nomene. Es entstanden nun wirklich am Kupfer- und Zinkpole Wellen, welche gegen einander strebten. Sowohl die Welle des Kupfer-poles, als die des Zinkpoles, hatte einen deutlichen rothen Rand; diess hat Dutbochet an der Welle des Kupferpoles \u00fcbersehen, und diess ist sehr wichtig. Die Welle des Kupferpoles ist nicht r\u00f6ther als der Farhestoff ausser der Welle, nur ihr Rand ist r\u00f6-ther; daher ist es unrichtig, wenn Dutbochet sagt, dass sich der Farhestoff am Kupferpole anh\u00e4ufe; ich habe den Versuch ausserordentlich oft wiederholt, und nie diese Anh\u00e4ufung gesehen. Der rothe Farhestoff entfernt sich sogar gewissermaassen in demrothen Rande der Welle des Kupferpoles eben so vom Kupferpole, wie in dem rothen Rande der Welle des Zinkpoles vom Zinkpole. Wenn die Welle des Kupferpoles nicht r\u00f6ther als der Farhestoff im Tropfen ausser der Welle ist, so ist dagegen die Welle des Zinkpoles im Innern wirklich farbloser und weniger gef\u00e4rbt, als der Farbestoff ausser der Welle, aber doch auch nicht ganz farblos. Der Rand der mehr durchsichtigen Welle des Zinkpoles ist r\u00f6ther, als der Rand der Welle des Kupferpoles, der jedoch ebenfalls durch seine st\u00e4rkere F\u00e4rbung auff\u00e4llt; im Rande der Welle des Kupferpoles ist der Farhestoff concentrirt aufgel\u00f6st; im Rande der Welle des Zinkpoles besteht der Farbestoff aus sehr kleinen K\u00fcgelchen. Nach meiner Ansicht hat dieser Versuch grosse Aehn-lichkeit im Erfolge mit dem, wenn man Eidotteraufl\u00f6sung der Einwirkung der VoLTA\u2019schen S\u00e4ule aussetzt. Wendet man bej der Farbestoffaufl\u00f6sung blosse Kupferdr\u00e4hte zum Schliessen der Kette an, so gerinnt Farhestoff und Eiw'eiss am Zinkpole. Setzt man etwas Kochsalz zu Eidotteraufl\u00f6sung, so gerinnt das Eiweiss am Zinkpole. Vermischt man Farbestoffaufl\u00f6sung mit etwas Kochsalz, so verh\u00e4lt sie sich selbst am Platindrahte gleich der mit Kochsalz versetzten Eidotteraufl\u00f6sung, es entstehen keine Wellen, und es bildet sich ein weissliches Gerinnsel am Zinkpole. Nach allem diesem halte ich Dutbochet\u2019s Eehauptung, dass der Farhestoff des Blutes elektropositiv sey, f\u00fcr unerwiesen.\nDutbochet, welcher die Kerne der Blutk\u00f6rperchen f\u00fcr dasjenige hielt, was den Faserstoff des Blutkuchens ausmache, l\u00f6ste","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":".'{. Analyse des Blutes durch die galvanische S\u00e4ule.\n113\nvon Farbestoff ausgewaschenes Coagulum oder farblose Fibrine in schwach alkalinischem Wasser auf. Eine solche Aufl\u00f6sung wurde der VoLTA\u2019schen S\u00e4ule ausgesetzt. Am negativen Pole entwickelte sich in Menge Wasserstoffgas, am positiven Sauerstoffgas; allein die beiden Wellen waren nicht vorhanden, der aufgel\u00f6ste Faserstoffh\u00e4ufte sich nur am positiven Drahte oder Zinkpole an; woraus Dutrochet schliesst, dass die .alkalinische L\u00f6sung von Fibrin sich wie ein Neutralsalz verhalte, dessen Alkali sich nach dem negativen, dessen S\u00e4ure sich nach dem positiven Pole begiebt, und dass Fibrin negativ elektrisch sey. Nun weiss man aber, dass der Faserstoff' sich zu den Alkalien und S\u00e4uren so verh\u00e4lt, dass er bald die Rolle einer Basis, bald die einer S\u00e4ure spielen kann. Aus seinem Verhalten zu S\u00e4uren h\u00e4tte man ganz das Gegentheil von Dutrochet\u2019s Behauptung sehliessen k\u00f6nnen, indem er ja mit den Minerals\u00e4uren neutrale K\u00f6rper bilden kann. Indessen war es noting, Dutbochet\u2019s Versuche selbst zu wiederholen. Ich fand sie, wie sich bei einem so genauen Beobachter voraussehen liess, in den meisten Punkten best\u00e4tigt. Ich erhielt jedesmal, wenn ich eine Aufl\u00f6sung von Faserstoff des Blutes in schwach alkalinischem Wasser auf einer Glasplatte oder in einem Uhrglase der VoLTA\u2019schen S\u00e4ule aussetzte, einen geringen Absatz von weissem, breiigem Coagulum am Zinkpole. Da ich nun den Faserstoff, von geschlagenem Ochsenblute genommen, lange Zeit auf dem Filtrum ausgewaschen hatte, so konnte ich ziemlich sicher seyn, dass er rein von Serum und von den Salzen des Serums war, und es scheint also die alkalinische Faserstoffaufl\u00f6sung wirklich auf den ersten Blick sich in elektronegativen Faserstoff und elektropositi-ves Alkali zu scheiden. Bei diesem Schl\u00fcsse ist indesseu von den mineralischen Bestandtheilen und Salzen, welche der ausgewaschene Faserstoff f\u00fcr sich als Bestandtheile enth\u00e4lt, abgesehen, deren Zersetzung durch die S\u00e4ule auch eine Entwickelung ven S\u00e4ure am Zinkpole bedingen, und dadurch den Faserstoff durch Bildung eines neutralen K\u00f6rpers gerinnen machen konnte. Indessen lassen sich gegen den Versuch selbst noch gegr\u00fcndetere Einw\u00fcrfe machen. Der von Duteociiet beschriebene Erfolg findet nur statt, wenn man Kupferdr\u00e4hte zum Sehliessen der Kette braucht, nicht aber, wenn man, um die Oxydation des Endes vom Kupferdrahte des Zinkpoles auszuschliessen, dieses Ende mit einem St\u00fcck Platindraht versieht, wie ich bei jedem von mir wiederholten Versuche gefunden habe. Dutbochet scheint seine Versuche bloss mit Kupferdr\u00e4hten gemacht zu haben. Befindet s*ch am Zinkpole Platindraht, so bleibt die Entwickelung von Gas dieselbe, am Zinkpole aber sieht man noch mehr Gas in Bl\u00e4schen a s vorher, weil es nun nicht mehr, wie vorher, den Kupferdraht sogleich oxydirt. Aber es bildet sich auch nicht die entfernteste \u00f6pur eines Gerinnsels am Zinkpole oder Platindraht. Hieraus muss man sehliessen, dass die Bildung von Gerinnsel aus alkalini-scher Faserstoffaufl\u00f6sung am Zinkpole beim Kupferdrahte von der xydation des Kupferdrahtes abh\u00e4ngig sey.\nGenug dass Faserstoffaufl\u00f6sung in alkalinischem Wasser durch Ie galvanische S\u00e4ule nicht zersetzt wird, sobald man nicht den","page":143},{"file":"p0144.txt","language":"de","ocr_de":"144 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nsich oxy'direnden Kupferdraht am Zinkpole hat, und dass also Fa-serstoff sich nicht evident als elektronegativer K\u00f6rper verhalt. \"Wie sehr die Absetzung des Eiweisses und Faserstoffes aus Aufl\u00f6sungen am Zinkpole durch den Salzgehalt der L\u00f6sung bestimmt wird, sieht man aus folgendem Umstande: Alkalinische L\u00f6sung von Faserstoff\u2019 setzt niemals am Platindrahte des Zinkpoles eine Spur von Gerinnsel ah, aber diese Gerinnung erfolgt sogleich, wenn man etwas Kochsalz zur L\u00f6sung zusetzt, wo dann die Salzs\u00e4ure des Kochsalzes am Zinkpole das Gerinnsel bildet. Hieraus geht auch hervor, dass, wenn man mit einer Aufl\u00f6sung von Faserstoff in schwach alkalinischem Wasser an der Vom-A\u2019sehen S\u00e4ule experimentiren will, der Faserstoff vorher von Serum vollkommen rein seyn muss, weil Serum Kochsalz enth\u00e4lt. Man erh\u00e4lt ihn von Serum rein, wenn man ihn von geschlagenem Blute sehr lange mit vielem Wasser ausw\u00e4scht.\nDutrochet hat den Faserstoff des Blutes, den man aus dem rofhen Coagulum erh\u00e4lt, f\u00fcr die Kerne der Blutk\u00f6rperchen gehalten. Diess ist nicht richtig, da der Faserstoff', wie ich gezeigt habe, im Blute aufgel\u00f6st ist.\nDa man, nach der von mir angegebenen Methode, Faserstoff des Froschblutes ohne Blutk\u00f6rperchen erh\u00e4lt, indem er farblos aus frischem Blute durch ein Fdtrum von weissem, nicht zu d\u00fcnnem Filtrirpapiere geht, so schien es mir sehr interessant, das Verhalten des frischen, noeh aufgel\u00f6sten Faserstoffes vor dem Gerinnen gegen die galvanische S\u00e4ule zu pr\u00fcfen. Zu diesem \u25a0 Zwecke goss ich gleich viel destillirtes Wasser und Froschblut auf das Filtrum; die durchgehende Fl\u00fcssigkeit wurde sogleich den Polen der galvanischen S\u00e4ule ausgesetzt. Am Zinkpol setzte sich Breiiges Eiweiss ab, der Faserstoff, wasserklar, sammelte sich weder am Zinkpole noch am Kupferpole, sondern gerann in der Mitte der Fl\u00fcssigkeit und des Uhrglases als ein isolirtes Kl\u00fcmpchen, gerade so, als w\u00e4re die galvanische S\u00e4ule gar nicht applicirt worden. Die Gerinnung des Faserstoffes erfolgte zur gew\u00f6hnlichen Zeit, und die S\u00e4ule f\u00fchrte diese Gerinnung nicht erst herbei. Der Eiweissniederschlag am Zinkpole war von derselben Art, wie ich ihn heim Galvanisiren der vom Faserstoffkl\u00fcmpchen befreiten Fl\u00fcssigkeit erhielt.\nIch habe auch die Kerne der Blutk\u00f6rperchen vom Frosche gegen die VoLTA\u2019sche S\u00e4ule gepr\u00fcft. Man bereitet sieb ein Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum, indem man das Gerinnsel umr\u00fcttelt und herausnimmt. Das Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum wird in einem grossen Uhrglase mit Wasser versetzt, t umger\u00fcbrt und 24 Stunden stehen gelassen ; dann hat sich der Farbestoff aufgel\u00f6st, und es sitzt auf dem Boden der weisse Satz von Kernen der Blutk\u00f6rperchen. Man saugt den gr\u00f6ssten Theil der \u00fcberstehenden Fl\u00fcssigkeit mit einem Tubulus vorsichtig auf. Mengt man den weissen Satz mit etwas Wasser, und setzt einen grossen Tropfen, auf einer Glasplatte ausgebreitet, der Volta-schen S\u00e4ule aus, so hat man dieselben Ph\u00e4nomene, wie, wenn man eine w\u00e4ssrige Eidotteraufl\u00f6sung der S\u00e4ule aussetzt; es entstehen zwei Wellen : die des Zinkpoles ist tr\u00fcbe und treibt Kiigel-","page":144},{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"3. Analyse des Blutes durch die galvanische S\u00e4ule. 145\neben vor sich her, die des Kupfcrpoles ist durchsichtig und enthalt keine K\u00fcgelchen. In der Aufl\u00f6sung des FarbestofFes treibt die Welle des Zinkpoles rot he K\u00fcgelchen, in dem Gemenge von Wasser und Kernen der Blutk\u00f6rperchen treibt die Welle des Zinkpoles weisse K\u00f6rperchen vor sich her. Hier ist kein elektrischer Unterschied zwischen Kern und Schale. Die Welle des Zinkpoles ist bei der FarbestolFaufl\u00f6sung nur durchsichtiger, bei dem Gemenge von Wasser und Kernen der Blutk\u00f6rperchen, so wie hei der Eidotteraufl\u00f6sung, die auch K\u00fcgelchen enth\u00e4lt, tr\u00fcbe. Indern ich nun in den Resultaten meiner Beobachtungen von Duteoghet in mehreren Punkten abweiche, muss ich doch der ingeni\u00f6sen Art, mit welcher dieser geistreiche Naturforscher ein grosses Problem zu l\u00f6sen suchte, meine grosse Bewunderung zollen.\nSollte Jemand so gl\u00fccklich seyn, die Elektricit\u00e4t des Blutes auf eine entscheidende Weise zu ermitteln, so k\u00f6nnte ich der Wissenschaft zu diesem grossen Fortschritte nur Gl\u00fcck w\u00fcnschen. Ich habe schon erw\u00e4hnt, dass man mit dem Galvanometer keine elektrischen Str\u00f6me in dem Blute entdecken kann, ich erhielt keine Schwankungen der Magnetnadel des Multiplicators, selbst als ich den einen Draht in eine Arterie, den andern in eine Vene des lebenden Thieres einsenkte. Dagegen glaubte Bellin-geri ein Mittel gefunden zu haben, die Elektricit\u00e4t des Blutes an den Bewegungen der Froschschenkel zu pr\u00fcfen, welche entstehen, wenn man Blut und ein Metall mit den Schenkelmuskeln und Nerven und unter einander in Verbindung bringt. Er ging von der Thatsache aus, dass durch Contact zweier verschiedener K\u00f6rper die vorhandene Elektricit\u00e4t in gr\u00f6ssere oder geringere Spannung tritt, und dass diese Spannung um so gr\u00f6sser ist, je weiter beide K\u00f6rper in der nach ihrem elektrischen Verhalten geordneten Reihe von einander abstehen. Bellikgeei ordnete die Metalle folgender Maassen: Zink, Blei, Quecksilber, Antimon, Eisen, Kupfer, Wismuth, Gold, Platina. Nun verglich er das electrische Verhalten des Blutes mit dem der genannten Metalle, wenn Blut mit einem der Metalle in Contact, und Blut und Metall mit Nerven und Froschschenkel in Verbindung gebracht wurde, wobei die Zusammenziehung der Froschschenkel als Elektrometer diente. Nun soll ferner hei Fr\u00f6schen, die schon etwas von ihrer Reizbarkeit verloren haben, nach ihm, von zwei Metallen, wovon das eine am Nerven, das andere am Muskel angebracht wird, dasjenige sich positiv verhalten, dessen Anbringung am Muskel bei Schliessung der Kette, und dessen Anbringung am Nerven entweder gar nicht, oder nur beim Oeffnen der Kette Zuckung erregt. (Es ist wohl umgekehrt.} So will er nun gefunden haben, dass das Blut gegen verschiedene Metalle sich verschieden verhielt, dass beide Blutarten meist gleic h, dass sie in den meisten F\u00e4llen wie das Eisen sich verha Iten. Diese sogenannte Elektricit\u00e4t des Blutes soll sich lange nach dem Aderlass erhalten (FrorieFs Not. 408.) Vers'- P- Ti.\nEs ist unbegreiflich, wie man diesen Versuchen grossen W erth heilegen konnte. Wenn man bei der kaltem Jahreszeit (I l\u00fch-M\u00fcUer\u2019s Physiologie. I.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146 J. Buch. Von den organ. S\u00e4\u00dfen eie. 1. Jbschn. Vom Blut.\nling oder Herbst) den Nerven des Froschschenkels in ein Sch\u00e4lchen mit Blut oder Wasser (gleichviel) legt, und die Schenkelmuskeln und die Blutfl\u00fcssigkeit mit einem St\u00fcck Kupferdrath in Verbindung bringt, so erh\u00e4lt man eine Zuckung des Froschschenkels. Hier kann' man sich nun \u00fcberzeugen, dass eine Kette von Kupfer und Wasser zwischen Nerven und Muskel vollkommen gleich gut ist, als eine Kette von Kupfer und Blut. Was hat man nun damit gewonnen, wenn das elektrische Verhalten des Wassers dasselbe ist, als das des Blutes? Dabei kann es wohl seyn, dass nicht einmal das Blut oder Wasser in dieser Kette ein Elektromotor ist, sie k\u00f6nnen eben so wohl blosse Leiter, und das Kupfer mit den Muskeln die Electromotoren seyn.\n1V. Capitel. Von den organischen Eigenschaften und Verh\u00e4ltnissen des Blutes.\na. B clcbendcr E influss des Blutes.\nDas liellrolhe arterielle Blut, dessen Blutk\u00f6rperchen nach Michaelis kaum etwas weniger Kohlenstoff und kaum etwas mehr Sauerstoff im gebundenen Zustande enthalten, wird auf dem Wege durch die feinsten Gelasse des K\u00f6rpers wieder dunkelroth oder ven\u00f6s, durch eine noch unbekannte Wechselwirkung mit der or-gauisirten Materie, die die Organe f\u00e4llig zum Leben, das Blut aber unf\u00e4hig macht, diesen zum Leben nothwendigen Reiz weiter auszu\u00fcben. Nur dadurch, dass das Blut wieder in den Lungen hellroth wird, indem es Sauerstoff aus der Luft aufuimmt, und Kohlens\u00e4ure ausscheidet, und zwar mehr Sauerstoff aufnimmt, als es Kohlens\u00e4ure (nach der chemischen Theorie von Kohlenstoff des Blutes und Sauerstoff der Luft gebildet) ausscheidet, erlangt es wieder diese F\u00e4higkeit. Da, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, innerhalb einiger Minuten das Blut den ganzen K\u00f6rper durchkreiset, so erlangen und verlieren also dieselben Theile des Blutes in einigen Minuten einmal diese belebende F\u00e4higkeit. Nur im hellrotbcn arteriellen Zustande ist das Blut f\u00e4hig, das Leben zu unterhalten, die Unterdr\u00fcckung der Bildung des arteriellen Blutes in den Lungen ersLiekt, d. h. macht scheintodt und todt, vorz\u00fcglich, wie Bichat gezeigt hat, durch L\u00e4hmung der Funktionen des Gehirns und Nervensystems. Doch ist diese Nothwen-digkeit beim Neugebornen, noch mehr im Winterschlaf und Scheintod und hei den niedern Thieren geringer, scheint selbst bei dem Foetus der S\u00e4ugethiere ganz zu fehlen. Siehe den Art. vom Atlimen. Am meisten sind aber die Kr\u00e4fte des Nervensystems und des animalischen Lebens vom arteriellen Blut abh\u00e4ngig, diess sieht man an den Erscheinungen der Blausucht, wo durch Fehler in den Kreislaufsorganen ( Offenbleiben des beim Foetus vorhandenen ductus arteriosus Botalli zwischen arteria pulmonalis und aoria, Offenbleiben des beim Foetus vorhandenen foramen ovale in der Scheidewand der Vorh\u00f6fe) beide Blutarten immer zum Theil gemischt werden. Die Ern\u00e4hrung, die","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. Eigenschaften des Blutes. Belebender Einfluss. 147\nAbsonderung leiden liier wenig oder gar nicht, wenn auch das Aussehen der Haut dunkler und bl\u00e4ulich ist; aber die Muskelkraft fehlt, die geringsten Anstrengungen bringen Erstickungszuf\u00e4lle, Ohnm\u00e4chten und seihst Scheintod hervor, der Geschlechtstrieb bildet sich nicht aus, die W\u00e4rme ist geringer. Es ist eine Nei-\u201eun\" zu Blutfl\u00fcssen und seihst zu t\u00f6dtlichen Blutungen vorhanden. Siehe Nasse \u00fcber den Einfluss des hellrothen Bluts auf die Entwickelung und die Verrichtungen des menschlichen K\u00f6rpers aus Beobachtungen blaus\u00fcchtiger Kranken, Reil\u2019s Archiv. T. 10. p. 213. Dass aber die vegetativen organischen Functionen weniger vom arteriellen Blut abh\u00e4ngen, sieht man auch daraus, dass Absonderungen zuweilen von Organen geschehen, die nicht allein arterielles, sondern noch mehr ven\u00f6ses Blut erhalten. So geschieht die Absonderung der Galle zum Theil vom ven\u00f6sen Blute der Pfortader, die Absonderung des Harns zum grossem Theil bei Amphibien und Fischen aus Venenblut der zuf\u00fchrenden Nierenvenen, welche diese beiden Thierklassen ausser den r\u00fcckf\u00fchrenden Nierenvenen und den Nierenarterien besitzen.\nUnterbindung aller Arterienst\u00e4mme eines Gliedes hebt das Bewegungsverm\u00f6gen auf, und erzeugt zuletzt \u00f6rtlichen Tod. Grosse Blutverluste machen die h\u00f6heren Thiere sogleich asphyk-tisch, die kaltbl\u00fctigen \u00fcberleben aber lange die Entleerung des gr\u00f6ssten Theiles des Blutes, und Fr\u00f6sche leben seihst nach Ausschneidung des Herzens noch viele Stunden lang, und sind aller Bewegung f\u00e4hig. Aber selbst erschlaffte ausgeschnittene Theile, wiedas schon bewegungslose Herz des Frosches in v. Humboldt\u2019s Versuchen, scheinen durch Eintauchen in Blut wieder einiger-rnaassen belebt zu werden, und Blut erh\u00e4lt die Flimmerbewegungen der mikroskopischen Wimpern an abgeschnittenen Theilen gewisser Schleimh\u00e4ute nach Purkinje\u2019s und Valentin\u2019s Beobachtungen am l\u00e4ngsten.\nPr\u00e9vost und Dumas haben gezeigt, dass das Blut seine belebende Wirkung nicht so sehr durch das Blutserum als durch die darin schwebenden rothen K\u00f6rperchen \u00e4ussert. Spritzt man in die Gef\u00e4sse eines bis zur Ohnmacht von Blut entleerten Tliie-res Wasser oder reines Serum von 30\u00b0 C., so wird das Thier nicht erweckt. Nimm man dagegen Blut von derselben Art, so wird es durch jeden Stoss merklich wieder belebt und zuletzt hergestellt. Diese Versuche sind von Dieffenbach best\u00e4tigt.\nDiese Wiederbelebung erfolgt nach Pr\u00e9vost und Dumas, Dieffenbacii und Bisch\u00f6fe, (Muell. Arch. 1835. 347.) auch dann wenn man den Faserstoff des Blutes durch Schlagen entfernt, und das nicht mehr gerinnende Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum einspritzt. Da, wie ich gezeigt habe, die Blutk\u00f6rperchen in geschlagenem Blute durchaus unver\u00e4ndert sind, so sollte man, in den wenigen F\u00e4llen, wo eine Infusion von Blut 10 die Adern eines lebenden Wesens gerechtfertigt und wegen blutleere noting ist, lieber geschlagenes, von Faserstoff befreites Blut von der geh\u00f6rigen Temperatur injiciren. Dieses ist und bleibt vollkommen fl\u00fcssig. Man vermeidet hierdurch die Hauptbeschwerde der Transfusionen, dass n\u00e4mlich das Blut w\u00e4hrend\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148 I. Buch. Von den organ. Saften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\ndes Uchergangs aus dem einen in den andern K\u00f6rper allzuleicht gerinnt. Blut von einer andern Art, dessen K\u00f6rperchen dieselbe Gestalt, aber verschiedene Gr\u00f6sse haben, bewirkt eine unvollkommene Herstellung, und gew\u00f6hnlich stirbt das Thier in 6 Tagen. Der Puls wird dann beschleunigt, das Athrnen bleibt normal, die Warme sinkt sehr schnell. Die Excretionen sind schleimig und blutig. Die geistige Th\u00e4tigkeit scheint nicht abge\u00e4ndert. Einspritzen von Blut mit Kreisk\u00f6rperchen in die Gelasse eines Vogels (von elliptischen und gr\u00f6sseren K\u00f6rpereben) bewirkt heftige und der st\u00e4rksten Vergiftung \u00e4hnliche Nervenzuf\u00e4lle, gew\u00f6hnlich den Tod, selbst sehr pl\u00f6tzlich, auch wenn eine geringe Menge eingespritzt wurde. So war z. B. die Wirkung von Schaf-blut auf Enten. Biscuoff\u2019s Beobachtungen wichen in dem Punkte ab, dass geschlagenes und dadurch seines Faserstoffs beraubtes Blut ohne alle sch\u00e4dliche Folgen in die Venen eines Vogels eingespritzt werden kann. Auf Fr\u00f6sche wirkt selbst das geschlagene, transfundirte Blut nachtheilig, besonders Menschenblut, weniger das der S\u00e4ugethiere und V\u00f6gel, am wenigsten das der Fische. Der Erfolg der Transfusion des geschlagenen Blutes der drei hohem Thierklassen war hier regelm\u00e4ssig der Tod nach einigen Stunden. Der Kreislauf zeigte sich immer schnei! geschw\u00e4cht. \u2022Regelm\u00e4ssige Folgen der Transfusion waren Exsudationen von Serum und selbst von Blutk\u00f6rperchen, sowohl des eingespritzten Blutes als Blutk\u00f6rperchen des Frosches. Vergl. die Transfusion des Blutes, von Dieffenbach. Berlin 1828. Eine unvorsichtige Injection von Luit in die Adern und das Blut eines lebenden Thieves t\u00f6dtet fast auf der Stelle durch llinderniss des Blutlaufs in den kleinen Gef\u00e4ssen und im Herzen, indess sehr kleine Quantit\u00e4ten nicht allein von atmosph\u00e4rischer Luft und Sauerstoffgas, sondern selbst von irrespirabeln Luftarten, wie Stickgas, Stickgasoxydul, Wasserstoffgas, Kohlenwasserstoffgas, Kohlens\u00e4uregas, Kohlenoxydgas, in Nysten\u2019s Versuchen ohne t\u00f6dtlichen Erfolg injicirt wurden. Nur Salpetergas, Schwefelwasscrstoffgas, Ammoniakgas und Chlorgas waren absolut lethal. Nvsten recherches de physiol, et de clum. palhol. Paris 1811.\nt>. Th\u00e4tigkeits\u00e4usserungen im Blute selbst.\nUnstreitig muss das Blut als eine in sich lebendige Fl\u00fcssigkeit aufgefasst werden, aber es hat bis jetzt nicht gelingen wollen, im Blute einen Akt seines Lebens als sichtbares Phaenomen darzustellen. C. H. Schultz hat von einer sichtbaren lebendigen Wechselwirkung der einzelnen Blutmolecule und der Substanz der Gelasse gesprochen, zufolge welcher die Blutmolecule nicht verharrend bestehen, sondern sich von neuem bilden und untergeben. G. II. Schultz der Lelensproccss im Blute. Berlin 1822. Tu seinen neueren Mittheilungen erkl\u00e4rt sich der Verfasser bestimmter dahin, dass den Blutk\u00f6rperchen selbst jede Bewegung fehle, dass die flimmernden Bewegungen des Blutes, (welche'man an dem, in den Gef\u00e4ssen fliessenden Blute beim Sonnenlicht sieht), den fl\u00fcssigen Theilen des Blutes angeh\u00f6re. Diese oscillatorische Bewegung erkenne man noch an den feinsten Saftstr\u00f6men, wenn","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. EigenschafIcn des Blutes. Th\u00e4tigkeil\u00fcusserungen. 149\nsie nach keine Blutk\u00f6rperchen enthalten. C. H. Schulz das System der Circulation. Stuttgart. 1836. p. 74. Diese eigenth\u00fcmli-chen Ansichten entfernen sich von derjenigen der \u00fcbrigen Beobachter wesentlich. Dagegen stimmen die Beobachtungen von Bu doli* m, Buriunje, Koch, Meyen und meine eigenen in Hinsieht der Erkl\u00e4rung dessen, was der Verfasser f\u00fcr eine Lebensbewe-\u201enng des Blutes ansieht, \u00fcberein. Wenn man hei hellem Tageslichte durchsichtige, vom Blut durchflossene Theile observirt, dagegen die T\u00e4uschungen einer flimmernden, aber sehr undeutlichen Beleuchtung von intensivem, durch durchsichtige thierische Theile refrangirtem Sonnenlichte vermeidet, so bemerkt .man in den Blutgef\u00e4sschen niemals die geringste Spur einer selbstst\u00e4ndigen Bewegung der einzelnen Blutmolecule, weder eine Attraction und Bepulsion der Blutk\u00f6rperchen, noch der Theilchen der Blutfl\u00fcssigkeit. Wenn man aber intensives Sonnenlicht durch durchsichtige thierische Theile durchstr\u00f6men l\u00e4sst, so h\u00f6rt alle Klarheit des Bildes wegen des Lichtspieles durch so viele wie kleine Linsen wirkende K\u00f6rnchen des Blutes und die Unebenheiten der Substanz auf; man sieht nicht mehr das Vorbeistr\u00f6men der K\u00f6rnchen, sondern einen allgemeinen Ausdruck flimmernder Bewegung, wobei man oft seihst nicht mehr die Biclitung des Stromes unterscheidet. Dieselbe T\u00e4uschung hat statt, wenn man eine Fl\u00fcssigkeit, worin K\u00fcgelchen enthalten sind, wie Milch, hei durchscheinendem Sonnenlicht \u00fcber den Objecttr\u00e4ger des Mikroskopes fliessen l\u00e4sst, oder auch wenn bei diesem Licht klares Wasser \u00fcber ein matt geschliffenes Glas fliesst. Die k\u00f6rnige Substanz-der thierischen Theile ist dem matt geschliffenen Glase zu vergleichen. Vergt. besonders Meyen, Isis 1828. 394. und die Becension eines Ungenannten, Isis 1824. 3, Koch unstatthafter ist es, die Blutk\u00f6rperchen als Infusorien zu betrachten, wie Eber und Mayer gethan (Mayer Supplemente zur Lehre vom Kreislauf. Bonn 1827.) Ueher die dem Blute mit Unrecht beige-legte Propulsivkraft, sich hei der Circulation zu bewegen, eine Kraft der Bewegung, die noch, fortdauern soll, wenn die Kraft des Herzens nicht mehr wirkt, siehe den Artikel vom Kreislauf. Capillargefasse. Diese Annahme von Kielmeyer, Treviranus, Casus , Dof.llinger und Oesterreiciier schien am meisten gerecht-lertigt durch die Beobachtung V olfe\u2019s und Winder's, dass sieh das Blut beim H\u00fchnchen in der area vasculosa fr\u00fcher bildet als das Herz schl\u00e4gt, und dass das Blut von der Peripherie der area vasculosa schon nach dem Herzen str\u00f6me, ehe noch das Herz schl\u00e4gt. Indessen ist der letztere Theil dieses Satz.es nicht sicher, und Baer ist zweifelhaft; es scheint ihm sogar, dass zuerst Bewegung im Herzen stattfindet; etwas sp\u00e4ter die Str\u00f6mung in dem Baume des durchsichtigen Fruchthofes und zuletzt noch erst ein Hinzustr\u00f6men des rothen Blutes aus der area vasculosa. Buhdach Physiol. 2. 261. Auch Wedemeyer hat sich nicht \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass nicht zuerst vor der Str\u00f6mung das Herz schlage. Die \u00fcbrigen Gr\u00fcnde f\u00fcr die Propulsionskraft des Blutes st\u00fctzen sich auf die Fortdauer der Blutbewegung in abge-schnitteuou Theile n. Abgesehen davon, dass diese Kraft der Be-","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150 I. Buch. Fon den organ. S\u00e4ften etc. I. Abschn. Vom Blut.\nwegung in einer Fl\u00fcssigkeit ohne eine Anziehung oder Abstos-sung von Seiten eines andern Gegenstandes unbegreiflich ist, habe ich zwar die Thatsachen, die man f\u00fcr jene Annahme anf\u00fchrt, zum Theil best\u00e4tigt gefunden, ich konnte aber nicht diese Schlussfolge daraus ziehen. In einem abgeschnittenen Theile sieht man mittelst des Mikroskopes unter zwei Bedingungen noch fortdauernde Bewegungen des Bluts in den feinsten \u00dceberg\u00e4ngen der Arterien in Venen: 1) so lange das Blut noch aus den durchschnittenen Gef\u00e4ssst\u00e4mmen ausfliesst, was auf den Zustand des Blutes in den Haargef\u00e4ssen wirken muss. So sieht man nach meinen Beobachtungen noch langsame Bewegungen, und zwar von den feinen Gef\u00e4ssen nach den grossem (also nach den Oeffnnngen der durchschnittenen Gef\u00e4ssst\u00e4mme) bis 10 Minuten nach Abschneiden eines Fusses beim Frosch. Diese Bewegungen entstehen nach meiner Ansicht bloss durch das Ausfliessen des Blutes, w\u00e4hrend die Gef\u00e4sse durch die Elusticit\u00e4t einen engem Durchmesser annehmen, als sie vorher im Zustande gewaltsamer Ausdehnung flatten. Man sieht dies Engerwerden auch unter dem Mikroskop. Wird die Durchschnittsfl\u00e4che, woraus das Blut ab-fliesst, mit dem Schenkel in die H\u00f6he gehalten, so h\u00f6rt das Ausfliessen des Blutes fr\u00fcher auf, und schon nach 5 \u25a0\u2014- 6 Minuten h\u00f6rt alle Spur der Bewegung in den Capillargef\u00e4ssen auf. We-demeyer\u2019s Beobachtungen stimmen mit den meinigen sehr \u00fcberein, nur dass er die Zeit nicht angiebt. Er sagt: Gleich nach dem Ausschneiden des Herzens str\u00f6mt alles Blut in last ununterbrochenem Zuge aus Arterien, Venen und Haargef\u00e4ssen nach der Wunde bin, indem die Elasticit\u00e4t der weichen Theile das Blut aus den kleinen Gef\u00e4ssen nach der kaum mehr Widerstand leistenden Wunde der grossen Gef\u00e4sse hindr\u00fcckt. Ueher den Kreislauf des Blutes. Hannover 1S28. p. 233.\t2) Wenn man auf ei-\nnen feuchten abgeschnittenen Theil das intensive Sonnenlicht wirken l\u00e4sst. Unter dem letzten Umstande trocknet und runzelt die Oberfl\u00e4che des feuchten Theils sichtbar schnell. Dies bewirkt eine schnellere Entleerung der Capillargef\u00e4sse, was beim Durchscbeinen des intensiven Sonnenlichtes den schon ber\u00fchrten flimmernden Schein gew\u00e4hrt. Man wird daher, wie ich an einem abgeschnittenen Fledermausfl\u00fcgel, noch viele Stunden lang stellenweise, aber nur da eine Spur von flimmernder Bewegung des Bluts in den feinsten Gef\u00e4ssen bemerken, wo man gerade das intensive Sonnenlicht augenblicklich durchscheinen l\u00e4sst. Bei nacktem Auge sieht man das ausserordentlich schnelle Runzeln der Oberfl\u00e4che. Befeuchtet man die einschrumpfende Stelle wieder, so h\u00f6rt das Zusammenschrumpfen und damit auch die flimmernde Bewegung im Innern der Gef\u00e4sse auf einige Augenblicke auf, beginnt aber sogleich wieder mit der zunehmenden Verd\u00fcnstung und Austrocknung. Selbst nach 1| Tagen konnte ich an dem so befeuchteten Fl\u00fcgel noch ein Flimmern im Innern bei intensivem Sonnenlichte sehen. Nach Baumgaertner (Beobachtungen \u00fcber die Nerven u. d. Blut. Freiburg 1830.) dauerte beim Brosch die Bewegung des Blutes nach Unterbindung einer Arterie 3 \u2014 5 Minuten, eine Bewegung, die der treffl ic\u00eeic B \\ u M G A F. n T i\\ F R VOM","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. Eigenschaften des Blutes. Th\u00e4tigheits\u00fcusserungen. 151\nWechselwirkung der Nerven und des Blutes, nicht von der Ela-sticitat der vorher ausgedehnten Arterien ahleilet. Schon Ana-stomosen k\u00f6nnen solche Erscheinungen bewirken. Leider beweisen die sinnreichen von Baumgaertner .Angestellten Beobachtungen nicht evident dasjenige, was sie sollen. Ich habe \u00fcbrigens beobachtet, dass der Blutlauf in den feinsten Gef\u00e4sscn nach Compression einer Arterie meist-schnell aufh\u00f6rt. Gerade dann m\u00fcsste man die eigene Bewegung der Blutk\u00f6rperchen sehen, wenn sie wirklich existirte. Mortilicirte ich das Herz eines Frosches durch Liq. kali caust., so konnte ich unter dem Mikroskop noch einige Zeit Bewegung in den feinsten Gelassen sehen, wahrscheinlich von der Zusammendr\u00fcckung des Blutes in den Arterien durch ihre elastische, fr\u00fcher stark ausgedehnte Haut. lias Blut blieb einmal \u00fcber eine Stunde fl\u00fcssig in den feinsten Gefasscn, und bewegte sich von Zeit zu Zeit bald vorw\u00e4rts, dann wieder r\u00fcckw\u00e4rts, dann stand es still, dann bewegte es sich wieder, wahrscheinlich je nach der Zusammendr\u00fcckung der Gelasse durch gelinde Bewegungen des Frosches oder einzelner Muskelpartien des Beines. Ich l\u00e4ugne daher die eigenth\u00fcmliche Propulsionskraft, und nehme nur die, den Kreislauf nicht nothwendig erleichternde, lebendige Wechselwirkung und Anziehung zwischen Substanz und Blut an, wodurch unter sonst gleichen Umst\u00e4nden ein mehr belebter Theil mehr Blut aufnimmt, als sonst und als andere Theile und gewisse Theile selbst sich aufrichten, eine Wirkung, welche man nicht aus der Zusammenziehung der zuf\u00fchrenden Gef\u00e4sse jener Theile erkl\u00e4ren kann, da 1) diese Al t von Contractilit\u00e4t der Gef\u00e4sse, Avie in der Lehre vom Kreislauf bewiesen wird, nicht existirt, und 2) keine dauernde Anf\u00fcllung dieser Theile hervorbringen k\u00f6nnte. Selbstst\u00e4ndige Bewegungen des Saftes ohne Herz, wie bei den Pflanzen, kennt man bis jetzt auch von niederen Thieren nicht mit Sicherheit. Nordmann hat sich \u00fcber einen von ihm beobachteten Saftumlauf in der H\u00fclse von Alcyonella diaphana, den er der Saftbewegung in den Iuterno-dien der Cbaren vergleicht, nicht weiter erkl\u00e4rt. Carus entdeckte an Echinus edulis in demjenigen zarth\u00e4utigen Wasserr\u00f6hrengewebe, das den Saum zwischen den \u00e4usserst feinen L\u00f6eherchen der F\u00fchlerg\u00e4nge (ambulacra) immer begleitet, selbst xvenn die Theile dieses Gewebes abgeschnitten sind, eine Cirkelbewegung von K\u00fcgelchen. Mikrograph. Beitr\u00fcge 2 II. Berlin 1832. 75. Vergl. Tre-viranus Erscheinungen und Gesetze des organ. Lebens. 1. 234. Diese so wie die von Nordmann an Diplozoon und von Ehrenberg an Distomen beobachtete Saftbewegung in Gelassen, die ihren Durchmesser nicht \u00e4ndern und sich nicht zusammenziehen, sind in neuerer Zeit in Hinsicht ihrer Ursachen aufgekl\u00e4rt worden und k\u00f6nnen nicht mehr f\u00fcr eine selbstst\u00e4ndige Bewegung uer S\u00e4lte in den Thieren angef\u00fchrt werden. Sie r\u00fchren von schwingenden Wimpern her. Ehrenberg hat schwingende Falten \u2022 n den Gebissen der Entozoen und Turbellarien, Siebold schwingende Wimpern in den Gef\u00e4ssen des Diplozoon erkannt. Muell. Arch: 1836. Jahresbericht (.WM I.\nLreviranus, Mayer und Andere haben die mehrere Secun-","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152 I. Buch. Von i]en organ. S\u00e4ften. I. Ahschn. Vom Blut.\nden dauernde Durcheinanderbewegung der Blutk\u00f6rperchen in einem Tropfen Blutes, der unter das Mikroskop gebracht wird, f\u00fcr automatische Bewegung angesehen. Man kann diese momentanen wirbelnden Bewegungen indess, wie ich \u00f6fter beobachtet, und was entscheidend ist, auch in Tropfen l\u00e4ngst aus dem K\u00f6rper entlassenen Blutes sehen. Wenn man z. B. sich von ger\u00fctteltem Froschblut ein Gemenge von Blutk\u00f6rperchen und Serum bereitet und das Gerinnsel entfernt, und dann nach 12 \u2014 24 Stunden einen Tropfen davon unter das Mikroskop bringt, so sieht man dieselbe Vertheilung, dasselbe Str\u00f6men der Blutk\u00f6rperchen, wie im frischen Blute. Diese Bewegung kann daher nicht lebendig seyn. An Blut von warmbl\u00fctigen Thieren haben solche Beobachtungen ohnehin keine Beweiskraft, wegen der Bewegung, die von der Verdunstung herr\u00fchren kann.' Vielleicht hat die kleine Formver\u00e4nderung welche jeder Tropfen Fl\u00fcssigkeit, den man auf einer Glasplatte ausbreitet, an den R\u00e4ndern, zuwei, len schnell, erleidet, an jenen Bewegungen grossen Antheil. Dass die Blutk\u00f6rperchen endlich in der N\u00e4he wimpernder H\u00e4ute, der Geschlechtsorgane, Athemwerkzeuge u. a. wie alle feinen K\u00f6rperchen in Bewegung gerathen, darf nicht aulfallen.\nHeidmann (Reil\u2019s Archiv. G. 425.) hat Zusammenziehungen und Dilatationen im Blute heim Gerinnen beschrieben, ich hahe sie nicht sehen k\u00f6nnen, so gewiss der geronnene Faserstoff sich unmerklich aut ein viel kleineres Volumen zusammenzieht. Dass aber die von Tourdes und Circaujb beobachtete Zusammenziehung des geronnenen Faserstoffs durch Galvanismus nicht existirt, hat Heidmann selbst bewiesen, und ich habe nicht dergleichen gesehen, als ich in den p. 144 angef\u00fchrten Versuchen den durchs l'iltrum gehenden aufgel\u00f6sten Faserstoff des Froschblutes galva-nisirte und gerinnen liess.\nDie Frage, ob das Blut eine lebendige oder nicht lebendige Fl\u00fcssigkeit sey, erinnert an einen kritischen Zustand unserer Wissenschaft, Alles, was im Organismus auf eine von den unorganischen Gesetzen verschiedene Art Wirkungen zeigt, hat eine organische, oder, was dasselbe ist, lebendige Th\u00e4tigkeit, Bloss die festen Theile als lebend betrachten zu wollen, ist unangemessen; denn feste organische Theile im strengen Sinne giebt es nicht, last alle enthalten bis ihres Gewichtes Wasser, und eine bestimmte Grenze giebt es hier nicht. Betrachtet man nun die organische Materie \u00fcberhaupt als lebensf\u00e4hig, die organisirten Theile als belebt, so ist doch die Wirkung des Bluts schon aus physikalischen und chemischen Gr\u00fcnden nicht zu begreifen. Der Samen ist nicht bloss Reiz f\u00fcr die Befruchtung des Eies, sondern da er die Eier der nackten Amphibien und Fische ausser dem K\u00f6rper befruchtet, da das neue Individuum eben sowohl die F\u00e4higkeiten, Aehnlichkeit, ja selbst Krankheitsanlagen des Vaters hat, so ist der Samen offenbar, obgleich eine Fl\u00fcssigkeit, eine lebende und belebende. Der keimf\u00e4hige Thed des Eies, die Keimseheibe, ist eine ganz unorganisirte Aggregation von Thierstoff, und dennoch von der ganzen organisirenden Kraft belebt und belebend, obgleich weich und der Fl\u00fcssigkeit noch verwandt.","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. Eigenschaften des Blutes. Enstehung desselben. 153\nAuch das Blut zeigt organische Eigenschaften, es wird von dem belebten und gereizten Theil angezogen, es besteht eine lebende 'Wechselwirkung zwischen dem Blut und den organisirten Thcilen, an der das Blut eben so gutAntheil hat als die Organe selbst. Der bei der Entz\u00fcndung ausschwitzende Faserstoff des Blutes ist anfangs fl\u00fcssig, und bildet, indem er erh\u00e4rtet, Pseudo-membrancn; aber dieses Exsudat wird durch blosse Wechselwirkung mit dem exsudirenden Organe auch organisirt und von Blut und Gef\u00e4ssen durchdrungen. Das Blut hat daher selbst schon Lebenseigenschaften, und dasselbe gilt von allen tinerischen S\u00e4ften, welche nichts Zersetztes, wie Urin, Kohlens\u00e4ure, ausf\u00fchren. Der Speichel, die Galle wirken assimilirend auf die Nahrungs-stoft\u2019e, die Organe assimilirend auf das Blut, und hier giebt es keine scharfe Grenze zwischen lebensf\u00e4higen und belebten Stoffen. Diejenigen aber, welche am wenigsten belebt sind, bleiben, so lange sic nicht zersetzt sind, lebensf\u00e4hig.\nc. E n t s t c h u ri g des Blutes.\nDie Materialien zur Bildung des Blutes sind bei dem Erwachsenen die Contenta der Lympbgef\u00e4sse, die klare Lymphe und der weissliche Chylus, wovon die erstere Nahrungsstoffe aus dem Innern der organisirten Theile, der letztere die im Darmkanal durch die Lympbgef\u00e4sse ausgezogenen Nahrungsstoffe, in den ductus thoracicus und so fort ins Blut f\u00fchren. Die Lymphe und der Chylus enthalten aufgel\u00f6stes Eiweiss und aufgel\u00f6sten Faserstoff, weniger als das Blut. Durch diese in der Lymphe aufgel\u00f6sten Stoffe gleicht die Lymphe ganz der klaren Blutfl\u00fcssigkeit, liquor sanguinis, aus welcher das Blut besteht, wenn man von den rothen K\u00f6rperchen absieht. Dieser klare liquor sanguinis enth\u00e4lt auch, wie ich gezeigt habe, den Faserstoff vor dem Gerinnen aufgel\u00f6st. Mit vollem Rechte kann man daher den farblosen liqmr sanguinis gleichsam die Lymphe des Blutes nennen, und man kann behaupten, dass Lymphe Blut ohne rotlie K\u00f6rperchen, das Blut Lymphe mit rothen K\u00f6rperchen ist. Das Eiweiss des Blutes hat seine Entstehung in der Verdauung, von da es in die lymphatischen Gef\u00e4sse \u00fcbergeht. Die verdauten Nahrnngs-stoffe enthalten im Darmkanal aufgel\u00f6stes Eiweiss, keinen gerinnbaren Faserstoff; dieser bildet sich erst in den Lymphgef\u00e4ssen und gelangt so ins Blut. Merkw\u00fcrdig ist die von mir beobachtete, fast constante Thatsache, dass bei l\u00e4nger aufbewahrten, also hungernden Fr\u00f6schen das Blut h\u00e4ufig nicht mehr gerinnt, so wie auch ihre Lymphe, die sonst gleich dem Blute schnell gerinnt, dann nicht mehr coagulirt. Im Winter gerinnt gleichwohl das Blut der Fr\u00f6sche oft, wenn auch nicht so vollst\u00e4ndig, gleich wie in allen F\u00e4llen, wenn ihr Blut nicht ganz gerinnt, auch ihre Lymphe nicht so fest coagulirt. Diess finde ich so bei mehreren \u00fcer ausgegrabenen, sonst ganz muntern Fr\u00f6sche. Der Chylus ist weniger deutlich alkalisch als das Blut. Lymphe und Chylus enthalten weniger feste Theile als das Blut und namentlich weniger aserstulf. 100 Theile Chylus enthalten nach Tiedemann und","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nGmelin 0,17 \u2014 1,75 trocknen Faserstoff. In dem Chylus ist freies Fett vorhanden, das im Blute inniger gebunden zu werden scheint, aucli ist das Eis^n im Chylus weniger gebunden als im Blute, und l\u00e4sst sich mch Emmert nach Behandlung des Chylus mit Salpeters\u00e4ure durch Gall\u00e4pfeltinctur darstellen. Die Lymphe und der Chylus enthalten jedoch auch eine eigene Art sparsamer K\u00f6rnchen. Die \u00fcusserst sparsamen K\u00f6rnchen der gerinnbaren Frosch ly mphe, die man z. B. unter der Haut des Oberschenkels beim Frosche antrifft, sind ungef\u00e4hr viermal kleiner als die elliptischen Blutk\u00f6rperchen des Frosches, so gross als die elliptischen Kerne der Blutk\u00f6rperchen des Frosches; sie sind indess nicht elliptisch, und noch weniger ganz l\u00e4nglich, wie die Kerne der Blutk\u00f6rperchen des Salamanders, sondern rund; sonst k\u00f6nnte man vermuthen, dass sie die Kerne der Blutk\u00f6rperchen w\u00fcrden. Die K\u00fcgelchen des Chylus der h\u00f6heren Thiere sind rund und nicht platt, wie die Blutk\u00f6rperchen. Von den Blutk\u00f6rperchen unterscheiden sich die Chylusk\u00f6rperchen auch, dass sie im Wasser unaufl\u00f6slich sind, w\u00e4hrend sich die Schale der Blutk\u00f6rperchen im Wasser aufl\u00f6st. Von den im Wasser unaufl\u00f6slichen Kernen der Blutk\u00f6rperchen unterscheiden sie sich wieder durch ihre Gr\u00f6sse. Pr\u00e9vost und Dumas fanden die Chylusk\u00fcgelchen T\u00ceVn P. Z., was mehr als halb so viel betr\u00e4gt, als die Blutk\u00f6rperchen des Menschen. Ich habe die Chylusk\u00fcgelchen jedesmal auf derselben Glasplatte mit den Blutk\u00f6rperchen desselben Thieres untersucht, und fand ihre Gr\u00f6sse bald gleich der der Blutk\u00f6rperchen, wie hei der Katze, bald und zwar meist etwas kleiner, wie beim Kalbe, hei der Ziege, beim Hunde, hei welchem letztem ich sie von sehr verschiedener Gr\u00f6sse, die meisten sehr klein und alle kleiner als die Blutk\u00f6rperchen fand. Beim Kaninchen fand ich sogar die Chylusk\u00fcgelchen zum Theil gr\u00f6sser als die Blutk\u00f6rperchen ; die meisten waren sehr klein, ^\t^ so gross als die Blutk\u00f6rper-\nchen, und einige waren offenbar gr\u00f6sser, wenigstens noch einmal so gross. Vergl. B. Wagner, Decker\u2019s Annalen 28 Bd. C. II. Schui.tz System der Circulation 37.\nNach Autenrietii soll der ins Blut ergossene Chylus in 10 bis 12 Stunden in Blut umgewandelt werden, weil man innerhalb dieser Zeit noch h\u00e4ufig das Serum milchweiss sehe. Vielleicht geschieht indess diese Umwandlung noch langsamer; denn ich habe schon bemerkt, dass, wenn man in Blut mit etwas unterkohlensaurem Kali die Gerinnung verlangsamt, beim Sinken der Blutk\u00f6rperchen die \u00fcberstehende Fl\u00fcssigkeit h\u00e4ufig etwas tr\u00fcbe und weisslich ist.\nWo das in der Lymphe und dem Chylus fehlende Blutroth, wovon man bloss in dem Chylus des Ductus thoracicus zuweilen eine Spur findet, oder wo die Schale der Blutk\u00f6rperchen entstehe, ist ganz unbekannt, wenn auch das Athinen dabei eine Piolle zu spielen scheint. Hewson\u2019s Hypothese, dass das Blutroth sich in der Milz und in der zuweilen etwas schmutzigr\u00f6thlichen Milzlymphe bilde, hat keinen Grund; die Milz kann ohne beschwerliche Folgen bei Thieren exstirpirt werden.\nEs ist v\u00f6llig unm\u00f6glich, sich davon eineu Begriff zu machen,","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. Eigenschaften des Blutes. Entstehung desselben. 155\nwas die eigent\u00fcmliche platte Form, die plattrunde Form dieser K\u00f6rperchen bei den S\u00e4ugetieren, die plattovale Form bei den \u00fcbrigen Wirbelthieren bedingt. Im ganzen K\u00f6rper giebt es keine \u00e4hnlichen Elementarformen. In dem bebr\u00fcteten Ei ist das einzige Material zur ersten Blutbildung die Substanz des Keimes oder der Keimbaut selbst, die sich wieder aus der Eifl\u00fcssigkeit oder der Dottersubstanz vergr\u00f6ssert. In der Keimbaut erzeugt sich das Blut zuerst, wie man genau beobachten kann, ehe die Gef\u00e4sse, ehe die Dr\u00fcsen gebildet sind, welche bei dem Erwachsenen Einfluss auf die Blutbildung haben. Die aus der vergr\u00f6s-serten Keimscheibe entstandene Keimbaut zeigt bald eine obere d\u00fcnnere Schichte (ser\u00f6ses Blatt), und eine untere dickere Schichte (Schleimblatt). Auch bildet sich um die in der Mitte der Keimbaut sich zeigende Spur des Embryo ein durchsichtiger Hof, area pellucida, w\u00e4hrend der \u00e4ussere Tlieil der Keimbaut undurchsichtig bleibt, und dieser undurchsichtige Theil der Keimbaut wird bald wieder durch eine Abgrenzung in ein \u00e4usseres und inneres ringf\u00f6rmiges Feld abgetheilt, beim Vogel in der 16. \u2014 20. Stunde (v. Baer). Diese Abgrenzung schliesst zun\u00e4chst den einen Theil des undurchsichtigen St\u00fcckes der Keirnhaut ein, welches den innersten oder durchsichtigen Hof der Keimbaut umgiebt, und area vasculosa genannt wird, weil sich innerhalb dieses Hofes das Blut und die Gef\u00e4sse bilden. So weit die Area vasculosa reicht, zeigt sich zwischen den beiden Bl\u00e4ttern der Keimhaut eine k\u00f6r-\nnige Lage, welche sich bald in k\u00f6rnige dichte Inseln und durchsichtige Zwischenr\u00e4ume zertheilt, in denen sich zuerst eine gelbliche, hernach rothe Fl\u00fcssigkeit ansammelt, das Blut (zuerst in der Peripherie der Area vasculosa deutlich). Die Blutk\u00f6rperchen des Vogelernbryo sind nach Pr\u00e9vost und Dumas von der Blutbildung in der Keimbaut an in den ersten Tagen rund, erst am sechsten Tage fangen sie an elliptisch zu werden, am neunten Tage sind sie alle elliptisch. Froriep\u2019s Not. 175. Aehnliches haben Hew-son, Schmidt und Doellinger beobachtet. Schmidt \u00fcber die Blutk\u00f6r-ner, Wiirzb. 1822. Ehen so Baumgaertner (\u00fcber die Nerven und das Blut. Freiburg 18\u201810.) bei Amphibien und Fischen, E. H. Weber [dnatomie 4. 478) bei Froschlarven. Nach Baumgaertner entstehen die Blutk\u00f6rperchen folgendermaassen : Die Blutk\u00f6rperchen sind zuerst runde, nicht platte Kugeln, aus einer Menge kleiner K\u00fcgelchen zusammengesetzt, die clew Dotterk\u00fcgelchen gleichen; ;ndem sie allm\u00e4hlig durchsichtig geworden, verschwindet dieses k\u00f6rnige Wesen, worauf der durchsichtige Ring sich ausbildet und der Kern entsteht. Allm\u00e4hlig entsteht die elliptische Form. Auch \" eber sah die Blutk\u00f6rperchen der j\u00fcngsten Froschlarven auch aus mehreren kleineren K\u00f6rnchen zusammengesetzt. Diese K\u00f6rn-\u00ae,en s\u00b0flen sich nach Baumgaertner aus Dottersubstanz bilden. Nach Doelunger (Denkschr. der Akad. zu M\u00fcnchen. 7. 169,) und aumgaertner sollen sich auch bei jungen Thieren, und also auch wohl bei erwachsenen, Blutk\u00f6rperchen bilden, indem Par-1 ein der Organe sich abl\u00f6sen, und mit den n\u00e4chsten Blutstr\u00f6m-c len in Wechselwirkung treten. Es ist offenbar, dass das Blut aus ei Substanz der die Dotterfl\u00fcssigkeit aufnehmenden Keim-","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen de. I. Abschn. Vom Blut.\nhaut selbst entsteht, und dass es keiner besondern Organe zu dieser Umwandlung bedarf, da noch keine Organe wie der Darmkanal, die Leber, die Milz, die Lungen u. s. w. existiren. Diese Thatsache belehrt uns, dass wir den Vorgang der Blutbildung und Formation der rothen K\u00f6rperchen (aus den Chylusk\u00fcgel-chen?) nicht allzusehr in besondere,, Organen des Erwachsenen suchen m\u00fcssen, und es ist sehr wahrscheinlich, das unter dem Einfluss der allgemeinen Lebensbedingungen, wie sie beim bebr\u00fcteten Ei stattfinden, auch beim Erwachsenen aus dem Chylus Blut wird. Einen wesentlichen Antheil scheint dabei das Ath-men zu haben, insofern auch beiin bebr\u00fcteten Ei der Einfluss der atmosph\u00e4rischen Luft und bei den Wasserthieren des lufthaltigen Wassers durchaus zur Entwickelung noting scheint, und die Luft die beim Athmen gew\u00f6hnliche Ver\u00e4nderung erleidet, mag nun der Sauerstoff der atmosph\u00e4rischen Luft in\" das Blut treten und Kohlens\u00e4ure aus demBl\u201et entfernt werden, oder der Sauerstoff der Luft mit Kohlenstoff des Blutes zu der ausgeschiedenen Kohlens\u00e4ure sich verbinden. p;\u201ee wichtige Beobachtung von Baer {de oui mammalium genest) k\u00f6nnte es sogar \"wahrscheinlich machen, dass zur ersten Entstehung des Blutes in der Reiin-liaut bei den S\u00e4ugethieren nicht einmal jene Luftver\u00e4nderung noting ist. Denn Baer hat das Ei der Hunde zu einer Zeit beobachtet, wo die area vasculosa der Keimhaut schon Blut und Gef\u00e4ssc enthielt, aber das Ei noch ganz frei und ohne die Verbindung mit dem Uterus, durch welche das Athmen ersetzt werden, k\u00f6nnte, in demselben enthalten war; wobei Burdach vermuthet, dass der den Muttermund gesclnv-ingerter S\u00e4ugethiere schlies-sende Schleimpfropf doch atmosphi\u201eiscj,e Luft' zum Ei treten lasse. In diesem Zustand ohne Gtffassverbindung mit dem Uterus bleibt das Ei der Beutelthierc so\u201ear sjeh'e Owen Philos, transact 1834. p. 2. Beim Foetus der S\u00e4ugethiere giebt es aber auch spater noch keinen deutliche,, Unterschied zwischen arteri\u00f6sem und ven\u00f6sem Blute, und das Alhmen wird durch einen unbekannten Process anderer Art in der Verbindung des Eies mit dem Uterus unn\u00f6thig. Wenigstens ;st es m;r aus \u201eeueren Beobachtungen immer unwahrscheinlicher geworden, dass irgend ein merklicher Unterschied der Farbe zwischen dem Nabelarterienblut und dem aus der Placenta zur\u00fcckkehrenden Nabelve\u2014 nenblut existirt. Siehe 2. Buch. 1. Absehn. 3. Cap. Vielleicht ist das Athmen zur Bildung von Blutroth nicht mehr unmittelbar n\u00f6tliig, wie zum Leben \u00fcberhaupt. Dagegen spricht freilich die Erfahrung, dass das Chyluscoaguluft, sic}, i\u201e seltenen (von. mir noch nicht beobachteten) F\u00e4llen au der Lull etwas r\u00f6thet. Die Beobachtung, dass der Pferdechyhls (se}ten der Chylus anderer Tlnere, wenn er rein gewonnen ist), im ductus thoracicus etwas rothheh ist, kann man vor dt>r Haud \u201eoch nicht wohl he-nutzen zur Entscheiclung, ob viell^tclit sclion in dem lympliati\u00ab sehen System die Bildung des Blutr0ths beginne, da gar leicht aus dem Venenstamme einige Blutk\u00f6rperchen in den ductus thoracicus treten und mit dem Chylus sjc], vermengen k\u00f6nnen. Goeze\u2019s Beobachtung, welche Trev UA\u00eeajs .wufubrt, dass das Blut","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"\\. Organ. Eigenschaftcn des Elutes. Blutbildung\n157\ntier erstarrten Fr\u00f6sche im Winter weisslicli sey, habe ich niemals \u201e aus tier Erde gegrabenen Fr\u00f6schen best\u00e4tigt gefunden, obgleich ich fortw\u00e4hrend in der Winterzeit, wenn die Witterung das Ausgraben zidiess, ausgegrabene Fr\u00f6sche, freilich nicht erstarrt, erhielt.\nDass das Blut durch das Atlimen eine zur Unterhaltung des Lebens nothwendige Ver\u00e4nderung erleidet, beweiset der Tod, der jedesmal eintritt, sobald diese Function unterbrochen wird. Die Natur dieses Einflusses l\u00e4sst sich indess nicht weiter bestimmen; den ganzen Einfluss des Athmens auf die Bildung des Blutes k\u00f6nnen wir nicht im Einzelnen berechnen, wir haben keine Gelegenheit zu beobachten, ob das Blut ohne alles Atlimen seine rothe Farbe und die damit verbundenen Ver\u00e4nderungen nicht ann\u00e4hme, oh sich keine Blutk\u00f6rperchen bildeten, wir k\u00f6nnen immer nur einen ausserordentlich kleinen Bruch dieses Antheils beim Durchg\u00e4nge des Blutes durch die Lungen beobachten, wo das Blut, nachdem es in den Gapillargef\u00e4ssen des Athemorganes dem Einfl\u00fcsse der atmosph\u00e4rischen Luit oder bei Wasserthieren des lufthaltigen Wassers ausgesetzt ist, seine dunkelrothe Farbe in Ilellroth ver\u00e4ndert, welches letztere wieder in den Capillarge-f\u00e4ssen aller \u00fcbrigen Thcite des K\u00f6rpers in Dunkelroth sich umwandelt. Allein leider kennen wir auch hei dieser Ver\u00e4nderung nur die Farbe, nicht die damit verbundene Umwandlung der Materie, wie sich aus der bei der Lehre vom Atlimen folgenden Vergleichung des arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Blutes ergeben wird.\nEben so wenig lassen die Untersuchungen \u00fcber die Ver\u00e4nderung der 'Luft, worin geathmet wird, einen sichern Schluss zu, ob die, gegen das in der Luft verschwindende Sauerstoffgas ausgeathmete Kohlens\u00e4ure durch Verbindung von Kohlenstoff des Blutes mit Sauerstoff der Atmosph\u00e4re entstehe (Lavoisier, Laiu.ace), oder ob Sauerstoff an das Blut \u00fcbergehe, und die etwa schon im Blute pi aeexistirende Kohlens\u00e4ure ausgeathmet. werde, welche in den Wegen der Circulation sich bildete (Hassenfratz und Lagrange). Aus den Verdauungsorganen kann sie unm\u00f6glich kommen, da Kohlens\u00e4ure auch bei ausgeathmet wird, wird in der Lehre vom Atlimen gegeben, liier kann das Resultat derselben vorausgeschickt werden, dass sich die Ver\u00e4nderungen der Luft durch das Atlimen nach den qualitativen Verh\u00e4ltnissen eben so gut erkl\u00e4ren lassen, wenn man eine Bildung von Kohlens\u00e4ure der ausgeathmeten Luft durch den eingeathmeten Sauerstoff der Atmosph\u00e4re und den Kohlenstoff des Blutes an-nirnint, als wenn man annimmt, dass der Sauerstoff ins Blut \u00fcbergehe und im Blute \u00fcberall oder vorz\u00fcglich in den Capillargef\u00e4s-sen des K\u00f6rpers mit dem Kohlenstoff des Blutes Kohlens\u00e4ure -bilde, die aus dem Blute ausgeathmet werde, wenn Sauerstoff an me Stelle tritt. Da indess bei allen Thieren und am meisten Jei den Fischen mehr Sauerstoff aus der Luft oder aus dem lufthaltigen Wasser beim Atlimen verschwindet, als auf die ausge-e imete Kohlens\u00e4ure verwandt wird, so ist die Aufnahme eines mils des aus der Luft beim Atlimen entschwundenen Sauer-\nlange hungernden Thieren Der weitere Verfolg dieser Untersuchungen","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Ahschn. Vom Blut.\nStoffs in das Blut sehr wahrscheinlich, mag nun die eine oder die andere Theorie statthaft seyn. Der ins Blut \u00fcbergehende Sauerstoff, welcher es hellroth macht, scheint in demselben gebunden zu werden, weil er sich noch neueren Versuchen nicht daraus entwickeln l\u00e4sst. Der Stickstoffgehalt der Atmosph\u00e4re wird durch das Athmen nicht wesentlich ver\u00e4ndert. Der Sauerstoff und die Befreiung des Blutes von einem Theit von Kohlenstoff sind daher die Ursache, welche das arterielle Blut zu dem alleinigen Reiz der belebten Organe machen. Ven\u00f6ses Blut, welches diese Ver\u00e4nderung nicht erleidet, wirkt auf die belebten Organe und besonders das Nervensystem t\u00f6dtlich ein und nimmt ihre Erregbarkeit, gleich wie Kohlens\u00e4ure, Schwefelwasserstoff, Kohlenwasserstoflgas und andere Gasarten, welche die Erregbarkeit der Organe aufheben und meist das hellrothe Blut dunkel machen. Cuvier ( Vergl. Anat. 4. p. 147.) nimmt zugleich an, dass die arterielle Beschaffenheit im Blute schon auf dem Wege durch den K\u00f6rper bis zu den Capillargef\u00e4ssen durch materielle Umwandlung abnehme, und erkl\u00e4rt daraus die geringere Vitalit\u00e4t der vom Herzen entfernteren Theile. Wir befinden uns hier wieder in einer v\u00f6lligen Ungewissheit, ob das ven\u00f6se dunkelrothe Blut deswegen unf\u00e4hig ist das Leben zu erhalten, weil es etwas nicht hat, was das arterielle hat, oder weil es eine bei der Wechselwirkung des arteriellen Blutes mit den Organen entstandene sch\u00e4dliche Combination der Elemente erlitten, die bei dem Athmen und durch Ausscheiden der Kohlens\u00e4ure wieder hergestellt wird. Es bleibt immer sehr merkw\u00fcrdig, dass das ven\u00f6se Blut des Embryo der S\u00e4ugethiere, obgleich er nicht im eigentlichen Sinne athmet, diesen sch\u00e4dlichen, gleichsam erstickenden Einfluss auf das Leben nicht ha*, mag es nun seyn, dass diese sch\u00e4dliche Beschaffenheit des ven\u00f6sen Blutes, wegen des Mangels des Ath-mens und des Mangels der Wechselwirkung wahrhaft arteriellen Bluts mit den Organen, noch nicht sich bilden kann, oder weil das Athmen durch die Verbindung des Embryo mit der Mutter ersetzt wird.\nDa das Blut durch das Athmen best\u00e4ndig Kohlenstoff verliert, so scheint hiedurch die relative Menge des Stickstoffs im K\u00f6rper zuzunehmen. Cuvier glaubt, dass hiedurch die Animalisation der thierischen Stoffe zunehme, weil der Charakter der Thierheit der Azotgehalt der Substanzen ist. Wenn diess richtig w\u00e4re, so m\u00fcssten die Theile eines lebenden Thieres mehr Stickstoff enthalten, als das Fleisch der Thiere, von dem sich ein anderes Tiner n\u00e4hrt, was ein Widerspruch ist. Bei den Fleischfressern w\u00e4re das Athmen in dieser Hinsicht kein Vortheil, und die Pflanzenfresser m\u00fcssten mehr Athmungsbed\u00fcrfniss haben als die Fleischfresser, weil ihre Nahrungsstoffe weniger Stickstoff enthalten. Allein die bei dem Athmen durch Ausscheidung von Kohlenstoff relativ steigende Menge des Stickstoffs im thierischen K\u00f6rper bleibt \u00fcberhaupt nicht, denn best\u00e4ndig wird in dem Harn mit dem Harnstoff und der Harns\u00e4ure, welche mehr Stickstoff enthalten, als irgend ein thierischer Stoff, ein Ueberfluss von Stickstoff aus dem K\u00f6rper ausgeschieden.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organ. Eigenschaften des B/utes. Blutbildung. Secretion. 159\nDen Einfluss der Milz, Nebennieren, Schilddr\u00fcse und Thymusdr\u00fcse auf die Blutbereitung kennt man durchaus nicht. Siebe das N\u00e4here im 2. Buch 4. Abschn.\nDie Abscbeidungen gewisser Stoffe aus dem Blute, welche aus der organischen Oekonomie entfernt werden, haben einen grossen Antheil an der Erhaltung der reinen Mischung des Bluts. Hiehcr geh\u00f6rt die Ausscheidung \u00fcberfl\u00fcssiger oder unbrauchbarer eingef\u00fchrter '1 heile, des A\\ assers (durch Lungen- und flaut-ausd\u00fcnstung und Harn) oder der durch die Nahrungsstoffe eingef\u00fchrten mineralischen Stoffe (meist durch den Harn) und der Stolle, die einen Ueberfluss von Kohlenstoff, oder Stickstoff, oder Sauerstoff, oder Wasserstoff enthalten, durch die Lunge (Kohlens\u00e4ure), oder durch die Leber (kol Ienstoff- und wasserstoffreiche Verbindungen), oder durch den Harn (stickstoffreiche Verbindungen). Auch die Mischung des Blutes kann durch, im Organismus neu entstandene Zersetzungsprodukte, die das Blut in sich aufnimmt, gest\u00f6rt und die Ausscheidung nothwendig werden, wie es mit gewissen Bestandtheilen des Harns zu seyn scheint. ffie-nacli begreift man, wie die einmal vorhandene Mischung sich erh\u00e4lt. Eine andere frage ist, oh die Ausscheidung gewisser Stoffe aus den ins Blut gef\u00fchrten Nahrungsstoffen zur urspr\u00fcnglichen Erzeugung der Blutmischung wesentlich beitrage.\nDie Harns\u00e4ure des Harns, ein stickstoffreiches Produkt, geh\u00f6rt wohl unzweifelhaft zum Theil wenigstens hieher, da ihre Quantit\u00e4t im Harn schon allein durch stickstoffreiche oder Fleisch-Nahrung vermehrt wird, und da sie im Harn der pflanzenfressenden S\u00e4ugethiere von Harnbenzoes\u00e4ure ersetzt wird.\nDer Harnstoff wild nach der Entdeckung von Pr\u00e9vost und Dumas nicht erst durch das Organ seiner Abscheidung, die Nieren, gebildet, sondern findet sich schon in dem Blute vor, wenn die Nieren exstirpirt worden sind, so dass diese Materie im gesunden Blute eben darum nicht gefunden wird, weil sie best\u00e4ndig daraus abgeschieden wird. Nach Exstirpation beider Nieren treten die Zutalle am dritten Tage ein, n\u00e4mlich braune, reichliche und sehr fl\u00fcssige Stuhlg\u00e4nge und Erbrechen, Fieber mit erh\u00f6hter \u25a0Temperatur bis 43\u00b0 Cent., zuweilen Sinken bis 33\u00b0; der Puls wird klein, schnell, und steigt bis 200, das Athmen h\u00e4ufig, kurz, zuletzt schwer. Am f\u00fcnften bis neunten Tage erfolgt der Tod, der in Mayer\u2019s Versuchen (Tied. u. Trevir. Zeitschrift Jur Physiol. 2. 2. \u2022^\u201d8.) schon in 10 \u2014 30 Stunden nach Zittern und Convulsionen erfolgte. Man findet Ergiessung eines hellen Serums in den unholden, die Bronchien voll Schleim, die Leber entz\u00fcndet, den Darm voll fl\u00fcssigen, durch die Galle gef\u00e4rbten Rothes, die Harnblase sehr zusammengezogen. Das Blut der operirten Thiere ( Junde, Kaizen, Kaninchen) war w\u00e4sseriger, und enthielt Harnstoff der durch Alkohol ausgezogen wurde. 5 Unzen Blut eines Hundes\u2019 er 2 Tage ohne Nieren lebte, gaben \u00fcber 20 Gran Harnstoff\u2019 Cnzen Katzenblut 10 Gran. liiblioth. univers. 18. 208. Meck. i n ;\tVauquelin und Segalas haben di\u00e8se Entdeckung\n22!)\t^Iagend- Journ. d. Physiol. 2. 354. Meck. Archiv. 8.\nDas Blut wurde getrocknet, der R\u00fcckstand ausgewaschen","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften eie. I. Absehn. Vom Blut.\ndas Wasser abgedunstet, der R\u00fcckstand mit Alkohol ausgezogen und diese neue Aufl\u00f6sung wieder abgedunstet, Hiebei ist jedoch die Vorsicht n\u00f6thig, das Wasser in der K\u00e4lte und neben Schwefels\u00e4ure im leeren Raume verdunsten zu lassen. So erhielten sie aus dem Blut eines Hundes, dem 60 Stunden nach der Operation die Adern ge\u00f6ffnet wurden, , 'Harnstoff. Her Harnstoff und die Harns\u00e4ure sind die stickstoffreichsten organischen Stoffe die man kennt. Der Harnstoff\u2019 enth\u00e4lt in 100 Thl. 46,65 Stickl Stoff, 19,97 Kohlenstoff, 6,65 Wasserstoff, 26,63 Sauerstoff. Von der Harns\u00e4ure weiss man noch nicht, oh sie schon im Blute vorhanden ist und das Zersetzungsprodukt nur ausgeschieden wird oder erst in den Nieren entsteht, obgleich hei den Gichtanf\u00e4llen harnsaures Natron aus dem Blute in verschiedene Theile, z. B. in die N\u00e4he der Gelenke, in Gichtknoten, abgelagert wird. Der Harnstoff kann nach Woehler\u2019s Entdeckung (wie pag. 3. angef\u00fchrt wurde) k\u00fcnstlich gebildet werden, und enth\u00e4lt dieselben Bestandtlieile, wie cyaniclitsaures Ammoniak, oder nach deV neuern, auf Woehler\u2019s und Liebig\u2019s Untersuchungen gegr\u00fcndeten Nomenclatur (Berz. Jahresh. 11), wie cyansaures Ammoniak. Die Harns\u00e4ure liefert nach Kodweiss hei allen Zersetzungen derselben mit Salpeters\u00e4ure auch Harnstoff. Berz. Thierch. 702.\nDa der Harnstoff im Blule seihst schon vorhanden ist, so kann man in Hinsicht seines Verh\u00e4ltnisses zum Blute annehmen: 1. dass er hei der Umwandlung der Nahrungsstoffe in die wesentlichen Bestandtlieile des Blutes schon als eine unbrauchbare Combination entstehe, oder 2. dass er erst ein Zersetzungsprodukt der organisirten Theile sey. Das Erstere k\u00f6nnte man daraus schliessen, dass Tiedemann und Gmelin in einem ihrer Versuche mit dem Chylus das dem Osmazom des Chylus heigemischte Kochsalz statt in W\u00fcrfeln in Octa\u00f6dern anschiessen sahen, w\u00e4hrend das Kochsalz in anderen dieser F\u00e4lle w\u00fcrflig war, der Harnstoff aber sonst die Krystallisationsform des Kochsalzes in Octa\u00f6der umwandelt. Tiedemann und Gmelin Versuche, \u00fcber die Verdauung. 2. 91. Allein andere Gr\u00fcnde machen diess unwahrscheinlich. Denn einiger Harn wird auch hei Monate lang hungernden Amphibien gebildet, und Lassaigne hat im Harn eines Verr\u00fcckten, der 18 Tage hungerte, die Bestandtlieile des gesunden Harns gefunden. J. de chim. m\u00e9d. 1. 272. Ferner ist der Harn der pflanzenfressenden Thiere, deren Nahrung doch sehr wenig Stickstoff enth\u00e4lt, nicht arm an stickstoffreichen Bestand-thciien des Harns, wie Harnstoff. Es ist zwar gewiss, dass der Harn best\u00e4ndig Unbrauchbares aus den Nahrungsstoffen ausscheidet, sich nach der Nahrung ver\u00e4ndert, z. B. mehr Harns\u00e4ure enthalt bei Fleischnahrung. Bei mit stickstofffreien Stoffen gen\u00e4hrten V\u00f6geln enthalten die Excremente wenig weisse Materie, Harns\u00e4ure, viel weniger als hei F\u00fctterung mit Eiweis?. Tiedemann u. Gmelin die Verdauung. 2. 233. Bei pflanzen- und fleischfressenden Thieren ist der Harn consequent verschieden (indem der Harn der pflanzenfressenden S\u00e4ugcthiere statt Harns\u00e4ure, Ilarn-benzoes\u00e4ure enth\u00e4lt und statt sauer alkalisch ist, und der Harn der V\u00f6gel saures harnsaures Ammoniak, der Harn der pflanzen-","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"4 Organ. Eigenschaften des Blutes. Blutlildung. Secretionen. 1.61\nfressenden V\u00f6gel aber keinen Harnstoff enth\u00e4lt) ; aber es ist doch unzweifelhaft, dass gewisse Beslandtbeile des Harnes auch von Zersetzung des Blutes oder der organisirten Theile entstehen. Da es also \u00abewiss scheint, dass die Produkte des Harnes nicht allein zur Erzeugung der Mischung des Blutes aus dem Blute ausgeschieden werden, so kann man sieh vorstellen, dass Harnstoff entweder durch das Unbrauchbarwerden der Bildungstheilchcn des Blutes, oder der Organe entsteht, oder dass hei der zum Lehen nothwendigen Wechselwirkung des arteriellen Blutes mit den Organen, entweder gewisse Bestandtheile des Blutes, oder der Organe zu unbrauchbaren Comhinationen, d. h. zersetzt werden. Das Letztere wird deswegen unwahrscheinlich, weil der Embryo auch wenigstens Harns\u00e4ure bildet, die sich in der Allantois nicht allein der V\u00f6gel, sondern auch hei S\u00e4ugetieren findet, die S\u00e4u-gethierfoetus aber im Uterus der Mutter, dem eigentlichen Sinne des Wortes nach, nicht atmen, wenn das Alhrnen auch durch die Verbindung mit der Mutter ersetzt -ist.\u201c Uebrigens hingt die Bildung von Zersetzungsprodukten schon ausserordentlich fr\u00fche hei dem Embryo an. Zwar bilden sich die Nieren in dem bebr\u00fcteten Vogelei erst gegen den sechsten Tag, und hei dem Embryo der Fische und Salamander nach meinen Untersuchungen erst nach dem Embryonenzustand im Larvenzustand; allein ausserordentlich fr\u00fche sind andere Ausscheidungsorgane an der Stelle der Nieren, die von Rathke und mir genau beschriebenen Wolff\u2019-schen K\u00f6rper, bestehend aus hohlen, zu einem Ausf\u00fchrungsgange verbundenen Blindd\u00e4rmcben, Organe, die sich heim Vogelembryo schon am dritten Tage bilden, nach meinen Beobachtungen vom Vogelembryo sp\u00e4ter ein wirkliches gelbes, dem Vogelharn \u00e4hnliches Sekret aussondern, w\u00e4hrend die Allantois der V\u00f6gel zugleich nach den ersten Tagen der Bebr\u00fctung schon Harns\u00e4ure enth\u00e4lt, wie Jacoissox (Meckel\u2019s Archie S. 332.) entdeckt hat. Diese Organe sind hei dem Embryo aller Wirbelthiere mit Ausnahme der Fische vorhanden, sie verschwinden bald fr\u00fcher, bald sp\u00e4ter, hei den nackten Amphibien erst mit dem Larvenzustand, hei den V\u00f6geln um die Zeit des Auskriechens und sp\u00e4ter, bei den S\u00e4u-gethieren sehr fr\u00fch und hei dem Menschen am aller fr\u00fchesten: J. Mueller, JBildungsgeschichte der Genitalien. D\u00fcsseldorf 1S30.\nDurch die Haut verliert das Blut an Zersetzungsprodukten Milchs\u00e4ure und milchsaures Ammonium, salzsaures Ammonium, Kohlens\u00e4ure. Die Milchs\u00e4ure, die auch im Harne ausgeschieden wird, ist nach Berzelius ein allgemeines Produkt der freiwilligen Zerst\u00f6rung thierischer Stolle inner halb des lebenden K\u00f6rpers ; sie bildet sich in grosser Menge in den Muskeln, wird vom Blute \u00abnd dessen Alkali ges\u00e4ttigt, und in den.Nieren mit saurem Harne abgeschieden.\nDie Galle spielt eine wichtige, nicht n\u00e4her gekannte Rolle in der Umwandlung der Nahrungsstoffe im Darme. Ihre Ergiessung 111 denjenigen Theil des Darmes, wo die Bildung des Chymus vollendet wird, bei Wirbelthieren und Mollusken beweist, dass sie nicht bloss exkrementiell ist; \u00fcbrigens wird der quantitativ wich-tigste Bestandteil der Galle, das Pikromel, offenbar aut die Lm-\n\u00bbHUler\u2019s Physiologie. I.\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162 I. Buch. Von den organ, S\u00e4ften etc. I. Abschn. Vom Blut.\nWandlung des Chymus verwandt, da es sich unter den Excremen-ten nicht vorfindet. Aher die Galle enthalt gewiss auch excre-mentielle Stoffe, von welchen das Blut befreit wird, und die wesentliche Theile der Darmexcrcmente sind, wie das Gallenharz, das Gallenfett und der Fiirhestofl der Galle, wovon sic!) wiederum keine Spuren in dem Chyllis vorfinden. Das Blut wird daher durch die Leber von einem Uebersehuss von kohlenstoff-wasser-stoffigen Bestandteilen und von Fett befreit, w\u00e4hrend in den Nieren ein Uebersehuss von \u00fcberstickstoffreichen Bestandteilen ausgeschieden wird. Von den excrementiellen Stoffen der Galle ist der h arbestoff derselben stickstoffhaltig. Die Lungen und die Leber k\u00f6nnen insofern Verglichen werden, als beide kohlenstoffhaltige Produkte ausscheiden, erst.ere jedoch im comburirten Zustande, Kohlens\u00e4ure, letzte im comhustiheln Zustande. Schon \u00e4ltere Naturforscher, in dcr neuern Zeit Autenrieth, und besonders Tiedemann und Gmrlin haben auf ein gewisses Wechselver-h\u00e4ltniss zwischen Lungen und Leber aufmerksam gemacht. Obgleich es sich nicht durchf\u00fchren l\u00e4sst, dass die Gr\u00f6sse der Leber im umgekehrten Verh\u00e4ltnisse mit dem Athinungsorgane in der Thierwelt wachse, so sprechen doch pathologische Beobachtungen f\u00fcr eine solche Beziehung.\nDie excernironde Th'\u00e4tigkeit der Leber zeigt sich auch unter Umst\u00e4nden, wo nicht verdaut wird. Denn obgleich das Fruchtwasser von dem Foetus i\u201e ,1er sp\u00e4tem Zeit verschluckt wird, so ist doch die Leber sehr fr\u00fch ausgebildet und sondert ab, und die Galle, wenn gleich weniger bitter und gef\u00e4rbt, enth\u00e4lt nach Lassaigne {arm. de chirn. e/ phys. 17. 304.) eine gr\u00fcne harzige Materie und einen gelben Farbestoff, aher kein Pikromel. In der That sammelt sich ,|ie excrementielle Galle des Foetus mit Darmschleim vermischt irn untern Theile des Darmes als sogenanntes Mekonium an. So dauert nach Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Untersuchungen die Absonderung der Galle in dem Darme hei winterschlafenden Thierei, fort. Diese Naturforscher f\u00fchren auch an, dass nach Cuviers Beobachtung in mehreren Mollusken nur der kleinste Xheil der Galle in den obern Theil des Darmes ergossen, und nie \u00fcbrige Galle durch einen hesondern Ausf\u00fchrungskanal entweder in den Blinddarm, wie bei Aplysia, oder gar in die N\u00e4he des Atters, wie bei Doris und Tethys, ausgeleert werde. Hier muss ich jedoch bemerken, dass es noch sehr zweifelhaft ist, ob das Secret, welches bei den letztem in die N\u00e4he des Afters ausgeschieden wird, Galle ist, und dass es keinesweges der gr\u00f6sste Theil derselben seyn kann. Nach meinen Untersuchungen an mehreren grossen Doris fand ich den merkw\u00fcrdigen Ausl\u00fchrungsgang, den Cuvier entdeckt hat. Er scheint aher nicht wie die Gallenkan\u00e4le, aus den traubenf\u00f6rmigen Bl\u00e4schen der Leber, sondern mit vielen Aesten, die zum Theil zwischen den Lappen der Leber verlaufen, aus einem netzf\u00f6rmigen Gewebe, welches sich \u00fcber die Oberfl\u00e4che der ganzen Leber ausdehnt, zu entspringen, w\u00e4hrend ein grosser Stamm aus dem Innern der Leber hinzuk\u00f6mmt. Mir- scheinen hier zweierlei Ausscheidungen aus dem Blute, welches sich in die Masse der Leber verbreitet,","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"1. Formen des Gef\u00fcssystcms in der Thier weit.\n163\nstatt zu finden, w\u00e4hrend die Apparate der Umwandlung des Blutes in zwei verschiedene Secrete doch vielleicht verschieden sind. Dem Orte der Ausm\u00fcndung nach hat jener Gang viel Aehnlich-keit mit dem Ausf\u00fchrungsgange des saccus calcareus der Schnek-ken aber ihr Ursprung ist freilich sehr verschieden.\nDie H\u00e4ufigkeit der Leberkrankheiten in den heissen Climaten und Jahreszeiten, so wie auch die der Darmkanalaffectionen unter denselben Bedingungen, die H\u00e4ufigkeit der Leber- und Un-terleibsaffectionen hei feuchter und Sumpf-Luft sind noch ein R\u00e4thsel. K\u00f6nnte man sich erkl\u00e4ren, wie diese Umst\u00e4nde den Kreislauf erschweren, und Stockungen des Blutes veranlassen, so w\u00e4re freilich leicht einzusehen, warum Leber und Darmkanal hiebei am meisten leiden, weil die Circulation in diesen Einge-weiden doppelt erschwert werden muss; indem das Darmvenen-und Pfortaderblut nicht sogleich wieder in den allgemeinen Kreislauf gelangt, sondern erst die Leber zu durchkreisen hat. Vergl. Tiedemann und Gmelin die Verdauung. 11. Theil. Tiedemann und Gmelin behaupten, dass die vermehrte Gallenahsonderung in tropischen Climaten die verminderte Purification des Blutes in den Lungen compensire, welche Mehrere von der Verd\u00fcnnung der LuS't in Folge der Hitze ableiten. Stevent {olserv. on the healthy and diseased properties oj the Hood, London 1832. p. 59.) h\u00e4lt diese Annahme f\u00fcr unrichtig. Denn in Westindien, wo die kleinsten Inseln die trockensten und heissesten seyen, wo aber stagni-rende Wasser fehlen, seyen die Einwohner frei von Leberkrankheiten oder vermehrter Gallenabsonderung, und diese seven in heissen Climaten nur bei Sumplluft herrschend.\nII. Abschnitt. Von dem Kreisl\u00e4ufe des Blutes und von dem Bin I gef\u00e4sssystem.\n1. Capilcl. Von den Formen des Gel'\u00e4sssystems in der Thierwelt.\nDie organisch-chemischen Ver\u00e4nderungen des Blutes in einzelnen Theilen, und die Nothwendigkeit dieser Ver\u00e4nderungen des Blutes f\u00fcr alle Theile, machen den Kreislauf des Blutes unentbehrlich. Die Ilaupttriehfeder dazu ist die rhythmische Bewegung des Herzens. Das Herz ist derjenige Theil des Gef\u00e4sssystems, welcher durch Muskelsubstanz, die den Blutgef\u00e4ssen sonst fehlt, contractil ist. ln der einfachsten Form ist das Herz daher seihst ,'0CB gef\u00e4ssartig, wie die gef\u00e4ssarligen mehrfachen Herzen der Anneliden, welche zugleich die Hauptgef\u00e4ssst\u00e4mme sind, die eon-tractilen Gef\u00e4ssst\u00e4mme auf dem Darm der Holothurien, das in\n11 *","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164 I. Buch. Von dm organ. S\u00e4ften etc. II. Absrhn. Vom Blutkreislauf'\neine Reihe von communicirenden Kammern getheilte R\u00fcckenge-fass der Insekten. Wie richtig diese Ansicht ist, 'sieht man sehr deutlich hei einzelnen Abtheilungen der Krebse, z. B. den Scj\u00f9iL len, deren Herz ein contractiles R\u00fcckcngelYiss ist, wahrend dasselbe Herz hei den Dekapoden eine kurze und umschriebene Kammer darstellt.\nBei dem Embryo der h\u00f6heren Thiere ist das Herz anfangs schlauchartig, und nichts Anderes als eine contractile Umbiegung der Venenst\u00e4mme in den Arterienstamm. Ja seihst beim Erl waclisenen rechtfertigt sich diese Ansicht noch. Das Herz besteht hier hei den h\u00f6heren Thieren aus einem kurzen doppelten muskul\u00f6sen Schlauche, aber die contractile Substanz verbreitet sich noch eine Strecke auf die einmiindenden Venenstamme, und bei den Fischen und Amphibien sogar noch auf einen Tlieil des Truncus arteriosus, den sogenannten Bulbus aortae. Dass sich die Stamme der Hohlvenen regelmassig wie das Herz selbst zusammenziehen, kann man beim Frosche unzweifelhaft sehen Halt .er, Spallanzani und Wedemever haben diess schon gesehen. Haller, elemcnta physiol. I. 1. 125. Die Zusammenziehung erstreckt sich, aide ich sehe, an der untern Hohlvene bis an die Leber, und dauert noch an den Venenst\u00e4mmen rhythmisch fort nach Entfernung des Herzens. Zuerst ziehen sich die Hohlvencn dann die Vorh\u00f6fe, dann die Kammer, dann der Bulbus aortae zusammen. Dieselbe Erscheinung von Contraction der Venenst\u00e4mme habe ich hei S\u00e4ugethieren beobachtet, sowohl heim jungen Marder als hei der jungen Katze, wo die Zusammenziehung der Hohlvenen und der Lungenvenen aber gleichzeitig mit der Zusammenziehung der Vorh\u00f6fe ist. So weit \"man die Lungenve-nenst\u00e4mme in die Substanz der Lungen verfolgen kann, sieht man beim jungen Thiere die deutlichste Zusammenziehung der Lungenvenen, die nur nach Quetschung dieser Venen auf h\u00f6rt. Eben so deutlich ist die Zusammenziehung des Anfanges der obern Hohlvene am Herzen; aber man kann w\u00e4hrend der Zusammenziehungen deutlich sehen, wie weit sich die contractile Substanz der Hohlvene erstreckt. Ueber diese Grenze hinaus zeigt der \u00fcbrige Theil der Hohlvene keine Spur von Zusammenziehung, und ist vielmehr vom Blute strotzend und erweitert, zur Zeit, wo die an den rechten Vorhof stossenden Theile der Hohlvenen zusammengezogen sind. An dem Anfangsst\u00fccke der Hohlvenen der Schlangen hat Retzius, und an der untern Hohlvene der S\u00e4ugetiere hat E. H. Weber eine Schichte eigent\u00fcmlicher Fasern beschrieben.\nDiese Beobachtungen zeigen, dass das Herz in seiner einfachsten Form nur der mit Muskelsubstanz belegte, activ bewegende Theil des Gef\u00e4sssystems ist, dass es immer noch Herz bleibt, wenn es auch bei den niederen Thieren nur einen contractilen Gef\u00e4ssstamm darstellt. Der \u00fcbrige Theil des Gef\u00e4sssystems besteht nur aus R\u00f6hrenleitungen, die in Hinsicht der Bewegung passiv sind, aber andere wichtige Einfl\u00fcsse haben k\u00f6nnen, z. B. dass sie durch einen nicht n\u00e4her gekannten Einfluss das Blut fl\u00fcssig erhalten, obgleich stillstehendes Blut auch in den Ge-","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"1. Formen des Gefiisssystems in der Thierwell.\n165\nfassen gerinnt, und den Stoffwechsel durch ihre Wandungen\nvermitteln.\t>\nDie Circulation des Blutes (im Jahre 1619 von Harvey hei den h\u00f6heren Thieren entdeckt) bew\u00e4hrt sicli mit dem Fortschritte der Beobachtungen immer mehr, auch hei den einfachen Thieren obgleich man sie noch nicht fur einen allgemeinen Charakter aller Thiere erkl\u00e4ren kann. Aber je weiter die Beobachtungen fortschreiten, je mehr entdeckt man Spuren von Gelassen bei den einfachsten Thieren. Ehrenberg hat sie von den R\u00e4der-tbierchen beschrieben, und die mikroskopische Kleinheit scheint eine solche Zusammensetzung nicht aus/.uschliessen.\nIm Folgenden habe ich das Haupts\u00e4chlichste unserer mehr sicheren Kenntnisse \u00fcber die Formen des Gelasssystems zusammengestellt. Bei mehreren niederen Thieren giebt es kleine cir-kelf\u00f6rinige Kreisl\u00e4ufe von K\u00f6rnchen, \u00e4hnlich wie hei den Cba-rcn. Diese Cirkelbewegungerj scheinen von einem Herzen unabh\u00e4ngig zu seyn und durch W imperbewegung bedingt zu werden. Richer geh\u00f6ren die von Nordmann in der H\u00fclse der Alcyonella diaphana, die von Carus unter den Ambulacra der Seeigel beobachteten kleinen abgeschlossenen Kreisl\u00e4ufe; die von Eurenberg beobachteten Cirkelhewegungen von K\u00f6rnchen hei den Medusen und in den einziehbaren Fasern aut .den R\u00fccken der Asterien. Muell. Arch. 1834. 571. Die auf- und absteigenden Bewegungen in dem Stamme der Sertularinen, die Meyen (Noo. ad. nal. cur. Vol. 16. Suppl.) und Lister (Philos. 'Iransact. 1834.) beobachteten, sind ein Ph\u00e4nomen anderer Art. Nach Lister h\u00e4ngen diese Str\u00f6mungen mit dem Magen zusammen und ver\u00e4ndern von Zeit zu Zeit ihre Richtung. H\u00e4lt man die H\u00f6hlung des Stammes dieser Polypen mit Ehrenberg Ihr den Verdauungsschlauch, so verlieren jene Bewegungen ihr Interesse in Hinsicht der Lehre von der Circulation. Bei einigen niederen Thieren mit verzweigtem Gef\u00e4sssystem wird die Bewegung der S\u00e4fte gleichwohl noch nicht durch ein Herz oder Zusammenziehung der Gef\u00e4sse, sondern durch Wimpern an den W\u00e4nden der Gelasse bedingt. Dabin geh\u00f6ren das von Nordmann (mikrograph. Beitrage 1832) beobachtete Diplozoon und andere Entozoen, so wie Ehrf.nberg\u2019s Turbellarien. Ehrenberg und v. Siebold haben die Ursache dieser Bewegungen in schlagenden Wimpern erkannt. Muell. Aich. 1836. Jahresh. CXXXVI.\nBei den Medusinen geschieht die Verbreitung der Safte durch gef\u00e4ssartig verzweigte Magens\u00e4cke. Bei den Planarien nnd Saugeingeweidew\u00fcrmern, Trematoda, giebt es auch einen gef\u00e4ssartig verzweigten Darm. Bei den niederen Thieren, deren Kreislaut man genauer beobachtet hat, bei Echinodermen und Hirudineen ist die Blutbewegung durch einfache, doppelte oder mehrfache contractile Gef\u00e4ssst\u00e4mme bewerkstelligt. Die Gef\u00e4ss-st\u00e4mme sind aber keine Arterien- und Venenst\u00e4mme, sondern sum Theil contractile Herzen, die das Blut in die Zwischenge-f\u00e4sse treiben.\nDas von Tiedemann bei den Holothurien entdeckte Gel\u00e4ss-system gemeinschaftlich auf dem Darmkanale und dem Allicmor-","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\ngan scheint hierhin zu geh\u00f6ren (in der Haut ist \u00fcberdiess ein eigenes System von Wasserkan\u00e4len zur Anschwellung der F\u00fchlw\u00e4rzchen.) Anatomie der R\u00f6hrenholothufie etc. Hei den W\u00fcrmern mit rothem Blute gieht es auch noch keinen deutlichen Unterschied von Arterien- und Venenst\u00e4mmen, sondern einfache, doppelte und mehrfache contractile Gef\u00e4ssst\u00e4mme, welche sich abwechselnd bald f\u00fcllen, bald zusammenziehen, und das Blut durch die zwischenliegenden Aeste und Gef\u00e4ssnetze treiben. Die Zusammenziehungen der Gef\u00e4ssst\u00e4mme schreiten in einer gewissen Richtung vorw\u00e4rts, und treiben das Blut nach Duges in den gr\u00f6sseren Gef\u00e4ssst\u00e4mmen im Kreise herum; entweder in horizontaler Richtung, wie bei den Ilirudineen, wo die Ilauptst\u00e4mme zu beiden Seiten liegen, oder in vertikaler Richtung, wo die Ilauptst\u00e4mme oben und unten liegen, wie bei den Lumbricinen, Are-nicolen, Naiden. Zu gleicher Zeit wirft sich das Blut abwechselnd durch die Quergef\u00e4sse von einer zur andern Seite, indem der eine Stamm gef\u00fcllt wird, w\u00e4hrend der andere sich contra-hirt, wie man diess von Hirudo vulgaris weiss. Siehe J. Mueller, Meckel\u2019s Archiv 1828. und meine Beobachtungen \u00fcber Are-nicola in Burdacii\u2019s Physiologie. Bd. 4., \u00fcber die W\u00fcrmer \u00fcberhaupt Duges Arm. des sc. nat. T. 15. Es giebt bei diesen Thie-ren einen unvollst\u00e4ndigen Kreislauf (durch die St\u00e4mme), und zugleich alternirende Fluctuation. Ich glaubte zu sehen, dass bei Ilirudo vulgaris beide Seitengef\u00e4sse abwechselnd von hinten nach vorne zu leer werden. Duges dagegen behauptet, dass die Bewegung im Kreise herum gehe. Die Athemorgane der Anneliden sind mannigfach, Kiemenb\u00fcschel, wie in den Arenicolen, oder Lungenbl\u00e4schen, und erhalten ihr Blut wie die \u00fcbrigen Organe von Aesten der IJauptgef\u00e4sse. Die Nereiden haben nach R. Wagner zwei L\u00e4ngsst\u00e4mme, einen auf dem R\u00fccken, der von hinten nach vorn das Blut treibt und pulsirt, den zweiten am Bauche, unter dem Darme (oder dem Nervenstr\u00e4nge), der nicht pulsirt oder sich contrahirt; ausserdem linden sich Quergef\u00e4sse, obere und untere f\u00fcr die Leibesringe; letztere puisiren herrlich und entspringen aus dem Bauchl\u00e4ngsstamme, sie gehen in die Ruderplatten odef Fiisse (Kiemen); aus diesen entspringen die oberen nicht pulsirenden, die zum R\u00fcckenstamme gehen. Bei den Thieren mit einem contraction Gef\u00e4ssst\u00e4mme giebt es einen vollst\u00e4ndigen einfachen Kreislauf ohne Fluctuation mit arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Str\u00f6men. So bei den Insekten, wo Carus den einfachen Kreislauf vom contractilen R\u00fcckengelasse aus und hinten zum R\u00fcckengef\u00e4sse zur\u00fcck entdeckt hat. Carus Entdeckung eines Blutkreislaujes etc. Leipz. 1827. I\\ oi>. act. nat. cur. T. 15. p. 2. Die Str\u00f6mchen sind sehr einfach und ohne Verzweigung; die F\u00fcsse z. B. haben nur zwei einfache entgegengesetzte Str\u00f6me, die unmittelbar in einander umbiegen. Gef\u00e4sstr\u00f6me der Organe sind noch nicht bekannt. Doch habe ich schon im Jahre 1824 den Zusammenhang der Eierr\u00f6hren mit dem R\u00fcckengef\u00e4sse oder Herzen vieler Insekten entdeckt und beschrieben. JYoe. act. nat. cur. T. 12. 2. Vergl. Wagner Isis 1832. 320. Wagner hat diese Verbindungen best\u00e4tigt; er h\u00e4lt sie aber mit Carus, Treviranus","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"1. Formen des Gef (isssyst ems in der Thicrwelt.\n167\nlltu{ Burmeistfr nicht l\u00fcr Blutgef\u00e4sse. Die Erkl\u00e4rung ist ungewiss, die Thatsachen sind unzweifelhaft, obgleich ich seihst jene Verbindungen hei zwei Insekten vermisst b\u00e4he. Wagner hat Ca-jujs Beobachtungen \u00fcber den sichtbaren Kreislauf der Insekten nicht allein best\u00e4tigt, sondern auch erweitert, er hat die Blutk\u00f6rperchen zu den Seiten des Darmes und R\u00fcckengefasses in zwei ven\u00f6se Str\u00f6me vertheilt fliessen gesehen, wahrscheinlich ohne Gelasse, und sah zugleich Blutk\u00f6rperchen von diesen Str\u00f6men aus in das R\u00fcckengef\u00e4ss durch Seitenspalten eintreten, Schon Straus hat diese Seitenspalten an den verschiedenen Abtheilungen des R\u00fcckengefasses beschrieben. Nach Straus besteht das R\u00fcckengefass des Maik\u00e4fers aus acht Kammern, die durch zweilippige, nach vorne gerichtete Klappen communiciren, und das Blut von hinten nach vorne durchtreten lassen. Considerations g\u00e9n\u00e9rales sur l\u2019anatomie des animaux articul\u00e9s etc. Paris IS29.\nEinen fast eben so einfachen Kreislauf scheinen die einfachen Crustaceen (Asseln, Daphnien) nach Zenker ur.d Gruithuisen, und die Spinnen zu besitzen. Die Lungen- oder Kiemen-Blutbahn ist noch nicht von der allgemeinen Bluthahn abgesondert. Bei diesen niederen Crustaceen und hei den Lungenspinnen athmet ein Theil des Blutes in dem Athemorgane w\u00e4hrend des Kreislaufes. Bei den Insekten und Luftr\u00f6hrenspinnen athmet das Blut im ganzen K\u00f6rper, da sich die Luftr\u00f6hren in allen Theilen bis aut das feinste verzweigen. Bei den eigentlichen Krebsen giebt es entweder ein langes r\u00f6hriges Merz, wie hei den Squillen, oder ein kurzes und breites, wie hei den \u00fcbrigen Krebsen. Die ven\u00f6sen Str\u00f6me f\u00fchren das K\u00f6rpervenenblut erst in die Kiemen, die Kiemenvenen zum Herzen, das Herz zum K\u00f6rper. Dass diese von Audouin und Edward\u2019s entdeckten Verh\u00e4ltnisse wirklich stattlinden, davon habe ich mich zu Paris am Hummer durch Injection \u00fcberzeugt, und ich halte die h\u00e4utige Decke \u00fcber dem Herzen mit Meckel nicht f\u00fcr einen Vorhof, wof\u00fcr ihn Straus nimmt. Siehe Ann. des sc. nat. 1827. Tab. 24 \u2014 32.\nBei den Mollusken ist der Kreislauf \u00e4hnlich wie hei den Krebsen. Nur hei den schalenlosen Acephalen (Ascidien, Salpen) gehen die Kiemenvenen unmittelbar zur Kammer, hei anderen, wie bei den meisten Gasteropoden (Schnecken), gelangt ihr Blut zuerst zu einem Vorhof, und hei den zweischaligen Muscheln in zwei Vorh\u00f6fe, und von dort zur Kammer. Das K\u00f6rpervenenblut gelangt bei den meisten Mollusken ganz in die Kiemen, bei den zweischaligen Muscheln (nach Bojanus Isis 1819.) gelangt ihr K\u00f6rpervenenblut durch das von ihm f\u00fcr eine Lunge, von Neuern f\u00fcr eine Niere gehaltene hohle, mit einem Ausf\u00fchrungsgange versehene Organ) und dann gr\u00f6sstentheils in die Kiemen, w\u00e4hrend ein Theil sogleich, ohne erst durch die Kiemen zu gehen, in die Vorh\u00f6fe gelangt. Dagegen sagt Treviranus (Erscheinungen u. Gesetze des organ. Lebens. I. p. 227.), dass hei den zweischaligen Muscheln ein Theil des Kiemenvenenblutes von den Kiemen noch erst das schwammige Organ durchkreise, und dann zum Herzen gelange; so wie hei den Schnecken, Limax und Helix, das Lun-geiWenenbh.it zum Theil, ehe cs zum Herzen gelange, zu dem","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nHarns\u00e4ure absondernden Organ (sacc. calcareus) gebe, und dann sich wieder sammele, um in den Vorhof zu gelangen.\nBei den Sepien unter den Mollusken sind 3 getrennte Kammern vorhanden, das K\u00f6rperherz giebt die K\u00f6rperartcrie ah, die K\u00f6rpervenen f\u00fchren das Blut in '2 seitliche Kiemenherzen; von dort gelangt es durch die Kiemenarterien in die Kiemen und durch die Kiemenvenen wieder ins Aortenherz.\nSobald in der Thierwell ein wahrer Kreislauf auftritt, h\u00e4ngen alle ferneren Modifikationen von dem Verh\u00e4ltnisse ab, welch es die Gef\u00e4sse des Athemorganes (Lunge oder Kieme) oder die Gef\u00e4sse des kleinen Kreislaufes zu den K\u00f6rpergef\u00e4ssen oder den Gelassen des grossen Kreislaufes haben. Entweder athmet nur ein Thcil des Blutes w\u00e4hrend des grossen Kreislaufes, und der kleine Kreislauf ist nach Cuvier\u2019s Ausdruck nur ein Bruch des grossen, oder alles Blut muss zuerst den kleinen Kreislauf der Lungen oder Kiemen durchgeben, ehe es im K\u00f6rper verbreitet wird. Im ersten Falle befinden sich unter den Wirbellosen die niederen Crustaceen (Spinnen?), W\u00fcrmer, unter den Wirbelthie-ren die Amphibien. Im zweiten Falle sind die Mollusken, die eigentlichen Krebse, die Fische, V\u00f6gel, S\u00e4ugethiere und der Mensch. Die Fische scheinen in dieser Hinsicht \u00fcber den Amphibien zu sieben, und letztere sogar den Mollusken und Crustaceen untergeordnet zu seyn. Allein Cuvier bemerkt richtig, dass das Athmen im Wasser weit unvollkommener als in der Luft sey, und dass also das halbe Athmen der Mollusken, Krebse und Fische bei einem ganzen kleinen Kreisl\u00e4ufe im Resultate nicht abweiche von dem ganzen Athmen der Amphibien bei einem halben kleinen Kreisl\u00e4ufe. Die luftathmenden Schnecken scheinen nun immer noch h\u00f6her zu stehen, als die luftathmenden Amphibien, insofern nur ein Thcil des Blutes bei den letzteren, alles Blut bei den ersteren athmet. Allein das Blut vertheilt sich in den Lungen der Schnecken ,nur ganz unbedeutend gegen die Ver\u00e4stelung und den Gef\u00e4ssreichthum in den Lungen der Amphibien. Die nackten Amphibien athmen in der Jugend, so lange sie Larven sind, mit Kiemen aus Wasser, und da dann nur ein grosser Theil des Blutes athmet, bei den Fischen aber alles Blut, um in den K\u00f6rper zu gelangen, durch die Kiemen muss, so sind die Larven der Amphibien allerdings hierin den Fischen untergeordnet. Diese Anordnung ist aber, wie wir sehen werden, noth-wendig bei den Larven der Amphibien, wenn sich aus ihrem fr\u00fchem Kiemenkreislaufe der sp\u00e4tere Lungenkreislauf ausbilden soll.\nDie Mannigfaltigkeiten, welche die Natur in dem Urspr\u00fcnge der Athemarterien und Athemvenen aus dem grossen Kreisl\u00e4ufe darbietet, sind sehr gross, und es scheinen selbst alle denkbaren F\u00e4lle dieses Verh\u00e4ltnisses von der Natur ersch\u00f6pft zu seyn.\nA. Der kleine Kreislauf ein Theil des grossen Kreislaufes.\n1. Der kleine Kreislauf ein Theil des ven\u00f6sen Gef\u00e4sssystems. Bei den zweischaligen Muscheln kehrt, wenn Bojamus Darstellung richtig ist, ein Theil des K\u00f6rpervenenblutes unmittelbar zu den Vorh\u00f6fen, der gr\u00f6ssere Theil durchkreist die Kiemen, und kehrt zu den Vorh\u00f6feu zur\u00fcck. 2. Der kleine Kreislauf) ein Theil des","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"1. Formen des Gef\u00e4sssystems in der Thier weit.\n1G9\narteri\u00f6sen Gef\u00e4sssystems. Bei den Proteideen (Proteus) unter den nackten Amphibien, und bei den Fr\u00f6schen und Salamandern im Larvenzustande gellen die Aortenbogen die Kiemenarterien als Seiten\u00e4ste ab, und nehmen die Kiemenvenen als Seiten\u00e4ste auf.\n3 Der kleine Kreislauf, ein Theii des arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Gef\u00e4sssystems. a) Die Salamander und Fr\u00f6sche haben in deT sp\u00e4teren Zeit Lungen, keine Kiemen mehr, die Proteideen haben Kiemen und Lungen durchs ganze Leben. Bei beiden sind die Lungenarterien Aeste von Aortenbogen, die Lungenvenen gehen ?.uro linken Vorhof, die K\u00f6rpervenen zum rechten Vorhof, wie j Pavv, Martin St. Ange und M. Weber entdeckt haben. h) Bei den beschuppten Amphibien geht die art. pulm aus dem Hauptarterienstamme, oder aus der Herzkammer seihst mit den anderen Arterien hervor, Kiemenvenen zum linken, K\u00f6rpervenen zum rechten Vorhof der einfachen Herzkammer.\nB. Der kleine Kreislauf im Gegensatz des grossen Kreislaufes.\n1. Der kleine Kreislauf entstehend aus den K\u00f6rpervenen und r\u00fcckkehrend zum Herzen: Mollusken, Krebse. 2. Der kleine Kreislauf mit den Kiemenarterien entstehend aus dem ArteriensLiele des Herzens, und r\u00fcckkehrend durch die Kiemenvenen zu einem neuen Arterienstamme f\u00fcr den \u00fcbrigen K\u00f6rper : bische. Ein Vor-liof der K\u00f6rpervenen, eine Kammer. 3. Der kleine Kreislauf entstehend aus der Lungenkammer, r\u00fcckkehrend zur Kammer des grossen Kreislaufes, a) Bei den .Sepien sind das Aortenherz und die beiden Kiemenherzen von einander getrennt, und ohne Vorh\u00f6fe. b) Bei den V\u00f6geln, S\u00e4ugethieren und dem Menschen giebt es eine Lungen- und eine K\u00f6rperarterienkammer, beide mit einem Vorhofe; diese Herzen bilden ein vereinigtes Ganze, die Venae pulmonales m\u00fcnden in den Vorhol der Aortenkammer oder in den linken Vorhof, die K\u00f6rpervenen in den Vorhof der Lungenkammer oder in den rechten Vorhof.\nEin grosses physiologisches Interesse bietet bei den Wirbel-thieren die Umwandlung des Kiemenkreislaules in den Lungenkreislauf dar, die man in der Gasse der Amphibien zu beobachten Gelegenheit hat. Das Herz der Fische hat einen Vorhof f\u00fcr die Aufnahme der K\u00f6rpervenen, und eine Kammer, aus welcher der Truncus arteriosus mit einem contraction Bulbus entspringt. Der Truncus arteriosus theiit sich ganz in die Kiemenarterien, die Kiemenvenen treten zu den K\u00f6rperarterien zusammen und bilden die Aorta abdominalis an der Vorderseite der Wirbel. Alle nackten Amphibien haben zwei nur innerlich getrennte Vorh\u00f6fe und eine Kammer, zwei Condyli occipitales, kein Drehgelenk zwischen Atlas und Epistropheus, keine Geh\u00f6rschnecke, keine Fenestra rotunda, keinen Penis, keine wahren Rippen; alle beschuppten Amphibien (Crocodile, Eidechsen, Schlangen, Schildkr\u00f6ten) haben zwei selbst \u00e4usserlich getrennte Vorh\u00f6fe und eine Kammer, einen Condylus occipitalis, ein Drehgelenk des Atlas und Epistropheus, wie die h\u00f6heren Thiere, eine Geh\u00f6rschnecke und Fenestra rot., wahre Rippen, deutlichen Penis und sind ohne Verwandlung. Alle nackten Amphibien scheinen in der Jugend","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nKiemen zu haben. die nur bei den Proleideen durchs ganze Leben bleiben; man kann sie in f\u00fcnf Abtbeilungen bringen.\nI.\tCoeciliae, ohne Fiisse und ohne Schwanz, wurm f\u00f6rmig. Sie haben in der Jugend eine Kiemengrube, worin zwei Kiemen, spalten jederseits am Halse, wie ich an Coecilia hypoeyanea entdeckt habe; sp\u00e4ter Lungen ohne Kiemen und ohne Kiemenl\u00f6cher. (Ihr Zungenbein beh\u00e4lt 4 Paar Bogen, bei der Larve 5.)\nII.\tDerotremata. Sie haben Extremit\u00e4ten und sind geschw\u00e4nzt, durchs ganze Leben jederseits ein Loch am Halse ohne wahre \u00e4ussere oder innere Kiemen; sie atbmen mit Lungen. 4 F\u00fcsse. Hieher geh\u00f6ren Ampbiuma und Menopoma.\nIII.\tProteidea. Sie haben Extremit\u00e4ten und Schwanz und ausser den Lungen durchs ganze Leben Kiemenspalten am Halse mit \u00e4usseren b\u00fcschelf\u00f6rmigen Kiemen. Siren, Menobranchus, Proteus, Axolotes.\nIV.\tSalamandrina. Als Larven haben sie im ersten Stadium \u00e4ussere Kiemen und Kiemenspalten, keine Beine, aber einen Schwanz; im zweiten Stadium haben sie ausser dem Schw\u00e4nze 4 Extremit\u00e4ten, wovon die vorderen zuerst hervorbrechen ; zugleich \u00e4ussere b\u00fcschelf\u00f6rmige Kiemen und Kiemenspalten, und Rudimente von Lungen; sie gleichen also dann ganz dem bleibenden Zustande der Proteideen. Als erwachsene Thiere behalten sie den Schwanz, aber ihre Kiemen und Kiemenspalten verschwinden, wenn sie den Larvenzustand verlassen.\nV.\tBatrachia (Fr\u00f6sche und Kr\u00f6ten). Diese sind in der ersten Zeit des Larvenzustandes geschw\u00e4nzt und ohne Beine, ha-ben Kiemenspalten, Kiemenbogen und \u00e4ussere b\u00fcschelf\u00f6rmige Kiemen; im zweiten Stadium verlieren sie die \u00e4usseren Kiemen und haben innere Kiemen an den Kiemenbouen, aber die Kiemen sind mit einer Membran bedeckt, welche nur eine Oeffnung an der linken Seite (Frosch) l\u00e4sst; sie sind auch jetzt noch geschw\u00e4nzt und ohne Beine. Bei der Verwandlung erhalten sie Beine, wovon die hintern zuerst hervorbrechen; sie verlieren die Kiemen, auch ihr Schwanz verschwindet ganz durch Resorption. So lange die Salamander und Fr\u00f6sche Larven sind, sind ihre Wirbelk\u00f6rper an beiden Enden conisch ausgeh\u00f6hlt, wie hei den Fischen; so sind sie hei den Coecilien, Derotremen und Proteideen durchs ganze Lehen. Siehe J. Mueller in Tiedewank\u2019s Zeitschr. f\u00fcr Physiol. 4. 2., \u00fcber das Herz der Amphibien siehe M. Weber Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Physiologie. Bonn 1832. Mayer Analecten. Bonn 1835. Bei den Proteideen (Proteus) theilt sich der Truncus arteriosus der einfachen Kammer sogleich in mehrere den Kiemenbogen entsprechende Aortenbogen f\u00fcr jede Seite, die sich hinten wieder zur Aorta abdominalis, vereinigen. Von diesen Aortenbogen gehen die grossen Kiemenarterien aus, sie nehmen die Kiemenvenen wieder auf. Bei den Salamanderlarven vertheilt sich der Truncus arteriosus wie beim Proteus zum gr\u00f6ssten Theil in die Kiemenarterien, diese anastomosiren mit den Kiemenvenen oder M urzein des K\u00f6rper-arteriensyktems. Bei der Verwandlung zieht sich die Blutbahn von den Kiemen auf bleibende Aortenbogen zur\u00fcck. Rusconi","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"1. Formen des Gef\u00fcsssystems in der Thierwelt.\n171\namours des Salamandres. Milan 1821. Bei Jen Fr\u00f6schen gleicht Jer Kiemenkreislauf in der ersten Zeit des Larvenlebens, wo sie \u00e4ussere Kiemen haben, dem Kiemenkreislauf der Salamanderlarven, im zweiten Stadium, wo sie innere, bedeckte Kiemen haben und die Lungen sich zu entwickeln anfangen, vertheilen sich die Gef\u00e4sse nach Buschke mehr wie bei den Fischen, der Truncus arteriosus vertheilt sich in die Kiemenarterien f\u00fcr 4 Kiemenbogen, die Kiemenvenen laufen den Arterien parallel und sammeln sieh in entgegengesetzter Richtung, doch findet eine kurze Anastomose am Anf\u00e4nge jedes Kiemenbogens zwischen Arterie und Vene statt, die bei den Fischen fehlt. Nach der Umwandlung ist nur noch jederseits der Bogen \u00fcbrig, der sich mit dein der andern Seite zur Aorta abdominalis vereinigt, und der die Art. brachialis hinten abgiebt. Die Lungenarterien und die Kopfgef\u00e4sse sind aber nicht auch Aeste dieser Bogen, wie man gew\u00f6hnlich glaubt, sie scheinen nur vom Anfang jenes Bogens auszugehen; denn genau untersucht besteht jeder der 2 divergi-renden St\u00e4mme, in welche sich der Truncus arteriosus theilt, aus drei verwachsenen St\u00e4mmen, deren Lumina nur durch d\u00fcnne Septa getheilt sind, die Reste von den Arterien der Kiernenbogen, die nur verwachsen sind. Die mittlere dieser R\u00f6hren geht in die Aorta jederseits weiter, die untere giebt die Art. pulm. und ein Gef\u00e4ss des Hinterkopfes, aber die obere geht in die Kopfgef\u00e4sse \u00fcber, welche bei ihrem Ursprung eine, dr\u00fcsenartige Anschwellung, die sogenannte Carotisdr\u00fcse, zeigen. Diese Dr\u00fcse besteht aus feinen Verzweigungen des eintretenden Stammes, die sich aus der Dr\u00fcse wieder zu einem Stamme sammeln, wie Huschke (Zeitschrift Jiir Physiologie 4. 1.) gezeigt bat. Die Dr\u00fcse ist nach ihm ein Piest vom Capi 11 argef\u00e4sssystern des ersten Kiemenbogens. Ich habe mich \u00fcberzeugt, dass die Dr\u00fcse im Innern bohl ist, und dass sich der eintretende Stamm bis zu dem austretenden durch ein schwammiges Gewebe, das an den Aussenw\u00e4nden am dichtesten ist, fortsetzt, obgleich die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che der W\u00e4nde bei feiner Injection auch das von Huschke beschriebene Gef\u00e4ssnetz eintretender und austretender Gef\u00e4sse zeigt. Die beschuppten Amphibien haben niemals Kiemen, und haben nur im b oetuszustande, wie alle.\u00fcbrigen Wirbelthiere, Zust\u00e4nde der Metamorphose. In der allerersten Zeit des Foetuslebens haben alle Embryonen am Halse Spalten und dazwischen bogenf\u00f6rmige Platten, in welchen die Aortenbogen verlaufen, die sich hinten wieder zu einem Stamme vereinigen. Diess hat Ratuke entdeckt, man kann sieb beim Embryo der V\u00f6gel am dritten Tage der Bebr\u00fctung davon \u00fcberzeugen, wie ich gesehen. Etwas \u00c0ehnliehes, nur weniger deutlich, lindet auch bei den S\u00e4ugethieren und dem .Menschen, noch deutlicher aber bei den beschuppten Amphibien lm Embryonenzustande statt. Diess sind jodoch keine Kiemen, \u25a0wozu Kiemenbl\u00e4ttchen geh\u00f6ren, sondern bloss Kiemenbogen, woraus bei den Fischen und nackten Amphibien wirklich durch Ver\u00e4stelung der Aortenbogen Kiemen werden, die aber bei allen u mgen Thieren, den beschuppten Amphibien, V\u00f6geln, S\u00e4ugethie-lcn allmal\u00fcig verschwinden und zu H\u00f6rnern des Zungenbeins","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. \u00c4bsclin. Vom Blutkreislauf.\numgewandelt zu werden scheinen. Siehe \u00fcber die Bedeutung dieser Theile Reichem in Muell. Archiv. 1837. Genug, dass hei allen Thieren im fr\u00fchesten Zustande der Truncus arteriosus in Aortenbogen sich tlieilt. Diese Bogen bleiben sogar bei den beschuppten Amphibien durchs ganze Leben, zuweilen 2 auf jeder Seite (wie bei den wahren Eidechsen, auch Blindschleichen), zuweilen einer auf jeder Seite (wie hei den Schlangen). Bei den h\u00f6heren Thieren, V\u00f6geln, S\u00e4ugethieren, Menschen, welche 2 Herzkammern und 2 Vorh\u00f6fe haben, giebt es nur im i oetuszustande mehrere Aortenbogen, und zwar anfangs je-derseits mehrere, die sich hinten zur Aorta descendens vereinigen. Bei den V\u00f6geln gehen die vordersten von drei Bogen jeder Seite die Get\u00e4sse der vorderen Theile des K\u00f6rpers, die. hinteren Bogen die Lungenarterien ah, sp\u00e4ter bleiben durchs \u00efoetusleben des V ogels 2 Arcus arteriosi (aus dem rechten Ventrikel), welche die Lungenarterien abgehen, und ein Arterienstamm aus dem linken Ventrikel, der die Gelasse der vorderen Theile des K\u00f6rpers abgiebt und den Arcus aortae bildet. Nach dem Auskriechen des Vogels werden die Lungenarterien auch selbstst\u00e4ndig, indem die Verbindung der Arcus arteriosi des rechten Ventrikels mit dem Arcus aortae des linken Ventrikels eingeht. S. Huschre Isis 1828. 160. Bei den S\u00e4ugethieren und dem Menschen bleiben durchs ganze Foetusleben 2 Aortenbogen^ die sich hinten zur Aorta descendons vereinigen, und wovon der eine aus dem linken Ventrikel entspringend die Gef\u00e4sse der oberen Theile des K\u00f6rpers abgiebt, der andere aus dem rechten Ventrikel entspringend die Lungenarterie abgiebt, weiche letztere nach der Geburt selbstst\u00e4ndig wird, w\u00e4hrend der Verbindungsbogen (ductus Botalli) f\u00fcr den bleibenden Arcus ventriculi sinistri oder den bleibenden Arcus aortae schwindet. Da beim Foetus anfangs mehrere Arterienb\u00f6gen jederseits vorhanden sind, so begreift man, wie es kommt, dass der bleibende Arcus aortae bei den V\u00f6geln und S\u00e4ugethieren verschieden ist, bei ersteren von rechts, bei letzteren von links sich hinter die Speiser\u00f6hre wendet. Beim 1 oetus stehen \u00fcbrigens auch beide Vorh\u00f6fe mit einander in Communication durch das foramen ovale. Wenn diess Loch oder der Ductus Botalli nach der Geh urt> krankhafter Weise offen bleiben, entsteht Vermischung des arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Blutes und die Blausucht.\nBei den warmbl\u00fctigen Wirbelthieren ist der kleine Kreislauf der Lungen kein 1 heil des grossen mehr, sondern alles Blut muss duich die Lungen, wenn es in den \u00fcbrigen K\u00f6rper gelangen soll. Indessen besitzen diese h\u00f6heren Thiere so gut wie alle \u00fcbrigen Wirbelthiere einen kleinsten Kreislauf des Blutes, der ein blosser Anhang des grossen ist, deft Pfortaderkreislauf. So wie der Kie-inenkreislaut der mit Kiemen versehenen nackten Amphibien alsein blosser Anhang der Arterien von diesen beginnt und in die Arterien zur\u00fcckkehrt, so ist der Pfortaderkreislauf ein blosser Anhang der Venen, ein Umweg, den ein Tbeii des Venenblutes macht, ehe es zuin \u00fcbrigen Venenblut gelangt. Es giebt bei den Wirbelthieren 2 Pfortadersysteme, das der Nieren und das der","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"2. Allgemeine Erscheinungen des Kreislaufs. Herzschlag,\t173\nLeber; ersteres k\u00f6mmt nur Lei den Fiseben und Amphibien vor, letzteres bei Allen, wie beim Menschen. Bei dem Menschen und den S\u00e4ugethieren bilden die Venen der Milz, des Magens, des Darmkanals, Mesenteriums, der Gallenblase und des Pankreas die in der Leber nach Art einer Arterie sieb verzweigende Pfortader; aus den Capillargef\u00e4ssen der Leber, zu welchen auch das Blut der Art. hep. str\u00f6mt, kehrt das Blut durch die Lebervenen in die Vena cava inf. zum \u00fcbrigen Venenblute. Bei den V\u00f6geln, Amphibien und Fischen gebt zur Pfortader der Leber auch ein Thexl des Blutes der untern Extremit\u00e4ten, des Schwanzes, des Beckens, bei den Fischen zuweilen auch der Schwimmblase. Jacobson, Nicolai, Rathke. Bei den Amphibien, die ausser den Nierenarterien auch Pfortadern der Nieren haben, gebt zu diesen ein Theil des Blutes der hinteren Extremit\u00e4ten und des Schwanzes. Hier gebt das Blut der hinteren Extremit\u00e4ten, der Bauchmuskeln, des Schwanzes zur Pfortader der Leber und zu den Pfortadern der Nieren, und zwar hei einigen Amphibien, wie Fr\u00f6schen und Salamandern, zu diesen Eingcweiden allein, hei anderen (Crocodilen) zum Theil zur Vena cava. Bei den Fischen geht das Blut des Schwanzes und des mittlern Theiles des Bauches bald allein zu den Nieren, wie im Gadus; bald geht das Blut der hinteren Theile zu den Nieren, zur Leber und Vena cava, wie im Karpfen, Hecht, Barsch. Die Pfortader der Leber erh\u00e4lt bei mehreren Fischen zuweilen auch die Venen der Genitalien und Schwimmblase, zuweilen gehen diese mit den r\u00fcckf\u00fchrenden Nierenvenen zur Vena cava. Jacobson Meck. Arch. 1817. 147. Nicolai Isis 1826. 404. Meckel, der die zuf\u00fchrenden Venen der Nieren auch f\u00fcr zur\u00fcckf\u00fchrende h\u00e4lt, st\u00fctzt sich vorz\u00fcglich auf die V\u00f6gel, wo Jacobson auch zuf\u00fchrende Nierenvenen beschrieben hatte; allein die Nichtexistenz derselben hei den V\u00f6geln, die schon von Nicolai bewiesen wurde, ist kein Grund f\u00fcr die Nichtexistenz derselben bei den Amphibien und Fischen, wo sie Nicolai bewiesen hat. Beim Frosch geht das Blut der Bauchhaut fast ganz zur obern Hohlvene. Eine ausf\u00fchrlichere Beschreibung der Formen des Kreislaufs gab ich in Bubdach\u2019s Physiologie B. 4. Vergl. Schultz System der Circulation. Stuttgardt 1836.\nII. Capitcl. Von den allgemeinen Erscheinungen des Kreislaufs.\nDas Herz des erwachsenen Menschen im mittlern Alter zieht sich 70 \u2014 75mal in der Minute zusammen, in der Jugend h\u00e4ufiger, im Alter seltener; z. B. beim Embryo ist die Zahl der Schl\u00e4ge 150, nach der Gehurt 140 \u2014 130, im ersten Jahr 130 \u2014 H5, im 2. Jahr 115 \u2014 100, im 3. Jahr 100 \u2014 90, im 7. Jahr 90 \u2014 85, im 14. Jahr 85 \u2014 80, im Greisenalter 65-\u201450. Beim sanguinischen Temperament ist der Herzschlag etwas h\u00e4ufiger als heim phlegmatischen; ebenso beim weiblichen Geschlechte. Bei den Thieren variirt die Zahl der Herzschl\u00e4ge sehr. Bei bischen","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. I. Abschn. Vom Blulhreislauj.\nli\u00e2t man 20 \u2014 24 Schl\u00e4ge beobachtet, heim Frosch gegen 60, hei V\u00f6geln 100 \u2014140, heim Kaninchen 120, hei cler Katze 110, heim Hund 95, heim Schaf 75, heim Pferd 40.\nNach dem Essen ist der Herzschlag h\u00e4ufiger, noch mehr hei k\u00f6rperlichen Anstrengungen ; seltener ist er im Schlaf. Nach Parrot steigt die Frequenz des Pulses, die in der Meeresfl\u00e4che 70 betrug, hei 1000 Metres dar\u00fcber auf 75, hei 1500 auf 82, bei 2000 auf 90, hei 2500 auf 95, bei 3000 auf 100, hei 4000 auf 110. FrorieFs Notizen 212. Vergl. Nick \u00fcber die Bedingungen der Heufigkeit des Pulses. Tub. 1826. In Entz\u00fcndungen und Fiebern ist der.Puls viel h\u00e4ufiger als sonst; wenn die Kr\u00e4fte abnehmen, h\u00e4ufig und schwach. In Nervenaff'ektionen mit mehr Unterdr\u00fcckung als Ersch\u00f6pfung der Kr\u00e4fte ist der Puls oft auffallend langsamer.\nWird das Herz eines lebenden S\u00e4ugethieres oder Vogels blossgelegt, so sieht man, dass die beiden Herzkammern sich gleichzeitig zusammenziehen, dass die beiden Vorh\u00f6fe mit dem. Anfang der Lungenvenen- und K\u00f6rpervenenst\u00e4mme sich auch gleichzeitig zusammenziehen, und dass die Zusammenziehung der Vorh\u00f6fe nicht gleichzeitig ist mit der Zusammenziehung der Kammern. Bei warmbl\u00fctigen Tbieren geht die Zusammenziehung der Vorkammern schnell vor der Zusammenziehung der Kammern vorher. Die kaltbl\u00fctigen Thiere haben nur eine Kammer und zwei Vorh\u00f6fe, aber die nackten Amphibien und vielleicht alle Amphibien haben gleich den Fischen einen Theil, den die warmbl\u00fctigen Thiere nicht haben, n\u00e4mlich einen contractilen Bulbus der Aorta. Nach meinen Beobachtungen folgen sich die Contrac-tionen der Venenst\u00e4mme, der Vorh\u00f6fe, der Kammer und des Bulbus aortae heim Frosch in der Ordnung, wie sie genannt sind, so dass die Zwischenzeiten hei diesen 4 Momenten fast gleich sind; die Zwischenzeit von der Contraction der Vorh\u00f6fe zur Contraction der Kammer ist eben so gross, wie die Zwischenzeit zwischen der Contraction der Kammer und der des Bulbus. Ich habe mich wiederholt \u00fcberzeugt, dass Vorh\u00f6fe und Kammer nicht in gleichen Zwischenzeiten wie die Bewegungen eines Pendels abwechseln, wie Oesterreicher (Lehre vom Kreislauf des Blutes. Niirnb. 1826.) behauptet, sondern dass die Zeit von der Contraction der Vorh\u00f6fe bis zur Contraction der Kammer kleiner ist, als die Zeit von der letzten bis zur ersten, dass in der Regel in den grossem Zeitraum von der Contraction der Kammer bis zur Contraction der Vorh\u00f6fe gerade die Contraction des bulbus aortae und der Venenst\u00e4mme hineinf\u00e4llt. Bei warmbl\u00fctigen Tbieren sah ich die Contraction der Vorh\u00f6fe zuweilen einige Momente fehlen, was auf Rechnung der Verletzung k\u00f6mmt, sonst aber immer wie ein sehr schneller Vorschlag vor der Contraction der Ventrikel, so dass die Zeit von der Contraction der Vorh\u00f6fe bis zur Contraction der Ventrikel jedenfalls ausserordentlich viel k\u00fcrzer ist als die Zeit von der Contraction der Ventrikel bis zur Contraction der Vorh\u00f6fe.\nNur die Zusammenziehung (systole) des Herzens ist ein activer Zustand, die Erweiterung (diastole) ist das Moment der Ruhe,","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"2 Allgemeine Erscheinungen fies Kreislaufs. Herzschlag. 175\n,0 die Fasern erschlaffen und die H\u00f6hlen des Herzens in den hiehei entstehenden hohlen Raum das n\u00e4chste Rlut anziehen, \u25a0was nach der Anordnung der Klappen zufliessen kann; die Herzh\u00f6hlen sind daher in der Erweiterung, diastole, mit Blut gef\u00fcllt und ausgedehnt. Die von Bichat und einigen andern franz\u00f6sischen Gelehrten angenommene active Erweiterung des Herzens wird durch ein gutes Experiment von Oesterreicher l. c. 33. widerlegt. Wenn man auf ein ausgeschnittenes Herz vom Frosch einen K\u00f6rper legt, der schwer genug ist, das Herz flach zu dr\u00fck-ken und klein genug, dass man das Herz Beobachten kann, so sieht man, dass dieser K\u00f6rper nur hei der Zusammenziehung des Herzens gehoben wird, dass hei der Erweiterung aber das Herz, platt bleibt. Hieraus geht hervor, dass die Erweiterung des Herzens nach der Contraction kein Muskularact des Herzens ist; indessen k\u00f6nnen doch die W\u00e4nde des Herzens in der Diastole nicht so schlaff, wie an einem ausgeschnittenen Herzen seyn, selbst wenn die Herzh\u00f6hle nicht mit Blut gef\u00fcllt w\u00e4re, weil die Capil-largef\u00e4sse der Herzsuhstanz zur Zeit der Erschlaffung vom Blut strotzen, w\u00e4hrend sie zur Zeit der Contraction zusammengedr\u00fcckt werden, und weniger Blut enthalten k\u00f6nnen.\nDie Bewegungen der Herzkammern w\u00fcrden das Blut sowohl in die Vorh\u00f6fe und Venen als in die Arterien treiben, wenn nicht die Klappen durch ihren Bau *und ihre Befestigung das Austreiben des Blutes nur in einer gewissen Richtung, und das Ein-fliessen nur in einer andern Richtung zuliessen. Die Vorh\u00f6fe k\u00f6nnen durch ihre Contraction das Blut allerdings auch in die Venen zur\u00fccktreiben, wenn nicht der Strom des Venenblutes nach dem Herzen diese Bewegung aufh\u00e4lt, aber der Fluss des Bluts aus dem Vorhof in die Kammer ist frei, denn die Valvula an der Vorhofm\u00fcndung ist so befestigt, dass sie das Blut frei in die Kammer str\u00f6men l\u00e4sst; aber hei der Zusammenziehung der Kammer verhindert diese Klappe, indem sie durch den Druck des Blutes sich ausbreitet und vorlegt, das R\u00fcckfliessen in die Vorh\u00f6fe.\nDie Bewegung des Blutes aus der Kammer ist frei nach den Arterien, weil die am Ostium arteriosum der Kammern liegenden taschenf\u00f6rmigen Klappen, Valvulae seminulares, durch den Strom des Blutes aus den Kammern nach den Arterien auseinander weichen, dagegen kann das einmal in den Arterien enthaltene Blut nicht in die Kammern zur\u00fcck fliessen, weil die Bluts\u00e4ule der Arterien die taschenf\u00f6rmigen Klappen am Ostiurn arteriosum der Kammern herabdr\u00fcckt und ausbreitet. Das Herz bildet durch diese Anordnung der Klappen eine Art Pumpenwerk, gleichwie die gew\u00f6hnlichen Pumpenr\u00f6hren mit zwei Klappen versehen sind, von denen die eine beim Aufziehen der Pumpenstange das Wasser durchl\u00e4sst, sich aber heim Senken der Pumpenstange wieder schliesst, w\u00e4hrend die andere sich dem Wasser \u00f6ffnet, die sich dagegen heim Wiederaufziehen der Stange schliesst, und das Zur\u00fceklliessen des schon gef\u00f6rderten Wassers verhindert.\nDas ganze Gef\u00e4sssystem muss man sich w\u00e4hrend der Circulation mit Blut gef\u00fcllt denken. Nur die Herzh\u00f6hlen ziehen sich","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. I. Abseh. Vom Blutkreislauf\njedesmal Lis fast zur Leere zusammen, obgleich mehrere Beobachtungen zeigen, dass nicht alles Blut hei der Zusammenziehun<* der Kammern in die Arterien lliesst. Aber die Gef\u00e4sse sind vorn Anf\u00e4nge der Arterien bis in die Capillargef\u00e4sse, und von dort bis zur Insertion der Venenst\u00e4mme ins Ilerz, sowohl w\u00e4hrend der Zusammenziehung der Kammern, als zur Zeit der Ruhe mit Blut gef\u00fcllt; nirgends ist Luft; nirgends ein leerer Raum im Gef\u00e4sssy-stem. Die Zusammenziehung der Aorta-Kammer kann z. B. das in den Arterien enthaltene Blut nur dadurch weiter bringen dass sie mit 1 \u2014 2 Unzen Blut (Inhalt der Kammer) mit Gewalt gegen die in den Arterien enthaltene Bluts\u00e4ule dr\u00fcckt, und diese Bluts\u00e4ule r\u00fcckt um so viel Raum weiter, als diese 1 \u2014 2 Unzen Blut, mitten durch die Aortenklappen gedr\u00e4ngt, Raum in dem Anfang der Aorta einnehmen. So wie die Zusammenziehung der Kammer nachl\u00e4sst, h\u00f6rt die Ursache der Bewegung auf, aber das Blut wird von den elastischen Arterien gegen den Widerstand der Reibung in den kleinsten Gelassen fort getrieben; es bildet immer ein Continuum von den Aorteu-Klappen bis in die Capillargef\u00e4sse, und Lliesst beschleunigt, wenn die Aorten-Kammer wieder mit Gewalt mit 1 \u2014 2 Unzen Blut den Anfang der Bluts\u00e4ule an den Aortenklappen weiter dr\u00e4ngt. Auf diese Art muss in einer gewissen Zeit aus den Venen gerade so viel Blut wieder ins Herz str\u00f6men, als durch di\u00e9 Zusammenziehung der Kammern daraus hervor tritt; denn die ganze Biutmasse bildet einen grossen Zirkel, vom Herzen zum Herzen, einen Zirkel, in dem an jeder Stelle so viel Blut weiter ruckt, als an jeder andern. Bei der Zusammenziehung der Kammern m\u00fcssten diese fast leer werden, aber diese Leerheit k\u00f6mmt nicht einmal zu Stande, denn auf der Stelle lliesst von den Venen und Vorh\u00f6fen her wieder das a tergo gedr\u00e4ngte Blut in die leer werdenden Kammern ein, und eben so ist es mit den Vorh\u00f6fen.\nIndem die Zusammenziehung der Kammern in jedem Moment die Blutmasse in dem Arteriensystem weiter dr\u00e4ngt, werden die Arterien ausgedehnt, und diesen von der Zusammenziehung der Kammer herr\u00fchrenden Druck des Blutes gegen die elastischen Arterienw\u00e4nde nennt man Puls. Wir werden sp\u00e4ter uns mit dieser Erscheinung besonders besch\u00e4ftigen; hier ist nur zu bemerken, dass der f\u00fchlbare Puls der Arterien mit der Zusammenzie\u2014 hung der Kammer his auf einen ganz unmerklichen Zeitunterschied synchronisch ist; an den feinsten Gelassen und an den Venen bemerkt man keinen Puls mehr. Mit dem Puls der Arterien muss man den Herzschlag, Pulsus cordis, nicht gleichstellen. Der Puls der Arterien ist um einige Terzen sp\u00e4ter als der Herzschlag. Der Herzschlag ist eine den Brustw\u00e4nden in der Gegend der f\u00fcnften bis sechsten Rippe mitgetheilte Ersch\u00fctterung, welche von dem Anschlag der Spitze des Herzens herr\u00fchrt.\nVon dem f\u00fchlbaren und zuweilen aussen sichtbaren Herzschlag muss man 2 T\u00f6ne unterscheiden, welche man h\u00f6rt, wenn man das Ohr auf die Stelle des Herzens anlegt, oder sich eines Stethoskops bedient. Man kann sie, wie ich linde, auch zuweilen Nachts an sich selbst h\u00f6ren, wenn man auf der linken Seite","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"2. Allgemeine Erscheinungen des Kreislaufs. Herzt\u00f6ne. 177\n]iegt. Diese T\u00f6ne folgen schnell auf einander hei jedem f\u00fchlbaren Herzschlag, und lassen, wie der Herzschlag, eine Pause hinter sich. Ich finde die Zwischenzeit zwischen beiden im Verh\u00e4ltniss zur Pause wie 1 zu 3, oder ungef\u00e4hr der Zeit zwischen zwei Herzschlagen oder circa I Seconde (12 Terzen). Auch finde ich nach vielen mit Ausdauer fortgesetzten Beobachtungen, dass der erste Ton synchronise!) mit dem f\u00fchlbaren Herzschlag ist, und auch fast synchronise!) mit dem Puls an der Art. maxill. externa, der nur ein Paar Terzen auf den f\u00fchlbaren Herzschlag folgt. Ich h\u00f6rte den ersten Ton bei einer gesunden Weihsperson nur wo man den Herzschlag f\u00fchlt, deutlich, den zweiten aber fast in der ganzen Ausdehnung der Brust bis an die Schl\u00fcsselbeine. Bei Schw\u00e4ngern h\u00f6rt man die zwei T\u00f6ne des Foetusherzschlages durch die Bauchdecken hindurch.\nLaennec hat den ersten Ton von der Zusammenziehung der Kammern, den zweiten von der Zusammenziehung der Vorh\u00f6fe abgeleitet, was indess unzweifelhaft falsch ist, da die Zusammenziehung der Voz'b\u00f6fe als Vorschlag der Zusammenziehung der Kammern vorhergeht. Andere leiteten den ersten Ton von der Zusammenziehung der Vorh\u00f6fe, den zweiten von der Zusammenziehung der Kammern ab. Siehe Bubdach Physiol. 4. Bd. Allein der Puls der Arterien ist so gut wie synchronisch mit dem Herzschlag, oder folgt zu schnell (ein Paar Terzen) auf den f\u00fchlbaren Herzschlag, der zweite Ton aber auf den ersten Ton und auf den f\u00fchlbaren Herzschlag in der Zeit zwischen zwei Herz-\nschl\u00e4gen oder 12 Terzen. Demnach kann der zweite Ton nicht von der Zusammenziehung der Kammern herr\u00fchren.\nNach Magendie\u2019s neueren Untersuchungen (Arm. d. sc. nat. 1834.) h\u00f6ren die T\u00f6ne sogleich auf, wenn hei einem Thiere die Brust ge\u00f6ffnet wird, und kehren wieder, wenn man auf das Herz einen harten K\u00f6rper zum Anschl\u00e4gen auflegt. Er leitet den ersten Ton von der Zusammenziehung der Kammern und dem Anschl\u00e4ge der Spitze des Herzens, den zweiten Ton von dem Anschl\u00e4ge des Herzens in der Erweiterung an die Brustw\u00e4nde ah. Bei Versuchen, welche in der med. Section der British association zu Dublin angestellt wurden {Bond. med. gaz. Oct. 777. Fboriefs Bot. 1006.) zeigte sich, dass auch nach Entfernung des Brustbeins und der Rippen, wenn das Herz ausser aller Ber\u00fchrung mit irgend einem Theil der Brustwand schlug, beide T\u00f6ne durch ein auf das Herz aufgesetztes Stethoskop vernommen wurden. Bei einem Kalbe, bei dem man auf diese Art beide T\u00f6ne vernommen hatte, wurde eine feine, gekr\u00fcmmte Nadel in die Aorta, eine andere in die Lungenarterie unter der Ansatzstelle 6er halbmondf\u00f6rmigen Klappen gestossen, und die Nadeln wurden ohngef\u00e4hr einen halben Zoll aufw\u00e4rts und nach aussen durch die respektiven Gef\u00e4sse hindurchgef\u00fchrt, so dass in jedem, zwi-SC}.len c*er ^at\u2018el und <I\u00b0r Wand der Arterie eine Klappe eingeschlossen war; als das H\u00f6rrohr \u00fcber den Ursprungsarterien angelegt wurde, fand man, dass der zweite Ton aufgeh\u00f6rt hatte, ach diesen Versuchen scheint es, dass man der Ansicht von illiams folgen muss und dass der erste Ton von der Zusam-ffl\u00fcller\u2019s Physiologie, 1.\tJ o","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nmenzieliung der Ventrikel allein (Muskelger\u00e4usch), der zweite von der Ausspannung der Klappen durch die Bluts\u00e4ulen der Aorta und Arteria pulmonalis abgeleitet werden m\u00fcssen, obgleich sie durch das Anschl\u00e4gen des Herzens gegen die Brustw\u00e4nde, mit der Spitze hei der Systole, mit der vordem Wand bei der Diastole vernehmlicher werden m\u00fcssen. Ueber Hope\u2019s und Williams angestellte Versuche siehe Land. med. gaz. oct. 774.\nWir gehen nun zur Beschreibung des grossen und kleinen Kreislaufs \u00fcber. Den grossen Kreislauf nennt man die Bahn des Blutes von der linken H\u00e4lfte des Herzens durch die Arterien des K\u00f6rpers, durch die Venen des K\u00f6rpers zur\u00fcck nach dem rechten Herzen; den kleinen Kreislauf nennt man die Bahn des Blutes von dem rechten Herzen durch die Lungenarterie nach den Lungen, und durch die Lungenvenen zur\u00fcck nach dem linken Herzen. Im Grunde giebt es also keine zwei Kreisl\u00e4ufe, sondern nur einen Kreislauf mit zwei Abtheilungen der Bahn, so dass in jeder Abtheilung das Blut durch die feinsten Gefasse aus den Arterien wieder in die Venen \u00fcbergeht.\na. Kleine Blutbaiin der Lungen.\nDas Blut der Vena enva inf. und sup. und der grossen Ilerz-vene fliesst dem rechten Vorhofe in dem Muasse zu, als der linke Ventrikel Blut durch die Arterien des K\u00f6rpers treibt. W\u00e4hrend der Contraction des Vorhofes wird das Blut dieser Venen kurz aufgehalten; allein so wie der Vorhof erschlafft, st\u00fcrzt das Blut der Venen in den rechten Vorhof, und zum Theil schon in die rechte Kammer, sobald sie erschlafft ist. Nun contrahirt sich der Vorhof als Vorschlag der Contraction der Kammer. Bei Viviseclionen sah ich \u00f6fter zwei Zusammenziehungen des Vorhofes auf eine Zusammenziehung der Kammer, zuweilen aber auch die Zusammenziehung der Vorh\u00f6fe fehlen. Beides scheint jedoch Anomalie. Durch die Contraction des Vorhofes wird das Blut durch diejenige Oeffnung getrieben, welche jetzt nicht geschlossen ist. In die Hohlvenen lliesst das Blut nicht zur\u00fcck, weil der Strom des Venenblutes durch die vis a tergo zum Herzen fortdauert, die Valvula Thebesii der Herzvene ist durch den Druck des Blutes im Vorhofe geschlossen. Das Blut str\u00f6mt also in die w\u00e4hrend der Contraction des Vorhofes erweiterte rechte Kammer, die dadurch auf den h\u00f6chsten Grad ihrer Anf\u00fcllung gebracht wird. Zu der Zeit, wo der rechte Vorhof sich wieder erweitert, um das Blut der Venen aufzunehmen, contrahirt sich die rechte Kammer, und treibt das Blut, da die Valvula tricuspi-dalis von dem Drucke des Blutes vor der Vorhofin\u00fcndung der Kammer ausgebreitet wird, durch das Ostium arteriosum zwischen den hier aus einander weichenden Valvulae semilunares in die Art. pulmonalis. Auf diese Art gelangt das aus dem K\u00f6rper zur\u00fcckkehrende Venenblut durch die Th\u00e4tigkeit des rechten Herzens in die Bluthahn der Lungen. Indessen str\u00f6mt doch nicht jedesmal alles Blut des Vorhofes hei dessen Contraction in die Kammer, vielmehr wird ein Theil in die obere und untere","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"2. Allgemeine Erscheinungen des Kreislaufs. Kleiner Kreislauf. 179\nHohlvene zur\u00fcckgedr\u00e4ngt. Jedenfalls wird durch die Zusammcn-ziebung des Vorhofes der Zufluss des Blutes von den Venenst\u00e4m-inen nach dem Herzen aufgehalten, der sonst best\u00e4ndig erfolgen m\u00fcsste, weil das Venenblut best\u00e4ndig durch den Strom des Blutes von der linken Kammer durch die Arterien, Capillargef\u00e4sse und Venen gedr\u00e4ngt wird. Bei Vivisection sieht man die grossen Venen bei jeder Zusammenziehung des Vorhofes anschwellen, und bei Tritonenlarven sah ich das Blut in der untern Hohlvene und den Lebervenen nur stossweise fortr\u00fccken. Dieses Zur\u00fcckstr\u00f6men muss vermehrt wei den, wenn die Kammer wegen irgend eines Hindernisses nicht alles Blut in die Art. pulm. treiben kann, entweder durch Substanzver\u00e4nderung derselben, oder durch Verkn\u00f6cherung der Valvulae semilunares, oder durch ein Hinderniss der Blutbewegung in den Lungen. Dieser R\u00fcckfluss oder vielmehr rhythmische Aufenthalt in den Hauptst\u00e4mmen der Venen wird Pulsus venosas genannt. Er kann sich nicht weit fortpflanzen, weil die Venen zu nachgiebig sind, und die Stauchung nur die n\u00e4chsten Theile des Venensystems erweitert.\nDas einmal in der Arteria pulmonaiis enthaltene Blut kann bei der Relaxation der Kammer nicht wieder znr\u00fcckfliessen, weil die Bluts\u00e4ule die Valvulae seminulares oder Taschenventile am Ostium arteriosum der Kammer ausbreitet. Die Bewegung des Blutes aus dem rechten Herzen durch die Lungen nach dem linken Herzen, der kleine Kreislauf genannt, ist kein wahrer Kreislauf, indem das Blut am Ende dieser Bahn an einem andern Orte ank\u00f6mmt, als von wo es ausgegangen ist, sondern ist nur ein Theil der Bahn des ganzen Kreislaufes, und w\u00fcrde besser Lungenblutbahn genannt werden, im Gegensatz der K\u00f6rperblutbahn, welche zusammen erst einen ganzen Kreislauf bilden. Auf der Lungenblutbahn gelangt das ven\u00f6se Blut, von immer neuen Blutinassen aus der rechten Kammer getrieben, aus den Zweigen der Art. pulmonaiis in die Capillargef\u00e4sse der Lungen, durch die Capillargef\u00e4sse, wo es im Momente des Durchganges hellroth oder arteri\u00f6s wird, in die Venae pulmonales, und sofort in den linken Vorhof. Die Capillargef\u00e4sse der Lungen sind, wie \u00fcberall, netzf\u00f6rmige XJeberg\u00e4nge der feinsten Zweige der Arterien in die feinsten Zweige der Venen; aber hier mit ausserordentlich engen Maschen der Netze. Alle diese Capillargef\u00e4ssnetze sind aber in der feinen Membran enthalten und ausgebreitet, welche die Lungenzellen bildet, in die sieh die letzten Zweige der Luftr\u00f6hre endigen, und welche eine feine Fortsetzung der Schleimhaut der Luftr\u00f6hre ist. Da diese von Capillargef\u00e4ssen durchzogene feine Membran von Zelle zu Zelle ein Continuufn bildet, so muss man sich das Innere der Lungen, abgesehen von den Luftr\u00f6hren, Arterien und Venen, als eine im kleinen Raume realisirte ungeheure Fl\u00e4che vorstellen, durch zellenhafte Faltungen einer Mem-bran gebildet, die von Capillargef\u00e4ssnetzen durchzogen ist, so dass der Prozess des Athmens geschieht durch den Contact des Blutes und der Luft, w\u2019elche durch dieLuftr\u00f6hre eingef\u00fchrt, die W\u00e4nde dieser Zellen ber\u00fchrt, w\u00e4hrend die Theilchen des Blutes, in den Capil-argef\u00e4ssen der Zellen w\u00e4nde bis ins Kleinste vertheilt, vorbeistr\u00f6men.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180 I. Buch. Von den organ. Silften etc. II. Abscfin. Vom Blutkreislauf.\nBei den einfacheren Thieren, wie den nackten Amphibien bilden die Lungen noch blosse S\u00e4cke mit inneren zelligen Vorspr\u00fcngen. So sind auch die Riemen, die zweite Art des Athem-organes, eine grosse Vermehrung der Fl\u00e4che im kleinen Raume; aber bei den Kiemen ist die Vermehrung der athmenden Fl\u00e4che nach aussen vorspringend, bei den Lungen sackf\u00f6rmig oder nach innen verzweigt. Auch an den Kiemen vertheilt sieb das Blut der Kiemenarterien in eine ungeheuere Ausbreitung durch die Capil-largef\u00e4ssnetze aller Kiemenbl\u00e4tter und Bl\u00e4ttchen, wovon jedes seine kleine Arterie hat, die am Ende in eine kleine Vene um. biegt, w\u00e4hrend zahlreiche capillare Queranastomosen zwischen beiden in der Breite der Kiemenbl\u00e4ttchen statt haben. Bei den Fr\u00f6schen und Salamandern kann man die Bewegung des Blutes durch die Capillargef\u00e4sse der sackf\u00f6rmigen Lungen unter dem Mikroskope beobachten. Siehe die Abbildungen von Cowper Phil. Trans, abridg. 5. 331. von den Lungen des Salamanders von Pr\u00e9vost und Dumas in Magendie pre'c. cl\u00e9ment, de physiol. T. 2. Die Zwischenr\u00e4ume der Str\u00f6mchen sind ganz regelm\u00e4ssig zerstreute Inselchen, wie ich sehe, und kaum gr\u00f6sser als die Str\u00f6mchen seihst. Noch deutlicher sieht man die Bewegung des Blutes durch die Capillargef\u00e4sse der Kiemen bei den Larven der Salamander. Rusconi ddla circolazione delta larve delle Salam. ai/uat. Pavia 1817. Amours des Salam. ar/uai. Milan 1821. Steinbuch Analccten f. Naturkunde. F\u00fcrth 1802. Am genauesten sind Marshali. Hall\u2019s Beobachtungen \u00fcber den Kreislauf in den Lungen der Salamander, Fr\u00f6sche und Kr\u00f6ten. A. critical and experimental essay on the circulation of the l/lood. London 1831. Tab. 5 \u2014 8. Die Zweige der Lungenarterien und Lungenvenen laufen hier einander immer parallel, so dass in die Winkel der Arterienzweige die Venenzweige, in die der Venenzweige die Arterienzweige eingreifen. An den Scheidew\u00e4ndchen der Lungenzellen, die nach dem Innern der Lunge vorspringen, verbreiten sich Arterienzweige und Venenzweige so, dass die Venenzweigelchen an dem innern Rande der Scheidew\u00e4ndchen verlaufen. Die letzten Zweige der Arterien und Venen enden pl\u00f6tzlich in ein Zwischennetz von Capillargef\u00e4ssen, w\u00e4hrend in allen andern Organen die Verzweigung der Gef\u00e4sschen immer fortschreitet, und erst unmerklich in das Capillargef\u00e4ssnetz \u00fcbergeht. Auf diese Art sind die letzten Zweige der Arterien und Venen \u00fcberall siebf\u00f6rmig durchl\u00f6chert, um das Blut der Capillargef\u00e4sse abzugeben oder aufzunehmen. Marshall Hall\u2019s naturgetreue Abbildungen sind von ausserordentlichem Interesse, besonders Tab. 8.\nDie Zerst\u00f6rung der Capiliargef\u00e4ssnetze der Lungenzellen und der Lungenzellen seihst durch Entz\u00fcndung, Eiterung, Entartungen, hat zwei sehr wichtige Folgen, erstens die Verkleinerung der athmenden Fl\u00e4che, dessen Folge unvollkommene Ausbildung des Blutes und zuletzt Abzehrung sevn kann; zweitens Verkleinerung und Verhinderung der Bluthahn, w\u2019elche das Blut nehmen muss, wenn es vom rechten zum linken Herzen, und so in den ganzen \u00fcbrigen K\u00f6rper gelangen soll. Bei den warmbl\u00fctigen Thieren, w\u2019o alles Blut die Capiliargef\u00e4ssnetze der Lungen passi-","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":".t Allgemeine. Erscheinungen des. Kreislaufs. Grosser Kreislauf. 181\nx-en muss, um in die Bahn des gros .en Kreislaufes zu gelangen, muss jede Verkleinerung dieses . Capillargef\u00e4ssnetzes der Lungen durch Zerst\u00f6rung ein Minderniss im Kreisl\u00e4ufe des Blutes \u00fcberhaupt bewirken, und bei den Lungenkranken m\u00fcssen Anstrengungen des Herzens, Neigung zur Blutanh\u00e4ufung in den Lungen, und Disposition zur Lungenentz\u00fcndung und fieberhafte Aufregung etwas Gew\u00f6hnliches seyn. Jedes andere Organ kann ganz zerst\u00f6rt seyn, ohne dass der Blutlauf in den \u00fcbrigen gehemmt wird, aber Jie Zerst\u00f6rung der Lungen ist ein allgemeines Hinderniss des Kreislaufes, woraus die Warnung hervorgeht, dass die Lungenkranken Alles zu vermeiden haben, was noch mehr Hinderniss und Aufregung in dem Kreisl\u00e4ufe verursacht. Es l\u00e4sst sich auch hieraus erkl\u00e4ren, warum grosse Zerst\u00f6rungen anderer Theile, wenn sie nur ohne best\u00e4ndigen S\u00e4fteveriust sind, nicht immer Fieber erregen, dagegen die Zerst\u00f6rungen der Lungen so leicht mit hektischem Fieber verbunden sind. Desorganisationen in anderen Theilen bewirken vorzugsweise nur \u00f6rtliche Hindernisse der Circulation, z. B. Stockungen des Blutes und Austritt von Blutwasser in den \u00f6rtlichen Wassers\u00fcchten, in der Bauchwassersucht nach Desorganisation der Leber etc., ein Ausgang in Was-serergiessung, der bei Lungenzerst\u00f6rungen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig seltener ist. Wenn die Capillargef\u00e4sse der Lungen durch fremde Stoffe verstopft werden, die in den Kreislauf gelangt sind, wie durch Oel, Schleim, metallisches Quecksilber, Kohlenpulver, Schwe-felpulver, die in Venen injicirt worden, so ist der Tod unvermeidlich, und folgt sehr schnell, wie Gaspard gezeigt bat.\nDie Isolation der Blutbahn der Lungen von der Blutbalm des \u00fcbrigen K\u00f6rpers w\u00fcrde vollst\u00e4ndig seyn, wenn nicht die Bronchialarterien mit den feineren Zweigen der Lungenarterie communicirten. Bei Verengerungen der Art. pulm. und ihrer Acste werden diese Verbindungen st\u00e4rker. H\u00f6ren die chemischen Ver\u00e4nderungen des Blutes in den Lungen auf durch Unterbrechung der Athembewegungen oder durch Atlimen irrespirabler Gasarten, so fliesst kein hellrothes, sondern dunkelrothes Blut von den Lungen zur\u00fcck.\nb. Grosse Blut bahn des K\u00f6rpers.\nAus den Lungenvenen tritt das arteriell oder hellroth gewordene Blut in den linken Vorhof, und der sogenannte grosse Kreislauf oder richtiger derjenige Theil der Blutbahn, welchen das Blut im ganzen K\u00f6rper mit Ausnahme der Lungen beim ganzen Kreisl\u00e4ufe beschreibt, beginnt nun, um das arterielle Blut in die Arterien, sofort in die Capillargef\u00e4sse des K\u00f6rpers, und, hier \u25a0ven\u00f6s oder dunkelroth geworden, in die K\u00f6rpervenen und endlich zum rechten\"\"Herzen zur\u00fcckzuf\u00fchren. Wenn sich der linke Vorhof (gleichzeitig mit dem rechten) erweitert, st\u00fcrzt das Blut der Lungenvenen in den linken Vorhof, und zum Theil schon in die linke Kammer, sobald diese erschlafft. Die Contraction dieses V\u00f6rhofes treibt das Blut in die erweiterte Kammer, die nun bis\nihren h\u00f6chsten Punkt gef\u00fcllt ist. Bei der nun folgenden Con-","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahsclm. Vom Blutkreislauf\ntraction der linken Kammer scliliesst sicli die Valvula mitralis an der Vorbofs\u00f6tl'nung derselben, und das Blut str\u00f6mt zwischen den aus einander weichenden Valvulae serninulares am Ostium arterio-sum in die Aorta, welche die einmal in ihr enthaltene Bluts\u00e4ule nicht wieder zur\u00fccktreten l\u00e4sst, da durch Druck von der Aorta aus diese Taschenventile ausgebreitet werden. Die Gewalt, womit sich die linke Kammer zusammenzieht, ist viel st\u00e4rker als die der rechten Kammer, auch sind bekanntlich die W\u00e4nde der erstem gegen 3mal dicker als die der letztem, heim Erwachsenen. Diese Gewalt der linken Kammer musste gr\u00f6sser seyn, da die K\u00f6rperhahn gr\u00f6sser als die Lungenhahn, und erstere einen ungleich grossem Widerstand in den Capillargef\u00e4ssen aller Organe durch Reihung darhietet. '\nVon der Aorta aus vertheilt sich das Blut, mit jedem Herzschl\u00e4ge von einer neuen Masse gedr\u00e4ngt, im ganzen K\u00f6rper mit Ausnahme der Lungen, und geht durch die Capillargel \u00e4sse in die Venen \u00fcber.\t\u00f6\nBei grossen k\u00f6rperlichen Anstrengungen muss die Bewegung des Blutes in den Capillargef\u00e4ssen in einem grossen Theile des K\u00f6rpers aufgehalten werden durch den Druck der wiederholten Zusammenziehungen vieler Muskeln. Je ausgebreiteter dieses Hinderniss wird, um so mehr gleicht es demjenigen Aufenthalte der Blutbewegung, der in den Lungen schon durch kleine Hindernisse bewirkt wird. Es stellen sich dann auch \u00e4hnliche Wirkungen ein, die Bluts\u00e4ule der Arterien setzt der Kraft des Herzens einen grossem Widerstand als gew\u00f6hnlich entgegen. Das Blut circulirt nicht frei und schnell genug durch die Lungen und h\u00e4uft sich an, so dass zu gleicher Zeit nicht Blut genug athmet, daher die Atbcmbeschwerden hei solchen Anstrengungen, die man wohl weniger richtig von einem vermehrten Athembed\u00fcrf-niss bei gr\u00f6sserer Muskelbewegung ableitet. Die anhaltende Zusammenziehung der Muskeln hei gewissen Bewegungen, wo einzelne Glieder dauernd bewegt werden, ist auch mit einer Anh\u00e4ufung des Blutes in diesen Theilen verbunden.\nDie feinen Arterien stehen in jedem Organe, noch ehe sie in die Capillargef\u00e4ssnetze \u00fcbergehen, unter einander in vielfacher Verbindung, wie jede fehle injicirte Membran zeigt, und an vielen Stellen erh\u00e4lt derselbe Tbeil zuf\u00fchrende gr\u00f6ssere Arterien aus sehr verschiedenen Gegenden des Gef\u00e4sssystemes, wie das Gehirn von der Carotis cerebralis und Art. vertebralis. Jedermann kennt die Verbindungen zwischen den Art. epigast. intercost. mammar. etc. Diess wiederholt sich an allen Orten, und da das Capillar-gef\u00e4sssystem aller zusammenh\u00e4ngenden Theile continuirlich ist, so sind alle zuf\u00fchrenden und abf\u00fchrenden Gef\u00e4sse in dem conti-nuirlichen Capillargef\u00e4ssnetze des ganzen K\u00f6rpers verbunden, so dass, wenn das gew\u00f6hnliche zuf\u00fchrende Gef\u00e4ss eines Theils verschlossen wird, leicht ein neues dessen Stelle ersetzt. So sind durch die feinsten Arterien und durch die Capillargef\u00e4ssnetze alle pixtaponirlen Theile eines Organes oder mehrerer Organe in Wechselwirkung gesetzt. Die Capiltargef\u00e4sse des ganzen K\u00f6rpers, die Anastomosen der zuf\u00fchrenden Gef\u00e4sse bilden auf diese Art","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"2 Allgemein6 Erscheinungen des Kreislaufs. Grosser Kreislaaj. 183\neJn ununterbrochenes' Netzwerk, welches von unz\u00e4hligen Arterien aus Blut erhalt, und von verschiedenen Wegen bald unmittelba-rer bald mittelbarer von Blut durchdrungen werden kann. Ohne dass nun neue Gef\u00e4sse entstehen, durch blosse Erweiterung fr\u00fcherer Communicationen, k\u00f6nnen sich daher neue Wege der Zufuhr ausbilden, wenn die gew\u00f6hnlichen verschlossen sind, und so erkl\u00e4rt sich das Ph\u00e4nomen des Collateralkreislaufes, oder die Wiederherstellung des Kreislaufes durch einen Theil nach Verschliessung seines grossen Gef\u00e4ssstammes. Im Anf\u00e4nge erweitern sich eine Menge anastomosirender Zweige, und allm\u00e4hlig bilden sich einzelne st\u00e4rkere St\u00e4mme wieder aus. Bei Tbieren l\u00e4sst sich sogar die Aorta abdominalis ohne absolut t\u00f6dtlichen Erfolg unterbinden, dagegen man diese Operation beim Menschen bisher zweimal nur mit t\u00f6dtlichem Erfolge gemacht hat. Dagegen bat man beim Menschen schon alle \u00fcbrigen grossen Arterienst\u00e4mme, welche zug\u00e4nglich sind, mit Erfolg, wo es n\u00f6thig war, unterbunden. Es sind sogar Erfahrungen vorhanden, dass, wenn, die Verschliessung nur allm\u00e4hlig geschieht, selbst die Verscldies-sung der Aorta hinter dem Urspr\u00fcnge der Arterien der oberen Theile des K\u00f6rpers die Entwickelung eines Collateralkreislaufes nicht ausschliesst, so dass durch Erweiterung von Anastomosen der Art. mammaria int. und intercost. prima etc. mit den intercostal-arterien doch wieder das Blut in den unter der Verschliessung befindlichen Theil der Aorta durch Umwege gelangt. Siehe den von A. Meckel beobachteten Fall Archiv. 1827. Tab. 5. In einem \u00e4hnlichen von Reynaud (Froriee\u2019s Not. 537.) beschriebenen Falle waren die Hauptverbindungen zwischen der Subclavia jeder Seite, und dem unter der Verschliessung liegenden Theile der Aorta durch Anastomosen der Cervicalis profunda, transversalis cervicis, intercostalis prima mit den Intercostalarterien, und zwischen der Subclavia und der Cruralarteria durch directe Verbindung der mammaria interna und epigastrica bewerkstelligt.\nDas durch die Arterien verbreitete Blut, von immer neuen Blutmassen aus dem linken Ventrikel gedr\u00e4ngt, folgt der durch die Gef\u00e4sse verzeichneten Bahn, und geht aus den feinsten Arterien durch die Capillargef\u00e4ssnetze in die feinen Venen \u00fcber, um sich weiter in gr\u00f6sseren Venen zu sammeln, und dem rechten Herzen wieder zuzustr\u00f6men. Diesen Uebergang kann man in vielen durchsichtigen Theilen mikroskopisch beobachten, so dass er nicht allein ein Schluss aus der Bewegung des Blutes in den Arterien und Venen, sondern ein Gegenstand der unmittelbaren Beobachtung ist.\nHierzu dient die Schwimmhaut der Fr\u00f6sche, der Schwanz junger Fische und der Salamander-, Frosch- und Kr\u00f6tenlarven, das Mesenterium aller Wirhelthiere, die Fl\u00fcgel der Flederm\u00e4use, die Keimhaut des Eies der eierlcgenden Thiere. Siehe die Abbildungen der blutf\u00fchrenden Capillargef\u00e4sse von der Area vascu-losa des Eies in Pander Entwickelungsgeschichte des H\u00fchnchens im\nvoa jungen Fischchen Doellinger Denkschr. der Akad. der Eissensch. zu M\u00fcnchen, Bd.l.; von der Schwimmhaut derb r\u00f6sche chultz, der Lebensprozess im Blute, Berlin 1822. Marshall","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184 I. Euch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nHall tab. 3.; von verschiedenen Theilen der Fr\u00f6sche nnd S\u00e4u-gethiere Kaltenbrunner exp. circa statum sang. et. oas. in inflam-matione. Monach. 1826.; vom Gekr\u00f6se der Fr\u00f6sche Reichel de sauguine ejusque motu. Lips. 1767. Marshall Hall a. a. O, tab. 4.; vom Schw\u00e4nze des Stichlings Marshall Hall a. a. O. tab. 1.; von Fisch-, Frosch- und Salamanderembryonen und Larven Baum-gaertner \u00fcber Nerven und Blut. Freiburg 1830. Man sieht die Blutk\u00f6rperchen deutlich aus sich verzweigenden kleinsten Arterien in nicht weiter d\u00fcnner werdende Gef\u00e4sse von netzf\u00f6rmiger Bildung sich ergiessen, und sich aus diesen wieder in dicker werdende und aus Zweigen sich bildende Anf\u00e4nge der Venen sammeln. Die Blutk\u00f6rperchen fliessen in den feinsten Capillargef\u00e4ssen. einzeln hinter einander, und oft mit Unterbrechung; wenn sie einzeln fliessen, sind sie fast farblos, dichter geh\u00e4uft erscheinen sie gelb, noch dichter gelbroth und roth. Bei den noch kr\u00e4ftigen Thieren fliessen sie anhaltend ohne Stoss; wenn die Tliiere schwach sind und die Bewegung sich verlangsamt, sieht man die stoss-weise Bewegung, so dass sie zwar immer fort str\u00f6men, aber stoss-weise schneller str\u00f6men; bei noch schw\u00e4cheren Thieren werden sie nur im Momente des Herzschlages fortgetrieben, und weichen dann auch wohl wieder etwas zur\u00fcck. Wo mehrere arteri\u00f6se Str\u00f6mchen in eine Anastomose Zusammenkommen, ist ein Str\u00f6mchen immer vorherrschend, und durchstr\u00f6mt die Anastomose allein, um sein Blut dem andern Str\u00f6mchen beizumengen. So sammeln und theilen sich die Str\u00f6mchen auch in den netzf\u00f6rmigen feinsten Gef\u00e4ssen, bis alles wieder in den Anf\u00e4ngen der Venen gesammelt wird. Zuweilen ver\u00e4ndert sich die Richtung eines Str\u00f6m-chens, wenn ein anderes Str\u00f6mchen st\u00e4rker wird, und das fr\u00fchere bestimmende schw\u00e4cher, je nach dem Druck auf die Theile des Thieres. Alle K\u00fcgelchen gehen aus den Arterien in die Venen \u00fcber, und Niemand ist es leicht begegnet, was Doei.linger gesehen haben wollte, dass einzelne K\u00fcgelchen haften bleiben und sich mit der Substanz verbinden. Ich glaubte fr\u00fcher zuweilen bei stockendem Kreisl\u00e4ufe so etwas zu sehen, aber bei weiter fortgesetzten Beobachtungen sah ich auch die K\u00fcgelchen fortr\u00fccken, wenn die Bewegung wieder anhielt. Dr\u00fcckt man das Glied oder unterbindet man es, so steht alles augenblicklich stille und kein K\u00fcgelchen ver\u00e4ndert seinen Ort mehr.\nW\u00e4hrend des Durchganges des Blutes durch die Capillnrge-f\u00e4sse wird das Blut dnnkeiroth. Die Bewegung des Blutes in den Venen ist nicht stossweise verst\u00e4rkt, sondern gleichf\u00f6rmig. Diejenigen Venen, welche dem Drucke der Muskeln ausgesetzt sind, haben Klappen, Taschen ventile, welche dem Blute die r\u00fcckg\u00e4ngige Bewegung nach den Capillargef\u00e4ssen versperren, wodurch jeder Druck auf die Venen, statt die Bewegung aufzuhalten, das Blut naeh dem Herzen bef\u00f6rdert. Die Klappen fehlen in den Venen der in H\u00f6hlen gesch\u00fctzten Theile ganz. In den Lungenvenen hat Mayer unvollkommene Klappen beobachtet. An der Pfortader der Pferde hat E. H. Weber Klappen beobachtet, die beim Menschen fehlen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"2 \u00c2llgem. Erschein. Pfortadersystem. Geschwindigkeit d. Bluts. 185\nc. Kleinste Blutbelin des Pfortadersystems.\nDie Venen, welche sielt zur Pfortader der Leiter vereinigen, f\u00fchren das Venenblut ihrer Theile zur Leber in das Capillarge-f\u00e4sssystem derselben, zu welchem auch das Blut der Leberarterien gelangt. Vergl. p. 173. Auf diese Art gelangt also das Blut der Milz, des Darmkanales, des Magens, des Pankreas, des Mesenteriums nicht unmittelbar, sondern auf einem Umwege in die untere Hohlvene. Prof. Retzius in Stockholm hat indess heim. Menschen aucli einige feinere Verbindungen zwischen Darmvenen und Zweigen der untern Hohlvene entdeckt, wie er mir brieflich mitgetheilt hat. Als er n\u00e4mlich die Vena cava und die Vena portae mit sehr feinen kalten Massen von verschiedenen Farben injicirte, fand er, dass das ganze Mesocolon und Colon sinistrum mit beiden injicirt war, und dass beiderlei injicirte Gef\u00e4sse an mehreren Stellen Anastomosen bildeten. Die Venen vom Colon und Mesocolon, welche dem Systeme der Vena cava angeh\u00f6rten, gingen zur Vena renalis sinistra, und lagen \u00e4usserlich, dahingegen diejenigen, welche der Pfortader angeh\u00f6rten, gr\u00f6sstentheils n\u00e4her der Schleimhaut lagen. Auch die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che des Duodenums hatte Injection von der Vena cava aufgenommen. Breschet hat die V. inescnterica minor durch Aeste der V. cava inf. angef\u00fcllt, und Schlemm hat offene Verbindungen der V. mesent. minor mit Gef\u00e4ssen von der Vena cava inf. am After gefunden. Eine Beobachtung, welche iftts anzeigt, dass man mit Erfolg Blutentziehungen am After in Stockungen und Congestion des Blutes, vielleicht sogar Entz\u00fcndungen des Darmkanales, machen wird.\nDas Blut der Pfortader der Wirbelthiere, und das Blut der Venae renales advebentes bei den Fischen und Amphibien hat zum zweiten Mal den Widerstand der feinen Kan\u00e4le eines Capil-largef\u00e4sssystems zu \u00fcberwinden, ehe es wieder zum Herzen gelangt. Bei den Larven der Salamander habe ich die Beobachtung gemacht, dass man den Blutlauf in der Leber mit einem einfachen Mikroskope bei Beleuchtung von oben betrachten kann. Meckel\u2019s Archiv 1828. Diese von R. Wagner best\u00e4tigte Beobachtung ist von grosser Wichtigkeit. Man kann hier ganz deutlich sehen, dass das Blut der Pfortader bei dem Durchg\u00e4nge durch die Capillargef\u00e4sse der Leber in die Lebervenen nur in den Interstitien der Acini verl\u00e4uft, und man kann hier sogar die einzelnen Blutk\u00f6rperchen, so deutlich wie sonst in durchsichtigen Tbeilen, beobachten. Siehe die Abbildung in meiner Schrift de gland, penit. struct, tab. 10. fig. 10. Ich habe bemerkt, dass das Blut in der Hohlvene, wie in allen Rinnen der Lebervenen, stoss-\"vveise floss, wahrscheinlich, weil w\u00e4hrend der Contraction des rechten Vorhofes das Blut aufgehalten wird, oder wegen der regelm\u00e4ssigen Zusammenziehungen des untern Hohlvenenstammes, (die man bei Fr\u00f6schen sieht). Es ist kein Unterschied in der Farbe c es Blutes in der Hohlvene, in der Pfortader, in den Leberve-Pen zu bemerken.\n\u2022Nach der allgemeinen Beschreibung des Kreislaufes ist jetzt","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"18\u00df I. Buch. Von den organ. S\u00e4\u00dfen etc. II. Ahschn. Vom Bluikreis/auf.\ndie Geschwindigkeit des Kreislaufes zu untersuchen und auszu-mitteln, in wie viel Zeit das Blut den ganzen Circuitus vollendet. Von der Geschwindigkeit des ausfliessenden Blutes kann man nicht auf die Geschwindigkeit in den Gef\u00e4ssen schliessen. Der Ausfluss erfolgt unter dem ganzen Drucke, dem das Blut in den Gef\u00e4ssen ausgesetzt ist. In den Gelassen kann jede neue Blutmasse nur durch Weiterr\u00fccken der \u00fcbrigen Masse fortgeschoben werden, und es muss der Widerstand der Reibung in den engeren Gef\u00e4ssen \u00fcberwunden werden.\nUeber die Zeit, in welcher der Kreislauf des Blutes vollendet ist, sind sehr dankenswertbe Untersuchungen von Hering {Zeitschrift f\u00fcr Physiologie. 3. p. 85.) vorhanden. Aus 18 Versuchen an Pferden hat Hering folgende Resultate erhalten: Die Zeit, welche eine dem Blute unmittelbar beigemischte verschieden starke Aufl\u00f6sung von blausaurem Eisenoxydulkali brauchte, um von der einen Jugularvene eines Pferdes durch das rechte Herz, den kleinen Kreislauf, durch das linke Herz, den grossen Kreislauf bis in die entgegengesetzte Jugularvene zu kommen, ist zwischen 20 und 25, und zwischen 25 und 30 Sekunden ; von der Jugularvene bis zur Vena saphena magna nur 20 Sekunden, von der Vena jugul. bis in die Arteria masseterica zwischen 15 und 30 Sekunden, bis in die Art. rnaxill. externa einmal zwischen 10\u201415 Sekunden, ein andermal zwischen 20 und 25 Sekunden, von der Vena jugul. bis in die Art. metatarsi zwischen 20 und 25 Sekunden, 25 und 30 Sekunden, und einmahl mehr als lOSekunden. Das Resultat war ziemlich gleich bei verschiedener H\u00e4ufigkeit des Herzschlages. Hering\u2019s Resultate stehen indess mit der Voraussetzung \u00fcber die Menge des Blutes und \u00fcber die Menge Blut, welche mit jedem Herzschlage weiter gebracht werden kann, im Widerspruch. Nach Wrisberg hatte eine Frau durch t\u00f6dtlichen Mutterblutsturz 26 Pfund Blut verloren, und bei der Enthauptung einer Vollbl\u00fctigen sammelte man 24 Pfund Blut. Wenn man annimmt, dass 2 Unzen Blut bei jedem Herzschlage des Menschen weiter gef\u00f6rdert werden, so dauert der Umlauf bei 20 Pfund (biirgerl. Gewicht) Blut 160, hei 10 Pfund Blut, wie Herbst die Blutmasse des Menschen sch\u00e4tzt, 80 Herzschl\u00e4ge. Ueber die Blutmenge siehe Herbst de sang, (juantitate. Gotting. 1822. Mit mehr Sicherheit kann man daher annehmen, dass der Blutumlauf heim Menschen in 80\u2014214 Herzschl\u00e4gen, oder in 1 \u2014 2 Minuten vollendet ist. Vcrgl. Burdach Physiol. 4. 101. 253.\nDie Zeit, in welcher das Blut den Weg von der einen zur andern Herzh\u00e4lfte, oder die H\u00e4lfte des Kreislaufes zur\u00fccklegt, ist f\u00fcr verschiedene Organe sehr verschieden. Das Blut, das von dem linken Herzen durch die Vasa coronaria cordis zum rechten Herzen gelangt, braucht einen ausserordentlich viel k\u00fcrzeren Zeitraum zu dieser Bahn, als das Blut, welches vom linken Herzen dem Fusse zustr\u00f6mt und zum rechten Herzen zur\u00fcckkehrt, und so bildet die Circulation vom linken Herzen zum rechten unendlich viele verschieden grosse Bogen, wovon der kleinste der durch die Kranzgef\u00e4sse oder ern\u00e4hrenden Gelasse des Herzens selbst ist. Der Weg vom rechten Herzen durch die Lungen zum lin-","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"2. Allgem. Erschein, des Kreislaufs. Geschwindigkeit d. Bluts. 187\nken Herzen ist k\u00fcrzer als die meisten dieser Bogen im grossen Kreisl\u00e4ufe, und das Blut legt diesen Weg ceteris paribus viel schneller zur\u00fcck als in den meisten Gefassen, welche zuin grossen Kreisl\u00e4ufe geh\u00f6ren.\nObgleich die Menge Blut, welche im grossen Kreisl\u00e4ufe in jedem Augenblicke enthalten ist, wegen der grossem Bahn ausserordentlich viel gr\u00f6sser ist, als die Menge innerhalb des kleinen Kreislaufes, so lliesst doch an einer gedachten Stelle der Arteria pubnonahs in einem Zeitr\u00e4ume eben so viel Blut vorbei, als an einer gadachten Stelle der Aorta; denn es kann an jedem Orte der Hauptst\u00e4mme der in sich verschlossenen Bahn nur so viel Blut abfliessen, als an einer andern Stelle zustr\u00f6mt. (Dagegen kann die Circulation in den kleineren Gefassen sehr variiren.) Denkt man sich ferner die Ueberg\u00e4nge der Arterien in Venen in den Lungen und im \u00fcbrigen K\u00f6rper gleich dick, so m\u00fcssen in den Lungen auf einer gewissen Stelle ausserordentlich vielmal mehr Capillargef\u00e4sse zusammengedr\u00e4ngt seyn, als auf einer gleich grossen Stelle im \u00fcbrigen K\u00f6rper. Diess best\u00e4tigt die Beobachtung, indem schon in den Lungen der Fr\u00f6sche die Zwischenr\u00e4ume zwischen den Capillargef\u00e4ssen kaum gr\u00f6sser, heim Menschen fast kleiner als die Capillargef\u00e4sse selbst dick sind, wie Cowpeb, Wedemeyer, Marshall Hall, Trevost und Dumas (vom Menschen Weber) gezeigt haben, und ich wieder finde. An den Lungen der Salamander und Fr\u00f6sche wenigstens sind, wie Wede-meyer und Marshall Hall zeigen, die feinsten Zweige der Lun-gengef\u00e4sse auf den Lungenzellen gleichsam siebformig durchl\u00f6chert, und das Blut fliesst zwischen sehr kleinen Inselchen aus dem Siehe der einen Gef\u00e4sschen in das Sieb der anderen Ge-l\u00e4sschen \u00fcber.\nEndlich ist zu bemerken, dass die Geschwindigkeit des Blutes in den kleinen Aesten kleiner seyn muss, als in den St\u00e4mmen der Gef\u00e4sse \u00fcberhaupt, weil die Capacit\u00e4t der Aeste eines Stammes zusammengenommen gr\u00f6sser scheint als die Area des Stammes seihst, obgleich dieses Verh\u00e4ltniss keineswegs als streng erwiesen zu betrachten ist. Denkt man sich aber alle Aeste eines Organes vereinigt, und den Kreislauf als eine in sich zur\u00fcckkehrende Bahn dieses Blutstroms, so geht an allen Stellen dieser Bahn in gleicher Zeit gleichviel Blut vor\u00fcber, w\u00e4hrend die Theilchen derselben Masse sich schneller bewegen m\u00fcssen, wenn die R\u00f6hren eng werden, langsamer in weiten R\u00f6hren, so dass dort bei langsamer Bewegung der Theilchen in weiteren, hierbei schnellerer Bewegung m engeren R\u00f6hren, doch \u00fcberall dieselbe Masse Blut in gleich viel Zeit an allen Stellen der Blutbahn weiter gef\u00f6rdert wird.\nIII. Capitel. Vom Herzen als Ursache des Kreislaufs.\nDas Herz zieht sich auf mechanische oder galvanische Irritation gleich den anderen muskul\u00f6sen Theilen zusammen. Soem-mebring, Behreuds, Bicuat haben den Einfluss des Galvanismus","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahsclin. Vom Blutkreislauf.\nauf tlas Herz gel\u00e4ugnet, allein ich habe h\u00e4ufig Humboldt\u2019s und Fowler\u2019s Versuche best\u00e4tigt gefunden, und sowohl bei Fr\u00f6schen als beim Hunde, bei denen die Zusammenziehungen des Herzens aufgeh\u00f6rt hatten, durch ein einfaches Plattenpaar oder durch eine schwache galvanische S\u00e4ule die Zusammenziehungen erregt. Das Herz unterscheidet sich aber mit den nur unwillk\u00fchrlicb beweglichen Theilen, Darmkanal etc., von den \u00fcbrigen Muskeln, dass der Reiz nicht eine momentane Zuckung, sondern anhaltend eine Reihe rhythmischer Bewegungen erregt, wie sie den meisten un-willk\u00fchrlich beweglichen Theilen eigen sind. Da das Herz nun \"gleich allen Muskeln durch Reize zur Contraction angeregt wird, so liegt es sehr nahe anzunehmen: dass das Blut der Herzh\u00f6hlen selbst das Herz zu Contractionen reizt, um so mehr, da das Herz sogleich schw\u00e4cher schl\u00e4gt, wenn es weniger Blut enth\u00e4lt. Dass diese Contractionen rhythmisch sind, hat man sich daraus erkl\u00e4rt, dass das Herz durch die Contraction den Reiz, n\u00e4mlich das Blut, nach der einen Seite entfernt, w\u00e4hrend diese Ortsver\u00e4nderung des Blutes wieder die Ursache ist, dass von Seiten der Venen das Herz wieder mit Blut gef\u00fcllt wird. Auch liesse sich hiernach einsehen, wie die Contractionen der Vorkammern und Kammern allerniren, da die eine H\u00f6hle durch ihre Contraction die Ursache wird, dass die andere Holde sich wieder anf\u00fcllt. So nothwendig indess eine gewisse Blutmenge und eine gewisse Anf\u00fcllung der Herzh\u00f6hlen zur Unterhaltung der Th\u00e4tigkeit des Herzens ist, und so gewiss jede mechanische Ausdehnung des Herzens von innen Zusammenziehung in ihm hervorrufen muss, so ist der Reiz des Blutes in den Herzh\u00f6hlen doch nicht der letzte Grund der rhvthmischen Zusammenziehungen des Herzens. Denn auch das blutleere Herz setzt seine Contractionen noch schw\u00e4cher fort. Man k\u00f6nnte das Rhythmische in der Contraction des Herzens auch davon ableiten, dass jede Zusammenziehung das Blut in den ern\u00e4hrenden Gef\u00e4ssen des Herzens zur\u00fccktreibt, mit dem Aufh\u00f6ren der Zusammenziehung aber wieder Zustr\u00f6men des Blutes in die kleinsten Gef\u00e4sse der Herzsubstanz unter dem best\u00e4ndigen Drucke des Blutes von den elastischen Arterienh\u00e4uten ein-tritt, so dass die feinsten Gef \u00e4sse des Herzens bei jeder Erschlaffung mit mehr Blut gef\u00fcllt werden, diese Anf\u00fcllung mit hellro-them Blute nun wieder die Ursache der Contraction w\u00e4re. Diese Ansicht wird aber durch denselben Einwurl widerlegt. Denn das Herz der Thiere, besonders der Amphibien und Fische, zieht sich auch ausgeschnitten und blutleer rhythmisch, bei Amphibien Stunden lang, und zwar in derselben Folge von Vorh\u00f6fen und Kammer zusammen. Nun k\u00f6nnte man zwar dieSs von dem Reize der Luft ableiten, und an jenes pag. 57. erl\u00e4uterte Gesetz erinnern, dass, wenn ein Reiz auch best\u00e4ndig ist, die Contractionen doch oft noch periodisch erfolgen k\u00f6nnen. Allein dasselbe geschieht im luftleeren Raume, und ohne einen inneren Grund k\u00f6nnte sich nicht die regelm\u00e4ssige Aufeinanderfolge der Ventricular-Contraction auf die Contraction der Vorh\u00f6fe erhalten. Die Ursache muss also viel tiefer liegen. Es muss in der Organisation des Herzens und in der best\u00e4ndigen Wechselwirkung des","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ursachen der Herzthiitigkeit. Athmen.\n189\nPl\u00fbtes in den kleinsten Gef\u00f6ssen mit der Herzsubstanz, oder in der Wechselwirkung der Herznerven und der Herzsubstanz etwas liegen, was entweder anhaltend wirkt, worauf aber das Herz nach dem pag. 57. erl\u00e4uterten Gesetze nur periodisch reagirt, oder das selbst periodisch auf das Herz einwirkt. Die L\u00f6sung dieser Frage ist unendlich schwierig, bei dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft unm\u00f6glich.\n1) Abh\u00e4ngigkeit des Herzens vom Athmen. Sobald die chemischen Ver\u00e4nderungen des Blutes in den Lungen aufh\u00f6ren, durch Verletzungen der Nerven, welche die Athembewegungen auf heben, oder durch mechanische Hindernisse des Athmens oder irrespirable Luftarten, wird die Lebensth\u00e4tigkeit aller Organe geschw\u00e4cht, und bei den h\u00f6heren Tbieren sogar schnell aufgehoben. Obgleich dann, wie Bichat und Emmert (Reil\u2019s Archiv 5. 401.) gezeigt haben, die Bewegung des dunkelroth gewordenen Blutes der Arterien nicht sogleich aufh\u00f6rt, und, obgleich das Herz nach dem scheinbaren allgemeinen Tode selbst bei warmbl\u00fctigen Tbieren noch \u00fcber Stunde in einzelnen F\u00e4llen schwach und langsam zu schlagen fortf\u00e4hrt, so wird es doch durch Hinderniss des Athmens wenigstens so sehr in seiner Wirkung geschw\u00e4cht, dass der Kreislauf schon bald nicht mehr unterhalten werden kann; dagegen sich bei allen Thieren, deren Athembewegungen durch Verletzungen des Gehirns, besonders der Medulla oblongata, oder durch Vergiftung aufgehoben sind, durch k\u00fcnstlich unterhaltenes Athmen mit Lufteinblasen und Ausdr\u00fck-ken, der Kreislauf viel l\u00e4nger unterhalten l\u00e4sst. Bei einem nach Unterbindung der Halsgef\u00e4sse gek\u00f6pften Hunde sah Bro-die unter k\u00fcnstlichem Athmen das Herz noch 2^ Stunden 35mal, und bei einem andern noch 1t} Stunden 30rual in der Minute schlagen. (Reil\u2019s vlrchiv 12. 140.) Bei den kaltbl\u00fctigen Thieren ist dieser Einfluss des Athmens oder des hellrothen Blutes auf das Herz viel geringer, denn ich habe Fr\u00f6sche, denen ich die Lungen unterbunden und abgeschnitten hatte, noch 30 Stunden bei andauernder Th\u00e4tigkeit des Herzens fortleben sehen. Da nun aber Fr\u00f6sche nach der Zerst\u00f6rung des Gehirns und R\u00fck-kenmarkes schneller die Kraft des Herzens verlieren (in 6 Stunden h\u00f6ren die Contractionen auf), so folgt hieraus, dass die Fr\u00f6sche nach dem Abschneiden der Lungen entweder durch die Haut das Athmen einigermaassen ersetzen k\u00f6nnen, oder dass sehr wahrscheinlich das Gehirn und R\u00fcckenmark viel n\u00f6thiger sind zur Unterhaltung der Bewegungen des Herzens, als das Athmen selbst. Denn Fr\u00f6sche leben, wenn sie weder mit den Lungen, noch mit der Haut athmen k\u00f6nnen, in reinem Wasserstoffgas doch noch \u00fcber 12 Stunden, wie ich selbst sah. Es k\u00f6nnte sogar die endliche Unterbrechung der Herzth\u00e4tigkeit nach Unterbrechung des Athmens grossentheils auch von der Ver\u00e4nderung des Nervensystems herr\u00fchren, die erfolgt, wenn es kein liellro-thes Blut mehr empf\u00e4ngt.\nDie St\u00f6rung des Kreislaufes nach Unterbrechung des Athmens bei den h\u00f6heren Thieren ist jedenfalls nicht von dem Col-lapsus der Lungen bedingt, insofern diese im collabirten Zustande","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"J .90 I. Burk. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\ndem Durchg\u00e4nge des Blutes ein Hinderniss darbieten k\u00f6nnten. Denn wie Bichat und Emmert zeigten, dauert die Bewegung des Blutes in den Arterien anfangs noch ungest\u00f6rt fort.\nGoodwyn hat die Schw\u00e4chung des Kreislaufes nach Unterbrechung des Athmens bei den h\u00f6heren Thieren davon abgeleitet, dass der linke Ventrikel kein hellrothes Blut mehr erhalte, und vorausgesetzt, dass zur Th\u00e4tigkeit des linken Herzens dieser Einfluss durchaus nothwendig sey. Dagegen erinnert Bichat, dass das bei nicht athmenden Thieren von den Lungen zum Herzen kommende dunkelrothe Btut die Zusammenziehungen des Herzens nicht sogleich aufhebe. Obgleich diese und andere von Bichat [rech, sur la vie et la mort) hiergegen angef\u00fchrte Gr\u00fcnde gar nichts beweisen, so ist es doch durchaus nicht wahrscheinlich, dass beide Herzh\u00f6hlen eine specifische Reizbarkeit f\u00fcr verschiedene Blutarten haben. Denn beim Foetus, wo die Vorh\u00f6fe durch das Foramen ovale communiciren, und \u00fcberhaupt kein Athmen in den Lungen, sondern nur eine gewisse Ver\u00e4nderung des Blutes in der Placenta bewirkt wird, enthalten beide Herzh\u00e4lften einerlei Blut. Wenn das hellrothe Blut durch eine unmittelbare Wirkung auf das Herz zur Unterhaltung der Herzbewegung wirklich nothwendig ist, so ist Bichat\u2019s Meinung viel wahrscheinlicher, dass durch Unterbrechung des Athmens das Herz darum seine Reizbarkeit verliere, weil seinen Muskelfasern durch die Kranzarterien oder ern\u00e4hrenden Gef\u00e4sse des Herzens nun kein hellrothes Blut, sondern dunkelrothes Blut zugef\u00fchrt wird. So gewiss nun dieser Einfluss zu seyn scheint, so l\u00e4sst sich doch nicht ermessen, in welchem Verh\u00e4ltniss dieses Bed\u00fcrfniss zum Bed\u00fcrf-niss des Nerveneinflusses auf das Herz steht, indem alle Ver\u00e4nderungen des Athmens auch den Einfluss der Nerven auf die \u00fcbrigen organischen Theile ver\u00e4ndern.\n2) Abh\u00e4ngigkeit des Herzens von den Nerven. Obgleich die Ver\u00e4nderung des Herzschlages in den Leidenschaften und anderen Ver\u00e4nderungen des Nervensystems augenscheinlich ist, indem der Herzschlag z. B. in allen pl\u00f6tzlichen Leidenschaften, excitirenden sowohl als deprimirenden, anfangs gest\u00f6rt, dann h\u00e4ufiger, und zwar in ersteren heftig und h\u00e4ufig, in letzteren schwach und h\u00e4ufig wird, so haben doch Einige diesen Einfluss nicht noting gehalten zur Bewegung des Herzens. Haller behauptete diese Unabh\u00e4ngigkeit, weil das ausgeschnittene Herz sich zusammen zu ziehen tortf\u00e4hrt, weil die Reizung der Herznerven nicht jene Convulsionen erzeugt, die die Reizung der Nerven in den \u00fcbrigen Muskeln erzeugt.\nDie Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand beginnen wieder mit der Arbeit von Soemmerring und Behrends \u00fcber die Herznerven 1792,- welche zu beweisen suchten, dass die Herzsubstanz gar keine Nerven erhalte, und dass alle F\u00e4den der Herz-nerven in der Substanz des Herzens nur den H\u00e4uten der Herz-gef\u00e4sse angeh\u00f6ren. Hierdurch schien Haller\u2019s Lehre von der Zusammenziehungskraft der Muskeln best\u00e4tigt zu werden, dass n\u00e4mlich die Muskeln durch sich seihst und nicht durch ihre Wechselwirkung mit den Nerven Bewegkraft besitzen, dass die","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"3) Ursachen der\nIlerzthiitigkeit.\nNervensystem.\n191\nNerven gleich wie die \u00e4usseren (mechanischen, elektrischen, chemischen) Reize Bewegungen der Muskeln veranlassen, und es folgt also, dass das Herz, indem es dem Einfl\u00fcsse der Nerven entzogen ist, durch das Blut selbst zu Bewegungen gereizt wird. Soemmekring\u2019s und Behrends Versuche, dass der Galvanismus keine Zusammenziehungen des Herzens bewirke, da er diess doch in allen mit Nerven versehenen Muskeln timt, schienen diese Ansicht noch mehr zu best\u00e4tigen. Allein Scarpa zeigte, dass die Herznerven allerdings auch sehr zahlreich in dem Muskelfleische des Herzens sieh verbreiten, v. Humboldt, Pfaff, Fowler und Wedemeyer haben durch Galvanismus Zusammenziehungen des Herzens bewirkt, und mir ist dasselbe sowohl hei Fr\u00f6schen als S\u00e4ugethieren gelungen. Humboldt hat sogar durch Galvanisiren der Nervi cardiaci hei S\u00e4ugethieren Bewegungen des H erzens hervorgerufen. Ueber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. 1. 342. Die Nerven k\u00f6nnen sonst, wie Burdach mit Recht bemerkt, auch als feuchte Leiter wirken, wenn der eine Pol auf sie, der andere auf das Herz applicirt wird. Burdach sah aber wirklich Verst\u00e4rkung des Herzschlages eines get\u00f6dteten Kaninchens, als er das Ifalsst\u00fcck des sympathischen Nerven \u00f6der das untere Halsganglion armirte. Physiol. 4. 464. Solche Versuche \u00fcber die motorische Kraft von Nerven sind bloss beweisend, wenn die Nerven allein armirt werden, und wenn die galvanische Action sehr schwach ist. Starke Entladungen werden hierbei von jeder Stelle aus durch feuchte Leiter, und so durch Nerven, zum Herzen seihst bloss durchgeleitet. Die Versuche von Burdach, in welchen er bei einem get\u00f6dteten Kaninchen durch Betupfen des sympath. Nerven mit caust. Kali oder \u00e4tzendem Ammonium den Herzschlag wieder beschleunigte, sind daher um so interessanter, besonders auch, da bei einem get\u00f6dteten Kaninchen keine schmerzhaften Empfindungen mehr einwirken, und den Herzschlag ver\u00e4ndern k\u00f6nnen. Dieser Versuch wollte mir hei Wiederholung nicht so gelingen. Die Versuche, welche Brechet {rech, sur le syst, gangliouaire) und Andere \u00fcber Reizung\nk\u00f6nnen in der Herzschlag so\nder Nerven an lebendigen Thieren angestellt haben Hinsicht des flerzeus gar nichts erweisen, da sehr bei schmerzhaften Empfindungen sich \u00e4ndert.\nEndlich unterscheidet sich das Herz wieder von anderen Muskeln, dass es ausgeschnitten und leer, besonders hei kaltbl\u00fctigen Thieren, auch ohne Reiz sich zusammen zu ziehen fortf\u00e4hrt, dass es hierbei selbst die regelm\u00e4ssige Aufeinanderfolge in den Abtheilungen des Herzens beobachtet, Verh\u00e4ltnisse, die man nicht anders als aus einem specifischen Einfl\u00fcsse der noch \u00fcbrigen Nerven in der Substanz des ausgeschnittenen leeren Herzens erkl\u00e4ren kann, welcher somit die letzte Ursache der Contractio-nen des Herzens zu seyn scheint, um so mehr, da die Reizungen der Nerven durch Reizungen des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, und Leidenschaften einen so grossen Einfluss auf die Ver\u00e4nderung uer Th\u00e4tigkeit des Herzens haben. K\u00f6nnte man Einfl\u00fcsse, welche die belebende Wirkung der Nerven zerst\u00f6ren, ohne zugleich\ndas Zusammenziehunt\nder Muskeln auch aufzuheben,","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf\nso w\u00fcrde man diese Frage bis zur Gewissheit entscheiden k\u00f6nnen; allein die Narkotika, welche an Nerven applicirt, diesen ihre F\u00e4higkeit nehmen, auf Reize, die auf die Nerven angebracht werden, Bewegung der mit ihnen verbundenen Muskeln hervorzurufen, wirken eben so auf die Muskeln applicirt und machen sie unf\u00e4hig, durch Reizung der Nerven ihre Zusammenziehungskraft zu \u00e4ussern. Das Opium auf das Herz eines Frosches angewandt, hebt dessen Bewegungen bald auf, (sehr schnell wenn es auf die innere Fl\u00e4che des Herzens angewandt wird, viel sp\u00e4ter, wie Henry zeigte, wenn es auf dessen \u00e4ussere Fl\u00e4che applicirt wird). Indessen beweist die pl\u00f6tzliche Ver\u00e4nderung und Stockung des Herzschlages nach einer gewaltsamen Zerst\u00f6rung des ganzen R\u00fck-kenmarkes jedenfalls, das die Nerven des Herzens einen grossen Antheil an dessen Bewegungen haben.\nOb dieser Einfluss unmittelbar von den Herznerven und ihren Quellen, dem Nervus sympathicus ausgebe, oder ob das Gehirn und R\u00fcckenmark diese Nerven mit derjenigen Kraft versehen, wodurch sie die Bewegungskraft des Herzens erhalten, ist eine andere Frage. Diese Frage wurde vorz\u00fcglich durch Bichat in Anregung gebracht. Bichat trennte genauer die Functionen der physiologisch verschiedenen Nervenst\u00e4mme, der Cerebro-Spinal-Nerven und des Nervus sympathicus. Die Nerven des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, welche wiilk\u00fchrliche Bewegungen veranlassen k\u00f6nnen, wenn sie sich in Muskeln verbreiten, sind in einer grossen Abh\u00e4ngigkeit von diesen Organen ; die Unterbrechung ihres Zusammenhanges mit dem Gehirn oder R\u00fcckenmarke hebt ihren Einfluss zur Erregung willk\u00fchrlicher Bewegungen auf. Die Nerven des R\u00fcckenmarkes sind eben so gel\u00e4hmt, wenn die Leitung zwischen ihnen und dem Gehirn durch Verletzung des R\u00fcckenmarkes aufgehoben ist, obgleich ein vom Gehirn oder R\u00fcckenmarke getrennter Nerve bei mechanischer oder galvanischer Reizung noch unwilik\u00fchrliche Bewegung des mit ihm verbundenen Muskels bewirkt. Die von dem Nervus sympathicus versehenen Theile, Herz, Darmkanal, Uterus etc., haben dagegen nur unwilik\u00fchrliche Bewegungen; der Nervus sympathicus h\u00e4ngt nicht unmittelbar mit dem Gehirn und R\u00fcckenmarke, wie die Cerebro-Spinalnerven, sondern nur mittelbar durch Vermittelung der letztem zusammen. Bichat nannte das System der Cerebro-Spinalnerven das animalische, das System des Nervus sympathicus das organische Nervensystem, schrieb dem letztem eine gewisse Unabh\u00e4ngigkeit von Gehirn und R\u00fcckenmark zu, und betrachtete die Ganglien und Geflechte des N. sympathicus als dessen Centraltheile. In der neuern Zeit ist die nach dem Kreisl\u00e4ufe des Blutes zweite grosse Entdeckung gemacht worden, n\u00e4mlich, dass die Spinalnerven, welche durch eine vordere oder hintere Wurzel von dem R\u00fcckenmarke entspringen, durch die vordere Wurzel im Stande sind, Bewegungen in den Muskeln hervorzurufen, durch die hintere Wurzel, welche mit einem Ganglion versehen ist, aber empfindend sind. Bell hat diese Entdek-kung gemacht, und ich habe bewiesen, dass mechanische und galvanische Reize, auf die hinteren Wurzeln der Spinalnerven ap-","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ursachen der Ilerzlheilig keit. Nervensystem.\n193\nplicirt, nicht im Stande sind, Bewegung in den Muskeln zu erregen, zu welchen die Spinalnerven hingehen. Siehe III. B\u00fcch. Scarpa hat nun in der neuern Zeit zu zeigen gesucht, dass der Nervus sympathicus, der in der Brust mit dem Anf\u00e4nge der Spinalnerven zusammenh\u00e4ngt, doch hioss mit den hinteren Wurzeln der Spinalnerven, nicht aher mit den vorderen in Verbindung stehe, und dass also der Nervus sympathicus weder vom B\u00fcckenmarke aus zur Erregung des Herzens bestimmt werden k\u00f6nne, noch selbst motorische Kraft besitze. Scarpa de gangliis nervorum decpie origine et essentia n. intercostalis ad H. Weber. Annal, univers. d. medicina. Magg. e Giugn. 1831. Wutzer\u2019s und meine eigenen Untersuchungen, so wie die von Retzius und Mayer, haben indess gezeigt, dass Scarpa\u2019s sp\u00e4tere Ansicht unrichtig ist, und dass die Rami communicantes inter n. sympathicum et nerv\u00f6s spinales, sowohl von der vordem motorischen, als von der hintern sensibeln Wurzel der Spinalnerven ihre F\u00e4den erhalten. Siehe Meckel\u2019s Archiv 1831. 1. p. 85. u. 260.\nMit der Untersuchung des Einflusses des R\u00fcckenmarkes und Gehirns auf die Bewegungen des Herzens haben sich auf experimentellem Wege besonders Legallois, Philip, Trevirahus, Nasse, Wedemeyer, Clift und Flourens besch\u00e4ftigt.\nLegallois trat mit neuen Thatsachen in seinem Werke {exp. sur le principe de la vie. Paris 1812.) hervor, nach welchen der Grund der Herzth\u00e4tigkeit nur in dem R\u00fcckenmarke gelegen seyn sollte. Legallois Beweise lassen sich auf folgende Hauptpunkte reduciren.\nZerst\u00f6rt man bei einem Tbiere den Cervicaltheil des R\u00fcckenmarkes und die Medulla oblongata, so h\u00f6rt das Atlunen wegen der Zerst\u00f6rung der Quelle der Athemnerven, n\u00e4mlich der Medulla oblongata und des R\u00fcckenmarkes, auf. Der Herzschlag dauert schw\u00e4cher noch fort, ohne l\u00e4ngere Zeit den Blutlauf unterhalten zu k\u00f6nnen, und die zur Unterhaltung der Circulation n\u00f6-thige St\u00e4rke der Herzbewegung l\u00e4sst sich durch k\u00fcnstliche Respiration nicht erwecken. Die theilweise und in Pausen aufeinander folgende Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes unterh\u00e4lt die Herzbewegung l\u00e4nger als die pl\u00f6tzliche Zerst\u00f6rung.\nDer Kreislauf des Blutes h\u00f6rt auch auf, wenn man nur den untern Theit des R\u00fcckenmarkes durch Einstossen eines Griffels vernichtet. Auch dann wird er durch k\u00fcnstliche Respiration nicht wieder erregt.\nAus diesen Versuchen schloss Legallois, dass der Nerveneinfluss auf die Herzth\u00e4tigkeit von dem R\u00fcckenmarke ausgehe, und zwar nicht von einem bestimmten Theile des R\u00fcckenmarkes, sondern von dem ganzen R\u00fcckenmarke. Wenn diess wahr ist, schloss Legallois, so wird nach Zerst\u00f6rung eines Theiles des R\u00fcckenmarkes die Nervenkralt des unversehrten Theiles nicht mehr hinreichen, das Herz zur Bewegung der ganzen Masse des Blutes zu erregen. Allerdings wird sie aber hinreichen, bei k\u00fcnstlichem Athmen das Blut durch einen Theil des Gef\u00e4sssystems zu treiben. Legallois schloss weiter, dass, wenn man nach partieller Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes den Weg des Blutes durch das ganze\nM tiller\u2019s Physiologie. I,\tj[3","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nGef\u00e4sssystem, durch Unterbindung einzelner Gef\u00e4sse einschr\u00e4nke, der Blutlauf in diesen eingeschr\u00e4nkten Theilen noch unterhalten werden k\u00f6nne. Und lege man die Ligatur immer n\u00e4her dem Herzen an, so w\u00fcrde man einen immer grossem Theil des R\u00fck-kenmarkes ohne Unterbrechung des Kreislaufes zer.st\u00f6ren k\u00f6nnen. Legallois unterband an Kaninchen die Aorta in der Gegend der Lendenwirbel, und zerst\u00f6rte das Lendenmark. In anderen F\u00e4llen schnitt er den Kopf ab, als er die Carotiden und Jugularvenen unterbunden, und zerst\u00f6rte das Halsmark, indem er den Blutlauf durch die k\u00fcnstliche Respiration unterst\u00fctzte, und in noch grausameren Versuchen nahm er die ganze untere H\u00e4lfte des K\u00f6rpers weg, nachdem er die grossen Gef\u00e4sse unterbunden. In allen F\u00e4llen dauerte der Kreislauf zwischen dem Herzen und den Ligaturen l\u00e4ngere und k\u00fcrzere Zeit fort, und in manchen F\u00e4llen, nach Legallois Aussage, noch l\u00e4nger als j Stunden.\nAus diesen Versuchen schloss Legallois, dass der Nervus sympathicus nicht unabh\u00e4ngig sey, dass er nicht bloss mit dem R\u00fcckenmarke Zusammenh\u00e4nge, sondern von ihm entspringe, und dass es der eigenth\u00fcmliche Charakter dieses Nerven sey, alle Theile, in welchen er sich verbreitet, unter den Einfluss der motorischen Kraft des ganzen R\u00fcckenmarkes zu setzen. Das berichterstattende Comit\u00e9 glaubte, dass diese Versuche alle Schwierigkeiten l\u00f6sen, die sich fr\u00fcher \u00fcber die Bewegungen des Herzens erhoben haben, wie namentlich, warum das Herz dem Einfl\u00fcsse der Leidenschaften unterworfen sey, warum es nicht dem Willen gehorche, warum die Circulation in den hirnlosen Missgeburten oder Acephalen bis zur Gehurt fortdauere.\nDass indessen Legallois Versuche nicht das ganze Verh\u00e4lt-niss zwischen Gehirn, R\u00fcckenmark und dem sympathischen Nerven aufgekl\u00e4rt haben, ist durch Wilson Philip\u2019s Versuche gezeigt worden. Untersuchungen \u00fcber die Gesetze der Functionen des Lebens. Stuttg. 1822. Wird ein Thier durch einen Schlag auf den Hinterkopf der willk\u00fchrlichen Bewegung und der Empfindung beraubt, so h\u00f6rt die Respiration auf, die Herzbewegung dauert aber noch fort, und kann durch k\u00fcnstliche Respiration noch lange unterhalten werden. Wird nun das Piiickenmark und Gehirn ganz entfernt durch Ausschneiden, so schl\u00e4gt das Herz dennoch fort, aber schw\u00e4cher als gew\u00f6hnlich. Auch wenn das R\u00fck-kenmark und Gehirn mit einem heissen Stabe zerst\u00f6rt wird, dauert in der Regel die Bewegung des Herzens fort. Philip schliesst hieraus das Gegentheil der Resultate von Legallois, n\u00e4mlich dass die Th\u00e4tigkeit des Herzens dem innern Grunde nach unabh\u00e4ngig sey vom Gehirn und R\u00fcckenmark. Aber beide Organe, Gehirn und R\u00fcckenmark haben gleichwohl nach Philip\u2019s Versuchen einen grossen Einfluss auf die sympathischen Affectionen des sympathischen Nerven und des Herzens.\nPhilip sah, dass, wenn er Weingeist auf das hlossgelegte Gehirn oder auf das R\u00fcckenmark auftr\u00e4ufelte, die Bewegung des Herzens sich vermehrte, deutlicher, wenn der Weingeist auf den Ilalstheil des R\u00fcckenmarkes, schw\u00e4cher, wenn er auf den Lum-baltheil applicirt wurde. Opium und Tabaksabsud wirkten ebenso.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ursachen der Ilerzth\u00e4tigkeit. Nervensystem.\n195\nDie reizende Wirkung trete bei den Opium und Tabak vor der narkotischen ein, denn allm\u00e4hlig -werden nun die Bewegungen des Herzens langsamer. Diese Reize wirken durch das Gehirn und R\u00fcckenmark noch immer auf die Eingeweide, wenn sie durch Gehirn und R\u00fcckenmark keinen Einfluss mehr auf die willk\u00fchr-Jichen Muskeln haben. (Marshall Hall best\u00e4tigt diess nicht. Weder Opium, noch Weingeist brachten Beschleunigung hervor, und Opiumvergiftung vernichtete bei dem Starrkrampfe auch den Kreislauf.) Das Herz steht nach Philip mit allen Theilen des Gehirns und R\u00fcckenmarkes in Relation, gewisse willk\u00fchr-liche Bewegungen aber nur mit gervissen Theilen des Gehirns und R\u00fcckenmarkes. Philip hat auch gezeigt, dass der Einfluss des Gehirns und R\u00fcckenmarkes auf den N. sympathicus und die Eingeweide sich ganz verschieden zeigt nach der Art der Verletzung. Wird das Gehirn zerst\u00f6rt durch Ausschneiden einzelner Theile, oder das ganze Gehirn entfernt, wird das R\u00fcckenmark mit einem heissen Stabe langsam zerst\u00f6rt, so schl\u00e4gt das Herz nach wie vor noch geraume Zeit schw\u00e4cher; allein die Ilerzth\u00e4-tigkeit ist gebrochen, wenn die Zerst\u00f6rung schnell und wie zerschmetternd geschieht. So wenn das Gehirn eines lebenden Frosches mit einem Hammer zerschmettert Avird, so reagirt das Herz nur schwach und langsam mehr, es liegt halbe Minuten still. Wird nun das R\u00fcckenmark schnell und geivaltsam zerst\u00f6rt, so ist die Bewegung wieder f\u00fcr eine Zeitlang erloschen. Nachher sammelt sich die Contractionskraft wieder. Clift sah das Herz der Karpfen nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes noch 11 Stunden schlagen.\nFlourens schliesst nach seinen Versuchen an Fischen, dass die Th\u00e4tigkeit des Herzens nur vom Athmen abb\u00e4nge, und dass sie aufh\u00f6re durch Aufhebung der Athembewegungen bei Verletzung der Medulla oblongata, von welcher die Athembewegungen abh\u00e4ngen, dass bei Fischen, deren Athembewegungen allein von der Medulla oblongata abh\u00e4ngen, und nach Verletzung des R\u00fcckenmarkes deswegen fortdauern k\u00f6nnen, auch der Kreislauf deshalb fortdaure. Dagegen hat Marshall Hall (an essay on the circulation. Lond. 1831.) bei Fischen auch nach Zerst\u00f6rung der Medulla oblongata den Kreislauf sehr lange fortdauern gesehen. Marshall Hall l\u00e4sst indess das Herz immer in einer bedingten Abh\u00e4ngigkeit vom R\u00fcckenmarke und Gehirn sevn. Vergl. Treviranus Biol. 4. 644., Clift Phil. Trans. 1815., Wedemeyer Physiol. Unters, \u00fcber das Nervensystem und die Respiration. Hannoo. 1817. Nasse in Horn\u2019s Arch. 1817. 189. Flourens Versuche \u00fcber die Eigenschaften und Verrichtungen des Nervensystems. Lcipz. 1824. Fine ausf\u00fchrliche Pr\u00fcfung von Legallois Versuchen, und eine lichtvolle Darstellung der ganzen Streitfrage hat Nasse gegeben. Nasse Untersuch, zur Lehensnaturlehre. Halle 1818. Vergl. Lund Physiol. Resultate der Vivisectionen neuerer Zeit. Kopenh. 1825. 162.\nFasst man die Resultate von Legallois, Wilson u. A. mit den schon bekannten Thatsachen zusammen, dass das ausgeschnittene Herz, besonders bei Amphibien und Fischen noch lange fortschl\u00e4gt, dass deprimirende Ailectionen des Nervensystemes die\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"106 T. Bnr}i. Von den organ. S\u00e4\u00dfen eie. II. Abscb.il. Vom Blutkreislauf.\nKraft des Herzschlages schwachen, und dass mit der nerv\u00f6sen Ohnmacht auch Schw\u00e4chung des Kreislaufes verbunden ist, so folgt:\n1)\tDass Gehirn und R\u00fcckenmark einen grossen Einfluss auf die Bewegung des Herzens haben, dessen Bewegungen beschleunigen, verlangsamen, schw\u00e4chen und verst\u00e4rken k\u00f6nnen.\n2)\tDass die Herzbewegimg aber nach der einfachen Trennung des R\u00fcckenmarkes und Gehirns vom K\u00f6rper noch eine Zeit-lang fortdauert (nach Floubens bei Kaninchen mit Pulsation der Carotiden unter k\u00fcnstlicher Respiration \u00fcber eine Stunde), dass die Herzbewegungen aber viel schw\u00e4cher sind, und der Kreislauf nicht vollst\u00e4ndig l\u00e4ngere Zeit unterhalten wird.\n3)\tDass die Bewegung des Herzens auch beim Herausschneiden des Herzens, also bei der Trennung desselben von dem gr\u00f6ssten Theile des N. sympathicus nicht sogleich aufh\u00f6rt.\nR\u00fcckenmark und Gehirn stehen nicht zu dem Herzen in einem solchen Verh\u00e4ltnisse, dass die Entfernung der ersteren gerade das Princip der Bewegungen in dem Herzen aufhebt; die Herznerven k\u00f6nnen noch einen Theil des belebenden Einflusses enthalten, selbst derjenige Theil derselben, der noch in einem ausgeschnittenen Herzen enthalten ist. Aber Gehirn und R\u00fcckenmark m\u00fcssen gleichwohl als eine Ilauptquelle des Nerveneinflusses \u00fcberhaupt angesehen werden, ihre Vernichtung schw\u00e4cht das Herz in hohem Grade, so dass es zwar noch lange sich bewegt, aber nicht mit der zur Unterhaltung des Kreislaufes notliwendigen vollst\u00e4ndigen Kraft. Wenn cs ein Mittel giebt, den Grad dieser Abh\u00e4ngigkeit zu messen, so ist es das von Nasse angewendete. Er.mass die H\u00f6he des Blutstromes aus einer durchschnittenen Arterie im normalen Zustande, zerst\u00f6rte hierauf das Riik-kenmark oder einzelne Theile desselben, und fand nun, dass der Blutstrom nach einigen Minuten in einem der Verletzung angemessenen Grade abgenommen hatte. Auf jeden Fall ist aber der Nervus sympathicus vom Gehirn und R\u00fcckenmarke durchaus nicht in der Abh\u00e4ngigkeit wie die Cerebrospinalnerven. Diess geht allein schon aus der Beobachtung hervor, dass bei E'i-schen sich die Contractionen des .flerzens nach Zerst\u00f6rung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes selbst noch einen halben Tag lang erhalten.\nEine noch gr\u00f6ssere Unabh\u00e4ngigkeit vom Gehirn und R\u00fcckenmarke scheint die Blutbewegung bei hirn- und r\u00fcckenmarklosen Missgeburten zu haben. Allein wir besitzen \u00fcber diese Monstra noch nicht hinreichende anatomische Kenntnisse, um sie auf eine entscheidende Art zur L\u00f6sung der schwebenden Frage anzuwenden. Bei den hemicephalen Missgeburten wird das Gehirn meist durch Gehirnwassersucht zerst\u00f6rt, und dieselbe Krankheit kann auch das R\u00fcckenmark zerst\u00f6ren.\nBei den kopflosen Missgeburten fehlt in der Regel (nicht immer) auch das Herz, und die Gef\u00e4sse bestehen in der Regel nur aus zwei Gcf\u00e4sssystcmen, welche nicht durch die St\u00e4mme, sondern durch die Capillargef\u00e4sse Zusammenh\u00e4ngen, so dass die Nabelgef\u00e4sse Zweige dieser St\u00e4mme sind. Tiedemans Anatomie d. kopfi. Missgeburten. Landsh. 1813. Nur in dem Winsi.ow\u2019schen","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ursachen der Hcrzlh\u00fctigkeit. Nervus sympatldcus. 197\nFalle (Tiedem. p. 71.) hing die Nabelvene mit dem Arterienslamme zusammen, wie beim Embryo das Herz eine gleiche Umbiegung des Venenstammes in den Arterienstamm ist.\nBr\u00e4chet {recherches experimentales sur les fondions rlu syst\u00e8me ganglionaire. Paris 1820.) hat die F\u00e4lle von Acephalis gesammelt, bei denen auch das R\u00fcckenmark ganz fehlte. Vergl. Meck, pathol. Anat. I. Elben de acephalis. Berol. 1821. Besonders merkw\u00fcrdig ist der Fall von Rutsch (fhesaur. anal. IX. p. 17. Tab. 1. fig. 2.), wo, freilich an dem Mutterkuchen eines wohlgebildeten Foetus, eine untere Extremit\u00e4t hing. Eine Frucht, die fast aus einer blossen Extremit\u00e4t bestand, an einem Nabelstrange hing, und Ge-f\u00e4sse, Arterien und Venen, und einen kurzen Stumpf von R\u00fck-kenmark enthielt, bat Ewmert (Meck.. Arch. 6.) beschrieben. Vgl. den \u00e4hnlichen Fall Hayn monstri unicum pedem referentis descriptif) anat arnica. lierai. 1824. ln mehreren F\u00e4llen hat die Erkl\u00e4rung des Kreislaufes in der Missgeburt ohne Herz und R\u00fck-kenmark keine Schwierigkeit, wenn die Gef\u00e4sse des Monstrums bloss Zweige der Gef\u00e4sse des Nabelstranges eines andern gesunden Foetus sind, wie in Rudolphi\u2019s Fall, von einem Monstrum, das aus einem blossen Kopf bestand {Abhand/, d. Akad. zu Herl. 1816.). Eben so in dem von mir beobachteten, ganz \u00e4hnlichen Fall von einem Kopf, der durch eine Arterie und Vene mit den Nabelgef\u00e4ssen eines vollst\u00e4ndigen Kindes zusammenhing. Mueller\u2019s Archiv 1834. 179. Vergl. den Fall des rudiment\u00e4ren Monstrums, das Guki.t [pathol. Anat. 2. Bd. tab. 16. jig. 1 \u20144.) abbildet. Rudolhpi erkl\u00e4rt den Kreislauf der \u00fcbrigen herzlosen Monstra so, dass das Blut der Mutter vom Mutterkuchen durch die Nabelvene zum Foetus gelangl, die sich in ihm gleich einer Arterie vertheilt, und dass die Arterien des,Foetus das Blut zum Nabel und Mutterkuchen zur\u00fcckbringen. Encyclup. U \u00f6rtcrbuch der med. Wissensch. I. 226. Diese Erkl\u00e4rung ist aber sehr gewagt, da die Gelasse des Foetus oder Mutterkuchens nicht eigentlich mit den Gef\u00e4ssen des Uterus Zusammenh\u00e4ngen.\nDass der sympathische Nerve beim Embryo zuerst entstehe, ist eine sonderbare, bloss hypothetische Behauptung von Ackermann. Auch ist es zu tadeln, dass der sehr verdiente Rolando die erste Spur der R\u00fcckenwirbel beim Vogelembryo zur Seite des R\u00fcckenmarkes f\u00fcr Ganglien des N. sympatbicus erkl\u00e4rt.\nNicht allein Gehirn und R\u00fcckenmark, sondern der Lebenszustand aller Organe, und dadurch der ganze Organismus, wirken durch die begleitenden Nerven der Blutgef\u00e4sse auf den Sympathies zur\u00fcck, und bestimmen seine ihm eigent\u00fcmliche motorische Kraft zur Wirkung. Die best\u00e4ndige Quelle der Zusammenziehung des Herzens ist daher primo loco die motorische Kraft des Nervus sympatbicus. Aber die Ursache f\u00fcr die Erhaltung der letztem, und ihre Erregung ist nicht allein Gehirn und R\u00fcckenmark, sondern sind wahrscheinlich die Lebensreize aller Organe, Welche durch die Gef\u00e4ssnerven auf die Cenlraliheile des Sympa-thicus zur\u00fcckwirken. Hierdurch wird cs m\u00f6glich, dass eine \u00f6rtliche Krankheit kranke Gemeingef\u00fchle im ganzen K\u00f6rper erregt,","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Alsclm. Vorn Blutkreislauf.\nund jede heftige \u00f6rtliche Krankheit den Herzschlag und Puls ver\u00e4ndert.\nDie Ver\u00e4nderungen, welche die feinsten Wurzeln des Sym-pnthicus in irgend einem Theile durch \u00f6rtliche heftige Krankheiten erleiden, und die R\u00fcckwirkung dieser Ver\u00e4nderung auf die Centraltheile des Nervus sympathicus, die Herznerven und Geflechte, so wie auf das Gehirn und R\u00fcckenmark, scheinen eine Hauptrolle in jenen Erscheinungen zu spielen, die wir Fieber nennen.\nUeber den Einfluss der einzelnen Regionen des Nervus sympathicus auf die Th\u00e4tigkeit des Herzens bat man noch keine Be-obachtungen. Man weiss nur, dass in 13 Versuchen von Pommer die Durchschneidung des Sympathicus am Halse \u00fcberhaupt gar keine erhebliche Folge hatte, v. Pommer\u2019s Beitr\u00e4ge zur Natur- und Heilkunde. Heilbronn 1831.\nDa mehrere Hirnnerven mit dem N. sympathicus in inniger Verbindung stehen, und da insbesondere der N. vagus an der Zusammensetzung der Herzgeflechte wesentlichen Antheil hat, so w\u00e4re es sehr w\u00fcnschenswerth, auch den Einfluss dieser Nerven auf die Th\u00e4tigkeit des Herzens zu kennen. Emmert bemerkte nach Durch-schneidung des N. vagus nur eine geringe St\u00f6rung im Kreisl\u00e4ufe. Eichat und Legat.lois erkl\u00e4ren mit Recht, dass die Ver\u00e4nderungen in dem Herzschlage nicht mit Sicherheit der Durchschneidung des Nerven zugeschrieben werden k\u00f6nnen, da sie eben so gut von Schmerzen und Furcht herr\u00fchren k\u00f6nnen, und dass sie keinesfalls bedeutend sind.\nIV. Capitel. Von den einzelnen Theilen des Gef\u00e4sssystems.\na. \"Von den Arterien.\nDie mittlere Arterienhaut besteht aus kreisf\u00f6rmigen platten Fasern und Faserb\u00fcndeln, welchen die Arterien ihre grosse Ela-sticit\u00e4t verdanken, d. h. ihre F\u00e4higkeit nach vorheriger Ausdehnung wieder sich zu verengern, eine Eigenschaft, die ihrem Gewebe physikalisch zuk\u00f6mmt, und auch nach dem Tode noch l\u00e4ngere Zeit bis zur Zersetzung in ihnen bleibt. Dieselbe Faserhaut, die man wohl von Muskelfasern unterscheiden muss, ist die Ursache, dass die Arterien auch im leeren Zustande nicht collabi-ren, sondern walzenf\u00f6rmig bleiben, und dass sie der grossem oder geringem Anf\u00fcllung sich anpassen. Von den Muskelfasern unterscheidet sich dieses nur den Arterien, nicht den Venen zukommende Gewebe auch in chemischer Hinsicht, wie Berzelius gezeigt hat. Die Muskelsubstanz ist weich und schlaff, und enth\u00e4lt mehr als A ihres Gewichtes Wasser. Die Arterienfaser ist trok-ken und sehr elastisch, Muskelsubstanz verh\u00e4lt sich chemisch wie Faserstoff des Blutes, ist aufl\u00f6slich in Essigs\u00e4ure, schwer l\u00f6slich in Minerals\u00e4uren, mit denen sie schwer auflosliche Verbindungen bildet. Die Arterienfaser ist unaufl\u00f6slich in Essigs\u00e4ure, aber leicht aull\u00f6slich in Minerals\u00e4ure, und diese Aufl\u00f6sung wird we-","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einzelnen Theilen d. Gef\u00e4sssfstems. Arterien. Puls. 199\nder von Alkali noch von Cyaneisenkalium gef\u00e4llt, was geschehen m\u00fcsste, wenn sie Faserstoff enthielte. Sowohl in mikroskopischer als chemischer Hinsicht stimmt die Arterienfaser ganz mit dem \u00fcbrigen elastischen Gewebe \u00fcberein, von welchem sie sich nur durch eine geringere Festigkeit unterscheidet. Das elastische Gewebe, welches immer gelblich ist, und seine Elasticit\u00e4t weder nach tagelangem Kochen, noch nach jahrelangem Liegen in Weingeist vertiert, charakterisirt sich nach den Beobachtun-von Lauth, Schwann und Eulenberg durch Fasern von verschiedener Dicke, die deutliche Aeste ahgeben und eine scharfe, dunkle Contur zeigen. Zu diesem Gewebe geh\u00f6ren die mittlere Arterienhaut, die Ligamenta flava, der Wirbelbogen, die Kehlkopfb\u00e4nder, das Ligamentum stilo-hyoideum, die L\u00e4ngenfasern an der innern Fl\u00e4che der Bronchien, das elastische Band, welches den ausst\u00fclpbaren Theil der Ruthe hei den dreizehigen Stra\u00fcssen, den Enten und G\u00e4nsen zur\u00fcckzieht, der elastische, dritte K\u00f6rper am Penis des zweizeiligen Strausses, das elastische Band des Krallengliedes der Katzen, der Flughaut der V\u00f6gel, das elastische Gewebe der Flughaut der Flederm\u00e4use und des Kehlsacks des Pelikans. Schwann hat das elastische Gewebe sparsamer auch in der Speiser\u00f6hre unter der Schleimhaut, am After im Ligamentum Suspensorium penis und dem umliegenden Zellgewebe, und in den sehnigen B\u00fcndeln, die das Corpus cavernosuin penis des Menschen quer durchziehen gefunden. Bei den Arterien und Venen enth\u00e4lt die \u00e4ussere Zellgewebehaut auch einige elastische Fasern, die innere Haut der Arterien enth\u00e4lt eben solche, die entweder der L\u00e4nge nach oder nach allen Richtungen verlaufen und um so feiner werden, je mehr man sich der innersten Fl\u00e4che n\u00e4hert, so dass sich zuletzt gar keine Fasern mehr unterscheiden lassen. An der Vene cruralis des Ochsen fand Schwann ebenfalls eine mittlere aus querlaufenden Fasern bestehende dicke Schichte, die aber Zellgewebefasern waren, und eine innerste, \u00e4usserst d\u00fcnne Schichte aus l\u00e4ngslaufenden, elastischen Fasern. Siehe Schwann im encyclop. W\u00f6rterb. d. med. IVissensch. Artikel Gej\u00e4ssc und Eulenberg de tela elastica. \u00dferol. 1836.\nVom Puls.\nIn den Arterien fliesst das Blut mit stossweise verst\u00e4rkter Geschwindigkeit, die Gewalt seines Stromes vermehrt sich mit jeder neuen, durch die Contraction des Ventrikels in die Aorta getriebenen Blutwelle. So sah Hales das Blut in der in eine Arterie gebrachten R\u00f6hre bei jedem Pulsschlage um ein oder einige Zoll steigen. Da nun das Blut der Arterien durch die Haargef\u00e4sse wegen des Widerstandes, den es in diesen engen R.\u00f6hren erleidet, nicht so schnell entweichen kann, als es in die Arterien getrieben wird, so \u00fcbt das Blut in den Arterien gegen ihre elastischen W\u00e4nde einen Druck aus, wodurch es avie jede comprimirte Fl\u00fcssigkeit nach allen Richtungen auszuweichen strebt. Diesen Druck des Blutes auf die Arterienw\u00e4nde bei der Contraction der Ventrikel f\u00fchlt man an ihnen als Puls. Der Puis der Arterien ist jdso im Allgemeinen synchronise!! mit der Zusammenziehung der > entrikel ; diese letztere ist seine Ursache.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200 I. Bach. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nD ie elastischen W\u00e4nde der Arterien m\u00fcssen in Folge dieses Druckes hei jedem Herzschlage ausgedehnt und zur Zeit der Diastole der Ventrikel verm\u00f6ge ihrer Elasticil\u00e4t wieder auf ihren vorigen Zustand reducirt werden. Diese Ausdehnung der Arterien kann in der L\u00e4nge und in der 11 reite erfolgen, und sie erfolgt in der That in beiden Richtungen, aber in der L\u00e4nge viel merklicher, als in der Breite. Die Arterien werden im Momente des Pulses der L\u00e4nge nach ausgedehnt, und deshalb verschieben sie sich schl\u00e4ngeln und strecken sich wiederum zur Zeit der Ruhe des Ventrikels; sie werden aber auch im Momente des Pulses ein wenig in der Dimension der Breite ausgedehnt. Die Ausdehnung in die Breite ist von Rudolphi , La-mure, Arthaud, Parry und Doellinger geleugnet worden. Dagegen haben sie Bichat, v. Walther, Tiedemann, Meckel, Hastings, Magendie und Wedemeyer gesehen. Die Erweiterung der Arterien im Puls muss jedenfalls kleiner seyn, da sie nicht immer gleich deutlich wahrgenommen und von mir selbst nur zuweilen deutlich gesehen wurde. Dass sie aber existirt, davon kann sich jeder Beobachter an der ganzen Verzweigung der Arteria pulmo-nalis beim Frosche \u00fcberzeugen, wo man nicht allein die Schl\u00e4ngelung der Arterien, sondern auch ihre Erweiterung gleich deutlich sieht. Ausserdem habe ich die Erweiterung der Aorta abdominalis beim Frosche und einmal vollkommen deutlich beim Kaninchen gesehen. Vergl. E. H. Weber Anatomie T. 3. p. G7. Poiseuille (Magendie Journ. T. 9. p. 4-1.) hat durch einen ingeni\u00f6sen Versuch sogar die Gr\u00f6sse der Erweiterung an den Arterien gemessen. Er entbl\u00f6sste die Carotis communis eines lebendigen Pferdes auf 3 Decimeter, und schob eine offene R\u00f6hre von weissem Blech, die durch ein schmales Deckelst\u00fcck versehliessbar war, darunter. Mit diesem St\u00fccke verschloss er die R\u00f6hre wieder, verschloss die Enden mit Wachs und Fett; den innern Raum der R\u00f6hre um die Arterie herum f\u00fcllte er durch eine in die R\u00f6hre eingesetzte Glasr\u00f6hre von aussen mit Wasser an. Bei jedem Pulsschlage stieg das Wasser in der 3 Millimeter weiten Glasr\u00f6hre um 70 Millimeter, und fiel um eben so viel jedesmal darauf. Das eingeschlossene St\u00fcck Arterie war ISO Millim. lang, und nahm 11440 Cubicmillim. Raum ein; da es nun durch jeden Pulsschlag um einen W assereylinder von 3 Millim. Durchmesser und 70 Millim. L\u00e4nge d. b. um 494 Cubicmillim. an Ausdehnung zunahm, so folgt, dass es ungef\u00e4hr um f-; seines Raumes ausgedehnt wurde.\nMan nimmt gew\u00f6hnlich an, dass der Puls in allen Arterien bei verschiedener Entfernung vom Herzen gleichzeitig sey. Weitbrecht, Liscovius und E. H. Weder (Adnoiat. anatom.) haben in-dess das Gegentheil gezeigt, und in der That ist es leicht, sich vom Gegentheil der Behauptung von Bichat zu \u00fcberzeugen. Die Arterien pulsiren in der N\u00e4he des Herzens isochronisch mit der Contraction des Ventrikels, denn der Pulsus cordis ist die Zu-sammenziehung der Ventrikel, der Pulsus arteriarum aber die hierdurch und durch den Druck des Blutes bewirkte Ausdehnung der Arterien. Allein bei gr\u00f6sserer Entfernung vom Herzen ist der Puls","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einzelnen Tlieilen d. Gef\u00fcsssystems. Arterien. Puls. 201\nder Arterien nicht mehr ganz synchronisch mit dem Herzschl\u00e4ge, und variirt davon nach Weber um ' \u2014 \\ Secunde. So ist der Puls der Art. radialis schon um etwas sp\u00e4ter als der Puls der Carotis communis. Der Puls der Maxill. ext. dagegen, bei ungef\u00e4hr gleicher Entfernung vom Herzen, isochronisch mit dem Puls der Art. axillaris. Der Puls der Art. metatarsea auf dem Fuss-r\u00fccken um etwas sp\u00e4ter als der Puls der Maxill. ext. und der Puls der Carotis comm. E. H. Weber hat in der Abhandlung (de pulsu non in omnibus arteriis plane synchronico) die Ursachen dieses Zeitunterschiedes gezeigt. W\u00e4re das Blut von ganz, testen R\u00f6hren eingeschlossen, deren W\u00e4nde keiner Ausdehnung f\u00e4hig waren, so w\u00fcrde sich der Stoss des von der Herzkammer in die Arterien getriebenen Blutes .bis zu den Enden der Bluts\u00e4ule mit derselben Schnelligkeit fortpflanzen, mit welcher der Schall durch diese Fl\u00fcssigkeit sich fortpflanzt (d. h. viel schneller als der Schall in der atmosph. Luft), dann w\u00fcrde der Druck des Blutes mit einem ganz unmerklichen Zeitverlust bis zu den Enden der Arterien sich fortpflanzen. Da aber die Arterien einiger Ausdehnung in die Breite und noch gr\u00f6sserer in die L\u00e4nge f\u00e4hig sind, so bewirkt die Zusammendr\u00fcckung des Blutes vom Herzen aus zun\u00e4chst nur die Ausdehnung der n\u00e4chsten Arterien. Worauf diese durch ihre Elasticit\u00e4t sich wieder zusammenziehen, und so die n\u00e4chsten Fortsetzungen der Arterien durch das comprimirte Blut ausdehnen, die auch wieder durch ihre Zusammenziehung die n\u00e4chsten Theile ausdehnen und so weiter, so dass ein, wenn auch noch so kleiner Zeitraum verstreicht, ehe die Welle, d. h. die successive Zusammendr\u00fcckung des Blutes, Erweiterung und Verengerung der Arterien bis zu den entfernten Arterien gelangt. W Eber vergleicht diess mit der Fortpflanzung der Wellen, die ein in einen See geworfener Stein bewirkt. Auch diese Wellen pflanzen sich nicht mit der Schnelligkeit des Schalles fort. Die Schnelligkeit dieser Fortpflanzung ist vielmehr nach den Versuchen der Gebr\u00fcder Weber {W,eilenlehre. Leipz. 1825. p. 188.) in einem 23 Zoll tiefen Wasser 5) Par. Fuss in einer Secunde. Bichat verwechselte die Bewegung der Wellen in einem Flusse mit seiner Str\u00f6mung, und glaubte, der Puls r\u00fchre nicht von den fortschreitenden Wellen, sondern von dem allem Arterienblute zu gleicher Zeit mitgetheilten Stoss her. Die Bewegung der Wellen h\u00e4ngt aber immer von der durch Stoss bewirkten fortgcpflanzten Oscillation, niemals von der Str\u00f6mung ab, so dass das Wasser einer Welle sich hebt und senkt, aber an seinem Orte bleibt, w\u00e4hrend die Welle und Oscillation weiter fortschreitet, die also best\u00e4ndig in anderen Theilen Wassers stattfindet. Daher auch die leichtesten K\u00f6rper auf den Wellen sich zwar heben und senken, aber bei dem Fortschreiten der Wellen an ihrem Orte bleiben.\nZur Fortpflanzung des Pulses wird eine continuirliche Bluts\u00e4ule erfordert; w\u00e4ren die Arterien an einzelnen Stellen leer, so w\u00fcrde, wie Weber schliesst, die Fortpflanzung des Pulses viel langsamer seyn, oder ganz unterbrochen werden. Denn von Blut leere Stellen der Arterien m\u00fcssten erst vom Strome des Blutes gef\u00fcllt werden, ehe der Stoss sich fortpflanzen k\u00f6nnte, und der","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nStrom des Blutes ist doch jedenfalls viel langsamer als die Fortpflanzung des Stosses. Daher leitet es Weber ab, dass der Puls in einer aneurysmatischen Arteriengeschwulst mit dem Herzschlage und dem Puls anderer Arterien nicht synchronisch ist. Denn das Coagulum im aneurysmatischen Sacke oder nicht ganz mit Blut gef\u00fcllte R\u00e4ume desselben k\u00f6nnen ein Hinderniss der Fortpflanzung des Stosses seyn. Nach allem diesem ist der Puls der Arterien die Wirkung der fortgepflanzten Oscillation in den Arterien-h\u00fcuten und dem Blute der Arterien, welche ihre Ursache in dem Drucke des Blutes vom Herzen aus hat. Weber adnotat. anatom, et physiol, prolus. I.\nWeber hat noch weitere sehr n\u00fctzliche Bemerkungen \u00fcber den Nutzen der elastischen Haut der Arterien mitgetheilt. ln dem Zeitraum von einem Herzschlage zum andern r\u00fcckt das Blut in der Aorta nur um so viel weiter, als das vom Herzen ausgeflossene Blut Raum in dem ersten St\u00fccke der Aorta einnimmt, d. h. einige Zoll. Die elastische Haut der Arterien bewirkt aber durch ihren best\u00e4ndigen Gegendruck, dass das Blut nicht bloss absatzweise, sondern ununterbrochen vorw\u00e4rts gedr\u00fcckt wird; das Blut fliesst aus einer ge\u00f6ffneten Arterie ununterbrochen, und der Strom wird nur in den gr\u00f6sseren Arterien w\u00e4hrend jedes Herzschlages augenblicklich verst\u00e4rkt, eine Verst\u00e4rkung, die um so weniger merklich ist, je kleiner die spritzenden Arterien sind. Weber bemerkt, dass das Herz einige Aehnlichkeit mit den Feuerspritzen habe, dass aus ihm die Fl\u00fcssigkeit durch periodisch wiederholte St\u00f6sse ausgetrieben wird. Der Zweck beider Instrumente erfordert es aber, dass die Fl\u00fcssigkeit ununterbrochen ausstr\u00f6me, diess ist in beiden dadurch bewirkt, dass bei jedem Drucke dieser Pumpenwerke nicht nur die Fl\u00fcssigkeit fortgestossen, sondern auch ein elastischer K\u00f6rper gespannt wird, welcher auf die Fl\u00fcssigkeit zu dr\u00fccken und sie auszutreiben fortf\u00e4hrt, w\u00e4hrend das Pumpenwerk selbst nicht dr\u00fcckt. Dieser elastische K\u00f6rper ist bei den Arterien die elastische Wand derselben, bei den Feuerspritzen die in ihrem Windkessel \u00fcber dem Wasser befindliche Luft. Weber l. c. de uti/itate parietis elastici arteriarum. Anatomie 'S. p. 69. (Es ist eben so mit dem Regulator der Gebl\u00e4se.) Bei Verkn\u00f6cherung verliert sich diese Elasticit\u00e4t, daher die Anlage zu Schlagfluss, Gangr\u00e4n etc.\nDurch ihre Elasticit\u00e4t besitzen die Arterien die merkw\u00fcrdige F\u00e4higkeit um so enger zu werden, je weniger sie Blut enthalten, und, wie beim Blulflusse aus durchschnittenen Arterien, aus-treiben k\u00f6nnen. Wenn eine Arterie durchschnitten ist, so wird der Blutstrom allm\u00e4hlig immer kleiner. Bei einem Pferde, das Munter zu Tode bluten liess, fand er, dass die Aorta um mehr als -j~, die Iliaca -j-, die Cruralis sich im Durchmesser verengerten, und dass Arterien von der Dicke der Art. radialis im Menschen bis zum Schliessen sich verengten. Abernethy physiol, lect. 224. Je st\u00e4rker die Kraft des Herzschlages ist, um so mehr werden die Arterien ausgedehnt, und um so mehr Blut ist in ihnen im Ver-li\u00e4ltniss zu den Venen enthalten, je schw\u00e4cher der Herzschlag ist., um so mehr kann die Elasticit\u00e4t der Arterien dem Antriebe des","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einzeln Theilen d. Gefiisssyst. Arterien. Contractilitiit. 203\nBlutes Jas Gleichgewicht halten, um so enger sind die Arterien und um so weniger Blut enthalten sie im Verh\u00e4ltniss zu den Venen. Diese Folge tritt vor dem Tode ein, daher zum Theil die Blutleere der Arterien nach dem Tode; sie sind eigentlich gros-sentheils nicht ganz leer, sondern viele enthalten so viel Blut, als sie im verengtesten Zustande zu fassen verm\u00f6gen. Bei einer Vivisection kann eine unverletzte Arterie ihren Durchmesser all\u2014 niahlig verkleinern, wie Parry, Tiedemann und auch ich gesehen haben. Diess braucht man aber weder von dem Reize der Luft, noch \u00fcberhaupt von der vitalen Contractilit\u00e4t der Arterien abzu-leiten, sondern es ist eine nothwendige Folge von der verminderten Kraft des Herzens.\nDie \u00e4lteren Schriftsteller und mehrere neuere haben die nach der Ausdehnung der Arterien erfolgende elastische Zusammenziehung der Arterien f\u00e4lschlich f\u00fcr einen Muskularakt, und die Fasern der Arterienhaut f\u00fcr Muskelfasern gehalten, wovon sie sich, wie Berzelius gezeigt hat, in jeder Hinsicht unterscheiden. Die F\u00e4higkeit, sich nach der Ausdehnung zusammenzuziehen, behalten die Arterien noch lange nach dem Tode, Tage lang, und die stossweise in die Arterien gestorbener Thiere getriebenen Fl\u00fcssigkeiten bieten dieselben Erscheinungen des Pulses und der darauf folgenden Zusammenziehung dar, wie im lebenden K\u00f6rper. Man hat f\u00fcr die nicht existirende Muskularcontractilitat verschiedene Gr\u00fcnde aus der vergleichenden und pathologischen Anatomie beigebracht, welche gar nichts beweisen. Allerdings ziehen sich das gef\u00e4ssartige Herz der Insekten und die Hauptgef\u00e4ssst\u00e4mme, nicht einmal alle Gef\u00e4ssst\u00e4mme der W\u00fcrmer, wie hei den Blutigeln, durch Muskularcontraction zusammen. Allein diess sind eben die Herzen jener Thiere, und es l\u00e4sst sich zeigen, wie das Herz bei den niederen Thieren immer mehr die Form eines l\u00e4nglichen Schlauches annimmt, wie es denn hei dem Embryo in fr\u00fchester Zeit nur ein erweiterter Theil des Gef\u00e4sssystems ist. Das Herz ist daher in der Thierwelt \u00fcberhaupt nur der mit Muskelsubstanz bekleidete und contractile Theil des Gefasssystems, der bald kurz, bald lang ist. Man hat auch f\u00fcr die Muskularcontractilitat der Arterien die kopflosen Missgeburten angef\u00fchrt, hei denen das Herz fast regelm\u00e4ssig fehlt, und deren Cirkulationssystem aus zwei Ge-f\u00e4sssystemen besteht, die an zwei verschiedenen Stellen, n\u00e4mlich in der Placenta und in den Organen des K\u00f6rpers, durch Capillar-gef\u00e4sse Zusammenh\u00e4ngen; in manchen genauer bekannten F\u00e4llen, waren die Gef\u00e4sse des Acephalen nur Aeste der Nabelgef\u00e4sse eines zweiten vollst\u00e4ndigen Embryo. Vergl. p. 197. Der Bulbus aortae der Fische und der nackten Amphibien zieht sich allerdings ganz deutlich zusammen, was Spallanzani, Wedemeyer und ich bei Fr\u00f6schen und Salamandern gesehen, und ich habe auch selbst den Bulbus aortae der Fr\u00f6sche an der abgeschnittenen Aorta noch sich ganz vollkommen und so deutlich wie das Herz selbst zusammenziehen gesehen. Allein dieser Theil ist von der Aorta ganz verschieden, geh\u00f6rt zum Herzen und ist jenen Thieren, welche durchs ganze Lehen oder in der Jugend einen Kiemenkreislauf haben, eigenth\u00fcmlich. Man sieht hier gerade ganz deutlich,","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften eie. II. Ahsch. Vom Blutkreislauf .\n{lass die Aorta der Fr\u00f6sche \u00fcber dem deutlich muskul\u00f6sen Bulbus w\u00e4hrend der Contraction des letztem keine Spur von Con-tractilit\u00e4t besitzt, und es ist vollkommen unrichtig, wenn Srallan-'/.a,\\i (de fenomeni della circolazione, Modena 4773.), der sonst gegen die Muscularcoritraktilit\u00e4t der Arterien streitet, behauptet, die Aorta descendens der Salamander bewege sich ausgeschnitten noch fort. Maus a am. Hall wollte bei dem Frosche und der Kr\u00f6te eine auch nach Entfernung des Oerzens noch pulsirende Arterie gefunden haben, die \u00fcber dem grossen Querfortsatze des dritten Wirbels hergehen soll. Diess ist indess ein Missverst\u00e4nd-niss. An dieser Stelle habe ich allerdings ein eigenes pnlsirendes Lymphherz gefunden, das aber mit keiner Arterie, wohl aber mit einer Vene zusammenh\u00e4ngt. Siehe Abschn. 3. Cap. 2. Die oscillirende Bewegung des Blutes nach Unterbindung der Aorta des Frosches, wobei das Blut unregelm\u00e4ssig bald eine Strecke vorw\u00e4rts r\u00fcckt, bald wieder zur\u00fccktritt, ist auch kein Beweis f\u00fcr Musku-larcontraction der Arterien, obgleich es Hall daf\u00fcr anf\u00fchrt. Diess b\u00e4ngt ganz von der fortdauernden Elasticit\u00e4t der Arterien und von mechanischen Hindernissen ab. Die Vena cava der Fische besitzt nahe am Herzen Muskularcontractilit\u00e4t, und zieht sich nach Nysten auf galvanischen Reiz zusammen. Nysten /. c. p. 351. Diess sah auch Wedemeyer bei warm- und kaltbl\u00fctigen Thieren. /. e. p. 47. NTach meinen Beobachtungen ist diess vollkommen richtig; ich sah die St\u00e4mme der untern und der beiden oberen Hohlvenen des Frosches, der Lungenvenen und Holdvenen hei jungen warmbl\u00fctigen Thieren ohne Reizung sich deutlich rhythmisch contra-hiren und die Venenst\u00e4mme des Frosches sich auch nach abge-schnittenem Herzen und Vorhof rhythmisch zusammenziehen; aber die \u00fcbrigen Venen zeigen keine Spur von Contractilit\u00e4t, weder ungereizt noch gegen galvanischen Reiz, und wenn Flourens regelm\u00e4ssige Contractionen der Hauptvenenst\u00e4mine des Unterleibes beobachtet hat, so r\u00fchren diese wohl offenbar von den von mir entdeckten Lymphherzen des Frosches her, welche die Lymphe in die Venae jugulares und ischiadicae hineinpumpen. Das Kaudalherz des Aals am Ende der Vena caudalis ist contractil, aber die Vene seihst durchaus nicht. So scheinen auch die Arterien der Brustflossen der Chimaeren nach Duvernoy accessorische Herzen zu haben. Man hat f\u00fcr die Muskularcontractilit\u00e4t der Arterien den Umstand angef\u00fchrt, dass der Puls an den gleichnamigen Gliedern zuweilen an St\u00e4rke verschieden ist, wie in L\u00e4hmungen; allein hier sind andere \u00f6rtliche Ursachen vorhanden, und diess kann erkl\u00e4rt werden. In gel\u00e4hmten Gliedern ist die Wechselwirkung zwischen Blut und Substanz vermindert, sie sind schlaft und welk, und oft weniger ern\u00e4hrt. Dagegen die vermehrte Wechselwirkung zwischen Substanz und Blut in acti-ven Congestionen einen grossem Zufluss des Blutes und st\u00e4rkern Puls durch verst\u00e4rkte organische Affinit\u00e4t bewirkt. In entz\u00fcndeten Theilen wird der Puls st\u00e4rker gef\u00fchlt, hei der Anh\u00e4ufung des Blutes und dem gehemmten Durchg\u00e4nge durch die Capillar-gef\u00e4sse. Dass aber der Puls in verschiedenen Theilen an Frequenz verschieden sey, dar\u00fcber existirt keine zuverl\u00e4ssige Beoh-","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. eimzeln. Theilen d. Gcjiisssyst. Arterien. Contractilitiit. 205\nachtung, und es ist unbegreiflich, wie Schriftsteller heut zu Tage ein solches M\u00e4hrchen ohne Pr\u00fcfung nacherz\u00e4hlen k\u00f6nnen.\nDer Ausfluss des Blutes aus einer an zwei Stellen unterbundenen Arterie beim Anstich, ist auch nur eine Folge der elastischen Contraction der Arterien. Man hat endlich f\u00fcr die Musku-larcontractilit\u00e4t der Arterien und ihren vitalen Antheil an der Bewegung des Blutes angef\u00fchrt, dass die Gangraena senilis vorzugsweise hei Verkn\u00f6cherungen in den Arterien stattfindet. Allein Wedemeyer bemerkt, dass die Gangraena senilis zuweilen ohne diese Verkn\u00f6cherungen, und die Verkn\u00f6cherungen ohne Gangraena senilis Vorkommen, so dass die Gangraena senilis noch andere Ursachen zu ihrer Entstehung erfordert, und das alte Falsum cum hoc, ergo propter hoc nichts erkl\u00e4rt. Siehe \u00fcber Alles diess Wedemeyer 1. c. Wenn nun alle bisherigen Gr\u00fcnde f\u00fcr die Muskularcontractilit\u00e4t der Arterien auf nichts beruhen, so sind offenbare Gegenbeweise gegen die Contractilit\u00e4t derselben vorhanden.\nBerzelius bemerkt mit Recht, dass die st\u00e4rksten galvanischen und elektrischen Reize keine Spur von Contraction an den Arterien erregen. Nysten (recherches de physiol, et palhol. chimiques. Paris 1811.) stellte \u00f6fter galvanische Versuche an der Aorta kurz vorher enthaupteter Verbrecher an, bemerkte aber keine Spur von Contraction. Derselbe entdeckte keine Spur von durch Galvanismus erregter Contraction an der Aorta abdominalis der Fische. Schon Bichat hatte \u00e4hnliche Resultate erhalten; dann hat Wede-meyer an vielen Thieren mit einer galvanischen S\u00e4ule von 50 Plattenpaaren an den Carotiden, und an der Aorte thoracica nie eine Spur von Muskularcontraction bemerkt; ich habe sehr oft den Galvanismus als Pr\u00fcfungsmittel hierzu benutzt, und weder hei Fr\u00f6schen mit geringen und starken galvanischen Reizen, noch hei S\u00e4ugethieren, namentlich Kaninchen, mit einer S\u00e4ule von CO\u2014SO Plattenpaaren die geringste Spur von Contraction bewirken k\u00f6nnen. Man hat zwar bemerkt (Biciiat, Trevirahus), dass auch das Herz nicht empf\u00e4nglich f\u00fcr den galvanischen Reiz sey, wovon Humboldt gerade das Gegentheil beobachtete. (Ueher die gereizte Muskel- und iSeroenJaser 1797, I. 310.) Allein Pfaff, J. Fr. Meckel, Wedemeyer haben auf entschiedene Art diese Empf\u00e4nglichkeit am Herzen bemerkt, und ich seihst habe nicht allein an dem schon ruhenden Froschherzen mit einem einfachen Plattenpaar Zusammenziehung auf der Stelle erregt, sondern auch beim Hunde, dessen Herz schon zu schlagen aufgeh\u00f6rt hatte, durch den Reiz einer S\u00e4ule von 10 Plattenpaaren auf der Stelle die lebhafteste Contraction erregt.\nDer mechanische Reiz bewirkt so wenig als der galvanische Heiz Contractionen der Arterien. Dagegen ist es nicht zu l\u00e4ugnen, dass manche chemische Substanzen, z. B. Minerals\u00e4uren, salzsaurer Halk, an den Arterien Zusammenziehungen bewirken; sie thun diess aber nur, indem sie eine chemische Ver\u00e4nderung in der Substanz der Arterien hervorbringen, was oft davon abh\u00e4ngt, dass der Substanz ein Tlieil ihres Wassers entzogen wird. Weber\u2019s Anat. 3. Diese Ver\u00e4nderungen beweisen nichts f\u00fcr die Muskul\u00e4r-","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\ncontractilit\u00e4t der Arterien. Die Reizbarkeit der Muskeln dauert bei S\u00e4ugethieren nie \u00fcber A Stunden nach dem Tode, in der Regel viel k\u00fcrzere Zeit; jene Ver\u00e4nderungen lassen sieb aber noch Tage lang nach dem Tode, und zwar nicht allein an den Arterien, sondern auch an anderen Theilen, welche keine Muskular-contractilit\u00e4t haben, erzeugen, wie an der Haut. Tiedemann und Gmerin sahen, dass Schwefels\u00e4ure Arterien zusammenzog, die schon ein Jahr in Weingeist aufbewahrt waren. Versuche \u00fcber die J-Vege etc. 68. So erzeugt auch, wie Wedemeyer bemerkt, heisses und kochendes Wasser noch am 4.Tage in der menschlichen Haut eine der Muskularcontraction sehr \u00e4hnliche Contraction und Kr\u00e4uselung, und \u00e4hnliche Zusammenziehungen kann man mit S\u00e4ure in l\u00e4ngst erstorbenen Muskelfiebern, am Rauchfell, in der \u00e4usseren Haut erzeugen. 1. c. p. 75. Alles diess beweist, dass die meisten thierischen Theile, ohne Unterschied, ob sie Muskularcontraeti-lit\u00e4t besitzen oder nicht, gegen chemische Einfl\u00fcsse durch Aeusse-rung von chemischer Affinit\u00e4t im lebenden und todten Zustande Zusammenziehungen zeigen k\u00f6nnen, welche aber von der Muskularcontraction ganz verschieden sind, welche letztere nach dem Absterben der Theile nicht mehr erregt werden kann, und welche nicht allein auf chemische Einfl\u00fcsse, sondern auch auf mechanische und galvanische Einfl\u00fcsse deutlich und schnell sich \u00e4ussert. Hastings hat in seiner Abhandlung \u00fcber die Irritabilit\u00e4t der Arterien (\u00fcber Entz\u00fcndung der Schleimhaut der Lungen, \u00fcbers. Busch. Bremen 1822.) nach den mit chemischen Mitteln an Arterien angestellten Versuchen zu viel geschlossen, indem er die durch sie verursachte Zusammenziehung f\u00fcr Muskularcontraction hielt, auch hat er die auf die Erweiterung oder den Puls der Arterien folgende Zusammenziehung derselben nicht in ihrer wahren Ursache erkannt, die als Elasticit\u00e4t der Arterienw\u00e4nde so gut in den todten und mit Fl\u00fcssigkeit stossweise eingespritzten Arterien, als w\u00e4hrend des Lebens alle Ph\u00e4nomene des Pulses erzeugt. Vergl. Parry \u00fcber die Ursache des arter. Pulses. Ilannoo. 1817.\nAus allen diesen Thatsachen folgt, dass rhythmische Musku-larcontractionen der Arterien durchaus nicht bei dem Kreisl\u00e4ufe wirken, und dass die Verminderung des Durchmessers der Arterien nach der Ausdehnung durch den Impuls des Blutes Folge ihrer Elasticit\u00e4t ist. Ob die bei Blutstillung verwundeter Arterien, beim Blosslegen und beim Drehen der Arterien beobachteten Verengerungen derselben ganz nur eine Folge der Elasticit\u00e4t sind, oder ob eine lebendige, allm\u00e4hlig, nicht rhythmisch wirkende Zusammenziehungskraft der Arterien (tonus) ausser der Elasticit\u00e4t mitwirke, wie PaRRY, Tiedemann und E. H. Weber (Anat. 4. 75.), (Tiedemann auch am Stamme der Lymphgef\u00e4sse) annehmen, ist eine ganz andere Frage: Mehrere Beobachter haben bereits eine Zusammenziehung der kleinen Arterien von K\u00e4lte gesehen. Die Versuche von Schwann erweisen die langsam wirkende Con-, tractilit\u00e4t von K\u00e4lte an den Arterien im Mesenterium des Frosches und der Feuerkr\u00f6te zur Evidenz. Nachdem das Mesenterium derselben unter dem Mikroskope ausgebreitet war, brachte er einige Tropfen Wasser auf dasselbe von einer Tern-","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einz. Theilen d. Gef\u00e4sssyst. Arterien. Kraft d. Herzens. 207\nperatur, die einige Grade niedriger war als die Temperatur der Luft. Bald darauf begann die Verengung und die Gef\u00e4sse verengerten sieb binnen 10 \u2014 15 Minuten allm\u00e4blig so, dass der Durchmesser des Lumens einer Arterie, der Anfangs 0,0724 engl. Lin. betrug, auf 0,0276 reducirt, als um das 2\u20143fache verkleinert, das Lumen der Arterie selbst also um das 4 \u2014 Ofacbe verengt wurde. Die Arterie erweiterte sich darauf wieder und hatte nach einer halben Stunde ihre fr\u00fchere Ausdehnung wieder erlangt. Wurde nun von neuem Wasser darauf gebracht, so verengte sie sich wieder, und so liess sich der Versuch anderseiben Arterie mehrmals wiederholen. Die Venen aber verengerten sich nicht. Ich habe diese Ph\u00e4nomene oft beobachtet, so wie sie Schwann beschrieben. Von welchem Gewebe diese langsam wirkende Contractilit\u00e4t herr\u00fchre ist noch nicht bekannt. Von Muskelfasern r\u00fchrt sie keinesfalls her; denn diese sind nicht vorhanden. Die Wirkung der K\u00e4lte zur Hervorrufung der Zusammenziehung ist f\u00fcr mehrere nicht muscul\u00f6se Theile characteristisch, und ebenso die geringe Wirkung der Elektricit\u00e4t. In beidem stimmt das contractile Gewebe der Arterien ganz mit dem leimgebenden contractilen Gewebe der Tunica dartos \u00fcberein, dessen mikroskopische Structur sonst ganz vom elastischen Gewebe abweicht und dem Zellgewebe \u00e4hnlich ist. Von diesen und \u00e4hnlichen Geweben wird ausf\u00fchrlicher im 2. Bande der Physiologie gehandelt. Die langsame Verengung durchschnittener Arterien, ihr Zur\u00fcckziehen in die Zellgewebescheide und die Gerinnung des Blutes erkl\u00e4ren die freiwillige Stillung des Blutes aus nicht zu grossen durchschnittenen Arterien. Aus der unmerklichen den Arterien eigenen lebendigen Zusammenziehung l\u00e4sst sich auch sehr gut die theilweise Leerheit der Arterien mach dem Tode erkl\u00e4ren, weil die Arterien dann ihre lebendige unmerkliche Contractilit\u00e4t, durch welche sie das Blut zuletzt noch weiter getrieben, verlieren und wieder weiter werden, worauf bloss ihre physikalische Elasticit\u00e4t bis zur Entmischung zur\u00fcck bleibt.\nNach der bisherigen Untersuchung ist es gewiss, dass die Kraft, durch welche sich das Blut in den Arterien bewegt, haupts\u00e4chlich die Kraft des Herzens ist; es fragt sich jetzt, wie gross dieselbe ist, um die Ph\u00e4nomene, welche sie bewirkt, zu erzeugen, und wie sich die Kraft und Geschwindigkeit des Blutes in verschiedenen Theilen des arteriellen Systems verh\u00e4lt. Hales, Haema-statik, Statik des Gebl\u00fcts. Halle. 1748. p. 1\u201441. beobachtete, wie hoch das Blut in Glasr\u00f6hren stieg, die er in die Arterien eingef\u00fcgt hatte; aus der A. cruralis des Pferdes stieg es 8\u20149 Fuss, aus der Arteria temporalis des Schafes 6', bei Hunden 4\u20146Fuss, w\u00e4hrend es in der Vena jug. beim Pferde nur 12\u201421 Zoll, beim Schafe 51 Zoll hei Hunden 4\u20148^ Zoll stieg. Wir werden indess hier\u00fcber vorz\u00fcglich die genauen Untersuchungen von Poiseuille zu Rathe ziehen. Magend. Journ. 8. 272. Poiseuille bediente sich eines eigenen von ihm erfundenen Instrumentes. Diess besteht aus einer langen Glasr\u00f6hre, welche in ihrem Anf\u00e4nge an einer kurzen Strecke horizontal, dann unter rechtem Winkel herabsteigt, und in ein langes St\u00fcck wieder aufsteigt. Wird Quecksilber in den","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf\nherab- und ansteigenden Theil gebracht, so nimmt es ein gleiches Niveau in beiden Schenkeln ein, und bei einer senkrechten Stellung der Schenkel ist die H\u00f6he der Quecksilbers\u00e4ule in beiden unten communirenden Schenkeln gleich. Rann nun das Blut aus einer Arterie durch den horizontalen Schenkel in den herabsteigenden Schenkel gelangen, so dr\u00fcckt es mit der Kraft, durch die es in den Arterien bewegt wird, auf das Quecksilber des herabsteigenden Schenkels, und das Queksilber wird in diesem Schenkel fallen, und in dem aufsteigenden sieh erheben. Reichte das Quecksilber vorher in beiden Schenkeln bis zum Abg\u00e4nge des Ilorizontalst\u00fcckes der R\u00f6hre, so wird die Tiefe, zu welcher es in dem einen Schenkel f\u00e4llt, summirt zur H\u00f6he, zu welcher es in dem andern steigt, die ganze H\u00f6he der Quecksilbers\u00e4ule angeben, welche dem Drucke des Blutes das Gleichgewicht h\u00e4lt, wovon indess die Schwere der Bluts\u00e4ule, die an die Stelle der Quecksilbers\u00e4ule in den herabsteigenden Schenkel tritt, abgezogen werden muss; die mehr als lOmal kleiner ist, als eben so viel Maass Quecksilber. Poiseuille berechnet die Kraft, womit sich das Blut in den Arterien bewegt, nach Gesetzen der Hydrostatik aus der Gr\u00f6sse des Durchmessers der Arterie und der H\u00f6he der Quecksilbers\u00e4ule; die Kraft des in den Arterien bewegten Blutes wird n\u00e4mlich durch das Gewicht einer Quecksilbers\u00e4ule gemessen, deren Basis ein Zirkel ist vom Durchmesser der Arterie, und deren H\u00f6he die Differenz des Quecksilberstandes im Instrumente ist. Um die Gerinnung des Blutes bei dem Eindringen in die horizontale R\u00f6hre zu verh\u00fcten, wurde dieser Theil der R\u00f6hre vor dem Quecksilber mit einer Aull\u00f6sung von unterkohlensaurem Kali gef\u00fcllt, was das Blut fl\u00fcssig erh\u00e4lt. Nach Poiseuille ist der Druck eines Theilchens Blut in den gr\u00f6sseren Arterien gleich; sie m\u00f6gen nun dem Herzen n\u00e4her oder ferner, etwas gr\u00f6sser oder kleiner seyn, z. B. Carotis und Aorta, Carotis und Cruralis. So war die H\u00f6he der verdr\u00e4ngten Quecksilbers\u00e4ule an allen Arterien desselben Thieres gleich. Nach Poiseuille h\u00e4lt das Blut einer Arterie beim Hunde einer Quecksilbers\u00e4ule von 151 Mil\u2014 limet. oder einer Wassers\u00e4ule von 6^ Par. Fuss, bei Rindern einer Quecksilbers\u00e4ule von 161 Mil lim. oder einer Wassers\u00e4ule von 6 Fuss 9 Zoll, bei Pferden einer Quecksilbers\u00e4ule von 159 Millim., und bei jenen S\u00e4ugethieren im Mittel von 156 Millim. oder einer Wassers\u00e4ule von 6 Fuss 7 Zoll das Gleichgewicht.\nPoiseuille sah auch vermittelst seines Instrumentes, was Haller und Magendie schon beobachtet hatten, dass die St\u00e4rke des Bluttriebes in der Exspiration, wobei die Brust mit Zusammendr\u00fcckung der Gef\u00e4ssst\u00e4mme verengert wird, vermehrt ist, so dass die Quecksilbers\u00e4ule bei jeder Exspiration etwas steigt, bei der Inspiration f\u00e4llt. Dieses Steigen und Fallen ist bei Arterien in verschiedener Entfernung vom Herzen gleich, und es betr\u00e4gt 10\u201420 Millim. bei ruhiger Respiration. Diese Verst\u00e4rkung des Bluttriebes durch das Ausathmen ist bei manchen Menschen besonders gross, so dass der Puls an der Art. rad. bei langem anhaltendem Einathmen unf\u00fchlbar wird. In diesem\" Falle bin ich; ich mache auf der Stelle den Puls der Art. rad. verschwinden, sobald ich","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von (l. einz. T/ieilen <1. Gef\u00fcsssyst. Arterien. Kraft d. Herzens. 209\nnnr tief inspirire nnd den Athem einlialtc, was einiges Licht auf die Ala h rein: n von willk\u00fcrlicher Ver\u00e4nderung des Herzschlages wirft.\nDa sich nun endlich nach Poiseuii.le,s Versuchen ein Theil-chen Elut in den verschiedensten Arterien mit gleicher Kraft bewegt, so schloss er, dass man, tun die Kraft des Blutdruckes in einer Arterie von bestimmtem Caliber zu messen, nur den Umfang derselben, und die H\u00f6he des Blutdruckes im Instrumente zu nehmen habe; denn die Kraft des Blutes in einer bestimmten Arterie wird durch das Gewicht einer Quecksilbers\u00e4ule repr\u00e4sentirt, deren H\u00f6he das Instrument angiebt, und deren Umfang der Umfang der Arterie ist. Nimmt man nun mit Poiseuii.ee in einem Manne von 29 Jahren den Durchmesser der Aorta hei ihrem Urspr\u00fcnge =3-1 Millimeter, so betr\u00e4gt der Fl\u00e4cheninhalt des Umfanges 90S,2857 Quadratmillimeter. Nimmt man nun f\u00fcr die Fl\u00f6he der S\u00e4ule des Instrumentes heim A'Ienschen das Alittel der an Thieren beobachteten h\u00f6chsten und niedrigsten H\u00f6hen zwischen 180 und 140 Millimeter, also 160 Millimeter, so giebt 908,2857x160 = 145325,71 Cub. Millimeter Quecksilbers\u00e4ule, deren Gewicht= 1,971779 Ki~ logr. oder 4 Pfund, 3 gros, 43 gr. statische Kraft des Blutes im Momente, wo es in die Aorta str\u00f6mt. So erh\u00e4lt man f\u00fcr das Piind 10 Pfund, 10 Unzen, 7 gros, 61 gr., f\u00fcr die Art. radialis 4 gros.\nEhemals glaubte man, dass die stumpfen und spitzen Winkel, unter welchen die Aeste von den Gef\u00e4ssen abgehen, einen Einfluss aut die Geschwindigkeit haben, indem die stumpfen Winkel die Bewegung mehr hemmen. Weber (Anat. 3. 41.) bemerkt hingegen, dass diess nur einen Einfluss auf die Geschwindigkeit einer Fl\u00fcssigkeit habe, wenn sie bei ihrer Fortbewegung so wenig A\\ iderstand findet, dass ihr Lauf durch Summirung der St\u00f6sse, die sie empf\u00e4ngt, nach einer bestimmten Richtung hin beschleunigt wird. Im entgegengesetzten F alle befindet sich die Fl\u00fcssigkeit in den R\u00f6hren \u00fcberall unter gleichem Drucke, und strebt mit gleicher Kraft nach allen Richtungen hin. Dagegen muss das Blut in den kleineren Arterien dadurch langsamer fliessen, als iu den gr\u00f6sseren, dass die Summe der Lumina der Aeste immer gr\u00f6sser ist, als das Lumen der St\u00e4mme, weil eine engere R\u00f6hre hei gleicher Kraft schneller von derselben Masse erf\u00fcllt und durchstr\u00f6mt wird, als eine weitere R\u00f6hre, die in kurzen Abschnitten so viel enth\u00e4lt, wie eine engere R\u00f6hre in l\u00e4ngeren Abschnitten. Ursachen, welche die Geschwindigkeit der Blutbewegung \u00fcberhaupt vermindern, sind weniger die h\u00e4ufigen Anastomosen der Arterien als die immer mehr zunehmende Reibung an den W\u00e4nden in den kleinsten Gef\u00e4ssen. Die Anastomosen erleichtern die Mittheilung des Blutes. Wenn zwei Arterien anastomosiren, so gehen aus den anastomosirenden Gef\u00e4ssen, oder aus der Anastomose selbst Aeste hervor. Im erstem Falle wird, so weit man diess mit dem Mikroskope beobachten kann, die Anastomose in der Richtung durchstr\u00f6mt, welche am wenigsten Widerstand darbietet, uni das Blut geht aus der Anastomose in das Gef\u00e4ss \u00fcber, dessen Weite gross genug ist, um das Blut von zwei Gef\u00e4ssen zugleich aufzunehmen. In solchen Fallen wird aber die Anastomose im-Muller\u2019s Physiologie. I.\tj J","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210 1. Buch. Von den organ. S\u00e4ften elc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nmer in einer Richtung durchstr\u00f6mt. Giebt die Anastomose selbst einen Ast ab, so str\u00f6mt das Blut von zwei Seiten zugleich in diesen Ast weiter, oder in der einen Richtung weiter.\nW\u00e4hrend des Lebens muss nach Einwirkung eines zuf\u00e4lligen Druckes die Richtung, in welcher die Anastomosen durchstr\u00f6mt werden, sehr ver\u00e4nderlich seyn.\nb. Von den C n p il 1 arge fass e n.\n1. Bau der Capillargef\u00e4sse,\nIn allen organisirten Theilen geschieht der Uebergang des Blutes aus den feinsten Zweigen der Arterien in die feinsten Zweige der Venen durch netzf\u00f6rmige mikroskopische Gef\u00e4sschen, in deren Maschen die eigentliche Substanz der Gewebe liegt. So sieht man es an allen feinen Injectionen, eben so bei mikroskopischer Beobachtung des Blutlaufes an lebenden durchsichtigen Theilen, wie an der Schwimmhaut, den Lungen und der Harnblase der Fr\u00f6sche, dem Schw\u00e4nze der Froschlarven, am bebr\u00fcteten Ei, an jungen Fischchen, an den Kiemen der Larven der Wassersalamander, an den Fl\u00fcgeln der Flederm\u00e4use und im Gekr\u00f6se aller Wir-belthiere, endlich selbst an undurchsichtigen Theilen der Larven der Salamander mit dem einfachen Mikroskope, wie ich in Meck. Archiv f\u00fcr Anat. u. Physiol. 1829. beschrieben habe. Die feinsten Arterien bilden bei der Verzweigung immer mehr Anastomosen unter einander, und diese Anastomosen gehen zuletzt in ein continuirliches Netz \u00fcber, von denen aus sich die Venenanf\u00e4nge wieder sammeln. Man nennt diese netzf\u00f6rmigen Ueberg\u00e4nge der Arterien in Venen wegen ihrer Feinheit Capillargef\u00e4sse. Es l\u00e4sst sich nicht bestimmt angeben, wo die feinsten Gef\u00e4sse auf h\u00f6ren Arterien zu seyn und wo die feinsten Venen in diesem Netze anfangen. Denn der Uebergang ist allm\u00e4hlig, aber die netzf\u00f6rmigen Ueberg\u00e4nge haben doch das Eigenth\u00fcmliche, dass die Ge-fasschen einen gleichen Durchmesser behalten, dass sie nicht mehr in einer Richtung d\u00fcnner werden, wie Arterien und Venen, und dass gerade, wo die Gef\u00e4sschen wieder in zunehmenden Zweigen sich sammeln, Arterien- und Venenanf\u00e4nge allm\u00e4hlig daraus hervorgehen. Diess berechtigt aber nicht, mit Bichat ein eigenes Capillargef\u00e4sssystem im Unterschiede von Arterien und Venen anzunehmen.\nDie feinsten Capillargef\u00e4sse sind dem Durchmesser der Blutk\u00f6rperchen angemessen; man misst sic an fein injicirten Theilen. Der Durchmesser derselben variirt von Tol-()-0 \u2014 40W ja his P. Zoll; im Durchschnitt ist er am h\u00e4ufigsten 0,00025\u20140,00050. Die feinsten Capillargef\u00e4sse hat man im Gehirne beobachtet, wo sie nach E. H. Weber\u2019s Messungen bis ~j^ = 0,0001.9 P. Z. betragen; in den Nieren des Menschen betragen sie nach meinen Messungen 0,00037 \u2014 0,00058, in den Processus ciliares 0,00053. E. H. Weber fand ihren Durchmesser in der Schleimhaut des Dickdarmes 0,00033 \u2014 0,00050, in einer Lymphdr\u00fcse eben so, in der \u00e4ussern Haut 0,00080, in einer entz\u00fcndeten Haut 0,00025 \u2014 0,00050. Im mit Blut gef\u00fcllten Zustande, wo sie wohl nicht so ausgedehnt als","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einz. Thcilend. Gefiisssyst. Capillargef\u00fcsse. Hau ders. 211\nim injicirten Zustande sind, sind sie noch wenig gemessen worden. Weber fand sie am Hodensacke eines neugebornen Kindes, wo sich die Oberhaut abziehen Hess = -s-j-jir P. Z. Bei ganz jungen Tliieren sind die Capillargef\u00fcsse gr\u00f6sser, so wie auch die Blut-k\u00f6rperchen des Embryo zum Theil gr\u00f6sser sind. Keine anderen Elemente der thierischen Gewebe sind viel feiner. Die Muskelfasern, welche man fr\u00fcher wohl zu fein angegeben hat, sind nach Pr\u00e9vost und Dumas\tP- Z. \u2014 0,00012. Die Primitivfasern\nder Muskeln des Menschen sind 5 \u2014 6mal feiner als seine Blutk\u00f6rperchen. Ich fand die Primitivfasern der Nerven hei S\u00e4uge-thieren ^\t^ so d\u00fcnn als die Blutk\u00f6rperchen breit sind.\nMit anderen Kan\u00e4len verglichen, sind die Capillargef\u00fcsse immer kleiner, die Gallenkan\u00e4lchen der Leber, die Harnkan\u00e4lchen der Nieren sind, wo sie am feinsten sind, immer noch einige Mal st\u00e4rker als die Capillargef\u00fcsse, so dass letztere sich in ihren Zwischenr\u00e4umen und ihrem Bindegewebe oder Interstitialzellgewehe verbreiten. So fand ich die Ductus uriniferi serpentini corticales der Pferdenieren injicirt =0,00137\u20140,00182 P. Z.; die Harnkan\u00e4lchen der Schlangennieren bis ans Ende mit Quecksilber gef\u00fcllt 0,00232 \u2014 0,00423 nach meiner Injection. Die gefiederten blinden Enden der Harnkan\u00e4lchen bei den V\u00f6geln fand ich im injicirten Zustande =0,00174 P. Z., die feinsten Gallenkan\u00e4lchen der Leber bis ans Ende nach meinen gl\u00fccklichen Versuchen beim Kaninchen mit Leim und Zinober injicirt, fand ich =0,00108 \u20140,00117 P. Z. Die feinsten bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Anf\u00e4nge der Spei-chelkan\u00e4lcben der Parotis injicirt, fand E. H. Weber 0,00082, nach meinen neueren Messungen sind sie beim Hunde mit Quecksilber gef\u00fcllt 0,00187. Die bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Anf\u00e4nge der Kan\u00e4le im Pankreas der Gans mit Oueksilber injicirt, fand ich 0,00137 \u2014 0,00297. In der Milchdr\u00fcse vom s\u00e4ugenden Igel fand ich sie 0,00712, heim s\u00e4ugenden Hunde injicirt =0,00260. Die Samenkan\u00e4lchen im Hoden des Menschen haben nach meinen Messungen nicht injicirt 0,00470. mit Quecksilber gef\u00fcllt 0,00945. Siehe das Weitere \u00fcber meine \u00e4lteren fnjectionen und Messungen Meck. Arch, f\u00fcr Anat. u. Phys. 1830. J. Mueller de glandu/arum structura penitiori earumr/ue prima format /one in homine et animalibus. Lips. fol. cum. Iah. 17. />. 112. Alle diese verschiedenen Elemente der Gewebe, Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen, Muskelfasern, Nervenfasern, werden von den Netzen der Capillargef\u00fcsse umgeben und verbunden. Die Primitivfasern der Muskeln, die Primitivfasern der Nerven erhalten selbst keine Gef\u00e4sse mehr, denn sie sind selbst d\u00fcnner als die feinsten Capillargef\u00fcsse. Nie sieht man bei Untersuchung frischer gl\u00fccklicher fnjectionen von diesen Theilen andere Capil-largef\u00e4sse, als solche, die sich in den Zwischenr\u00e4umen der Pri-mitivfasern verbreiten. Es ist wohl eben so mit den feinsten Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen. Die Capillargef\u00fcsse der Nieren legen sich \u00fcberall zwischen und \u00fcber die Ductuli uriniferi hin, aber diese selbst werden nach meinen Beobachtungen niemals injicirt.\nDie Form der Capillargelassnetze ist im Allgemeinen sehr einfach, und variirt bloss in dem Unterschiede von engeren und weiteren Maschen der Netze, gleichf\u00f6rmigen oder l\u00e4nglichen Mall*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nsehen. Iu den Muskeln und Nerven bilden die Capillargef\u00e4ss-netze auch l\u00e4ngliche Maschen an den Primitivfasern, und diesen entsprechend. Was Soemmerring und Doellinger, und namentlich Berees in seinen verdienstlichen Untersuchungen [pied. Jahrb. d. \u00f6sterr. Staates. Ed. 14.) \u00fcber den Unterschied der kleinsten Gef\u00e4sse in den verschiedenen Geweben beobachtet haben, ist sehr richtig, gilt aber nicht von den feinsten Capillargef\u00e4ssnetzen selbst, sondern von der Form der in diese Netze sich verzweigenden kleinsten Arterien und Venen. So bemerkt Soemmerring, dass die Verzweigung in den d\u00fcnnen D\u00e4rmen einem unbelaubten B\u00e4umchen) im Mutterkuchen einem Qu\u00e4stchen, in der Milz einem Sprengwedel, in den Muskeln einem lteiserb\u00fcndel, in der Zunge einem Pinsel, in der Leber einem Sterne, in den Hoden und im Adergeflechte des Hirnes einer Haarlocke, in der Riech-haut einem Gitter \u00e4hnlich sey. In den Kiemen nehmen Arterien und Venen die Richtung der Kiemenbl\u00e4tter, so dass das arteri\u00f6se Str\u00f6mchen an der einen Seite aufsteigt, an der andern das ven\u00f6se herabsteigt. In den Sehnen ist die Vertheilung der Gef\u00e4sse nach E. H. Weber dendritisch, ohne dass diese Gef\u00e4sse genau mit den l\u00e4nglich reiserf\u00f6rmigen Gef\u00e4ssen der Muskeln Zusammenh\u00e4ngen. ln der Nierenrinde giebt es eigenth\u00fcmliche glomeruli von Blutgef\u00e4ssen mitten in den Capillargef\u00e4ssnetzen. Diese runden K\u00f6rpereben, corpora Malpighiana, sind blosse Kn\u00e4uel des in sie eintretenden arteri\u00f6sen Zweiges, auf dem sie wie eine Frucht aufsitzen ; sie stehen durchaus nicht im Zusammenh\u00e4nge mit den Harnkan\u00e4lchen, was man fr\u00fcher angenommen hat, wie meine Untersuchungen und die von Huscuke und Weber zeigen. Mueller de gland, struct, penit. p. 100. 101. Huschke hat neuerlichst bewiesen, dass die feine Arterie, die in diese K\u00f6rperchen tritt, nach vielen Windungen wieder aus denselben hervortritt, um in das Capillargef\u00e4ssnetz \u00fcber zu gehen, wie sich beim Wassei-salamander beobachten l\u00e4sst. Tiedemann und Treviranus Zeitschrift J\u00fcr Physiologie. 4. Bd. 1. II. p. 116. tab. 6. fig. 8. An den Enden der Zotten der Placenta des Menschen biegt eine Capil-lararterie in eine Capillarvene um, wie E. H. Weber\u2019s sch\u00f6ne Untersuchungen zeigen, Anatomie 4. In der Vertheilung der feinsten Arterien giebt es also viele Formen, allein in den Capillargef\u00e4ssnetzen selbst giebt es keinen weitern Unterschied; als die Gi\u00f6sse der Maschen, und ihre mehr l\u00e4ngliche oder gleichf\u00f6rmige Gestalt. Davon habe ich mich besonders bei Untersuchung der Dr\u00fcsen \u00fcberzeugt, wo, so verschiedenartig die Anordnung der feinsten Dr\u00fcsenkan\u00e4le seyn mag, die Capillargef\u00e4sse selbst aber nur Netze sind, und die Vertheilung der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen nicht nachahmen. In der Marksubstanz der Nieren, wo die Harnkan\u00e4lchen zu pyramidenf\u00f6rmigen B\u00fcscheln zusammentreten, bilden die feinen Arterien, und wie ich neuerlichst durch Injection mich abermals \u00fcberzeugt, auch die Venen lauter langgestreckte Gef\u00e4sse zwischen den Harnkan\u00e4lchen, so dass man sie gew\u00f6hnlich f\u00fcr von den Blutgef\u00e4ssen aus injicirte Harnkan\u00e4lchen f\u00e4lschlich gehalten hat; allein auch diese gestreckten Blutgef\u00e4sse bilden wieder sehr l\u00e4ngliche Maschen von Capillargef\u00e4ssen, indem sie von","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einz. T/ieilen <1. Gef\u00e4sssyst. Capillargef\u00fcsse. Bau ders. 213\nder Rinde gegen die Nierenwarzen feiner werden, und bilden zuletzt ein Netz an den Warzen selbst um die M\u00fcndungen der Harnkan\u00e4le. So geben auch die Gef\u00e4ssreiserchen zwischen den Nerven- und Muskelfasern fort, allein die Capillargef\u00e4sse sind liier um die parallelen Fasern eben so gut Netze, wie in den Hoden um die gewundenen Samenkan\u00e4le, und in der Nierenrinde um die gewundenen Harnkan\u00e4lchen. Die feinen Arterien folgen zwar in den Kiemen der Salamanderlarven der Vertheilung der Kiemenbl\u00e4ttchen, und gehen in herabsteigende Kiemenblut\u00e4derchen \u00fcber; allein zwischen beiden ist ein Netz auch in dem feinsten Bl\u00e4ttchen, welches Rusconi und Andere \u00fcbersehen haben; ich sah die Bewegung der Blutk\u00f6rperchen durch dieses Netz.\nDie dichtesten Netze mit den kleinsten Maschen linden sich in den Lungen, in der Chorioidea, schon weniger in der Iris und im Ciliark\u00f6rper; ferner in den Lungen, Leber, Nieren, Schleimh\u00e4uten, Lederbaut. In der Cboriodea des Truthahns finde ich die Zwischenr\u00e4ume gerade so breit, oder noch kleiner, als der Durchmesser der Capillargef\u00e4sse. In den Lungen des Menschen sind die Zwischenr\u00e4ume fast noch kleiner als die Str\u00f6mchen. W Eber Anat. 4. 203. In den Nieren des Menschen und des Hundes finde ich den Durchmesser der injicirten Capillargef\u00e4sse im Verh\u00e4ltnisse zu den Zwischenr\u00e4umen wie 1:4 \u2014 1 : 3. Im Gehirne, das zwar eine sehr grosse Menge Blut erh\u00e4lt, aber auch das Blut im Innern in seinen sehr feinen Capillargefassen in weniger zahlreiche Netze vertheilt, sondern dieselbe Blutmenge schneller wieder abgiebt, fand E. H. Weber das Verh\u00e4ltniss des Durchmessers der Capillargef\u00e4sse zum L\u00e4ngendurehmesser der Maschen = 1 : 8 \u25a0\u2014-10, zum Breitendurchmesser der Maschen wie 1:4 \u2014 C. In Schleimh\u00e4uten, z. B. in der Conjunctiva palpebrarum, und in der Lederhaut fand Weber die R\u00f6hrchen viel dicker als in dem Gehirne, aber die Zwischenr\u00e4ume enger, im Verh\u00e4ltnisse zu diesen wie 1 :3 \u2014 4. An der Knochenhaut waren die Zwischenr\u00e4ume viel gr\u00f6sser. Siehe E. H. Weber\u2019s Ausgabe von Hildebrandt\u2019s Anat. 3. B. p. 45. Die Knochen, Knorpel, B\u00e4nder, Sehnen haben die wenigsten Blutgef\u00e4sse und Capillargef\u00e4sse. An den Grenzen zwischen Muskel- und Sehnenfasern siebt man den grossen Unterschied in dem Gef\u00e4ssreichthuin beider, die Blutgef\u00e4sseben der Muskeln kehren hier nach Doel-einger gr\u00f6sstentheils um, und h\u00e4ngen nicht eng mit den sparsamen Gcf\u00e4ssen der Sehnen zusammen. Dasselbe Verh\u00e4ltniss beobachtete Prochaska zwischen dem freien Theile der Synovialh\u00e4ute, und demjenigen, welcher die Gelenkknorpel \u00fcberzieht. Prochaska disi/uisitio anatomico-physiologica organismi humani. Vien-nae 1812. p. 90. Weber I. c. 3. p. 43. Eine sehr sch\u00f6ne Injection der Knorpel der Luftr\u00f6hre, des Kehlkopfes, der Rippenknorpel vom Fuchse sah ich im Museum von Fremery in Utrecht. Zweifelhaft sch ienen die Gef\u00e4sse noch in der innern gl\u00e4nzenden Schicht der ser\u00f6sen H\u00e4ute; nach den Injectionen von Breuland, die ich zu Utrecht sah, habe ich Anstand, Rudolphi\u2019s Meinung zu theilen, dass die Gef\u00e4sse der ser\u00f6sen H\u00e4ute in dem subser\u00f6sen Zellgewebe sich befinden; van der Kolk besitzt Injectionen des","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nPeriton\u00e4ums, die keinen Zweifel \u00fcbrig lassen, dass diese H\u00e4ute selbst Gelasse enthalten. Obsero. anal. path. 27. Zweifelhaft sind sie im Glask\u00f6rper, in der Substanz der Cornea.\nDas Resultat der mikroskopischen Beobachtungen und der feinsten Injectionen ist, dass die Capillargef\u00e4sse nur Ueberg\u00e4nge der Arterien in die Venen sind, und dass keine andere Art von Gelassen aus ihnen entspringt, dass die feinsten Arterien an keiner Stelle aufh\u00f6ren, ohne durch Capillargef\u00e4sse in Venen \u00fcberzugehen, mit einem Worte, dass es keine feinsten Gef\u00e4ssenden giebt. Man muss diess Ergebniss der feinen Anatomie um so sicherer feststellen, da Haller leider die Hypothese von den offenen Arterienenden, von denen er 5 Arten, Oeffnung in Membranen, in Lymghgef\u00e4sse, in secernirende Kan\u00e4le, in Fett, endlich in Venen annahm, nur zu sehr nach den rohen physiologischen Vorstellungen seiner Vorg\u00e4nger befestigt bat. Allein in jenen Zeiten waren die offenen Gef\u00e4ssenden ein nothwendiges Postulat, weil man sich nicht einmal die Absonderung des Schleimes und Fettes ohne offene Blutgef\u00e4ssenden denken konnte. Von allen diesen U\u00dcberg\u00e4ngen existirt kein einziger, als der best\u00e4ndige Uebergang der arteri\u00f6sen in ven\u00f6se Kan\u00e4le. Nachdem Mascagni, Hunter, Pro-chaska, Soemmerring schon jene Hypothese gl\u00fccklich bek\u00e4mpft hatten, blieb der Uebergang der Blutgef\u00e4sse in die secernirenden Kan\u00e4le der Dr\u00fcsen immer noch zweifelhaft. Indessen haben meine Untersuchungen, \u00fcber alle Dr\u00fcsen ausgedehnt, um den Bau und die feinsten Anf\u00e4nge der secernirenden Kan\u00e4le kennen zu lernen, so Avie die \u00e4hnlichen Beobachtungen von Husckke und Weber, Arbeiten, welche sich auf bessere H\u00fclfsmittel, n\u00e4mlich Injection der secernirenden Kan\u00e4lchen selbst, Anwendung des Mikroskopes, Entwickelungsgeschichte des Embryo, gr\u00fcnden, f\u00fcr die Nichtexistenz dieses Zusammenhanges in allen absondernden Dr\u00fcsen entschieden, und bewiesen, dass die Wurzeln der secernirenden Kan\u00e4le, wie mannigfaltig sie auch in den verschiedenen Dr\u00fcsen gebildet sind, blinde Anf\u00e4nge haben. J. Mueller de gland, struct, penit. Lips. 1830. Auch die Vasa exhalantia, welche seihst Bichat noch als offene Seitenzweige der Capillargef\u00e4sse supponirte, sind eine reine Fiction, und eine exhalirende Membran, wie das Peri-ton\u00e4uin, enth\u00e4lt nur Capillargef\u00e4ssnetze mit fl\u00e4chenhafter Ausbreitung, so dass Fl\u00fcssigkeiten aus den Capillargefassen in die H\u00f6hlen nur eben so ausd\u00fcnsten k\u00f6nnen, wie sie die Substanz der Organe selbst tr\u00e4nken, durch die Permeabilit\u00e4t aller thierischen Theilc f\u00fcr aufgel\u00f6ste Stoffe, durch die zwar nicht sichtbare, aber doch nothwendig vorhandene allgemeine Porosit\u00e4t der thierischen Substanz auch in ihren kleinsten der Aufweichung f\u00e4higen Mole-culen. So dringt, wie Mascagni zeigte, wenn man Arterien mit einer durch Zinnober gef\u00e4rbten Leimaufl\u00f6sung einspritzt, eine ungef\u00e4rbte Fl\u00fcssigkeit wie Thau auf der Oberfl\u00e4che der H\u00e4ute hervor, ohne dass die. Farbetbeilchen durchgelassen werden. Dass es Vasa serosa, d. h. so feine Zweigelchen der Blutgef\u00e4sse gebe, die keine Blutk\u00f6rperchen, sondern nur die Lymphe des Blutes durchlasscn, ist m\u00f6glich, l\u00e4sst sich aber nicht beweisen. Aber man f\u00fchrt f\u00fcr jene Hypothese einige Theile an, in denen man","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. einz. T/ieilen d. Gef\u00fcsssyst. Capillargef\u00e4sse. Bau ders. 215\nnoch keine rothes Blut f\u00fchrende Gef\u00e4sse entdeckt hat, n\u00e4mlich die Cornea, die Linsenkapsel, den Glask\u00f6rper. Die Gef\u00e4sse der Cornea in der Substanz derselben sind zweifelhaft, und noch nie injicirt worden. Indessen giebt es penetrirende Geschw\u00fcre der Hornhaut, Wucherung derselben, welche ohne Gef\u00e4sse nicht denkbar sind, und es ist hieraus wahrscheinlich, dass sie Gef\u00e4sse enth\u00e4lt. Dass aber das Bindehautbl\u00e4ttchen der Hornhaut wenigstens bei fast ausgetragenen Kalbsfoetus Blutgef\u00e4sse besitzt, welche Blut enthalten, und noch mehr als eine Linie \u00fcber den Hornhautrand mit der Loupe verfolgt werden k\u00f6nnen, habe ich wiederholt gesehen, und Henle hat diese Gef\u00e4sse fein injicirt und abgebildet. Sie messen 0,00070 \u2014 0,00133, und die d\u00fcnnsten Zweige waren nicht injicirt; ihre St\u00e4mmchen, die von einem kreisf\u00f6rmigen Gef\u00e4sse, das um die Hornhaut herlief, in das Bindehautbl\u00e4ttchen drangen, waren noch etwas dicker. Die Pr\u00e4parate davon bewahre ich bei mir auf. Herr Prof. Wutzeh hat sie gesehen. Prof. Retzius hat durch Injection dieselbe Beobachtung an Erwachsenen gemacht. Hence de memhrana pupillari aliisque membranis oculi pellucentibus. Bonnae 1832. Dass nun bei der Entz\u00fcndung die Hornhaut blutf\u00fchrende Gef\u00e4sse enth\u00e4lt, ist bekannt. Ich sah in Eltrecht hei Schroeder von einem leicht entz\u00fcndeten Auge die sch\u00f6nste Injection, sowohl der Bindehaut als der Membrana Descemetii.\nDie hintere Wand der Linsenkapsel enth\u00e4lt hei ausgebildeten Thieren noch blutf\u00fchrende Gef\u00e4sse von jenem Aste der Arteria centralis, der sich durch den Glask\u00f6rj)er dahin begiebt. Diess liabe ich an frischen Kalbs- und Ochsenaugen gesehen, wo die Gef\u00e4sse der hintern Kapselwand, die von einem starken Aste der Art. centralis herr\u00fchren, zuweilen noch bluthaltig sind. Dasselbe sah Zinn. Heni.e hat gezeigt, dass diese Gef\u00e4sse beim Foetus mit Gef\u00e4ssen der Zonula Zinni und des Corpus ciliare Zusammenh\u00e4ngen, und diese Verbindung injicirt und abgebildet. Beim Embryo der S\u00e4ugethiere h\u00e4ngen sie durch eine sehr gef\u00e4ssreiche, von mir beobachtete Haut, Membrana capsula-papillaris, mit den Gef\u00e4ssen der Membrana pupillaris zusammen, indem diese neue Haut zwischen dem innern Rande der Iris und dem innern Rande der Zonula oder dem Rande der Linsenkapsel ausgespannt ist, lauter parallele L\u00e4ngsgef\u00e4sse enthaltend, die von der Iris und Pupillarmembran zur Zonula und zur hintern Kapselwand gehen. In der vordem Kapselwand sind die Gef\u00e4sse \u00e4usserst schwer nachzuweisen. An entz\u00fcndeten Augen sind sie auf der vordem und hintern Kapselwand deutlich, wie ich von einem cataract\u00f6sen Auge eine vortreffliche Injection dieser Art bei Schroeder van der Kolk in Utrecht sah. Die Zonula Zinni ist nach Henle\u2019s und Schroeder\u2019s Injection ein gef\u00e4sshaltiges Organ, und scheint f\u00fcr die Ern\u00e4hrung der durchsichtigen Theile von grosser Wichtigkeit. Der Glask\u00f6rper enth\u00e4lt wenigstens bei dem Embryo und hei den Fischen blutf\u00fchrende Gef\u00e4sse. Alles Bisherige macht es aber wahrscheinlich, dass auch Cornea und Linsenkapsel, denen man Vasa serosa zuschreiben wollte, wirklich Blutgel\u00e4sschcn besitzen, und von der Linsenkapsel des Ochsenauges ist ja ohne-","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216 /. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahsclni. Vom Blutkreislauf.\nhin gewiss, wie von der Bindehaut der Cornea heim ausgetragenen SchafToetus, dass sie Blut enthalten. Freilich sind die Gefasse des Bindehautbl\u00e4ttchens der Cornea unendlich weniger zahlreich, als die der Conjunctiva bulbi, und es ist hier ein \u00e4hnliches Verh\u00e4ltniss, wie zwischem dem Theile der Synovialhaut, welcher frei ist, und demjenigen, der die Gelenkk\u00f6pfe \u00fcberzieht. E. H. Weber bemerkt sehr richtig, dass eine einfache Schicht von Haargef\u00e4ssnetzen mit blossen Augen gar nicht erkannt werde, daher das Aussehen jener Theile nichts beweist. Das Mesente-rium zwischen den noch mit blossen Augen sichtbaren Gef\u00e4ssen scheint auch gef\u00e4sslos und durchsichtig, enth\u00e4lt aber lauter Ca-pillargef\u00e4ssnetze bei Anwendung des Mikroskopes. Siehe \u00fcber alles diess Heni.e. Wenn wir nun behaupten, dass seihst in den durchsichtigen H\u00e4uten noch blutf\u00fchrende Gefasse vorhanden sind, so ist damit nicht zugleich erwiesen, dass alle Gefasse dieser Theile wirklich auch so stark sind, dass sie die ro\u00fcien Blutk\u00f6rperchen aufnehmen; im Gegentheil ist es wahrscheinlich, dass gerade in diesen Theilen die meisten zarteren Gelasse nur den fl\u00fcssigen Theil des Blutes, Liquor sanguinis aufnehmen. Und auch in anderen Theilen mag es so feine Capillargef\u00e4sse gehen, welche f\u00fcr gew\u00f6hnlich nur Liquor sanguinis aus den Arterien aufnehmen und in die Venen abgehen. Eine Unterscheidung dieser feineren Capillargef\u00e4sse als Vasa serosa ist jedoch nicht angemessen, da sie von anderen Capillargef\u00e4ssen nicht verschieden sind, und da dieselben Gefasse oft lange Zeit von Liquor sanguinis durchstr\u00f6mt werden, w\u00e4hrend von Zeit zu Zeit auch wieder einzelne Blutk\u00f6rperchen durch dieselben sich Bahu brechen.\nEine wichtige Frage ist, ob die feinsten Capillargef\u00e4sse h\u00e4utige W\u00e4nde haben. Es ist ein allgemeines Zeugniss von Malpighi bis Doellinger, dass hei lebenden Thieren mit H\u00fclfe des Mikroskopes keine h\u00e4utigen W\u00e4nde an denselben zu entdecken sind. Doellinger (Denkschriften der Academie zu M\u00fcnchen 7.) sieht das Blut als fliessenden Thierstoff, den Thierstoff als festes Blut an. Gruithuisen sah das Blut zwischen den Acini der Leber beim Frosche frei str\u00f6men. Viel deutlicher ist dieser Anschein nach meinen Beobachtungen an der Leber der Tritonlarven, welche ich allein zu diesen Beobachtungen geeignet fand, da man hier auch in undurchsichtigen Theilen mit dem einfachsten Mikroskope den Blutlauf beobachten kann. Siebe Meckel\u2019s Archiv 1829.\nWedemeyer zweifelte an den h\u00e4utigen W\u00e4nden, nachdem er die breiten Blutstr\u00f6mchen und die kleinen Substanzinseln in den Lungen der Salamander beobachtet hatte. So l\u00e4ugnen C. Fr. Wolff, Hunter, Doellinger, Gruithuisen, Baumgaertner, Wedemeyer, Meyem und Oesterreicher die Existenz der h\u00e4utigen W\u00e4nde an den Capillargef\u00e4ssen; dagegen Leeuwenhoecil , Haller, Spallanzani, Prochaska, Bichat, Ber res, Rudqlphi feine unsichtbare h\u00e4utige W\u00e4nde au ihnen annehmen. Das Entstehen neuer Gelasse, was Doellinger und Oesterreicher als Grund der JN'ichlexistenz der Membran auseheu, beweist indess nichts f\u00fcr die schon gebildeten Gefasse. Allein genauere Untersuchungen scheinen gera-","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"4. Vond. einz. Tlteil. d. Gefiisssyst. Capiliargef\u00e4sse. Blutbewegung 217\ndezu die Hypothese von der Nichtexistenz der h\u00e4utigen W\u00e4nde zu widerlegen. Schon hat man dagegen angef\u00fchrt den Ueber-gang der eingespritzten Fl\u00fcssigkeiten aus den Arterien in die Venen, ohne dass sie zugleich ins Zellgewebe austreten, das Ueber-einanderweggehen der Str\u00f6mchen, ohne dass sie sich verbinden. Auch beweist die Menge der Str\u00f6me, und die Kleinheit der dazwischen liegenden Inseln in der Lungenmembran der Fr\u00f6sche und Salamander eher das Gegentheil; denn diese kleinen Inselchen m\u00fcssten wohl zuweilen seihst an den Str\u00f6mungen Antheil nehmen. Es giebt auch directe Beweise von der Existenz feinster W\u00e4nde um die Capillargef\u00e4ssstr\u00f6mchen. Hierzu bedarf es eines ganz zarten Parenchyms, welches sich in Wasser leicht auflockert, und die Netze der Capiliargef\u00e4sse zur\u00fcck l\u00e4sst. So zeigten sich die Capiliargef\u00e4sse der Nieren, welche die Ductus uriniferi corticales umwehen, als etwas Selbstst\u00e4ndiges, wenn ich St\u00fcckchen der Nierensubstanz vom Eichh\u00f6rnchen nur kurze Zeit in Wasser aufgeweicht hatte, und dann mikroskopisch untersuchte. In der Chorioidea, Iris und im Ciliark\u00f6rper zeigen sich die Capil-largef\u00e4sse noch deutlicher als selbstst\u00e4ndig. Ebenso k\u00f6nnen sie an einem Organe erwiesen werden, welches Tbeviranus entdeckt hat. Ich meine das plattenartige Organ in der Schnecke des Geh\u00f6rorganes der V\u00f6gel. Nach den Beobachtungen von C. Wikdischmank [de penitiori auris structura in amphibiis, cum tab. 3. Bonnae 1831. Lips apud Voss) sind diese Platten nur die Falten und Runzeln einer Haut, welche sich \u00fcber die Spiralpl\u00e4tte in der Schnecke der V\u00f6gel w\u00f6lbt. Diese Haut ist \u00fcberaus zart und pulp\u00f6s; die weiche Substanz derselben wird aber von einem ausserordentlich sch\u00f6nen Gef\u00e4ssnetze durchzogen, welches Win-bischmann von der Carotis aus injicirt hat; sie l\u00f6st sich leicht in Wasser auf, und es bleibt das wundersch\u00f6ne Gef\u00e4ssnetz mit leeren Maschen zur\u00fcck. Auch im nicht injicirten Zustande erhalten sich nach Aufl\u00f6sung der pulp\u00f6sen Substanz die sch\u00f6nen Gef\u00e4ssnetze. Siehe Windischmann /. c. tab. II. Schwann hat endlich k\u00fcrzlich durch das Mikroskop nachgewiesen, dass die Capiliargef\u00e4sse nicht bloss eine eigene Haut haben, sondern dass diese deutliche Cirkelfasern enth\u00e4lt, in \u00e4hnlicher Ordnung wie in den Arterien. I) iese Entdeckung ist in den Capillargef\u00e4ssen des Mesenteriums des Frosches und der Feuerkr\u00f6te gemacht worden. Es sind starke Vergr\u00f6sserungen und ged\u00e4mpftes Licht dazu noting. Die Sache l\u00e4sst sich sowohl am todten als lebenden Frosch erkennen.\n2, Blutbewegung in den Capillargefiissnetzen.\nUntersucht man die durchsichtigen Theile eines lebenden Thiercs unter dem Mikroskope, so bemerkt man, dass die pulsa-torische oder die rhythmisch verst\u00e4rkte Bewegung des Blutes in den kleinsten Arterien und in den Haargef\u00e4ssen aufh\u00f6rt, wenigstens hei erwachsenen Thieren, und dass das Blut continuirlich gleichf\u00f6rmig str\u00f6mt. Wenn die Thiere aber schw\u00e4cher werden, so bemerkt man, dass das Blut mehr pulsatorisch fliesst, und man bemerkt dann ein zwar eonlinuirliches, aber pulsw'eise verst\u00e4rktes f orlr\u00fccken der Blutk\u00f6rperchen in den kleinen Arterien und Ca-","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\npillargef\u00e4ssen. Diess beobachtet man auch bei ganz jungen Thie-ren, wenn sie nicht gerade geschw\u00e4cht sind. Nimmt die Kraft des Herzens noch mehr ah, so sieht man die Blutk\u00f6rperchen in den kleinsten Arterien und in den feinsten Haargef\u00e4ssen gar nicht mehr continuirlich bewegt, sondern nur stossweise fortgeschoben, und bei gr\u00f6sserer Schw\u00e4che weichen sie selbst nach jedem Ruck wieder etwas zur\u00fcck. Diese Beobachtungen sind bereits ganz so von Wedemeyer gemacht, und ich muss sie als das Resultat aller meiner Beobachtungen best\u00e4tigen. Sie sind von grosser Wichtigkeit, denn sie beweisen, dass selbst im Zustande der gr\u00f6ssten Schw\u00e4che das Blut durch die Capillargef\u00e4sse, an denen man im ruhigen Zustande nie die geringste Spur einer Ver\u00e4nderung des Durchmessers wahrnimmt, von der Kraft des Herzens fortgetrieben wird. Dass die continuirliche, aber pulsatorisch verst\u00e4rkte Bewegung des Blutes der Arterien in den Haargef\u00e4ssen im ungeschw\u00e4chten Zustande gleichf\u00f6rmiger wird, k\u00f6nnte ein blosser Schein seyn, wegen der ausserordentlichen, unter dem Mikroskope scheinbar vergr\u00f6sserten Geschwindigkeit, so dass diese pul-satorische Verst\u00e4rkung bei langsamen Bewegungen deutlicher werden m\u00fcsste. Allein da das Blut aus den Venen offenbar ohne Spur von Puls gleichf\u00f6rmig ausfliesst, so ist es gewiss, dass in den Haargef\u00e4ssen wirklich die pulsatorisch verst\u00e4rkte Bewegung in die gleichf\u00f6rmige \u00fcbergeht, und nur bei grosser Schw\u00e4che zur pulsatorisch verst\u00e4rkten und im h\u00f6chsten Grade der Schw\u00e4che zur blossen pulsatorischen wird. Die Ursachen dieser merkw\u00fcrdigen Erscheinung suche ich in Folgendem: So wie die zusammengedr\u00fcckte Luft in dem Windkessel der Feuerspritze, eben so macht die im Puls erweiterte, durch ihre Elasticit\u00e4t sich verengende Arterie die pulsatorische Bewegung des Blutes in den Arterien zur continuirlichen, aber pulsatorisch verst\u00e4rkten Bewegung, indem die Verengerung der Arterien auch in den Zwischenzeiten des Pulses das Blut fortzutreiben fortf\u00e4hrt. Das stossweise Fortr\u00fccken des Blutes in der Aorta von jeder neuen in die Aorta gepressten Masse erlischt in den kleineren Arterien, wegen der com-pensirenden Ausdehnung der Arterien. Ungleiche Hemmungen in verschieden feinen Gef\u00e4ssen, wodurch das Blut in dem einen Gef\u00e4sschen bald aufgehalten wird, w\u00e4hrend es in dem andern rasch fortfliesst, solche ungleiche Einfl\u00fcsse m\u00fcssen immer mehr im weitern Verlaufe der Gef\u00e4sse die Bewegung vielfach modili-ciren. Aber der stossweise Druck des Herzens wird zuletzt nicht mehr bemerkt werden. Wenn aber ein Thier sehr schwach ist, und die Stosskraft des Herzens abnimmt, so werden auch die elastischen W\u00e4nde der Arterien bei jedem Puls von weniger Blut erweitert, und werden auf das Blut weniger dr\u00fccken, d. h. die Ursache, welche die stossweise Bewegung des Blutes in den Arterien zur continuirlichen macht, h\u00f6rt auf, und das Blut fliesst, nur stossweise, und nun l\u00e4sst sich dieser schwache Stoss noch in den Haargef\u00e4ssen mit dem Mikroskope erkennen. Nach Kocu soll die oscillirende Bewegung des Blutes bei schwachen Thicren nicht vom Herzschlage abh\u00e4ngig seyn. Meckei.\u2019s Archiv f\u00fcr yluat. u. Physiol. 6. Bd. p. 216. Mir schien sie dagegen wie Wedemeyer","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"4. Einz. Theile d. Gef\u00e4sssyst. Capillargej\u00fcsse Blutbewegung. 219\nganz abh\u00e4ngig von den schwachen Zusammenziehungen des Herzens, wodurch das Blut den Widerstand der Capillargef\u00e4sse nicht \u00fcberwinden kann, und beim Nachlasse jeder Zusammenziehung des Herzens, trotz der Klappen, wieder etwas zur\u00fcckfliesst.\nDie Gr\u00f6sse des Widerstandes, welchen die Haargef\u00e4sse dem Blute darbieten, l\u00e4sst sich aus Hales und Keill\u2019s Versuchen ermessen. Keill verglich die aus der durchschittenen Schenkelarterie und aus der Schenkelvene eines lebenden Hundes ausflies-senden Blutmengen, die sich wie 7^ zu 3 verhielten, so dass der Widerstand also --j der Kraft des \u00c4rterienhlutes betr\u00e4gt. Nach Hales (Weder Anat. 3. 41.) floss, als er das Innere der Art. me-sent. eines todten Thieres dem Drucke einer 4^ Fuss hohen Wassers\u00e4ule aussetzte, und den Darm dem Mesenterium gegen\u00fcber zerschnitt, aus den durchschnittenen feinen Gef\u00e4ssen in einer Zeit nur der Wassermenge aus, die aus den durchschnittenen St\u00e4mmen dieser Gef\u00e4sse ausfloss, so dass der Widerstand der kleinsten Gef\u00e4sse also -| der Kraft des Druckes betrug.\nDa das Blut zur Zeit des Pulses in den Arterien pulsweise schneller lliesst, und die Bewegung in den verschiedenen Haar-gef\u00e4ssen, wie man unter dem Mikroskope sieht, verschieden schnell ist, so l\u00e4sst sich nur die mittlere Geschwindigkeit des Blutes in den Haargef\u00e4ssen mit der mittlern Geschwindigkeit desselben in den Arterien vergleichen. W\u00e4re die Summe der Lumina der Aeste eines Gef\u00e4sses jedesmal gleich dem Lumen des Stammes, und die Summe aller Haargef\u00e4sslumina gleich dem Stamme der Aorta, w\u00e4ren die R\u00e4ume, durch welche das Blut fliesst, bei zunehmender Vertheilung doch best\u00e4ndig gleich weit, so w\u00fcrde die mittlere Geschwindigkeit des Blutes in den Haargef\u00e4ssen eben so gross als in den Arterien ersten Ranges seyn m\u00fcssen, so wie unter gleichen Voraussetzungen auch die mittlere Geschwindigkeit des Venenblutes der Geschwindigkeit des Arterienblutes gleich sein m\u00fcsste. Denn die Kraft, von welcher das Blut in den Arterien getrieben wird, ist zwar viel gr\u00f6sser als das, was in den Venen von dieser Kraft \u00fcbrig ist, aber die in den Arterien gr\u00f6ssere Kraft der Bewegung hat auch den ganzen Widerstand bis durch die Capillargef\u00e4sse zu \u00fcberwinden, das Blut der Venen hat ihn \u00fcberwunden, und da*die Summe des Widerstandes im ganzen Haargef\u00e4sssy-stem und in den Arterien auf die ganze Bluts\u00e4ule bis zum Herzen zur\u00fcck wirkt, so hat die ganze Kraft des Herzens sogleich schon am Anf\u00e4nge der Aorta diesen Wiederstand zu \u00fcberwinden, und bei gleicher Weite der R\u00e4ume m\u00fcsste sich das Arterienblut in jedem Theile mit gleicher Geschwindigkeit und nicht schneller als das Venenblut bewegen, so w\u2019ie es aus den Capillargef\u00e4ssen hervork\u00f6mmt. Die Vergleichungen des Arterienblutflusses und des Venenblutflusses; geben gar keine richtige Vorstellung von der Geschwindigkeit des Arterienblutes und des Venenblutes, sondern bloss von der Bewegungskraft der beiden Blutarten; dahingegen ihre Geschwindigkeiten erst gefunden werden, wenn man den Widerstand, den diese Kraft erleidet, abzieht. Hieraus folgt nun, dass, wenn die Wege des Blutes von dem Stamme bis in die Aeste","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahsch. Vom Blutkreislauf\ngleich weit bleiben, seine Geschwindigkeit in den Arterien im Capiilargef\u00e4ssystem und in den Venen gleich seyn m\u00fcsste.\nDa nun aber die Summe des Raumes der Aeste bei gewisser Lange immer gr\u00f6sser ist, als der Raum eines gleich langen Stammes, so ist dennoch die Geschwindigkeit in den engeren Stammen gr\u00f6sser als in den zusammengenommen weiteren Aesten, und diese Geschwindigkeit nimmt im geraden Verh\u00e4ltnisse derRaum-vergr\u00f6sserung bis durch die Haargef\u00e4sse ab.\nVerschiedene Schriftsteller haben geglaubt, die Kraft des Herzens reiche nicht aus, um das Blut durch die Haargef\u00e4sse zu treiben, und es bed\u00fcrfe hierzu besonderer H\u00fclfsk'rafte, welche hierzu supponirt worden sind, wie die Zusammenziehung der Haargef\u00e4sse, oder die selbstst\u00e4ndige Bewegung des Blutes, wovon die Beobachtung nichts zeigt. Dass die Bewegung des Blutes durch die Haargef\u00e4sse bloss das Herz bewirkt, zeigt unumst\u00f6sslich die Beobachtung, dass die stossweise Bewegung sich bei schwachen Thieren bis in die Haargef\u00e4sse fortpflanzt, und die Thatsache, dass das Blut aus den Venen eines Thieres bei jeder Exspiration st\u00e4rker ausstr\u00f6mt, wobei die Zusammendr\u00fcckung der Gef\u00e4sse der Brust durch die Exspiration, die den Strom des Arterienblutes verst\u00e4rkt, selbst durch die Haargef\u00e4sse hindurch wirkt. Diess beweist auch folgender Versuch von Magekdie. Er unterband den Schenkel eines Hundes, ohne dass die Schenkelarterie und Schenkelvene in der Ligatur mitbegriffen waren. Wurde nun die Schenkelvene besonders unterbunden, so schwoll sie von dem Blute, welches aus dem Schenkel zur\u00fcckkehrte, an, und ergoss ihr Blut strahlf\u00f6rmig beim Anstechen. Als man die Schenkelarterie comprimirte, h\u00f6rte der Strom des Venenblutes allm\u00e4hlig auf zu fliessen, stellte sich aber wieder her, als man aufh\u00f6rte die Arterie zu comprimiren. Poisetjii.le hat mittelst des schon \u00f6fter erw\u00e4hnten Instrumentes den Druck des Blutes in dem peripherischen St\u00fccke einer Vene gemessen, und bei wiederholten Versuchen gefunden, dass dieser Druck dem des Blutes in den Arterien durchaus proportional ist, mit ]enem abnimmt und zunimmt. Mueller\u2019s Archiv 1834. p. 365.\nDie Bewegung des Blutes in den verschiedenen Capillarge-f\u00e4ssen und kleinsten Arterien ist verschieden schnell, je hach den Hindernissen, welche den Strom durch anastomotische Zweigelchen aufhalten. Wedemeyer bat \u00fcber das Verhalten der Str\u00f6mchen, die sich vereinigen, Eolgendes bemerkt, was ich mit der Natur vollkommen \u00fcbereinstimmend finde. Zuweilen fliessen die Blutk\u00f6rperchen aus einem Kan\u00e4lchen einem zweiten Str\u00f6mchen schnell, und wie wenn sie angezogen w\u00fcrden, zu. In anderen F\u00e4llen ist der Strom, in den sie hin\u00fcber fliessen, rasch, sie selbst aber werden in dem zuf\u00fchrenden Str\u00f6mchen aufgehalten, und es gelingt ihnen nur gelegentlich, sich mit dem Strome zu vereinigen. Zuweilen wird selbst aus dem reissenden Strome ein K\u00fcgelchen eine Strecke in den schw\u00e4chern Kanal zur\u00fcck geschleudert, und dann wieder zur\u00fcck getrieben. Ich habe auch bemerkt, dass ein und dasselbe Verbindungskan\u00e4lchen zwischen zwei zuf\u00fchrenden Str\u00f6men das Blut zuweilen in der einen, zuweilen in der andern Richtung 'erhall,","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"4. Elnz. The Hr d. Gef\u00fcsssyst. Capillargef\u00e4sse. Blutbewegung. 22:1\nund dass Ver\u00e4nderungen im Drucke, in der Loge, Beweeungcn des Thieres, immer die Ursache dieser Ver\u00e4nderungen sind;'so wie denn alle diese Verh\u00e4ltnisse der Str\u00f6mung hier nach rein mechanischen Ursachen, eben so wie in einem bew\u00e4sserten Terrain, va-riiren. In den feinsten Capillargef\u00e4ssen, welche nicht roth, auch nicht einmal gelb aussehen, sondern ganz durchsichtig sind, sieht inan die Blutk\u00f6rperchen nicht mehr dicht hintereinander oder nebeneinander (Hessen, hier haben die K\u00f6rperchen nur hintereinander Raum, aber sie fliessen in ungleichen Zwischenr\u00e4umen getrennt, und bald sieht man K\u00fcgelchen dadurch rinnen, bald wieder nicht, bald wieder mehrere. Indessen habe ich niemals R\u00e4ume bemerkt, welche anhaltend ohne K\u00fcgelchen gewesen w\u00e4ren, und welche die Benennung Vasa serosa rechtfertigten (vergl. Seite216.), und Wedemeyer, der diess gesehen haben will, gesteht selbst, dass er von Zeit zu Zeit doch K\u00fcgelchen durch solche Gef\u00e4sse habe hindurch gehen gesehen. Die K\u00fcgelchen rotiren beim Durchstr\u00f6men der Capillargef\u00e4sse nicht; beim Frosche scheinen sie meist mit dem L\u00e4ngendurchmesser in der Achse des Gef\u00e4sses zu str\u00f6men, aber h\u00e4ufig ist ihre Achse auch schief gestellt, und ihre Lage erleidet vielfache Ver\u00e4nderungen durch den mechanischen Einfluss der W\u00e4nde, wobei sich die K\u00fcgelchen ganz passiv verhalten, und nie eineSpur selbstst\u00e4ndiger Bewegung zeigen. Mehrere Beobachter haben bemerkt, dass die K\u00fcgelchen zuweilen an den engen W\u00e4nden zusammengedr\u00fcckt und verl\u00e4ngert wurden. Doellijiger und Dutrochet behaupten gesehen zu haben, dass Blutk\u00f6rperchen in Gef\u00e4ssrinnen stockend sich hier mit dem Gewebe verbunden haben. Ich habe zwar auch h\u00e4ufig ein solches Stocken, besonders bei schon geschw\u00e4chten Thieren beobachtet, und habe es fr\u00fcher f\u00fcr m\u00f6glich gehalten, dass Blutk\u00f6rnchen auf diese Art ihre Bewegung verlieren k\u00f6nnten; allein genauere Beobachtungen haben mich gelehrt, dass diese stockenden K\u00fcgelchen bald auch wieder frei werden, und dass es nur hei grosser Schw\u00e4che eine vollkommene Stockung, n\u00e4mlich die Gerinnung in den kleinen Gef\u00e4ssen giebt, die gewiss eher das Gegen-theil der Ern\u00e4hrung ist, als dieselbe erkl\u00e4ren kann. Die von Doellinger angenommene Ern\u00e4hrung durch Vereinigung der K\u00fcgelchen mit dem Gewebe ist von keinem einzigen Beobachter best\u00e4tigt worden, und ich werde sp\u00e4ter aus anderen Beobachtungen sehr wahrscheinlich machen, dass die Ern\u00e4hrung nicht auf diese Art geschieht. Immer sieht man alle K\u00fcgelchen, welche in die Capillargef\u00e4sse str\u00f6men, mit Schnelligkeit in die ven\u00f6sen Str\u00f6m-chen \u00fcbergehen, und keine K\u00fcgelchen bei einem lebenskr\u00e4ftigen Thiere zur\u00fcck bleiben. Pr\u00e9vost und Dumas haben zwar in dem Arterienblute mehr K\u00fcgelchen als in dem Venenblute zu finden geglaubt, diess ist aber ein theoretischer Irrthum; sie haben die K\u00fcgelchen f\u00fcr die alleinige Materie des Faserstoffes im Blute genommen; da der Faserstoff aber, wie meine Beobachtungen zeigen, im Blute aufgel\u00f6st ist, so ist es ganz unrichtig, nach der Quantit\u00e4t des Gerinnsels in beiden Blutarten die Menge der K\u00fcgelchen zu sch\u00e4tzen.\nSobald man das Glied comprimirt, h\u00f6ren alle Str\u00f6mungen","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nauf, und jedes K\u00fcgelchen haftet unbeweglich auf der Stelle, die es vorher einnahm. Wach Kielmeyer haben Trkviranus, Carus, Doel-linger und Oesterreicher dem Blute eine eigene Propulsionskraft, sich nach den Capiilargef\u00e4ssen hin, und von diesen ab zu bewegen, angenommen, eine Kraft, die nach dem Aufh\u00f6ren der Herz-th\u00e4tigkeit noch und unabh\u00e4ngig von derselben im Lehen wirken soll. Ich habe mich schon in der Lehre vom Blute aus Gr\u00fcnden dagegen ausgesprochen. Au sieb kann das Blut eine gewisse Direction nicht haben, es m\u00fcsste denn von der Substanz der Capil-largefasse angezogen werden, wie Baumgaertner und Koch anzunehmen scheinen. W\u00fcrde nun wirklich das Blut von den Capil-largef\u00e4ssen und der lebenden Substanz angezogen, so kann es sich wohl darin anh\u00e4ufen, aber man sieht nicht ein, wie eine solche Anziehung den Kreislauf unterst\u00fctzen k\u00f6nnte, denn das Blut wird dadurch zum Aufenthalte in den Capiilargef\u00e4ssen bestimmt; oder man m\u00fcsste wieder annehmen , dass das Blut nur so lange von der Substanz in den Capiilargef\u00e4ssen angezogen werde, als es aus den Arterien kommend noch bellroth ist, dass aber mit der Umwandlung inven\u00f6ses Blut diese gegenseitige Verwandtschaft von Blut und Substanz aufh\u00f6re. Dann allein k\u00f6nnte in den Capiilargef\u00e4ssen eine H\u00fclfskraft des Kreislaufes liegen. Die Turgescenz gewisser Tbeile zu gewissen Zeiten beweist dagegen gar nichts f\u00fcr diese H\u00fclfskraft, denn hier findet auch Anh\u00e4ufung des Blutes statt. Ich komme wieder darauf zur\u00fcck, was hei der Lehre vom Blute bemerkt worden, wo ich meine Versuche \u00fcber die Dauer der Blulbewegung in abgeschnittenen Theilen, und ohne Solutio continui mit Mortification des Herzens durch Kali caustieum bei Fr\u00f6schen erz\u00e4hlt habe. p. 151. Obgleich die bloss durch Anziehung bedingte Saftbewegung der Pflanzen uns die M\u00f6glichkeit zu \u00e4hnlichen Ph\u00e4nomenen bei Thieren zeigt, so haben wir doch bis jetzt keine hinreichenden empirischen Gr\u00fcnde f\u00fcr dieselbe; ich habe schon bemerkt, dass ich die rhythmische Oscillation des Blutes bei stockendem Kreisl\u00e4ufe nicht f\u00fcr einen solchen Grund ansehe, und die von scharfsinnigen M\u00e4nnern, Baumgaertner und Koch, beigebrachten Gr\u00fcnde nicht f\u00fcr hinreichende Beweise halte.\nMan kann die Frage von der Unterst\u00fctzung des Kreislaufes durch Anziehung des Blutes nach den Capiilargef\u00e4ssen verneinen, und doch diese Anziehung allein, in F\u00e4llen, wo eine Anh\u00e4ufung von Blut in gewissen gesunden Theilen, in denen sich ein th\u00e4ti\u2014 geres Leben zeigt, zugeben, wie ich schon bemerkte. Diese Art der Anziehung bewirkt Anh\u00e4ufung, nicht Unterst\u00fctzung des Kreislaufes. Bei den Pflanzen sind diese Ph\u00e4nomene ganz augenscheinlich ; dem Fruchtknoten, der das befruchtete Ei einschliesst, fliesst, wie Burdacii sagt, mehr Saft zu; ubi stimulus ibi affluuxs. Aebn-liche Ph\u00e4nomene giebt es auch bei Thieren.\nAlle diese Ph\u00e4nomene \u00f6rtlicher, vom Herzen unabh\u00e4ngiger activer S\u00e4fteanh\u00e4ufung, die nicht durch ein Hinderniss des R\u00fcckflusses entsteht, hat man unter dem Namen Turgescenz, turgor vitalis zusammen gefasst. (Hebenstreit de turgore vit all. Lips. 1795., welche Abhandlung indess wohl keine richtige Ansicht dieser Gegenst\u00e4nde enth\u00e4lt.)","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"4. Einz. Theile d. Gefiisssyst. Capillargef\u00fcsse. Blutlewegung, 223\nIn vielen Lebensumst\u00e4nden wird die Wechselwirkung zwischen Substanz und Blut, die organische Affinit\u00e4t zwischen beiden, welche in der Ern\u00e4hrung ein Factum ist, unter Anh\u00e4ufung des Blutes in den erweiterten Gef\u00e4ssen der Organe vermehrt. So bei der Brunst in den Genitalien, bei der Schwangerschaft im Uterus, im Magen, der in der Verdauung blutreicher ist, bei der Wiedererzeugung der Geweihe, wo die H\u00f6cker der Sch\u00e4delknochen, auf welchen die Geweihe aufsitzen, gleichsam ein wahrhaftes Aufsteigen der S\u00e4fte wie in den Pflanzen zeigen, nachdem sie bis dahin auch von Blut durchzogen oder blutarm waren. Am h\u00e4ufigsten sind diese \u00f6rtlichen Anh\u00e4ufungen des Blutes, Gef\u00e4sser-weiterungen und Gef\u00e4ssentwickelungen aber beim Embryo, \\e nach den verschiedenen Organen, welche gerade als successiv nothwendige Theile oder Glieder des Ganzen durch die produci-rende Kraft entstehen. Die Kiemen der Salamander und Fr\u00f6sche, der Schwanz der Froschlarven sterben dagegen ab, wenn die organische Affinit\u00e4t zwischen Substanz und Blut auf h\u00f6rt. Man hat zur Erkl\u00e4rung dieser Ph\u00e4nomene an verst\u00e4rkte Contraction der Arterien gedacht. Allein die pulsatorischen Muscularcontractionen existiren nicht, und dauernde Zusammenziehungen der Arterien, wenn sie nicht wurmf\u00f6rmig fortschreitend sind, oder wenn sie nicht durch besotidere Klappen unterst\u00fctzt sind, k\u00f6nnen keine Turgescenz hervorbringen. Eine Vermehrung der Blutmenge in einzelnen Organen kann auch pl\u00f6tzlich eintreten, und es geh\u00f6ren hierher die pl\u00f6tzlichen Blutanh\u00e4ufungen im Gesicht bei der Schamr\u00f6tlie am ganzen Kopf bei heftigen Leidenschaften, Zust\u00e4nde, in welchen die localen Ph\u00e4nomene offenbar durch Ner-venwirkung bedingt sind. Eben so geh\u00f6ren hierher die activen Congestionen des Blutes zu Organen, welche in einem gereizten Zustande sich befinden, zum Gehirn u. s. w. Vgl. Bonorden, Meck. Archiv 1827. 537. Wedemeyek L c. 412. Schwann hat eine andere m\u00f6gliche Erkl\u00e4rung dieser Phaenomene aufgestellt, wobei die Annahme einer Anziehung des Blutes vermieden wird. Durch ein Nachlassen der anhaltenden, lebendigen Contractilit\u00e4t einzelner Arterien kann n\u00e4mlich gr\u00f6ssere Erweiterung derselben durch den Druck des Blutes, und dadurch gr\u00f6sserer Blutandrang zu einzelnen Organen bedingt seyn. Schwann im Enryclop. IV\u00fcr-terbuch der med. Wissenschaften. XIV. 233.\nWenn die Gef\u00e4sse eines Organes, in dem die Affinit\u00e4t zwischen Blut und Substanz gesteigert werden kann, einer betr\u00e4chtlichen Erweiterung f\u00e4hig sind, so findet Anschwellung dieses Organes und Erection desselben statt. Erectil ist bloss der Penis, \u25a0vielleicht bei Einigen die Clitoris. Der scheinbar erectile Anhang am Kopfe des Truthahns besteht nach Schwann gr\u00f6sten Theils aus Muskelfasern. Die Ereetionen scheinen daher in eine Ordnung mit den eben genannten Ph\u00e4nomenen zu geh\u00f6ren, sie bilden aber eine besondere Reihe, weil zur Erection ein eigentli\u00fcmlicher Bau der Gef\u00e4sse, n\u00e4miieh betr\u00e4chtliche Erweiterungsf\u00e4higkeit derselben bei einem sehr sinu\u00f6sen Bau der Venen geh\u00f6rt. In diesem Falle bilden die erweiterungsf\u00e4higen Venen die zahlreichsten Anastomosen und Geflechte, und der Raum","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224 7. Buch. Von (Jen organ. S\u00e4ften etc. II. Absclin. Vom Blutkreislauf,\naller dieser erweiterten Geflechte ist ohne Vergleich gr\u00f6sser als die zuf\u00fchrenden und abf\u00fchrenden Kan\u00e4le. Im nicht erweiterten Zustande fliesst diesen Gef\u00e4ssen so viel Blut zu, als Blut abfliesst. Durch eine gesteigerte Affinit\u00e4t zwischen dem Blute und den W\u00e4nden der Gef asse wird vielleicht das Blut in ihnen zur\u00fcck gehalten. Sie schwellen um so straffer an, wenn die Zwischenr\u00e4ume der Venengeflechle von einem fibr\u00f6sen Faden- oder Balkengewebe unterst\u00fctzt sind, welches letztere mit einer fibr\u00f6sen \u00e4ussern Haut zusammen h\u00e4ngt, wie an den Corpora cavernosa penis. Injections-massen gelangen aus den Arterien der Ruthe ziemlich leicht in die Venen, besonders an dem Corpus eavernosum der Urethra und der Eichel; M. J. Weber hat mir eine Suite sch\u00f6ner In jectio-nen des Penis von den Arterien aus gezeigt. Vergl. Cuvier vergl. Anat. 4. 468. Moreschi, Meck.. Archiv 5. 404. Ribes, ebend. 447. Tiedemann, Meck. Archiv 2. 95. Panizza osservazioni an-tropo-zootomico-fisiologiche. Pavia 1830. Zwischen den anasto-motischen Venen des Corpus eavernosum penis liegen heim Pferde blassr\u00f6thliehe Faserb\u00fcndel, welche im Allgemeinen der L\u00e4nge nach verlaufen, aber balkenartig Zusammenh\u00e4ngen. Mikroskopisch untersucht zeigen sie sich nicht wie Muskelfasern; beim Rochen geben sie selbst nach 7 Stunden keinen Leim. Die essigsaurc Aufl\u00f6sung wird von Cyaneisenhalium gef\u00e4llt; daraus kann man indess nur schliessen, dass das fragliche Gewebe nicht in die Classe der niedern Gewebe, des Zellgewebes, Sehnengewebes und elastischen Gewebes geh\u00f6rt. Beim Versuche an einem lebenden Pferde konnte ich an diesem Gewebe durch eine galvanische S\u00e4ule keine Contraction erregen. S. Mueller\u2019s ylrchiv 1834. p. 50. 1835. p. 26.\nDie Ursache der Erection ist bekanntlich vorz\u00fcglich \u00f6rtliche oder vom Gehirn und R\u00fcckenmarke ausgehende Nervenreizung, so wie auch Congestion zum Gehirn und R\u00fcckenmark diess verursacht, wie zuweilen bei Erh\u00e4ngten. Die Ruthennerven, deren Zweige sich in dem Gef \u00e4ssgewebe der Ruthe verbreiten, sind die n\u00e4chste Ursache zur Anh\u00e4ufung des Blutes in demselben. Guenther hat beobachtet, dass nach Durchschneidung dieser Nerven beim Pferde das Glied nicht mehr erigirt werden kann. Meck. Archiv 1828. 364. Als der operirte Hengst zu einer Stute gebracht wurde, zeigte er zwar Lust zum Bedecken, allein die Ruthe blieb schlaff herabh\u00e4ngend. Am andern Tage war sie geschwollen, aber nicht erigirt.\nEinige franz\u00f6sische Schriftsteller, Chaussier und Adelon, und unter uns Stieglitz (pathologische Untersuchungen 1. 175.) nehmen an, dass der Zufluss des Blutes bei der Erection nicht das Erste, sondern die selbstst\u00e4ndige Expansion des Gewebes das Urspr\u00fcngliche, die Anf\u00fcllung mit Blut die Folge bei der Erection sey. Hiergegen kann erwiedert werden, dass wir bis jetzt kein Beispiel einer activen Erweiterung kennen, und dass die k\u00fcnstliche Einspritzung des Penis die Erection vollst\u00e4ndig nachahmt. Stieglitz vermuthet zugleich, dass die St\u00e4mme der Venen vielleicht auch einer Verschliessung durch Zusammenziehung f\u00e4hig seyen. Versuche an der Vena dorsalis penis des Hundes und Schafbok-","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"4. Eint. Theile <1. Gej\u00fcsssyst. Capillargef\u00fcsse. Erection. 225\nkes, die ich anstellte, sind dieser Hypothese entgegen. Kbause (Stieglitz a. a. O. p. 18S.) tlieilt den Musculi ischiocavernosi die F\u00e4higkeit zu, die Venen des Penis zu dr\u00fccken, und so die Erection zu bewirken. Houston (Dublin Hospital Reports 1830. T. 5. Stieglitz a. a. O. 189.) hat sogar hei Tliieren besondere Muskeln zwischen Penis und Schaambogen zur Compression der Vena dorsalis penis beschrieben. Sie sollen von den Schaam-beinen entspringen, und sich \u00fcber der Vena dorsalis mit einander in der Mittellinie verbinden. Sie sollen eine d\u00fcnne Schichte muscul\u00f6ser und sehniger Fasern bilden. Diese Fasern sollen beim Menschen undeutlich seyn. Ich habe sie niemals finden k\u00f6nnen. Man kann zwar, wenn die Erection eben beginnt, durch eine willk\u00fcbrliche Zusammenziehung der Muskeln des Dammes diese momentan verst\u00e4rken, aber diese Verst\u00e4rkung ist nur momentan, wenn nicht die wahren Ursachen zur Erection vorhanden sind. Man kann die Musculi ischiocavernosi willk\u00fchrlich zusammenziehen, aber hierdurch kann man keine Erection bewirken, wenn der Penis schlaff ist.\nNach einer von mir gemachten Entdeckung \u00fcber den merkw\u00fcrdigen Bau gewisser Arterien im Innern der Corpora cavernosa lernen wir ganz neue Elemente der Erkl\u00e4rung der Erection kennen. Ich habe n\u00e4mlich gefunden, dass cs ausser den letzten feinsten, in Venenanf\u00e4nge \u00fcbergehenden und zur Ern\u00e4hrung der Corpora cavernosa dienenden Zweigen der Arteriae profundae penis noch eine ganz andere Art von Zweigen derselben giebt, welche theils kurze rankenartige Ausw\u00fcchse von L Millirn. Dicke, tlieils Q\u00fc\u00e4stchen solcher rankenartigen Ausw\u00fcchse mit gekr\u00fcmmten, stumpfspitzen, blinden Enden giebt, die ich Arteriae helicinae nannte. Diese Ausw\u00fcchse ragen s\u00e4mmtlich in die ven\u00f6sen Zellen der Corpora cavernosa penis hinein; sie finden sich vorz\u00fcglich im hintern Theile der C. cavernosa penis und des C. ca-vernosum urethrae. Obgleich sich an den W\u00e4nden dieser freien Arterienausw\u00fcchse, die sich am deutlichsten beim Menschen zeigen, keine Oeffnungen sehen lassen, so erleidet es doch keinen Zweifel, dass sie es sind, welche das Blut, das bei der Ern\u00e4hrung durch die viel feineren Zweige der Arteriae profundae penis in die Venenanf\u00e4nge \u00fcbergeht, bei der Erection, sogleich in die ven\u00f6sen Zellen ergiessen. Bei der Injection der Art. profunda penis geht die Masse von Leim und Zinnober jedesmal in die Zellen \u00fcber; beim Auswaschen der ausgeschnittenen cavern\u00f6sen K\u00f6rper finden sich dann die Art. helicinae injicirt. Bei der lebendigen Ergiessung des Blutes aus diesen Banken m\u00fcssen dieselben durch den vom R\u00fcckenmarke ausstr\u00f6menden Nerveneinfluss das Blut in gr\u00f6sserer Quantit\u00e4t anziehen. Diese Entdek-kting wirft zugleich ein neues Licht auf die Wechselwirkung des Blutes, und der kleinsten Gef\u00e4sse in anderen Theilen und auf den Tur gor vitalis. Siehe Mueller\u2019s Archiv f. Anat. u. Physiol. 1834. p. 202. tab. 13. Aus den cavern\u00f6sen K\u00f6rpern Messt das Blut theils durch Emissarien an den Seiten und an der Oberfl\u00e4che dieser K\u00f6rper zur\u00fcck in die Zweige der Vena dorsalis penis; theils durch tiefere Venen, die an der Wurzel der C. caver-\nMiiller\u2019s Physiologie. 1.","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"T26 I. Buch. Vun den organ. S\u00e4ften etc. II. Alschn. Vom Blut kr eis tauf.\nnosa hervorkommen, unmittelbar in den Plexus pubiens hinter der Symphyse der S'chaambeine, wohin auch die Vena dorsalis \u00fcbergeht. Da diese tieferen Venen gar nicht in die Vena dorsalis gehen, so kann auch keinerlei Druck auf die Vena dorsalis Ursache der Blutanh\u00e4ufung im Penis werden. S. Mueller im encyclop. W\u00f6rterb. <1. medicin. Wissenseh. Art. Erection.\nDie Empfindungen der Geschlechtstheile h\u00e4ngen von dem Nervus pudendus ah; aber die Erection seihst scheint vorzugsweise vom organischen Nervensystem abzuh\u00e4ngen. Der Plexus hypogastricus giebt n\u00e4mlich ein Geflecht sehr feiner, von mir beobachteter F\u00e4den, welche unter dem Schaambogen auf die Wurzel der Ruthe treten, und sich mit Zweigen der Ruthennerven verbindend, ins Innere der Corpora cavernosa penis et urethrae treten, und sich auf den Gef\u00e4ssen verzweigen. Siehe J. Mueller \u00fcber die organischen A erven der erectilen m\u00e4nnlichen Geschlechtsorgane. Berlin 1836. Die Empfindungsnerven der Ruthe wirken auf das R\u00fcckenmark, von dort aus wird wahrscheinlich die Th\u00e4-tigkeit der organischen Nerven und der Gef\u00e4sse hei dem Acte der Erection erregt; hierauf folgt die Ergiessung des Blutes in die Corpora cavernosa, und die Erection wird vollst\u00e4ndiger durch die Zusammenziehung der Musculi ischiocavernosi, welche den R\u00fccktritt des Blutes zum Theil hemmen. Es ist interessant die St\u00e4rke des Druckes zu kennen, welche n\u00f6thig ist, um dem Penis durch Anh\u00e4ufung von Fl\u00fcssigkeit im Innern der Corpora cavernosa Steifigkeit zu ertheilen. In eine in das Corpus cavernosum penis einer Leiche gemachte Oeftnung, band ich eine gl\u00e4serne R\u00f6hre von 6 Fuss H\u00f6he fest, welche senkrecht stehend mit Wasser gef\u00fcllt wurde. Der Pi\u00fcckfluss des Wassers in die Unterleibsvenen wurde durch einen Druck im Becken verhindert. Bei einer Wassers\u00e4ule von 6 Fuss H\u00f6he wurde der Penis vollkommen erigirt und steif. Das bei der Erection in den Corpora cavernosa angeh\u00e4ufte Blut steht also unter einem Druck, der einer 6 Fuss hohen Wassers\u00e4ule gleich ist. So stark ist ohngef\u00e4hr auch der Druck, unter welchem das Blut in den Arterien fliesst.\nMit dem Phaenomen der Erection darf die Erhebung der Brustwarze des Mannes und Weibes bei mechanischer Reizung und die Bewegung des Fleischlappens am Gesicht des Truthahns bei Leidenschaft nicht verwechselt werden. Die Erhebung der Brustwarze tritt beim Mann sogleich ein, wenn man rasch dar\u00fcber wegf \u00e4hrt. Die Warze wird dann d\u00fcnner und l\u00e4nger. S\u00e4ugende Weiber fahren auch zuweilen rasch \u00fcber die Brustwarze weg, um sie, wenn sie eingefallen \u00e4st, zur Erhebung zu bringen. Diese Erscheinung r\u00fchrt wahrscheinlich von jenem contractilen Gewebe her, das an verschiedenen Stellen unter der Haut zerstreut ist, wie in der Tunica dartos, in der Vorhaut und welches auch um die Hautfollikeln vorzukommen scheint, wo es das Phaenomen der G\u00e4nsehaut erzeugt. Der bewegliche Lappen am Gesicht des Truthahns enth\u00e4lt keine Spur von erectilem Gewebe, sondern nach Schwanns Entdeckung ein starkes B\u00fcndel wahres Muskelfleisch.\nEs schien anfangs, dass directe Versuche \u00fcber die Wirkung","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"4. Ei ni. Theile d. Gef\u00fcsssyst. Capillargef\u00e4sse. Erection. 2\u201827\nvon verschiedenen Sto\u00dfen bei der Application auf die Capillargef\u00e4sse unsere Kenntnisse \u00fcber die F\u00e4higkeit derselben, die Capillargef\u00e4sse zu verengern, oder vielleicht durch Vermehrung der Tur-gescenz zu erweitern, sehr vermehren w\u00fcrden. Allein wir befinden uns in einer g\u00e4nzlichen Verwirrung \u00fcber die Zust\u00e4nde, welche verschiedene chemische Substanzen auf die Capillargef\u00e4sse appli-cirt, in ihnen hervorrufen. Thomson, Wilson, Hastings, Kalten-brtjnner, Wedemeyer und Koch haben hier\u00fcber interessante Beobachtungen angestellt. Man beobachtet auf Application chemischer Agentien auf die kleinen Arterien, Haargef\u00e4sse und Venen zweierlei Ver\u00e4nderungen. In vielen F\u00e4llen tritt Erweiterung der Haargef\u00e4sse nach einigen Minuten ein, wie z. B. immer nach Application des Kochsalzes (Thomson, Hastings, Wedemeyer, Oesterreicher und Koch). Doch sah Wedemeyer, dass die kleinen Arterien des Mesenteriums durch Kochsalz sich zuert um -J- ihres Durchmessers verengten, und dass dann eine grosse Erweiterung eintrat. Nach Application von Ammonium li\u00e2t Thomson Verengerung der Gef\u00e4sse mit Abnahme der Schnelligkeit der Blutbewe-gung, Wedemeyer und Hastings dagegen Erweiterung der Gef\u00e4sse mit Stockungen beobachtet; Oesterreicher sah auf Application einer schwachen Aufl\u00f6sung von Ammonium Erweiterung, nach Application concentrirter Stoffe Verengerung der Gef\u00e4sse mit endlicher Stockung der Blutbewegung; Weingeist verengerte die. Gef\u00e4sse in Hastings Versuchen eben so, wie heisses Wasser bei Fr\u00f6schen ; Eis zog die Gef\u00e4sse ebenfalls zusammen. H\u00e4ufig bemerkte Hastings, dass diese Mittel zuerst Verengerung, sp\u00e4terhin Erweiterung bew irkten. Wedemeyer sah von Tinct. opii, Acidum tartaricum, h\u00f6chst verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure, Alcohol keine constante Besuitate. Nur in ein paar F\u00e4llen sah er, dass Alcohol auf Arterien und Haargef\u00e4sse applicirt, den Blutlauf hemmte, ohne doch in den Arterien eine deutliche Contraction hervorgebracht zu haben. In den F\u00e4llen, wo Stoffe eine Erweiterung hervorbringen, sieht man in der Hegel auch Stockung des Blutes, nur Thomson bemerkte bei der Erweiterung von Kochsalz bald vermehrte Schnelligkeit, bald Stockung. Man bemerkt auch bei verengerten Gef\u00e4ssen bald vermehrte, bald verminderte Schnelligkeit. In einem verengerten Kan\u00e4le muss die Schnelligkeit ceteris paribus zunehmen, nach einer andern Ursache dagegen abnehmen, wenn die Ursache, welche den Kanal zusammenzieht, auch das Blut z\u00e4her macht und zum Gerinnen bringt. In einem erweiterten Kan\u00e4le m\u00fcsste das zugef\u00fchrte Blut ceteris paribus langsamer fliesseri; nur insofern die von aussen bewirkte Erweiterung die Friction vermindert, wird das SchnellerfliesSen begreiflich. Die Erkl\u00e4rung jener Ph\u00e4nomene ist jetzt noch ganz unm\u00f6glich.\nEs kann seyn, dass die Zusammenziehung in allen jenen F\u00e4llen eine active Contraction der thierischen Theile, es kann aber auch seyn, dass sie eine bloss chemische Wirkung ist, und in der todten Materie eben so wirkt, indem eine Materie z. B. den thierischen Theilen einen Theil ihres Wassers entzieht. Es kann seyn, dass die Wirkung der Stoffe, welche Erweiterung derHaargefas.se bedingen, durch vermehrte Turgescenz oder organische Affinit\u00e4t","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nzwischen Blut und Substanz wirkt; es kann aber auch diese Erscheinung eben so gut durch blosse Endosmose erfolgen. Siehe 5. Cap. Ein Salz durchdringt die Theile bis zu den Capillargef\u00e4s-sen, dieses Salz strebt sich in dem Blute aufzul\u00f6sen; das Blut der Capillargef\u00e4sse strebt das Salz zu l\u00f6sen. Durch diese Anziehung muss das Blut in den Capillargef\u00e4ssen aufgehalten und angeh\u00e4uft werden, und die Gef\u00e4sse m\u00fcssen sieh erweitern und die Blutbewegung stocken. Es ist sogar wahrscheinlich, dass in der Hegel, wenn ein Salz Erweiterung der Capillargef\u00e0sse bewirkt, diess durch blosse Endosmose geschieht.\nDa die' genannten Versuche mit Application fremder Materien auf die Capillargef\u00e0sse in Hinsicht der Resultate so verschiedene Auslegung zulassen, so tragen sie auch fast gar nichts zur Erkl\u00e4rung des Zustandes der Capillargef\u00e0sse in der Entz\u00fcndung bei, und wir m\u00fcssen uns beschr\u00e4nken, hier bloss das Tbats\u00e4chliche des Entz\u00fcndungsprozesses mitzutheilen, wie es besonders Thomson, Kartenbrunner und Koch kennen gelehrt haben. Thomson \u00fcber die Entz\u00fcndung, \u00fcbers, von Krukenberg. Halle 1820. Kalten-brunner exp. circa sfatum sanguinis et vasorum in in\u00dfammatione. Monach. 1826. Eine kritische, auf eigene Beobachtungen gest\u00fctzte Arbeit hat Koch, Meck. Archiv f. Anat. u. Physiol 6., geliefert.\nEin entz\u00fcndetes Organ enth\u00e4lt zu jeder Zeit der Entz\u00fcndung mehr Blut in den kleinsten Gef\u00e4ssen oder Capillargef\u00e4ssen ; allein die Bewegung des Blutes durch die Gef\u00e4sse ist in verschiedenen Zeiten ganz verschieden, im Anf\u00e4nge str\u00f6mt das Blut nicht allein in Menge dem entz\u00fcndeten Parenchyma zu, es wird auch wieder ohne grosses Hinderniss in die Venen weiter gef\u00fchrt; in dem Grade aber, als die Entz\u00fcndung weiter schreitet, stockt die Circulation zuerst in einzelnen, dann in immer mehr ausgef\u00fcllten Capillargef\u00e4ssen, und im h\u00f6chsten Grade der Ausbildung sind alle Capillar-gef\u00e4sse mit wahrscheinlich geronnenem, jedenfalls aber auf irgend eine Art zersetztem stockendem Blute gef\u00fcllt. Wach Koch soll sich dabei der F\u00e4rbestoff der Blutk\u00f6rperchen im Serum aufl\u00f6sen, was im gesunden Blute unm\u00f6glich ist, und mir auch noch in der Entz\u00fcndung zweifelhaft scheint, da die faserstoffigen Exsudate blutig seyn m\u00fcssten. Wach Koch entstehen keine neuen Gef\u00e4sse in entz\u00fcndeten Theilen (wobei aber zu erinnern ist, dass sie jedenfalls sicher oft in dem exsudirten Faserstoffe entstehen). Membranen, W'elche eine freie Oberfl\u00e4che darbieten, ergiessen im Zustande der h\u00f6chsten Ueberf\u00fcllung der Capillargef\u00e0sse den im Blute aufgel\u00f6sten Faserstoff, \u2022welcher dann auf der Oberfl\u00e4che der Membran coagu-lirt und eine Pseudomembran, bildet. Wo die Exsudation nicht erfolgen kann, h\u00e4uft sich die gerinnbare Materie in den Capillargef\u00e4ssen der Organe selbst an. Wenn diese Stockung nur in einzelnen Strecken der Capillargef\u00e4sse stattfindet, andere aber noch eine unvollkommene Circulation in dem Organe unterhalten, so ist das Organ bloss verdichtet, was man in den Lungen hepatisirt, in anderen Organen verh\u00e4rtet nennt. Wenn aber durch die Heftigkeit der Entz\u00fcndung alle Circulation in einem Organe aufh\u00f6rt, und alle Capillargef\u00e4sse nicht allein coagulirtes, sondern auch zersetztes Blut enthalten, und die Substanz selbst zersetzt ist, so","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"4. Einz. Thcile J. Gefasssjst. Capillargeftisse Entz\u00fcndung. 229\n-wird ein soldier Tlieil brandig, d. h. es tritt \u00f6rtlicher Tod ein. Thomson (Meck.. Archiv 1. p. 448.) bat beobachtet, dass die Ge~ f\u00e4sse im Brande zuweilen mit coagulirtem Faserstoffe gef\u00fcllt, zuweilen durch Entz\u00fcndung verwachsen sind. Brand tritt leichter hei geschw\u00e4chtem Nerveneinflusse und in gel\u00e4hmten Theilen ein.\nWird endlich die Entz\u00fcndung noch l\u00e4ngere Zeit durch neue Ursachen oder durch die Dauer der alten hingehalten, so wird die Substanz der Organe auf eine eigent\u00fcmliche Weise zersetzt; es stossen sich n\u00e4mlich die zersetzten Theile als Eiter ah, eine aus K\u00fcgelchen bestehende Materie, die gr\u00f6sser sind als die Blutk\u00f6rperchen. Niemand, auch Kaltenbrunneb nicht, hat die Entstehung des Eiters noch geh\u00f6rig mikroskopisch beobachtet. Man kann hierzu kein kaltbl\u00fctiges Thier brauchen, und man m\u00fcsste die Untersuchung an S\u00e4ugetieren, Fledermausfl\u00fcgeln anstellen.\nZwar beginnt die Entz\u00fcndung mit Ph\u00e4nomenen, die der Tur-gescenz \u00e4hnlich sind. Die Organe nehmen durch ver\u00e4nderte organische Affinit\u00e4t zwischen Blut und Substanz mehr Blut auf als sonst, und verhindern seinen Ausfluss. Allein man muss sich sehr h\u00fcten, dicss vermehrtes Leben zu nennen, was eine St\u00f6rung der Function bewirkt, und ein Bestreben der Natur zur Folge hat, die durch den Entz\u00fcndungsreiz verursachte materielle Ver\u00e4nderung, eine die Action des Organes verhindernde Verletzung, wieder auszugleichen. W\u00e4re das Lehen erh\u00f6ht, so w\u00fcrden die krankhaften Ausg\u00e4nge der Entz\u00fcndung nicht eintreten. In der Wiedererzeugung der Geweihe, in dem Ph\u00e4nomen der Erection, in der Turgescenz des Uterus nach der Conception ist wirklich Turgescenz mit \u00f6rtlich vermehrter Lebenskraft verbunden. Beizung und Lebenskraft steigen hier gewissermassen in gleichem Grade, aber in dem Ph\u00e4nomen der Entz\u00fcndung steigt nur die materielle Ver\u00e4nderung; der Schein von Turgescenz, wobei die materiell ver\u00e4nderten Theile das Blut zur\u00fcckhalten oder anziehen, um ihren Zustand wieder herzustellen (?), geht allm\u00e4blig mit der Anh\u00e4ufung des Blutes und mit der materiellen Ver\u00e4nderung des Organes in \u00f6rtlichen Tod \u00fcber, sobald die materiell ver\u00e4nderten Theile die F\u00e4higkeit, welche sie im gesunden Zustande haben, die vitalen Eigenschaften des Blutes zu erhalten, verlieren und das Blut sich innerhalb der Capillar-gef\u00e4sse zersetzt. Entz\u00fcndung entsteht von Reizung der Capillar-get\u00e4sse, ist aber an sich weder ein vermehrtes, noch ein vermindertes Leben, weder Sthenic noch Asthenie, sondern ein eigen-th\u00fcrnlicher Zustand, der bald mit noch normalen allgemeinen Lebenskr\u00e4ften, bald mit unterdr\u00fcckten Lebenskr\u00e4ften vork\u00f6mmt, und im Maasse seiner Ausbildung in einem wichtigen Organe jedesmal auch die Lebenskr\u00e4fte ersch\u00f6pft, wenn sie im Anf\u00e4nge nicht ersch\u00f6pft waren; sie ist wesentlich eine durch materielle Ver\u00e4nderung bewirkte krankhafte Wechselwirkung zwischen Substanz und Blut, zusammengesetzt aus einer \u00f6rtlichen Verletzung, einer \u00f6rtlichen Neigung zur Zersetzung und einer organischen inatigkeit, welche dem Zersetzungsstreben das Gleichgewicht zu halten strebt, was zuweilen unter den Erscheinungen einer heilenden Wunde gelingt, zuweilen nicht gelingt.\nWenn die Haut in Entz\u00fcndung versetzt wird, durch ein Ve-","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230 I. Buch. Von \u00fccu organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. I um Blutkreislauf.\nsicans, so sondert, sie zuerst statt Perspiration und Schweiss eine Fl\u00fcssigkeit ab, welche nur aufgel\u00f6stes Eiweiss enth\u00e4lt; wird die Entz\u00fcndung aber heftiger, so kann jede Haut baserstoff ausschwitzenund in der letzten Zeit der Entz\u00fcndung wird nur Eiter gebildet.\nVerschiedene Schriftsteller haben in der neuern Zeit zu Ire-weisen gesucht, dass die Nerven einen grossen Antheil an der Bewegung des Blutes in den Capillargef\u00e4ssen haben. Trevirasus und Baumgaertner haben am meisten diese Ansicht unterst\u00fctzt. So gewiss es ist, dass vom Einfl\u00fcsse der Nerven die Turgescenz der Theile abh\u00e4ngt, ihre Anziehung gegen die ern\u00e4hrende Fl\u00fcssigkeit, so wenig w ird der Kreislauf hierdurch nothwendig unterst\u00fctzt. Die zahlreichen, von dem trefflichen Baumgaertner ange-stellten Versuche beweisen den Antheil der Nerven an dem Kreislauf durch die Capillargef\u00e4sse durchaus nicht evident. Dieser wahrheitliebende Forscher ist aufrichtig genug, zu gestehen, dass viele seiner ingeni\u00f6sen Versuche nicht stringent beweisen; allein durch die Zahl unvollkommener Beweise wird die Sache nicht besser bewiesen. Baumgaertner bewirkte zwischen dem Nervus ischiadicus und den Fusszehen eines Frosches einen starken galvanischen Strom, welcher die Beizbarkeit dieser Nerven zerst\u00f6rte, worauf der Blutlauf in den mebrsten F\u00e4llen in dem Gliede aufh\u00f6rte. Da aber hier durch den starken galvanischen Strom die Nervenkraft zerst\u00f6rt wurde, so wurde auch die Ursache aufgehoben, welche die Gerinnung des Blutes verhindert, und ausserdem bewirkt schon der Galvanismus die Gerinnung des Eiweisses im Blute. Nach Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes und Gehirns sah Baumgaertner den Blutlauf sich verlangsamen, obgleich das Herz noch fortschlug; allein dieBewegung des Herzens selbst war geschw\u00e4cht, und alle Versuche, wo es auf ein unbestimmtes Mehr oder Minder ank\u00f6mmt, beweisen nicht. Treviranus batte behauptet, dass nach Durchschneidung des Nervus ischiadicus der Blutlauf in der Schwimmhaut aufh\u00f6re, diess fand jedoch Baumgaertner selbst nicht best\u00e4tigt, wenn die Schwimmhaut geh\u00f6rig nass erhalten wurde. Die zahlreichen Versuche von Wilson Philip (an experimental inquiry into the laivs of 1 he vital functions. London 1817.) beweisen nichts weniger als den Einfluss der Nerven auf die Bewegung des Blutes in den Ca-pillargef\u00e4ssen. Die von ihm auf Gehirn und R\u00fcckenmark appli-cirten Narkotica, Opium, Infusum Nicotianae, machen die Bewegung des Blutes in den Capillargef\u00e4ssen langsamer, aber durch das Herz; die pl\u00f6tzliche Zerst\u00f6rung der Centraltheile des Nervensystems hebt den Kreislauf in den Capillargef\u00e4ssen auf, aber durch das Herz. Koch (Meck. Archiv 1827. p. 443.) hat einen ingeni\u00f6sen Versuch angestellt, um zu sehen, ob die Nerven Antheil an der Blutbewegung in den Capillargef\u00e4ssen haben, ein Versuch, der durch seine Einfachheit wirklich zu einem Resultate f\u00fchren k\u00f6nnte. Er beobachtete nach Amputation des Beines eines kleinen Frosches in der Schwimmhaut des amputirten Gliedes nur 3 Min. lang Bewegung. Wenn er aber alle Theile bis auf den Nervus ischiadicus durcbschnitt, so dauerte die Bewegung J \u2014 4 Stunde. Ich habe diesen Versuch wiederholt, er hat mir aber nicht dieselben Re-","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den einzelnen Theilen des Gef\u00e4sssystems. Venen. 231\nsultate geliefert. Nach v\u00f6lliger Amputation des Beines hei starken Fr\u00f6schen sah ich in der Schwimmhaut langsame Bewegungen noch 10 Minuten lang, und es war kein Unterschied, als ich den Nervus ischiadicus allein die Communication bilden liess. Etwas, was hier Irrthum veranlassen kann, ist, dass der Frosch die Muskeln des amputirten Unterschenkels noch willk\u00fchrlich bewegt, so lange der Nervus ischiadicus unverletzt ist und die Communication erh\u00e4lt. Nach einer Zusammenziehung dieser Muskeln sieht man immer wieder eine kleine Bewegung in dem Blute der Capillar-gef\u00e4sse, welche aber eine ganz mechanische Ursache hat.\nBei den Fr\u00f6schen kann man leicht das R\u00fcckgrat \u00f6ffnen, die hinteren Wurzeln der Nerven f\u00fcr die Hinterbeine vom R\u00fcckenmark abl\u00f6sen, und mit einer Zink- und Kupferplatte galvanisiren. Diese hinteren Wurzeln der Spinalnerven erregen keine Zuckungen in den Muskeln, wenn man sie mechanisch oder galvanisch durch Application beider Pole auf die Wurzeln irritirt, dagegen die vorderen Wurzeln unter diesen Umst\u00e4nden auf der Stelle Zuckungen erregen. Ich wollte nun sehen, ob Application des Galvanismus auf eine hintere Wurzel die Bewegung des Blutes in der Schwimmhaut beschleunigt, ein dclicater und etwas compli\u00e7irter Versuch, bei dem Herr Stud. Hoevel assistirte. Jch fand durchaus keine Ver\u00e4nderung der Blutbewegung mit dem Mikroskope in dem Momente, als der Assistent die Kette an der hintern Wurzel schloss. Die vorderen Wurzeln eignen sich zu diesem Versuche nicht, weil dann Zuckungen entstehen, welche die Blutbewegung ver\u00e4ndern. Es k\u00f6nnte indess freilich seyn, dass gerade die vorderen Wurzeln Einfluss auf die Turgescenz in den Capillarge-f\u00e4ssen aus\u00fcbten. Erw\u00e4gt man alles diess, so folgt, dass die Nerven wahrscheinlich nicht zur Unterst\u00fctzung des Kreislaufes in den kleinen Gef\u00e4ssen beitragen, obgleich es gewiss ist, dass die Anh\u00e4ufung des Blutes in gewissen Theilen bei der Turgescenz vorz\u00fcglich von den Nerven abh\u00e4ngig ist. Zur Unterhaltung des Kreislaufes in den kleinen Gef\u00e4ssen ist \u00fcbrigens keinerlei Hiilfs-kraft n\u00f6thig, weil selbst bei geschw\u00e4chtem Herzen des Frosches das Blut noch stossweise in den kleinen Gef\u00e4ssen durch die Kraft des Herzens weiter getrieben wird.\nc. Von den Venen.\nWenn die Kraft des Herzens ausreicht, das Blut durch die Arterien, durch die Capillargef\u00e4sse, und trotz aller Hindernisse wieder durch die Venen zum Herzen seihst zu treiben, so dringt innerhalb einer gewissen Zeit so viel Blut durch die Venen wieder ins Herz, als durch die Arterien aus ihm heraustritt. Die Kraft des Herzens kann aber auch f\u00fcr diesen Zweck noch durch besondere Il\u00fclfsmittel unterst\u00fctzt seyn. Dies sind die Klappen, welche so angeordnet sind, dass abwechselnder Druck auf die Venen die Bewegung des Blutes nach dem Herzen bef\u00f6rdert, w\u00e4hrend der Mangel an geh\u00f6riger K\u00f6rperbewegung schon aus diesem Grunde den Kreislauf erschweren muss. Eigenth\u00fcmliche Bewegungen der Venen giebt es ausser an dem Anf\u00e4nge der Hohlvcnen","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"\u2018232 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vorn Blutkreislauf.\nund der Lungenvenen nicht, und man sieht hei S\u00e4ugcthieren deutlich die Grenze, wie weit sich diese Bewegung der Hohlvenen erstreckt, weil der dar\u00fcber hinaus gelegene Tlieil der Venenst\u00e4mme vielmehr ausgedehnt ist, w\u00e4hrend sich die contraction Anf\u00e4nge der Hohlvenen verengern. Flourens, der die Abdominalvenen-st\u00e4mme der Fr\u00f6sche sich bewegen sah, kannte den Einfluss der Lymphherzen der Fr\u00f6sche nicht, welche die Lymphe in die Venenst\u00e4mme treiben. Aber bei dem Aal giebt cs nach Marshall Hall\u2019s Entdeckung eine Art H\u00fclfsherz am Schwanzende, ein Organ, das ich hei anderen Fischen nicht gefunden habe. hRORiEp\u2019s Not. 727. Dies liegt zu den Seiten des letzten Schwanzwirbels, ist doppelt und treibt das Blut, das es aus den feinen Venen des Endes der Schwanzflosse aufnimmt, in die Vena caudalis. Viele Veuere halten die Kraft des Herzens f\u00fcr ungen\u00fcgend, und schreiben der Saugkraft des Herzens einen geAvissen Antheil an dem Kreisl\u00e4ufe zu, indem nach dieser Ansicht nach der Zusammenziehung der H\u00f6hlungen diese wieder zu einem mittlern Zustande von Erweiterung gelangen, und einen relativ leeren Raum bilden. Zugenbueiiler dise. de motu sang, per venus, Archiv der Med. und Cliir. Schweiz. Aerzte. 1816. Schubafth in Gilbert\u2019s Annalen 1817. Dagegen Carus, Meck. Archiv 4. 412. Die Erweiterung der Herzh\u00f6hlen nach der Zusammenziehung ohne eine Fl\u00fcssigkeit, welche sie ausdehnt, kann zwar nur gering seyn. Es fragt sich aber, wie viel auf die Saugkraft des Herzens hei der Circulation zu rechnen ist. Die grossen Venen werden hei der Zusammenziehung des Vorhofes vom Blute voller, indem ein Tlieil des Blutes zur\u00fcckprallt, oder das zustr\u00f6mende Blut aufgehalten wird, und w\u00e4hrend der Erweiterung leerer. Diess haben Magendie, Wedemevfr gesehen, und ich habe mich davon beim Hunde \u00fcberzeugt. Diess Factum muss man kennen zur Beurtheilung der Versuche. Wedemeyer und Guenther \u00f6ffneten einem Pferde die Vena jug., nachdem sie oberhalb unterbunden war, in diese wurde ein Catheter gesteckt, der mit einer gebogenen Glasr\u00f6hre verkittet war. Die absteigende l\u00e4ngere Branche der Glasr\u00f6hre (2 Fuss) wurde in ein Glas mit Wasser gehalten. Anfangs traten Inspiration und Herzschlag fast gleichzeitig und gleich schnell, 30 Mal in der Minute ein, eben so h\u00e4ufig stieg das gef\u00e4rbte Wasser 2 und mehrere Zolle in der Glasr\u00f6hre rasch auf, und sank dann jedesmal auf seinen fr\u00fchem Standpunkt zur\u00fcck. Allm\u00e4hlig wurden die Inspirationen doppelt so h\u00e4ufig als die Pulsschl\u00e4ge, und nun sahen Wedemeyer und Guenther lange Zeit, dass die Fl\u00fcssigkeit nicht bei jeder Inspiration, sondern bei jedem Pulsschlage, und mithin gleichzeitig bei jeder Erweiterung ties Vorhofes aufstieg. Dieser Versuch scheint die Saugkraft des Herzens ausser Zweifel zu setzen. Dass indess diese Kraft nicht die vorz\u00fcglichste Ursache ist, durch welche das Blut sich in den Venen bewegt, beweist das Factum, dass die Kraft des Herzens bis in die V enen reicht, dass ein durchschnittener Venenstamm fortdauernd aus dem, dem Herzen entgegengesetzten, mit den Capillargef\u00e4ssen und Arterien in Verbindung stehenden St\u00fccke Blut ergiesst. Bei der Zusammendr\u00fcckung der Brust durch das Ausathinen werden","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den einzelnen Theilen des Gef\u00e4sssystems. Venen. 233\ndie Gef\u00e4sse der Brust comprimirt. Dieser Druck h\u00e4lt das Blut in den Yenenst\u00e4mmen auf, und verst\u00e4rkt den Strom in den Arterien. Magendie zeigte, dass die Arterien hei der Exspiration st\u00e4rker spritzen; er durchsclinitt den Venenstamm eines Gliedes, unterband das zum Herzen gewandte St\u00fcck, und beobachtete nun, dass das Venenblut bei jeder Exspiration mit verst\u00e4rktem Strome floss. Offenbar ist nun doch die Zusammendr\u00fcckung der Gef\u00e4sse bei der Exspiration eine weit geringere Kraft, als die des Herzens.\nNeulich bat Pa RR y den Untersuchungen \u00fcber die Bewegung des Blutes in den Venen eine neue Wendung gegeben. Im vollen Zustande erf\u00fcllt das Herz den Herzbeutel ganz. Wenn es sich nun zusammenzieht, so entsteht ein relativ leerer Raum in demselben. Das Blut der Venenst\u00e4mme muss die Vorh\u00f6fe f\u00fcllen, und diese den relativ leeren Raum des Herzbeutels auszuf\u00fcllen streben. Parry legt aber noch mehr Gewicht auf die Inspiration, er behauptet, durch das Einalhmen oder Erweitern der Brusth\u00f6hle entstehe in der Brusth\u00f6hle ein relativ leerer Raum, und es m\u00fcsse daher jede Fl\u00fcssigkeit von aussen oder von innen streben, diesen Raum einzunehmen. Von aussen thut es die atmosph\u00e4rische Luft, indem sie die Lungen im Maasse der Erweiterung der Brusth\u00f6hle ausdehnt, von innen m\u00fcssen verm\u00f6ge des \u00e4ussern Luftdruckes die Fl\u00fcssigkeiten der Gef\u00e4sse Zustr\u00f6men, und die Gef\u00e4ssst\u00e4mme sich strotzend f\u00fcllen. Da aber nach jeder Zusammenziehung des Herzens in dem Herzbeutel ein relativ leerer Raum entsteht, den die sich mit Blut f\u00fcllenden Vorh\u00f6fe auszuf\u00fcllen streben, so muss das Zustr\u00f6men des Blutes nach der Brusth\u00f6hle im Acte der Inspiration auch vorzugsweise nach den Vorh\u00f6fen stattfinden. Frorief\u2019s Notizen n. 2b'0. 374. 393. 394. Parry schob eine gebogene R\u00f6hre in die ge\u00f6ffnete und oberhalb unterbundene Vena jugularis eines Thieres, und liess das untere Ende in ein Gef\u00e4ss mit gef\u00e4rbter bl\u00fcssigkeit halten. Er sah, dass bei jeder Inspiration die gef\u00e4rbte Fl\u00fcssigkeit in der R\u00f6hre aufstieg, bei der Exspiration aber still stand, oder selbst tbeilweise zur\u00fccktrat. Wenn die R,\u00f6hre dieses Apparates in den Herzbeutel selbst gebracht wurde, so beobachtete er auch das Aufsteigen der Fl\u00fcssigkeit.\nPoiseuille hat diesen Gegenstand auf eine zuverl\u00e4ssigere Art untersucht. Er bediente sich des schon beschriebenen, dem Heberbarometer \u00e4hnlichen Instrumentes. W\u00e4hrend sich die R\u00f6hre in einer verticalen Lage befindet, wird eine Aufl\u00f6sung von unterkohlensaurem Natron hinein gebracht, welches die Eigenschaft besitzt, das Blut, mit welchem sie sich vermischt, in fl\u00fcssigem Zustande zu erhalten. Die Fl\u00fcssigkeit f\u00fcllt den kleinen herabsteigenden Schenkel, und steigt im grossen aufsteigenden Schenkel bis zu gleicher H\u00f6he des horizontalen Anfangsst\u00fcckes. Dieser Punkt ist der Nullpunkt der Scala, welche in Millimetern auf dem grossen verticalen Schenkel verzeichnet ist. Indem man nun in eine Vene das an dem horizontalen Theile angeschraubte Anfangsst\u00fcck einf\u00fchrt, wird die Fl\u00fcssigkeit, wenn eine Anziehung durch Saugen stattfindet, zum Theil in die Vene \u00fcbertreten; und in dem langen verticalen Schenkel unter Null fallen, im umgekehrten Falle steigen. Nachdem das Instrument in die Yen. jug. ext. eines Hundes ein-","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. U. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\ngef\u00fchrt war, beobachtete man, dass die Fl\u00fcssigkeit im Momente der Exspiration steigt, im Momente der Inspiration fallt. Das Steigen betrug 85 Millim., das Fallen \u2014 1)0, sp\u00e4ter das erste \u00d6\u00d6, das zweite \u2014 70. Bei grossen Anstrengungen betrug das Steigen w\u00e4hrend der Exspiration 140 = 155 Millimeter, das Fallen \u2014240 \u2014 250 beim Einathmen. Diese Versuche, welche wiederholt gleiche Resultate lieferten, best\u00e4tigen die Schlussfolge von Parry, dass die Brust im Augenblicke des Einathmens in den starken Venenst\u00e4mmen der Brust eine Ann\u00e4herung des Blutes der Venen erzeugt. Anderseits kann die Exspiration die Bewegung des Venenblutes nicht in allen Venen aufhalten, weil die Klappen in den Venen, welche dem Muskeldrucke ausgesetzt sind, das Zur\u00fcckweichen des Blutes verhindern.\nParry hat den Einfluss des Einathmens auf die Anziehung des Venenblutes \u00fcbersch\u00e4tzt. Dieser Einfluss zeigt sich nur an den der Brust nahen Venenst\u00e4mmen. Dagegen erhielt Poiseuii.i.e gar keine Ver\u00e4nderung des Niveaus an seinem Instrumente, an den ler-neren Venen, z. B. den Venen der Extremit\u00e4ten. Das Einathmen entleert die Venenst\u00e4mme der Brust, das Blut der anderen Venen lindet dadurch weniger Widerstand; aber dieser Einfluss ist nicht die Iiauptursache der Bewegung des Venenblutes, er f\u00e4llt ohnehin bei den nicht durch Erweiterung der Brust, sondern durch Schlucken einathmenden Amphibien, bei den Fischen und im Foetus weg.\nEs ist also keinem Zweifel unterworfen, dass die Kraft, welche das Blut in den Arterien bewegt, auch seine Bewegung in den Haargef\u00e4ssen, und sein Zur\u00fcckstr\u00f6men in den Venen bis zum Herzen bedingt, und dass die Anziehung des Blutes in den Hauptvenenst\u00e4mmen beim Einathmen, die Saugkraft, die Klappen der Venen nur einen Theil des Widerstandes, den das Blut aut diesem Wege erf\u00e4hrt, wieder aufheben. Dass die Capillargef\u00e4sse diese Kraft nicht aufheben, wird auch aus dem Kreisl\u00e4ufe der Fische bewiesen, deren Arterienblut noch zu allen Organen gef\u00fchrt wird, nachdem es zuvor schon durch das Capillargef\u00e4sssy-steni der Kiemen durchgegangen ist. Die Kraft des Herzens hat hier das Blut durch zwei Capillargef\u00e4sssysteme, zuerst durch die Kiemen, dann durch die Arterien, die, wie wir von Nysten wissen, hier auch nicht contractil sind, und wieder durch das Capillargef \u00e4sssystem des ganzen K\u00f6rpers zu treiben. So reicht auch die Kraft des Herzens hin, das Blut bei allen Wirbelthieren noch durch das Capillargef\u00e4sssystem der Pfortader zu treiben, nachdem es schon die Capillargef\u00e4sse des Darmes, der Milz etc. durchgegangen ist.\nDie Ver\u00e4nderungen der Blutbewegung, welche durch die Athembewegungen entstellen, bewirken in einigen Theilen eine Art von Anschwellung, indem die Zusammendr\u00fcckung der Brust im Ausathmen die Gef\u00e4ssst\u00e4mme comprimirt, das Blut der Arterien st\u00e4rker aus der Brusth\u00f6hle austreibt, und das Einstr\u00f6men des Venenblutes in den rechten Vorhof aufh\u00e4lt Man sieht daher nicht allein die Jugularvenen beim Ausathmen voller, sondern selbst das Gehirn zur Zeit des Athmens blutreicher werden, so","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"4. Einz. Theile d. Gej\u00fcsssyst. Venen. Einfluss d. Athmens. 235\ndass das blossgelegte Gehirn auch hei Menschen, welche trepa-nirt sind, heim Ausathmen sich etwas erhebt, und beim Einath-men senkt. Magendie will diess auch vom B\u00fcckenmarke beobachtet haben. W\u00e4hrend des Lebens kann bei geschlossenem Sch\u00e4del keine Bewegung des Gehirnes durch das Athmen entstehen, da die Sch\u00e4delh\u00f6hle von festen W\u00e4nden eingeschlossen ist und das Gehirn sein Volumen nicht ver\u00e4ndern kann. Was man dar\u00fcber vorgebracht hat, l\u00e4sst sich leicht durch die physikalische Unm\u00f6glichkeit widerlegen.\nWenn die Bewegung des Blutes in den Venenst\u00e4mmen durch mechanische Hindernisse gehemmt wird, so entsteht Erguss von w\u00e4sserigen eiweisshaltigen Thcilen des Blutes in die H\u00f6hlen und ins Zellgewebe. Faserstoff wird gew\u00f6hnlich nicht ergossen; in einem von A. Magnus beobachteten Falle von Ascites aber, gerann die durch die Function entleerte Fl\u00fcssigkeit ausser dem K\u00f6rper nach einigen Minuten vollst\u00e4ndig.\nH\u00e4ufig findet man in den Arterien nach dem Tode Blut, wie bei Erh\u00e4ngten, Ertrunkenen, irn Kohlendampfe Erstickten, nach Entz\u00fcndungen, in verkn\u00f6cherten Arterien. Siehe Otto path. Anat. 1. 343. Aber gemeiniglich findet man die Arterien leerer als die Venen. Es ist bekannt, dass die Arterien gew\u00f6hnlich sich in dem Maasse verengern und verk\u00fcrzen, als sie weniger Blut enthalten, d. h. bis auf eine gewisse Grenze. Die elastische Verengerung der Arterien treibt nun im Tode noch das Blut in einem gewissen Grade weiter, insoweit n\u00e4mlich die Arterien streben, ihren sp\u00e4tem engen Zustand einzunehmen. Einige Zeit nach dem Tode muss die Menge der Fl\u00fcssigkeiten in den Gef\u00e4s-sen betr\u00e4chtlich vermindert seyn, weil hei der F\u00e4higkeit der thie\u2014 rischen Theile, durch ihre Porosit\u00e4t sich mit w\u00e4sserigen Fl\u00fcssigkeiten zu imbibiren, sie fl\u00fcssige Theile des Blutes durchlassen. Caeson (Meck. Archio 6. 604.) schreibt das Leerseyn der Arterien vorz\u00fcglich den Lungen zu; indem diese nach dem letzten Athemzuge durch ihre Elasticit\u00e4t sich zusammenziehen, soll ein leerer Baum entstehen, den die Fl\u00fcssigkeiten durch Erweiterung der ven\u00f6sen St\u00e4mme der Brust und der Lungen einnehmen sollen. Caeson sah die Arterien voller bleiben, wenn er bei sterbenden Thieren den Brustkasten \u00f6ffnete. Allein die Elasticit\u00e4t der Lungen kann nicht so gross seyn.\nPare y, welcher zwar die rhythmische Contractilit\u00e4t der Arterien l\u00e4ugnet, aber den Tonus oder die unmerkliche gleichf\u00f6rmige Contractilit\u00e4t derselben ausser der Elasticit\u00e4t annimmt, erkl\u00e4rt die Erscheinungen f\u00f6lgenderinaassen : Nach dem Tode ziehen sich die Arterien durch ihren Tonus .st\u00e4rker zusammen, als sie durch ihre Elasticit\u00e4t gethan haben w\u00fcrden, wodurch das Blut zum Fheil in die Venen getrieben wird. Bald h\u00f6rt der Tonus auf, und die Arterien werden nun wieder weiter. Diese Ver\u00e4nderungen des Durchmessers der Arterien will Parry nach dem Tode beobachtet haben. Bei der unerwiesenen Hypothese, dass die Theil-chen des arteriellen Blutes von den Theilchen der Substanz angezogen werden, aber dunkelrolh geworden, diese Anziehung verlieren, resse sich eine Erkl\u00e4rung aufstellen, die un wahrscheinlicher ist.","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen tic. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf. *3. W1 undernetze der Arterien un<l Venen.\nZu den vergleichend anatomischen Thatsachen von grossem physiologischem Interesse geh\u00f6ren ohne Zweifel die Wundernetze. So nennt man die pl\u00f6tzliche Zertheilung einer Arterie oder Vene in ein B\u00fcschel von feineren Zweigen, oder in viele unter einander anastomosirende Aeste, welche entweder f\u00fcr sich zu ihrer Bestimmung hingehen, oder sich selbst wieder in einen neuen Stamm sammeln. Die Wundernetze der letztem Art sind seltener. Man kennt diesen Bau an den Arterien der Extremit\u00e4ten und des Schwanzes einiger langsam sich bewegenden S\u00e4ugethiere, wie Bradypus, Myrmecophaga, Manis, Stenops. Carlisle Philos, transact. 1800. Vrolik de peculiari art.. extremitatum in nonmdlis animalibus dispositione. Ainsi. 1826. Es kommen aber auch Wundernetze an Theilen vor, wo eine Beziehung zur Muskelbewegung wegf\u00e4llt, wie das Rete mirabile caroticum, das aus Gehirn\u00e4sten der Carotis communis hei den Wiederk\u00e4uern und heim Schwein gebildet wird, und dessen s\u00e4mmtliche Zweige sich erst wieder zur Carotis cerebralis sammeln. Ratp (Meck. Arch. 1827.) zeigt, dass hei den Thieren mit einem Rete mirabile caroticum die Vertebralarterie nicht zum Gehirn geht, und mit der Carotis externa zusammenh\u00e4ngt, wie hei der Ziege und beim Kalb, oder Lei Verbindung mit dem Wundernetz sich doch vorz\u00fcglich in die Nackenmuskeln verbreitet, wie heim Schaf. Aehnliche Netze von Arterien finden sich in der Augenh\u00f6hle der Wiederk\u00e4uer, Ratzen, V\u00f6gel nach Rapp und Barkow (Meck. Arch. 1829.). Hier entspringen die Arterien des Bulbus daraus. \\on ungeheurem Umfang sind die Wundernetze der Intercostalarterien und der Venae iliacae der Delphine. Breschet hist, anal. el physiol, d\u2019un organ de nature vasculaire d\u00e9couvert dans les c\u00e9tac\u00e9s. Paris 1336. Baer nov. act. XVII. Bei einigen V\u00f6geln ist an der Art. tibialis antica ein Netz. Unter den Amphibien kennt man nur das kleine \\Arundernetz am Stamm der Carotis der Fr\u00f6sche, die sogenannte Carotisdr\u00fcse. Huschke in Tiedemakn\u2019s Zeitschrift IV. 1. Einige der gr\u00f6ssten Wundernetze sind k\u00fcrzlich hei mehreren Fischen von Eschricht und mir entdeckt worden; sie sind um so merkw\u00fcrdiger, als sie zugleich von \\7cnen und Arterien zusammengesetzt werden. Eschricht und Mueller \u00fcber die arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen IVundernetze au der Leber des Thunfisches. Berlin 1836. Die grosse Eingeweidearterie der Thunfische (Thyn-nus vulgaris und brachypterus) giebt der Leber ihre Leberzweige, bildet aber an derselben Stelle mehrere sehr grosse b\u00fcschelartige AATundernetze, von vielen hunderten Zweigen, welche sich wieder zu St\u00e4mmen sammeln, die sich in den Verdauungseingeweiden verbreiten; aber das vom Darm und Milz r\u00fcckkehrende Blut geht, ehe es in die Leber gelangt, durch eben solche Wundernetze der Pfortader. Bei Squalus cornubicus und Scjualus vulpes habe ich an anderen Stellen Wundernetze gefunden. Sie liegen beim erstem \u00fcber der Leber zu jeder Seite der Speiser\u00f6hre. Das Blut der Eingeweidearterie durchgeht sie, und das aus den Lebervenen r\u00fctkkehi ende Blut durchgeht den ven\u00f6sen Theil der-","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalten der Gefiisse bei der Resorption und Exsudation. 237\nselben, ehe es zum Herzen gelangt. Beim Squalus vulpes befinden sich die Wundernetze an den Gef\u00e4ssen des Darms, Magens und der Milz. Andere Haifische haben nichts davon.\nEntweder haben diese Bildungen einen mechanischen oder einen chemischen Einfluss auf das Blut. Die Vertheilung des Blutes auf viele feinere K\u00f6hren, die sich doch wieder sammeln, scheint den Zweck einer \u00f6i-tlichen Verlangsamung des Blutstroms zu haben, indem die vermehrte Reibung diese Folge haben muss. Diese Erkl\u00e4rung passt auf alle Formen der Wundernetze. Die Erkl\u00e4rung, dass die Wundernetze an den Extremit\u00e4ten und an dem Schw\u00e4nze einiger kletternder Thiere zur Erleichterung der Circulation hei den Anstrengungen der Muskeln bestimmt seyen, passt nur auf wenige Formen. F\u00fcr die Supposition einer chemischen Wirkung hat man bis jetzt keine anderen Gr\u00fcnde als die Vergleichung mit den Lyinphgef\u00e4ssplexus und Lymphdr\u00fcsen, und die Beobachtung von J. Davy dass die Thunfische eine eigene hohe Temperatur (99\u00b0 F. bei 80\u00b0, 5 des Mediums) haben. Diese Erkl\u00e4rung ist wenig wahrscheinlich. Der Durchgang des Blutes des Verdauungssystems durch 2 Capillargef\u00e4ssnetze, des Darmkanals und der Leber, scheint schon bei allen Wirhelthieren auf \u00f6rtliche Verlangsamung des Blulstroms berechnet zu seyn; die Wundernetze der erw\u00e4hnten Fische m\u00fcssen den Blutstrom noch langsamer machen.\nV. Capital. Vom Verhalten der Blutgef\u00e4sse bei der Aufnahme und Ausscheidung der Stoffe.\na. Von der Resorption.\nVor der Entdeckung der Lymphgef\u00e4sse durch Asellius 1622 schrieb man den Venen die Resorption zu. Aach dieser Entdek-kung, und nachdem man die Lymphgef\u00e4sse in den meisten Organen kennen gelernt hatte, hielt man sie f\u00fcr die alleinigen Organe der Resorption. Die Ansicht von der Resorption der Lymphgef\u00e4sse st\u00fctzt sich auf das Anschwellen der Lymphgef\u00e4sse des Darmes einige Zeit nach dem Essen; ferner auf das anatomische Ver-h\u00e4ltniss, dass diese Gef\u00e4sse durch Klappen den Lauf des Chylus und der Lymphe gegen den Ductus thoracicus bef\u00f6rdern, den entgegengesetzten hemmen m\u00fcssen. Indessen hat man in verschiedenen Zeiten dagegen gewarnt, dass man die Lymphgef\u00e4sse nicht als einzige Organe der Resorption betrachten k\u00f6nne. Bekannt ist die Piesorption der Knochenmasse im innern der Knochen bei Entstehung ihrer Zellen, die Absorption der Alveolen der Z\u00e4hne hei den Allen, und doch existiren ivi den Knochen keine Lymphgef\u00e4sse. Man kennt die Resorption von Eiter, St\u00fccken der Cryst\u00e4ll-linse und von Blut im Auge, von dessen Innerm doch keine Lymphgef\u00e4sse bekannt sind. Endlich d\u00fcrfte man nur an die Aufsaugung der Dotterfl\u00fcssigkeit von der Keimhaut erinnern, von welcher Niemand behaupten wird, dass sie in den ersten Tagen schon Lymphgef\u00e4sse besitze, wenn nicht auch die wirbellosen Thiere","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238 /. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ab sehn. Vom Blutkreislauf.\n(ohne Lymphgef\u00e4sse) dasselbe lehrten. Allein die Thatsache einer unmittelbaren Resorption in das Blut ohne Vermittelung der Lymphgef\u00e4sse musste auf einem langwierigen experimentellen Wege gefunden werden, wobei sich Magendie, Emmert, Mayer, Lawrence, Coates, Tiedemann, Gmet.in und Westrumd vorz\u00fcgliche Verdienste erworben haben. Dei.ille und Magendie trennten hei einem Hunde den Schenkel vom K\u00f6rper bis auf die Art. und Ven. cruralis, welche die Communication mit dem Stumpfe unterhielten. Diese beiden Gef\u00e4sse wurden rein pr\u00e4parirt und ihre \u00e4ussere Zellhaut weggenommen, 2 Gran eines sehr starken Giftes (upas tieute) wurden darauf in den Fuss eingebracht (enfonc\u00e9s). Die Wirkung des Giftes war eben so schnell, als wenn der Schenkel unverletzt gewesen, so da^s die Symptome in 4 Minuten sich zeigten, und das Thier in 10 Minuten dem Tode unterlag. Magendie und Delilee machten einen \u00e4hnlichen Versuch an der Darmschlinge eines Hundes, dessen Lymphgef\u00e4sse durch eine gute Mahlzeit vorher sichtbar gemacht worden. Die Darmschlinge wurde an zwei Stellen unterbunden, mit einem Zwischenr\u00e4ume von 4 Decimeter. Sie unterbanden auch die Lymphgef\u00e4sse dieser Schlinge mit zwei Ligaturen, und schnitten sie dazwischen durch. Sie \u00fcberzeugten sich, dass keine weiteren Lymphgef\u00e4sse von der Darmschlinge f\u00fchrten, so dass dieselbe nur durch die Arterien und Venen mit dem Kreisl\u00e4ufe in Verbindung stand. Darauf injicirten sie in die Darmschlinge 2 Unzen Decoct, nuc. vom., der Ausfluss wurde durch eine Ligatur gehindert. Nach (i Minuten zeigten sich die Symptome der Vergiftung. Meck. Arch. 2. 1816. p. 253. pr\u00e9cis de physiol. 2. 203.\nMagendie legte hei einem jungen Hunde von 6 Wochen eine Jugularvene bloss, und isolirte sie in ihrer ganzen L\u00e4nge, so dass er eine Karte darunter bringen konnte. Dann liess er auf die Vene eine w\u00e4sserige Aufl\u00f6sung von Extract, nuc. vom. spirit, wirken. Die Vergiftungssymptome zeigten sich vor der 4ten, hei erwachsenen Hunden nach der lOten Minute. Physiol. 2. 279\nSegalas (Magendie Journal de Physiol. 2. p. 117.) hat diese Versuche auf andere Art wiederholt. Er konnte nach Unterbindung der Blutgef\u00e4sse oder der blossen Venen einer Darmschlinge und hei unversehrten Lymphgef\u00e4ssen, in einer Stunde nicht einen Hund durch Application des Giftes in der Darmschlinge t\u00f6dten.\nMayer\u2019s Versuche mit Einspritzung von blausaurem Kali in die Lungen verdienen eine umst\u00e4ndlichere Erw\u00e4hnung. In 2\u20145 Minuten kann dieses Salz schon im Blute gefunden werden, in dessen Serum durch Anwendung von salzs. oder Schwefels. Eisenoxyd ein gr\u00fcner oder blauer Niederschlag erfolgt. Dieser Ue-bergang ins Blut ist zu schnell, als dass er durch Vermittelung des langsameren Laufes der Lymphe erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte. Bei Einspritzung jener Salzaufl\u00f6sung in die Lungen zeigte sie sich zuerst im Blute, viel sp\u00e4ter im Cliylus, fr\u00fcher im linken Herzen, wann im rechten Herzen nach keine Spur zu erkennen war, was sich umgekehrt verhalten m\u00fcsste, wenn die Aufsaugung durch die Lymphgef\u00e4sse geschehen w\u00e4re, indem die Lymphe zun\u00e4chst in das Korpervenenblut gef\u00fchrt wird. Schon 8 Minuten nach der Ein-","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalten der Gefiisse bei der Eesorption.\n239\nfl\u00f6ssung in die Lungen erkennt man die Fl\u00fcssigkeit im Harn. Mau bemerkt, sie ferner in der Haut, in der Feuchtigkeit der Gelenk-li\u00f6hlen, in der H\u00f6hle des Unterleibes, in der Brusth\u00f6hle, im Herzbeutel, im Fette, in den fibr\u00f6sen H\u00e4uten, z. B. Dura mater, in den Aponeurosen, in der Arachnoidea, in den Kapsel- und Seitenb\u00e4ndern, inneren Gelenkb\u00e4ndern (z. B. Lig. cruciat. des Kniegelenkes, Lig. teres der Pfanne), in der Knorpelhaut, in den Klappen des Herzens.\nVon den Absonderungsorganen wurden nur die Nieren und der Harn gef\u00e4rbt, weil das blaus. Kali, wie die meisten Salze, durch die Nieren wieder ausgeschieden wird. Die Leber zeigte keine F\u00e4rbung an ihrer \u00e4ussern Oberfl\u00e4che, wohl aber in ihrem Parenchym, jedoch nur an Stellen, wo grosse Gef\u00e4sse lagen, und wo das Zellgewebe der capsula Glissonii sie umgab. In der Galle liess sich keine, in der Milch nur eine unbedeutende Farbenver\u00e4nderung erkennen. Deutlicher war die F\u00e4rbung, namentlich des Zellgewebes in Hoden, Speicheldr\u00fcsen und Pankreas. Die Milz zeigte keine, die Nebennieren kaum eine Farbenver\u00e4nderung. Gar keine Farbenver\u00e4nderung zeigten die Muskeln, ausser an Stellen, wo fibr\u00f6se H\u00e4ute die Muskelb\u00fcndel bekleideten. Die Nerven wurden zwar \u00e4usserlich gr\u00fcn, aber diess r\u00fchrte von dem sie umgebenden Zellgewebe hei'. Das Nervenmark, das Gehirn und Pi\u00fcckenmark zeigte fast gar keine Farbenver\u00e4nderung. In den Knochen keine Spur von Farbenwechsel. Da indess das blaus. Kali durch das Blut in alle Tbeile gleich verbreitet wird, so scheint es, dass es von einigen Theilen vielleicht verh\u00fcllt oder zersetzt wird, so dass dessen Entdeckung durch Reagentien unm\u00f6glich gemacht wurde. Meck. Archiv. T. 3. 1817. 485.\nDie Versuche, welche die Akademie der Medizin von Philadelphia anstellte (Philadelph. Jovrn. iV. 6. Fboriep\u2019s Not. N. 49.), scheinen zum Th eil mit Mayer\u2019s Resultaten und allen den vorhergehenden im Widerspruch zu stehen, und f\u00fcr die vorzugsweise Aufnahme durch die Lymphgef\u00e4sse zu sprechen. Allein sie sind nach der Art, wie sie angestellt wurden, nicht beweiskr\u00e4ftig. Die Akademie fand nach Injection in das Abdomen oder den Darm von der Solution von blausaurem Kali, 35 Minuten und mehr nachher in der Mehrzahl der vielen Versuche den Chyltis deutlich bei Zusatz von Eisensalz blau gef\u00e4rbt, dagegen sich in dem Serum des Blutes und im Urin meist auch eine schwache F\u00e4rbung zeigte. Der Zeitraum von 35 Minuten ist viel zu gross; man h\u00e4tte, wie in Mayer s Versuchen, mehrere Minuten nach der Injection Blut und Harn untersuchen m\u00fcssen. Denn so wie die Versuche angestellt wurden, beweisen sie nur, dass chemische Agentien auch durch die Lymphgef\u00e4sse aufgesogen werden. So landen die Verfasser in einem Falle (N. 36.) 2 Minuten, nachdem eine Katze 1 Unze von der blausauren Kalisolution verschlungen, als sie die Katze verbluten Hessen, das Salz im Urin, wenn gleich nicht im Serum des Blutes und im Chylus, wo das Salz doch lediglich in das Blut, und vom Blute in den Harn gelangt seyn konnte. Die Commission der Akademie unterband in mehreren F\u00e4llen die Vena portarum, welche das Blut vom Darme aufnimmt;","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf '\ngleichwohl erzeugte Nux vomica in eine Darmschlinge gebracht, nach 23 und mehr Minuten Tetanus, w\u00e4hrend die blosse Unterbindung der Vena portarum in anderen F\u00e4llen zwar auch, aber ohne Kr\u00e4mpfe t\u00f6dtete. Diese Versuche scheinen zu beweisen, dass die Lympbgef\u00e4sse des Darmes das Gift ins Blut gebracht hatten. Diess kann auch wohl seyn in einem Zeitr\u00e4ume von 23 Minuten, ohne dass daraus die Resorption in das Blut in k\u00fcrzerer Zeit widerlegt wird. Auch anastomosiren Zweige der Darmvenen mit Zweigen der untern Hohlvene. Sielie oben p. 1S5.\nWestrumb fand nach Einspritzung von blaus. Kali in den Magen diess schon nach 2 Minuten im Harn, ohne dass Lymphe und Chylus blaus. Kali enthielten. Die Ureteren waren durchschnitten und daran R\u00f6hrchen befestigt worden, woraus der Harn aufgefangen wurde. Meck.. Archiv 7. 525. 540.\nTiedemann und Gmelin fanden in ihren zahlreichen Versuchen mit Farbestoffen und Salzen, die sie in den Mund eingegeben, und die leicht als solche oder durch Reagentien erkannt werden, nach mehreren Stunden niemals etwas von F\u00e4rbestoffen in den Chylus \u00fcbergegangen, obwohl diese Stoffe im Blute und im Urin erkannt wurden, und obgleich sie bis in den Darm gelangt waren. Von Salzen fand sich unter zahlreichen Versuchen nur einigemal etwas in den Chylus \u00fcbergegangen; bei einem Pferde, das schwefelsaures Eisen bekommen hatte, so wie einmal blausaures Kali im Chylus eines Hundes vorkam, dagegen nicht in einem andern Versuche; schwefelblaus. Kali zeigte sich im Chylus eines Hundes. Der Einwurf, dass die Substanzen schon aufgesogen seyn konnten, widerlegt sich aus dem Umstande, dass der Darm noch eine Menge aufsaugbarer Stolle enthielt. Diese Resultate, welche durch die Genauigkeit der Versuche einen hohen Grad von Zuverl\u00e4ssigkeit haben, stimmen mit den von Halle (Fourcr\u00f6y syst, des connaiss. chim. 10. 66.) und Magendie (physiol. cd. 1. T. 2. 157.) gemachten Versuchen \u00fcberein. Dagegen sie mit den Versuchen von Martin Lister und Musgkave (Phil. Trans. 1701. 819.), von Hunter, Haller und Blumenbach im Widerspruch stehen, wie denn auch Viridet und Mattei an dem Chylus eine gelbe und rothe Farbe nach F\u00fcttern mit Eigelb und rothen R\u00fcben bemerkt haben wollen.\nFodera f\u00fcllte bei einem lebenden Thiere eine Darmschlinge mit einer Aufl\u00f6sung von blausaurem Kali, und unterband sie an zwei Stellen, tauchte die Darmschlinge dann in eine Solution von schwefelsaurem Eisen, und sah die Lymphgetasse und Venen blau werden. Rccherch. exp. sur T exhalation ct l\u2019absorption. Par. 1824. Sc\u00fcroeder v. d. Kolk sah bei diesem Experimente bloss die blaue Farbe in den Lymphgef\u00e4ssen, aber nicht in den Venen. Das blausaure Kali im Darme hatte nach einer halben Stunde noch nicht seine Farbe ver\u00e4ndert, so dass das schwefelsaure Eisen noch nicht durch die ganzen Darmw\u00e4nde eingedrungen war. Diess beweist nicht absolut gegen den unmittelbaren Uebergang der Stoffe ins Blut. Denn die ins Blut \u00fcbergegangenen kleinen Quantit\u00e4ten werden sogleich weiter bewegt, dagegen die Bewegung des Cby-lus in den Lymphgef\u00e4ssen nicht sehr schnell ist. Auch ist eine","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"241\n5. Verhalten der G (fasse hei der Resorption.\nblaue Farbennuance am Blute selbst \u00e4ussert schwer, und nur sicher am Blutserum zu erkennen. Lawrence und Coates erkannten das Salz nicht eher im Blute, bis es sich im obern Theile des Ductus thorac. zeigte. Froriep\u2019s Not. 77.\nMehrere Versuche sind mit Unterbindung des Ductus thora-cicus von Brodie, Magendie, Delille und Segalas angestellt worden. Brodie sali t\u00f6dtliche Wirkung des Weingeistes, des Wora-ragiftes, auch nach Unterbindung des Ductus thoracicus. Brodie, Phil. Trans. 1811. Reil\u2019s Archie. T. 12.\nDa der Ductus thoracicus zuweilen Nebenverbindungen bei Thieren eingeht, zuweilen wie beim Schweine, Zweige in die Vena azygos \u00fcbergehen, zuweilen sogar selbst ein rechter Ductus thoracicus vorhanden ist, die Lymphgef\u00e4sse aber vielfach mit einander in Verbindung stehen, so kann die Unterbindung des Ductus thoracicus den Uebergang der vergifteten Lymphe in das Blut nicht absolut hindern. Emmert\u2019s Versuche zeigen den unmittelbaren Uebergang von Stoffen in das Blut durch den Mangel jenes Ueberganges nach Unterbindung der Blutgef\u00e4sse. Em-mert unterband die Aorta abdominalis. Nun brachte er blausaures Kali und ein Decoct der Angustura virosa in verschiedene Wunden der F\u00fcsse. Das blausaure Kali wurde resorbirt und im Urin entdeckt, aber die Angustura wirkte nicht vergiftend wie gew\u00f6hnlich. In einem andern Versuche sah Emmert nach Unterbindung der Aorta abdominalis von Blaus\u00e4ure, die in eine Wunde des Fusses gebracht worden, selbst nach 70 Stunden keine Folgen; als aber dann das Ligament von der Aorta gel\u00f6st wurde, trat die Vergiftung nach einer halben Stunde ein. Meck. Archie I. 1815. p. 178. Schnell diss. sist. hist, eeneni upas antiar. Tub. 1815. T\u00fching. Bl\u00e4tter 3. 1. 1817. Sch\u00e4del de effectibus eeneni rad. eeratri ai\u2019ui et heUebori nigri. Tub. 1819. Vergl. Westrumb physiologische Untersuchungen \u00fcber die Einsaugungskraft der Venen. Hannover 1825. Tiedemann und Gmelin Versuche \u00fcber die Wege, auf welchen Substanzen aus dem Magen und Darmkanal ins Blut, gelangen. Heidelb. 1820. Seiler und Ficinus in Zeitschrift f\u00fcr Natur- und Heilkunde 2. 378. Jaeckel de absorptione venosa. Vra-tislav. 1819. Lebk\u00fcchner diss. utrum per viventium adhuc anima-lium membranas al(/ue vasorum pariet.es maleriae ponderabiles illis applicatae permcare queant nee ne. Tub. 1819. Wedemeyer \u00fcber den Kreislauf. Hannover 1828. 421. Jacobson endlich hat gezeigt, dass blausaures Kali bei den Mollusken, welche keine Lymphgef\u00e4sse besitzen, doch leicht von allen Oberfl\u00e4chen ins Blut gelangt, und daraus wieder durch die Secretionsorgane (Lunge, Leber, Saccus calcareus) ausgeschieden wird. Froriep\u2019s Notizen 44. p. 200.\nDer Uebergang von Stoffen unmittelbar in die Capiliargef\u00e4sse des Blutes ist nach allen diesen Versuchen, am meisten aber durch die \u00fcberaus schnellen Wirkungen eines Giftes erwiesen, da sich eben so bestimmt beweisen l\u00e4sst, dass die allgemeinen Vergiftungswirkungen nicht von dem Nervenzusammenhang, sondern nur \"von dem Kreisl\u00e4ufe abh\u00e4ngen. Siehe das erste Capitel der Ner-\u25a0venphysik. Gleichwohl Hessen sich alle diese Erscheinungen auch M\u00fcll er\u2019s Physiologie. 1.\t\\ ()","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242 I. Huch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf,\naus der Resorption der Lympbgef\u00e4sse erkl\u00e4ren, wenn die Annahme einiger Neueren von der Communication der Lympbgef\u00e4sse und kleinen Venen in oder ausser den Lymphdr\u00fcsen richtig w\u00e4ren. Allein dieser Einvvurf l\u00e4sst sich durch Thatsachen iiher die Irtibi-hition der thierischen Gewehe vollkommen widerlegen. Man hat diesen TJebergang bisher von einer eigenen Resorptionskraft der Venen abh\u00e4ngig gemacht. Allein es l\u00e4sst sieh zeigen, dass aufgel\u00f6ste Stoffe auch ohne die eingebildete Resorptionskraft der Venen in das Blut der Capillargef\u00e4sse dringen, und wenn diess ist, so verbreiten sie sich darum zun\u00e4chst mit dem Venenhlute, weil alles Blut aus den Capillargef\u00e4ssen von den Arterien aus die Bewegung nach den Venen und nach dem Herzen hat. Das (Jrph\u00e4nomen des unmittelbaren Ueberganges von aufgel\u00f6sten Stoffen ins Blut ist die Tr\u00e4nkung der thierischen, auch todten Theile mit Fl\u00fcssigkeit durch ihre unsichtbare Porosit\u00e4t oder die Imbibition, und insofern diese Resorption auch von ganz todten thierischen Theilen ausge\u00fcbt wird, werden wir sie mit Recht im Gegensatz der lymphatischen Resorption die unorganische nennen.\nGase und tropfbare d\u00fcnnfl\u00fcssige Stoffe durchdringen mit dem, was sie aufgel\u00f6st enthalten, nasse thierische Theile. Zweierlei Gase in und ausser einer nassen thierischen Blase, die vorher trocken gewesen seyn kann, setzen sich ins Gleichgewicht der Vertheilung. Ein Gas durchdringt eine nasse Blase, um von darin befindlicher Fl\u00fcssigkeit absorbirt zu werden; schon hieraus sieht man, wie luftf\u00f6rmige Stolle beim Athmen an das Blut treten k\u00f6nnen, ohne dass Blutk\u00f6rperchen ausfliessen. Denn die Gase durchdringen die H\u00e4ute, welche von Capillargef\u00e4ssen und kreisendem Blute durchzogen sind, und l\u00f6sen sich im Blute dieser Capillargef\u00e4sse auf, w\u00e4hrend die H\u00e4ute der Gef\u00e4sse zwar durch ihre allgemeine unsichtbare Porosit\u00e4t f\u00fcr Gase und tropfbarfl\u00fcs-sige aufgel\u00f6ste Stoffe permeabel sind, aber keine dem Durchmesser der Blutk\u00f6rperchen entsprechende Oeffnungen haben. Ue-berbindet man ein mit Wasser gef\u00fclltes Glas dicht auf dem Wasser mit einer feuchten Thierhlase, und streut ein Salz auf die leuchte Blase, so l\u00f6st sich das Salz in dem die Poren der Blase durchdringenden Wasser auf, und theilt sich von diesem Wasser dem Wasser des Gef\u00e4sses mit. Die Grundursache der Imbibition, der Permeabilit\u00e4t der thierischen Theile, ist daher das Verm\u00f6gen der Stoffe, sich in der Fl\u00fcssigkeit, in der sie aufgel\u00f6st worden, gleichf\u00f6rmig zu verbreiten. Ein aufgel\u00f6stes Salz strebt sich in einer andern Fl\u00fcssigkeit, womit es sich mischen kann, weiter zu vertheilen, wie Salzwasser und Wasser sich ins Gleichgewicht der Vertheilung setzen. Da nun die thierischen Theile von w\u00e4sserigen Fl\u00fcssigkeiten weich, und ihre Poren von w\u00e4sseriger Fl\u00fcssigkeit angef\u00fcllt sind, so wird ein aufgel\u00f6ster Stoff sich dem Wasser dieser Poren mittheilen, und selbst durch die Poren einer Membran hindurch sich wieder in Fl\u00fcssigkeiten, welche die Membran ber\u00fchren, weiter zu vertheilen streben, bis das Gleichgewicht der Vertheilung zwischen zweien die Membran ber\u00fchrenden Fl\u00fcssigkeiten hergestellt ist. Es giebt indessen besondere Umst\u00e4nde, wo die Imbibition durch Capillarit\u00e4t und Anziehung","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhallen der Gefiisse hei der Resorption. Endosmose. 243\nverst\u00e4rkt wird. Das Erstere ist der Fall beim Aufweichen eines trockenen thierischen Tbeiles, wo die Capillaril\u00e4t der leeren Poren das Eindringen der tropfbarfl\u00fcssigen Stoffe bef\u00f6rdern muss. Das Zweite zeigt sieb in dem Ph\u00e4nomen der Endosmose und Exosmose. Diess ist ein zuerst von Parrot entdecktes, von Porret und Dutrochet u. A. weiter untersuchtes Ph\u00e4nomen. Bringt man in eine Glasr\u00f6hre, die unten mit Thierblase zugebunden ist, eine Aufl\u00f6sung von irgend einem Salz, von Zucker, so dringen die Theilchen desselben zwar in die Poren der Blase, aber nicht aussen hervor. Stellt man die gef\u00fcllte R\u00f6hre in ein Gelass mit dest. Wasser, so steigt allm\u00e4hlig das Niveau der innern Fl\u00fcssigkeit und bisweilen um mehrere Zoll. Durch Reagentien erkennt man aber auch, dass zugleich Theilchen der Aufl\u00f6sung in das \u00e4ussere Wasser durchgedrungen. Das Steigen des Niveaus dauert so lange fort, bis beide Fl\u00fcssigkeiten in und ausser der R\u00f6hre homogen geworden sind. Enth\u00e4lt die R\u00f6hre Wasser, das \u00e4ussere Gef\u00e4ss die Salzl\u00f6sung, so sinkt das Wasser der R\u00f6hre. Enthalten beide Gef\u00e4sse L\u00f6sung verschiedener Salze von gleicher Concentration, so ver\u00e4ndert sich das Niveau nicht, aber beiderlei Salze vermischen sich. War dagegen die eine L\u00f6sung cencentrir-ter, so erh\u00f6ht sich ihre Oberfl\u00e4che. Dieselben Ph\u00e4nomene beobachtet man, wenn man statt Thierblase mineralische por\u00f6se K\u00f6rper anwendet. Man hat zwei Erkl\u00e4rungen des Ph\u00e4nomens. Die erste von Magnus und Poisson besteht darin, dass die Attraction zwischen den Theilchen einer Salzl\u00f6sung zusammengesetzt ist aus den gegenseitigen Attractionen des Wassers und Salzes, und aus der Attraction der homogenen Theile des Wassers f\u00fcr sich und des Salzes f\u00fcr sich. Diese vereinte Attraction ist gr\u00f6sser als die der Wasserpartikelchen. Berzel. Thierchem. 12S. Die zweite Erkl\u00e4rung besteht in Folgendem: Die thierische Blase l\u00e4sst sich insofern sie por\u00f6s ist, als ein System capillarerR\u00f6hrchen betrachten, welche anziehend auf die durchgehenden Fl\u00fcssigkeiten wirken, welche sich durch das die Poren ausf\u00fcllende Wasser auszugleichen streben. Nimmt man nun an, dass eine dieser Fl\u00fcssigkeiten eine st\u00e4rkere Anziehung zum Stoff der Blase erleidet, \"so wird sie l\u00e4nger beim Durchgang durch die Capillarporen aufgehalten, als die andere, die darum in ihrem Gef\u00e4sse fallen muss. Das Niveau der erstem wird aber so lange steigen, bis der zunehmende Druck der steigenden Wassers\u00e4ule jener st\u00e4rkeren Anziehung das Gleichgewicht h\u00e4lt. Biot Experiment al-Physik, \u00fcbers, von Fechner. 1. p. 384. Vergl. Poisson, Poggend. Ann. 11. 131. Fischer ebend. 126. Magnus ebend. l\u00fc. 153. Wach, Schweigg. Journal 1830. p. 20.\nDutrociiet hat jene Erscheinungen Endosmose und Exosmose nach dem Steigen der einen oder andern Fl\u00fcssigkeit bei verschiedenen Bedingungen genannt. Es ist ohne Zweifel, dass bei dem unmittelbaren Uebergange von aufgel\u00f6sten Theilen in die Ca~ pdlargef\u00e4sse und das Blut, sowohl Endosmose als einfache Imbibition stattfindet. Dutrociiet hat diess durch Versuche versinn-lc-lt- Er nahm ein St\u00fcck Darm von einem jungen H\u00fchnchen, u le es zur H\u00e4lfte mit einer L\u00f6sung von Gummi, Zucker oder\n16 *","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nKochsalz, und legte es, an Leiden Enden zugebunden, in eine Schale mit Wasser, worin es sich bald so f\u00fcllte, dass cs ausgespannt wurde. Enthielt das Darmst\u00fcck reines Wasser, und lag in Zuckerwasser, so wurde es allm\u00e4h\u00fcg schlaffer, w\u00e4hrend zugleich Zucker in den Darm \u00fcberging. Dutkochet l\u2019agent, imm\u00e9diat du mouvement vital. Paris 1826. Nouv. rech, sur l\u2019endosmose. Paris. 182S.\nSeine Hypothese, dass hierbei elektrische Wirkungen stattfinden, hat sich nicht best\u00e4tigt. Es ist auch nicht constant, dass die dichtere L\u00f6sung mehr von der d\u00fcnnem, als diese von jener anzieht, wovon die Gase besonders schon das Gegenthei! zeigen, sondern es scheint die chemische Constitution und das physikalisch-chemische Verh\u00e4ltnis der Fl\u00fcssigkeit zur Thierblase dabei eine grosse Rolle zu spielen. W\u00e4sseriger Weingeist in einer Thierblase aulbewahrt, concentrirt sich, indem bloss das Wasser verdunstet. Vergl. Staples Versuche in Kastneu\u2019s Archiv f\u00fcr Chemie. Bd. 3. II. 1\u20143. p. 282. Ein Darmst\u00fcck eines Huhns mit w\u00e4sseriger L\u00f6sung von Mimosengummi und Rhabarbarin zum Theil gef\u00fcllt, und zugebunden in Wasser gelegt, schwoll auf, w\u00e4hrend Rhabarbarin heraustrat. Aehnliehe S\u00e4cke mit schwacher L\u00f6sung von schwefel-saurem Eisenoxydul in Wasser gelegt, das Blutlaugensalz enthielt, schwollen auch auf, weil Wasser eingedrungen war; sie hatten an die umgehende L\u00f6sung Eisensalz abgegeben und dieselbe ge-bl\u00e4uet. Im Darme war aber keine Spur von blauer Farbe. Die Verh\u00e4ltnisse, die bei den Gasen stattfinden, sind sehr merkw\u00fcrdig. Faust hat hier\u00fcber Versuche angestellt. Fboriep\u2019s JSot. N. 646. Eine mit atmosph\u00e4rischer Luft halbgef\u00fcllte Blase unter einer mit kohlensaurem Gas gef\u00fcllten Glocke schwoll an, eine mit Wasserstoffgas gef\u00fcllte Blase unter eine mit kohlensaurem Gas gef\u00fcllte Glocke gebracht, schwoll bis zum Zerplatzen auf. Dagegen ein leichteres Gas in der Glocke das Zusammenfallen der mit dem schwereren Gas gef\u00fcllten Blase bewirkt.\nIch w\u00fcnschte zu wissen, wie schnell etwas durch Imbibition in die erste Schicht der Capillargef\u00e4sse eines von Epidermis freien Theiles, und so in das Blut eindringen kann. Da das zarte H\u00e4utchen der Darmzotten vom Kalbe und Ochsen von 0,00174 P. Z. Dicke noch blutf\u00fchrende Capillargef\u00e4sse enth\u00e4lt, so kann man sich nach dieser Dicke einen Begriff von der Tiefe machen, bis zu welcher aufgel\u00f6ste Substanzen eindringen m\u00fcssen, um in die erste Schicht von Capillargef\u00e4ssen einer von Epidermis freien Haut einzudringen. Ich spannte nun \u00fcber ein Gl\u00e4schen von sehr d\u00fcnnem Hals die Urinblase eines Frosches, und bei einem zweiten Versuche die Lunge eines Frosches, nachdem ich vorher etwas von einer Aufl\u00f6sung von blausaurem Kali in das Gl\u00e4schen gethan batte; auf die Oberfl\u00e4che des nassen H\u00e4utchens brachte ich mit einem Pinselchen etwas von einer Aufl\u00f6sung eines Eisensalzes (salz-saures Eisenoxyd). In demselben Moment drehte ich das Gl\u00e4schen um, so dass das blausaure Kali die innere Fl\u00e4che des H\u00e4utchens ber\u00fchrte. In nicht l\u00e4ngerer Zeit als einer Seconde hatte sich ein schwacher blauer Fleck gebildet, der bald st\u00e4rker wurde; daraus geht hervor, dass aufgel\u00f6ste Stoffe spurweise innerhalb einer Se-","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalten der Gef\u00e4sse hei der Resorption. Vergiftung. 215\ncunde eine Membran von der Dicke einer ausgespannten Urinblase des Frosches durclidringen. Diese Membran enth\u00e4lt noch mehrere Hautschichten, und ist sehr viel dicker als das organisirte H\u00e4utchen der Darmzotten von 0,00174 P. Z. Man kann also annehmen, dass eine aufgel\u00f6ste Substanz spurweise schon innerhalb einer Secunde in die oberfl\u00e4chlichen Capillargef\u00e4ssc eines von Epidermis freien Theiies und so ins Blut gelangt. Da nun das Blut nach Hering in .\u00ff, nach Anderer Berechnung in 1 \u2014 2 Minuten im ganzen K\u00f6rper herumgetrieben wird (p. 186.), so kann man annehmen, dass eine Spur einer aufgel\u00f6sten Substanz, die mit einer epidermislosen organisirten Haut in Ber\u00fchrung kommt, innerhalb ~ \u2014 2 Minuten spurweise durch den Kreislauf verbreitet seyn kann.\nDie narkotischen Gifte wirken zwar durch Zerst\u00f6rung der Nervenkr\u00e4fte, allein sie bringen atlf Nerven, \u00f6rtlich applicirt, nur \u00f6rtliche Wirkungen hervor. Tauchte ich den Nerven eines abgel\u00f6sten Froschschenkels einige Zeit in eine w\u00e4sserige Opiumaufl\u00f6sung, so verlor die eingetauchte Strecke des Nerven ihre Reizbarkeit, d. h. ihre F\u00e4higkeit, auf Reize Zuckungen des Schenkels zu \u25a0erregen. Allein unter der mit dem Gifte in Ber\u00fchrung gekommenen Stelle behielt der Nerv seine Reizbarkeit, woraus folgt, dass das Opium die Nervensubstanz selbst ver\u00e4ndert, dass aber die \u00f6rtliche narkotische Vergiftung nicht durch die Nerven zur allgemeinen Vergiftung verbreitet wird. Auch wird ein Frosch, der sonst gegen Opium sehr empfindlich ist, innerhalb mehrerer Stunden, nicht vergiftet, wenn man den Schenkel so amputirt, dass nur der Nerve die Communication zwischen Rumpf und Unterschenkel unterh\u00e4lt, und nun den Unterschenkel in eine Opiumaufl\u00f6sung gesenkt erh\u00e4lt, den Frosch aber so befestigt, dass der Rumpf desselben nicht durch Bewegung des Frosches von der Opiumaufl\u00f6sung bespritzt wird. Diese Versuche, wie so viele andere von namhaften Physiologen angestellte Versuche, beweisen, dass die narkotischen Gifte ihre allgemeinen Wirkungen auf das Ner vensvstem nach ihrer Aufnahme ins Blut durch die Circulation aus\u00fcben. Dupuy und Br\u00e4chet behaupten zwar, dass man Thiere nicht durch narkotische Gifte, die in den Magen gebracht werden, vergiften k\u00f6nne, wenn man den Nervus vagus beider Seiten durchschnitten habe, oder dass die Thiere dann .wenigstens sp\u00e4ter st\u00fcrben; allein wir haben hier in dreissig Versuchen an S\u00e4ugetliieren, die Herr Wernscheidt dar\u00fcber, unter meiner Leitung, anstellte, durchaus keinen Unterschied in der Wirkung der in den Magen gebrachten narkotischen Gifte gesehen, wenn wir bei Thieren gleicher Art und Gr\u00f6sse den Nervus vagus beider Seiten vor der Vergiftung durchschnitten oder nicht durchschnitten.\nDie schnelle Wirkung der meisten narkotischen Gifte l\u00e4sst sich nach den oben angef\u00fchrten Tbatsachen \u00fcber die Aufsaugung durch Imbibition vollkommen erkl\u00e4ren. Die Blaus\u00e4ure jedoch aus-sert ihre W irkung schon lange vor '\u20142 Minuten, innerhalb welcher sie in das Blut durch die Capillargef\u00e4ssc eingedrungen und verbreitet seyn k\u00f6nnte. Auch die weingeistige Aufl\u00f6sung des Ex-","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften e1c. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\ntracti nucis vomicae spirituosi bewirkt, in einiger Quantit\u00e4t in den Mund von jungen Kaninchen gebracht, den Tod aut'der Stelle; dagegen dieses Gift, in einiger Entfernung vom Gehirn auf einen blossgelegten Nerven, z. 13- den Nervus ischiadicus, applicirt, gar keine allgemeinen Wirkungen hervorbringt, wie denn auch Wede-meyer beobachtet hat, dass concentrirte Blausaure, auf einen blossen Nerven applicirt, nicht wirkte. Die schnellen Wirkungen der Blaus\u00e4ure kann man nur aus ihrer Fl\u00fcchtigkeit und Expansionskraft erkl\u00e4ren, durch welche sie sich schneller in dem Blute verbreitet, als die Circulation desselben geschieht, und durch welche sie, selbst abgesehen von der Verbreitung durch das Blut, die thierischen Theile schnell zu durchdringen f\u00e4hig ist, durch welche sie ferner um so schneller materielle Ver\u00e4nderungen in dem Centralorgane des Nervensystems, im Gehirn, bewirkt, je n\u00e4her dem Gehirn sie applicirt wird. Schliesslich erlaube ich mir eine Bemerkung \u00fcber die materielle Ver\u00e4nderung durch narkotische Gifte. Dass n\u00e4mlich die. narkotischen Gifte bei ihrer Wirkung auf die Nerven auch durch materielle Ver\u00e4nderung wirken, wird wenigstens daraus gewiss, dass einige schon das Blut materiell ver\u00e4ndern. Denn abgesehen von den bekannten Wirkungen der Blaus\u00e4ure, bewirkt das Viperngift und das Ticunasgift, nach Fostasa, wenn es aus der Ader gelassenem Blute zugesetzt wird, dass das Blut nicht mehr gerinnt, w\u00e4hrend Viperngift, in Wunden von Thieren gebracht, nach Fontana, das Blut des nocli lebenden K\u00f6rpers zum Theil gerinnen machen soll, worauf ein Zustand entsteht, der dem in der heftigsten asiatischen Cholera nicht un\u00e4hnlich ist. Fontana \u00fcber das Viperngift etc. Berlin 1787.\nDurch die schnelle Aufnahme aufgel\u00f6ster Stolfe in die Ca-pillargef\u00e4sse und ihre schnelle Verbreitung durch den Kreislauf erkl\u00e4rt sich vollkommen leicht der schnelle Uebergang der genossenen aufgel\u00f6sten Stoffe in den Harn, ohne dass man in die Barbarei verfallen kann, geheime Harnwege, zwischen Magen und Nieren anzunehmen; Nach Westrumb erfolgt dieser Uebergang bei l\u00f6sli eben Salzen schon in 2 \u201410 Minuten spurweise. Denn nach dieser Zeit konnte er blausaures Kali, das einem Thiere geeeben worden, in dem Urin entdecken, indem er den Urin unmittelbar aus dem Harnleiter des er\u00f6ffneten Thieres auffing, ln der Regel erfolgt dieser Uebergang aber viel sp\u00e4ter, wie aus Stehser-ger\u2019s Versuchen hervorgeht. Siehe den Art. vom Harn.\nDie durch Imbibition durch die W\u00e4nde der Capillargef\u00e4ss-netze zum Blute dringenden Stoffe m\u00fcssen jedenfalls aufgel\u00f6st seyn, sie d\u00fcrfen nicht aus K\u00fcgelchen bestehen. Es folgt schon hieraus, dass die verdauten Stoffe und der K\u00fcgelchen enthaltende Chylus nicht durch die Imbibition in die Capiliargef\u00e4sse eindrin-gen und zum Venenblute gelangen k\u00f6nnen. Tiedemann, Gmelin und Mayer haben zwar Chylusstreifen im Blute der Darmvenen und der Pfortader gefunden. Allein diese Materie kann nicht durch die W\u00e4nde der Capiliargef\u00e4sse eingedrungen seyn, denn sonst m\u00fcssten diese auch Blutk\u00f6rperchen durchlassen. Vielleicht r\u00fchrten diese Chylusstreifen von der noch problematischen Verbindung der L\\mphgef\u00e4sse mit den kleineren Venen her.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver h. d. Gef\u00e4sse Lei d. Resorption. Uebergang i. d. Urin. 247\nDie Endosmose erkl\u00e4rt nicht die Aufsaugung aller Fl\u00fcssigkeiten von thierischen Geweben. Wenn die Fl\u00fcssigkeiten des tbie-rischen K\u00f6rpers concentrirtere Aufl\u00f6sungen sind, als die aufzusaugenden Fl\u00fcssigkeiten z. B. in der Pleura, in den Lungen, so \u25a0werden letztere nach den Gesetzen der Endosmose leichter in die thierischen Theile \u00fcbergehen, als die thierischen Fl\u00fcssigkeiten heraustreten. Wenn aber die aufzusaugende Fl\u00fcssigkeit eine gleich concentrirte Aufl\u00f6sung ist als, die Fl\u00fcssigkeiten der thierischen Theile, so werden zwar nach den Gesetzen der Imbibition beiderlei Fl\u00fcssigkeiten sich durchdringen, allein die Quantit\u00e4t der Fl\u00fcssigkeiten wird auf beiden Seiten nicht ver\u00e4ndert; und wenn die thierischen Fl\u00fcssigkeiten weniger concentrirte Aufl\u00f6sungen sind, so wird die Quantit\u00e4t der aufzusaugenden b l\u00fcssig\u2014 keit nach den Gesetzen der Endosmose selbst wachsen. Hieraus sieht man, dass die Imbibition nur die Vermischung, z. B. den Liebergang von Giften etc., nicht aber die quantitativen Verh\u00e4ltnisse der Aufsaugung erkl\u00e4rt. Denn eine in der Pleura befindliche Quantit\u00e4t Fl\u00fcssigkeit, deren Eiweiss und Salze gleich con-centrirt sind, wie die des Blutes, w\u00fcrde sieh durch Imbibition durchaus nicht vermindern, sondern nur Salze an das Blut abgehen und davon empfangen, aber ihre Quantit\u00e4t behaupten, ja sogar wachsen, wenn die L\u00f6sung der Salze in der Fl\u00fcssigkeit der Pleura concentrirter ist.\nWenn nun angesammelte Fl\u00fcssigkeiten aufgesogen werden, so muss diess entweder in vielen F\u00e4llen auf eine durch Imbibition und Endosmose unerkl\u00e4rliche Weise, vermittelst der Lyinph-gef\u00e4sse geschehen, oder man muss annehmen, dass die Anziehung des Venenblutes nach dem Herzen die Aufsaugung verst\u00e4rkt. Vielleicht erleiden die Gesetze der Endosmose dadurch eine die Aufsaugung beg\u00fcnstigende Ver\u00e4nderung, dass die thierischen Theile eine Anziehung gegen die in ihnen circulirenden Fl\u00fcssigkeiten aus\u00fcben, wodurch verhindert wird, dass diese gegen die aulzusaugenden Fl\u00fcssigkeiten ausgetauscht werden, da doch sonst ein solcher Austausch erfolgen m\u00fcsste. Wasser z. B. wird das Bestreben haben, sich in dem Blute der Capillarget\u00e4sse zu vertheilen, aber das Blut, mit den Capillargef\u00e4ssen in lebendiger Wechselwirkung, hat wohl nicht das Bestreben, sieb in dem aufzusaugenden Wasser zu vertheilen. Vielleicht haben die Blutk\u00f6rperchen selbst, die, wie p. 111. gezeigt worden, eine so ausserordentliche Anziehung zum reinen Wasser haben, an der Aulsaugung desselben bei ihrem Durchg\u00e4nge durch die Capillarget\u00e4sse einigen Antheil.\nOb das Blut in den Capillargef\u00e4ssen, oder diese selbst auch eine von den gew\u00f6hnlichen physikalischen Gesetzen abweichende organische Anziehung auf gewisse Stoffe \u00e4ussern, ist eine ganz andere Frage. Diess ist zweifelhaft, nur von einem Orte ist es gewiss, n\u00e4mlich von den Capillargef\u00e4ssen der Placenta. Da die Lymphgef\u00e4sse der Placenta und des Nabelstranges durchaus zweifelhaft sind, so muss der Uebergang der ern\u00e4hrenden Fl\u00fcssigkeiten von der Mutter in das Kind durch die Capillarget\u00e4sse in der Placenta erfolgen. Eine eigentliche Communication zwischen den","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248 I. Euch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Absch. Vom Blutkreislauf\nGef\u00e4ssen der Mutter und denen des Foetus findet nicht statt. Die Arterien des Uterus gehen in die Venen des Uterus, die Arterien des Rindes in der Placenta nur in die Venen des Rindes \u00fcber. Weber hat \u00fcber die Art dieser Gemeinschaft sehr interessante Aufschl\u00fcsse gegeben. Anat. 4. 496. Die feinsten Verzweigungen der Gef\u00e4sse in der Placenta finden auf zottenf\u00f6rmigen Forts\u00e4tzen derselben statt. Auf diesen ganz geschlossenen verzweigten Zotten verbreiten sich die feinsten Arterien und gehen durch einfache Umbiegung in feine Venen \u00fcber. Die B\u00fcschel dieser Zotten mit den capillaren Umbiegungen der Arterien in Venen sind nun in die sehr d\u00fcnnh\u00e4utigen Venen der Mutter an der innern Fl\u00e4che des Uterus eingesenkt, und werden von dem ven\u00f6sen Blute der Mutter umsp\u00fclt. Wahrscheinlich zieht das Blut des Foetus hier aufgel\u00f6ste Stoffe aus dem Blute der Mutter an, w\u00e4hrend das Foetusblut durch die Capillargef \u00e4sse der Zotten fliesst.\nliier findet ohne Zweifel zwischen Blut der Mutter und Blut des Rindes eine Art Endosmose statt, wodurch das Blut des Rindes durch die zarten H\u00e4ute seiner Gef\u00e4sse mehr aufnimmt als abgiebt, aber diese organische und lebendige Endosmose ist von den Gesetzen der chemischen Durchdringung bei den von Dutrochet beschriebenen Erscheinungen ganz verschieden. Bei den wiederk\u00e4uenden Tbieren stecken die Zotten der Cotyledonen des Eies nicht in Venen des Uterus, sondern in scheidenf\u00f6rmigen Vertiefungen des Uterus, gleich wie Wurzeln. Allein diese Vertiefungen im Uterus sind mit den Capillargef\u00e4s-sen des Uterus ausgekleidet, w\u00e4hrend die selbstst\u00e4ndigen Capil-largef\u00e4sse des Rindes sich nur auf den Zotten der Cotyledonen verbreiten. Hier m\u00fcssen die Capillargef\u00e4sse der Mutter Stoffe aussebeiden, die von den Capillargef\u00e4ssen des Rindes angezogen werden.\nOb die Venen auf die durch Imbibition in die Capillargef\u00e4sse eindringenden aufgel\u00f6sten Stoffe auch eine Anziehung aus\u00fcben, verm\u00f6ge der Bewegung des Herzens und des bei der Ausdehnung der entleerten H\u00f6hlungen entstehenden hohlen Raumes, den das Venenblut zun\u00e4chst auszuf\u00fcllen strebt, und der dadurch auf alle Venen bis in die Capillargef\u00e4sse zur\u00fcckwirkt, ist noch zweifelhaft. Jedenfalls muss aber die Bewegung des Blutes die Imbibition bef\u00f6rdern, insofern mit der Entfernung des Durchgedrungenen die Ursache der Imbibition, n\u00e4mlich das Verm\u00f6gen der Stoffe, sich in Fl\u00fcssigkeiten gleichf\u00f6rmig auszubreiten, unterhalten., die S\u00e4ttigung also immer wieder aufgehoben wdrd.\nFodera hat die Beobachtung gemacht, dass der Galvanismus die Resorption beschleunigt. Es wurde blaus. Kali in die Pleura eingespritzt, scbwcfels. Eisen in den Unterleib. Gew\u00f6hnlich gehen 5-\t6 Minuten vor\u00fcber, che beide Substanzen sich verbin-\nden; allein ihre Verbindung ist augenblicklich, wenn das Zwerchfell einem leichten galvanischen Strom unterworfen wird. Dasselbe Ph\u00e4nomen soll sich zeigen, wenn die eine Fl\u00fcssigkeit in die Urinblase, die andere in den Unterleib, oder in die Lungen","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalt, d. Gef\u00e4sse hei der Resorption. Resorption d. Haut. 249\nund in die Pleuras\u00e4cke gekrackt wird. Juurn. de physiol. 3. p. 35. Die Nerven haken auf die unorganische Imkihition keinen Einfluss, wir haken keinen Unterschied in der Aufsaugung der Gifte nach Durchschneidung des Nervus vagus gefunden.\nDie Stoffe, welche in das Blut der Darmvenen durch Imbibi-tion gelangen, kommen nicht sogleich in die Hohlvene, sondern mit dem Darmvenenblut durchkreisen sie zun\u00e4chst erst die Leber, und kommen dann erst in den ganzen Kreislauf. Magendie hat beobachtet, dass dieser Umweg durch die Leber die Wirksamkeit mancher Stoffe ver\u00e4ndert. So bewirkt eine Gramme Galle oder viel atmosph\u00e4rische Luft in die Yen. crur. eines Thieres eingespritzt, sogleich den Tod. Diess hat bei der Injection in die Pfortader gar keinen Nachtheil. Manche Stoffe erleiden schon im Darmkanal eine Ver\u00e4nderung, weil sie durch Wunden, nicht aber im Darmkanal aufgesogen werden. So soll Viperngift innerlich genommen nach Redi und Mangili (Meck. Archiv 3. 1817. p. 639.), Stevens (on the blood, p. 137.) keine giftigen Wirkungen \u00e4ussern; und nach Coindet soll der Speichel der Hydrophobi-schen nicht durch den Darmkanal anstecken. FnoriEr\u2019s Not. 1823. Septbr. 170.\nMagendie hat die Beobachtung gemacht, dass Ueberf\u00fcllung der Blutgef\u00e4sse mit Fl\u00fcssigkeit die Resorption schw\u00e4cht. Nach Einspritzung von Wasser in die Venen eines Thieres fand die Absorption von fremdartigen Stoffen durch thierische H\u00e4ute nicht statt, die sich nach einem Aderl\u00e4sse wieder einstellte. Dagegen beschleunigte ein Aderlass die Absorption, so dass Ph\u00e4nomene, die sonst nur nach 2 Minuten, jetzt schon in ^ Minute eintraten.\nAm schnellsten geschieht die Aufsaugung in den Schleimh\u00e4uten, ser\u00f6sen H\u00e4uten und Wunden, viel langsamer in der mit Epidermis \u00fcberkleideten Haut, und \u00fcberhaupt scheint die \u00e4usserste Schichte der belebten Haut ein weit geringeres Absorptionsverm\u00f6gen zu besitzen, vielleicht weil sie Ilornstoff absondert. So bleiben zuweilen in Ritzen der Haut eingeriebene, aus K\u00f6rnchen bestehende Farbestoffe oder Pulverk\u00f6rner von einer Explosion, das ganze Leben hindurch unaufgel\u00f6st, und werden nicht absorbirt. Kranke, welche lange salpetersaures Silber nehmen, werden in der Haut zuletzt schieferf\u00e4rben und schw\u00e4rzlich, wahrscheinlich wegen einer chemischen Verbindung mit dem Thierstoff. Gleichwohl l\u00e4sst sich die Resorption der mit Epidermis bedeckten Haut nicht bezweifeln, wenn die Stoffe aufgel\u00f6st oder von thierischen S\u00e4ften leicht l\u00f6slich sind. Da dieser Theil am h\u00e4ufigsten mit fremdartigen Stoffen in Ber\u00fchrung kommt, und auch der Application der Arzneien f\u00e4hig ist, so ist die n\u00e4here Untersuchung hier\u00fcber von Wichtigkeit. Seieer und Ficinus fanden bei Pferden, deren F\u00fcsse mit Kalihleiaufl\u00f6sung benetzt erhalten w'urden, dieses im Blute und im Chylus wieder. Westrumb (Meck. Arch. 1827.) hat eine vollst\u00e4ndige Arbeit geliefert. Vergl. Sewall, Meck. Arch. 2. 146. Alle metallischen Pr\u00e4parate wirken, in die Haut eingerieben, in geringerem Grade als innerlich. Das Quecksilber heilt auf diese Art die Syphilis und bewirkt Speichelfluss; Tart.","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. II. Abschn. Vom Blutkreislauf.\nstibiat. erregt Erbrechen nach Letsom und Brera; Arsenik vergiftet durch die Haut. Auch die vegetabilischen aufgel\u00f6sten und aufl\u00f6sbaren Stoffe wirken. So erregt nach Haller weisse Niesswurz, auf den Unterleib gelegt, Erbrechen und heftiges Purgiren, wenn die F\u00fcsse mit Abkochung dieser oder der schwarzen Niesswurz gewaschen werden. Sabadillsamen erregte in Lea-tin\u2019s Beobachtung die heftigsten Krampfe, und in den Bauch eingerieben Purgiren; Canthariden erregen Harnstrenge; Narko-tica narkotisiren. Campher ist nach Magendie in der Lungenausd\u00fcnstung erkennbar; Terpenthin\u00f6l am Veilchengeruch des Urins; Quecksilber im Blut, Speichel, Harn, Milch, nach Bloch, Autenrietii und Zeller, und Cantu, nach Fricke (Horn\u2019s Archiv 1826. 459.) auch in den Knochen; blausaures Kali, Rhabarber, F\u00e4rberr\u00f6the geben sich im Blute, Harn etc. zu erkennen. Allein sehr viel st\u00e4rker wirkt die Application aller Arzneien und Gifte auf die von der Oberhaut (durch Blasenpflaster) entbl\u00f6ste Haut (methodus endermica).\nOb die mit Oberhaut bedeckte Haut Wasser aufzunehmen f\u00e4hig ist, ist lange ein Streit gewesen und schwer auszumitteln, weil die Haut durch Ausd\u00fcnstung Wasser verliert. Sicher ist die Epidermis hygroskopisch und quillt im Wasser auf. Die mit Wiegen des K\u00f6rpers und des Wassers hei B\u00e4dern angestellten Versuche von Falconer, Alexander und Andern halte ich f\u00fcr unzuverl\u00e4ssig. Seguin und Currie erhielten \u00fcberdiess keine Gewichtszunahme. Seguin Ann de. chimie T. 90. 185. I. 92. 33. Meck. Archiv 3. p. 585. Dann beweisen allerdings solche Versuche, wo im Wasser aufgel\u00f6ste F\u00e4rbestoffe oder blausaures Kali nach einem Bade sich im Urin erkennen Hessen, wie Westrumb s und Stuart\u2019s Versuche zeigten, nicht f\u00fcr die Aufsaugung des Wassers selbst, da Salze durch eine von zwei Seiten mit Wasser in Ber\u00fchrung stehende tbierische Membran durchdringen k\u00f6nnen, ohne dass sich das Niveau des Wassers ver\u00e4ndert. Die Resorption von Gasarten durch thierische Theile th ei is durch das Atli-men, tlieils in der Haut selbst ist durch die Versuche von Ader-\nN ET II Y, CrUIKSHANK, A\u00fcTENRIETH , BeDDOES, CoLLARI) DE MaRTIGM\nausser Zweifel gesetzt. Dass hierbei die aus der Umgebung aufgenommenen Gase sich mit den tropfbaren Fl\u00fcssigkeiten binden und den Gaszustand verlassen, versteht sich von selbst. Mehrere haben Absorption des Stickgases durch die Haut beobachtet. Beddoes sah den Arm eines Negers in Chlorgas f\u00fcr einige Zeit bleich werden, Abernetiiy beobachtete, dass Sauerstoffgas, SLick-gas, Kohlens\u00e4ure und andere Gasarten, die er unter mit Quecksilber gesperrten Glocken auf seine H\u00e4nde ein wirken Hess, bedeutend vermindert wurden.\nIn Hinsicht der Resorption innerer Theile bleibt es immer zweifelhaft, welchen Antheil daran die Aufnahme in die Blutgef\u00e4sse oder in die Lymphgef\u00e4sse hat. Doch giebt es viele Beispiele auffallender Resorption innerer Stoffe in Theilen, deren Lymphgef\u00e4sse man nicht kennt, wie in den Knochen.\nVon vielen anderen Erscheinungen ist es durchaus zweilelhaft, in welche Ordnung von Gelassen das aus inneren Theilen Aufge-","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalten der Gef\u00fcsse hei der Resorption.\n251\nnommene zuerst gelangt, wo n\u00e4mlich ausser Blutgef\u00e4ssen auch Lymphgef\u00e4sse vorhanden sind. Hierher geh\u00f6ren z. B. die Wiederaufsaugung des in der Gelbsucht abgelagerten Farbestoffes der Galle und die Aufnahme angesammelter Secreta, Galle, Harn in die S\u00e4ftemasse, das Verschwinden der Thymusdr\u00fcse bis zum 12. Jahre, das allgemeine Schwinden des Fettes bei Hungernden Schwinds\u00fcchtigen und nach S\u00e4fteverlusten, im Winterschlaf, das oft schnelle Schwinden der Warzen an den Fingern. Diese Erscheinungen sind nicht alle von gleicher Art. Von der Aufsaugung von S\u00e4ften, welche ausser der Wechselwirkung mit den Capillargef\u00e4ssen sind, indem sie keine Theile der Organe selbst sind, muss man diejenigen F\u00e4lle unterscheiden, wo die Partikeln der organisirten Theile selbst zwischen den Capillargef\u00e4ssen schwinden. Bei diesem Process, wie er in dem schwindenden Schw\u00e4nze der Froschlarven, der Membrana pupillaris, bei der Entstehung der Zellen in den Knochen stattfindet, scheint die Aufl\u00f6sung der Partikeln zwischen den Capillargef\u00e4ssen fast das Wesentlichste zu seyn, wobei denn das Aufgel\u00f6ste mit den Blutstr\u00f6mchen nur in Wechselwirkung zu treten braucht, oder (ausser den Knochen) vielleicht in die Lymphgef\u00e4sse aufgenommen wird. Unter den organisirten Theilen zeigen die Knochen die auffallendsten Ph\u00e4nomene dieser Art von Resorption. Ihre Zellen entstehen erst hernach bei dem Kinde und vergr\u00f6ssern sich durch Resorption. Die Diploe der Sch\u00e4delknochen schwindet im Alter, und diese werden d\u00fcnner. In der Jugend entstehen die Sinus frontales, sphenoidales. Selbst Theile, welche nicht organisirt sind, sondern nur mit organisirten Keimen in Verbindung stehen, wie die Wurzeln der Z\u00e4hne, sind der Resorption unterworfen. Die Wurzeln der ersten Z\u00e4hne schwinden zur Zeit des Zahnwechsels, und Soemmerring hat beobachtet, dass sie weich werden, wahrscheinlich durch Aufl\u00f6sung. Vom Bau des menschlichen K\u00f6rpers I. \u00a7.226. u. 233. Indess werden auch bei der Caries der Z\u00e4hne von fehlerhafter Zusammensetzung der Elemente der Z\u00e4hne diese durch\ndie Mundfl\u00fcssigkeit angegriffen und erweicht. Knochensl\u00fccke durch lange Ber\u00fchrung Substanz verlieren, ist noch unbekannt.\nWird die Ern\u00e4brun\nOb nekrotische mit thierischen Theilen\nL\u00e4hmung etc. vermindert\nig, und der Theil schwindet.\ndurch Krankheiten des Blutes, durch so ist die Resorption gr\u00f6sser als die\nErn\u00e4hrung, und der Theil schwindet. Ob in der Phthisis Muskelfasern oder nur Zellgewebe schwindet, ist ungewiss, doch scheinen die zarten Mulkeln zu schwinden, wie der platysmamyoides und einige Muskeln des \u00e4ussern Ohres. In der L\u00e4hmung schwinden aber h\u00e4ufiger die Muskeln, und namentlich hat Schroe-der v. d. Kolk die Umwandlung in Fett bemerkt. Knorpel, Knochen, Gehirn und Nerven schwinden in der Lungenschwindsucht nach Desmoulins und Schroeder\u2019s Untersuchungen nicht. Bei allgemeinen Ursachen der Atrophie schwinden die Theile in folgender Reihe, Fett, Zellgewebe, Muskeln, Knochen, Knorpel, Sehnen. Bei anhaltendem Druck kann jedes Gewebe resor-hirt werden, wenn seine Ern\u00e4hrung aufh\u00f6rt. Das Schwinden der Knochen von Druck bleibt indess immer noch r\u00e4thselhaft, denn","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252 I. Buch. Von den organ, S\u00e4ften etc. II. Ahschn. Vom Blutkreislauf.\nwenn das Aufh\u00f6ren der Ern\u00e4hrung von Druck die alleinige Ursache w\u00e4re, so m\u00fcssten auch die Gelenkk\u00f6pte an den unteren Extremit\u00e4ten schwinden. Vielleicht wird durch eine um sich greifende Geschwulst, Aneurysma, Schwamm, Entz\u00fcndung der Umgehung und auch der Knochen bewirkt, die Folge davon ist Auflockerung, und im aufgelockerten Zustande ist der Knochen leichter der Resorption f\u00e4hig, sobald seine Ern\u00e4hrung durch Druck beeintr\u00e4chtigt wird. Doch entsteht hierbei, keine Caries. Vergl. Scheoeder v. d. Koi.it in Luchtmahs de absorptionis sanae et rnor-bosae discrimine. Traf, ad R. 1829.\nBekanntlich bef\u00f6rdert die Jodine das Schwinden und die Piesorption der organischen Theile.\n1). Von der Ausscliwitznn;, exsudatio.\nViele Stoffe, welche in thieriseben Fl\u00fcssigkeiten aufgel\u00f6st sind, namentlich die fremdartigen, welche in den Kreislauf eingedrungen, sich im ver\u00e4nderten oder unver\u00e4nderten Zustande mit dem Blute verbreiten, werden nach den Gesetzen der Imbibition und Endosmose ausgeschieden. Blausaures Kali, durch Endosmose in den Kreislauf aufgenommen, durchdringt nach denselben Gesetzen auch die thierischen Gewebe, welche an die Aussenwelt grenzen, und mischt sich den nat\u00fcrlichen Absonderungsfl\u00fcssigkeiten bei, so dass es bald in den verschiedensten Absonderungsfl\u00fcssigkeiten, im Harn z. B. nach Westrumd 2 \u201410 Min. nach der Application spurenweise wieder erscheint. Die in dem Absonderungsorgane enthaltene Fl\u00fcssigkeit (z. B. der in den Harnkan\u00e4lchen enthaltene Harn) und das mit blaus. Kali impr\u00e4gnirte Blut sind die beiden Fl\u00fcssigkeiten, welche sich durch die thierischen W\u00e4nde nach rein physikalischen Gesetzen in Gleichgewicht ihrer aufgel\u00f6sten Theile setzen k\u00f6nnen. In der Gelbsucht werden auf diese Art fast s\u00e4mmtliche innere Organe und auch Absonderungsfl\u00fcssigkeiten, wie der Harn, von dem im Blutwasser aufgel\u00f6sten F\u00e4rbestoff der Galle durchdrungen.\nDie verdunstbaren Theile des Blutes, nat\u00fcrliche oder fremdartige beigemischte, k\u00f6nnen von den freien Oberfl\u00e4chen der thie-rischen Membranen verdunsten, sofern sie nicht durch eigenthiiin-liche Anziehung von dem thierischen Gewebe zur\u00fcckgehalten werden. Wenn Druck den Durchgang durch die Poren der thierischen W\u00e4nde beg\u00fcnstigt, so m\u00fcssen nach physikalischen Gesetzen auch tropfbare Fl\u00fcssigkeiten in freie mit Gas oder Dunst gef\u00fcllte R\u00e4ume durchdringen. Diess geschieht nach dem Tode schon durch blosse Schwere, so dass Blutwasser und sp\u00e4ter aufgel\u00f6ster F\u00e4rbestoff die Gewebe durchdringen und sich in freien R\u00e4umen ansammeln k\u00f6nnen. Die Galle durchdringt dann die Gallenblase und f\u00e4rbt anliegende Theile gelb. W\u00e4hrend des Lebens h\u00e4lt die Piesorption diesem Durchdringen der Membranen durch eine organische Anziehung das Gleichgewicht; allein verschiedene Ursachen in Krankheiten heben dieses Gleichgewicht auf, und es sammelt sich dann Wasser mit aufgel\u00f6stem Thierstoff und Salzen in den H\u00f6hlen und im Zellgewebe, und verursacht die Erschei-","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verhalten der Gef\u00e4sse hei der Exsudation.\n253\nnungen der Wassersucht und des ehveissstoffhaltigen Urins. Nach Verschliessung grosser Venenstamme der Eingeweide und der Extremit\u00e4ten entsteht Exsudation von eiweisshaltigem Wasser aus dem Blute in den anliegenden ser\u00f6sen S\u00e4cken oder im Zellgewebe, besonders der unteren Extremit\u00e4ten, und man kann, wie Bouil-laud gezeigt hat, eine Wassersucht des Zellgewebes k\u00fcnstlich erzeugen durch Unterbindung grosser Venenst\u00e4mme. Die Wassers\u00fcchten nach Degeneration der Eingeweide entstehen vielleicht auch zum Theil von Verschliessung der Circnlationswege dieser Eingeweide. Aus denselben Ursachen k\u00f6nnte man die Exsudation des aufgel\u00f6sten Faserstoffes in den Entz\u00fcndungen erkl\u00e4ren, obgleich f\u00fcr die Qualit\u00e4t der ausschwitzenden Materie noch besondere Ursachen einwirken.\nHiernach scheinen die Exhalationen (Dunst) und Exsudationen (tropfbar Fl\u00fcssiges) nach rein physikalischen Gesetzen der Imbibition, Endosmose und des Druckes auch im lebenden K\u00f6rper zu erfolgen. Dem ist aber nicht so. Nach physikalischen Gesetzen k\u00f6nnte alles Aufgel\u00f6ste durchdringen. Im lebenden K\u00f6rper durchdringt aber nicht alles Aufgel\u00f6ste unter dem Einfl\u00fcsse der Endosmose und des Druckes die tbieriseben Gewebe, sondern das Exhalirte und Exsudirte ist oft nur ein Theil der im Blute aufgel\u00f6sten Stolle. So exsudirt in der Entz\u00fcndung unter der \u00f6rtlichen Blutanh\u00e4ufung aufgel\u00f6ster Faserstoff durch die H\u00e4ute, Faserstoff, der, wie ich bewiesen habe, im lebenden Blutwasser aufgel\u00f6st ist. Bei den Wassers\u00fcchten, wie sie z. B. durch verhinderten R\u00fcckfluss des Blutes bewirkt w'erden, exsudirt dagegen nicht der Faserstoff des Blutes, das Exsudat gerinnt meist nicht von seihst, sondern nur durch Reagentien werden Stoffe daraus niedergeschlagen, es enth\u00e4lt nur den aufgel\u00f6sten Eiweissstoff des Blutes. Hieraus geht hervor, dass dem Durchdringen des aufgel\u00f6sten Faserstoffes in den Wassers\u00fcchten noch durch eine Kraft das Gleichgewicht gehalten seyn muss, welche in der entz\u00fcndlichen Exsudation gel\u00e4hmt ist, und diess muss eine Anziehung des lebenden Gewebes zum aufgel\u00f6sten Faserstoff seyn, w\u00e4hrend dasselbe Gewebe bei der Wassersucht eiweiss-stoffiges Wasser durchl\u00e4sst. Im Anl\u00e4nge der Entz\u00fcndung wird nur Blutwasser, wie in einer Wunde oder nach dem Legen eines Blasenpflasters, hei heftigerer Entz\u00fcndung auch Faserstoff ausgeschieden. Dass \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse bei der Exhalation z. B. der Haut stattfinden, ist wahrscheinlich, dagegen unwahrscheinlich, dass Alles von den thierischen Oberfl\u00e4chen exhalirt, was verd\u00fcnstbar ist.\nManche Ausscheidungen sind gar nicht nach den Gesetzen der Endosmose zu erkl\u00e4ren, z. B. die des Harnstoffes aus dem Blute durch die Nieren. Diess ist wirklich eine blosse Ausscheidung; denn der Harnstoff wird nicht in den Nieren erst gebildet, sondern Pbevost und Dumas haben entdeckt, und Segalas best\u00e4tigt, dass nach der Exstirpation der Nieren der Harnstoff im Blute gefunden wird. Diese allerdings aufgel\u00f6ste Materie wird daher im Blute nur so lange nicht gefunden, als sie nicht durch die Nieren daraus ausgeschieden wird. Wenn aber Harnstoff","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 I. Buch. Von den organ. S\u00fc\u00dfen n. dem Gef\u00fcsssyslem.\nschon im Blute aufgel\u00f6st ist, warum wird er allein durch die Nieren, ausgeschieden und nicht durch alle anderen Absonderungsorgane? Die Gesetze der Endosmose reichen zur Erkl\u00e4rung dieser wahrhaften Ausscheidung nicht aus.\nAuch andere Ausscheidungen geschehen aus Bestandteilen des Blutes und erfolgen nur unter bestimmten \u00f6rtlichen Bedingungen, wie der Menstrualfluss. Nach Lavagna, Toulmoucue, Brahde und meinen eigenen Beobachtungen enth\u00e4lt das Men-strualblut keinen Faserstoff. Es formt sich allerdings im Urin oft in Klumpen, aber diese Klumpen sind wie Brei und bestehen vorz\u00fcglich nur aus den rothen K\u00f6rperchen. Dass das Menstrualblut nur eine concentrate Aufl\u00f6sung von Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen sey, wie Brakde behauptet, ist gewiss falsch; ich habe hei Untersuchung des Menstrualblutes wirkliche unver\u00e4nderte Blutk\u00f6rperchen darin gefunden. Diess setzt voraus, dass im Uterus der Menstruirenden eine solche Auflockerung der Capillargef\u00e4ssw\u00e4nde eintrete, dass sie zu dieser Zeit K\u00fcgelchen durchlassen. An Venenm\u00fcndungen ist hierbei so wenig als an irgend einem Orte zu denken. Es giebt keine Venenm\u00fcndungen.\nDie langsame Ausscheidung von Blut, welche die Pathologie Diapedesis (per secretionem) nennt, kann auch keine einfache Ausscheidung seyn; sie setzt auch Auflockerung der Gef\u00e4ssw\u00e4nde voraus, und ist in vielen F\u00e4llen, wenn nicht in allen, gewiss in einer Zerreissung der kleinsten oder Capillargef\u00e4sse begr\u00fcndet, wie bei dem Blutspeien und blutigen Auswurf in der Lungenentz\u00fcndung. Dass aber der die Blutk\u00f6rperchen f\u00e4rbende Stoff sich unter besonderen Umst\u00e4nden in Blutwasser der lebenden Thiere aiifl\u00f6sen k\u00f6nne, und blutig gef\u00e4rbtes Blutwasser durchschwitzen k\u00f6nne, hat Wedemeyer {\u00fcber den Kreislauf. Hannover 1828. 463.) wahrscheinlich gemacht. Bei Pferden, welchen viel warmes Wasser in die Venen gegossen wurde, trat Exsudation von blutigem Wasser aus der Nase und in die Bauchh\u00f6hle ein. Bekanntlich hat der F\u00e4rbestoff der Blutk\u00f6rperchen die Eigenschaft sich im Wasser aufzul\u00f6sen. So scheint sich auch Blutroth im Serum beim Scorbut, im Morbus maculosus, und nach dem Schlangenbiss (Autenrietu Physiol. 2. 154.) aufzul\u00f6sen. Nach einem geistreichen Arzt soll die Diapedesis ein Durchdringen von bloss aufgel\u00f6stem Blutroth, nicht von Blutk\u00f6rperchen seyn. Diess ist schwer zu beweisen und vor dem Beweis nicht annehmbar. Selbst das blutige Serum des Blutes im Scorbut enth\u00e4lt vielleicht nicht einmal Farbestoff aufgelost, sondern zerstreute K\u00fcgelchen, was immer leicht geschehen kann, wenn das Blut nicht fest gerinnt.\nDie Erscheinung von K\u00fcgelchen in den Secreta setzt eine Bildung derselben im Momente der Abscheidung voraus. Aus dem Blute aus den Capillargef\u00e4ssen k\u00f6nnen diese nicht durchgehen. Die K\u00fcgelchen des Eiters sind gr\u00f6sser als die Blutk\u00f6rperchen, zum Theil noch einmal so gross (Weber), sie k\u00f6nnen nicht aus den Blutk\u00f6rperchen ihre Entstehung nehmen, sie sind entweder abgestossene Theilchen der eiternden Oberfl\u00e4che, oder bilden sich erst im Momente der Abscheidung, da der Eiter im","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"111. Abschn. Van der Lymphe und dem Lymphgef\u00e4sssyslem. \u2018255\nMomente der Bildung d\u00fcnn und klar nach Brugmans und Au-tenrieth abgeschieden werden soll. Die Ausscheidung von Ei-terkiigclchen, die ins Blut gekommen, durch die .Nieren erscheint daher als eine reine Unm\u00f6glichkeit, nur die n\u00e4heren Bestandteile des Eiters im aufgel\u00f6sten Zustande k\u00f6nnen abgeschieden werden.\n1JJ. Abschnitt. Von der Lymphe und dem L y mp h ge f\u00e4 s s syst e m.\nI. Capitel. Von der Lymphe.\nDie Lymphe ist der Inhalt der lymphatischen Gef\u00e4sse. Sie ist eine blassgelbe klare und, wenn sie nicht mit Blutk\u00f6rperchen zuf\u00e4llig verunreinigt worden, in der Regel nicht r\u00f6tbliche Fl\u00fcssigkeit. Beim Frosch ist sie ganz klar, nicht einmal gelblich ; beim Menschen haben sie Wutzer, H. Nasse und ich gelblich klar beobachtet. Die Lymphe ist geruchlos, reagirt schwach alkalisch, und schmeckt salzig. Die Lymphe des Darmkanals, wenn sie aufgesogene Nahrungsstoffe enth\u00e4lt, ist weniger klar, sondern immer mehr oder weniger getr\u00fcbt, bald gelbgrau, bald weisslich, von einer grossen Menge von runden K\u00fcgelchen. Die Lymphe des Darmes wird bei gef\u00fctterten Thieren Chylus genannt.\nLymphe und Chylus enthalten aufgel\u00f6stes Eiweiss und aufgel\u00f6sten Faserstoff. Der letztere gerinnt in der Lymphe innerhalb 10 Minuten zu einer Gallerte. In Reuss und Emmekt\u2019s Untersuchung (Scherer\u2019s Journ. 5. 691.) gaben 92 Gr. Lymphe des Pferdes 1 Gr. Coagulum im weichen Zustande, also noch nicht ^ Proc. trocknen Faserstoff. Die \u00fcbrige Fl\u00fcssigkeit hinterliess abgedunstet 3| Proc. trocknen R\u00fcckstand, vorz\u00fcglich Eiweiss und Kochsalz. Pieuss, Emmert und Lassaigne erhielten von der Lymphe der Pferde, wie ich und Nasse von der Lymphe des Menschen, und ich in allen F\u00e4llen von der Lymphe der Fr\u00f6sche, den Faserstoff ganz farblos. Nur Tiedemann und Gmelin geben den Faserstoff der Lymphe von Thieren blassr\u00f6thlich an, was vielleicht von zuf\u00e4lliger Verunreinigung von etwas Blut herr\u00fchrte. Las-saigne giebt die Zusammensetzung der Pferdelymphe folgen dermassen an: Wasser 92,500, Faserstoff 0,330, Eiweiss 5,736, Chlornatrium, Chlorkalium, Natron, phosphorsaurer Kalk zusammen 1,434. Tiedemann und Gmelin fanden in der Lymphe auch","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"25G I. Euch. Von d. organ. S\u00e4ften etc. III. Alsclm. Lymphsystem.\nSpeichelstoff, Osmazom, kohlen-, Schwefel-, salz- und essigsaures Natron und Kali nehst phosphorsaurem Kalk.\nVon der Lymphe \u2022 unterscheidet sich der Chylus dadurch, dass der Chylus freies Fett enth\u00e4lt, dass die Menge der festen Theile in ihm gr\u00f6sser ist (100 Chylus aus den Lymphgef\u00e4ssen des Mesenteriums vom Pferde gaben Tiedemann und Gmelin 0,37 trocknen Faserstoff, die Lymphe des Beckens nur 0,13), und dass der Chylus viel mehr K\u00fcgelchen enth\u00e4lt und tr\u00fcber ist. Die K\u00fcgelchen der Lymphe sind sparsam und sind bisher \u00fcbersehen, Dr. H., Nasse und ich haben sie in der Lymphe des Menschen, und ich sehr h\u00e4ufig in der Lymphe der Fr\u00f6sche gesehen.\nDie Lymphe des Menschen scheint zuerst von uns untersucht zu seyn. Denn Soemmerring\u2019s Lymphe aus Varices von Lymphgef\u00e4ssen, die nicht gerann, konnte keine Lymphe seyn.\nIm Winter 1831\u20141832 hot sich in Bonn diese ausserordentliche Gelegenheit dar, Lymphe des Menschen zu untersuchen. Im chirurgischen Clinico des Hrn. Professor Wutzer befand sich ein junger Mensch, dem, in Folge einer vor l\u00e4ngerer Zeit erlittenen Verletzung am Fussr\u00fccken, best\u00e4ndig Lymphe aus der, allen Versuchen zur Heilung trotzenden, kleinen Wunde ausfloss. Wenn man \u00fcber den B\u00fccken der grossen Zehe in der Richtung gegen die Wunde hinstrich, floss jedesmal eine Quantit\u00e4t ganz klarer Fl\u00fcssigkeit, zuweilen spritzend, hervor. Diess war Lymphe. Sie setzte nach ungef\u00e4hr 10 Minuten ein spinngewebeartiges Coagu-lum von Faserstoff ah. Hier konnte man nun Lymphe in Menge sammeln. Was mich am meisten zu wissen interessirte, war: ob die Lymphe K\u00fcgelchen enthalte, welche alle neueren Beobachter, Reuss und Emmert, Soemmerring, Tiedemann und Gmelin, Brande, Lassaigne, nicht beobachtet haben; wogegen Hewson in der freilich zweideutigen Lymphe von der Th\u00fcmusdr\u00fcse des Kalbes unz\u00e4hlige weisse K\u00f6rnchen von der Gr\u00f6sse der Kerne der Blutk\u00f6rperchen, und in der r\u00f6tblichen Lymphe der Milz rothe K\u00f6rperchen gesehen haben wollte. Bei der mikroskopischen Untersuchung jener Lymphe des Menschen sah ich, dass die Lymphe, obgleich sie klar und durchsichtig war, doch eine Menge farbloser K\u00fcgelchen enthielt, die kleiner schienen, als die Blutk\u00f6rperchen des Menschen, und sehr viel sparsamer darin enthalten waren, als die Blutk\u00f6rperchen im Blute. Diese K\u00fcgelchen verbinden sich heim Gerinnen zum kleinern Theil mit dem Coa-gulum. Der gr\u00f6sste Theil bleibt im Lymphserum suspendirt. Das Coagulum besteht, wenn es sich zusammengezogen hat, aus einem weissen fadenartigen Gewebe. Das Merkw\u00fcrdigste ist nun aber, dass das Gerinnsel nicht durch Aggregation der K\u00fcgelchen entsteht, sondern man sieht, dass eine vorher aufgel\u00f6ste Materie gerinnt und die zerstreuten K\u00fcgelchen zum Theil in sich aufnimmt. Untersuchte man das Gerinnsel von einer sehr kleinen Quantit\u00e4t Lymphe, die man in einem Uhrglase hatte gerinnen lassen, so erkannte man die Lymphk\u00fcgelchen hei starker Ver-gr\u00f6sserung eben so zerstreut in dem Coagulum, wie sie vorher in der Lymphe selbst erschienen. Die Materie, welche die Lvmph-k\u00fcgelchen verbindet, l\u00e4sst sich besonders an dem zarten Rande","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von t1er Lymphe. Lymphe des Menschen und der Fr\u00f6sche. 257\ndes Coagulum beobachten ; sie ist ganz gleichartig, schwach durchleuchtend, und besteht nicht deutlich aus K\u00fcgelchen, die, wenn sie darin enthalten sind, sehr viel kleiner seyn m\u00fcssen, als die K\u00fcgelchen der Lymphe. Vergl. H. Nasse, Tiedkmahn\u2019s Zeitschrift. V. Diese neuen Beobachtungen beweisen, dass, obgleich die Lymphe K\u00fcgelchen suspendit enthalt, doch der Faserstoff in ihr aufgel\u00f6st ist. Beim Menschen wird sich die Gelegenheit sehr selten darbieten, jene Beobachtungen zu wiederholen. Dagegen werde ich jetzt angeben, wie man sich zu jeder Zeit, wo man Fr\u00f6sche haben kann, die Lymphe dieses Thieres sehr leicht und rein verschaffen kann. Es ist bekannt, dass die Haut der Fr\u00f6sche \u00fcberaus locker mit den Muskelschichten verbunden ist. Dass zwischen beiden ansehnliche Lymphr\u00e4ume enthalten seyn m\u00fcssen, erkennt man schon an der Natur der zwischen liant und Muskeln enthaltenen Fl\u00fcssigkeit. Wenn man bei grossen Fr\u00f6schen die Haut am Oberschenkel anschneidet, und, indem man die Zerschneidung gr\u00f6sserer Blutgef\u00e4sse vermeidet, die Haut eine Strecke weit von den Muskeln abl\u00f6st, so fliesst \u00f6fter (nicht immer) eine klare, farblose, salzig schmeckende Fl\u00fcssigkeit aus, und zwar oft sehr reichlich, wenn der Frosch sehr gross und frisch war. Diese Fl\u00fcssigkeit ist Lymphe. Der Beweis davon liegt in dem Umstande, dass diese Fl\u00fcssigkeit innerhalb mehrerer Minuten ein ansehnliches, anfangs wasserhelles Coagulum absetzt, das sich allm\u00e4hlig zu einem fadenartigen weisslichen Gewebe verdichtet. Wenn man von einer Anzahl grosser Fr\u00f6sche die Lymphe sammelt, so erh\u00e4lt man genug, um eine n\u00e4here Untersuchung anzustellcn. Das Faserstoffgerinnsel einer gewogenen Quantit\u00e4t Lymphe wurde getrocknet und mit einer sehr empfindlichen Waage gewogen; so erhielt ich aus 81 Th. Froschlymphe einen Theil trocknen Faserstoff; ein Verh\u00e4ltniss, welches wegen der Menge des Faserstoffes sehr merkw\u00fcrdig scheint, wenn sich auf einen einzigen Versuch bei so kleiner Quantit\u00e4t ein bestimmter Werth legen liesse. Bewahrt man Fr\u00f6sche lange auf, so gerinnt die gewonnene Lymphe nicht mehr, so wie auch ihr Blut entweder sehr wenig, oder gar kein Gerinnsel absetzt. Die Froschlymphe enth\u00e4lt im frischen Zustande K\u00fcgelchen , jedoch ausserordentlich sparsam darin zerstreut. Sie sind ungef\u00e4hr vier Mal kleiner als die elliptischen Blutk\u00f6rperchen des Frosches. Sie sind rund und nicht platt. Da man beim Einschneiden der Haut des Frosches jedesmal auch einige Blutgef\u00e4sse zerschneidet, so ist es unvermeidlich, dass sich bei mikroskopischer Untersuchung in der Lymphe einige elliptische Blutk\u00f6rperchen zeigen. Diese Beimengung ist aber ganz unbedeutend, und die Lymphe bleibt wasserhell. Durch diese Beobachtung hat man den grossen Vortheil, sich schnell und zu jeder Zeit Lymphe verschaffen zu k\u00f6nnen; und man kann so die Haupteigenschaften derselben, da sie mit der menschlichen sehr \u00fcbereink\u00f6mmt, in den Vorlesungen zeigen. Dagegen man bisher keinem Arzte einen Vorwurf machen konnte, wenn er in seinem ganzen Leben keine Lymphe gesehen hatte, die doch sonst in den pathologischen Werken und von den Aerz-ten so viel besprochen wird, so dass sie wegen Unkenntnis der M\u00fcllcr\u2019s Physiologie, I.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258 I. Buch. Von Ikn organ. Sa\u00dfen etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\nwahren Natur der Lymphe vielerlei der verschiedensten Dinge mit diesem Namen helegen. Nicht allein faserstoffhaltige und eiweisshaltige Exsudate, sondern auch Wundfl\u00fcssigkeilen und eiter-f\u00f6rmige Stoffe, besonders aber alle Materien, welche sie nicht genau kennen, werden von ihnen Lymphe genannt.\nDiese Versuche vom Frosche iiel'ern die Best\u00e4tigung ]ener Beobachtung von der menschlichen Lymphe. Es ist sehr instru-ctiv, unter dem Mikroskope die Entstehung des Gerinnsels in einem Tropfen Froschlymphe zu untersuchen, wo man sich auf das Bestimmteste \u00fcberzeugen kann, dass die hier in ganz grossen Zwischenr\u00e4umen zerstreuten K\u00fcgelchen gar keinen Antheil an der Gerinnung des vorher aufgel\u00f6sten Faserstoffes haben. Der Eiweissstoff der Lymphe l\u00e4sst sich auf die gew\u00f6hnliche Weise aus der Lymphe niederst : lagen. Merkw\u00fcrdig ist aber, dass nicht allein die Froschlymphe von viel zugesetztem liquor Kali caustici tr\u00fcb wird, und dass der Chylus der S\u00e4ugethiere von zugesetztem liquor Kali caustici sogleich das Eiweiss absetzt, sondern dass nach meiner Beobachtung das Eiweiss auch aus kleinen Quantit\u00e4ten Blutwasser von viel zugesetztem liquor Kali caustici niedergeschlagen wird. Die Kaliaull\u00f6sung muss aber ganz concen-trirt sevn.\nDie Lymphe scheint unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden in den meisten Theilen farblos zu seyn, zuweilen hat man sie r\u00f6thlich gesehen; Mauendie, Tiedemann und Gmelin sahen sie so bei lastenden Thieren, aber diese F\u00e4rbung ist in den Lymphgef\u00e4ssen der Milz nicht selten. IIewson, Fohmann, Tiedemann und Gme-lin haben diess bemerkt. Seiler hat es nur ausnahmsweise gefunden. Piudoli\u2019hi h\u00e4lt es f\u00fcr zuf\u00e4llig. Ich habe indess im Scldacht-bause an der Milz des Ochsen wiederholt unter den vielen und ansehnlichen Lymphgef\u00e4ssen der Oberfl\u00e4che der Milz jedesmal einige bemerkt, deren Lymphe schmutzig r\u00f6thlich war. Ich halte diese ganz leichte durchscheinende F\u00e4rbung nicht wie Hewson f\u00fcr F\u00e4rbung von rothen K\u00f6rperchen des Blutes. Ich glaube vielmehr, dass die Lymphe in dem blutreichen Gewebe der Milz vom Farbestoffe des Blutes etwas aufgel\u00f6st hat.\nDer Chylus der Thiere ist fast immer tr\u00fcber als ihre Lymphe, und diese Tr\u00fcbheit scheint von den K\u00fcgelchen des Chylus herzur\u00fchren. Bei den S\u00e4ugethieren ist der Chylus meist weiss-lich, besonders nach fettiger und Fleischnahrung. Bei V\u00f6geln ist der Chylus nicht weiss, sondern mehr durchscheinend. Im Ductus thoracicus der Pferde, seltener bei anderen Thieren, ist der Chylus r\u00f6thlich, und sein Coagulum wird dann in der Luft noch r\u00f6ther.\nW as die Vergleichung der Blutk\u00f6rperchen und Chylusk\u00f6rn-chen betrifft, so sind die Chylusk\u00fcgelciien der S\u00e4ugethiere, die ich vom Kaninchen, von der Katze, vom Hunde, vom Kalbe und von der Ziege mikroskopisch untersucht habe, nicht platt, wie die Blutk\u00f6rperchen, sondern rund. Pr\u00e9vost und Dumas fanden die Chylusk\u00fcgelciien ygQy Par. Zoll, was mehr als halb so viel betr\u00e4gt, als die Blutk\u00f6rperchen des Menschen. (Siehe E. H. Weber in Hildebrandt\u2019s /Jnalomie I. S. 1 GO.) Ich habe die Chylus-","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"\\, Von der Lymphe. Vergleichung der Lymphe u. des Chylus. 259\nk\u00fcgelchen jedesmal auf derselben Glasplatte mit den Blutk\u00f6rperchen desselben Thieres untersucht, und fand ihre Gr\u00f6sse bald gleich der der Blutk\u00f6rperchen, wie hei der Katze, bald, und zwar meistens, etwas kleiner, wie heim Kalbe, hei der Ziege, beim Hunde; hei welchem letztem ich sie von sehr verschiedener Gr\u00f6sse, die meisten sehr klein, und alle kleiner als die Blutk\u00f6rperchen fand. Beim Kaninchen fand ich sogar die Chylusk\u00fc-gelchen zum Theil gr\u00f6sser als die Blutk\u00f6rperchen, die meisten waren sehr klein, ^ bis ^ so gross als die Blutk\u00f6rperchen; viele waren nicht kleiner als die Blutk\u00f6rperchen, und einige waren offenbar gr\u00f6sser, wenigstens noch einmal so gross; fein zertheilte Fetttheilchen waren diess nicht, wie ich solche allerdings von ansehnlicher Gr\u00f6sse ganz deutlich in dem Chylus eines mit Butter gef\u00fctterten Hundes von den anderen K\u00fcgelchen verschieden erkannte. Damit stimmen R. Wagner\u2019s Beobachtungen \u00fcberein. Hecker\u2019s Ann. 1831. Mueller\u2019s Archiv 1835. 107. Auch Wagner ist in Hinsicht der Identit\u00e4t der Lymph- und Chylusk\u00f6r-percben mit den Kernen der Blutk\u00f6rperchen sehr zweifelhaft. Tiedemann und Gmelin scheinen den Chylus f\u00fcr eine vollkommene Aufl\u00f6sung der Thierstoffe zu halten, in welcher keine anderen K\u00fcgelchen als Fettk\u00fcgelchen schweben. In der That haben sie gesehen, dass heim Sch\u00fctteln des milchigen Serums vom Chylus mit weingeistfreiem Aether allm\u00e4blige Kl\u00e4rung des Serums eintrat. Die Gewissheit \u00fcber den Ursprung der K\u00fcgelchen im Chylus ist von ausserordentlicher Wichtigkeit; denn wenn z. B. Chylus ganz aufgel\u00f6ster Thierstoff w\u00e4re, und hei der Resorption keine K\u00fcgelchen in die Lymphgef\u00e4sse eindr\u00e4ngen, als etwa bloss fl\u00fcssige Fetttheilchen, so w\u00e4re es denkbar, dass die Oeffnungen, die man bisher vergebens an den Zotten des Darmkanals gesucht hat, wirklich fehlen k\u00f6nnten, und dass die Anf\u00e4nge der Lvmphgef\u00e4ssnetze keine gr\u00f6sseren Poren h\u00e4tten, wie alle weiche Thiersubstanz, welche f\u00fcr Aufgel\u00f6stes permeabel ist. Es ist mir aber wahrscheinlich, dass aus dem Darmkanal auch wirklich K\u00fcgelchen in den Chylus \u00fcbergehen, und dass es nicht bloss fein zertheilte Fettr\u00f6pfchen sind. Als ich milchiges Serum vom Chylus der Katze in einem Uhrglase mit\" weingeistfreiem Aether versetzte, schien sich zwar anfangs allm\u00e4hlig das Serum etw'as aufzukl\u00e4ren; laher es blieb doch, seihst nach langer Fortsetzung des Versuches unter immer neuem Zugiessen von Aether, unten ein tr\u00fcbes Wesen zur\u00fcck, und als ich dieses unter dem Mikroskope untersuchte, bemerkte ich darin die ganz unver\u00e4nderten Chylusk\u00fcgelchen. Ich gehe gerne zu, was Tiedemann und Gmelin so allgemein beobachtet haben, dass der Chylus hei fettiger Nahrung tr\u00fcber wird; allein ich kann nicht annehmen, dass alle K\u00fcgelchen des Chylus Fetttheilchen seyen. Wenn aber auch der Aether das Chylusserum wirklich ganz klar machte, so w\u00fcrde daraus doch noch nicht folgen, dass die K\u00fcgelchen blosse Fetttheilchen seyen. Denn die Lymphe ist ganz klar, und enth\u00e4lt doch zerstreute K\u00fcgelchen.\nDie sparsamen K\u00fcgelchen der Lymphe m\u00fcssen hei der Resorption von den Partikeln der Organe abgestossen werden, oder\nil *","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260 1. Buch. Vun den organ. S\u00e4ften etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\nsich in der Lymphe bilden. Dass die K\u00fcgelchen des Chylus erst in den Lymphgef assen entstehen, daf\u00fcr sind keine Beweise vorhanden. Diese Bildung der K\u00fcgelchen m\u00fcsste, schon in den Lymph-gef\u00e4ssnetzen der Darinh\u00e4ute stattfinden; denn heim Kalbe, wo inan an der Oberfl\u00e4che des Darmes sehr gut die mit Chylus gef\u00fcllten Lymphgef\u00e4sse sehen kann, habe ich in dem Chylus dieser Gef\u00e4sse schon die gew\u00f6hnlichen K\u00fcgelchen bemerkt. Nach einer Hypothese von Doellinger w\u00fcrden sich die K\u00fcgelchen im Chylus auch ohne Durch drin gen der Lymphgefasswar.de und ohne Poren erkl\u00e4ren lassen. (Froriep\u2019s Notizen, Bd. 1. n. 2.) DoeltJiiger nimmt an, dass die Zotten \u00e4usserlich durch Aggregation und Apposition von Bildungstheilcben aus dem Chylus des Darmkanales wachsen, wie die Keimscheibe des Embryo vor dem Entstehen der Blutgef\u00e4sse aus der Doltersuhstanz durch Apposition w\u00e4chst. W\u00e4hrend nun die Darmzotten \u00e4usserlich Stoff ansetzen, soll sich ihr Inneres in Chylus aufl\u00f6sen; allein Beobachtungen machen diese Hypothese unwahrscheinlich. Der Chylus ist bei S\u00e4ugethieren immer mehr oder weniger tr\u00fcb nach der F\u00fctterung, und unterscheidet sich hierdurch constant von der Lymphe oder dem Re-sorptionsproducte anderer Theile, er variirt offenbar nach der Natur der Nahrungsmittel. Jedermann weiss, wie schnell Fl\u00fcssigkeiten im Darmkanale aufgesogen werden, die doch schwerlich bloss unmittelbar in die Capillargef\u00e4sse und\u2019 so ins Blut gelangen und dass Farbestotfe, wenn gleich selten, doch einigemal in den Lymphgef\u00e4ssen beobachtet worden sind. Sciii.emm hat eine Beobachtung an jungen K\u00e4tzchen, die noch an der Mutter trinken, gemacht, wodurch cs einigermaassen wahrscheinlich wird, dass hei ihnen wirklich Milch ins Blut gelangt. Eine Beobachtung die RuDOLrui und ich verificirt haben, und welche auch Mayer best\u00e4tigt hat. (Siehe Froriep\u2019s Not. N. 536. 565.) Diese K\u00e4tzchen haben zuweilen, nicht immer, eine gewisse Zeit nach dem Trinken ein gelbrothes Blut, welcihes beim Gerinnen sich in ein rothes Coagulum und milchweisses Serum scheidet. Piudolphi und Mayer behaupten es auch von ganz jungen Hunden. Bei jungen Thieren scheinen also wirklich die K\u00fcgelchen der Milch, welche eben die Milch weiss machen, in die Lymphgef\u00e4sse des Darmkanales zu gelangen, gleichwohl gerinnt ein Theil der Milch im Magen jener Thiere, wie Mayer bemerkt. K\u00e4stner (das tveisse Blut. Erlangen 1832.) wollte die Wiederholung von Schlemm\u2019s Beobachtung nicht gelingen. Eine ausf\u00fchrliche Untersuchung des Chylus wird \u00fcbrigens bei der Verdauung im 2. Buch 4. Abschn. gegeben.\nII. Capiiel. Von dem Urspr\u00fcnge und Bau der Lymphgef\u00e4sse.\na. Verhalten der feinsten Lymphgef\u00e4sse.\nDie wichtigen \u00e4lteren Untersuchungen \u00fcber den Bau der Lymphgef\u00e4sse sind in der von Ludwig herausgegebenen Sammlung der Schriften von Mascagni, Guuikshank. und Anderen zu-","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Lymphgef\u00e4ssen. Ursprung der Lymphgef\u00e4\u00dfe. 261\nsammengestellt. In tier neuern Zeit hat dieser Gegenstand wichtige Aufschl\u00fcsse erhallen, besonders durch die ausgezeichneten Arbeiten von Fohmann (das Saugadersyst. der Wirbelthiere. I. H. Ueidelb. 1827.fol.)f von Lauth (essai sur tes vaisseaux lymphatiques. Slrash. 1824. Ann. des sc. not. T. 3.) und von Panizza (osserva\u00f9oni anlropo-zootomico-fisiologiche. Paria 1830. fol., und Sopra il sistema linfatico dei rettile ricerche zootomiche. Paria 1833.)\nDie Anf\u00e4nge der Lymphgef\u00e4sse zeigen sich in Quecksilber-injectionen in einer zweifachen Form.\n1)\tAls Netze mit bald l\u00e4nglichen, bald mehr gleichf\u00f6rmigen Maschen. Die Maschen sind h\u00e4ufig kleiner als der Durchmesser der feinsten Lymphgef\u00e4sse selbst, und letztere erscheinen daher als ein sehr eng zusammengezogenes Netzwerk von unregelm\u00e4ssiger Bildung, so dass die ungleichen Tlieile des engen Netzwerkes dem Unaufmerksamen wie Aggregate von Zellen erscheinen k\u00f6nnen, w\u00e4hrend sie doch nur Ungleichheiten und kleine Erweiterungen des Netzwerkes bei sehr engen Maschen sind. In anderen Theilen, wo das Netzwerk viel weitere Maschen hat, ist die netzf\u00f6rmige Bildung sogleich in die Augen fallend. Die St\u00e4rke des Durchmessers dieser Gef\u00e4sse in' den Netzen ist sehr verschieden, niemals aber sind sie so fein als die Capillargef\u00e4sse, und ich kenne keine Lymphgef\u00e4sse, welche nicht mit blossen Augen sichtbar w\u00e4ren. Am feinsten m\u00fcssten sie wohl in den Kiemen seyn, nach Fohmann\u2019s sch\u00f6ner Entdeckung und nach dessen Abbildungen. Dass es noch feinere Lymphgef\u00e4sse giebt, ist sehr unwahrscheinlich, weil eben die Lymphgef\u00e4ssnetze, wie wir sie jetzt kennen, nur sehr kleine Zwischenr\u00e4ume zwischen sich lassen.\n2)\tIn anderen F\u00e4llen sieht man die Anf\u00e4nge derselben nicht als Netze, sondern als mit einander zusammenh\u00e4ngende kleine, mehr oder weniger regelm\u00e4ssige Zellen, So waren die Lymphgef\u00e4ss-injectionen des Nabelstranges, die zweifelhaften Lymphgef\u00e4sse der Cornea, die ich gesehen. So fiel die Injection auch am Darmkanale aus, wenn ich beim Kalbe eines der mit Chylus gef\u00fcllten, am Darme hervorkommenden Lvmphgcf\u00e4sse gegen den Darm hin, um den Widerstand der Klappen zu \u00fcberwinden, durch eine Stahlspritze mit Quecksilber f\u00fcllte, was mir in einem 1\u2019 alle bei gewaltsamer Injection ziemlich gut gelang. Die grosse Menge der kleinen Zellen, die sich dann f\u00fcllen, f\u00fchrt auf den Gedanken, dass das Zellgewebe selbst der Anfang der Lymphgef\u00e4sse sey. Fohmann ist sogar der Meinung, dass Alles, was wir f\u00fcr Zellgewebe ansehen, Lymphgef\u00e4sse sind. Tiedemann Zeitschrift J. Physiol. 4. 2. Diess scheint mir noch sehr problematisch. Die Zellen werden dann besonders als Anf\u00e4nge der Lymphgef\u00e4sse zweifelhaft, wenn sie sich gerade vorzugsweise bei solchen Theilen vorfinden, in denen man sonst keine l\u00e4ngeren regelm\u00e4ssigen Lymphgef\u00e4sse antrilft, wie an dem Nabelstrange und der Cornea. Nergleichung gl\u00fccklicher und weniger gelungener In jectionen und eigene Versuche machen mich glauben, dass viele der sogenannten zellenf\u00f6rmigen Lyinphgef\u00e4ssanf\u00e4nge gar keine wahren Lymphgef\u00e4sse sind, und dass die Lvmphgef \u00e4ssauf \u00e4uge in der Regel","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262 I. Buell. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\nauch im dichtesten Zustande gedr\u00e4ngte, oft regelm\u00e4ssige Netze bilden. So gross meine Bewunderung der herrlichen Lymphge-f\u00e4ssinjcctionen des trefflichen Fohmann ist, die ich wiederholt im Museum zu Heidelberg gesehen, so sehr ich anerkenne, dass diese Arbeiten Ailes \u00fcbertreffen, was ich in dieser Art von Lymph-gef\u00e4ssen gesehen habe, -so weiss ich jedoch sehr gut einen Unterschied zwischen den vielen gelungenen Injectionen und einigen weniger guten zu machen, und hege den bescheidenen Zweifel, dass nicht Alles Lymphgef\u00e4sse sind, was man hei Injectionen erh\u00e4lt. So kann ich die von mir gesehenen Quecksilberanf\u00fcl-lungen unter der Conjunctiva corneae oder zwischen den Lamellen der Cornea nicht f\u00fcr Lymphgef\u00e4sse halten. ln Hinsicht der von Fohmann {Zeitschrift f\u00fcr Physiol. 4. 2.) beschriebenen Lymphgef\u00e4sse des Naheistranges hin ich ganz ungewiss. Ich in-jicirte nach Fohmann\u2019s Vorschrift den Nabelstrang, es gelang mir die Quecksilberinjection (mit einem Staldspritzchen) seihst am Naheistrange eines Gmonatiichen Foetus stellenweise, so dass ich die Injection aufbewahren konnte. Ich erhielt lauter kleine mit Quecksilber gef\u00fcllte Zellehen von j\u2014-t_ Mil lim. Diese Teilchen sind gewiss nicht k\u00fcnstlich gebildet, die meisten sind fast gleich gross, und aus einem Zellehen r\u00fcckt das Quecksilber in das andere ohne alle Extravasation. Der gr\u00f6sste Th ei l des Gewebes des Nabelstranges um die Blutgef\u00e4sse besteht aus ihnen. Nur an der Insertio umbilicalis des Naheistranges f\u00fcllten sich mehrere ganz kurze parallele Kan\u00e4lchen. Ich weiss nicht, oh jene Zellen Lymphzellen sind, und bezweifle, dass sie der Resorption dienen.\nDie Lymphgef\u00e4sse des Darmkanales entspringen im D\u00fcnndarm, zum Theil in den Darmzotten, aber auch in der ganzen Schleimhaut des Darmkanales. Bei Injection der Lympbgef\u00e4ss-netze der Schleimhaut des Darmes dringt kein Quecksilber hervor. Auch die Darmzotten haben keine offenen Enden, welche Lieberkueiin , Cruikshank, Hedwig und Bi.euland f\u00e4lschlich angenommen. Siehe Rudolphi, anatomisch-physiol. Abhandlungen Alb. Meckel in Meck. Archiv T. 5.\nEine wichtige Bemerkung w\u00e4re es, wenn der leichte Ueber-gang von Milch, der nach meinen Versuchen in die Lymphge-l \u00e4sse eines mit dem Gekr\u00f6se ausgeschnittenen frischen, mit Milch injicirten Darmst\u00fcckes erfolgt, ohne Zerreissung des innersten Darmh\u00e4utchens vor sich ginge. Wenn man ein ausgeschnittenes St\u00fcck Darm des Schaafes an einem Ende zubindet und mit einer Spritze dieses Darmst\u00fcck strotzend mit Milch f\u00fcllt, so erh\u00e4lt man sogleich die Lymphgef\u00e4sse des Darmes ausgedehnt von Milch, die sehr schnell in ihnen fortr\u00fcckt. Wenn man die Milch in den Lymphgef\u00e4ssen nach der Richtung der Klappen fortstreicht, so bemerkt man sogleich, wie die vom Darme kommenden Lymphgef\u00e4sse sich wieder f\u00fcllen, besonders wenn man den Darm com-primirt. Am schnellsten folgt die Anf\u00fcllung der Lymphgef\u00e4sse mit Milch, wenn man das strotzende Darmst\u00fcck durch Zusain-mendriieken in der L\u00e4ngenrichtung zu verk\u00fcrzen sucht, weniger, wenn man es von der Seite comprimirt. Nimmt man statt Milch","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Lymphgef\u00e4ssen. Ursprung der Lymphgefiisse. 263\neine feine Injectionsmasse von Zinnober, so f\u00fcllen sich dieLympb-gef\u00e4sse sehr schwer, und mit Quecksilber gar nicht. Mit einem vollkommen aufgel\u00f6sten Farbestolf, wie z. B. mit l\u00f6slichem Indigo, kann man unless auf diese Art sehr leicht Injcctionen der Lvmphgef\u00e4sse des Gekr\u00f6ses machen. Dieser von mir beobachtete schnelle Uebergang scheint aber jedesmal mit Zerreissung des innersten Darmh\u00e4utchens an einer Stelle zu erfolgen, denn die Anf\u00fcllung der Lymphgefasse erfolgt pl\u00f6tzlich, und bei Untersuchung der innersten Darmhaut findet man diese ott hier und da verletzt. Dem zufolge lege ich auch auf diesen leichten Uebergang, den ich nur beim Schaafe, aber bei keinem andern Thiere beobachtete, in der gegenw\u00e4rtigen Frage keinen Werth. Es bleibt indess immer zweifelhaft, ob die Chylusk\u00fcgelchen schon gebildet in die Lymphgefasse des Darmes eindrmgen, vorz\u00fcglich spricht daf\u00fcr die verschieden tr\u00fcbe Beschaffenheit des Cbylus nach Maassgabe verschiedener Nahrung. Nun fragt sich, wo sind OefFnungen f\u00fcr diesen Durchgang, die jedenfalls gr\u00f6sser seyn m\u00fcssten, als die in anderen weichen, thierischen Theilen vorauszusetzenden Poren, verm\u00f6ge welcher sie f\u00fcr Wasser und f\u00fcr Aufgel\u00f6stes permeabel sind; denn die Capillargefi'isse sind zwar permeabel f\u00fcr Fl\u00fcssiges und Aufgel\u00f6stes, aber nicht f\u00fcr die Blutk\u00f6rperchen. Alle guten Beobachter stimmen darin \u00fcberein, dass an den Darmzotten keine Spuren von Oeffnungen zu bemerken sind; und ich selbst habe bei wiederholten Untersuchungen der Darmzotten von Kaninchen, Kalb, Ochsen, Schwein und von der Katze nie eine Oeffnung an dem Ende der Darmzotten bemerkt. An dieser Stelle sind die Oeffnungen der Darmzotten jedenfalls fabelhaft.\nFolgendes ist das Resultat meiner mikroskopischen Untersuchung \u00fcber den Bau der Darmzotten. Die Zotten sind bald walzenf\u00f6rmige, bald bl\u00e4ttchenf\u00f6rmige, oft pyramidale, kurze Forts\u00e4tze der innersten Haut des Darmes von ' bis 1, h\u00f6chstens 1L Linien L\u00e4nge, welche ihr, im Wasser vergr\u00f6ssert, das Ansehen eines dichten Pelzwerkes geben. ln dieser Art kommen sic in der Regel nur beim Menschen, den meisten S\u00e4ugetbieren und vielen V\u00f6geln vor. Bei einigen Fischen bemerkt man etwas Aehn-liches, und bei einer Schlange, Python bivitatus, hat Retzius zottenartige Forts\u00e4tze der innersten Darmhaut beschrieben, welche man .schwerlich f\u00fcr etwMS Anderes halten kann, obgleich Ru-dolphi den Fischen und Amphibien wahre Zotten abspricht. Alb. Meckei, hat Unrecht, wenn er alle Zotten auf ein an der Basis breites, an der Spitze verschm\u00e4lertes Blatt redlichen will. Sie sind allerdings bei den meisten S\u00e4ugetbieren platt, wie beim Kaninchen, Hund, Schwein; allein beiin Kalbe, Ochsen, Schaaf sind viele Zotten walzenf\u00f6rmig; zuweilen findet man in einem Theile des Darmes mehr platte, in einem andern Theile desselben mehr walzenf\u00f6rmige Zotten, wie beim Ochsen und Schaafe, zuweilen stehen platte und walzenf\u00f6rmige vermischt, wie ebenfalls beim Ochsen und Schaafe, und hei denselben Thieren, besonders beim Schaafe bemerkt man oft an manchen Stellen platte, breite Zollen mit walzenf\u00f6rmigen Endzipfeln. Indem die Zotten","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Absolut, Lymphsystem.\nan tier Basis Breiter werden und in Fiiltclien Zusammenh\u00e4ngen, gehen sie in die F\u00e4ltchen \u00fcber, welche hei vielen V\u00f6geln und hei den Amphibien die Zotten ersetzen. Diesen Uebergang beobachtet man sogar an einem und demselben Thiere. Im obern Tlieile des D\u00fcnndarmes des Kaninchens sind die pyramidalen Zotten an der Basis in F\u00e4ltchen vereinigt, im mittlern Tlieile sind sie mehr abgesondert. Das Ende der Zotten ist bald rund, bald etwas zugespitzt, bald wie abgeschnitten, letzteres beim Hunde. Rudoi.piit glaubte fr\u00fcher, dass die Zotten ohne Blutgef\u00e4sse seyen, und A. Meckel hielt die in sie bei Injectionen ein-dringende Masse f\u00fcr imbibirt und extravasirt. A. Meckel, der sonst die besten Abbildungen der Zotten gegeben hat, konnte bei dieser Behauptung unm\u00f6glich gute Injectionen von Darmzotten vor sich gehabt haben. Ihre Gef\u00e4sse lassen sich nicht allein sehr sch\u00f6n injiciren, sondern ich habe einmal beim Kalbe, und sp\u00e4ter wieder beim Hunde, die ich unmittelbar nach dem Tode, ohne auszuwaschen, untersuchte, seihst noch Blut in den zarten Gelassen der Darmzotten mit und ohne Loupe gesehen. Doel-lunger, Seiler und Laut\u00bb haben diese Gef\u00e4sse nach Injectionen beschrieben und abgebildet.\nDie Zotten zeigen niemals am Ende eine Ocffnung, und die von Bleulakd u. A. angenommenen M\u00e4uler am Ende derselben geh\u00f6ren seit Rudolphls Widerlegung unter die Fabeln. Ihr Ende zeigt dasselbe zarte Gewebe, wie ihre ganze Oberfl\u00e4che. Rudol-phi bat unsere bisherigen Kenntnisse vom Bau dieser Theile mit folgenden Worten zusammengefasst: \u201eNiemals haben sie eine sichtbare Oeffnung, in ihrem Innern sind Netze von Blutgef\u00e4ssen, die sich aber selten anders, als durch Einspritzen darstellen lassen, so wie auch in ihnen die Netze der Saugadern anfangen.\u201c Ein wichtiger Umstand scheint mir, dass die Darmzotten zum Theil im Innern hohl sind, und aus einem \u00fcberaus zarten H\u00e4utchen bestellen, in welchem die Blutgef\u00e4sse verlaufen. Diese einfache H\u00f6hlung fand ich vorz\u00fcglich dann, wenn die Zotten walzenf\u00f6rmig sind. Ich ward zuerst sehr \u00fcberrascht bei einem ganz frisch untersuchten Darme vom Kalbe, dessen Lymphgef\u00e4sse weissen Chylus enthielten, zu sehen, dass die Zotten im Innern mit derselben weissen, undurchsichtigen Materie von oben bis unten gelullt waren. Sp\u00e4ter untersuchte ich den D\u00fcnndarm eines Kalbes, und fand die Zotten nicht mit weisser Materie angef\u00fcllt, sondern leer mul deutlich bohl, wie Rudolph: selbst einmal beim Ferkel beobachtet hat. Hier, wie ferner an den Zotten des Ochsen, konnte ich unter dem Mikroskope diese zarten Theile mit der Nadel aufritzen; auch beim Kaninchen glaubte ich die blattf\u00f6rmigen, etwas breiten Zotten hohl zu sehen. A, Meckel hat einmal einen Anschein von Hohlheit gesehen und abgebildet; aber f\u00fcr Umbiegung der Bl\u00e4ttchen erkl\u00e4rt, woran bei meinen Beobachtungen nicht zu denken ist. Die Dicke des H\u00e4utchens, woraus die Zotten beim Kalbe bestehen, habe ich durch Vergleichung zu 0,00174 P. Zoll ausgemittelt. In dieser Dicke verlaufen also die blutf\u00fchrenden Capillargef\u00e4sse der Darmzotten, die man auf 0,00025 bis 0,00050 P. Zoll sch\u00e4tzen kann. So leicht ich","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Lympligef\u00e4ssen. Bau der Dannzotten. 265\nmidi beim Kalbe, Ochsen, Schaafe und Kaninchen von der Hohlheit der Zotten \u00fcberzeugen konnte, und zwar an denjenigen Zotten, welche weniger platt und breit, sondern schmal oder gar walzenf\u00f6rmig waren, so wenig konnte ich es an den Zotten der Katze, des Schweines und des Hundes; die des Hundes scheinen nur in ihrem obern Theile hohl zu seyn ; auch die F\u00e4ltchen irn Darmkanale der Fische, wie des Aales, des Karpfens und der Clupea alosa, sind durchaus nicht hohl, sondern fest an einander liegende Duplicaturen. Auch die im Darmkanale des Schaafes an gewissen Stellen vorkommenden platten, breiten Zotten bestanden offenbar nicht aus einer einfachen H\u00f6hlung, eben so wenig, wie solche ganz breite Zotten im Darme des Kaninchens; und \u00fcberhaupt scheinen alle breiten, platten Zotten mehr, als eine einfache H\u00f6hlung, als Anfang der Lymphgef\u00e4sse zu enthalten. Die Darmzotten des Mensehen zeigten auf der hiesigen Anatomie bei einem Menschen, dessen Lymphgef\u00e4sse des Darmes bis in die Zotten mit w'eissem Chylus gef\u00fcllt waren, eine einfache H\u00f6hlung von oben bis unten, wie die mikroskopische Untersuchung von Henle und die von Schwahn ausgef\u00fchrte Injection dieser Zotten mit Quecksilber von den deutlich sichtbaren Lympligef\u00e4ssen der Mucosa bewies. Das Quecksilber f\u00fcllte die Zotten bis an die blinden Enden.\nMan kann etwas f\u00fcr hohle Zotten halten, was ganz davon verschieden ist. Diess ist eine Art Epithelium, wenn gleich von ausserordentlicher Zartheit. Rudolphi hat das Epithelium zuerst vom Dachs erw\u00e4hnt. Bei K\u00e4lbern und jungen Katzen ist es sehr leicht, sich zu \u00fcberzeugen, dass die Zotten von einem leicht abstreif baren, \u00fcberaus zarten, unorganisirten H\u00e4utchen \u00fcberzogen sind, welches sich wie ein Handschuh von den Zotten abl\u00f6st ; es ist sehr zart und zerreiblich. Um diess zu beobachten, darf man das Darmst\u00fcck nicht sehr auswaschen, weil es sich sonst von selbst l\u00f6st. Beim Ochsen ist es noch viel zarter und nicht leicht zu beobachten ; es w\u00e4scht sich wie eine schleimige Materie ab, an der man nur hier und da noch die Form der Zotten erkennt. Mit dem festen Epithelium anderer Schleimh\u00e4ute l\u00e4sst sich diess nicht vergleichen. Es ist keine epidermisartige Masse, sondern, wenn auch zusammenh\u00e4ngend hautartig, doch dem Schleime so verwandt, dass mir die Absonderung hier zwischen Epithelium und Schleim in der Milte zu stehen scheint.\nObgleich ich niemals am Ende der Zotten eine Oeffnung bemerkt habe, und obgleich ich bei fr\u00fcheren Untersuchungen niemals auf der ganzen Oberfl\u00e4che der Zotten kleine L\u00f6cherchen sehen konnte, so habe ich doch neulich-an sehr ausgewaschenen Darmst\u00fccken des Schaafes und Ochsens auf den W\u00e4nden der Darmzotten, und zwar auf der ganzen Oberfl\u00e4che der Zotten, \u00a3anz undeutliche zerstreute Gr\u00fcbchen bemerkt, die man wohl f\u00fcr schief durchgehende Oeffnungen halten k\u00f6nnte. Ich theile diese von mir wiederholte Beobachtung jedoch nur mit grosser Zur\u00fcckhaltung und viel Misstrauen mit. Die Untersuchung muss mit einem einfachen Mikroskope geschehen, und das kleine Ob-","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"26\u20186 I. Buch. Von den organ. Stiften etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\nject muss in Wasser \u00fcber einer schwarzen Unterlage beobachtet werden. Den Anfang der Lymphgef\u00e4sse in den Darmzotten kann man \u00fcbrigens in dem fr\u00fcher angef\u00fchrten Versuche beobachten. Spritzt man Milch in das Innere eines Darmst\u00fcckes vom Schaafe ein, bis sich die Lympbgefasse, wahrscheinlich durch Zerreissung des innersten H\u00e4utchens, pl\u00f6tzlich f\u00fcllen, so findet man hernach auch wohl die Darmzotten hier und da mit Milch gef\u00fcllt. Man muss den Versuch sehr oft anstellen, um eine zuf\u00e4lligerweise erfolgte Anf\u00fcllung der Darmzotten mit Milch zu erhalten, die wahrscheinlich nicht von der innern Fl\u00e4che der Zotten aus, sondern r\u00fcckw\u00e4rts von den durch Zerreissung angef\u00fcllten Lympbgef\u00e4ss-netzen erfolgt. Untersucht man solche mit Milch gef\u00fcllte Zotten mit dem Mikroskope, so glaubt man in den d\u00fcnnen walzenf\u00f6rmigen Zotten nur einen einfachen Kanal zu sehen: die breiten, platten Zotten enthalten mehrere unregelm\u00e4ssige anastomosirende, meistens aber von der Basis nach dem Ende der Zotte gerichtete Kan\u00e4le, welche hier blind endigen oder sich in die fingerf\u00f6rmigen Forts\u00e4tze der platten Zotten fortsetzen. Diese Kan\u00e4le in den platten Zotten liegen dicht an einander, wie ein sehr unregelm\u00e4ssiges Netzwerk; sie sind viel st\u00e4rker als die blutl\u00fch-renden Capillargef\u00e4sse zu seyn pflegen. Die Darmzotten, m\u00f6gen sie nun Oeffnungen haben oder nicht, k\u00f6nnen unm\u00f6glich die einzigen Organe der Einsaugung seyn, da sie so vielen Thieren fehlen. Diese Betrachtung f\u00fchrte mich zur mikroskopischen Untersuchung des H\u00e4utchens, von dem die Darmzotten ausgehen, und welches allen Thieren gemein ist.\nUntersucht man ein wohl ausgewaschenes St\u00fcckchen vom D\u00fcnndarme eines S\u00e4ugethieres, und die Beschaffenheit des H\u00e4utchens, welches die Zotten an der Basis verbindet, mit dem einfachen Mikroskope, so erkennt man ohne viele M\u00fche eine wunderbare Menge von sehr kleinen Oeffnungen, die ungef\u00e4hr 2 bis 3 Mal so gross als die Blutk\u00f6rperchen des Frosches, und 8 bis 12 Mal so gross als die der S\u00e4ugetliiere sind. Diese Oeffnungen stehen bei den S\u00e4ugethieren zuweilen so dicht an einander, dass die Br\u00fccken zwischen denselben kaum so dick als die Oeffnungen selbst sind. Meistens sind sie jedoch mehr zerstreut; in diesem Falle geben diese Vertiefungen dem innersten Dannh\u00e4utchen ein schwammiges, \u00fcberaus zartes Ansehen. Selbst die Basis der Zotten erscheint beim Schaafe und Ochsen wie durchl\u00f6chert. Es sind die Oeffnungen der mikroskopischen LiEBERKUEHN\u2019schen Dr\u00f6schen. Siehe Boehm de gland, intestinal, struct. Bered. JS35.\nGegen den Ursprung der Lymphgef\u00e4ssnetze aus mikroskopisch sichtbaren Oeffnungen sprechen des trefflichen Foiimann Beobachtungen, welcher bei den gelungensten Quecksdberinjectio-nen der Lymphgef\u00e4ssnetze in den Darmh\u00e4uten der Fische niemals Quecksilber aus der innern Fl\u00e4che des Darmkanales herauskommen sah. Dasselbe beweist die oben angef\u00fchrte, Schwann gelungene Injection einzelner Darmzotten des Menschen mit Quecksilber von den Lymphgef\u00e4ssen der Mucosa.\nDie Lymplulr\u00fcsen, weiche den V\u00f6geln last ganz fausser am Halse) fehlen, und bei den Amphibien und Fischen gar nicht","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Lymphgefiissen. Bau der Lymphdr\u00fcsen. 267\nvorhanden sind, scheinen hei V\u00f6geln, Amphibien und Fischen durch blosse Geflechte von Lymphgef\u00e4ssen ersetzt. Auch die Lymphdr\u00fcsen selbst bestehen nur aus netzf\u00f6rmigen Anastomosen und Verwickelungen der Lymphgef\u00e4sse. Die Vasa lympliatica inferentia einer Lymphdr\u00fcse theilen sich heim Eintreten in dieselben in kleine Zweige, und aus kleinen Zweigen bilden sich wieder die Vasa efferentia derselben, welche weniger zahlreich und etwas st\u00e4rker sind. Da aber beide im Innern der Lymphdr\u00fcse durch die Netze der Lymphgef\u00e4sse, woraus die ganze Dr\u00fcse besteht, anastomosiren, so kann man aus den ersteren die letztem durch diese Dr\u00fcsen hindurch mit Quecksilber f\u00fcllen. Die einfachen Lymphdr\u00fcsen sehen wie blosse Geflechte der Lymphgef\u00e4sse aus, eine mit Quecksilber gef\u00fcllte st\u00e4rkere Dr\u00fcse hat dagegen ein scheinbar zelliges Ansehen. Indessen scheinen auch diese Zellen nur kleine Erweiterungen geschl\u00e4ngelter Lymphgef\u00e4sse zu seyn, so wie auch die Lymphgef\u00e4ssnetze in anderen Thcilen, wenn man nicht auf die kleinen Maschen Acht giebt, h\u00e4ufig zellig aussehen. Hierf\u00fcr spricht auch das Fortschreiten des Quecksilbers beim Anf\u00fcllen der Dr\u00fcse. Es lassen sich wohl die entgegengesetzten Ansichten von Cruikshank, der hier Zellen annimmt, mit denen von Meckel, Hewson und Mascagni, welche sie f\u00fcr Erweiterung der Lymphgef\u00e4ssschlingen halten, vereinigen. Siehe \u00fcbrigens \u00fcber diese Controverse E. H. Weber Anatomie 3. p. 109 \u2014113. Dass die Lymphgef\u00e4sse in den Dr\u00fcsen, wie in anderen Thcilen, noch in ihren W\u00e4nden von Capil-largef\u00e4ssnetzen durchzogen sind., ist unzweifelhaft; selbst die Lymphgef\u00e4sse des Darmes haben nach Fohmann\u2019s Untersuchungen noch eine innere Haut bis in die Netze, und dass in den Darmzotten noch Capillargef\u00e4sse zahlreich enthalten sind, ist schon erw\u00e4hnt worden. Daher sind die Lymphgef\u00e4ssanf\u00e4nge immer noch als eine sehr zusammengesetzte Bildung zu betrachten, als Theile, deren W\u00e4nde blutf\u00fchrende Capillargef\u00e4ssnetze als Elemente enthalten. Die Lymphgef\u00e4sse ausser den netzf\u00f6rmigen Anf\u00e4ngen sind aus zwei H\u00e4uten gebildet, einer \u00e4ussern glatten und einer innern, welche Klappen bildet, die den Lauf der Lymphe gegen die Lymphgef\u00e4ssst\u00e4mme erleichtern und umgekehrt erschweren.\nNun ist zu untersuchen, ob die Lymphgef\u00e4ssanf\u00e4nge oder \u00fcberhaupt die Lymphgef\u00e4sse ausser der Verbindung des Lympb-gef\u00e4ssstammes, Ductus thoracieus, mit dem Venensystem noch mit anderen Kan\u00e4len Zusammenh\u00e4ngen.\nCruiksiiank, J. Fr. Meckel d. Aelt. und Panizza haben hei Injectionen der Ductus 1 actiferi der Milchdr\u00fcse und des Ductus hepaticus, auch das Quecksilber in die Lymphgef\u00e4sse \u00fcbergehen gesehen. Auch Walter erf\u00fcllte Lymphgef\u00e4sse durch Injection der Gallenkan\u00e4le der Leber. Hieraus darf man aber nicht schliessen, dass die Lymphgef\u00e4ssanf\u00e4nge mit den absondern-ilen Kan\u00e4len der Dr\u00fcsen in offener Verbindung stehen. Auch ich habe neulich bei Injection der Milchdr\u00fcsen des Hundes eine njection der umherllegenden Lymphgef\u00e4sse erhalten, allein diese eilolgte gerade dann, wenn die gl\u00fcckliche Injection der blas-","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Absehn. Lymphsystem.\nclienf\u00f6rmigen Enden der Ductus lactiferi nicht gelang; wenn also Extravasat entstanden war, das hierbei in keine Theile so leicht \u00fcbergeht als in die Lymphgef\u00e4sse, weil die Anf\u00e4nge derselben viel weiter als die Capillargef \u00e4sse sind. Wenn jener offene Zusammenhang wirklich best\u00e4nde, den Panizza l\u00e4ugnet, und der gewiss nicht stattfindet, so k\u00f6nnte er nur zwischen Lymphgef\u00e4s-sen und den St\u00e4mmchen der absondernden Kan\u00e4le stattfinden ; denn die netzf\u00f6rmigen Anf\u00e4nge der Lymphgef\u00e4sse sind ausserordentlich viel gr\u00f6sser als die blinden Anf\u00e4nge der absondernden Kan\u00e4lchen in den zusammengesetzten Dr\u00fcsen. Der Zusammenhang von Lymphgef\u00e4ssen und Arterien, wovon Magendie so nebenbei spricht, ist eben so wenig statthaft. Dagegen sind die Verbindungen der Lymphgef\u00e4sse mit kleinen Venen in der neuern Zeit wirklich durch Fohmann\u2019s Untersuchungen wieder Gegenstand der Controverse geworden. Bei den V\u00f6geln gehen nach Fohmann, Latjth und Panizza die Lymphgef\u00e4sse auf eine mit blossem Auge erkennbare Art in die Venen des Schenkels und Beckens \u00fcber. Ich werde in der Folge nach eigenen Beobachtungen den Zusammenhang der Lymphgef\u00e4sse des Schenkels beim Frosche mit der Vena ischiadica anf\u00fchren. Eine ganz andere Frage ist, ob einzelne Lymphgef\u00e4sse mit kleineren Venen Zusammenh\u00e4ngen. Fohmann behauptet dicss von den Lymphgef\u00e4ssen der V\u00f6gel, Amphibien und Fische, und bat es sogar abgebildet. Dass dieser Zusammenhang bei Menschen und S\u00e4ugethieren, welche Lymphdr\u00fcsen besitzen, ausser den Lymphdr\u00fcsen nicht stattfinde, erkennt Fohmann an. Lirri\u2019s Versicherungen und Abbildungen von einem solchen Zusammenh\u00e4nge verdienen nach der Kritik dieser Arbeiten durch Fohmann und Panizz.a kein besonderes Zutrauen. Lippi iliustrazioni \u00dfsiologiche e pathologiche del sistema Unfatlco-chilije.ro etc. Firenze 1825. Fohmann /. c. />. 4. Dagegen behauptet Fohmann, dass ein solcher Zusammenhang beim Mensel en und den S\u00e4ugethieren in den Lymphdr\u00fcsen stallfinde, wie ihn auch J. Fn. Meckel d. Aelt., Pu. F. Meckel, hei Quecksilberinjection der Lymphgef\u00e4sse beobachteten. Dieser auch von Beclard best\u00e4tigte Uebergang ist \u00fcberaus leicht, und man erh\u00e4lt nach Injection der Vasa inferentia einer Lymph-dr\u00fcse oft schon eine Anf\u00fcllung der aus den Dr\u00fcsen hervorgehenden Venen viel schneller als eine Anf\u00fcllung der Vasa cllc-rentia lymphatica der Dr\u00fcse. Diess hat indess Fohmann zu einer Irrung veranlasst. Er sah hei einer Phoca hei Injection der Vasa lymphatica inferentia jener Masse von Lymphdr\u00fcsen des Gekr\u00f6ses, welche man hier beim Hunde und Delphin Pancreas Asellii nennt, dass nur die Venen nach Injection der Dr\u00fcsenmasse, nicht aber Vasa lymphatica efferentia derselben sich f\u00fcllten, und schloss daraus, dass diese Dr\u00fcsenmasse keine solche besitze. Fohmann, anat. Untersuchungen \u00fcber die Verbindung der Saugadern mit den Venen. Ileidelb. 1821. Rosenthal (Fror. Not. 2. p. 5.) hat diess berichtigt. Er fand beim Seehunde, dass alle Lymphgef\u00e4sse des D\u00fcnndarmes in jene Dr\u00fcse gehen, dass aber aus der Dr\u00fcse ein grosses Lymphgef\u00e4ss hervorgeht, Ductus lio-senthalianus, w\u00e4hrend nach Rudolphi beim Hunde und beim","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"2, Von dem Lymphgefiisssystem. Verbindung mit Venen. 26!)\nDelphin aus jener Dr\u00fcsenmasse eine Menge Vasa efferentia lym-pliatica hervorgehen. Vergl. Rudolphi Physiologie 2. Ed. 2 Ablh. p. 241\u2014250. Rosekthal\u2019s Abbildungen, No\u00ab, act. not. cur T. 15. p. 2. Rosenthal\u2019s Beobachtungen sind von Knox (Edinh. med. surg. down. I. Juli 1824. Fboriep\u2019s Notizen N. 158.) best\u00e4tigt\nvvorden.\nIndessen bleibt es ein Factuin, dass die Venen sich \u00fcberaus leicht aus den Lymphdriisen f\u00fcllen. Auch Sciiroeder van der Kolk. sah diesen leichten Uebergang, ohne dass etwas in den Ductus thoracicus gelangte. Luchtmans de absorptionis saune et morbosae discrimine. Traject. ad Rhen. 1829. Panizza (p. 56.) sah beim Schweine eine Lymphdr\u00fcse mit zwei Vasa inferentia, das Quecksilber in eins derselben injicirt, ging ganz in die Vene der Dr\u00fcse, von dem andern Vas inferens ging dagegen das Quecksilber in das Vas efferens \u00fcber. Gerber und Alb. Meckel (J. Fr. Meckel\u2019s Archiv 1828. p. 172.) sahen auch den leichten Uebergang in die Venen. Allein A. Meckel bezweifelt die Beweiskraft, wie Ru-noi.pni und E. II. Weber, und f\u00fchrt als Gegengrund an, dass auch das Nebenhodengef\u00e4ss bei Injection desselben in Hunden regelm\u00e4ssig Venenanf\u00fcllung bewirke. Wenn ich die Extravasate in Venennetze bei Injection der Dr\u00fcsenkan\u00e4le von ihrem Ausf\u00fchrungsgange aus bedenke, Extravasation, die mir gerade dann erfolgte, wenn die vollkommene In|ection der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen bis in die Acini nicht gelang, wenn ich die Extravasation aus den Ductus lactiferi in die Lymphgef\u00e4sse bedenke, die auch dann erfolgt, wenn die Injection der Acini nicht gelingt, so zweifle auch ich sehr an dem wirklichen Zusammenh\u00e4nge der Lymphgef\u00e4sse und feinen Venen in den Dr\u00fcsen. Die geronnene Lymphe in den Dr\u00fcsen bietet dem Quecksilber Widerstand dar; es entsteht im Innern Zerreissung, und da die Lymphgef \u00e4ssw\u00e4nde seihst von Capillargef\u00e4ssnetzen durchzogen sind, die mit Venennetzen in Verbindung stehen, so muss die Zerreissung eines Lymphgef\u00e4sses im Innern der Dr\u00fcse nothwendig mit Zerreissung der Capillargef\u00e4sse und der Venennetze verbunden seyn. So dringen, wie E. H. Weber bemerkt, auch sehr leicht Fl\u00fcssigkeiten aus den Zweigen der Lungenarterie in die Luftr\u00f6hren\u00e4ste, ohne dass doch ein nat\u00fcrlicher Zusammenhang hier best\u00e4nde. Aus demselben Gesichtspunkte betrachte ich den Uebergang aus einer Ordnung der Gef\u00e4sse in die andere, aus Blutgef\u00e4ssen in absondernde Gef\u00e4sse und umgekehrt in den Dr\u00fcsen. Vergl. E. H. Weber Anatomie 3. 113\u2014121. Wenn ich aber jemals ausser einer Dr\u00fcse einen unmittelbaren Zusammenhang eines Lymphgef\u00e4sses mit einer feinen Vene s\u00e4he, so w\u00fcrde ich dieses als augenscheinlich zugehen, ohne den unsichtbaren Zusammenhang in einer Dr\u00fcse anzuerkennen. Da man indess diesen freien Zusammenhang von Lymphgef\u00e4ssen und feinen Venen von Menschen und S\u00e4ugethieren nicht kennt, so bleibt bei Menschen und S\u00e4u-gethieren bloss die Verbindung des Ilauptstammes der Lymphgef\u00e4sse mit der Vena subclavia sinistra, und kleiner St\u00e4mmchen mit der Vena jug. int. dextra und subclavia dextra. Andere Verbindungen mit Venenst\u00e4mmen scheinen hier nur Ausnahmen zu","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"2/0 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\nseyn, wie ein Fall, den Hr. Prof. Wutzer und icli Lei einer Leiche sahen, wo vorn Ductus thoracicus ein Lymphgef\u00e4ss unmittelbar in die Vena azygos \u00fcberging. Siebe Wutzer in Mueller\u2019s Archiv 1834. Diess verdient Aufmerksamkeit, da Panizza beim Schweine regelm\u00e4ssige Verbindung zwischen der Vena azygos und Zweigen des Ductus thoracicus gefunden bat. Vergl. Otto path. Anat. 366.\nb. L y m p h h e r z c n der A m p li i b i e n.\nDie Lymphherzen der Amphibien sind im Jahre 1832 entdeckt worden. Es sind niuscul\u00f6se S\u00e4ckchen, welche die Lymphe in die vorderen und hinteren Hauptst\u00e4mme der Venen eintreiben. Die Amphibien haben in der Regel 4 Lymphherzen, zwei vordere und zwei hintere; beim Frosch liegt das hintere Lymph herz jeder Seite in der Regio ischiadica unter der Haut, das vordere mehr verborgen \u00fcber dem Querfortsatz des dritten Wirbels. Die Organe pulsiren ganz unabh\u00e4ngig vom Herzen, seihst nach Ausschneidung desselben und Zerschneidung des ganzen Frosches, die Pulsationen der oberen sind nicht immer gleichzeitig mit den Pulsationen der unteren, und selbst die der paarigen Organe beider Seiten sind nicht immer gleichzeitig. Sie ziehen sich circa 60 Mal in der Minute zusammen. Die pulsirenden Organe enthalten farblose Lymphe, und man kann von ihnen aus die Lymphgef\u00e4ssst\u00e4mme und Lymphr\u00e4ume der Extremit\u00e4ten aufblasen. Bl\u00e4st man in das untere Lymphherz, so f\u00fcllen sich die Lymphgef\u00e4ssst\u00e4mme und Lymphr\u00e4ume des Schenkels unter der Haut und zwischen den Muskeln, und ein oberfl\u00e4chlicher Lyrnph-gang des R\u00fcckens. Einigemal f\u00fcllte sich ein feinh\u00e4utiger Gang, der die Aorta abdominalis begleitete. Beim Aufblasen der oberen Lymphherzen schwellen Lymphr\u00e4ume der Achsel an. Die unteren Lymphherzen ergiessen die Lymphe in einen Zweig der Vena ischiadica. Die oberen Lymphherzen fergiessen die Lymphe in einen Zweig der Vena jugularis, der vorn aus dem Organe hervorgeht, und bei jeder Zusammenziehung des Organes angeschwellt wird. Diese Vene geht vorw\u00e4rts, nimmt eine Vene des Hinterkopfes auf, die Vena jug. geht dann abw\u00e4rts, nimmt eine Vene von der Kehle auf und m\u00fcndet nun in die obere ilohlvene. Diese Organe scheinen allen Amphibien eigen zu seyn. Die unteren habe ich schon ausser dem Frosche und den Kr\u00f6ten, bei den Salamandern und Eidechsen gefunden, wo sie an der Wurzel des Schwanzes seitw\u00e4rts hinter dem Darmbein liegen und schwieriger zu finden sind, dagegen sie beim Frosche sogleich unter der Haut gefunden werden. Die oberen Organe habe ich bis jetzt bloss in froschartigen Thieren aufgesucht. Mueller, Poggend. Ann. 1832. Hfl. 8. Philosophic. Transact. 1833. p. 1. Panizza hat die unteren pulsirenden Lymphherzen auch bei den Schlangen gefunden. Siebe Mueller\u2019s Archiv 1834. p. 300. lieber den Bau derselben und \u00fcber ihre Wirkung als Saugwerke siehe E. Weber in Mueller\u2019s Archiv 1835, p. 535.","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"3. Actionen der Lymphgef\u00e4sse.\n271\nIII. Capitel. Von den Actionen der lymphatischen\nG e f \u00e4. s s e.\nW\u00e4hrend das Blut durch die Capillargef\u00e4sse oder Ueberg\u00e4nge der Arterien in Venen von 0,00025\u20140,00050 P. Zoll fliesst, gehen die Blutk\u00f6rperchen, indem sie einen Belebenden Einfluss auf die Organtheilehen, an denen sie Vorbeigehen, aus\u00fcben, und dabei dunkclroth werden, sichtbar in die Venen \u00fcber, die aufgel\u00f6sten ganz fl\u00fcssigen Theile des Blutes aber, n\u00e4mlich das aufgel\u00f6ste Eiweiss und der aufgel\u00f6ste Faserstoff, k\u00f6nnen w\u00e4hrend des Durch-str\u00f6mens der Capillargef\u00e4sse, wie alles Aufgel\u00f6ste, durch die zarten W\u00e4nde der Capillargef\u00e4sse zum Tbeil wenigstens durchdringen und die Partikeln der Organtheile zwischen den Capillarge-f\u00e4ssnetzen tr\u00e4nken, wobei diese aufgel\u00f6sten Theile des Blutes zur Ern\u00e4hrung und Absonderung verwandt werden m\u00fcssen. Daher das von den Organen abfliessende Venenblut weniger Faserstoff (siehe p. 110.) enth\u00e4lt, indem derselbe im Arterienhlute 0,483 proc., im Venenblute der Ziege 0,395 proc. nach meiner Beobachtung betr\u00e4gt. Die aufgel\u00f6sten Theile des Blutes, Eiweiss und Faserstoff, werden also in Menge die kleinsten Theilchen der Organe tr\u00e4nken, zu ihrer Ern\u00e4hrung dienen, und was \u00fcberfl\u00fcssig ist, wird in den \u00fcberall in den Interstitien der Organtheile vorkommenden Lymphgef\u00e4ssnetzen sich sammeln, ohne dass ein unmittelbarer Uebergang aus den Capillargef\u00e4ssen in die Lymphgef\u00e4sse durch Vasa serosa, die keine Blutk\u00f6rperchen durchiassen, n\u00f6tbig oder erwiesen w\u00e4re. Die zur Ern\u00e4hrung \u00fcberfl\u00fcssigen, rein aufgel\u00f6sten Theile des Blutes werden daher durch die Lymphgef\u00e4sse wieder in die Blutmasse gebracht. Nat\u00fcrlich muss nun die Lymphe, in Hinsicht ihrer Zusammensetzung, ganz mit dem fl\u00fcssigen Theile des Blutes \u00fcbereinstimmen, und das Blut seihst aus Lymphe (aufgel\u00f6ster Faserstoff und Eiweiss) und rothen K\u00f6rperchen bestehen. Dass die, von den Organen durch die Lymphgef\u00e4sse abgef\u00fchrte Lymphe grossentheils ihren Ursprung aus den die Gewebe tr\u00e4nkenden fl\u00fcssigen Theilen des Blutes hat, und nicht ganz neu gebildet wird, wird aus der von mir gemachten, leicht zu wiederholenden Beobachtung bewiesen, dass, wenn das Blut der Fr\u00f6sche nicht gerinnt, jedesmal auch ihre Lymphe nicht gerinnt, und wenn ihr Blut gerinnt, jedesmal auch ihre Lymphe gerinnt. So gerinnt das Blut des Frosches oft im Sommer nicht, wenn die Fr\u00f6sche S oder mehr Tage ausser Wasser aufbevvahrt werden, dagegen es frisch, ohne Ausnahme ausser den Adern ganz gerinnt. Ganz so verh\u00e4lt es sich jedesmal mit der Lymphe der Lymph-r\u00e4ume des Frosches. Der eigenth\u00fcmliche Zustand oder der Mangel des Faserstoffes im Froschblute zu gewissen Zeiten bestimmt also durchaus denselben Zustand des Faserstoffes oder den Mangel desselben in der Lymphe.\n1) Resorption der lymphatischen Gefiisse.\nDass die Lymphgef \u00e4sse oder Saugadern wirklich auch auf-saugen, k\u00f6nnte man zuerst f\u00fcr zweifelhaft halten, wenn die","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Absclin. Lymphsystem.\nLymphe nicht nach meinen Beobachtungen auch eigenlh\u00fcmliche Partikelchen f\u00fchrte, wenn die Resorption durch die Lymphge-fassc des Darmkanales nicht eine ausgemachte Thatsache w\u00e4re, und die weisse oder mehr opalartige Farbe des Chylus sich nicht nach den Nahrungsmitteln \u00e4nderte. Indessen kennt man auch einige Thatsachen von Aufsaugung von Stoffen durch andere Lymphgef\u00e4sse als die des Darmkanales. Nicht allein dass die Lymphgef\u00e4sse nach Einreibungen reizender Stoffe oft schmerzhaft werden, worauf r\u00f6thliche Streifen im Verlaufe der Lymphgef\u00e4sse zuweilen sich zeigen und die benachbarten Lyrnpbdr\u00fcsen anschwellen. Auch in der N\u00e4he eigenth\u00fcmlicher thierischer Stoffe hat man die Lymphgef\u00e4sse damit angef\u00fcllt gesehen. Ich will keinen Werth auf Mascagni\u2019s in dieser R\u00fccksicht etwas abenteuerliche Behauptungen legen, dass man bei Thieren, die in Folge von Pulmonal- oder Abdominal-flaemorrhagien gestorben, die Lymphgef\u00e4sse der Pleura und des Peritoneums mit Blut gef\u00fcllt gesehen. Assalini, Saunders, Mascagni und Soemmerring beobachteten Galle in den von der Leber kommenden Lymph-gef\u00e4ssen bei Verstopfung der Galleng\u00e4nge. Weber Anal. 3. p. 123. Tiedemann und Gmelin fanden nach Unterbindung des Ductus clioledochus bei Hunden die Lymphgef\u00e4sse der Leber mit hochgelber Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllt, die Lymphdr\u00fcsen, zu welchen sich jene begeben, gelb, und Bestandtheile der Galle selbst in der gelb gef\u00e4rbten Fl\u00fcssigkeit des Ductus thoracicus. Die Verdauung nach Versuchen. 2. 40. Jn der N\u00e4he von Knochengeschw\u00fclsten fand man in den Lvmphgef\u00e4ssen Kalkerde. Otto palhol. Anal. 1. 372.\nMagendie, welcher die Resorption der lymphatischen Gef\u00e4sse bezweifelt, erz\u00e4hlt einen von Dupuytren beobachteten Fall. Eine Frau, welche eine ungeheure fluctuirende Geschwulst an der in-nern Seile des Schenkels hatte, starb. Einige Tage vor ihrem Tode hatte sich eine Entz\u00fcndung des Unterhautzellengewebes an dem Schenkel eingestellt. Bei der Section der Haut, welche die Geschwulst bekleidete, sah Dupuytren sich weisse Punkte auf den Lippen des Einschnittes bilden, und es zeigten sich weisse Linien in dem Unterhautzellengewebe, die man f\u00fcr mit Eiter gef\u00fcllte Lymphgef\u00e4sse erkannte. Die Schenkeldr\u00fcsen waren mit derselben Materie angef\u00fcllt, wovon die Lendenlymplidr\u00fcsen und der Ductus thoracicus keine Spur zeigten. Magendie citirt auch einen anderen Fall aus dem H\u00f4tel Dieu, wo sich in Folge einer com-plicirten Fractur ein grosser Abscess gebildet hatte, und Eiter sich in den Venen und Lymphgel'\u00e4ssen zeigte, die von dem kranken Tlieile her kamen. Pr\u00e9cis de physiol. 2. 218. Dagegen sah Andral bei h\u00e4ufigen Untersuchungen der Lymphgef\u00e4sse in der Umgegend der Eiterheerde keine mit Eiter gef\u00fcllt. Meck. Arch. 8. 227. Da der Eiter K\u00fcgelchen enth\u00e4lt (gr\u00f6sser als die Blutk\u00f6rperchen, zum Theil noch einmal so gross nach Weber), so tritt hier dieselbe Frage ein, wie in Hinsicht der Resorption der K\u00fcgelchen des Chylus, welche ihrem Durchmesser entsprechende Oelfnungen in den Lymphgef\u00e4ssnetzen voraussetzen. Indessen die Lymphgef\u00e4sse, die im Parenchym der Xheile wurzeln, k\u00f6n-","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"3. Actionen der Lymphgef\u00fcsse. Resorption.\n273\nnen nicht einmal solche Oeffnungen haben, da sich ihnen keine freie Oberfl\u00e4chen darbieten. Die aufgel\u00f6sten Theile des Eiters k\u00f6nnen leicht von den Lymphgef\u00e4ssnetzen aufgesogen werden, aber die Erscheinung des k\u00f6rnigen Eiters in den Lympbgef\u00e4ssen scheint mir nichts mit der Aufsaugung zu tlmn zu haben; durch Entz\u00fcndung der Lymphgefasse kann sich Eiter in ihnen bilden, auch nach Zerst\u00f6rungen kann der Eiter ganz mechanisch diese Gef\u00e4sse infiltriren. Wenn sich Eiter im Blute vorlindet, z. B. in den Venen, so ist er in der Regel in den Venen durch Venenentz\u00fcndung gebildet, und dann nicht aufgesogen, oder hei der Zerst\u00f6rung von Capillargefassen eines Theiles durch Eiterung ist der Eiter mechanisch in die zerst\u00f6rten kleinen Venen eingedrungen. So z. B. kann Eiter aus verschlossenen Abscessen an einem Amputationsstumpf in Blutgef\u00e4sse gelangen, ohne aufgesogen zu werden, oder hei der Entz\u00fcndung der bei der Amputation durchschnittenen Gef\u00e4ssst\u00e4mme kann sich im Innern der Gef\u00e4sse Eiter bilden. Wirklicher Eiter in den Venen verursacht dann als zersetzte Materie wieder Ablagerung und Entz\u00fcndung, und dadurch die Entstehung neuer Abscesse in anderen Theilen, wie man diess nach grossen Eiterungen und bei eiternden Amputationswunden nicht selten sieht, auf welche z. B. oft zerstreute Abscesse der Leber und Lungen, der Muskeln oder irgend eines andern Theiles folgen. Dieser Eiter ist nicht aufgesogen, das w\u00e4re schwer sich zu denken. Siehe die trefflichen Bemerkungen von Cruveilhier in anat. pathol. hei dem Artikel Venenentz\u00fcndung. Die Folgen von Eiter im Blute sind secund\u00e4re Entz\u00fcndungen und wieder Abscesse, aber keine eiterigen Absonderungen, z. B. in den Nieren. Dass k\u00f6rniger Eiter, in der Blutmasse enthalten, in den Nieren abgesondert werde, halte ich f\u00fcr unm\u00f6glich. Nur die n\u00e4heren Bestandtheile des Eiters k\u00f6nnen hierbei abgesondert werden; Eiterk\u00fcgelchen im Blute k\u00f6nnen nicht aus dem Blute abgesondert werden, da die Capillargef\u00e4sse keine Art von K\u00fcgelchen durchlassen k\u00f6nnen. Wird wirklich in Folge einer Eiterung eines Theiles pl\u00f6tzlich auch Eiter von den Nieren abgesondert, so musste Eiter in das Blut eingedrungen seyn, und Entz\u00fcndung und Abscesse in den Nieren bewirkt haben. Was man mehrentheils f\u00fcr metastatischen Eiterharn h\u00e4lt, ist ein nicht untersuchtes Sediment im Harne.\nHunter hatte behauptet, dass gef\u00e4rbtes Wasser in die Darmh\u00f6hle eines Thieres eingespritzt, sich in kurzer Zeit in den Lympbgef\u00e4ssen wieder zeige. Diess hat Flandrin bei Pferden nicht gefunden. Magendie und Dupuytren haben, wie der Er-stere versichert, diese Versuche mehr als 150 Mal wiederholt, und niemals die aufgesogenen Substanzen in den Lympbgef\u00e4ssen gefunden. Dagegen haben Mayer und Schroeder v. d. Kolk. die zwar langsame, aber doch offenbare Resorption von fremdartigen Stoffen im Darmkanal beobachtet. Die Akademie von Philadelphia sah blaus. Kali (aber nicht vegetabilische F\u00e4rbe-stolfe), Lawrence und Coates blaus. Kali aufgesogen ; Halle und Andere fanden .nach Eingeben von F\u00e4rbestoffen in dem Ductus thoracicus diese nicht wieder, w\u00e4hrend sie ins Blut und den M ii 11 e r\u2019s Phy fiio\u00eeo\u00eefie, !.\tis","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274 J. Buch. Von den organ. Siiften etc. III. Abschi. Lymphsystem.\nKreislauf \u00fcbergegangen waren. Vergl. Tiedemann und Gmet.tn Versuche \u00fcber die Wege, auf welchen Stoffe vom Magen und Darmkanal ins Blut gelangen. Heidelberg 1820.\nDie meisten Beobachtungen lehren, dass man zwar Resorption fremder aufgel\u00f6ster Stoffe, aber nur der Salze durch die Lymphgef\u00e4sse bemerkt bat. Ich habe pag. 240. Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s zahlreiche Erfahrungen angef\u00fchrt, aus welchen hervorgeht, dass F\u00e4rbestofFe im Darm nicht von den Lymphgef\u00e4ssen aufgenommen werden, obgleich diese Sloffe im Urin und im Blut erkannt wurden. Nur Salze fanden sie einigemal in den Chylus \u00fcbergegangen, so unter zahlreichen Versuchen nur ein Mal etwas Eisen hei einem Pferde, das schwefelsaures Eisen bekommen, und einmal blausaures Kali im Chylus eines Hundes und schwefelblausaures Kali im Chylus eines Hundes. Hierzu kann ich eine eigene Beobachtung vom Frosch hinzuf\u00fcgen. Ich steckte einen Frosch mit den Beinen bis nahe an den After in ein Gef\u00e4ss mit blausaurer Kalil\u00f6sung, und liess ihn darin 2 Stunden eingezw\u00e4ngt, Darauf wusch ich ihn sorgf\u00e4ltig, trocknete die Beine ah, und untersuchte die Lymphe unter der Haut durch Eisenoxydsalz, oh blausaures Kali durch die Lymphgef\u00e4sse absorbirt worden; die Lymphe wurde sogleich ganz hellblau, das Serum des Blutes reagirte kaum deutlich auf blausaures Kali. In einem zweiten Versuch, wo ich den Frosch 1 Stunde in der L\u00f6sung liess, reagirte die Lymphe nicht.\nFasst man alle Thatsaclien zusammen, so geht daraus hervor, dass die Lymphgef\u00e4sse zwar resorbiren, dass sie in der Regel nur Fl\u00fcssigkeiten eigenth\u00fcmlicher Art hierbei aufsaugen, gegen welche sie wahrscheinlich eine Affinit\u00e4t haben, dass fremdartige Stoffe schwer und nur ausnahmsweise in die Lymphgef\u00e4sse ein-dringen, wie Salzl\u00f6sungen, w\u00e4hrend die meisten F\u00e4rbestofFe in der Regel gar nicht einmal in die Lymphgef\u00e4sse eindringen. Das gew\u00f6hnliche Resorptionsprodukt der Lymphgef\u00e4sse ist der hei der Circulation aus den Capiliargef\u00e4ssen in die Partikeln der Organe eindringende Liquor sanguinis. Indessen gehen doch auch kleine Molecule aus dem Parenchyma der Theile in die Lymphgef\u00e4sse \u00fcber, wie die eigent\u00fcmlichen K\u00fcgelchen der Lymphe, so wie die Lvmphgef\u00e4sse des Darms nicht allein Aufgel\u00f6stes aus den Nahrungsstoffen, sondern seihst die Cbylusk\u00fcgelchen aufzusaugen scheinen. Man sieht, dass die organische Resorption der Lymphgef\u00e4sse weit von der Imbibition der Capillargef\u00e4sse mit allen aufgel\u00f6sten fremdartigen Stoffen verschieden ist;.sie unterscheidet sich auch von der Bcsorption der Wurzelfasern der Pflanzen, welche alles Aufgel\u00f6ste einsaugen. Tiedemann Physiol. 1. 223.\nAus der Vergleichung des Chylus der Lymphgef\u00e4sse und des Speisehreies des Darmkanals ergiebt sich sogleich schon, dass die Lymphgef\u00e4sse nicht allein resorbiren, sondern auch das Resor-hirte umwandeln; denn nur wenn der Nahrungsstoff in den Lymphgef\u00e4ssen enthalten ist, erh\u00e4lt er die Eigenschaft von seihst, zum Th eil zu gerinnen, und je weiter er in den Lymphgef\u00e4ssen fortschreitet, nimmt diese Eigenschaft zu. Vielleicht verwandeln auch die Lymphgef\u00e4sse des \u00fcbrigen K\u00f6rpers Eiweiss in gerinnbare Ma-","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"275\n3. Actionen der Lymphgef\u00e4sse. Resorption.\nterie. Man sieht jedenfalls ein, dass hierin die organische Resorption der Lymphgef\u00e4sse durchaus von der Imbibition und dem unmittelbaren Uebergange der aufgel\u00f6sten Stoffe in das Blut verschieden ist. Es ist wahrscheinlich, wie E. H. Weber zu zeigen gesucht hat, dass die Lymphgef\u00e4sse auch hei der Resorption fremdartiger Stoffe eine Umwandlung derselben bestreben. So hat Emmert beobachtet, das man nach Unterbindung der Aorta abdominalis durch das Gift der Angustura virosa, welches in eine Wunde des Fusses gebracht wurde, Thiere nicht vergiften konnte, und dass nach dieser Unterbindung auch Blaus\u00e4ure, auf dieselbe Weise applicirt, keinen Erfolg hatte. Da nun diese Gifte durch Imbibition auch in die Lymphgef\u00e4sse gelangen k\u00f6nnen, und durch sie, obgleich langsamer als durch die Blutgef\u00e4sse verbreitet werden, so muss man zur Erkl\u00e4rung dieser Beobachtungen anneh-men, dass die Lymphgef\u00e4sse auch hei der Resorption fremdartiger Stolle dieselben umwandeln.\nIch gestehe, das mir der Act der Resorption in anderen Thei-len sowohl, als im Darm v\u00f6llig r\u00e4thselhaft ist. Die Capillarit\u00e4t, mit welcher man zur Erkl\u00e4rung thierischer Vorg\u00e4nge so freigebig ist, erkl\u00e4rt nur die Anf\u00fcllung von Capillarr\u00f6hren, wenn diese leer sind, oder wenn sie abwechselnd leer werden; sie erkl\u00e4rt aber nicht das Aufsteigen der S\u00e4fte. Als ich die Lymphgef\u00e4sse des Gekr\u00f6ses durch Ausdehnung der Darmw\u00e4nde mit injicirter Milch gef\u00fcllt sah, glaubte ich augenblicklich, mir die Resorption im Darmkanal erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen. Von dieser Idee kam ich aber sogleich zur\u00fcck, als ich bedachte, wie gering die Zusammenziehungen der Ged\u00e4rme sind, w'elche man hei unmittelbarer Oeflnung des Bauches findet, und dass die d\u00fcnnen Ged\u00e4rme meistens col-labirt erscheinen. Noch mehr kam ich von dieser Ansicht zur\u00fcck, als ich einsah, dass meistens, und vielleicht immer, diesen ln-jectionen eine Zerreissung des innersten Darmh\u00e4utchens vorausgeht. Bei der Resorption muss irgend eine Anziehung stattfinden. Sind einmal die Lymphgef\u00e4sse bis \u00fcber die Muskelhaut gef\u00fcllt, so muss auch die schw\u00e4chste Contraction des Daims den Chylus weiter treiben, indem die zwischen den Fasern der Muskelhaut verlaufenden Lymphgef\u00e4sse comprimirt werden. Jede Compression der Lymphgef\u00e4sse bewirkt aber eine Bewegung des Chylus nach der Cisterna chyli, wegen des Baues der Klappen in den Lymph-gef\u00e4ssen. Die einmal entleerten Lymphgef\u00e4ssnetze m\u00fcssen sich, wenn die Zusammenziehung eines Darmst\u00fccks nachl\u00e4sst, wegen Entstehung leerer R\u00e4ume f\u00fcllen. Alles diess kann aber nicht einmal in anderen nicht contrabirbaren Tlieilen stattfinden; und hei den Fischen fehlen die Klappen der Lymphgef\u00e4sse. Es ist daher wahrscheinlich, dass hierbei noch eine andere Art von Anziehung stattfindet; und es bleibt nicht zweifelhaft, dass diese keine physikalische, z. B. Capillarit\u00e4t, sondern eine noch unbekannte orga^ tusche Anziehung ist. An den Zotten seihst habe ich durchaus keine Bewegungen gesehen, als ich bei einem lebenden Kaninchen den Darm aufschnitt und die innere Fl\u00e4che desselben in warmem Nasser beobachtete. Auch habe ich nie, weder an den Lvmph-gef\u00e4ssen des Gekr\u00f6ses, noch an der Cisterna chyli, noch am Ductus\niS*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Ahschn. Lymphsystem.\ntlioracicus, irgend eine Spur von Bewegung gesellen; auch als ich aut' den Ductus tlioracicus einer m\u00f6glichst schnell lebendig ge\u00f6ffneten Ziege eine starke galvanische Saale wirken Hess, sah ich keine Zusammenziehung, est nach einiger Zeit schien der Gang an dieser Stelle etwas enger, und zeigte mehrere ganz unbedeutende Einschn\u00fcrungen.\nDa die Resorption der lymphatischen Gef\u00e4sse hei den Tliie-ren in so grosses Dunkel geh\u00fcllt ist, so scheint es mir zweck-massig, die Gesetze dieses Processes hei den Pflanzen zu untersuchen. lu keinem Punkte gleichen sich vielleicht die Pflanzen und Thiere so sehr, als in dem Aufsteigen der Stifte von den Resorptionsfl\u00e4chen in den lymphatischen Gef\u00e4ssen hei den Thie-ren, und dem Aufsteigen der Stifte in den Gef\u00e4ssen der Pilatjzen.\nDuTitocuET hat bewiesen; dass die Organe, welche das Fr\u00fchlingsaufsteigen der S\u00e4fte in den Pflanzen bewirken, die Endtheile der Wurzeln sind, und dass die ganze Kraft, mit welcher der Saft emporgetrieben wird, a tergo von der Wurzel aus wirkt. Dutrochet schnitt an einer Weinrebe von 2 Meter L\u00e4nge das Ende ah, und \u00fcberzeugte sich, dass die verk\u00fcrzten Stengel den Saft fort und fort ununterbrochen ergossen. Die Etrsache des Aufsteigens ist also keine Attraction von dem obern Theil der Pflanze auf die Stifte im untern Theil des Stengels. Darauf schnitt er die Rebe \u00fcber der Erde ab, w\u00e4hrend er das obere Ende des abzuschneidenden St\u00fccks beobachtete. Im Moment des Durchschnittes h\u00f6rte das Austliessen aus dem obern Ende der abgeschnittenen R.ebe auf. Die Ursache des Aufsteigens liegt also auch nicht im Stengel. In der That ergoss das St\u00fcck des Stengels, das noch mit den Wurzeln in Verbindung stand, ununterbrochen noch immer Saft; Dutrochet entfernte darauf die Erde um die Wurzeln, und durchschnitt diese. Die untern St\u00fccke der Wurzeln ergossen noch immer Saft, und so schritt er mit dem Abschneiden nach abw\u00e4rts fort, wobei er immer fand, dass die unteren Theile noch immer Saft ergossen, bis er an die Wurzelenden selbst gelangte, die daher, indem sie der Sitz der best\u00e4ndigen Ricsorption sind, zugleich durch die best\u00e4ndige Aufnahme der S\u00e4fte das Aufsteigen der schon resorbirten S\u00e4fte bedingen. Dutrochet setzte eine der Radicellen, die mit einem weisslichen Conus enden, mit dem Ende in Wasser, und beobachtete mit der Loupe, dass der Durchschnitt sich mit Wasser bedeckte, das durch das Centralsystem austrat. Dutrochet l\u2019agent imm\u00e9diat du mouvement vital. Paris 1826. 90. Die Aufsaugung der Stolle verm\u00f6ge der Wurzeln durch die blossen Wurzelspitzen haben schon De la Baisse und Hales gezeigt. Hales tauchte die Spitze einer Raumwurzel in Wasser, womit eine Glasr\u00f6hre gelullt war, und fand, dass die Wurzel in 6 Minuten eine merkliche Menge von dem Wasser eingesogen hatte. Agardh allgemeine Biologie der PJlanzen. Greifswald 1832. p. 9.\nDiese Wurzelenden sind die Organe, welche de Candolle Spongiola nennt. Agardh bemerkt, dass die Wurzelspitze dem \u00fcbrigen Theile der Wurzel sonst nicht ungleich organisirt ist, als dass die Zellen klein und dadurch geh\u00e4uft sind, obgleich diesel-","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"3. Actionen der Lymphgef\u00e4sse. Resorption.\nill\njjen Zellen, welche in diesem Augenblick klein und geh\u00e4uft sind, und dadurch einsaugen, nach einiger Zeit ausgewachsen sind, und nicht einsaugen, indem sie diese I* unction neu entstandenen Zellen \u00fcberlassen, welche sp\u00e4ter und unterhalb ihrer gebildet werden. Die Spongiola oder Papilla saugt \u00fcbrigens nur Wasser und in diesem aufgel\u00f6ste Stoffe ein.\nAgardu erkl\u00e4rt das Aufsteigen der S\u00e4fte aus einer polarischen T\u00e4tigkeit der Wurzeln und der Bl\u00e4tter, indem die er-steren S\u00e4fte anziehen, die letzteren Stoffe ausbaueben, und h\u00e4lt diesen Act f\u00fcr etwas weiter Unerkl\u00e4rliches, gleichwie die polarische Action des Magnetes. Diese Erkl\u00e4rung l\u00e4sst sich jedenfalls nicht auf die Thiere' anwenden, wenn ich mich jener Sprache bedienen soll, da hier nur das eine Moment in den Anf\u00e4ngen der Lymphgef\u00e4sse existirt, anderseits die Lymphe aber in das Blut \u00fcbergeht. Dagegen ist es von grossem Interesse f\u00fcr uns, zu wissen, dass, wie De u Baisse, I1at.es und Dutrochet zeigten, das Aufsteigen der S\u00e4fte in den Pflanzen allein schon durch die Th\u00e4-tigkeit der Wurzel und der Spongiola, n\u00e4mlich durch ihre best\u00e4ndige Resorption geschehen kann.\nObgleich die Darmzotten keine zur Aufsaugung durch Lymph-gef\u00e4sse \"n\u00f4thigen Organe sind, vielmehr die lymphatische Resorption durch die netzartigen Lympligef\u00e4ssanfange in den meisten Theilen ohne Zotten, ja bei vielen Thieren selbst im Darm ohne Zotten geschieht, so kann man doch die Zotte mit der Spongiola der Wurzeln vergleichen; nur muss man bedenken, dass auch in den Zotten die Anf\u00e4nge der Lymphgef\u00e4sse nicht anders gebildet sind, als in den zottenlosen Theilen.\nDutrochet erkl\u00e4rte die Resorption bei Pflanzen und Thieren durch die Endosmose. Es ist jedoch nicht schwer einzusehen, dass die Erscheinungen der Endosmose durch todte thierische Membranen durchaus nicht hinreichen, die Aufsaugung in beiden Reichen zu erkl\u00e4ren. Denkt man sich die Lymphgef\u00e4sse des Darms und Gekr\u00f6ses, z. B. mit S\u00e4ften gef\u00fcllt, und die Darmzotten oder Lymphgef\u00e4ssnetze mit Chymus in Ber\u00fchrung, so w\u00fcrden die aufgel\u00f6sten Theiie des Chymus nach den Gesetzen der Endosmose in die Lymphgef\u00e4sse eindringen, und die aufgel\u00f6sten iheile des Saftes in den Lymphgef\u00e4ssen dagegen heraus dringen, und sich mit dem Chymus mischen; ist der Chymus fl\u00fcssiger als der Chylus, und enth\u00e4lt er d\u00fcnnere L\u00f6sungen, so Avird mehr Chymus in die Lymphgef\u00e4sse eindringen, als Chylus herausdringen. Enth\u00e4lt dagegen der Chymus dichtere L\u00f6sungen, so wird mehr Chylus aus den Lymphgef\u00e4ssen heraus dringen, als Chymus herein dringt. Von einem solchen Spiel k\u00f6nnen die wunderbaren W irkungen der Aufsaugung nicht abgeleitet werden. Nur wenn der in den Lymph-gef\u00e4ssnetzeu einmal enthaltene Chylus eine durch den Lehenspro-cess selbst entstandene chemische Verwandtschaft zu dem Chymus. des Darmkanals \u00e4usserte, und diesen anziehen k\u00f6nnte, ohne dass, er selbst von dem Chymus angezogen w\u00fcrde, k\u00f6nnte man die Besorprion auf eine den Gesetzen der Endosmose analoge Art erkl\u00e4ren. Aber diese Verwandschaft, diese Anziehung w\u00fcrde eine","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278 I. Buch. Von den organ. S\u00e4ften etc. III. Abschn. Lymphsystem.\nlebendige seyn, indem im todten Zustand eine solche Anziehung nicht existirt.\nWollte man die Aufsaugung durch Anziehung der Fl\u00fcssigkeit von der aussern Fl\u00e4che der Lymphgef\u00e4sse und durch Abstossung von der innern nach den Lympbgef\u00e4ssen erkl\u00e4ren, so gieht es weder Thatsachen, diess zu beweisen, noch es zu widerlegen.\nMechanische Apparate zur Aufsaugung des Chylus sind wahrscheinlich in den Anf\u00e4ngen der Lymphgef\u00e4sse nicht vorhanden, da die Aufsaugung in den Pflanzen ohne dieselben geschieht. Hier wirkt eine noch ungekannte Anziehung, wovon bei der Absonderung gleichsam das Gegentheil stattfindet, indem die verwandelten Fl\u00fcssigkeiten nur nach der freien Seite der absondernden Fl\u00e4chen abgestossen werden, und durch immer neue Absonderung in den Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen weiter r\u00fccken. In vielen Tliei-len kommen auf derselben Fl\u00e4che Aufsaugung durch die Lymphgef\u00e4sse, und zugleich Absonderungen durch absondernde Organe vor, wie auf den Schleimh\u00e4uten.\nDa die Resorptionskraft der Lymphgef\u00e4sse eine organische Eigent\u00fcmlichkeit derselben ist, so muss dieselbe auch unter gewissen Einfl\u00fcssen, welche in die Organisation eingreifen, erh\u00f6ht und vermindert werden. So scheint sie in der Entz\u00fcndung vermindert, wie Autejvrieth bemerkt, weil sich in diesem Fall oft eine dauernde \u00f6demat\u00f6se Geschwulst im Umfange des entz\u00fcndeten Theils bildet. Physiologie 2. 224. Wie die Mittel, welche in dem Rufe stehen,' die ^ sorption anzuregen, diess thun, ist noch zweifelhaft; es l\u00e4sst sich deren Wirkung nur in einigen F\u00e4llen einsehen. Es gieht Stoffe, welche im Stande sind, die zwischen den Elementartheilen der Gewebe angeh\u00e4uften \u00fcberfl\u00fcssigen Materien zu erweichen und aufzul\u00f6sen, resolventia. Wie diess m\u00f6glich ist, scheinen die organischen Fl\u00fcssigkeiten schon zu zeigen, in welchen h\u00e4ufig der eine Stoff das Menstruum des andern ist, so dass z. R. Thierstoffe durch organische Rindung mit mineralischen Stoffen, z. 15. mit Alkali, wie im Rlutwasser, oder auch mit anderen organischen Stoffen in einem Zustande vollkommener Aufl\u00f6sung sind. So ist das Pikromel das Aufl\u00f6sungsmittel des zweiten Gallenbestandtheils, des Gallenstoffes. Die Anwendung der Resolventien in der Arzneikunde ist aber sehr beschr\u00e4nkt, weil viele Stoffe, die ausser dem K\u00f6rper thierische Stoffe aufzul\u00f6sen im Stande sind, auf lebende thierische Theile zerst\u00f6rend wirken. Dass die Lymphgef\u00e4sse nach dem Tode noch aufsaugen sollen, halte ich f\u00fcr ganz unerwiesen. Vergl. E. II. Weber Anatomie 3. 101.\t\u00b0\n2. Ver\u00e4nderung der lymphatischen Fl\u00fcssigkeiten durch die Lymphgef\u00e4sse.\nDie von Capillargef \u00e4ssnetzen durchzogenen W\u00e4nde der Lymphgef\u00e4sse scheinen die Mischung des Chylus und der Lymphe zu ver\u00e4ndern. Auf dieselbe Art wirken die Lymphdr\u00fcsen, welche nur als Apparate dienen, die Oberfl\u00e4che der Einwirkung zu ver-gr\u00f6ssern, da sie hei den niederen Wirbelthieren durch blosse Plexus ersetzt werden, und in der That weiter ausgebildete Plexus sind. Der Chylus der Lymphgef\u00e4sse des Gekr\u00f6ses ist nach Tie-","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"3. Actiunen der Lymphgef\u00e4sse. Bewegung der Lymphe. 27!)\ndemakn und Gmelin nicht gerinnbar, bis er die Lymphdriisen durchgegangen ist. Die Lymphgef\u00e4sse und Lymphdriisen scheinen also durch die Einwirkung ihrer W\u00e4nde das Eirveiss des Chylus zum Theil in Faserstoff umzuwandeln, ln manchen Krankheiten ist diese Wirkung der Lymphgef\u00e4sse auf die Mischung ihres Inhaltes ver\u00e4ndert, oder sie leiden von der Einwirkung fehlerhaft gebildeter S\u00e4fte, wie in der Scrophelsucht.\nDie Lymphgef\u00e4sse haben eine eigent\u00fcmliche Empfindlichkeit gegen fremdartige Materien, sie werden durch die Resorption derselben schmerzhaft, zuweilen entz\u00fcndet und angeschwollen, und lassen sich dann als rothe Streifen durch die Haut erkennen. Unter denselben Umst\u00e4nden schwellen die dem Resorptionspunkte nahe gelegenen Lymphdriisen an, und werden auch schmerzhaft. In der Regel verschwindet die Anschwellung, wenn keine neue Materie mehr aufgesogen wird, zuweilen gehen die Dr\u00fcsen in Entz\u00fcndung und Eiterung \u00fcber. So schwellen die Lymphdriisen der N\u00e4he nach Inoculation eines tierischen Giftes unter die Epidermis an, so nach der Application eines Blasenpflasters, nach dem Schlangenbiss, nach einem Schnitt oder Stich bei der Section eines fauligen Cadavers, nach der Inunction von Brechweinstein-salbe, von Quecksilber in der N\u00e4he eines Blutschw\u00e4res, eines entz\u00fcndeten Theiles, indem sich Eiter bildet; so schwellen die Inguinaldr\u00fcsen an beim venerischen Harnr\u00f6hren-Schleimflusse, und auch ohne diesen nach venerischer Infection der Genitalien. In dem Verh\u00e4ltniss, wie die oberfl\u00e4chtuen Dr\u00fcsen zur Haut, scheinen die Mesenterialdr\u00fcsen zum Darm zu stehen, welche selbst bei der Entz\u00fcndung und Verschw\u00e4rung des Darms (im Typhus abdominalis) sich auch entz\u00fcnden.\n3. Bewegung der Lymphe.\nMagendie erhielt bei einem gef\u00fctterten Hunde von mittlerer Gr\u00f6sse aus dem angeschnittenen Ductus thoracicus alle 5 Minuten ungef\u00e4hr L Unze Chylus. Die Ursachen seiner Bewegung sind unbekannt. Man weiss nicht, ob die Lymphgef\u00e4sse und der Ductus thoracicus Lymphe und Chylus durch unmerkliche fortschreitende Zusammenziehungen forttreiben. Tiedemann und Gmet.in sahen durch mechanische und chemische Reizmittel keine Zusammenziehungen an dem Ductus thoracicus entstehen, was fr\u00fcher Schbeger (de irritai), vas. lymph. Lips. 17S9.) gesehen haben wollte (ich sah diese Zusammenziehung nicht, als ich hei einer Ziege die galvanische S\u00e4ule auf den Ductus thoracicus einwirken liess, und sah erst nach einiger Zeit einige ganz unbedeutende Einschn\u00fcrungen). Doch beobachteten sie, dass der angestochene Brustgang seinen Inhalt in einem Strahle ausleert. Daher sie annehmen, dass die Lymphgef\u00e4sse, ohne rhythmische Contraction zu besitzen, doch ihren Inhalt weiter f\u00f6rdern. Die Klappen m\u00fcssten eine solche Bewegung, wenn sie wirklich existirt, erleichtern. Durch die Richtung derselben muss Lymphe und Chylus bei einigem \u00e4usseren Druck auf die Lymphgef\u00e4sse durch die Muskeln ohnehin von selbst weiter r\u00fccken. Bei mikroskopi scher Untersuchung der Lymphgef\u00e4sse im Mesenterium von Ka","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280 /. Buch. Von d. organ. S\u00e4\u00dfen etc. III. Alschn. Lymphsystem.\nninchen, sahen Schwann und ich weder eine Bewegung der W\u00e4nde der Lymphgef\u00e4sse, noch eine Bewegung der Klappen, noch eine Spur von Wimpern im Innern der Gef\u00e4sse. Die Bewegung der Lymphe seihst ist k\u00fcrzlich von E. H. Weber bei Froschlarven im \"Schw\u00e4nze beobachtet worden, wo die Lymphgef\u00e4sse die Blutgef\u00e4sse so umgaben, dass die Lymph k\u00f6rn eben langsam an den Seiten der rasch str\u00f6menden Blutk\u00f6rnchen zu fliessen scheinen, ohne dass man die vorhandene Zwischenwand wahrnehmen kann. Die Bewegung der Lymphk\u00f6rnchen ist sehr ungleichf\u00f6rmig, bald mehr, bald weniger langsam. Zuweilen setzt sie aus. E. II. Weber in Muell. Arch. 1S-17. 267. Die Saugkraft des Herzens ist keinesfalls die erste \"Ursache der Bewegung der Lymphe; denn nach Autenrieth (Physiol. 2. 115.), Tiedemann und Carets (Meck. Arch. 4. 420.) wird der Ductus thoracicus auch unterhalb einer Ligatur von der vordringenden Lymphe bis zum Zerplatzen ausgedehnt.\nDie Bewegung der Lymphe und des Chylus in den lymphatischen Gelassen h\u00e4ngt daher h\u00f6chst wahrscheinlich gr\u00f6s-stentheils von der fortdauernden Resorption in den Lymphge-f\u00e4ssnetzen ah, gerade so wie das Aufsteigen der Fr\u00fchlingss\u00e4fte in den Pflanzen nur von der best\u00e4ndigen Resorption in den Wurz ein abh\u00e4ngt.\nDie von mir entdeckten Lymphherzen in der Classe der Amphibien m\u00fcssen die Bewegung der Lymphe in hohem Grade f\u00f6rdern, sie bewirken den unmittelbaren Erguss der Lymphe der untern Theile des K\u00f6rpers in die Vena ischiadica, der obern in einen Ast der Vena jugularis. Bei den S\u00e4ugethieren und beim Menschen gelangen Chylus und Lymphe allein in die Schl\u00fcsselbeinvenen und namentlich der Chylus und gr\u00f6sste Theil der Lymphe durch den Ductus thoracicus in die Vena subclavia sinistra zum Venenblut, und sind in dem Blut der Vena cava sup. oft noch spurweise zu erkennen. Im Blut selbst werden sie w\u00e4hrend der Circulation auf die pag. 154. dargestellte Art zu vollkommenem Blut umgebildet. An dem Ductus thoracicus und an der Cisterna ehyli, an den Lymphgef\u00e4ssen der S\u00fcugethiere \u00fcberhaupt, und ausser den Lvmphherzen an den Lymphgef\u00e4ssen der Amphibien habe ich nie eine Spur von Bewegung bemerken k\u00f6nnen.\nDie Schnelligkeit der Lvmphbewegung ist nach E. H. Weber\u2019s Beobachtungen an Froschlarven ohngef\u00e4hr 10 = 20 Mal langsamer als die des Blutes. Man kann sich auch eine ungef\u00e4hre Vorstellung von der Art der Bewegung machen aus der ziemlich kurzen Zeit, in welcher die mit Chylus gef\u00fcllten Lymphgef\u00e4sse des Mesenteriums bei er\u00f6ffneten Tbieren unscheinbar werden und aus der Menge der aus dem Ductus thoracicus ausfliessenden Fl\u00fcssigkeit. In Magendie\u2019s Versuch hei einem Ilunde mittlerer Gr\u00f6sse floss in 5 Min. ^ Unze Chylus aus dem angeschnittenen Ductus thorac., in dem Versuch von Collard de Martigny 9 Grau Lymphe in 10 Min. aus dem Ductus thorac. eines seit 24 Stunden hungernden Kaninchens. Nachdem Collars\u00bb","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"3. Actionen der Lymphgef\u00e4sse. Bewegung der Lymphe. 281\ndie Lymphe in dem Ly mph gef ii ssst\u00e4mmch en des Halses eines Hundes durch Compression fortgescliaflt hatte, f\u00fcllte es sich von neuem in 7 Min. und in einem zweiten Versuch in 8 Min. Journ. d. physiol. T. 8. Bei der oben angef\u00fchrten Beobachtung von der Lvmphe des Menschen f\u00fcllten sich die Lymphgef\u00e4sse des Fuss-r\u00fcckens und der grossen Zehe innerhalb einer \\\u2014\u2019 Stunde so, dass man in einem Uhrglase ziemlich viel sammeln konnte. Bei den Fr\u00f6schen ist die Menge der Lymphe ausserordentlich gross, hei ihren ansehnlichen Lymphraumen. Nimmt man die Capacil\u00e4t eines jeden ihrer 4 Lymphherzen zu 1 Cub. Linie an (die vorderen sind kleiner, die hinteren gr\u00f6sser), so treiben die 4 Lymphherzen in einer Minute GO Mal 4 = 240 Cubiklinien Lymphe in die Venen, wenn die Lymphherzen sich ganz entleeren. Allein sie entleeren nur einen Theil ihres Inhalts bei jeder Zusammenziehung.","page":281},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"D e r\nspeciellen Physiologie\nZweites Buch.\nVon den organisch - chemischen Ver\u00e4nderungen in den S\u00e4ften und den organisirtcn Theilen.","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"I. Abschnitt. Vom Athmen.\nI.\tVon dem Athmen im Allgemeinen.\nII.\tOrganologie der Athemwerkzeuge.\nIII.\tVon dem Athmen des Menschen und der Thiere.\nIV.\tVon den Ver\u00e4nderungen des Bluts durch das Athmen.\nV.\tVon dem chemischen Process des Athmens.\nVI.\tVon den Athembewegungen und Athcmnerven.\nII.\tAbschnitt. Von der Ern\u00e4hrung, vom Wachsthum und von der Wiedererzeugung.\nI.\tVon der Ern\u00e4hrung.\nII.\tVon dem Wachsthum.\nIII.\tVon der Wiedererzeugung.\nIII.\tAbschnitt. Von der Absonderung.\nI.\tVon den Absonderungen im Allgemeinen.\nII.\tVon dem innern Bau der Dr\u00fcsen.\nIII.\tVon dem Secretionsprocess.\nIV.\tAbschnitt. Von der Verdauung, Chylilication und\nAusscheidung der zersetzten Stoffe.\nI. Von der Verdauung im Allgemeinen.\nII. Von den Verdauungsorganen.\nIII.\tVon den Bewegungen des Darmkanals.\nIV.\tVon den Verdauungss\u00e4ften.\nV.\tVon den Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal.\nVI.\tVon der Chylification.\nVII.\tVon der Function der Milz, der Nebennieren, der Schilddr\u00fcse und der Thymusdr\u00fcse.\nVIII.\tVon der Ausscheidung' der zersetzten S tolle.","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Der s p e c i e 1 I e n Physiologie\nZ w cites B u c li.\nVon tien organisch-chemischen Ver\u00e4nderungen in den organischen S\u00e4ften und den organisirten Theilen.\nWenn die Elemente, welche ausser dem Organismus sich durch i lire eigene Affinit\u00e4t bin\u00e4r verbinden, im Organismus durch eine der bin\u00e4ren Verbindung widerstrebende Ivraft zu tern\u00e4ren oder quatern\u00e4ren Verbindungen vereinigt werden, so ist es gewiss, dass diese Affinit\u00e4t von einer eigent\u00fcmlichen, in der unorganischen Natur nicht erkennbaren Kraft oder der Mitwirkung einer unbekannten imponderabeln Materie bedingt wird, von demselben Princip wahrscheinlich, welches die zweckm\u00e4ssige Erzeugung und Erhaltung aller Organe des Ganzen einieitet. Es w\u00e4re eine ganz unerwiesene Hypothese, wenn man der Electricit\u00e4t die Aufgabe erteilen wollte, alle organischen Verbindungen zu erzeugen. Ehe die Eigenschaften jener Kraft bekannt sind, kann man sie als eine zwar gewisse, aber nicht n\u00e4her zu bezeichnende Gr\u00f6sse, als Lebensprincip oder organisirendc Kraft anerkennen. Das Gesetz, nach welchem die von diesem Princip belebten Theile auf andere Stoffe wirken, ist das der Assimilation. A Vir haben nun das Eigent\u00fcmliche derselben auseinander zu setzen.\nMan kann die im Organismus erfolgenden Umwandlungen der Stoffe in rein chemische und organisch-chemische eintheilen.\nRein chemische Umwandlungen erfolgen nach den Gesetzen der Wahlverwandtschaft der Stolle, wie sie sich bei den bin\u00e4ren Verbindungen \u00e4ussern, in dem Maass, als die organisirende Kraft an Einfluss auf die Gebilde verliert, oder unf\u00e4hig wird, der Gewalt der chemischen Affinit\u00e4t zu bin\u00e4ren Verbindungen das Gleichgewicht zu halten.\nConcentrirte S\u00e4uren und Alkalien binden sich mit den Stoffen der lebenden Thierk\u00f6rper, und erzeugen neue K\u00f6rper mit Zersetzung der tierischen Materie. Im verd\u00fcnnten Zustand dienen","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nII. Buch. Von den organisch-chemischen Processen\ndie Salzs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure im Magensafte selbst zum Tlieil zur Aufl\u00f6sung der Speisen. Die Metallsalze verbinden sich gr\u00f6sstentheils leicht mit thierischen Stoffen nnd selbst nach verschiedenen Verh\u00e4ltnissen. Siehe Mitscherlich in Muell. Arch. 1836. 1837. Solche rein chemische Verh\u00e4ltnisse finden h\u00e4ufig selbst in der Therapie ihre Anwendung. Die Eigenschaft des Eiweisses, den aufgel\u00f6sten Sublimat niederzuschlagen und sich mit ihm zu einem unl\u00f6slichen Stoff zu verbinden, veranlasste Orfila zu der gl\u00fccklichen Idee, das Albumen als Gegengift zu versuchen. Huenefeld physiol. Chemie. 1. 65. 89. Ein Gegengift muss, wie Huenefeld bemerkt, eine starke chemische Affinit\u00e4t zu dem Gift, aber geringe chemische Affinit\u00e4t zum thierischen K\u00f6rper haben, damit es f\u00e4hig sey, das Gift bis in das Innere des K\u00f6rpers auf unsch\u00e4dliche Art zu verfolgen. Der Schwefel neutralisirt den Arsenik und macht ihn, indem er eine unl\u00f6sliche Verbindung verursacht, weniger sch\u00e4dlich. Aus diesem Grunde sind auch heim Gebrauche von Quecksilbermitteln gegen Syphilis solche Pr\u00e4parate, welche Schwefel enthalten, unwirksam. Huenefeld /. c. 1. 66. Schwefels\u00e4ure aufl\u00f6sliche Salze sind Gegenmittel gegen Baryt und Bleisalzvergiftung, weil Baryt und Bleioxyd mit Schwefels\u00e4ure sich zu unl\u00f6slichen Verbindungen vereinigen. Ehend. 67. Magnesia stumpft die Magens\u00e4ure ah. Kohlens\u00e4ure Alkalien werden mit Erfolg gegen harnsaure Sedimente und Steinbildung im Harn gegeben, weil die Harns\u00e4ure dabei aufgel\u00f6st und der Harn alkalisch wird. Aus demselben Grunde wirken pflanzensaure Alkalien vortheilhaft, weil sie im thierischen K\u00f6rper in kohlensaure Alkalien umgewandelt werden oder als solche in den Harn \u00fcbergehen. In den Geschw\u00fcren des Hospitalbrandes und in Krebsgeschw\u00fcren hat man mit Erfolg Salpeters\u00e4ure, Chlor, chlorigsaure Salze angewandt, in Beziehung auf die Bildung von Schwefelwasserstoff, Ammoniak und Hydrothion - Ammoniak in diesen Geschw\u00fcren. Aus demselben Gesichtspunkte l\u00e4sst sich die Anwendung der Minerals\u00e4uren im Faulfieber hei herrschender Tendenz zur Alkalit\u00e4t betrachten. Huenefeld /. c. 72. Die Bubia tinctorum hat eine grosse Anziehung zur phorphorsauren Kalkerde, und \u00e4ussert diese seihst noch im Organismus, indem sie eingenommen nur die Knochen roth f\u00e4rbt. Endlich werden vielerlei fremdartige Stoffe in den Kreislauf aufgenommen, sie verwandeln sich zum Tlieil und werden ver\u00e4ndert oder unver\u00e4ndert ausgeschieden.\n2.\tIn anderen F\u00e4llen wirken Stoffe, besonders zersetzte Thierstoffe, die in kranken Thierk\u00f6rpern erzeugt worden, auf eine dem chemischen Fermentationsprocess analoge Art auf lebende Thiere ein. Die Contagien verursachen die Erzeugung \u00e4hnlicher Zersetzung und Mischungen in anderen lebenden Wesen.\n3.\tChemische Verbindungen und die Elemente k\u00f6nnen aber auch, indem sie fehlende Bildungstheile zur Erzeugung neuer organischer Verbindungen liefern, statt diese zu zersetzen, sie vielmehr bef\u00f6rdern, und die Wirkungen der organischen Kraft unterhalten. So ist ein gewisser Antheil mineralischer Stoffe in den","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"II. Buch. Von den organisch-chemischen Processen. 287\nNahrungsmitteln nofhwendig. Die Ver\u00e4nderung des Blutes heim Athmen ist eine organische Umwandlung, wobei eine Bin\u00e4re durch das Athmen erzeugte Verbindung ausgeschieden wird.\n4.\tDie organischen Stoffe seihst k\u00f6nnen dagegen wieder, indem sie auf einander wirken, gegenseitige Zersetzungen Bedingen, welche noch ausser den Wirkungen der organisirenden Kraft erfolgen. Speichel wandelt nach L\u00e8uchs und Sciiw'ann gekochte St\u00e4rke in Zucker um (Poggend. Ann. 1831. 5. Mueller\u2019s Arduv 1836. 138.), und St\u00e4rkemehl wird im Magen der Thiere in St\u00e4rkegummi und Zucker umgewandelt, wie Tiedemann und Gmelin zeigen. Fibrin oder Muskelfleisch sollen w\u00e4sserige Zuckerl\u00f6sung wie Hefe in G\u00e4hrung setzen, w\u00e4hrend J. Davy mittelst Rindfleisch auf diese Art in 3\u20144 Tagen keinen Alkohol, sondern Gummi erhielt. Kastn. Arch. 1831. 396. Das von den Magenw\u00e4nden abgesonderte organische Verdauungsprin-cip, Pepsin, l\u00f6st auch ausser dem thierischen K\u00f6rper geronnenes Eiweiss und Faserstoff leicht auf, und wandelt ihre Zusammensetzung so um, dass sie ganz andere chemische Eigenschaften annehmen. Im Organismus selbst ist die Wirkung organischer Fl\u00fcssigkeiten auf einander noch durch das Lebensprincip ver\u00e4ndert. Die Wirkungen des Speichels, der Galle bei der Verdauung lassen sich nicht aus ihrer Wirkung auf organische Verbindungen ausser dem Organismus ermitteln.\n5.\tDie organische Assimilation zeigt sich zun\u00e4chst in der Ab\u00e4nderung der* Mischung organischer Fl\u00fcssigkeiten durch Wechselwirkung mit den von dem Lebensprincip beseelten W\u00e4nden der organisirten Theile. So ver\u00e4ndert sich die Mischung des im Darmkanal aufgesogenen Chylus im lymphatischen System, und er enth\u00e4lt mehr Faserstoff, wenn er durch mehr Lymphdr\u00fcsen durchgegangen ist. Diese Dr\u00fcsen, welche den V\u00f6geln, Amphibien, Fischen fehlen, sind nur Apparate, um die Einwirkung der organischen Oberfl\u00e4chen auf den Chylus zu vergr\u00f6ssern. In den Absonderungen ist dasselbe Ph\u00e4nomen inodificirt, indem die von den organisirten Thcilen verwandelten Bestandtheile des Blutes abge-stossen werden.\n6.\tEndlich zeigt sich die Assimilation noch merkw\u00fcrdiger in der Umwandlung der organischen Fl\u00fcssigkeiten zu Bildungsthei-len der Organe selbst, indem das Blut in den Capillargef\u00e4ssen mit den kleineren Partikeln der Nerven, Muskeln, Schleimh\u00e4ute, Dr\u00fcsen etc. in Ber\u00fchrung kommt, jedes Organ die Bestandtheile des Blutes assimilirt, ihre Mischung hierzu ver\u00e4ndert, sich durch Aneignung derselben vergr\u00f6ssert, aber ihnen auch die F\u00e4higkeit ertlieilt, seihst wieder zu beleben und zu organisiren. Wunderbar, dass sich die organisirende Kraft so lange erh\u00e4lt, indem sie S1\u00e7h \u00fcber mehr Masse ausdehnt. Das Urph\u00e4nomen dieser Assimilation zeigt sich vor der Entstehung der Gef\u00e4sse und des Blutes an der Keimscheibe des Eies (Blastoderma), indem diese sich am Rande auf Kosten der Dotterfl\u00fcssigkeit zur Keimhaut ver-grossert. Das Eiweis des Dotters erleidet allm\u00e4ldig eine cnemiscne Umwandlung seiner Zusammensetzung, und verliert zuletzt seine\nerinnbarkeit in der W\u00e4rme. Wenn einmal Gef\u00e4sse gebildet","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288 II. Buch. Vun den organisch-chemischen Processen.\nsind, so \"(\u2019Schicht das Wachsthum durch Vergr\u00f6sserung der Partikeln zwischen den Capillargef\u00e4ssen und durch Entstehung neuer Gef\u00e4sse. Sind in einem organisirten Theil oder belebten StotF (a, b, c, d) die Elemente, die in jedem organischen Molecule in bestimmtem Verh\u00e4ltnisse verbunden sind, so bedingt die organisi-rende Kraft des belebten Theiles nicht allein die Bindung von a, b, c, d zu Bildungstheilchen, sondern auch die Vereinigung der letzteren zu organischen Productionen, und zwingt die organischen Fluida, ihre Zusammensetzung auch zu der Verbindung (a, b, c, d), d. h. zu Atomen dieser Zusammensetzung zu andern und diese Atome, sich mit dem assimi\u00fcrenden Organ zu verbinden. Wenn hier von Atomen geredet wird, so sind darunter nicht organische K\u00fcgelchen verstanden, sondern jene unsichtbaren Atome, wie sie in der Chemie als kleinste Tbeilchen einer Verbindung supponirt werden. Die Erzeugung der organischen Erscheinungen, der Mns-kelbewegungen etc., bef\u00f6rdert best\u00e4ndig die Zersetzung einer gewissen Quantit\u00e4t Materie, die durch die Nahrungsstoffe wieder zugef\u00fchrt wird, und so unpassend in anderer Hinsicht der Vergleich ist, so gleicht die thierische Maschine doch hierin jeder andern Maschine, die mit Zersetzung einer Materie ihre Kr\u00e4fte producirt, und w ie die Dampfmaschine eine gewisse Menge, neuer zersetzbarer Stoffe zu ihrem Gange erfordert. Das Wunderbare bei der Assimilation ist nun, dass der Organismus, indem er zersetzte Bestandteile seiner selbst auswirft, und organische Kraft in neuer Materie zur Erscheinung bringt, durch die Ausscheidung der zersetzten Bestandteile seiner selbst nicht sobald an organischer Kraft verliert; daher es fast scheint, dass entweder das organisirende Princip die zersetzten Bestandteile verl\u00e4sst und sich mit neuer Materie bindet, oder dass die Nabrungsstolfe selbst eine Quelle zur Vermehrung der organischen Kraft sind, w\u00e4hrend diese auf der andern Seite durch Zersetzung von fr\u00fcheren Bestandteilen des Thierk\u00f6rpers unwirksam wird. Vergl. pag. 3.9.\nDas erste allgemeine Gesetz der verschiedenen Productionen scheint allerdings, wie Autenrieth bemerkt, das Gesetz der Anziehung \u00e4hnlicher Theile unter sich zu seyn. Aber die Theilchen der belebten Organe haben schon eine grosse Anziehung zu sich selbst, sie verlassen ihre Verbindung nicht, um sich mit Theilchen des ern\u00e4hrenden Fluidi zu vereinigen, sie ziehen die analogen Theilchen des Blutes an, nur das Blut scheint hierbei vorzugsweise eine Trennung seiner Elemente zu erfahren. Ich kann diese Bemerkungen nicht besser als mit einigen Worten von Autenrieth schliessen. Der Knochen sondert nur Knochenerde, der Muskel Faserstoff und Cruor ab, es vermehrt sich auch ein widernat\u00fcrlich entstandener Scirrhus, ein Steatoin immer mehr auf gleiche Art. Die Vermehrung durch Anziehung des Aehnlichen findet nicht bloss in den chemischen Bestandtheilen eines Organes statt. Auch in seinen Bildungsgesetzen findet sich etwas Aehnli-ches. Ein polyp\u00f6ser Auswuchs der Mutterscheide, der innern Nasenhaut entfernt sich weniger durch seine chemische Mischung","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"I. Abschnitt. Vom Athmen. Allgemeines.\n289\nals durch seine Organisation von den ihn umgehenden gesunden Theilen. Einmal entstanden aber w\u00e4chst er bis auf einen gewissen Grad immer auf eine \u00e4hnliche Art fort. Eine Narbe wird, ungeachtet sie eine von der urspr\u00fcnglichen Organisation der Haut abweichende Structur besitzt, doch immer wieder auf eine \u00e4hnliche Art ern\u00e4hrt; sie w\u00e4chst selbst mit dem \u00fcbrigen K\u00f6rper. Autenrieth Physiol. 2. 181.\nI. Abschnitt. Vom Athmen.\nI. Capitel. Vom Athmen im Allgemeinen.\nDer wesentliche athembare Bestandteil der Atmosph\u00e4re ist der Sauerstoff derselben, den sie im Verh\u00e4ltnis von 21 Th. Sauerstoffgas auf 79 Theile Stickstoffgas enth\u00e4lt. Der Kohlens\u00e4uregehalt der atmosph\u00e4rischen Luft ist in der Kegel \u00e4usserst gering. 100\u00d60 Volumtbeile atmosph\u00e4rischer Luft enthalten nach de Saussure 4,15 Kohlens\u00e4uregas. Auf dem Lande war das Maximum 5,74, das Minimum 3,15. In der Stadt Genf war der Kohlens\u00e4uregehalt der Luft um 0,31 Th. auf 10000 Tb. Luft vermehrt. Berzelius Jahrb., \u00fcbers, v. Woehler 11. 64. Hierzu kommen \u00f6rtliche Verunreinigungen, wie eine die Silberaufl\u00f6sung bei Einwirkung des Lichtes r\u00f6thende organische Materie, die sich auch im Regenwasser findet. Gmelin\u2019s Chemie 1. 442. In der Luft, in welcher Menschen und Thiere athmen, vermindert sich der Gehalt an Sauerstoff, an dessen Stelle fast eben so viel Kohlens\u00e4ure tritt. Beim Athmen in reinem Sauerstoffgas wird die Luit eben so ver\u00e4ndert. Ohne das Athmen f\u00fcr eine Verbrennung zu erkl\u00e4ren, kann man doch die Aehnlichkeit zwischen den Ver\u00e4nderungen der Luft durch das Athmen und das Verbrennen nicht verkennen. Hier wie dort scheint das Stickgas indifferent zu seyn, und nur den Process durch seine Beimengung zu massigen.\nBei der Betrachtung der Gasarten, in Beziehung auf das Athmen und die Athemorgane, muss man wohl unterscheiden, dass eine Gasart den belebenden Process im Athmen nicht unterhalten kann, ohne dass sie deswegen gerade giftig ist. Stickgas und Wasserstoffgas scheinen f\u00fcr das Athmen indifferent, sie unterhalten rein geathmet das Leben nicht, eben weil Sauerstoffgas fehlt, und sind daher, der zum Athmen n\u00f6thigen Menge Sauerstoffgas bei-Miiller\u2019s Physiologie. I.\t\\ [)","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\ngemengt, unsch\u00e4dlich. Andere Gase sind nicht indifferent, sondern wegen der Affinit\u00e4t zu thierischen Stoffen geradezu giftig. Dann muss man unterscheiden, dass manches Gas in die Athemorgane eingef\u00fchrt werden kann und doch giftig ist, dass es aber gewisse Gase giebt, die nicht einmal in gr\u00f6sserer Menge in die Athemorgane eingef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, weil sie krampfhafte Zusammenziehungen der Respirationsorgane, vorz\u00fcglich Verschliessung der Stimmritze bedingen.\nI. Gase, welche den chemischen Process des Athmens unterhalten.\n1. Dauernd und ohne Nachtbeil f\u00fcr das Leben: Die atmosph\u00e4rische Luft. 2. Eine Zeitiang, aber nicht dauernd: Sauer-stoffgas und Stickstoffoxydulgas. Beim Athmen in Sauerstoffgas soll das Blut selbst in den Venen bellroth werden. Es soll zuletzt zerst\u00f6rend wirken. Dagegen haben Allen und Pepys beim Menschen keine Beschwerden, und bei einer Taube nur Unruhe, nach dem Versuch aber Erholung bemerkt. Lavoisier und Seguin sahen bei Meerschweinchen, die 24 Stunden in Sauerstoffgas athmeten, keine Beschwerde. Allen und Pepys fanden beim Athmen in Sauerstoffgas mehr Kohlens\u00e4ure als beim Athmen in atmosph\u00e4rischer Luft gebildet. Dagegen wollten sie bei einer Taube weniger Kohlens\u00e4urebildung als in atmosph\u00e4rischer Luft gefunden haben. Schwinds\u00fcchtige befinden sich beim Athmen in Sauer-sloffgas schlechter.\nStickstoffoxydulgas unterh\u00e4lt zwar das Leben eine kurze Zeit, wirkt aber doch schnell berauschend und bet\u00e4ubend, wobei Exaltation, subjective Sinneserscheinungen, Verwirrung des Geistes, und zuletzt Ohnmacht cintreten. ff. Davy Untersuchungen \u00e4lter das oxydirte Stickgas. Lemgo. 1814. Ein Theil des Gases wird beim Athmen dieser Gasart im Blut aufgel\u00f6st, welches purpur-roth wird, die Farbe des Gesiebtes, der Lippen, wird wie die eines Todten. Es entwickelt sich aus den Lungen Stickgas und kaum etwas Kohlens\u00e4uregas.\nII. Gase, welche zwar inspirahel sind, alter nicht den chemischen Process des Athmens unterhalten.\n1. Gase, die keinen positiven giftigen Einfluss aus\u00fcben, sondern nur aus Mangel der Gasart, die allein das Leben unterh\u00e4lt, t\u00f6dten : Stickgas und Wasser'stoffgas. Nach Lavoisier\u2019s und Se-guin\u2019s Versuchen athmen Meerschweinchen in einem Gemenge von gleichviel Sauerstoffgas und Wasserstoffgas ohne besondere Beschwerde, indem sie eben so viel Sauerstoffgas verzehren, wie in einem Gemenge von gleichviel Sauerstoffgas und Stickgas, und kein Wasserstoffgas absorbiren. Beim Athmen von Wasserstoffgas wird nach Allen und Pepys Stickgas aus dem Blut ausgehaucht. Nach Allen, Pepys und Wetterstedt (Berzel. Thierchem. 101.) macht Wasserstoffgas schl\u00e4frig. Fr\u00f6sche, die ich in unreinem Wasserstoffgas, wie es eben aus Zink und verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure bereitet wird, athmen liess, wurden schon nach einigen Stunden wie scheintodt; als ich aber das Wasserstoffgas zu solchem Zweck reinigte und von dem stinkenden Oel vermittelst Hindurchleiten durch Weingeist befreite, lebte ein Frosch darin","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"1. Vorn Athmen im Allgemeinen. Irrespirable Luftarten. 291\n\u00fcber 12 Stunden ; indem er noch von Zeit zu Zeit athmete; nach 22 Stunden war er scheintodt, bewegte sich aber noch etwas, als er herausgenommen gekniffen wurde. In anderen F\u00e4llen lebten die Fr\u00f6sche selbst in gereinigtem Wasserstolfgas nur 3 \u25a0\u2014 4 Stunden.\n2. Giftige Gasarten. Kohlenwasserstoffgas, Phosphorwasser-stolfgas, Schwefelwasserstoffgas, Arsenikwasserstoffgas, Koblenoxyd-gas, Cyangas? Atmosph\u00e4rische Luft, die T-d5^ Schwefelwasserstoffgas enth\u00e4lt, t\u00f6dtet nach Thenard einen Vogel, -g-g-g einen Hund, \u2022j-j\u00f4' ein Pferd. Hieher geh\u00f6rt wohl auch die Kohlens\u00e4ure; denn sie bewirkt keinen Husten, wenn sie auch in grosser Menge eingeatbmet wird. Sie narkotisirt und macht scheintodt ohne Erstickungszuf\u00e4lle. Atmosph\u00e4rische mit mehr als 10 P. C. Koh-lens\u00e4uregas t\u00f6dtet bald. Diese giftigen Gasarten t\u00f6dten auch, wenn sie in kleinen Quantit\u00e4ten ins Blut injicirt werden. Nysten. Vergl. pag. 148.\nIII. Gase, welche in gr\u00f6sserer Menge gar nicht einmal inspi-rirt werden k\u00f6nnen, indem sie eine krampfhafte Verschliessung der Stimmritze bewirken, ln kleinerer Quantit\u00e4t erregen sie Husten.\nAlle sauren Gasarten, (mit Ausnahme der Kohlens\u00e4ure, welche nicht erstickend, sondern vergiftend t\u00f6dtet), ferner Chlor-, Stickstoffoxyd-, Fluorboron-, Fluorsilicium-, Ammoniakgas. Ber-zel. Thierch. 103. Gmelin Chem. 4. 1527. Fl\u00fcssigkeit, Wasser reizt wie feste K\u00f6rper auch zu kramphhafter Verschliessung der Stimmritze bis zum Ersticken, sehr wenig dagegen, wenn etwas Fl\u00fcssigkeit einmal in den Lungen ist, und man kann durch eine Oelfnung der Luftr\u00f6hre ziemlich viel Wasser einspritzen. Der Tod erfolgt im ersten Fall durch die Verschliessung der Stimmritze, welche bei einem Loch in der Lu fl roh re ganz unsch\u00e4dlich ist.\nDie Tliiere, welche im Wasser leben, athmen zum Theil atmosph\u00e4rische Luft an der Oberfl\u00e4che des Wassers, wie die Amphibien und Wassers\u00e4ugetbiere, durch Lungen, zum Theil athmen sie das Wasser seihst, oder vielmehr die im Wasser aufgel\u00f6ste Luft, wie die Fische durch Kiemen. Das Wasser der Seen, Fl\u00fcsse und des Meeres enth\u00e4lt n\u00e4mlich auch atmosph\u00e4rische Luft oder vielmehr Sauerstoffgas und Stickgas in bestimmten Proportionen aufgel\u00f6st, welche es aus der Atmosph\u00e4re absorbirt. v. Humboldt und Proven\u00e7al entwickelten durch Kochen aus Seinewasser 0,0264\u20140,0287 Theile seines Volumens Luft. Diese enthielt 0,306 bis 0,314 Theile Sauerstoffgas und 0,06 bis 0,11 Tbede kohlensaures Gas. Man darf sich also nicht vorstellen, dass das Wasser selbst eine Ver\u00e4nderung durch das Athmen erleide, nur die darin aufgel\u00f6ste Luft wird ver\u00e4ndert, Sauerstoff daraus absorbirt, und Kohlens\u00e4ure ausgeschieden. Fische athmen im Wasser, welches *nit Sauerstoffgas und Wasserstolfgas impr\u00e4gnirt ist, nur das er-stere, das Wasserstoffgas, bleibt unver\u00e4ndert. In ausgekochtem Wasser sterben die Fische wegen Mangel an Sauerstoffgas schnell, innerhalb 4 Stunden, wobei sie ihre Athemhewegurigen fortsetzen. Priestley sah Fische in luftfreiem, mit Stickoxydgas (Salpetergas) impr\u00e4gnirtem Wasser 1(1\u201415 Min. leben, als aber die geringste Menge atmosph\u00e4rischer Luft hinzukam, starben sie unter Kr\u00e4mpfen.\n19 *","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahsclm. Athmen.\nDer chemische Process des Athmens ist nicht wesentlich von den Athmenbew'egungen abh\u00e4ngig; diese dienen nur zur Ventilation, d. h. das w\u00e4hrend dem best\u00e4ndigen chemischen Process zwischen Luft oder Wasser und Blut ver\u00e4nderte Medium, Luft oder Wasser, auszutreiben und frische Luft oder Wasser in den Apparat des chemischen Processes zu bringen. Die Lungen bieten durch ihre innere Oberfl\u00e4che eine ungeheure Fl\u00e4che zur Wechselwirkung zwischen Blut und Luft dar, diese Wechselwirkung ist best\u00e4ndig, weil die Lungen auch heim Ausathmen nicht von Luft leer werden. Die Verengerung und Erweiterung des Brustkastens, dem die anliegenden Lungen folgen, werfen einen Theil der Pro-ducte aus dem Reservoir der Lungen von Zeit zu Zeit aus, und f\u00fchren das neue Material zur neuen Production in das Reservoir der Lungen. Die Fische nehmen das frische Wasser durch den Mund auf und treiben einen Theil darauf zwischen den Kiemen heraus, wobei sie die Kiemendeckel \u00f6ffnen und schliessen.\nDie menschliche Lunge enth\u00e4lt nach H.\u2019Davv nach m\u00f6glichst starkem Ausathmen noch 35, nach gew\u00f6hnlichem Ausathmen 108 Cubikzoll Luft; nach Davy werden gew\u00f6hnlich 10\u201413 C. Z. ein-1,1 nd ausgeathmet. IIf.rbst (Meck. Arch. 1828.) fand, das gr\u00f6ssere Erwachsene bei ruhigem Einalhmen 20\u201425 C. Z., kleinere 16\u201418 C. Z. ein- und ausathmen.\nDas Athembed\u00fcrfniss ist sehr verschieden, am gr\u00f6ssten bei den Wirbelthieren, und unter diesen hei den warmbl\u00fctigen. Die warmbl\u00fctigen Thiere sterben in der Luftpumpe schon innerhalb einer Minute, V\u00f6gel in 30\u2014 40 Secunden. Amphibien dagegen leben ziemlich lange im luftleeren Raume und irrespirabeln Gasarten, eine Schildkr\u00f6te starh unter Oel in Carradori\u2019s Versuchen (ann. d. chim. et d. phys. 5. 94.) erst in 24\u201436 Stunden. Fr\u00f6sche sterben unter Oel in weniger als 1 Stunde, unter lufthaltigem Wasser leben sie (durch Athmen mit der Haut) lange; nach Edwards lebten Kr\u00f6ten in der Seine in verschlossenen K\u00f6rben, Tage lang, in luftlosem Wasser nach Spallanzani und Edwards einige Stunden. Edwards, Meck. Arch. 5. 141. Nach meinen Versuchen lebten Fr\u00f6sche mit unterbundenen und ausgeschnittenen Lungen circa 30 Stunden, wahrscheinlich durch Athmen mit der Haut. Ein Frosch zeigte einmal in den vorher erw\u00e4hnten Versuchen in reinem Wasserstoffgas noch nach 12 Stunden deutliche Lebenszeichen und athmete von Zeit zu Zeit, und war selbst nach 22 Stunden nur scheintodt.\nNach v. Humboldt\u2019s und Provencal\u2019s Versuchen lebten Goldfische in ausgekochtem Wasser 1 Stunde 40 Min.; nach ihren Versuchen sterben Fische in w\u00e4sseriger Kohlens\u00e4ure und kolden-saurem Gas in wenigen Minuten, w\u00e4hrend sie in Stickgas und Wasser=toffgas, worin sie ihre Kiemendeckel schliessen, erst in 5 Stunden sterben. Die Insecten sterben in Oel nach Carradori sogleich, auch schnell nach Treviranus, wenn man ihre Luftl\u00f6cher mit Oel bestreicht. Dagegen lebten Blaps- und Tenebrio-Arten in Biot\u2019s Versuchen unter der Luftpumpe in verd\u00fcnnter Luft von 1\u20142 Millimeter Spannung 8 Tage. Bremsenlarven lebten nach den Versuchen von Schroeder v. d. Kolk lange in ir-","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"1. Organologie der Athemwerkzeuge. Lungen und Kiemen. 293\nrespirabeln Gasarten. Die Larven einiger Insecten leben in faulenden Theilen von Pflanzen und Thieren und scheinen wenig l'reies Sauerstoffgas zu bed\u00fcrfen, obgleich man kein Insect kennt, welches nicht ein Luftr\u00f6hrensystem und also Luft im Innern enthielte. Berzelius sah Larven im Quellwasser leben, das kohlensaures Eisenoxydul und etwas Schwefelwasserstoffgas enthielt. Blutegel scheinen lange ohne Wassererneuerung zu leben. Holo-thnrien starben in Tiedemann\u2019s Versuchen im Seewasser, das nicht erneuert wurde, in einem Tage. Die Eingeweidew\u00fcrmer scheinet! durch ihren Aufenthalt in belebten Wesen das Athmen nicht zu bed\u00fcrfen. Aber \u00fcberhaupt scheint das Athmen zum Leben der niedersten Thiero nicht wesentlich notlnvendig zu seyn. Ueber das Athmen im Winterschlaf, siehe oben pag. 7S., \u00fcber das Ath-men der Thiereier unten Cap. 3. Die vorz\u00fcglichsten Arbeiten \u00fcber das Athmen sind: Goodwyn on the connexion oj life with respiration. London 1788. Lavoisier et Seguin Ann. d. Chim. 91. 318. Men/.ie\u2019s tentamen physiol, de resp. Edinh. 1790. Creel Ann. 1794. 2. 33.\t11. Davy, Gjlb. Ann. 19. 298. Pfaef, in Gehler\nJ. de Chem. 5. 103. Proven\u00e7al et Humboldt, Schweigg. ./. 1. 86. Edwards Ann. de Chim. et de Phys. 22. 35. Dulong, Schweigg. ./. 38. 505. Despretz Ann. d. Chim. et de Phys. 26. 337. Spallanzani mem. sur la respiration. Gen\u00e8ve 1803. Hausmann de anim. exsang. resp. Ilannov. 1803. Sorg de resp. insect, et verni. Jludolst. 1805. Nitzsch, de resp. animalium. Viteb. 1808. Nasse, Mecr. Arch. 2. 195. 435. Treviranus, Zeitsch. f\u00fcr Physiol. 4. 1.\nII. Capitcl. Organologie der Athemwerkzeuge.\nViele der niedersten Thiere scheinen mit der ganzen Haut zu athmen. Das Athemorcan entsteht, indem ein zur chemischen Ve r\u00e4nderung der Luft oder des lufthaltigen Wassers bestimmter Theil der Haut sich in einem kleinen Raume zu einer grossen Oberfl\u00e4che, welche den Contact zu vermehren bestimmt ist, ver-gr\u00f6ssert. Diese Vergr\u00f6sserung der die Luft zersetzenden Oberfl\u00e4che geschieht entweder nach innen in den Lungen als sackf\u00f6rmige oder verzweigte H\u00f6hlungen, oder durch Vermehrung der Oberfl\u00e4che nach aussen, in der Kieme in Form von Bl\u00e4ttern, Zweigen, K\u00e4mmen, Quasten, Wimpern, federf\u00f6rmigen Ausw\u00fcchsen, Formen, die so mannigfaltig sind, dass die Natur hierin gleichsam die Aufgabe gel\u00f6st zu haben scheint, die denkbaren Formen der Fl\u00e4chenvermehrung nach aussen durch vorspringende Bildungen zu realisiren. Diese Art des Respirationsorganes nennt man Eieme. Die dritte Art der Respirationsorgane ist durch Contacts-vermehrung der thierischen Theile und der Luft in einem durch alle Organe verzweigten Luftr\u00f6hrensystem gegeben, welches sich mit den feinsten Zweigen bis in die kleinsten Theile aller Organe verbreitet. Diess ist das Tracheensystem der Insekten und Tracheenspinnen-. Die Lungen athmen gemeiniglich nur Luft, doch gtebt es Ausnahmen, wie z. B. das Respirationsorgan der Holotliu-","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294 II. Buch. Organ, chemische Vroeessc. I. Abschn. Aihmen.\nrien, welches einen hohlen Baum mit hohlen Endzweigelchen vor-stellt, der von seiner innere Fl\u00e4che aus athmet, indem er das Wasser aufnimmt, das von Zeit zu Zeit ausgetrieben wird. Die Kiemen athmen meistens Wasser, aber zuweilen auch Luit, wie die Kiemen der auf dem Lande lebenden Crustaceen, der Landasseln. Lungen und Kiemen, in ihren extremen Formen durchaus verschieden, n\u00e4hern sich doch olt so sehr, dass es schwer ist, zu bestimmen, ob etwas Lunge oder Kieme ist. Nicht allein dass die Kiemen der Cyclostornen, der Haien und der Rochen in den W\u00e4nden von Riemens\u00e4cken angebracht sind, dass die Kieme der Ascidien 'unter den Mollusken ein Kiemensack ist; in dem Athemorgan der Lungenspinnen ist die Vermischung der Charaktere noch gr\u00f6sser. Diese Organe haben die Charaktere der Lungen und Kiemen zu gleicher Zeit, und wurden vielleicht mit eben so viel Recht oder Unrecht von Tbeviranus Kiemen, als von mir Lungen genannt. Diess sind S\u00e4ckchen, welche beim Aufblasen durch ihr Luftloch f\u00e4cherf\u00f6rmige blinde Vorspr\u00fcnge am Rande des S\u00e4ckchens zeigen, wie ich beim Scorpion gezeigt babe, w\u00e4hrend das Innere der S\u00e4ckchen zugleich durch eine Anzahl zarter Scheidew\u00e4nde in innere F\u00e4cherchen abgetheilt ist. D iese Organe athmen Luft. Das Tracheensystem der Insecten athmet meist Luft durch Luftl\u00f6cher ein; allein einige derjenigen Insekten, die im Wasser leben, athmen die im Wasser aufgel\u00f6ste Luft durch kiemenf\u00f6rmige Anf\u00e4nge des Tracheensvsteins, so dass sie die im Wasser aufgel\u00f6ste Luit durch diese Tracheenkiemen in gasf\u00f6rmige Luft verwandeln, die dann in ihrem Luftr\u00f6brensy-steme weiter verbreitet wird.\nBei den Infusorien scheinen die einzigen Athemorgane die zarten, nur bei den st\u00e4rksten Vergr\u00f6sserungen sichtbaren Wimpern zu seyn, womit viele theilvveise oder ganz besetzt sind. Bei den Polypen scheint die ganze K\u00f6rperoberll\u00e4che dem Athempro-cess zu dienen. Bei einigen, wie den Alcyonellen, scheinen ihre B\u00fcschel zugleich Kiemen zu seyn. Unter den Echinodermen bildet das Athemorgan hei den Holothurien ein hohles Strauchwerk oder B\u00e4umchen mit Endzellehen, welches das Wasser durch den Stamm aufnimmt, und von der innern Oberfl\u00e4che des Organes aus athmet. Bei den Seesternen sind die Respirationsorgane nach Tiedemann weiche R\u00f6hrchen auf der Haut des Thiers, in welche das Wasser eindringen kann. Tiedemann Anatomie d. R\u00f6hrenho-lothurie etc. Bei den Anneliden sind die Athemorgane th ei Is freie b\u00fcschelf\u00f6rmige Kiemen, in Form von Zweigelchen wie in den Arenicolen, und \u00e4hnliche Organe an den F\u00fcssen der Nereiden, bald Athembl\u00e4schen, die unter der Haut verborgen liegen, und wovon jedes durch eine Oeffnung nach aussen f\u00fchrt, wie bei den Lumbricinen, Naiden, Hirudineen; ich habe indess einmal bemerkt, dass die eigentlichen Athembl\u00e4schen der Hirudo med. eine tropfbarfl\u00fcssige Absonderung, etwas weniges weissliehe Materie enthielten.\nDie Mollusken athmen theils durch Kiemen Wasser, theils durch Lungen Luft. Ln ersten Fall sind z. B. die Cephalopoden, ein Theil der Gasteropoden, die Acephalen, im zweiten Fall he-","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"2. Organologie. Tracheensystem der Insekten.\n395\nfindet sich ein Theil der Gasteropoden, wie z. B. die Helicinen und Lirnacinen. Die Kiemen stellen Falten oder Bl\u00e4tter dar, die parallel nebeneinander verbunden sind, oder von einem Schalte ausgehen, wie\tbei\tden\tSepien, oder\tverzweigt sind, wie hei den\nDoris, wo sie\tum\tden\tAfter stehen.\tBei den zweischaligen Mu-\nscheln sind jederscits 2 in der L\u00e4nge des Thieres verlaufende doppelwandige Bl\u00e4tter, zwischen deren Lamellen zugleich die Eier gelangen k\u00f6nnen, um sich zu entwickeln. Siehe v. Baee, Meck. Archiv 1830.\tBei\tden\tAscidien bilden die Riemen eine sackf\u00f6rmige Vorhalle\tdes\tDarmschlauches,\two die innere Haut gitter-\nf\u00f6rmige Vorsprunge bildet. Die luftathmenden Gasteropoden leben theils im Wasser, wie z. B. die S\u00fcsswasserschnecken, und athmen Luft an der Oberfl\u00e4che des Wassers, wie die Limn\u00e4en u. a., theils leben sie auf dem Lande, wie die Lirnacinen und Helicinen. Das Athemorgan ist eine sackf\u00f6rmige Lunge, deren Atbemloch sich rhythmisch \u00f6ffnet und schliesst.\nBei den Crustaceen sind die Kiemen entweder wasserathmend, wie bei den meisten, sie sind dann theils federf\u00f6rmig vereinigte Blatter, wie bei den Brachiuren, theils B\u00fcschel von F\u00e4den ausschickende Forts\u00e4tze, wie hei den Macruren, theils einfache Bl\u00e4tter, wie bei den Wasserasseln. Die luftathmenden Riemen der Landasseln stellen auch einfache hohle Bl\u00e4tter dar. Bei mehreren Crustaceen sind die Kiemen mehr blasenartig, wie bei den Amphipoden. Die Riemen der Crustaceen sind entweder mit den F\u00fcssen verbunden oder mit der Unterseite des Bauches.\nDie Spinnen zerfallen in Lungenspinnen und Tracheenspinnen. Die Athemorgane der Lungenspinnen liegen an der untern Seite des Hinterleibes, bald 1 Paar, wie bei den meisten Spinnen, bald 2 Paar, wie bei den Mygaler, bald 4 Paar, wie bei den Scor-pioniden. Diese Organe, w'elche ich in Meck. Archiv 1S2S. und Isis 1828. 707. weitl\u00e4ufiger beschrieben habe, sind S\u00e4ckchen, zu welchen jedesmal ein Luftloch f\u00fchrt. ln dieseu S\u00e4ckchen sind viele parallele Scheidew\u00e4ndchen oder Bl\u00e4tter aufgestellt. Die Abtheilungen zwischen diesen Bl\u00e4ttern springen am untern Rande der Kieme beim Auf blasen vor, so dass die Kieme auch ausser-lieh am hintern Runde abgetheilt ist. Die im W\u00e4sser lebenden Spinnen, wie Aranea aquatica, nehmen zwischen den Haaren ihres Leibes Luft mit in das Wasser hinab, die sie verzehren; doch scheinen die Hydrachnen so wie die Pycnogoniden nicht Luit zu athmen. Die Tracheenspinnen, wie Solpuga, Chclifer, Phalangium, und die Acariden verhalten sich im Bau ihrer im ganzen K\u00f6rper sich verbreitenden Luftr\u00f6hren, die durch Luftl\u00f6cher Luft erhalten und ausscheiden, wie die Insekten. Duges hat auch Spinnen (Dysdera, Segestria) beobachtet, welche Lungen und Luitrohren zugleich haben. Die beiden hinteren der 4 Stigmen derselben sind Tracheal-Stigmen.\nAlle Insecten haben ein Tracheensystem, die meisten athmen in der Luft, diese nehmen die Luft durch eine Anzahl Luftl\u00f6cher, Stigmata, meist an den Seiten der Leibesringe auf. Siehe die Abbildungen des ganzen Luftr\u00f6hrensystems mehrerer Insecten bei Marcel de Serres, Isis 1819. 4. Die Luftr\u00f6hren f\u00fchren die Luit","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"2\u00d6G II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Alschn. Athrnen.\nvon den Stigmata theils in S\u00e4ckchen, wovon die \u00fcbrigen Luft-r\u00f6hrenst\u00e4minehen ausgehen, theils in L\u00e4ngsst\u00e4mme, die sich durch das ganze Thier Lis in die kleinsten Theile verzweigen. Bei mehreren, besonders bei den Orthopteren, sieht man deutliche Athem-bewe gungen durch abwechselnde Erweiterung und Verengerung des Hinterleibes. Vor dem Fliegen scheinen die K\u00e4fer sich mit mehr Luft zu f\u00fcllen, wobei ihre Fl\u00fcgel, die ebenfalls Luftr\u00f6hren enthalten, sich entfalten. Treviram\u00fcs hat neulich behauptet, dass die Stigmata einiger Insekten ganz undurchbohrt sind. Diess ist indess von Burmeister bereits verneint. Burmeister Entomologie. Berlin 1832. />. 172. Ueber den Bau der Luftl\u00f6cher siehe Burmeister ebend.\nEinige Insekten leben im Wasser und atbmen doch Luft an der Oberfl\u00e4che des Wassers, wie die Larven mancher Diptera, die Wasserwanzen und einige K\u00e4fer, die im Wasser leben. Die Dytisken kommen an die Oberfl\u00e4che des Wassers und nehmen die Luft in Luftl\u00f6cher am After auf. Die Hydrophilen nehmen Luftblasen zwischen den Haaren ihres K\u00f6rpers mit in die Tiefe. Beide K\u00e4fer haben ihre Luftl\u00f6cher als Larven am Schwanzende. Burmeister. Die Larven der gemeinen Stechm\u00fccke, Culex pipiens, haben eine Athemr\u00f6hre am letzten Hinterleibsringe, die Puppen derselben 2 Athemr\u00f6hren aus dem Brustkasten hervorragend. Andere dieser M\u00fccke verwandte Gattungen dagegen athrnen als Larven Wasser mit Kiemen. Aber die Larven der Federm\u00fccken, Chironomus, haben wieder zwei Athemr\u00f6hren am Scliwanzgliede. Bei den Stratiomys endigt das letzte Glied des Leibes in eine Athemr\u00f6bre. Sehr interessant ist die Athemr\u00f6hre der Larven der Gattung Eristalis, die im Schlamm von Pf\u00fctzen, Gossen und Abtritten leben. Das letzte Glied des Leibes verl\u00e4ngert sich in eine h\u00e4utige R\u00f6hre, in welcher eine zweite hornige steckt, die wie die Athemr\u00f6hre der Culex und Stratiomys zur Suspension auf der Wasseroberfl\u00e4che mit einem Borstenkranze versehen ist. Die Larve richtet dieses Rohr, dessen inneres St\u00fcck, wenn es n\u00f6thig ist, hervorgeschoben wird, bis an die Oberfl\u00e4che des Wassers, die R\u00f6hre kann zu diesem Zwecke ausserordentlich verl\u00e4ngert werden, w\u00e4hrend die Larve auf dem Grunde lebt und an der Oberfl\u00e4che des Wassers ntbmet. Burmeister Entomologie I. 178. Auch einige Wasserwanzen, JNepa und Ranatra haben Athemr\u00f6hren.\nEinige Insekten, die als Larven im Wasser leben, athrnen obgleich sie in ihrem Innern ein Luftr\u00f6hrensystem haben, zun\u00e4chst Wasser. Diese besitzen statt Luftl\u00f6cher, Kiemen, als Anf\u00e4nge der Luftr\u00f6hren. Diese Kiemen haben die Function, die im Wasser aulgel\u00f6ste Luft von dem Wasser abzuscheiden, und im gasf\u00f6rmigen Zustande dem Luftr\u00f6hrensystem zu \u00fcberliefern.\nDie Kiemen sind theils haarformige F\u00e4den, deren Inneres die Anf\u00e4nge der Luftr\u00f6hren enth\u00e4lt. Diese Haare sind bald strahlig vereinigt, bald verzweigt. Solche Kiemen haben z.'B. die Larven und Puppen mehrerer M\u00fccken. Blattf\u00f6rmig sind die Kiemen mehrerer Neuroptera. Mit haarf\u00f6rmigen Kiemen an den Seiten der Ringe athrnen die Larven des Drclik\u00e4fers Gyrinus. Am h\u00e4u-","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"2. Organologie. Kiemen der Fische. Kiemengeriist.\n297\nfitsten sind die Kiemen bei den Larven der Neuropteren. Bei Ephemera sind es flossenartige Kiemenbl\u00e4ttchen an der Seite des Leibes, im Innern der Bl\u00e4ttchen beginnen die Zweige der Luftr\u00f6hren. Die Kiemen der Larven der Wasserjungfern liegen im letzten Leibesringe, bei Agrion bilden sie 3 grosse gefranzte Bl\u00e4tter. Die b\u00fcschelf\u00f6rmigen Kiemen der Larven der Libellen liegen im Mastdarme, so dass die b\u00fcschelf\u00f6rmigen Enden der Luftr\u00f6h-renst\u00e4mme, die Haut des Mastdarms durchbohrend, in die H\u00f6hle des Mastdarms hereinragen. Die Larven der Phryganeen und Semblis besitzen faden- oder blattf\u00f6rmige Forts\u00e4tze an den Seiten des Hinterleibs. Unter den Dipteren athmen die Larven der Chironomus Luft durch Athemr\u00f6hren, die Puppen aber die im Wasser aufgel\u00f6ste Luft durch Kiemenb\u00fcschel am Brustkasten. ' Anopheles atbmet als Larve mit Kiemen am Schwanzende, mit Athemr\u00f6hren als Puppe. Unter den Schmetterlingen lebt die Raupe einer Motte, Botys stratiotalis, im Wasser. Eine ausf\u00fchrlichere Darstellung der Athemorgane hat Burmeister in seiner sch\u00e4tzbaren Entomologie gegeben, wovon liier ein Auszug mitge-theilt worden. Abbildungen der Kiemen der Wasserinsekten bat Suckow in Heusinuer\u2019s Zeitschrift f\u00fcr organ. Physik, \u00df. 2. gegeben. Wenn die mit Kiemen atbmenden Larven und Puppen sieb verwandeln, verlieren sie ihre Kiemen, und atlimen Luft durch Luftl\u00f6cher.\nUeber den Bau der Kiemen der Fische bat Rathke gr\u00fcndliche Untersuchungen angestellt. Untersuchungen \u00fcber den Kiemenapparat und das Zungenbein der WirbeltMere. Riga und Dorpat 1832. Das Folgende ist zum Tbeil ein Auszug derselben.\n1. Kiemengeriist. Der Unterkiefer der Gr\u00e4tenfische ist an dem Quadratbein aufgeh\u00e4ngt, einem Suspensorium, welches hier aus mehreren St\u00fccken besteht, an welche sich hinten noch 3 St\u00fccke des Kiemendeckels anschliessen.\nAuf den Unterkiefer folgt nach hinten bei den Gr\u00e4tenfischen der Zuncenbeiun\u00fcrtel. Diess sind 2 aus mehreren Gliedern he-stehende Bogen, deren Extreme mit dem Quadratbein verbunden, und die unten in der Mitte hinter der Zungenst\u00fctze vereinigt sind, zwischen sich oft eine Copula und unter sich den Zungenbeinkiel haben. An den Bogen des Zungenbeins die kn\u00f6chernen Radii branchiostegi, Kiemenhautstrahlen. .\nHinter dem Zungenbeing\u00fcrtel liegen bei den Gr\u00e4tenfischen 4 Knocheng\u00fcrtel, die Kiemenbogen, an welchen die Kiemenbl\u00e4ttchen wie die Z\u00e4hne eines Kammes befestigt sind. Das gef\u00e4ss-reiche Gewebe der Kiemenbl\u00e4ttchen ist durch knorpelige St\u00fctzen, den Bl\u00e4ttchen, entsprechend getragen, welche man den Radii branchiostegi des kiemenlosen Zungenbeing\u00fcrtels vergleichen kann. Ihe Kiemenhogen bestehen aus mehreren St\u00fccken, meist vier, in nem hintersten weniger. Bei vielen Gr\u00e4tenfischen befinden sich an der innern Seite der Kiemenbogen mehrere kleine Knoclien-pfatten mit kleinen Z\u00e4hnen. Ist das oberste Glied eines Kiemenogens st\u00e4rker bewaffnet, so wird es zum obern Schlundknochen, s pharyngeum superius. Zwischen den unten paarweise verbun-c enen Kiemenbogen befinden sich 2\u20144 Knochen- oder Knorpel-","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Abschn. Athmen.\nst\u00fccke als Copulae derselben. Hinter dem letzten Paare der Kie-menbogen liegen die unteren Scblundknochen oder die Sehlundkiefer aus einem St\u00fccke jederseits bestehend. Sie stellen gleichsam einen Riemenbogeng\u00fcrtel dar, der aber ohne Riemen ist. Die Kiemenbogen und Schlundkieler liegen bei den meisten Fischen unter dem Sch\u00e4del, bei anderen zum Theil unter den ersten Wirbeln.\nIn den Haifischen und Rochen tragen die knorpeligen Quadratbeine den Unterkiefer und die Zungenbeinbogen. Sowohl mit dem Quadratbein als dem Zungenbeinbogen sind Knorpelstreifen in Form von Strahlen verbunden. Die Knorpelstrahlen des Quadratbeins entsprechen den Riemendeckelst\u00fccken, welche bei den Gr\u00e4tenfiseben am Quadratbein angeheftet sind , die Knorpelstrahlen der Zungenbeinbogen entsprechen den Radii bran-chiostegi der Gr\u00e4tenfische. Die 4 knorpeligen Riemenb\u00f6gen der Haifische und Rochen liegen unter dem Anf\u00e4nge der Wirbels\u00e4ule. Sie bestehen aus 4 Segmenten. Eine Knorpelplatte hinter den Kiemenbogen entspricht den Schlundkiefern der Gr\u00e4tenfische. Die Riemenbogen tragen auch Knorpelstreifen, die nach aussen und hinten wie Strahlen gerichtet sind.\nRei den Larven der Salamandrinen, Fr\u00f6sche und bei den Proteideen ist das knorpelige Riemenger\u00fcst zum Theil aus \u00e4hnlichen Theilen gebildet. Das Quadratbein tr\u00e4gt den Unterkiefer, in der Regel auch das vordere Zungenbeinhorn. Die Kiemenbogen bestehen nicht aus mehreren Segmenten; es sind 4 Bogen (beim Proteus 3), sie sind an die einfachen oder doppelten hinteren Zungenbeinh\u00f6rner befestigt, die Piathre f\u00fcr Segmente der Kiemenbogen selbst ansieht.\nBei der Verwandlung bleiben die Zungenbeinh\u00f6rner der Ba-trachier und Salamandrinen nebst dem Mittelst\u00fcck und ver\u00e4ndern sich. Die Kiemenbogen verschwinden, nur von dem ersten Bogen verbindet sich ein Rest mit den 2 Zungenbeinh\u00f6rnern beim Salamander. Siebold. Bei den Coecilien besitzt das Zungenbein durchs ganze Leben 4 Paar Bogen. Vergl. Piuscom descrizione anatomica degli organi della circolazione delle Larve delle Salamandre. Siebold observ. de Salamandris et Tritonibus. Berol. 1828. Bemerkenswerth ist, dass die H\u00f6rner des Zungenbeins bei den Eidechsen selbst im erwachsenen Zustand noch 2 Paar oder selbst 3 Paar Bogen darstellen. Rathke hat nun eine gleichlaufende Reihe von Beobachtungen an Embryonen der S\u00e4ugethiere angestellt, woraus ebenfalls hervSrgeht, dass die zarten Riemenbogen derselben, wie bereits pag. 172 erw\u00e4hnt wurde, in das Zungenbein zuletzt reducirt werden, indem namentlich der Zungenbeinbogen vorderes, der erste Kiemenbogen zweites Horn des Zungenbeines wird, dass aber die Riemenbogen nichts zur Ausbildung des Kehlkopfes beitragen, dieser vielmehr selbstst\u00e4ndig entsteht.\n2. Kiemenbl\u00e4tter. Die Riemenbl\u00e4tter der Gr\u00e4tenfische bilden an jedem Bogen eine doppelte Reihe von lanzettf\u00f6rmigen Bl\u00e4ttchen, die wie Z\u00e4hne eines Kammes auf den Kiemenbogen aufsitzen, an ihrer Basis sind sie h\u00e4ufig auf eine gewisse Hohe mit einander verwachsen. Die Kiemenbl\u00e4lter schicken wieder quere","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"2. Organologie. Kiemen der Fische. Kiemenl/l\u00e4tter.\n299\nkleinere Bl\u00e4tterclien aus. Die Kiemenarterien treten am untern Ende der Kiemenbogen ein, verlaufen in der Furche an der Con-vexit\u00e4t des Bogens bis zum obern Ende, d\u00fcnner werdend, die Kiemenvenen in umgekehrter Richtung, so dass diese unter der Wirbels\u00e4ule zu dem Arteriensystem zusammen treten. Auf jenem Weg giebt jede Art. branchialis so viel Aeste als Kiemenbl\u00e4tter. Diese Aeste theilen sich zweimal gabelf\u00f6rmig, und f\u00fchren in quere Capillargef\u00e4sse der feinsten Kiemenbl\u00e4ttchen, aus welchen auf \u00e4hnliche Art die Venen auf der entgegengesetzten Seite der Kiemenbl\u00e4ttchen entstehen. Cuvier hist nai. des Poissons. Tab. 8. Ueber Webenkiemen siehe Rathke a. a. O., \u00fcber die baumf\u00f6rmigen Webenkiemen des Heterobranchus anguillaris Burdach\u2019s Physiol. 4. 161. Ehre\u00efiberg hat bei Sudis aegyptiaca ein mit den Kiemen verbundenes, ausserst r\u00e4thselbaftes spiralf\u00f6rmiges Organ entdeckt. Ueber die runzeligen Webenkiemen der Anabas und anderer Fische, die ausser dem Wasser einige Zeit zubringen, siehe Cuvier hist. nat. des Poissons. Tab. 205. 206. Im F\u00f6tuszustande besitzen die Haifische und Piochen auch fadenf\u00f6rmige \u00e4ussere Kiemen, die merkw\u00fcrdiger Weise auch aus dem Spritzloch (vor dem Quadratknorpel) hervorragen, wodurch dieses Loch an die \u00fcbrigen wahren Kiemenl\u00f6cher erinnert.\nDie St\u00f6re besitzen eine halbe Kieme am Kiemendeckel, eben so die Haifische und Rochen am G\u00fcrtel vor den Kiemenbogen. Bei den Gr\u00e4tenfischen und bei dem St\u00f6r sind die Kiemenbogen nach der \u00e4ussern Seite frei, und nur von dem beweglichen Kie-mendeckel bedeckt, oder von der Kiemenhaut bis auf eine Oefl-nung bedeckt, wie beim Aal. Bei den Haifischen, Rochen dagegen geht von jedem Kiemenbogen zwischen den Kiemenbl\u00e4ttchen der vordem und hintern Seite eine h\u00e4utige Fortsetzung bis zur Haut, die bei diesen Thieren die Kiemen ganz bis auf 5 Oeffnun-gen bedeckt. Dadurch entstehen vollst\u00e4ndige Scheidew\u00e4nde zwischen Schlund und Haut, in welchen die Kiemenbogen eben liegen. Von diesen Kiemenbogen gehen die Kiemenbl\u00e4tter als parallele F\u00e4ltcben der Schleimhaut, welche diese S\u00e4cke auskleidet, aus. Von den 5 Oeffnungen zu 5 Kiemenh\u00f6hlen liegt die erste hinter der ersten oder halben Kieme und dem I. Kiemenbogen, die 2., 3., 4. Oeffnung zwischen den 1\u20142., 2 \u2014 3., 3 \u2014 4. Kiemenbogen, die 5. Oeffnung hinter dem 4. Kiemenbogen. Die hintere Wand der 5. Kiemenh\u00f6hle ist ohne Kiemenbl\u00e4ttchen.\nBei den Cyclostomen giebt es auch Kiemens\u00e4cke mit \u00e4usseren Oeffnungen, indem je zwei Kiemen zu einem Sack sich verbinden. Die Kiemenbogen fehlen, und statt deren giebt es bloss h\u00e4utige Scheidew\u00e4nde, welche nach zwei Seiten hinten mit Schleimhaut ausgekleidet sind. Starke Falten dieser Schleimhaut bilden die Kiemenbl\u00e4tter. Bei Ammocoetes sind 6, bei Petro-myzon 7 Kiemens\u00e4cke und Oeffnungen. Bei Ammocoetes \u00f6ffnen sieb die inneren Kiemenl\u00f6cher der S\u00e4cke in den Schlund, gleich wie die Kiemenspalten der Gr\u00e4tenfische. Bei den Petromyzen dagegen \u00f6ffnen sich die 7 inneren Kiemeni\u00f6cher in einen vor der Speiser\u00f6hre liegenden, am Ende blinden, vorn mit dem Munde zusammenh\u00e4ngenden Bronchus.","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\t1. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Aihmen.\n\u2022 Ule Froschlarven haben in ihren auf der rechten Seite ganz, auf der linken Seite bis auf ein kleines Loch bedeckten Kiemenh\u00f6hlen 4 mit Kiemenbl\u00e4ttchen versehene Kiemenbogen. Tn die Kiemenh\u00f6hlen brechen auch die vorderen Extremit\u00e4ten hervor. Die Salamanderlarven haben hei \u00e4usseren Kiemen 4 Kiemenspalten. Unter den Proteideen hat Siren 3, Proteus 2, Axolotl 4 Kiemenspalten, heim letzten ist die erste Spalte zwischen dem h\u00e4utigen Kiemendeckel und 1. Bogen; der 4. Bogen ist angewachsen. Alle Proteideen haben wie die Salamander keine innere, aber 3 \u00e4ussere Kiemenb\u00fcschel, von Kiemenbogen ausgehend. Bei dem Proteus sind nach Rusconi die Kiemenarterien die Aeste des Truncus arteriosus, die Kiemenvenen vereinigen sich zu dem Arteriensystem des K\u00f6rpers, aber die Kiemenarterien anastomosiren auch mit den Wurzeln des Arteriensystems. Ebenso hei den Larven der Salamander, so dass die Kiemengef\u00e4sse gleichsam Aeste von Aortenbogen sind, auf welche sich die Blutbewegung nach dem Verluste der Kiemen zur\u00fcck zieht. Die Kiemenarterien und Venen der Froschlarven verlaufen in entgegengesetzter Richtung, anastomosiren aber auch mit einander. Vergl. oben pag. 170. Die Proteideen und die Frosch- und Salamanderlarven in der sp\u00e4tem Zeit athmen ausser dem Wasser durch Kiemen auch Luft durch die Lungen.\n3. Kiemendecken. Bei den Gr\u00e4tenfischen sind die Kiemen durch die Deckelst\u00fccke, welche dem Quadratbein verbunden sind, gemeinschaftlich gedeckt. Bei den Haifischen und Rochen, wo die Kiemen bis auf blosse kleine Oeffnungen zwischen 2 Kiemenbogen von der Haut bedeckt sind, giebt es nicht allein an dem Quadratknorpel jene die Kiemendeckelst\u00fccke vertretende Knor-pelstreil'en, sondern mit jedem Kiemenbogen liegt noch unter der Haut ein Knorpelstreifen parallel. Diese bilden eine obere und eine untere Reihe, in welchen gleichsam die St\u00fccke des Kiemendeckels der Gr\u00e4thenfisclie multiplient sind. Rature a. a. O. Tab. III. fig. 1. 2. Diese \u00e4usseren Kiemendeckelknorpel bilden sich bei den Petromyzen zu einem sehr zusammengesetzten \u00e4ussern Knorpelskelet der Kiemen aus, w\u00e4hrend das Kiemenbogenskelet bei diesen Thieren in den Scheidew\u00e4nden der Kiemens\u00e4cke fehlt.\nBei den Salamanderlarven, dem Proteus und Axolotl ist eine kiemendeckelartige Platte vorhanden, die aber keine Knochenoder Knorpelst\u00fccke enth\u00e4lt, und die h\u00e4utige Kiemendecke der Froschlarven, welche die Kiemen bis auf die eine kleine Oefl'nnng auf der linken Seite bedeckt, ist auch eben bloss membran\u00f6s. Hieraus geht nun hervor, wie Rature bewiesen hat, dass die Kiemendeckelst\u00fccke am Quadratbein der Fische keinem Knochen bei h\u00f6heren Thieren entsprechen, sondern den Fischen eigen-th\u00fcmliche Bildungen sind, die am wenigsten mit den Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen der h\u00f6heren Thiere verglichen werden k\u00f6nnen. Dass letztere nicht aus Theilen der Kiemenbogen entstehen, wie Huscure vermuthet halte, geht aus der Beobachtung von Windischmakn hervor, dass der Axolotl Kiemenbogen und doch 2 Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen (ohne Trommelh\u00f6hle} besitzt.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"2. Organologie. Structur der Lungen.\n301\nUeber den Bau der Athemwerkzeuge der Amphibienlarven und Proteideen siehe Cuvier oss. fossil. T. 5. 2. Humboldt lind Bonplahd Beobacht, aus der Zool. Tiib. 1806. Rusconi, Confi-gliachi del proteo anguino. Pavia 1819. J. Mueller\u00fc Beitr\u00e4ge zur Naturgeschichte und Anatomie der Amphibien, in Ti\u00e9bemann\u2019s Zeit-sehr, f\u00fcr Physiologie. 4. 2. und vergleiche oben pag, 170.\nDie Lungen der Amphibien sind eigentlich blosse Sacke, mit zellenf\u00f6rmigen Vorspr\u00fcngen im Innern, wodurch die Fl\u00e4che vermehrt wird. Die Lungen der meisten nackten Amphibien haben nur eine h\u00e4utige, meist sehr kurze Luftr\u00f6hre, bei den Batrachiern f\u00fchrt der Kehlkopf fast sogleich in die h\u00e4utigen Bronchien. Die erste Erscheinung von Knorpelst\u00fccken in den Bronchien ist hei Dactylethra, wo sie ganz unregelm\u00e4ssig verzweigte und selbst durchl\u00f6cherte Platten bilden, ohne alle Aehnlichkeit mit Luftr\u00f6hrenringen. Knorpelringe kommen an den Bronchien der verwandten Pipa vor. Die Luftr\u00f6hre der Coecilien enth\u00e4lt schon regelm\u00e4ssige Knorpelringe. Bei den beschuppten Amphibien ver-gr\u00f6ssert sich die athmende Fl\u00e4che durch Vermehrung der Zellen im Innern. Die Lungen der V\u00f6gel f\u00fcllen nicht, wie bei den S\u00e4ugethieren, den gr\u00f6ssten Theil der Brusth\u00f6hle aus, sondern liegen im hintersten Theil derselben (an den Rippen sogar verwachsen), w\u00e4hrend Brusth\u00f6hle und Bauchh\u00f6hle noch nicht durch ein Zwerchfell geschieden sind. Auf der Oberfl\u00e4che der Lungen befinden sich aber Oeffnungen, welche die Luft aus den Lungen weiter in grosse Zellen um den Herzbeutel her und zwischen den Eingeweiden des Unterleibes f\u00fchren, so dass man durch die Luftr\u00f6hre diese Zellen aufblasen kann. Durch Anf\u00fcllen der Zellen kann sich indess, wie Kohlrauscii {de avium saccorum ailriorum utilitale Gott. 1832.) zeigt, der Vogel f\u00fcr den Zweck des Fliegens nicht leichter machen. Diese Zellen stehen sogar durch besondere Oeffnungen mit den hohlen Knochen in Verbindung, so dass die meisten Knochen (mit wenigen Ausnahmen) mit Luft gef\u00fcllt sind. Hierdurch ist der K\u00f6rper des Vogels nat\u00fcrlich leichter, als wenn seine Knochen Mark enthielten. Wenn ein Vogel aus einer bedeutenden H\u00f6he, wo die Luft sehr verd\u00fcnnt ist, in dichtere Luft sich herabsenkt, so wird die Terision der Luft im Innern seines K\u00f6rpers sich mit der Tension der Atmosph\u00e4re schnell ins Gleichgewicht setzen. Die Lungen der V\u00f6gel haben noch das Ausgezeichnete, dass ihre Luftr\u00f6hrenzweige zuletzt kurze blinde, pfeifenartig neben einander liegende R\u00f6hren bilden, deren W\u00e4nde eine zeitige Structur haben. Beim Embryo der V\u00f6gel sind diese R\u00f6hren noch deutlicher und von einander mehr getrennt mit Endanschwellungen. Siehe Retzius, Froriep\u2019s Not. 719. Pietzius bemerkt auch, dass die R\u00f6hrchen bei den V\u00f6geln mit einander communiciren. Die Lungen des Menschen und der S\u00e4ugethiere sind von jenen wesentlich verschieden gebaut, dass, wie Retzius bemerkt, die feinsten Luftr\u00f6hrenzweige, ohne Cellulae parietales 2u besitzen, in Cellulae terminales f\u00fchren. Die Zellen communiciren nicht mit einander, sondern nur mit ihren zuf\u00fchrenden Luftr\u00f6hrenzweigelchen. Nach Reisseises {de fabrica pulmonum. Bern/. 1822.) hat in der Lunge des Menschen jede Zelle noch ihre","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Absclin. Athmen.\nkleine Arterie und Vene, zwischen denen die Capillargef\u00e4ssnetze. Letztere sind \u00e4usserst dicht, so dass die Zwischenr\u00e4ume last kleiner sind als der Durchmesser der Capiliargef\u00e4sse. Eine Lungenzelle ist 20 Mal im Durchmesser gr\u00f6sser als der Durchmesser eines Capiilargef\u00e4sses in den W\u00e4nden dieser Zelle. Da der Durchmesser der Lungenarterie -J- kleiner als der Durchmesser der Aorta, der Durchmesser der ersten zu dem der zweiten wie 5 zu 6, so verhalten sich ihre Durchschnitte wie 25 zu 36, oder fast wie 2 zu 3. Verhielten sich die feinen Zweige der Lungenarterien\u00e4ste zur Lungenarterie so, wie die feinen Zweige der K\u00f6rperarterien zu der Aorta, so w\u00fcrden die Durchschnitte der Capiliargef\u00e4sse der Lungen -f des Raums einnehmen, den die Durchschnitte aller Capiliargef\u00e4sse des \u00fcbrigen K\u00f6rpers fassen. Diess ist aber sehr unwahrscheinlich, daher man annehmen muss, dass die Raumvermehrung bei der Verzweigung der K\u00f6rperarterien in einem weit grossem Verh\u00e4ltnisse zunimmt als in den Lungenarterien\u00e4sten. Das Athmen geschieht durch Contact der Luft und des Blutes, w\u00e4hrend dieses durch die unz\u00e4hligen Capiliargef\u00e4sse der Lungenzellen vertheilt vor\u00fcber str\u00f6mt, wobei die kleinsten Theilchen des Bluts der Einwirkung der Atmosph\u00e4re auf der ungeheuren Con-tactsfl\u00e4che aller Lungenzellen ausgesetzt werden. Die Wechselwirkung geschieht durch die zarten W\u00e4nde der Capiliargef\u00e4sse nach den Gesetzen, welche schon pag. 242\u2014248 erl\u00e4utert worden sind.\nIII. Capitel. Vom Athmen des Menschen und der Thiere.\n1. Vom Allimen in der Luft.\nDie ersten genauen Versuche \u00fcber das Athmen sind von Lavoisier und Seguin angestellt. Man fand, dass die ausgeathmete Luft mehr Kohlens\u00e4ure und Wasser enthielt, dass der Gehalt an Sauerstoflfgas darin geringer ist, als in der eingeathmeten Luft, und dass die Luft durch das Athmen etwas mehr Sauerstoffgas verlier!, als Kohlens\u00e4ure erzeugt wird. Weil nun ein Maass Sauer-stoffgas, das durch Verbindung mit Kohlenstoff Kohlens\u00e4ure erzeugt, wieder ein Maass Kohlens\u00e4uregas bildet, so schloss man, dass der gr\u00f6sste Theil des beim Athmen verschwindenden Sauer-stoffgases durch Verbindung mit Kohlenstoff des Blutes in den Lungen Kohlens\u00e4ure bilde, die frei werde, und der \u00fcbrige Theil des heim Athmen verschwindenden Sauerstoffgases durch Verbindung mit Wasserstoff des Blutes das ausgeathmete dunstf\u00f6rmige Wasser bilde. Die Menge des durch die Lungen ausgeschiedenen Wassers betr\u00e4gt bei einem Erwachsenen in 24 Stunden nach dem Mittel der Beobachtungen von Lavoisier, Menzies, Abernetiiy, Thomson und Hales 7963 Gran. Vergl den Artikel Ausd\u00fcnstung im 2. Buch. 4. Abschn. 7. Cap. Dieses Wasser enth\u00e4lt etAvas thie-rische Materie. Gmelin Chemie 4. 1524.\nH. Davy nthmete fast eine Minute lang (19 Respirationen) 161 Cubikzoll Luft, welche 117 C. Z. Stickgas, 42,4 C. Z. Sauer-stoifgas, 1,6 C. Z. kohlensanres Gas enthielten. Hernach enthielt","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"3. xhinnen, d. Menschen u, d. Thiere. Athmen in der Luft. 303\ndie Luft 11:1,6 C. Z. Stickgas, 23,0 C. Z. Sauerstoffgas, 17,4 C. Z. kohlensaures Gas. Gilp. Ann. 19. 307. In einer Minute wurden also 15,8 C. Z. kolilensaures Gas ausgeschieden. Allen und Pepys haben eine sehr musterhafte Untersuchung des Athmens angestellt. Phil. Transact. 1808. 1809. Sciiweigg. B. 1. und Meck. Arch. 3. 233.\nEinathmungen und Ausathmungen geschahen aus und in verschiedene Gasometer. Der 13. Versuch ist von besonderem Interesse. Ein Wassergasometer war das Reservoir der atmosph\u00e4rischen Luft, welche eingeathmet wurde, Quecksilbergasometer dienten zum Auffangen der ausgeathmeten Luft. Nachdem 11 Quecksilbergasometer mit ausgeathmeter Luft angeliillt waren, fuhr der Athrnende so lange fort in dem zw\u00f6lften zu athmen, bis das Wassergasometer wieder mit frischer Luft gef\u00fcllt war. Dann wurden wieder 11 Quecksilbergasometer und sp\u00e4ter eben so zum dritten Male mit ausgeathmeter Luft gef\u00fcllt. Der Versuch dauerte\nMin. Die w\u00e4hrend dieser Zeit eingeathmete Luft betrug 9890, die ausgeathmete 9872 C. Z. Hundert Theile der ausgeathmeten Luft gaben hei der Pr\u00fcfung 8 Theile Kohlens\u00e4ure, 13 Sauerstoff, 79 Stickstoff. Hiernach betr\u00e4gt die ganze Menge der in 24^ Minuten erzeugten Kohlens\u00e4ure 789,76 C. Z., oder f\u00fcr die Minute 32 C. Z. engl.\nAls in dem 14. Versuch 300 C. Z. atmosph\u00e4rische Luft 3 Minuten lang geathmet worden, betrug die Kohlens\u00e4ure doch nur 9,5 in 100 Theilen Luft. H\u00e4ufige Wiederholung der Versuche ergab, dass die eingeathmete Luft mit 0,08 bis \u00dc,0S5 proc. Kohlens\u00e4ure beladen ausgeathmet wird, und dass, wenn man das Ein-athinen derselben Luft so oft als m\u00f6glich wiederholt, die Menge der erzeugten Kohlens\u00e4ure nicht \u00fcber 0,10 in 100 Th. der ganzen Luftmasse betr\u00e4gt. W\u00e4hrend im 13ten Versuch bei 24-^ Minuten langem Athmen frischer Luft 789,76 C. Z. oder in der Minute 32 C. Z. Kohlens\u00e4ure ausgeathmet wurden, wurde (Versuch 14) hei 3 Minuten langem Athmen derselben 300 C. Z. Luft nur 3 X 9,5 = 28,5 C. Z. oder in einer Minute 9,5 C. Z. Kohlens\u00e4ure gebildet und ausgeathmet. Im Versuch 13 waren in einer Minute\t\u2014 403 C. Z. frische atmosph\u00e4rische Luft durch\ndie Lungen gegangen, im Versuch 14 in einer Minute nur Vpr=100 C. Z., also war im Versuch 13 in 1 Minute circa 4 Mal mehr frische Luft durch die Lungen gegangen, als im Versuch 14, und daf\u00fcr auch 3,3 Mal mehr Kohlens\u00e4ure als im Versuch 14 gebildet worden.\nAllen und Pepys nehmen als Mittel ihrer Beobachtungen Versuch 11 an, wo w\u00e4hrend 11 Minuten 302 C. Z. engl. (250 franz. C. Z.) Kohlens\u00e4ure ausgeathmet wurden, was 22,7 franz. C- Z. Kohlens\u00e4ure auf die Minute betr\u00e4gt. Sie fanden ferner, dass der Mensch beim Athmen in Sauerstoffgas mehr Kohlens\u00e4ure a's atmosph\u00e4rischer Luft erzeuge. So wurden beim Athmen\nSauerstoffgas im Versuch 17 auf 100 Theile Sauerstoffgas ~,0 Kohlens\u00e4ure erzeugt. Hierbei wurde eine betr\u00e4chtliche Menge Stickgas entwickelt. Beim mehrmaligen Ein- und Ausath-nien derselben atmosph. Luft fanden sie weniger kohlensaures Gas","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304 IL Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. A/hrnen.\nvor, als Sauerstoff' verschwunden war, z. B, 8\u00f6 Stickgas, 4 Sauerstoffgas, 10 kohlens. Gas, da doch 17 Sauerstoffgas verschwunden waren. Diess erkl\u00e4ren sie dadurch, dass vom Blut ein Theil des kohlensauren Gases zur\u00fcckgehalten wurde.\nBei ihren Versuchen mit Meerschweinchen (Meck. Archiv 3. 233.) fanden Alien und Pepvs, dass heim Athmen von atmosph\u00e4rischer Luft ein Volum Sauerstoffgas durch ein Volum Kohlens\u00e4ure ersetzt werde. Beim Athmen von reinem Sauerstoffgas wurde etwas mehr Sauerstoffgas absorbirt als Kohlens\u00e4ure erzeugt, und durch eine entsprechende Menge Stickgas ersetzt, ebenso beim Athmen eines Gemisches von Wasserstoffgas und SauerstofF-gas, in dem Verh\u00e4ltnisse wie Stickgas und Sauerstoffgas in der atmosph\u00e4rischen Luft.\nBei einem 20 Jahre sp\u00e4ter angestellten Versuch mit Tauben, fanden sie, dass in reinem Sauerstoffgas mehr von diesem absorbirt werde, als zur Bildung der ausgeathmeten Kohlens\u00e4ure verwandt wird.\nDulong (Schweigg. Jourti. 38. 505.) brachte die Thiere in einen Apparat, zu und von dem best\u00e4ndig Luft zu- und abgeleitet werden konnte, so dass die Ver\u00e4nderungen der Luft quantitativ bestimmt werden konnten. Vergl. den von Allen und Pepvs angewandten Apparat (Meck. Archiv 3. Tab. 5.). Dulong fand, dass alle Thiere, fleisch- und pflanzenfressende, S\u00e4ugethiere und V\u00f6gel, mehr Sauerstoffgas verschwinden machten, als Kohlens\u00e4ure an dessen Stelle trat. Bei den pflanzenfressenden Thieren betrug die Menge des nicht durch Kohlens\u00e4nregas ersetzten Sauerstoffgases im Durchschnitt -A. derjenigen Menge, die durch Kohlens\u00e4uregas ersetzt war, bei den Fleischfressern dagegen (1- \u2014 t. Aehnliche Besultate, n\u00e4miieh einen Verlust von Sauerstoffgas, fand Despbetz in seinen schon bei dem Artikel von der thi\u00e8rischen W\u00e4rme pag. S6. erw\u00e4hnten Versuchen. Das erzeugte Kohlens\u00e4uregas betrug -\u00a7\u2014 ^ vom verschwundenen Sauerstoffgas.\nNach Davy, Peaff, Berthollet, Allen und Pepvs zeigt sich die atmosph\u00e4rische Luft nach einmaligem Ein- und Ausathmen dem Umf\u00e4nge nach vermindert. Nach Allen und Pepys w\u00e4re diese Verminderung, die sie nur fanden, von zuf\u00e4lligen Umst\u00e4nden abzuleiten (?). Wird dieselbe Lnftmenge wiederholt ein-und ausgealhmet, bis sie nicht mehr vertragen wird, so zeigt sie eine deutliche Volumsverminderung, nach dem Mittel der Beobachtungen von Lavoisier, Goodwyn. Davy, Allen und Pepys, Pfaff 2*4. Gmf.lin\u2019s Chemie 4. 1525.\nGmelin hat die Resultate der verschiedenen Analysen von Davy, Berthollet, Allen und Pepys, Menzies, Prout zusammengestellt. Zieht man aus diesen Resultaten das Mittel, so ergiebt sich, dass 10U Theiie einmal eingeathmete Luft nach dem Ausathmen 5,82 kohlensaures Gas enthalten, Nach Prout\u2019s Versuchen (Meckel\u2019s Archiv 2. 145. Schweigg. Journ. 15. 47.) ist die Menge der ausgeathmeten Kohlens\u00e4ure am gr\u00f6ssten zwischen 11 Uhr Morgens und 1 Uhr Mittags, das Minimum dagegen von 8^ Uhr Abends bis 34- Uhr Morgens. Wenn die Menge der gebildeten Kohlens\u00e4ure aus irgend einem Grunde vermehrt wird,","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"3. Athmen d. Menschen u. d. Thiere. Athmen in der Luft. 305\nso sinkt sie nachher in demselben Maasse unter den einer gewissen Periode angemessenen Grad herab. Die Menge der gebildeten Kohlens\u00e4ure nimmt bei demselben Menschen ah in depri-mirenden Leidenschaften, nach heftigen Bewegungen, heim Genuss von weingeistigen Fl\u00fcssigkeiten, von Thee, hei vegetabilischer Nahrung und nach l\u00e4ngerem Gebrauch von Quecksilber. Dagegen wird die relative Menge der durch das Athmen gebildeten Kohlens\u00e4ure durch einen niedern Barometerstand vermehrt. Wegen Krankheiten siehe Nysten a. a. O.\nBerechnet man die Menge des durch das Athmen entstehenden Kohlens\u00e4uregases auf 24 Stunden, so betr\u00e4gt diess nach Lavoisier und Seguin 14930 C. Z. oder 8534 Gran franz., nach Davy 31680 C. Z. engl, oder 17811 Gr. engl., nach Allen und Pepys 39600 C. Z. oder 18612 Gran engl. Diess betr\u00e4gt an auf Kohlens\u00e4urebildung verwandtem, und also aus dem Blut weggegangenem Kohlenstoff nach Lavoisier 2820 Gran franz., nach Davy 4853 Gran engl., nach Allen und Pepys 5148 Gr. engl. Nach Berzelius Bemerkung sind diese Resultate indess offenbar viel zu gross. Denn da die feste Nahrung an ihres Gewichtes Wasser und das andere y selten mehr als sein halbes Gewicht Kohlenstoff enth\u00e4lt, so w\u00e4ren schon 6^ Pfund fester Nahrung noting, um die Quantit\u00e4t Kohlenstoff zu ersetzen, die in 24 Stunden durch das Athmen ausgeschieden wird, abgesehen von anderen Excretionen.\nLieber das Athmen der Fr\u00f6sche habe ich mehrere Versuche angestellt. Die Fr\u00f6sche wurden bei zusammengepressten Lungen und Kehle in einen mit Quecksilber gesperrten graduirten Cylinder gebracht, und die Quantit\u00e4t der erzeugten Kohlens\u00e4ure durch eingebrachtes Kali causticuin an der Absorption des Gases gemessen.\n1)\tEin Frosch von 440 Gran Gewicht bildete in 6 Stunden in einem Cylinder von 10 C. Z. atmosph\u00e4rischer Luft -f C. Z. Kohlens\u00e4ure.\n2)\tEin Frosch von 655 Gran bildete in 8 C. Z. atmosph. Luft 1 \u2019 C. Z. Kohlens\u00e4ure in 12 Stunden, bei 27 Z. 9^ L. Luftdruck und 10\u00b0 R.\n3)\tEin sehr grosser Frosch von 1260 Gran bildete in 16A C. Z. atmosph. Luft in 14 Stunden 2 C. Z. Kohlens\u00e4ure hei 27 Z. 7 L. Luftdruck und 6\u00b0 R. Diess betr\u00e4gt auf 28\" Barometerstand und 15\u00b0 R. Temperatur und 6 Stunden Athmen reducirt.\nIm ersten Versuch auf 440 Gran Thier in 6 Stunden 0,66, im zweiten Versuch auf 655 Gran Thier in 6 Stunden 0,63, im dritten Versuch auf 1260 Gran Thier in 6 Stunden 0,88 C. Z. Kohlens\u00e4ure.\nIch habe diess wieder auf 100 Gran Thier und 100 Min. Athmen reducirt, und mit Versuchen von Treviranus (Zeitschrift jiir Physiologie 4. 1. p. 23.) an Kr\u00f6ten und Fr\u00f6schen zusammengestellt, wobei Treviranus die Luftmenge auf 15\u00b0 R. Temp, und 28\" Luftdruck berechnet und auf 100 Gran Thier und 100 Minuten Athmen reducirt hatte.\nMuller's Physiologie. 1.\n20","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Alschn. Athmen.\nArten der Thiere.\tBeobachter.\tP. C. Z. K\u00f6hlens, f\u00fcr 100 Gr. Thier und 100 Min. Athmen.\nBulb cinereus A. . .\tTreviranus\t0,02\n\u00dfufo cinereus B. . .\tTreviranus\t0,03\nRana temporaria A. .\tTreviranus\t0,10\nRana temporaria B. .\tTreviranus\t0,14\nFrosch A\t\t\tM\u00fcller\t0,041\nFrosch B\t\tM\u00fcller\t0,027\nFrosch C\t\tM\u00fcller\t0,019\nMittel\t\t\t0,039\nEs folgt als Mittel von 7 Beoachtungen, dass 100 Gran Kr\u00f6te oder Frosch in 100 Minuten 0,04 Kohlens\u00e4ure durch Athmen hilden. Nach Edward\u2019s (influence des agens physiques sur la vie. Pans 1824. p. 648.) bildete ein Frosch Kohlens\u00e4ure in 24 Stunden\teinmal 5,24\tCentil. hei\t27\u00b0\tC. \u2014\t2,55 P. C.\tZ.\thei\n15\u00b0\tR. ;\tein andermal\t2,57\tCentil.\thei\t18\u00b0 C.\t= 1,30 C.\tZ.\thei\n15\u00b0\tR.;\tein andermal\t2,44\tCentil.\tbei\t14\u00b0 C.\t= 1,25 C.\tZ.\thei\n15\u00b0\tR.\tDiess macht\tin 6\tStunden 0,63 C. Z. 0,32 C. Z. 0,31\nC. Z. Diess mit den 3 Beobachtungen von mir zusammengestellt, gieht f\u00fcr 6 Stunden folgende Quantit\u00e4ten Kohlens\u00e4ure:\n0,66 C. Z.\n0,63 \u00bb\n0,88 \u00bb\n0,63 \u00bb\n0,32 \u00bb\n0,31 \u00bb\nMittel 0,57 C. Z.\nTreviranus Versuche an 2 jungen Fr\u00f6schen lasse ich ausser der Berechnung. Also bildet ein erwachsener Frosch in 6 Stunden etwas mehr als i C. Z. Kohlens\u00e4ure.\nTreviranus hat die Resultate einer ganz vortrefflichen Arbeit \u00fcber das Athmen der niederen Thiere auf gleiche Verh\u00e4ltnisse, n\u00e4mlich auch auf 15\u00b0 R. und 28\" Luftdruck, 100 Gran Thier und 100 Minuten Athmen reducirt, wodurch man eine sehr interessante Zusammenstellung gewinnt. Hieraus geht nun hervor, dass die wirbellosen Thiere, Insekten und Mollusken und W\u00fcrmer, im Verh\u00e4ltniss zu ihrer Masse, nicht weniger Kohlens\u00e4ure hilden, als die Amphibien. Treviranus hat auch die an S\u00e4uge-thieren und V\u00f6geln von anderen Beobachtern angestellten Versuche auf 100 Gran Thier und 100 Minuten Athmen berechnet, woraus folgende Tabelle entstanden ist.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"3. \u00c2thmen d. Menschen u. d. Thiere. Allimen in der Luft. 307\nThiere.\tBeobachter.\tExcernirtes kohlens. Gas.\tAbsorbirtes Sauerstoffgas.\nMeerschweinchen\tBerthollet\t0,42 C. Z.\t0,67 C. Z.\n\u2014\tAllen u. Pepys\t0,60\t0,74\n\u2014\tDestretz\t0,47\t0.68\nKaninchen . . .\tBerthollet\t0,44\t0,60\nKatze \t\tDespretz\t0,G6\t0,98\nTaube .....\tDespretz\t0,99\t1 ,58\n\u2014\u25a0\tAllen u. Pepys\t0,96\t1,14\nZieht man aus diesen Daten das Mittel, so bilden 100 Gran S\u00e4ugethier in 100 Minuten 0,52 C. Z. Kohlens\u00e4uregas, 100 Vogel in 100 Min. 0,97 C. Z. Kohlens\u00e4uregas. Da nun 100 Gran Kr\u00f6te oder Frosch in 100 Minuten 0,05 C. Z. Kohlens\u00e4uregas bilden, so bildet ein Gewichtstheil eines kaltbl\u00fctigen Thiers, und zwar Am-phibiums, in gleicher Zeit 10 Mal weniger Kohlens\u00e4uregas, als ein gleicher Gewichtstheil S\u00e4ugethier, und 19 Mal weniger Kohlens\u00e4uregas, als ein gleicher Gewichtstheil Vogel. Bei Insekten hat Treviranus in den meisten F\u00e4llen sogar eine eben so starke Kohlens\u00e4urebildung gefunden, als sie bei S\u00e4ugethieren stattfindet, obgleich sie in einigen F\u00e4llen sich den Verh\u00e4ltnissen der Amphibien n\u00e4hert. Trevip.anus erkl\u00e4rt die Kaltbl\u00fctigkeit dieser Thiere trotz ihrer starken Kohlens\u00e4urebildung aus der bei ihnen statt-findenden Ausbauchung von Stickgas, wobei W\u00e4rme wieder latent werde.\nWenn man diese Menge hei Insekten auch f\u00fcr allzu gross h\u00e4lt, und diese Thiere wegen der Kleinheit und Tr\u00fcglichkcit der Resultate ausser der Berechnung l\u00e4sst, wenn man bloss die Amphibien mit S\u00e4ugethieren vergleicht, so kann man doch mit einiger Wahrscheinlichkeit die Temperatur der S\u00e4ugethiere und die Kaltbl\u00fctigkeit der Amphibien nicht davon ableiten, dass ein Gewichtstheil eines Frosches in einer Zeit 10 Mal weniger Kohlens\u00e4ure bildet, als ein gleicher Gewichtstheil S\u00e4ugethier. Vgl. p. 87.\nEs scheint nach den mebrsten Beobachtungen unzweifelhaft, dass heim Athmen weniger Kohlens\u00e4ure gebildet w'ird, als Sauer-stoffgas verschwindet. Nur Allen und Pepys hatten diess beim Athmen in atmosph\u00e4rischer Luft nicht beobachtet. Indessen haben sie die geathmete Luft f\u00fcr kohlens\u00e4urefrei genommen, was sogleich schon einen bedeutenden Unterschied im Resultate macht. Nach Treviranus Versuchen an niederen Thieren ist die Erzeugung des kohlensauren Gases abh\u00e4ngig von der Temperatur des Mediums. Eine Honigbiene excernirte beinahe 3 Mal so viel Kohlens\u00e4ure bei 22\u00b0 als bei 11^\u00b0. Im Allgemeinen athmeten die Thiere in freier Luft weniger Kohlens\u00e4ure aus, als sie Sauerstoff-gas absorbiren. Die kaltbl\u00fctigen Thiere sollen oft 3 Mal so viel Sauerstoffgas verzehren, als sie Kohlens\u00e4ure bilden.\nMollusken verzehren aber nicht allein alles Sauerstoffgas einer Luft, sondern fahren nach dieser Absorption noch fort Kohlens\u00e4ure auszuhauchen. Allgemein wurde in Treviranus Unter-\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308 II. Buch. Organ, chemische Processe. 1. Absrhn. Alhmen.\nsuchungen Stickaas ausgeschieden, in einigen Versuchen selbst mehr als Kohlens\u00e4uregas.\nBei den h\u00f6heren Thieren hat man zuweilen eine Absorption von Stickgas der Atmosph\u00e4re, zuweilen Ausbauchung von Stickgas beobachtet.\n1)\tH. Davy (Gilb. Amt. 19. 2.98.) glaubte beobachtet zu haben, dass beim Athmen Verminderung des Stickstoffgehaltes der Atmosph\u00e4re stattfinde, welche nach Davy -, y des absorbirten Sauerstoffgases, und in 24 Stunden 2246 Gran engl, betragen soll. Auch Pfaff (Geiilens Journ. der Chemie. 5. 103.) hat eine Verminderung des Stickgases von yy\u2014 y\u00ffy der eingeathmeten Luft beobachtet. Gmelin\u2019s Chemie. 4. 1524.\n2)\tAndere, wie Allen und Pepys, bemerkten weder eine Vermehrung, noch Verminderung des Stickgases beim Athmen der atmosph\u00e4rischen Luft.\n3)\tMehrere Beobachter haben beim Athmen in atmosph\u00e4rischer Luft Vermehrung des Stickstoffgehaltes der Luft beobachtet, wie Berthollet, Nysten, Dulong und Despretz. Am ent-scheidensten erscheint diess Resultat in Despretz Versuchen, der die Ausbauchung von Stickgas gew\u00f6hnlich, aber bei Pflanzenfressern st\u00e4rker als bei Fleischfressern fand. Diess Letztere ist deswegen unerkl\u00e4rlich, weil die Pflanzenfresser Stickstoff \u00e4rmere Nahrung als die Fleischfresser geniessen. Despretz fand, dass die Aushauchung von Stickgas \u00ff \u2014 -y- von demjenigen Sauerstoffgas ausmacht, welches beim Athmen verschwindet, ohne auf Kohlens\u00e4ure verwandt zu werden. Am entscheidendsten liesse sich die Aushauchung von Stickgas in einer Luft ermitteln, die kein Stickgas enth\u00e4lt. So fanden Allen und Pepys allerdings, dass Meerschweinchen, die in Sauerstoff oder einem Gemenge von Sauer-stoffgas und Wasserstof-fgas athineten, Stickgas aushauchten. Diess Stickgas konnte nicht schon vorher in den Lungen gewesen seyn. Denn in Allen und Pepys Versuchen war die Menge des ausgehauchten Stickgases gr\u00f6sser als das Volum des athmenden Thiers. Aus diesen Versuchen scheint also hervorzugehen:\n4)\tdass beim Athmen in atmosph\u00e4rischer Luft Stickgas sowohl aus der Lnft an das Blut treten, als Stickgas aus dem Blut frei werden kann, und dass man die Aushauchung des Stickgases deswegen nicht bemerkt, weil sie von der Absorption von Stickgas der Luft compcnsirt wird, und dass sie erst beim Athmen in stickstofflerer Luft bemerklich wird. Edwards [Ann. de chini. et de phys. 22.-35.) erkl\u00e4rt aus der Ungleichheit der Aushauchung von Stickgas und der Aufnahme desselben die Ungleichheit in den Resultaten der Beobachter. Collard de Martigny [J. d. physiol. 1830.) fand eine Vermehrung des Stickstoffs beim Ausathmen, wie denn Collard auch eine Exhalation von Slickgas durch die Haut beobachtete. Da nun Stickgas, wie alle Gase, von den nassen thierischen H\u00e4uten und von der \u00e4ussern Haut absorbirt wird, so nimmt Collard an, dass Absorption und zugleich Exhalation von Stickgas in den Lungen statlfinde, dass letztere aber gr\u00f6sser sey. Berzelius [Jahrb. 4. 217.) widersetzt sich der Vorstellung","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"3. Athmen d. Menschen u. d. Thiere. Athrnen im Wasse\t309\nvon gleichzeitiger Exhalation und Aufsaugung von Stickgas, weil sie ungereimt sey.\n2) Vom Athrnen im Wasser.\nWas den zuletzt ber\u00fchrten Gegenstand noch verwickelter macht, ist, dass die Fische nach A. v. Humboldt und Proven\u00e7al auch ziemlich viel Slickgas aus dem Wasser ahsorhiren. Sie Hessen in 4000 Cubikcentimeter Wasser 8 Stunden 30 Min. athmen. Vor dem Athmen enthielten 2582 Th. dieses Wassers 524 Th., nach demselben 453 Th. Luft. Den Verlust von 71 Th. halten sie f\u00fcr Wirkung der Respiration, und berechnen das Maass des excernirten und absorbirten Gases nach dem Unterschiede dessen, was vor dem Athmen in den 524 und nach dem Athmen in den 453 Theilen enthalten war. In jenen fanden sie 155,9 Sauerstoff-gas, 347,1 Stickgas, 21,0 kohlensaures Gas; in diesen 10,5 Saner-stoffgas, 289,3 Stickgas, 153 kohlensaures Gas. Hiernach waren beim Athmen 145,4 Sauerstoffgas nebst 57,6 Stickgas absorbirt und 132 kohlensaures Gas excernirt. Treviranus vermuthet in-dess, dass die nach dem Athmen fehlenden 71 Theile Luft mit verschlucktem Wasser in den Magen gekommen seyen. Indessen haben v. Humboldt und Proven\u00e7al doch keinen Verlust von Wasserstoffgas beobachtet, als sie Fische in lullleerem, bloss mit Wasserstoff und Sauerstoff k\u00fcnstlich geschw\u00e4ngertem Wasser athmen Hessen. Schweigg. 1. p. 111.\nMan sieht \u00fcbrigens aus den von Humboldt und Proven\u00e7al angestellten Versuchen, dass auch die Fische mehr Sauerstoffgas ahsorhiren, als Kohlens\u00e4ure ausathmen. Die Kohlens\u00e4ure betr\u00e4gt h\u00f6chstens des verschwundenen Sauerstoffs und oft nur desselben.\nNach den Untersuchungen von Humboldt und Proven\u00e7al befinden sich die Fische in den Fl\u00fcssen in R\u00fccksicht aut den Sauer-slolFgehalt der umgebenden Fl\u00fcssigkeit in der n\u00e4mlichen Lage, wie ein in einem Gasgemeng, welches weniger als 0.01 Sauerstoff enth\u00e4lt, athmendes Thier. Denn die im Wasser aufgel\u00f6ste Luft geht nie \u00fcber 0,027 des Volums des Wassers, und 0,31 von der aulgel\u00f6sten Luft sind reiner Sauerstoff. Nach Treviranus Reduction der Beobachtungen von Humboldt und Proven\u00e7al bilden 100 Gr. Schleihe beim Athmen 0,01 C. Z. Kohlens\u00e4ure, in 100 Minuten, w\u00e4hrend 100 Gran S\u00e4ugethier, wie wir oben gesehen, 0,52 bilden, also circa 50 Mal weniger in gleicher Zeit. Die Fische ab-sorbiren nicht allein mit den Kiemen, sondern mit der ganzen Oberfl\u00e4che Sauerstoffgas, wogegen sie Kohlens\u00e4ure erzeugen. Diess geschieht im lufthaltigen Wasser, aber nicht in der freien Luft. Humboldt brachte den Kopf von Fischen in Halsb\u00e4nder von Korkholz mit Wachsleinwand \u00fcberzogen. Der Fisch wurde dann in ein cylindrisches Gef\u00e4ss gebracht, so dass der Kork den Pfropf bildete, und Kopf und Kiemen nicht mit dem Seinewasser des Gef\u00e4sses in Ber\u00fchrung waren. Die Fische lebten an 5 Stunden und ver\u00e4nderten das Wasser durch ihre Haut auf die bei dem Athmen gew\u00f6hnliche Art. Die Fische athmen mit den Kiemen, so lauge sie nass sind, auch in freier Luft, und ahsorhiren nicht mehr und nicht weniger Sauerstoff, als in lufthaltigem Wasser.","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Abschn. Alhmen.\nSo reilucirte eine Schleihe in 19', Stunden ein Gasvolurnen von 133,9 Gui). Centimet. atmosph\u00e4rischer Luft auf 122,9 , und der Fisch hatte 0,52 Cub. Cent. Sauerstoffgas absorbirt. Hieraus er-giebt sich, dass das Athinen im Wasser sich weniger wesentlicli vom Athmen in der Luft unterscheidet, als es auf den ersten Blick, scheint. Zum Athinen in der Luft ist auch eine nasse innere Oberfl\u00e4che der Lungen noting. Cobitis fossilis, der sich viel im Schlamm aufh\u00e4lt, verschluckt nach Erman Luft an der Oberfl\u00e4che des Wassers, wonach die Luft im Darmkanal die beim Athmen gew\u00f6hnliche Ver\u00e4nderung erleidet, und die ver\u00e4nderte Luft durch den Darmkanal wieder entleert wird *).\nViele Thiere, welche durch Riemen Wasser athmen, erzeugen durch die Riemen merkw\u00fcrdige Bewegungen in dem Wasser.\nDiese Bewegungen sind zuerst bei den Salamanderlarven von Steinbucii (Analecten zur Naturkunde. F\u00fcrth 1802.) beschrieben und vollst\u00e4ndig dargelegt, sp\u00e4ter von Sharpey (Fboriep\u2019s Not. J\\. 618.) weiter verfolgt, und an mehreren Thieren beobachtet worden.\n*) Die Schwimmblase der Fische enth\u00e4lt zwar auch sauerstoffhaltige Luft, allein diese Luft dringt nicht, von aussen herein, sondern wird von der innern Oberfl\u00e4che des Organes selbst abgesondert. Die darin enthaltene Luft enth\u00e4lt bald mehr, bald weniger Sauerstoffgas oder Stickgas als die atmosph\u00e4rische Luft. Sauerstoffarme Luft fand darin ErmAN bei Landseefischen. Gilb. Ann. 30. 113, Dagegen fand Biot (Gilb. Ann. 26, 454.) bei. Fischen, die in einer grossen Meerestiefe leben, in der Schwimmblase derselben eine Luft, die 69\u201487 proc. Sauerstolfgas enthielt, w\u00e4hrend das Meerwasser in der Tiefe nur 29 Sauerstoff u. 71 Stickstoff enthielt. Sonst ist der Luftgebalt bei derselben Fiscliart sehr ver\u00e4nderlich. Im Fr\u00fchling und Sommer soll die Luit sauerstoffarmer als im Herbst seyn. Bisweilen fehlt das Sauerstolfgas g\u00e4nzlich. Vergl. DelapvOche Schweigg. J. 1. 164. Configliachi ebend. 137. Nach A. v. Humboldt und Proven\u00e7al ist das mittlere Resultat einer grossen Menge von Versuchen \u00fcber die Luft in der Schwimmblase der Karpfen 0,071 Sauerstoff, 0,052 Kohlens\u00e4ure, 0,877 Stickstoff. Fische, denen man die Schwimmblase exstirpirt hatte, brachten beim Athmen nicht y-J\u00fc Kohlens\u00e4ure hervor, obwohl sie viel Sauerstoff und Stickstoff ab-sorbirten. Bei vielen Fischen communicirt die Schwimmblase durch einen Gang mit dem Schlunde, wie heim Karpfen. Die Oeffnung dieses Ganges ist zuweilen weit, heim Karpfen aber so eng, dass durch ihn keine Luft aufgenommen und vielleicht nur hei grosser Ausdehnung der Blase etwas ausgeschieden werden kann. Bei vielen Fischen fehlt diese Verbindung. Diese haben gew\u00f6hnlich ein rothes, gefassreiches, cigen-th\u00fcmliches Gewebe in den W\u00e4nden der Schwimmblase zur Absonderung der Luft, die auch in den Fischen mit Luftgang wahrscheinlich abgesondert wird; bei vielen Fischen fehlt die Schwimmblase ganz. Der Aal hat den Luftgang und jenes dr\u00fcsige Gewebe. Bei den Schienen hat die Schwimmblase viele blinde hohle Forts\u00e4tze, die in einigen Arten verzweigt sind. CuviER hist. nat. des poiss. tab. 138. 139. Bei mehreren Fischen der Gattungen Cyprinus, Cobitis, Sparus, Clupea exi-stirt eine von E. H. Weber entdeckte Verbindung der Schwimmblase mit dem Geh\u00f6rorgan, wovon sp\u00e4ter. Wenn die Schwimmblase der Fische zerrissen ist, so verlieren sie nicht immer und nothwendig das Gleichgewicht, sie fallen nicht immer auf die Seile. Wahrscheinlich ist ihre Luft bestimmt von Zusammendr\u00fccken der Bauchw\u00e4nde und Ausdehnung das specifische Gewicht des Fisches zu \u00e4ndern. Vergl. G. fl-SCHER \u00fcber die Schwimmblase der Fische. Lpz. 1795. G. R. rlftE-V IRAN US vermischte Schriften. 2. Ed. 156.","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"3. Athmen d. Menschen u. d. Thiere. Thiereier.\n311\nDie Str\u00f6mungen kommen auch an den primitiven \u00e4usseren Kiemen der Froschlarven, aber nicht an ihren sp\u00e4teren, inneren Kiemen, und eben so wenig an den Kiemen der Fische vor, welche das Wasser durch die Bewegung der Kiemendeckel erneuern. An den Kiemen der Muscheln und Anneliden dagegen sind die Str\u00f6mungen allgemein.\nBei der Miessmuschel, Mytilus edulis, streicht das Wasser am hintern Ende des Thiers ununterbrochen in die Kiemenh\u00f6hle ein, und unfern desselben Orts durch eine besondere Oeffnung wieder aus.\nDie Str\u00f6mungen, welche die letzten Thiere erregen, r\u00fchren von den Bewegungen ihrer Wimpern her. Purkinje und Valentin haben die Wimpern aber auch an den Salamanderkiemen, ja sogar die Wimperbewegungen in allen Schleimh\u00e4uten der Amphibien, V\u00f6gel, S\u00e4ugethiere (mit Ausnahme der Schleimhaut des Darms, der Harnwerkzeuge und m\u00e4nnlichen Geschlechtstheile) entdeckt. Mueller\u2019s Archiv. 1834. p. 391. 1835. 128. 159. Purkinje et Valentin de phaenomeno generali et fundamentali moins vibraiorii continu\u00e9 in memhranis cum extends tum internis animalium plurimorum. Wratisl. 1835.\n3. Vom Athmen der Thiereier.\nDie Embryonen der Batrachier, der Haien und Rochen, und des Schwertfisches besitzen seihst \u00e4ussere Kiemen im Foetuszu-stande zum Athmen des Wassers.\nMehrere Beobachtungen beweisen, dass die Eier der eierlegenden Thiere hei ihrer Entwickelung die Luft so ver\u00e4ndern, wie erwachsene Thiere, und ohne atmosph\u00e4rische Luft und lufthaltiges Wasser sich nicht entwickeln. So verdirbt der Embryo des Vogeleies, wenn das Ei mit einem Firniss oder Oel \u00fcberzogen wird. Nach Michellotti\u2019s Versuchen mit Insekteneiern zersetzten diese w\u00e4hrend der Entwickelung die Luft, doch nur bei + 15\u00b0 bis 20\u00b0, w\u00e4hrend sie unter 0 die Atmosph\u00e4re nicht ver\u00e4ndern.. In irrespi-, rabeln Gasarten findet keine Entwickelung statt. Pfaff und Friedlaender Franzos. Ann. 4. H. 48. Burmeister Entomologie 365. Vogeleier entwickelten sich im warmen Wasser nicht und eben so wenig nach Viborg\u2019s Versuchen in irrespirabeln Gasarten. Abhandl. f\u00fcr Thier\u00e4rzte und Oeconomen. 4. 445. Dagegen will Erman (Isis 1818.) beim Bebr\u00fcten von Eiern in irrespirabeln Gasarten Entwickelung beobachtet haben. Schwann {de necessitate a\u00ebris atmosph. ad. evol. pulli in ovo. Berol. 1834. Mueller Archiv. 1835. p. 121.) hat dagegen mit sehr genauen Versuchen diejenigen von Viborg best\u00e4tigt. Er hat gezeigt, dass bei der Bebr\u00fctung von H\u00fchnereiern in sauerstofffreien Gasarten zwar die Vergr\u00f6s-serung der Keimhaut, die Trennung in ein ser\u00f6ses und Schleimblatt, die Bildung der Area pellucida vor sich gehen, aber weder das Blut noch der Embryo gebildet wird. Eier, welche 24 Stunden in Wasserstoffgas bebr\u00fctet waren, entwickelten sich bei Fortsetzung der Bebr\u00fctung in atmosph. Luft weiter, dagegen die 30 Stunden und dar\u00fcber in Wasserstoffgas bebr\u00fcteten Eier sich in der atmosph. Luft nicht weiter entwickelten.\nDa die atmosph\u00e4rische Luft durch die Poren der Eischale","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Alschn. Athmen.\nfreien Zutritt hat, so ist es fast unm\u00f6glich, dass nicht eine Wechselwirkung zwischen dem Blute in den Gelassen der Allantoisblase des Vogeleies und der Luft stattfinde, ja es scheint sogar der Hauptzweck der Allantoide zu seyn, eine Gefassentwickelung m\u00f6glichst nahe an die Oberfl\u00e4che zu bringen. In den Eiern der V\u00f6gel verdunstet best\u00e4ndig Wasser aus dem Eiweiss, m\u00f6gen die Eier bebr\u00fctet werden oder nicht. Diese Ausd\u00fcnstung scheint in beiden F\u00e4llen ziemlich gleich zu seyn, und durch diese Ausd\u00fcnstung des Wassers vermindert sich das Volum des Eiweisses in beiden F\u00e4llen, und weicht, je \u00e4lter ein Ei wird, immer mehr von dem stumpfen Theil der Eischale zur\u00fcck. Hierdurch entsteht ein Raum, der durch die Poren der Schale mit atmosph\u00e4rischer Luft gef\u00fcllt wird. Bischof fand in dieser Luft mehr SauerstofFgas als in der atmosph\u00e4rischen Luft, indem es in verschiedenen Eiern von 22 bis 24} proc. vom Volum der Luft variirte. Schweigg. J. N. R. 9. 446. Dulk fand in dieser Luft 25}\u201426} Sauerstoffgas, beim Bebr\u00fcten nahm der SauerstolTgehalt bis auf 17,9 proc. ah, und es fanden sich daf\u00fcr 6 proc. Kohlens\u00e4uregas. Schweigg. J. 1830. 1. 363. Berzelius Jahresb. 11. 336.\nDie erste Entwickelung des Eies der S\u00e4ugethiere ist nicht allein ohne atmosph\u00e4rische Luft, sondern seihst vor der Verbindung des Eies mit dem Uterus der Mutter m\u00f6glich, wenn das Ei noch bloss von den Secreten des Uterus umgeben ist. Die Eier der S\u00e4ugethiere athmen im gew\u00f6hnlichen Sinn des Wortes nicht, sondern dieser Process ist durch die Verbindung mit der Mutter ersetzt. Wach E. II. Webers sch\u00f6nen Beobachtungen sind die Zotten der Placenta des Menschen, auf welchen die feinsten Zweigelchen der Wahelarterien in die feinsten Zweigelchen der Nabel-vene \u00fcbergehen, wie Quasten oder Franzen in die sehr d\u00fcnnh\u00e4utigen ven\u00f6sen Sinus des Uterus der Mutter, welche zwischen den L\u00e4ppchen der Placenta verlaufen, eingesenkt, und werden von dem Blute der Mutter umsp\u00fclt. Dagegen findet diese Umsp\u00fclung hei den wiederk\u00e4uenden Thieren mit zerstreuten Placenten oder Cotyledonen nicht statt, sondern die Zotten der Cotviedonen stecken in scheidenartigen Vertiefungen des Uterus ganz lose inne, gleichsam wie Wurzeln im Boden. Diese Scheiden sind auf ihren W\u00e4nden bloss mit den Capillargef\u00e4ssen der m\u00fctterlichen Ge-f\u00e4sse ausgekleidet, und es wird hier in diesen Scheiden wie auf der ganzen innern Fl\u00e4che des Uterus eine weissliche Materie abgesondert. Eine Communication der Gef\u00e4ssh\u00f6hlen der Mutter und des Kindes findet \u00fcbrigens hier so wenig wie beim Menschen statt.\nDass in der Placenta eine das Athmen der \u00fcbrigen Thiereier ersetzende Function stattfinde, ist wahrscheinlich aus der t\u00f6dt-lichen Folge, welche die Unterbrechung des Blutlaufs in den Na-helgef\u00e4ssen hat, ferner aus dem Umstand, dass eben das Athmen zur Entwickelung der \u00fcbrigen Thiereier n\u00f6thig ist und durch die Allantoide geschieht, welche dieselben Gef\u00e4sse erh\u00e4lt, wie das Chorion des Menschen und der S\u00e4ugethiere, Vasa umbilicalia, und weil endlich in einer und derselben Thierklasse lebendig geb\u00e4rende und eierlegendeThiergattungen zugleich Vorkommen. So entwickeln","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"3. Athmen d. Menschen u. der Thiere. Thiereier.\n313\nsich die Eier der meisten Eidechsen und Schlangen in der Luft, die Eier der Lacerta crocea, der Blindschleiche und der Vipern im Eierleiter. Ja selbst in den Eiern der Eidechsen hat die Ent-wi\u00e7kelung des Embryo l\u00e4ngst begonnen, wenn die Eier gelegt werden. Es scheint also, dass der Eierleiter, in dem die Eier der Vipern ohne n\u00e4here Verbindung mit der Mutter sich entwickeln, durch Absonderung eigent\u00fcmlicher Fl\u00fcssigkeiten gleichsam das Athmen der \u00fcbrigen Aniphibieneier ersetze. Hief\u00fcr spricht, dass die Eischalenhaut der Lacerta crocea und der Vipern ein zartes H\u00e4utchen ist, w\u00e4hrend sie bei den eierlegenden Eidechsen und Schlangen sehr fest ist. v. Baeb, Meck, slrch. 1828. 573. Unter den nackten Amphibien giebt es auch eierlegende und lebendig geb\u00e4rende; die meisten legen Eier, der Erdsalamander br\u00fctet seine Eier im Eierleiter aus und gebiert lebendige Junge. Nun haben aber sowohl die einen als die andern schon im Foetuszu-stande \u00e4ussere Kiemen. Bei den Fr\u00f6schen und Kr\u00f6ten scheinen sie auf den Foetuszustand berechnet zu seyn ; denn sie verschwinden sehr bald nach dem Auskriechen aus dem Ei, und an ihre Stelle treten innere Kiemen, w\u00e4hrend die \u00e4usseren Kiemen hei den Tritonen und Salamandern durch den Larvenzustand bleiben. Noch merkw\u00fcrdiger sind aber die hei den Haifischen und Bochen vorkommenden Verh\u00e4ltnisse. Alle diese Thiere besitzen \u00e4ussere Kiemenf\u00e4den im F\u00f6tuszustande. Siehe Leuckart Untersuchungen \u00fcber die \u00e4usseren Kiemen der Embryonen, von Rochen und Haifischen. Stutlg. 1836. Auch diese Thiere werden zum Theil ausser der Mutter, zum Theil im Eierleiter ausgehr\u00fctet; unter den Rochen ist die Gattung Raja, unter den Haifischen die Gattung Scyllium eierlegend. Die Zitterrochen Torpedo und die \u00fcbrigen Haifische geb\u00e4ren lebendige Junge. Bei einer Gattung der flaifisch\u00e9, wohin der ya\u00c0sog ke\u00efn\u00e7 des Aristoteles geh\u00f6rt, findet sogar eine Verbindung des Dottersacks mit der Wand des Uterus statt, indem der ganz faltige Dottersack wie die Zotten der Cotyledonen des Wiederk\u00e4uer-F\u00f6tus zwischen die Falten eines m\u00fctterlichen Gotyledo des Uterus fest eingeschoben ist. Der Dottergang dieser Haifischgattung ist auch mit Zotten besetzt, zu einer Zeit, wo die \u00e4usseren F\u00f6tuskiemen schon ganz verschwunden sind *). Alles diess zeigt, dass die Bedingungen, unter welchen sich der F\u00f6tus der eierlegenden und lebendig geb\u00e4renden Thiere entwickelt, nicht sehr verschieden sind; und hierauf beruht die Supposition, dass die Placenta der S\u00e4ugethiere das Athmen ersetze; jedoch ein merklicher Unterschied der Farbe zwischen dem Blute der Nabelarterien und dem Blute der Nabelvene findet bei dem Menschen und\n\u00a5) Aristoteles und Stekonis haben diese Verbindung gekannt. Sie k\u00f6mmt, wie icli an einem andern Orte zeigen werde, bei einer eigenen Gattung vor, die keine Spritzl\u00f6cher hat, aber weder Carcharias noch Larana ist. Uwe Z\u00e4hne unterscheiden sich von denen der Carcharias dadurch, dass sie nicht gez\u00e4hnelt, sondern nur schneidend sind. Cuvier giebt von den Carcharias an, dass ihr Dotiersack fest am Uterus anh\u00e4nge, und dass ihr Dottergang mit Zotten besetzt sey. Aber ich finde den Dottergang der Carcharias ohne Zotten, und weiss nicht, ob auch diese die Verbindung haben.","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Abschn. Athmen.\nden S\u00e4ugethieren nicht statt. Einen solchen Unterschied haben Haller, Hunter und Osiander nie beobachtet. Autenrieth und Schuetz [exp. circa calorem foetus et sanguinem. Tub. 1795.) haben hei Kaninchen nie einen Unterschied der Farbe bemerken k\u00f6nnen. Ehen so wenig Emmert bei Meerschweinchen. Reil\u2019s Arch. 10. 122. Dagegen an den Gelassen des Chorions der V\u00f6gel nach Blumenbacii und Emmert einiger Unterschied der Farbe statt finden soll. Freilich wollten H\u00e9rissant und Diest (Haller Disp. V. p. 516. 526.) und Baudelocoue (Bichat anat. gen. 2. 465.) einen Unterschied bemerkt haben. Bichat erkl\u00e4rt sich einmal dagegen, /. c. p. 343. Ein andermal sagt er, dass der Unterschied hei Meerschweinchen nicht gross sey, l. c. p. 465. Auch ich habe hei Kaninchen, Meerschweinchen und Katzenf\u00f6tus schon fr\u00fcher niemals einen Unterschied bemerken k\u00f6nnen. Und doch sind kleinere Thiere hier eben so gut, ja noch besser zu Beobachtungen geeignet, als gr\u00f6ssere Thiere. Ich habe zwar auch zur seihen Zeit, da ich als Studirender mich f\u00fcr jenen Gegenstand in-teressirte, einst hei Vivisection eines hochtr\u00e4chtigen Schanfes einen solchen Unterschied zu bemerken geglaubt, und andere Umstehende glaubten es auch, und Joerg will am Chorion des Pferdes einen Unterschied bemerkt haben. Joerg die Zeugung. Leipz. 1815. 273. Allein meine sp\u00e4teren Beobachtungen sind jener einen vom Schaaf nicht g\u00fcnstig, sondern stimmen mit den von mir an kleineren Thieren fr\u00fcher gemachten Erfahrungen. Da in Bonn viel weibliche Schaafe geschlachtet werden, so kann man in der ersten Winterh\u00e4lfte jederzeit Eier von den Schaafen (selbst von K\u00fchen) mit sammt dem Uterus erhalten und man erh\u00e4lt sie oft noch warm. Regelm\u00e4ssig wurden mir im Winter solche Fr\u00fcchte zu anatomischen Zwecken zugebracht, und nie habe ich wieder einen deutlichen Unterschied wahrnehmen k\u00f6nnen. Auch nach E. H. Weber {Anat. 4 524.) findet kein Unterschied beider Blutarien beim F\u00f6tus statt, und die Geburtshelfer haben diesen auch nicht gesehen. Gleichwohl ist der Unterschied des Lungenvenenbluts von dem K\u00f6rpervenenblut bei den Amphibien noch so deutlich, dass man beide Blutarten am linken und rechten Vorhof, ja selbst noch neben einander am Ventrikel an der Farbe unterscheidet. Bei den Fischen dagegen habe ich freilich bis jetzt noch keinen evidenten Unterschied des Blutes bemerkt, vielleicht weil sie in einem Medium athmen, welches nur 0,01 Sauerstoff enth\u00e4lt, w\u00e4hrend die Luft 0.21 enth\u00e4lt.\nDas Blut der Nabelgef\u00e4sse des F\u00f6tus f\u00e4rbt sich an der Luft hellroth, wie es Venenblut des Erwachsenen thut. Ich habe diess oft gesehen; vielleicht geschieht es ein wenig langsamer und weniger stark, was Fourcroy gesehen haben will. Das Blut der Nabelgef\u00e4sse und des F\u00f6tus gerinnt weniger fest, wie schon Fourcroy sah und ich \u00f6fter beobachtet habe. Bei Vivisection eines hochtr\u00e4chtigen Schaafes gerann das in ansehnlicher Quantit\u00e4t gesammelte Nabelvencnblut langsamer als das Blut der INabelarterien, wahrscheinlich, weil jenes zuerst gewonnen wurde. Ich habe auch schon fr\u00fcher gesehen, dass, als ich etwas Blut der JVabelgef\u00fcsse eines Katzenfotus in ein mit Kohlens\u00e4uregas gef\u00fclltes Gl\u00e4schen","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"3. Athmen d. Menschen u. der Thiere. Thiereier.\n315\nlliessen Hess, jenes dunkler, violett wurde. Dass diese Beobachtung richtig war, habe ich vor Kurzem am Blute eines Schaaff\u00f6tus wieder gesehen. Auch hierin gleicht das Blut der Nabelgef\u00e4sse dem Blute der Venen, das ebenfalls (nicht bloss Arterienblut) in Kohlens\u00e4ure noch dunkler wird. Wenn man etwas Blut der Nabelgefasse in einem Uhrgl\u00e4schen der Luftpumpe aussetzt, so ver\u00e4ndert es seine Farbe nicht, es wird weder heller noch dunkler, und wenn ich es in einem fr\u00fchem Versuch ein wenig dunkler zu sehen glaubte, so war diess gewiss, wie ich aus neueren Versuchen scbliesse, nicht richtig beobachtet.\nErhitzt man Blut des Erwachsenen allm\u00e4lilig in einem Gef\u00e4sse mit Gasentwickelungsrobr bis 200\u00b0 F. (74,6 R.), also zuletzt \u00fcber die Gerinnungsbitze des Eiweisses, so entwickelt sich keine merkliche Quantit\u00e4t Luft aus dem Blute, weder Sauerstoffgas, noch Kohlens\u00e4uregas, und die \u00fcbergehende Lnft ist nur die unver\u00e4nderte atmosph\u00e4rische, die im Gef\u00e4ss und Gasentwickelungsrobr enthalten war. H. Davy wollte zwar bei einem fr\u00fchzeitigen Versuch dieser Art eine Entwicklung von Luft bemerkt haben. In-dess ist hier leicht T\u00e4uschung m\u00f6glich. Als ich auf jene Art das bei Vivisection eines tr\u00e4chtigen Schaafes erhaltene Nabel ve-nenblut erhitzte, so konnte der Erfolg auch kein anderer seyn. Die \u00fcbergehende Luft konnte nur die unver\u00e4nderte des Gef\u00e4sses seyn. Eben so beim Erhitzen der durch Zerschneidung der Nabelgefasse und Placenta von Katzenf\u00f6tus in warmem Wasser erhaltenen w\u00e4sserig blutigen Aufl\u00f6sung.\nDavy wollte einmal bei einer Temp, von 108 bis 200\u00b0 F. (33,7 \u2014 74,6 R.), als er frisches Arterienblut des Kalbes in eine an einem Ende verschlossene Glasr\u00f6hre that und in Blut von derselben Art umst\u00fcrzte und sie dann dem Sonnenlicht aussetzte, Sauerstoffgas entwickelt haben. Als ich nun fr\u00fcher bei Vivisection einer tr\u00e4chtigen Katze das Blut der zerschnittenen Nabelge-f\u00e4sse in Wasser auffing, und die Placenta in diesem Wasser zerschnitt, mit der blutigen Fl\u00fcssigkeit ein kurzes am Ende verschlossenes Glasr\u00f6hrchen f\u00fcllte, in derselben Fl\u00fcssigkeit umst\u00fcrzte und nun dem Lichte aussetzte, konnte ich keine Entwicklung von Gasbl\u00e4schen beobachten. Vor einiger Zeit habe ich diess mit Nabelvenenblut des Schaff\u00f6tus so wiederholt, dass ich den Apparat gelinde erw\u00e4rmte und selbst dann keine Anh\u00e4ufung von Gasbl\u00e4schen in dem Ende des Glasr\u00f6hrchens, bemerkt. Aber selbst am Arterienblute des Erwachsenen l\u00e4sst\u2019 sich Davy\u2019s Versuch nicht mit jenem Erfolg wiederholen, und es muss bei Davy eine T\u00e4uschung, vielleicht von mechanisch beigemengten Gasbl\u00e4schen statt gefunden haben. Aus Allem geht nun hervor, dass sich das Biut des F\u00f6tus, seiner Arterien wie Venen, der Nabelarterien und der Nabelvene gar nicht merklich von dem Venen-biute des Erwachsenen unterscheidet. Das Blut, welches durch die Nabelvene aus der Placenta zum F\u00f6tus zur\u00fcckkehrt, wird theils durch den Ductus venosus Aurantii sogleich zum K\u00f6rperve-nenblute des F\u00f6tus in die Vena cava inf. gef\u00fchrt, theils gelangt cs in die Pfortader, so dass es mit dem Pfortaderblute die Leber lurchkreist, und nun erst zum \u00fcbrigen Venenblute gelangt.","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316 II. Buch. Organ, chemische Processc. I. Ahschn. Athmen.\nEinige haben behauptet, der Liquor amnii, wovon der F\u00f6tus umgeben ist, diene zum Athmen der Frucht durch die Haut, oder weil man Liquor amnii auch in die Luftr\u00f6hre eingedrungen gefunden hat, z\u00fcrn Athmen durcli die Lungen. Scheel de lit/, amnii uat. ei usu. Ilafn. 1799. Leclarc und Geoffroy St. Hilaire haben dieses Athmen des F\u00f6tus angenommen. Ja, da Rathke hei dem Embryo der Wirbelthiere kiemenbogenartige Forts\u00e4tze am Halse entdeckt hat, so glaubten Andere, dass diese auch zum Athmen dienen k\u00f6nnten. Diese zarten Forts\u00e4tze mit Zwischenspalten k\u00f6nnen aber heim Vogelemhryo nur in den ersten Tagen, z. B. am 3\u20144. Tag, wo ich sie gesehen, deutlich beobachtet werden, und sie sind nichts anders als ein allen Wirbelthieren gemeinsames Ger\u00fcst, auf dem sich hei den Fischen und einigen Amphibien, die als Larven oder sp\u00e4ter noch Kiemen haben, wirkliche Kiemenbl\u00e4ttchen entwickeln, w\u00e4hrend diese Entwicklung hei den \u00fcbrigen Thieren durchaus fehlt, und die Bogen in die H\u00f6rner des Zungenbeins umgewandelt werden. Vergl. oben pag. \u2018298. Dass nun der Liquor amnii nicht zum Athmen dienen kann, geht schon aus den von mir in der Jugend angestellten Versuchen hervor, in welchen Fische im Liquor amnii der Kuh und des Schaafes bald starben und nicht l\u00e4nger als in \u00fcel (40 Min.) lebten, w\u00e4hrend sie in derselben Quantit\u00e4t Rheinwasser sehr viel l\u00e4nger ausdauerten. Die Beobachtung von Lassaigne (arch. gen. de m\u00e9d. 2. 308.), dass sich in dem Liquor amnii einer Sau Luit befand, welche sich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung aus Oxygen und Azot sehr der atmosph\u00e4rischen Luft n\u00e4herte, kann nicht wohl richtig angestellt gewesen seyn, oder der Liquor amnii muss durch l\u00e4ngeres Liegen des Eies, an der Atmosph\u00e4re oder durch Stehen des Liquor amnii an der Atmosph\u00e4re Luft absorbirt haben. Da ich mich unm\u00f6glich mit einigen fr\u00fcheren fehlerhalten Versuchen, aus welchen ich bereits auf den Mangel respirabler Luft in Liquor amnii schloss, befriedigen konnte, so habe ich mit Begierde die Gelegenheit ergriffen, diesen Gegenstand auf eine sorgf\u00e4ltige Weise zu ermitteln. Da man sich heim Erhitzen einer Fl\u00fcssigkeit in einem Gef\u00e4sse mit Gasentwicklungsrohr leicht hei Berechnung der in dem Gef\u00e4sse vorhandenen Luit irren kann, so stellte ich den Versuch so an: Ich f\u00fcllte ein anatomisches, 10 Zoll langes, 1.^ Zoll breites Glasgef\u00e4ss von 17 Cubikzoll Inhalt, xvel-ches nach Cubikzoll graduirt worden, mit Liquor amnii des Schaafs, und st\u00fcrzte es in einem Gef\u00e4sse mit derselben Fl\u00fcssigkeit um. Diess Gef\u00e4ss machte ich mit wrarmem Wasser voll und erhitzte den ganzen Apparat bis zum Kochen in dem untern Theile der Fl\u00fcssigkeit. Wenn sich hier eine Luftart in dem Liquor amnii der Glasr\u00f6hre befand, so musste sie sich in dem obern Ende der R\u00f6hre ansammeln. Es entwickelte sich aber ausser dem sich wieder condensirenden und schnell verschwindenden Wassergas nur eine sehr kleine Menge Schaum, die noch nicht | Cubikzoll Raum einnahm. So fand ich es auch in einem zweiten und dritten Versuch, und ich erhielt nicht mehr Luft, selbst als ich das Kochen lange l'ortsetzte. Prof. Bergemann war bei diesem Versuche gegenw\u00e4rtig, und \u00fcberzeugte sich, dass hierbei keine Luft entwickelt","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"3. Aihmcn \u00e0. Menschen u. Thiere. Atlimen d. Thiereier.\t317\nwird. In einem 4. Versuche erhielt ich wirklich ein wenig Luft, die auch nach dem Erkalten noch nicht verschwunden war, es war ah er sehr wenig und betrug, als ich sie in eine ganz kleine Eprouvette \u00fchergeleitet hatte, aus den 17 Cubikzoll Liquor amnii nur -i- Cubikzoll. Diese Luft verminderte sich weder von Kalk-wasser, noch von Aufl\u00f6sung von Schwefelkali und enthielt daher sicherlich weder respirirte Luft, Kohlens\u00e4ure, noch respirable Luft. Vergl. Weber Anat. 4. 491.\nVon meinen fr\u00fcheren Versuchen ist noch anzuf\u00fchren, dass Kaninchenfoetus von 4 Zoll L\u00e4nge, aus dem Uterus der lebenden Mutter genommen, mochten sie mit geschlossenen oder ge\u00f6ffneten Eih\u00fcllen der Luftpumpe ausgesetzt werden, nach 15 Min. schein-todt waren, und beim Herausnehmen wieder sich bewegten. Diess beweist aber nichts in der Frage \u00fcber das Atlimen. Die Luftpumpe lieht hier bloss den Luftdruck auf.\nIV. Capitel. Von den Ver\u00e4nderungen des Blutes durch das Atlimen.\nDurch das Atlimen wird das Blut hellrotb, an der Oberfl\u00e4che ebenso, wenn Venenblut an der Luft steht, und durch und durch hellrotb, wenn Blut mit Sauerstoffgas gesch\u00fcttelt wird. Hellrotb wird das Blut auch hei Beimengung von Zucker, von Neutralsalzen, wie Salpeter, Glaubersalz, Salmiak, Kochsalz, kohlensaurem Kali. Kalil\u00f6sung macht das Blut (wie ich sehe) brann, und es ist ein Irrthum, wenn in einigen B\u00fcchern das Gegentheil steht. In Ammoniakgas soll das Blut nach Thenard und Huenefeld kirschroth werden. Chlor macht das Blut braun, dann weiss, S\u00e4uren machen es braun, Kohlens\u00e4ure aber dunkler rotb, violett, zuletzt fast schw\u00e4rzlich. Blaus\u00e4ure allein soll das Blut nach Wedemeyer heller roth machen (?). Nach IIertwich macht sie indess das Blut auch ganz dunkel. Froriep\u2019s -Not. 759. Schwefelblaus\u00e4ure macht es nach Stevens dunkler. Kohlenoxydgas, Kohlenwasserstoffgas, Salpetergas machen das Blut nach Huenefeld violett, Stickstoffoxydulgas, Hydrogengas, nach Huenefeld purpurfarben oder roth-braun. Blut mit Hydrogengas gesch\u00fcttelt, sah ich seine Farbe gar nicht ver\u00e4ndern. Koblenwasserstoffgas soll nach Berzelius dem schon etwas dunkeln Blute eine hellere Farbe mittheilen. Man sieht, dass das Blut \u00e4usserst empfindlich f\u00fcr vielerlei Stoffe in Hinsicht seiner Farbe ist. Der Halitus des Blutes scheint eine \u25a0wichtige Materie des Blutes zu seyn. Man weiss aber nicht, dass er im Arterien- und Venenblute verschieden w\u00e4re.\nDie specifische Schwere des arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Blutes ist nach J. Davy fast gleich, 105,(11: 105,49. Vergl. Burdach Physiol. 4. 381. Nach ihm verh\u00e4lt sich die W\u00e4rmecapacit\u00e4t des erstem zu der des letztem wie 10,11\t10,10.\nDas Arterienblut ist nach J. Davy um 1\u20141-1\u00b0 Fahrenh. w\u00e4rmer als das ven\u00f6se Blut (vergl. p. 86.), was K rimer und Scudamore best\u00e4tigen. Andere Beobachter hatten keinen Unterschied bemerkt. Burdach\u2019s Physiol. 4. 382. Nach Autenrieth, Mayer,","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nDaw, Berthold und Blundell gerinnt das Arterienldut schneller als Venenblut, wovon Thakrah das Gegentheil beobachtet hat. Burdacii\u2019s Physiol. 4. 382. Nach Mayer, Blainville und Denis enth\u00e4lt das Venenblut etwas weniger Serum und mehr Kuchen. Das Arterienblut enth\u00e4lt nach Mayer mehr Faserstoff, und giebt ihn in dickem festen und gl\u00e4nzenden B\u00fcndeln, was schon Emmery sah, ab. Die gr\u00f6ssere Menge des Faserstoffs im Arterienblut ist von Berthold und Denis (Burd. Physwl. 4. 382.) und von mir in einer Beobachtung best\u00e4tigt worden. Nach Denis verhalte sich der Gehalt von Faserstoff im ven\u00f6sen und arteri\u00f6sen Blut beim Hunde wie 24 ; 25, nach Berthold bei Ziegen wie 366; 429, bei Katzen wie 474 ; 521, bei Hammeln wie 475 ; 566, bei Hunden wie 500 ; 666. Nach meiner Beobachtung an der Ziege enthielt das Venenblut 0,395, das Arterienblut 0,483 Procent Faserstoff. Zieht man das Mitte! aus diesen 6 Beobachtungen, so verh\u00e4lt sich der Faserstoff im Venen- und Arterienblute wie 24 ; 29.\nDie weichere Beschaffenheit des Faserstoffs im Venenblut, die schon Emmert beobachtete, k\u00f6nnte auf die Vermuthung f\u00fchren, dass durch das Athmen der Faserstoff weiter ausgebildet werde. Indessen l\u00e4sst sich die weichere Beschaffenheit auch aus der grossem Vertheilung der geringem Menge von Faserstoff in gleicher Quantit\u00e4t Blut ableiten. Die geringere Menge des Faserstoffs im Ve-nenblute r\u00fchrt auch wohl bloss von dem Verlust eines Theils des aufgel\u00f6sten Faserstoffs in den Capillargef\u00e4ssen hei der Ern\u00e4hrung her, theils von der Abf\u00fchrung von aufgel\u00f6stem Faserstoff aus dem Gewebe der Organe durch die Lymphgef\u00e4sse, eine Quantit\u00e4t Faserstoff, die erst wieder durch den Ductus thoracicus zumVenen-blute gelangt. Dass aber das Athmen auf die Ausbildung des Faserstoffs dennoch einwirke, wird wahrscheinlich daraus, dass das Blut des F\u00f6tus viel weniger Faserstoff enth\u00e4lt, obgleich er mit Unrecht darin gel\u00e4ugnet wurde, und dass hei der Blausucht von Herzfehlern, wie Offenbleiben des Ductus Botalli oder des Foramen ovale im Septum atriorum (wegen geringerer Gerinnbarkeit des Blutes?) Neigung zu Blutungen beobachtet worden ist, obwohl die merkw\u00fcrdige Neigung zum Verbluten aus kleinen Wunden von der Blausucht verschieden ist. Dass das ven\u00f6se Blut weniger Cruor (Blutk\u00f6rperchen) enthalte, wie Denis behauptet, halte ich f\u00fcr ganz hypothetisch. Wir besitzen kein Mittel, die Menge der Blutk\u00f6rperchen in einer Blutart zu sch\u00e4tzen. \\ ergl. oben pag. 118. Denis rech. exp. sur Le sang humain. Paris. 1830.\nDie widersprechenden Beobachtungen \u00fcber die Wassermenge in beiden Blutarten hat Burdach (Physiol. 4. 383.) zusammengestellt.\nEine Vergleichung beider Blutarten auf ihre letzten Bestand-theile ist von AbildgaaRd und Michaelis angestellt worden. Nach AbildgaaRd sollte Venenblut um T'T \u2014 TV weniger Nitrum zu al-kalisiren verm\u00f6gen, als Arterienblut. Pfaff, J\\ord. Arch. 1. 493. Michaelis hat beide Blutarten durch Verbrennung mit Kupler-oxyd analysirt. Schweigg. J. 54. Er fand","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"4. Ver\u00e4nderungen des Blutes durch das Atlimen.\n319\n\tKohlenstoff'\tStickstoff.\tWasserstoff'\tSauerstoff.\nim ven\u00f6s. Eiweiss \u00bb arteri\u00f6sen \u00bb\t52,650 53,009\t15,505 15,562\t7,359 6,9.93\t24,484 24,436\nim ven\u00f6sen Cruor \u00bb arteri\u00f6sen \u00bb\t53,231 51,382\t17,392 17,253\t7,711 8,354\t21,666 23,011\nim ven. Faserstoff \u00bb arteri\u00f6sen >'\t50,410 51,374\t17,207 17,587\t8,228 7,254\t24,065 23,785\nMacaiRe und Mabcet {aim. d. chim. et phys. T. 51. p. 382.) Laben \u00e4hnliche Versuche mit \u00e4hnlichen Resultaten angestellt.\nHiernach scheint, dass der arteri\u00f6se Cruor weniger Kohlenstoff enth\u00e4lt, als der ven\u00f6se, was sehr gut mit der Ausscheidung von Kohlenstoff als Kohlens\u00e4ure in den Lungen stimmen w\u00fcrde. Das Arterienblut enthielt mehr Sauerstoff, was f\u00fcr eine Aufnahme von Sauerstoff in das Blut heim Atlimen zu sprechen scheint. Indessen liesse sich doch auf diese gefundenen Verh\u00e4ltnisse nur dann Werth legen, wenn sie durch wiederholte Analysen best\u00e4ndig gefunden werden. Denn sonst kann ein kleiner Unterschied in der Austrocknung der zu analysirenden Stoffe schon grosse Differenzen in den Resultaten erzeugen.\nDas arteri\u00f6se Blut wird in den Capillargef\u00e4ssen des K\u00f6rpers dunkelroth, das ven\u00f6se Blut wird in den Capillargef\u00e4ssen der Lungen hellroth. H\u00f6rt das Atlimen auf, so fliesst dunkelrothes Blut von den Lungen. Wird aber nach T\u00f6dtung eines Thieres das Atlimen k\u00fcnstlich unterhalten, so wird das Blut in den Lungen auch wieder hellroth. Die Durchschneidung der Nerven der Lungen (nervi vagi) hebt diesen Process nicht auf, das Blut r\u00f6thet sich dann eben so gut noch in den Lungen, so wie das Blut seihst ausser dem K\u00f6rper noch an der Luft seine Farbe ins Ilellrothe ver\u00e4ndert, und Sauerstoff' in die Venen der Thiere eingespritzt das Venenblut hellroth macht.\nDie Kenntniss der Ursachen dieser Ver\u00e4nderungen f\u00fchrt zur Theorie des Respirationsprocesses und zur Entscheidung der Frage: oh die heim Atlimen entweichende Kohlens\u00e4ure aus dem Blute bloss ausgehaucht wird, oder durch Verbindung '\"in Kohlenstoff des Blutes mit Sauerstoff der Luft sich erst bildet.\nDie Thatsachen lassen sich in folgende S\u00e4tze zusammenfassen.\n1.\tVenenblut wird unter der Luftpumpe r\u00e4cht merklich heller. Ich konnte an ganz frischem, noch fl\u00fcssigem Venenblute des Menschen kein Hellerwerden beobachten. Wurde indess das Auspumpen l\u00e4ngere Zeit fortgesetzt, so zeigte sich in Magnus Versuchen (Poggend. Ann. XXXX. 602.) eine geringe Ver\u00e4nderung der Farbe, oh ne dass jedoch das Blut so hellroth wie arterielles geworden w\u00e4re. Das Hellrothwerden des Blutes heim Atlimen kann also nicht bloss von Ausbauchung der im Blute vorhanden gewesenen Kohlens\u00e4ure herr\u00fchren, sondern die hellrothe Farbe des Arterienblutes r\u00fchrt wahrscheinlich von der Aufnahme von Sauerstoff her.\n2.\tAuch das mit Kohlens\u00e4ure k\u00fcnstlich impr\u00fcgnirte Blut wird","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320 II. Euch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nunter der Luftpumpe nicht hellroth. Ich goss circa eine Unze von geschlagenem Ochsenblut, das eine halbe Stunde vorher heim Schlachten gesammelt war, in eine mit Kohlens\u00e4ure gef\u00fcllte eng-halsige Flasche, verschloss dieselbe m\u00f6glichst dicht, und sch\u00fcttelte das Blut, wobei es schnell ganz violett dunkelroth wurde, worauf ich ein Uhrgl\u00e4schen voll dieses Blutes, der Luftpumpe aussetzte, und keine Farbenver\u00e4nderung bemerkte.\n3.\tMit Kohlens\u00e4ure k\u00fcnstlich impr\u00fcgnirtes Blut wird an der Luft wieder etwas heller. Diess habe ich hei derselben Gelegenheit beobachtet. Es scheint also auch hier ziemlich deutlich, dass das Hellrothwerden des Blutes an der Luft und heim Athmen nicht von der Entfernung von Kohlens\u00e4ure aus dem Blute, sondern von der Einwirkung des Sauerstoffes herr\u00fchrt.\n4.\tMit Kohlens\u00e4ure impr\u00fcgnirtes, ganz dunkeloiolett.es Blut wird von Sauerstojfgas wieder hellroth. Ich hatte vorher zwei Flaschen, die eine mit Kohlens\u00e4ure, die andere mit Sauerstoffgas gef\u00fcllt. In die Flasche mit Kohlens\u00e4ure goss ich etwas Ochsenblut, sch\u00fcttelte es, bis es ganz violett-dunkelroth geworden, und liess es einige Zeit stehen. Dann goss ich das auffallend dunkle Blut in die mit Sauerstoffgas gef\u00fcllte Flasche, die ich schnell verstopfte, und sch\u00fcttelte das Blut mit dem Sauerstoffgas, in dem es sehr schnell wieder hellroth, fast so hellroth wie arterielles Blut wurde.\n5.\tIVenn Blut, dass mit Kohlens\u00e4ure k\u00fcnstlich impr\u00e4gnirt ist, mit Sauerst offgas gesch\u00fcttelt wird, so enth\u00e4lt das Gas hierauf Kohlens\u00e4ure. Denn als ich nach dem Versuche Nr. 4. die Flasche in Wasser \u00f6ffnete, und das Blut durch Verd\u00fcnnung desselben mittelst Zugiessens von immer mehr Wasser zu entfernen suchte, die Flasche nun mit dem Finger unter dem Wasser schloss, und in einem Gef\u00e4sse mit Kalkwasser umst\u00fclpte, entstand eine Tr\u00fcbung, w\u00e4hrend von dem Gas der Flasche etwas absorbirt wurde.\n6.\tAuch frisches Blut, das mit atmosph\u00e4rischer Luft gesch\u00fcttelt wird, gicht Kohlens\u00e4ure ah; wie die Versuche von Berthollet, Christison und mir beweisen. Berthollet in Sciiweigg Journ. 1. 181. Christison in Froriep\u2019s Kotij.cn 644. Als ich 7 C. Z. Blut mit 10 C. Z. atmosph\u00e4rischer Luft innerhalb 6 Stunden h\u00e4ufig gesch\u00fcttelt, hatte sich 4. C. Z. Kohlens\u00e4ure gebildet. Siehe die fr\u00fcheren Auflagen dieses Handbuchs.\n7.\tAus Venenbiut l\u00e4sst sich durch Erhitzung keine Kohlens\u00e4ure entwickeln. H. Davy beobachtete die Ausscheidung von Kohlens\u00e4ure aus dem Arterienblut, 12 C. Z. Blut sollten 1,1 C. Z. Kohlens\u00e4ure enthalten haben. Davy f\u00fcllte auch eine kleine Schaaf-blase mit Venenblut des Menschen, tauchte sie darauf in Wasser von 112\u00b0 F., und fing das sich entbindende Gas im pneumatischen Apparate auf. Es bestand aus Kohlens\u00e4ure und aus w\u00e4sserigem Dunst. Gilb. Amt. 12. 5.94. Dagegen konnten John Davy, Strohmeyer Bergemann und ich durch Erhitzung keine Luft aus Venenblut entwickeln. Bergemann und ich erhielten bei Erhitzung von 1 Pfund Blut bis 60\u00b0, sp\u00e4ter bis 70\u00b0 und 74\u00b0 B.. oder 200\u00b0 F. nur ff C. Z. Kohlens\u00e4ure. Die Ursache, dass auf diese Weise keine merkliche Quantit\u00e4t frei wird, ist, wie Magnus zeigt, die, dass die Temperatur, bei welcher das Blut fl\u00fcssig bleibt, zu gering","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"4. Ver\u00e4nderungen des Tduics durch dus Athrnen.\n321\nist, nm die Kohlens\u00e4ure zu entbinden, und dass st\u00e4rkere Erhitzung das Eiweiss des Bluts gerinnen macht. Eiweiss, das mit Kohlens\u00e4ure vorher versetzt zuin Gerinnen gebracht wird, setzt seine Kohlens\u00e4ure auch nicht durch W\u00e4rme ah.\n8. Dagegen l\u00e4sst sich sowohl durch dir Luftpumpe, als durch Uindurchleiten von Wasserst off gas oder Slickgas Kohlens\u00e4ure aus dem Venenhlute frei machen. Vogel fand, dass das Blut unter der Luftpumpe sch\u00e4umend Gas entwickelte, und dass sich heim Hindurchleiten des Gases durch Kalkwasser ein wenig kohlensaurer Kalk bildete. Schweigg .Town. 11. 401. Aehnliche Beobachtungen hat Brande gemacht; er mittelte aus, dass in Arterien-und Venenblut Kohlens\u00e4ure sich befindet, und dass davon in einer Unze Blut 2 C. Z. enthalten seven. Ann. de chim. et de phys. 10. 207. Home und Bauer best\u00e4tigten diess, indem Barytwasser mit Blut zugleich unter der Luftpumpe kohlensauren Baryt bildete. Philos. Transact. 1818. 172. Meckel\u2019s Archiv 5. 369. Philos. Transact. 1820. Endlich hatte auch Scudamore [an essay on the llood. Lond. 1824.) Kohlens\u00e4ure im Blute beobachtet. Reid Clannv fand neulich, dass in 16 Unzen Blut 1 C. Z. Kohlens\u00e4ure enthalten sey. Behrends Piep, der med. J. Mai 1832. Vergl. Mueller\u2019s Archiv. 1835. 120. Vergl. CollaRd de Marti gn y Journ. de physiol. 10. 126.\nDagegen beobachtete John Davy ganz das Gegenlheil dieser Erfahrungen, dass n\u00e4mlich frisch gelassenes Blut keine Spur von Kohlens\u00e4uregas, weder im luftleeren Raum, noch beim Erhitzen bis zum Gerinnen in Destiliationsgef\u00e4ssen abgiebt; dass das Blut vielmehr seines Volums Kohlens\u00e4uregas nbsorbirt (von Mitscherlich, Tiedemann und Gmelin best\u00e4tigt), welches dabei vom Alkali im Blute gebunden wird, so dass es seihst bei einer Temp, von 93\u00b0 C. daraus nicht wieder zu erhalten ist. Joum. de chim. med. 5. 246. Jahresb. von Berzelius. 10. 233. Froriep\u2019s Not. 21. 209. Auch Strohmeyer (Schweigg. Journ. 1831.), Tiedemann, Gmelin, Mitscherlich [Zeitsckr. fiir Physiol. 5.) und ich seihst konnten keine Entwickelung von Kohlens\u00e4ure durch die Luftpumpe wahrnehmen. Siehe die fr\u00fcheren Auflagen dieses Handbuchs.\nMit diesen Thatsachen standen wieder Versuche von Hoffmann und Stevens in Widerspruch, nach welchen sich zwar durch die Luftleere und W\u00e4rme keine Kohlens\u00e4ure aus dem Blute entwickeln l\u00e4sst, wohl aber, wenn dasselbe mit einer andern Gasart, z. B. Wasserstoffgas, gesch\u00fcttelt wird. Mueller\u2019s Archiv. 1S35. 119.\nDiese Beobachtungen sind neuerlichst von den verschiedensten Seiten best\u00e4tigt worden. Bertuch und Magnus hatten sicli schon seit geraumer Zeit davon \u00fcberzeugt, und ich hatte das Resultat ihrer Versuche vorl\u00e4ufig im Archiv 1836. CXXVII. angef\u00fchrt. Zu demselben Resultat ist Bischoff durch genaue Versuche gelangt. Commentatio de mois ipiihusdam experiments chemico-physio/ogicis ad iliustrandam theoriam de respiratione instituts, lleidelb, 1837, Und auch Gmelin hat sich von der Existenz der Kohlens\u00e4ure im Blut \u00fcberzeugt. Aus allen diesen Versuchen geht hervor, dass sowohl Miiller\u2019s Physiologie. 1.\t*2.1.","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322 < II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nWasserstoffgas als Stickgas durch Yenenhlut durchgeleitet, Kohlens\u00e4ure daraus aufnehmen, und diese Quantit\u00e4t ist nach Macnus Versuchen selbst nicht kleiner, als wenn man atmosph\u00e4rische Luft liin-durcheitet. Die durch Wasserstoffgas erhaltene Kohlens\u00e4ure betr\u00e4gt wenigstens L vom Volumen des Blutes. Bischoff erhielt auch mittelst der Luftpumpe Kohlens\u00e4ure wiewohl in sehr geringer Menge. Magnus beobachtete wiederholt, dass aus dem Blute nur dann eine wahrnehmbare Menge Kohlens\u00e4ure entweicht, wenn die Spannkraft der \u00fcber dem Blute enthaltenen Luft nur noch 1\" Quecksilber betr\u00e4gt, woraus sich nun das fr\u00fchere Itesultat so vieler Beobachter erkl\u00e4ren l\u00e4sst.\n9.\tAus arteriellem Blut Hisst sich durch Erhitzung keine merkliche Quantitiit Luft entwickeln, wohl aber vermittelst der Luftpumpe. H. Davy beobachtete im Jahre 1799, dass 12 Unzen arterielles Kalbsblut eine Stunde lang bei einer Temperatur von 9(i\u2014108 \u2014200\u00b0 F. erhitzt, 1,8 C. Z. Gas gaben, wovon 1,1 C. Z. Kohlens\u00e4ure und 0,7 C. Z. Sauerstoff waren. Gilb. Ann. 12. 593. CollaUd be MaRtigny erhielt mit der Luftleere aus arteriellem Blut nur Kohlens\u00e4ure, aber kein Sauerstoffgas. Durch Erhitzen von geschlagenem arteriellem Ziegenblut erhielt ich nur \u00e4usserst \u25a0wenig Luft. Von diesem Blut wurde eine an einem Ende verschlossene weite Glasr\u00f6hre von 12 C. Z. Inhalt gef\u00fcllt und im Quecksilber umgest\u00fcrzt. Bei der Erw\u00e4rmung des Apparates durch Wasser von 50 \u2014 52\u00b0 R. in mehreren Stunden, entwickelte sich nur sehr wenig Luft, die in eine Eprouvette \u00fcbergeleitet noch nicht C. Z. betrug, wovon Phosphor -s\u2014absorbirte.\nDurch den von Magnus angewandten luftleeren Raum liess sich nicht bloss eine ansehnliche Quantit\u00e4t Luft aus arteriellem Blute entwickeln: der Apparat war auch so eingerichtet, dass sich die entwickelten Gase leicht sammeln Hessen. Aus diesen Versuchen ging mit Sicherheit hervor, dass das arterielle Blut nicht weniger Luft als das ven\u00f6se aufgel\u00f6st enth\u00e4lt.\n10.\tIn beiden Blut art en ist Kohlens\u00e4ure, Stickgas und Sauerstoffgas enthalten, aber in verschiedenem Verh\u00e4ltniss, im Venenblut mehr Kohlens\u00e4ure als im arteriellen Blut, in diesem mehr Sauerst offgas als in jenem; der Stickgasgehalt ist nicht constant verschieden. Dieses wichtige und \u00fcber die Theorie vom Athmen entscheidende Resultat ist durch die h\u00f6chst sorgf\u00e4ltigen und genauen Versuche von Magnus gewonnen worden. Die folgende Tabelle stellt die angestellten Versuche \u00fcbersichtlich dar.\nCubikcentimeter.\nBlut von einem Pferde\nVen\u00f6ses Blut vom Pferde\nDasselbe Blut\nr 5,4 Kohlens\u00e4ure\n125 gaben 9,8 Luft-! 1,9 Sauerstoff l\t2,5 Stickstoff\nr\t8,8 Kohlens\u00e4ure\n205\t\u00bb\t12,2\t\u00bb\t\\\t2,3 Sauerstoff\n1,1 Stickstoff rl0,0 Kohlens\u00e4ure\n195\t\u00bb\t11,2\t\u00bb\t4\t2,5 Sauerstoff\n1\t1,7 Stickstoff","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"4. Ver\u00e4nderungen des Elutes durch das Athmen.\n323\nCubikeentimeter.\nArterielles Blut vom\t\t\trlO,\u201d\tKohlens\u00e4ure\nPferde\t130 gaben\t16,3 Luft! 4,1\t\tSauerstoff\n\t\t\tl 1,5\tStickstoff\n\t\t\tf 7\tKohlens\u00e4ure\nDasselbe Blut\t122 \u00bb\t10,2\t\u00bb ] 2,2\tSauerstoff\n\t\t\tl 1\tStickstoff\nVen\u00f6ses Blut von\t\t\t(-12,4\tKohlens\u00e4ure\ndenselben\t170\t\u00bb\t18,9\t.\u00bb J 2,5\tSauerstoff\n\t\t\tl 4,0\tStickstoff\nArterielles Blut vom\t\t\tf 9,4\tKohlens\u00e4ure\nKalb\t123\t\u00bb\t14,5\t\u00bb \\ 3,5\tSauerstoff\n\t\t\t1 1,6\tStickstoff'\n\t\t\tf 7,0\tKohlens\u00e4ure\nDasselbe Blut\t108 \u00bb\t12,6\t\u00bb i \u00bb,0\tSauerstoff'\n\t\t\t1 2,6\tStickstoff\nVen\u00f6ses Blut von\t\t\tf10,2\tKohlens\u00e4ure\ndemselben Kalbe\t153\t\u00bb\t13,3\t\u00bb \\ 1,8\tSauerstoff\n\t\t\t1 1,3\tStickstoff\n\t\t\tf 6,1\tKohlens\u00e4ure\nDasselbe\t140\t\u00bb\t7,7\t\u00bb \\ 1,0\tSauerstoff\n\t\t\tl 0,6\tStickstoff\nAus dieser Tabelle gebt bervor, dass der Sauerstoff in der vom ven\u00f6sen Blut erhaltenen Luft h\u00f6chstens oft nur von der gefundenen Kohlens\u00e4ure betr\u00e4gt, w\u00e4hrend er im arteriellen Blute wenigstens -j und tast die H\u00e4lfte derselben ausmacht. Die von dem Blute erhaltenen Luftmengen betragen durchschnittlich -j0 bisweilen vom Volumen des Blutes.\nMan darf sich dieselben \u00fcbrigens nicht im gasf\u00f6rmigen Zustande verthcilt im Blute denken; die Gase sind im aufgel\u00f6sten Zustande vorhanden, so wie Sauerstoffgas und Stickgas im Wasser der Fl\u00fcsse und Seen aufgel\u00f6st, aber nicht als Gase enthalten sind.\nDass die Gase mehr sich mit den Blutk\u00f6rperchen verbinden als mit der Blutfl\u00fcssigkeit, l\u00e4sst sieb aus der Farbenver\u00e4nderung des Blutes im Allgemeinen nur vermuthen. Diese K\u00f6rper werden unaufh\u00f6rlich in den Lungen hellroth, in den Capillargef\u00e4ssen des \u00fcbrigen K\u00f6rpers dunkelroth. Vielleicht sind sie Tr\u00e4ger f\u00fcr die Stoffver\u00e4nderungen beim Athmen, eine blosse Vermutbung indess, die wir in der ersten Auflage dieses Handbuchs p. 343. ausgesprochen. Dass diese K\u00f6rpereben im arteriellen und ven\u00f6sen Blute des Frosches in der Gestalt und Gr\u00f6sse nicht im mindesten verschieden sind, davon habe ich mich auf das Bestimmteste \u00fcberzeugt.\n11. Jhmkelrothes Blut wird durch Beimengung von Keu/ralsal-zen auch heller, entwickelt aber dabei keine Kohlens\u00e4ure. Ich f\u00fcllte eine Eprouvette mit geschlagenem Ochsenblut, setzte eine ansehnliche Quantit\u00e4t Salpeter hinzu, und st\u00fcrzte die Eprouvette in einem Gef\u00e4ss mit geschlagenem Ochsenblut um, und erhitzte den Apparat. Es entwickelte sich kein Gas.\nStevess [observ. cm the healthy and diseased properties of the\n21*","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nblood. Loud. 1832.) hat einige interessante Beobachtungen \u00fcber den Antbeil der Salze an der beilern Farbe des Bluts gemacht.\n12. Die roi/ie Farbe des Biutcoagulums wird im destillirten 1Passer dunkler, und zwar schw\u00e4rzlich. Dass Blutcoagulum in de-stiilirtem Wasser, welches die Salze auszieht, dunkel und von Salzl\u00f6sung wieder heller roth wird, hat R. Froriep best\u00e4tigt. Froriep\u2019s Not. 759. Diese F\u00e4rbung erfolgt auch im luftleeren Raum. Muel-i.er\u2019s Archiv. 1835. 119. Hieraus schliesst Stevens, dass nicht das Oxygen der Atmosph\u00e4re, sondern dass das salzhaltige Serum das Blut,hell f\u00e4rbe, daher sey bei Mangel der Salze im Blut, wie iu der Cholera, im gelben Fieber, das Blut dunkler, r\u00f6the sich an der Luft nicht, wohl aber bei Zusatz von Salzen. Hieraus schliesst nun Stevens, dass die dunkle schw\u00e4rzliche Farbe des Blutes die nat\u00fcrliche des Farbestoffs sey, und dass der FarbestofF der Blutk\u00f6rperchen nur so lange roth sey, als er mit salzigen Theilen des Serums in Ber\u00fchrung ist. Daher k\u00f6nne sich Blutcoagulum, das in destillirtes Wasser getaucht worden,-an der Luft nicht mehr hellroth f\u00e4rben, es f\u00e4rbe sich aber sogleich, wenn manj es in eineSalzl\u00f6sung tauche. Stevens h\u00e4lt die Kohlens\u00e4ure im \\'e-nenblut f\u00fcr die Ursache der dunkeln Farbe dieses Blutes; sobald diese an der Atmosph\u00e4re oder beim Athmen aus dem Blute entfernt werde, werde das Blut von selbst und nicht durch den Sauerstoff hellroth. Wenn diess richtig w\u00e4re, so m\u00fcsste Venen-hlut unter der Luftpumpe hellroth werden, was nicht der Fa.ll ist. Ebenso m\u00fcsste das dunkelrothe Blut auch im Wasserstoffgas hellroth werden, weil darin eben so gut Kohlens\u00e4ure sich entwickeln kann, indem ja eine mit Wasserstoffgas gef\u00fcllte Blase Kohlens\u00e4uregas bis zum Zerplatzen anzieht. S. p. 244. Ohne die Aothwendigkeit der Salze im Blute zur Erzeugung der bellrothon Farbe zu leugnen, muss man doch gestehen, dass der Sauerstoff, wenn er auf die von salzigem Serum umgebenen Blutk\u00f6rperchen wirkt, die Ursache zur hellem F\u00e4rbung wird, ohne dass der Salzgehalt im Blute sich \u00e4ndert. Vergl. Bischoff a. a. O.\nV. Capitel. Von dem chemischen Process des Athmens.\nEs w\u00fcrde eine sehr falsche Vorstellung seyn, wenn man sich d\u00e4chte, w\u00e4hrend des Einathrnens dringe der Sauerstoff der einge-atbmeten Luft durch die Capillargef\u00e4ssh\u00e4ute in den W\u00e4nden der Lungenzellen bis zu dem Blute derselben ein, und beim Ausath-men werde Kohlens\u00e4ure aus dem Blute durch die Gef\u00e4ssw\u00e4nde hindurch ausgehaucht. Die Aufnahme von Sauerstoff in das Blut, welches durch die Capillargef\u00e4sse der Lungenzellenw\u00e4nde str\u00f6mt, und die Ausbauchung von Kohlens\u00e4ure findet vielmehr best\u00e4ndig ohne Unterbrechung, sowohl w\u00e4hrend des Ausathmens, als w\u00e4hrend des Einathrnens statt. Die Bewegung des Einathrnens und Ausathmens ist nichts anders, als eine abwechselnde Erweiterung und Verengerung der Brust und der Lungen; die Lungen werden dabei nie leer von Luft, und enthalten unter fortdauernder Auf-","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"5. Vom chemischen Process des slthmens.\n325\nn\u00e4hme von Sauerstoff ins Blut, und Ausbauchung von Kohlens\u00e4ure, theils atmosph\u00e4rische Luft, theils etwas der ausgehauchten Kohlens\u00e4ure. Durch das Ausatbmen wird die ver\u00e4nderte Luft nur grossen theils entfernt, und die Luft der Lungen erh\u00e4lt einen neuen Zufluss respirahler atmosph\u00e4rischer Luft. Bei vielen Thieren fehlen die Athembewegungen am Alhemorgane ganz, und es findet nur der best\u00e4ndige Stoffwechsel statt, wie an den vorstehenden unbeweglichen Kiemen der Salamanderlarven.\nWie der Sauerstoff der Atmosph\u00e4re best\u00e4ndig durch die W\u00e4nde der Lungenzellen in das diese W\u00e4nde durchstr\u00f6mende Blut, und aus demselben durch die W\u00e4nde der Zellen die Kohlens\u00e4ure gelange, bedarf keiner Erkl\u00e4rung, nachdem im vorigen Buch pag. 242. die Permeabilit\u00e4t der weichen tbierischen Theile, namentlich H\u00e4ute, f\u00fcr fl\u00fcssige und gasf\u00f6rmige Stoffe erwiesen worden ist. Eine nasse Thierblase, welche mit einer von der Atmosph\u00e4re verschiedenen Luftart gef\u00fcllt ist, enth\u00e4lt nach einiger Zeit diese Luft nicht mehr, sondern atmosph\u00e4rische Luft. Beiderlei Luftarten setzen sich durch die W\u00e4nde der nassen Blase hindurch ins Gleichgewicht der Vertheilung. Derselbe Process findet zwischen zwei verschiedenen L\u00f6sungen statt, die eine thierische Membran von 2 Seiten ber\u00fchren. Dunkelrothes Blut in einer nassen Thierblase soll sich durch die W\u00e4nde der Blase hindurch von der atmosph\u00e4rischen Luft hcllroth f\u00e4rben. Durch die feinen W\u00e4nde der Lungenzellen muss diese Durchdringung ausserordentlich schnell geschehen, und das die Capillargef\u00e4sse dieser Lungen zellen w\u00e4nde durchstr\u00f6mende Blut muss dieser Aufnahme theilhaftig werden. Hierzu kommt, dass das Blut, namentlich die rotben Blutk\u00f6rperchen, eine ausserordentlich grosse Verwandtschaft zu dem Sauerstoff haben, indem sich dunkles Blut auch ausser dem K\u00f6rper schnell auf der Oberfl\u00e4che hellroth f\u00e4rbt, wobei Kohlens\u00e4ure aus dem Blute ausgehaucht wird. ln der That dauert die best\u00e4ndige hellrot he F\u00e4rbung des Blutes in den Lungen selbst nach Durchscbneidung der Lungennerven, Nervi vagi, fort.\nDie Vertheilung des Blutes in so unendlich viele feine Capillargef\u00e4sse in den W\u00e4nden der Lungenzellen hat also offenbar den Zweck, den Contact der kleinsten Theilchen des Blutes mit der Luft in der ungeheuren Oberfl\u00e4che aller Lungenzellen zu vermehren, indem die ganze, die Lungen durchstr\u00f6mende Blutmasse auf dieser ungeheuren Contactsfl\u00e4che vertheilt wird. Ob das Gewebe der Lungen einen specifisclien Einfluss auf Ver\u00e4nderung der Atmosph\u00e4re besitzt, der gr\u00f6sser ist, als in anderen Xbeiien, ist immer noch zweifelhaft, da die Blutk\u00f6rperchen seihst hierbei die Hauptrolle zu spielen scheinen, da auch gleiche Ver\u00e4nderungen der Luft von andern tbierischen Oberfl\u00e4chen wie auf der Haut der Fische und Fr\u00f6sche, im Darmkanal (bei Cobitis fossilis) stattfinden, da nach Durchscbneidung der Lungennerven der chemische Process' des Athmens fortdauert. Endlich leben die Fr\u00f6sche nach meinen Versuchen nach Unterbindung und Ausschnei-dung der Lungen, seihst noch 30 Stunden durch Athmen mit der Haut in der Luft fort, w\u00e4hrend sie in ausgekochtem Wasser untergetaucht, viel schneller sterben. Die Lungen","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"32G II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn, Aihmcn.\nsind durch ihre Organisation, durch die Feinheit der zu durchdringenden Membran, durch die Gr\u00f6sse der Contactsfl\u00e4che der am meisten geeignete Theil zu dem chemischen Processe des Athmens. .\nUeber die Theorie des chemischen Processes beim Athmen sind verschiedene Ansichten aufgestellt worden.\n1.\tNach Lavoisier, Laplace und Prout haucht das Blut best\u00e4ndig in die Lungenzellen eine Fl\u00fcssigkeit aus, die vorz\u00fcglich Kohlenstoff und Wasserstoff enth\u00e4lt. Diese vereinigen sich mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlens\u00e4ure und Wasser, welche beim A\u00fcsathmen entfernt werden. Diese Annahme einer aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehenden Fl\u00fcssigkeit ist vom chemischen Gesichtspunkte sehr gewagt. Gmelin\u2019s Chem. 4. 1529. Da man bei dieser Theorie die thierische W\u00e4rme aus der Kohlens\u00e4ure- und Wasserbildung ausser dem Blute, n\u00e4mlich innerhalb der Lungenzellen erkl\u00e4rt, so muss bemerkt werden, dass die Lungen im Allgemeinen keineswegs w\u00e4rmer als andere Theile sind.\n2.\tDie von den meisten Chemikern getheilte Ansicht ist die von II. Davy, dass die Luft durch die W\u00e4nde der Lungenzelleil in das Blut der Capillargef\u00e4sse eindringe, dass die nun im Blute aufgel\u00f6ste Luft wegen Verwandtschaft des Sauerstoffs zu den Blutk\u00f6rperchen zersetzt und Kohlens\u00e4ure frei wird, wobei zugleich der gr\u00f6sste Theil des Stickstoffs wieder entweiche. Gilb. Ann. 19. Davy gab nach seinen Athemversuchen mit oxydirtem Stickgas und Wasserstoffgas zu, dass etwas kohlensaures Gas aus dem ven\u00f6sen Blute selbst entwickelt werde. Nach der letztem Ansicht nimmt man die W\u00e4rmeerzeugung von der Kohlens\u00e4urebildung im Blute der Lungen an, und dieser sind die Beobachtungen von J. Davy g\u00fcnstig, dass das Blut des linken Herzens und der Arterien (Carotis) um 1\u201411\u00b0 Fahr, w\u00e4rmer seyn soll, als im rechten Herzen und in den Venenst\u00e4mmen (Jug.)\n3.\tEinige, welche von der Thatsache ausgehen, dass beim Athmen mehr Sauerstoff verschwindet, als Kohlens\u00e4ure gebildet wird, die Kohlens\u00e4urebildung in den Lungen oder in den Gef\u00e4ssen der Lungen zugeben, aber die Wassererzeugung leugnen, nehmen an, dass durch Verbindung von Sauerstoff der Luft mit Kohlenstoff des Blutes Kohlens\u00e4ure sogleich beim Athmen entstehe, dass jener Antheil von Sauerstoff, der nicht auf Kohlens\u00e4urebildung verwandt werde, mit dem Blute gebunden werde, und daher das Blut hcllroth f\u00e4rbe, dass die Blutk\u00f6rperchen mit gebundenem Sauerstoffe das Leben der organischen Theile anregen. Dass beim Athmen mehr Sauerstoff verschwindet, als Kohlens\u00e4ure gebildet wird, berechtigt durchaus nicht zu der Annahme von Lavoisier, Laplace, Dulong und Despretz, dass dieser Antheil von Sauerstoff auf die Bildung des ausgeathmeten Wassers durch Verbindung von Wasserstoff des Blutes und Sauerstoff verwandt werde. Das in den Lungen ausd\u00fcnstende Wassergas aus einer Erzeugung von Wasser aus Elementen abzuleiten, ist auch \u00fcberaus gewagt, weil unter den obwaltenden Umst\u00e4nden von nassen tbierischen Oberfl\u00e4chen, besonders bei der Temperatur der warmbl\u00fctigen Thiere, Wasser verdunsten muss. Die Hypothese der Wassererzeugung in den","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"5. Vom chemischen Process des ylthrnens.\n327\nLungen ist daher hloss zum Vortheile der Verbrennungstheorie von Lavoisier und Laplace erfunden, aber nicht erwiesen worden. Nach den Versuchen von Collaed de Martigny wird in jeder Gasart, z. P>. auch Wasserstoffgas, Wassergas ausgeathmet, wo aiso kein Sauersloli zur Erzeugung von Wasser vorhanden war (doch ist nach meiner Ansicht dieser Versuch nicht ganz stringent, weil Thiere, die in irrespirable Gasarten gebracht werden, immer noch atmosph\u00e4rische Luft in den Lungen haben). Nach Magendie soll sich die Quantit\u00e4t des heim Athmen transpirirten Wassers vermehren, wenn man einem Thiere Wasser von der Temperatur des K\u00f6rpers in die Venen injicirt. Magendie pr\u00e9cis \u00e9l\u00e9mentaire de physiologie. 2. \u00e9d. 2. 246. Man kann daher wohl die Wassererzeugung in den Lungen nicht anders als eine der gewagtesten Hypothesen ansehen, welche nur von Chemikern, nicht von Physiologen lange Zeit hin angenommen werden konnte, und es ist ganz einfach, die Ausbauchung von Wasser aus den Lungen gleichwie von der Haut als eine blosse Aushauchung aus dem Blute zu betrachten, obgleich diese Aushauchung nicht eine rein physikalische Verdampfung ist, wie sich deutlicher hei der flautausd\u00fcnstung im 7. Abscbn. dieses Buches ergehen wird. Da nun kein Wasser in den Lungen erst entsteht, so muss jedenfalls dasjenige Sauerstoffgas, welches nicht auf ein gleiches Maass Kohlens\u00e4ure heim Athmen verwandt wird, wirklich ins Blut \u00fcbergehen; dieser verschwindende Ueberschuss von Sauerstoffgas ist schon in den meisten Versuchen \u00fcber das Athmen in der Luft und im Wasser vollkommen constatirt. Offenbar wird also ein gr\u00f6sserer oder geringerer Theil des Sauerstoffs der Luft mit dem Blute verbunden, und ist die Ursache der hellrothen F\u00e4rbung des Arterien blutes und des Blutes an der Luft. Wie man weiss, wird auch ein Gemeng von Blutk\u00f6rperchen und Serum, oder geschlagenes Blut durch blosses Hindurchstreichel) von Sauerstoffgas durch und durch hellroth. F\u00fcr diese Bindung von Sauerstoff an das Blut spricht auch die Beobachtung, dass heim Sch\u00fctteln von Luft und Blut sehr viel mehr Sauerstoffgas absorbirt, als Kohlens\u00e4ure gebildet wird. Es sprechen ferner daf\u00fcr Nysten\u2019s Versuche mit Gaseinspritzungen in die Adern der Thiere, wobei Sauerstoffgas das dunkelrot he Blut in den Venen hellroth f\u00e4rbte, avo also gar keine gebildete Kohlens\u00e4ure ausgeschieden wurde. Nisten rech, de physiol, et de chim. pat/iol.\n4. Nach Lagrange und Hassenfratz wird der Sauerstoff der atmosph\u00e4rischen Luft nur locker vom Blute gebunden (im Blute aufgel\u00f6st oder mit den Blutk\u00f6rperchen verbunden), und bildet erst w\u00e4hrend der Circulation mit dem Kohlenstoffe des Blutes Kohlens\u00e4ure, die im Blute absorbirt ist, bis sie in den Lungen aus dem Blute frei wird. Lagrange st\u00fctzte diese Ansicht zum Theil darauf, dass arterielles Blut in verschlossenen Gef\u00e4ssen nach einiger Zeit von selbst wieder dunkler wird. Da nun das arterielle Blut bis in die feinsten Arterien immer noch hellroth ist, und beim Durchgang durch die Capi\u00fcargef\u00e4sse des K\u00f6rpers erst dun-kelroth wird, so kann man, wenn man der Ansicht von Lagrange","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Absc/m. Athmen.\nzugetan ist, die Kohlens\u00e4urehildung doch nur in den Capitlar-ge fass en des, K\u00f6rpers annelimen. Nach dieser Ansicht muss das Vencnhlut vorz\u00fcglich Kohlens\u00e4ure aufgel\u00f6st enthalten, das Arterienblut muss locker gebundenen Sauerstoff enthalten. Diese Ansicht war immer unter einem grossen Tbeil der Physiologen verbreitet, und st\u00fctzte sicli fr\u00fcher auf die Versuche von Vogei, Home, Biunde, Scudamore, Collard de Martignv, dass Venen-hh.it wirklich Kohlens\u00e4ure enthalte, und II. Davy\u2019s Versuch, dass sich aus Arterienblut Sauerstoffgas entwickeln lasse. Nach dieser Theorie ist es erkl\u00e4rlich, warum die Lungen nicht w\u00e4rmer als andere Theile sind. Fr. Nasse hat in einer ausgezeichneten Abhandlung \u00fcber das Athmen (Meck. Arch. 2. 195. 435.) alle fr\u00fcheren diese Ansicht st\u00fctzenden Thatsachen zusammengestellt. Widersprechende Versuche, die oben rnitgetheilt worden, hatten diese Ansicht wieder zweifelhaft gemacht. Durch die Beobachtungen von Stevens, Hoffmann, Bischoff, Bertuch \u00fcber den Kohlen S\u00e4uregehalt des Venenblutes und besonders durch diejenigen von Magnus \u00fcber den Lultgehalt beider Blutarten ist indess diese Theorie die wahrscheinlichste geworden.\n5. Vor Kurzem li\u00e2t Stevens eine eigent\u00fcmliche Ansicht \u00fcber den chemischen Process des Atbmens aufgestellt, welche aut den ersten Blick sinnreich erscheint. Stevens sagt, der Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen ist an sich dunkel, durch das Serum wird er hellroth, weil die Salze das Blut hellroth machen. Die hellrothe Farbe ist daher die nat\u00fcrliche Farbe der Blutk\u00f6rperchen, so lange sic von Serum umgeben sind. Bringt man Wasser mit hellrotem Blutcoagulum zusammen, so wird das hellrothe Blut dunkel, weil das Serum des Coagulums ausgewaschen wird. Kohlens\u00e4ure macht das hellrothe Blut dunkel. Diese Kohlens\u00e4ure entsteht nach Stevens in den Capillargef\u00e4ssen des K\u00f6rpers, daher ist das Venenblut dunkel; in den Lungen wird diese Kohlens\u00e4ure ausgeschieden, daher tritt wieder die nat\u00fcrliche Farbe des Blutes, die-hellrothe, ein, ohne dass der Sauerstoff die Ursache der hellroten F\u00e4rbung w\u00e4re. W\u00e4re Stevens Ansicht richtig, so m\u00fcsste Venenblut unter der Luftpumpe durch das Entweichen der Kohlens\u00e4ure zum hellroten Blute werden. Diess geschieht aber nicht, wie wir oben gesehen haben. Das ins Blut aufgenommene Sauerstoff'gas muss daher einen wesentlichen Anteil an der hellroten Farbe des Blutes haben. De Maack {de ratione r/uae colorent sanguinis inter et respirations functionem intercedit. Kit. 1834.) fand, dass der oxydirte sowohl als der kohlensaure Cruor von schw\u00e4rzlicher Farbe ist, wenn er nicht mit einer Neutralsalze haltigen Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung kommt. Salze machen beide heiler roth, die kohlensauren nur bis zur Farbe des Venenblutes, die oxydirten bis zur Farbe des Arterienblutes. Der Verf. fand \u00fcbereinstimmend mit Berzelius, dass Blutwasser nur \u00e4usserst wenig Sauerstoffgas absorbirt und keine Kohlens\u00e4ure aushauclit. Dagegen absorbiren 2 ) Maass l arbestotl\u00e4ull\u00f6suug von 2 Maass Sauerstoffgas 1;\u2018 Maass, und werden dann durch Ber\u00fchrung mit einer salzhaltigen h Bissigkeit hellroth. Der Verfasser nimmt an, dass der koh-","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"5. Chemischer Process des ylthmens.\n329\nlensaure Cruor durch Sauerstoffgas zersetzt werde, so dass der Cruor oxydirt, die Kohlens\u00e4ure aber frei werde, gleichwie das kohlensaure Eisenoxydul au der feuchten Luft zersetzt, und iu Eisenoxydhydrat verwandelt wird.\nfi. Verschieden von dieser ist wieder folgende Ansicht, dass die Kohlens\u00e4ure nicht durch Verbindung von Sauerstoff der Luft und Kohlenstoff des Blutes entstehe, weil die Ausbauchung von Kohlens\u00e4ure in sauerstofffreien Gasen fortdauere, dass daher die Kohlens\u00e4ure aus den letzten Bestandtheilen des Blutes sich wie andere Secreta bilde. Mann kann f\u00fcr diese Vorstellung die Absonderung verschiedener Gase durch die Schwimmblase der Fiscbe anf\u00fchren. Nach dieser Ansicht w\u00e4re die Kohlens\u00e4ure nicht im Venenblute notLwendig pr\u00e4existirend, sondern sie w\u00fcrde im Momente des Durchganges des Blutes durch die Capillargef\u00e4sse der Lungen ohne Mitwirkung des Sauerstoffs der Luft gebildet. Diese Ansicht st\u00fctzt sich auf Beobachtungen, dass die Bildung von Kohlens\u00e4ure in sauerstofffreien Gasen bei kaltbl\u00fctigen Thieren fortdauert; Beobachtungen, welche schon Spallanzani gemacht und Edwards wiederholt. Tndess die Existenz der Gase im Blute beweist, dass sie nicht durch Secretion erst entstehen.\n7. In neuerer Zeit haben Mitscherlich, Gmelin und Tiedemann eine eigenth\u00fcmliche Theorie des Athmens entAvickelt. Sie geben von der Existenz der Essigs\u00e4ure oder Milchs\u00e4ure im freien oder gebundenen Zustande in den meisten Secreten und im Blute aus, welche sich im thierischen K\u00f6rper selbst erzeugen muss, da sie in viel kleinerer Menge in der Nahrung enthalten ist, als die durch Schweiss und Urin best\u00e4ndig ausgeleert wird. Nun haben sie ferner ausgemittelt, dass das ven\u00f6se Blut mehr unterkohlensaures Alkali enth\u00e4lt als das arterielle, indem 10000 ven\u00f6ses Blut wenigstens 12,3 und 10000 arterielles Blut wenigstens 8,3 gebundene Kohlens\u00e4ure enthalten. Diess wenden sie aut ihre Hypothese an, dass sich beim Athmen unter reichlicher Ber\u00fchrung mit der Luft Essigs\u00e4ure erzeuge, welche das kohlensaure Alkali des ven\u00f6sen Blutes zersetze, worauf die Kohlens\u00e4ure ausgeathmet werde. Sie vermuthen, dass der Sauerstoff der Luft beim Athmen theils direct an Kohlenstoff und Wasserstoff trete und Kohlens\u00e4ure und Wasser erzeuge, zum Theil sich unmittelbar mit den im Blute enthaltenen organischen Verbindungen vereinige. Hierdurch werden nun organische Producte, die zum Leben noting sind, erzeugt. Zugleich ist diese Bildung aber auch mit einer Umwandlung organischer Stoffe in niedere, wie z. B. Essigs\u00e4ure oder Milchs\u00e4ure, verbunden, welche einen Theil der im Blute enthaltenen kohlensauren Materie zersetzt und diese Kohlens\u00e4ure in die Lungenzellen austreibt. Tiedemann Zeitschr, f. Physiol. 5. Diese Theorie war, so lange an der Existenz der Gase im Blut gezweifelt werden konnte, ein ingeni\u00f6ser Versuch zur Erkl\u00e4rung der Facta. Gmelin hat indess seihst sp\u00e4ter die Existenz der Kohlens\u00e4ure im Blute anerkannt.\nDie Entscheidung der ganzen Frage vom chemischen Process des Athmens h\u00e4ngt von der Beantwortung von folgenden 3 Fragen ab.","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Abschn. Athmen.\n1.\tIst Kohlens\u00e4ure im Venenhlute, SauerstofFgas irn Arte-rienblute vorhanden? Diese Frage ist durch die oben mitgetheil-ten Versuche, namentlich durch die treffliche Arbeit von Magnus bejahend beantwortet.\n2.\tWird die im Blute enthaltene Kohlens\u00e4ure durch verschiedene Gase und nicht bloss durch die atmosph\u00e4rische Luft daraus ausgetrieben? Auch diess ist durch die Versuche von Hoffmann, Stevens, Bischoff, Bertuch, Magnus bejahend beantwortet. Wasserstofl'gas und Stickgas durch Blut geleitet, nehmen eben so viel Kohlens\u00e4ure daraus auf, als wenn atmosph\u00e4rische Luft durch Blut durchgeleitet wird.\n3.\tWird Kohlens\u00e4ure von kaltbl\u00fctigen Thieren in reinem Wasserstoffgas oder reinem Stickgas ausgehaucht? Wir werden sehen, dass diess unzweifelhaft ist.\nIch werde nun den ganzen Verfolg der Untersuchungen \u00fcber das Aushauchen von Kohlens\u00e4ure in sauerstofffreien Gasarten mittheilen. Die \u00e4lteren Versuche an warmbl\u00fctigen Gesch\u00f6pfen von H. Davy (Gilb. Ann. 19. 320.), Coutanceau und Nysten (Meck. Arch. 2. 256.) beweisen wohl nichts, da die Lungen von solchen Thieren, die kurze Zeit in Wasserstoffgas gebracht werden, noch Kohlens\u00e4ure von vorher enthalten. Die Versuche werden nur dann beweisend, wenn Thiere lange in Wasserstoffgas oder Stickgas ausdauern k\u00f6nnen, und wenn die erzeugte Kohlens\u00e4ure betr\u00e4chtlich ist. Diess hat Edwards beobachtet; n\u00e4mlich ein Frosch hauchte einmal in Wasserstoffgas in 8^ Stunden 2,97 Centil. = 1,49 P. C. Z. Kohlens\u00e4ure aus, was indess nicht richtig seyn kann, da ein Frosch selbst in atmosph\u00e4rischer Luft in dieser Zeit lange nicht so viel Kohlens\u00e4ure bildet. Influence Bes agens physiques p. 445. Collard de Martigny (Magendie Bourn, de physiol. 1830. p. 121.) hat diese Versuche mit Stickgas ausgef\u00fchrt, und auch Ausbauchung einer Quantit\u00e4t Kohlens\u00e4ure beobachtet, die nicht viel kleiner war als in Edwards Versuch. Er nahm den Frosch in Zwischenzeiten von l.V \u25a0\u2014 2 Stunden aus der mit Stickgas gef\u00fcllten Glocke heraus, sammelte die Luft in einem andern Gcf\u00e4ss auf durch eine besondere Vorrichtung, f\u00fcllte die Glocke wieder mit Stickgas und liess den Frosch wieder darin athmen. Diess wiederholte er bei jedem Versuche mehrere Mal. Beim Einbringen des Frosches wurden die Lungen und Kehle zusammengedr\u00fcckt. Diese Methode hat einige Vortheile, allein bei dem \u00f6fteren Wiedereinbringen des Frosches wird jedesmal doch wieder eine kleine Quantit\u00e4t atmosph\u00e4rischer Luit durch seine auch noch so sehr comprimirten Atheinorgane in den Versuch gebracht. Collard hat nicht bemerkt, wie er das Stickgas bereitet und gereinigt hat. Die Resultate der Versuche von Collard sind folgende.\nA.\tEin Frosch bildete in 7r>- Stunden 2,80 Centilitres Kohlens\u00e4ure, diess macht 1,41 P. C. Z.\nB.\t3 Fr\u00f6sche bildeten in 8 Stunden 7,98 Centilitres Kohlens\u00e4ure; diess macht auf einen Frosch 1,34 C. Z.\nC.\t2 Fr\u00f6sche bildeten in S.j Stunden 5,22 Centilitres Kohlens\u00e4ure; diess macht auf einen Frosch 1,31 C. Z.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"5. Chemischer Process des At/mens.\n331\nD.\t2 Fr\u00f6sche bildeten in 8 Stunden 5,43 Centilitres Kohlens\u00e4ure; diess macht auf einen Frosch 1,36 C. Z.\nE.\t2 Fr\u00f6sche bildeten in 7^- Stunden 4,89 Centilitres Kohlens\u00e4ure; diess macht auf einen Frosch 1,22 C. Z.\nF.\t2 Fr\u00f6sche bildeten in 9 Stunden 5,15 Centilitres Kohlens\u00e4ure; diess macht auf einen Frosch 1,29 C. Z.\nG.\t2 Fr\u00f6sche bildeten in 8 St. 40 Min. 5,70 Centilitres Kohlens\u00e4ure, diess macht auf einen Frosch 1,43 C. Z.\nEs schien mir durchaus n\u00f6thig, die Versuche von Edwards und Collard zu wiederholen. Da mir 20 Pfund Quecksilber zu Gebote standen, so konnte ich den Versuch schon in einem grossen Gelass anstellen.\nA.\tEin Cylinder von 20 C. Z. Inhalt wurde mit Quecksilber gef\u00fcllt, und mit H\u00fclfe einer geschliffenen Glasplatte im Quecksilber umgest\u00fcrzt, der Cylinder darauf mit Wasserstoffgas (aus Zink und verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure bereitet) gef\u00fcllt. Nun brachte ich 4 Fr\u00f6sche hei Zusammendr\u00fcckung ihrer Lungen in den Cylinder. Nach 4 Stunden machten sie keine Athembewegungen mehr, obgleich sie noch Lebenszeichen von sich gaben. Nach' 12 Stunden nahm ich sie heraus, sie waren todt, und lebten an der Luft nicht wieder auf. Kali caust. in den Cylinder gebracht, absorbirte 1|- C. Z. Kohlens\u00e4ure; diess macht auf jeden Frosch 0,45 C. Z. Bei diesem Versuche \"war das Wasserstolfgas ungereinigt; es enth\u00e4lt dann ein stinkendes Oel und selbst etwas Kohlens\u00e4ure. Gmelin\u2019s Chemie. 1. 217.\nB.\tBei einem mit Prof. Bergemanit gemeinschaftlich ange-stellten Versuche wurde das Wasserstoffgas durch Weingeist streichen gelassen, und ein kleinerer Cylinder von 10 C. Z. Inhalt angewandt. In diesem reinen Wasserstoffgas lebte ein Frosch nach 12 Stunden noch matt mit lange aussetzenden Athembewegungen, und war seihst nach 22 Stunden nur scheintodt. Bei der Pr\u00fcfung der Luft mit Kali caust. wurde C. Z. absorbirt. Der Frosch lebte wieder auf und wurde von Prof. Bergemann noch zu mehreren anderen Versuchen, n\u00e4mlich zu 4 mit Wasserstoffgas und 2 mit Stickgas gebraucht. Nach einiger Zeit wurde er nur wieder eingeh\u00e4ndigt. Ich fand ihn ganz lebhaft. Sein Blut gerann wie sonst bei Fr\u00f6schen.\nC.\tIch liess einen Frosch 4 Stunden in Wasserstoffgas ath-men, das ich vorher durch Weingeist hatte streichen lassen. Er war nach 4 Stunden scheintodt. Sein Ilerz setzte Minuten lang im Schlagen aus, er lebte an der Luft wieder ganz auf. In demselben Cylinder wurde ein zweiter Frosch 2\u00ff Stunden athrnen gelassen, worauf er scheintodt schien. Bei der Untersuchung der Luft durch Kali caust. wurden 0,83 C. Z. Kohlens\u00e4ure absorbirt. Luftdruck 27 Z. 2 L.\nD.\tIch liess 2 Fr\u00f6sche 6 Stunden in Wasserstoffgas athrnen, das ich hatte durch Aufl\u00f6sung von Kali caust. streichen lassen. Sie waren zuletzt scheintodt. Es hatten sich 0,66 C. Z. Kohlens\u00e4ure gebildet. Luftdruck 27 Z. 5 L. Temp. 17\u00b0 R.\nE.\tDas zur Entwicklung des Wasserstoff gases bestimmte Gelass war jedesmal fast voll, so dass cs nur sehr wenig atino-","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nsph\u00e4rische Luft \u00fcber der Fl\u00fcssigkeit enthielt, und mau liess jedesmal eine grosse Menge Gas Weggehen, ehe man das Wasser-stolfgas auffing, so dass man in dieser Hinsicht sicher war. Um aber allen Verdacht von Beimengung von SauerstofFgas hei dem Wasserstoffgas zu entfernen, brachte ich in das schon durch Kalil\u00f6sung geleitete, in dem Cylinder angesammelte Wasserstoffgas eine Kugel von Platinaschwamm, und liess sie darin 24 Stunden liegen. Darauf brachte ich einen Frosch in den Cylinder, wie gew\u00f6hnlich mit zusammengedr\u00fcckten Lungen, er war nach 8 Stunden scheintodt. Die Absorption von Kohlens\u00e4uregas betrug 0,4 C. Z.\nIn allen Versuchen geschah die Ueberleitung und Sperrung des Gases mit dem Quecksilberapparat. Ich habe noch 3 andere Versuche angestellt, wo ich das Gas aber, nachdem es aufgefangen war, mit Liquor kali caustici sch\u00fcttelte. Das Resultat der Athemversuche war ganz analog. Im Versuche F. waren nach 12 Stunden durch den Frosch 0,37 C. Z. , im Versuche G. 0,41 C. Z., im Versuche II. 0,4 C. Z. Kohlens\u00e4ure gebildet. Diese 3 letzten Versuche halte ich aber f\u00fcr fehlerhaft, da das Wasser, womit ich das zur Reinigung des Wasserstoffgases angewandte Ivali causticum ausgesp\u00fclt, wie alles ungekochte Wasser etwas Luft enthielt, und also auch etwas Luft an das Wasserstoffgas beim Auswachsen abgegeben haben k\u00f6nnte.\nEin Frosch, den ich durch Verbrennung von Phosphor bereitetes Stickgas athmen liess, lebte darin (j Stunden. Kohlens\u00e4ure -j C. Z. Ich freue mich, hierbei auch einige Versuche von Prof. Bergemann anf\u00fchren zu k\u00f6nnen. Folgende Notizen hat er mir mitgetlieilt. Die Versuche wurden mit Wasserstoffgas und Stickgas angestellt in einem Zimmer, dessen Temperatur nicht \u00fcber + 10\u00ae und nicht unter 4- 4\u00b0 war. Ein und derselbe Frosch wurde zu allen Versuchen benutzt. Es wurde eine Vermehrung des Gasvolumens beobachtet, diese war in den ersten 3 Stunden, sowohl bei der Respiration des Frosches in Wasserstoff-gas als in Stickgas, am st\u00e4rksten. Nach Verlauf von 4\u2014(> Stunden nahm die Lebensth\u00e4tigkeit des Frosches bedeutend ab. Das Athmen war ungleichf\u00f6rmig und nach S\u2014\u00ce) Stunden h\u00f6rte es in langen Zeitr\u00e4umen ganz auf, konnte jedoch durch eine gelinde Bewegung des Cylinders wieder hervorgebracht werden. Nach der Beendigung der Versuche war der Frosch immer ganz bet\u00e4ubt, nach wenigen Stunden jedoch bewegte er sich freier, und nach einigen Tagen konnte er zu neuen Versuchen benutzt werden. Bei jedem einzelnen Versuche hatte der Frosch seine gelbliche Farbe in eine dunkelbraune verwandelt. Das angewandte Hydrogen war aus Zink und verd\u00fcnnter Sch wefels\u00e4ure bereitet und durch Alcohol gereinigt. Das Stickgas wurde aus der atmosph\u00e4rischen Luit durch einen brennenden K\u00f6rper abgeschieden und darauf mit Kalkwasser gesch\u00fcttelt. Geringe Antheile Oxygen bleiben jedoch in solchem Azot immer zur\u00fcck. Die Versuche mit Stickgas k\u00f6nnen daher auf eine grosse Genauigkeit keine Anspr\u00fcche machen. Der Frosch wurde mit eingedr\u00fcckter Kehle in die Gasart gebracht. Die Menge des angewandten Wasserstoff-","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"5, Chemischer Process des Athmens.\n333\ngases und Stickgases variirte von 7\u2014S C. Z. Die Resultate der Versuche von Prof. Bergemann habe ich in einer Tabelle mit den meinigen zusemmengestellt. Unter den von mir angestellten Versuchen habe ich die Versuche A. F. G. H., weil sie nicht ganz fehlerfrei sind, liier nicht mit angef\u00fchrt.\nBeobachter\tGasart\tNummer des Versuchs\tDauer des Versuchs\tMenge der gebildeten Kohlens\u00e4ure\nMueller\tStiekgas\tA\t0 St.\t0,25 G. Z.\nBergemann\t\u00bb\tA\t14\t0,75\n))\t))\tR\t12\t0,5\nM. u. R.\tWasserstoffgas\tR\t22\t0,5\nMueller\t))\tG\to'-\t0,83\n\u00bb\t)>\tD\t6\t0,33\n\u00bb\t\u00bb\tE\t8\t0,4\nBergemann\t\u00bb\tA\t10\t0,55\n\u00bb\t)>\tR\t12\t0,8\n\u00bb\t\u00bb\tC\t13\t0,7\n\u00bb\t\u00bb\tD\t.14\t0,5\nGegen diese Versuche konnte man immer noch den Einwurf machen, dass die Fr\u00f6sche in ihren Lungen einen Theil atmosph\u00e4rischer Luft in den Versuch mitgebracht, und dass auch ihr Darmkanal Kohlens\u00e4uregas enthalten konnte.. Ich habe daher die Versuche so wiederholt, dass ich die Fr\u00f6sche zuerst dem luftleeren Raum aussetzte und diesen mit gereinigtem Wasserstoffgas anf\u00fcllte. In einem Versuche wurde auch dieses Wasserstotfgas wiederholt ausgepumpt, um den letzten Antheil atmosph. Luft aus dem Raume zu bringen. Auch \u00fcberzeugte man sich durch eine Probe, dass das Wasserstotfgas nach Absorption des Wasserdampfes von salzsaurem Kalk durch Kali caust. nicht vermindert wurde. Die Fr\u00f6sche wurden 3 Stunden in dem Wasserstoifgas gelassen, sie waren schon viel fr\u00fcher scheintodt. Dann wurden die Fr\u00f6sche herausgenommen, und alles Wasser aus dem Gase entfernt, dadurch, dass ein R\u00f6hrchen mit salzsaurem Kalk wiederholt innerhalb eines ganzen Tages in den Raum gebracht wurde, bis der Salzsure Kalk darin trocken blieb. Erst dann wurde das Gas auf Kohlens\u00e4ure mit Kali caust. gepr\u00fcft. In beiden der angestellten Versuche zeigte sich die gew\u00f6hnliche Aushauchung von Kohlens\u00e4ure, welche im ersten Versuche 0,3, im zweiten 0,37 Cubikzoll betrug.\nDie Menge Kohlens\u00e4ure, welche ein Frosch in 6\u201412 Stunden in sauerstofffreien Gasarten bildet, kann man ohne Irrthum also auf A C. Z. anschlag en. Da die Lungen und Kehle des brosehes irn Durchschnitt nur\tC. Z. enthalten, die Luft\nderselben bei jedem Versuche zugleich vorher ausgedr\u00fcckt war, und wenn auch etwas atmosph\u00e4rische Luft und Kohlens\u00e4ure zu-","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334 II. Buch. Organ, chemische Frocesse. I. Ahschn. Athmen.\nr\u00fcckgeblieben, diess doch sehr wenig seyn konnte, so l\u00e4sst sich das schon von Spallanzani gefundene Resultat nicht in Abrede stellen, dass die kaltbl\u00fctigen Thiere auch in sauerstofffreier Luft fortfahren Kohlens\u00e4ure auszuhauchen, und dass diess selbst fast so viel als beim Athmen in atmosph\u00e4rischer Luft betr\u00e4gt, indem ein Frosch nach den pag. 306 mitgetheilten Versuchen in 6 Stunden im Durchschnitt 0,57 C. Z. Kohlens\u00e4ure in atmosph\u00e4rischer Luft erzeugt. Diese Ergebnisse sind k\u00fcrzlich durch Bischoff\u2019s nicht minder lehrreiche Versuche best\u00e4tigt worden. Derselbe fand auch, dass Fr\u00f6sche mit unterbundenen und ausgeschnittenen Lungen noch Kohlens\u00e4ure durch die Haut aushauchen (in 8 Stunden 0,20 C. Z.).\nIn den vorhergehenden Auflagen dieses Lehrbuchs wurden diese Thatsachen mitgetheilt, ohne dass sie sich damals mit den Beobachtungen \u00fcber das Blut in Uebereinstimmung bringen Hessen, nach welchen keine Kohlens\u00e4ure im Blute enthalten seyn sollte. Man schien daher damals zu der Ansicht berechtigt, dass die beim Athmen gebildete Kohlens\u00e4ure zum Theil blosse Secretion der Lungen sev, und sieb unabh\u00e4ngig von1 der. atmosph\u00e4rischen Luft erzeugen k\u00f6nne, und man verglich diese Art von Kohlens\u00e4urebildung derjenigen bei der G\u00e4hrung, wo die Kohlens\u00e4ure sich auch ohne wesentlichen Einfluss des Sauerstoffs der Luft aus den Elementen der organischen Stoffe bildet. Man sollte aber dann erwarten, dass bloss die Lungen oder die Haut das eigen-th\u00fcmliche Verm\u00f6gen bes\u00e4ssen, Kohlens\u00e4ure abzuscheiden und das Blut allein mit atmosph\u00e4rischer Luft gesch\u00fcttelt keine Kohlens\u00e4ure bilde. Dem ist aber nicht so, wie schon in den fr\u00fcheren Auflagen dieses Handbuchs gezeigt worden. Blut bildet mit atmosph\u00e4rischer Luft gesch\u00fcttelt, auch Kohlens\u00e4ure, und zwar 7 C. Z. Blut mit 10 C. Z. atmosph\u00e4rischer Luft fast best\u00e4ndig gesch\u00fcttelt, geben in 6 Stunden ^ C. Z. Kohlens\u00e4ure. Die Lehre vom Athmen befand sich daher noch vor mehreren Jahren in einer unaufl\u00f6slichen Schwierigkeit. Blut bildet mit dem Sauerstoffe der atmosph\u00e4rischen Luft etwas Kohlens\u00e4ure ohne die Einwirkung des lebenden Organs, indem es hellroth wird, das Blut sollte keine Kohlens\u00e4ure praeexisLirend enthalten, und doch bauchen Amphibien ohne Mitwirkung von SauerstofFgas fast eben so viel Kohlens\u00e4ure als in der Atmosph\u00e4re aus.\nJetzt ist diess R\u00e4thsel zur vollkommenen Gen\u00fcge gel\u00f6st. Beiderlei Blutarten enthalten nach Magnus vortrefflichen Untersuchungen SauerstofFgas, Stickgas und Kohlens\u00e4ure, das arterielle Blut mehr SauerstofFgas als das ven\u00f6se, letzteres mehr Kohlens\u00e4ure als das arterielle. Die im Blut enthaltene Kohlens\u00e4ure wird beim Athmen durch die atmosph\u00e4rische Luit ausgetrieben, und an ihre Stelle tritt zum Theil SauerstofFgas, w\u00e4hrend ein Theil der Kohlens\u00e4ure selbst im arteriellen Blute aufgel\u00f6st bleibt; in den Capillargel \u00e4ssen wird durch Wechselwirkung mit den Or-gantheilen, f\u00fcr welche Sauerstoff ein belebender Beiz ist. Kohlens\u00e4ure gebildet, die sich daher in gr\u00f6sserer Menge im Venen-blute vorfindet, aber nicht aller im arteriellen Blute vorhandene","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"5. Chemischer Process des Aihmens.\n335\nSauerstoff verschwindet in den Capillargef\u00e4ssen ; ein Thcil derselben findet sich auch noch im ven\u00f6sen Blute vor, in den Lungen wird die Kohlens\u00e4ure durch die atmosph\u00e4rische Luft zum Theil wieder ausgetrieben. Dieser Austausch der Gase ist vollst\u00e4ndig nach den physikalischen Gesetzen der Absorption der Gase erkl\u00e4rbar. Eine mit einem Gase geschw\u00e4ngerte Fl\u00fcssigkeit giebt diess Gas nicl t ab, wenn sie unter dem Druck derselben Gasart steht. Steht aber diese Fl\u00fcssigkeit mit einem andern Gase in Verbindung, so tauschen sich beide Gase bis zum Gleichgewicht der Vertheilung aus. Daher ist es leicht erkl\u00e4rbar, warum die Fr\u00f6sche in Wasserstoffgas und Stickgas ebenso viel Kohlens\u00e4ure aushauchen, als in atmosph\u00e4rischer Luft, und warum Wasserstoffgas und Slickgas beim Durchgehen durch Blut die in ihm enthaltene Kohlens\u00e4ure aufnehmen.\nDie im Blute enthaltene Kohlens\u00e4ure reicht \u00fcbrigens hin, um von ihr die ganze beim Athmen frei werdende Menge der Kohlens\u00e4ure herzuleiten.\nNimmt man 2 Unzen Blut f\u00fcr jeden Herzschlag gef\u00f6rdert an, so erh\u00e4lt man, dass 10 Pf. in einer Minute an den Lungen Vorbeigehen und dass 10 Pf. Blut also 22,7 C. Z. Kohlens\u00e4ure enthalten m\u00fcssten, die in einer Minute ausgeschieden werden. Nimmt man das von Allen und Pepys gefundene Resultat von 22,7 C. Z. Kohlens\u00e4ure um die H\u00e4lfte zu gross an, wie es denn wirklich zu gross ist, nimmt man an, dass, wie in Davy\u2019s Versuch in einer Minute 15,8 C. Z. Engl. = 13 C. Z. Franz, ausge-athmet werden, so m\u00fcssten doch 13 G. Z. Kohlens\u00e4ure in 10 Pf. Blut aufgel\u00f6st seyn.\nAus Magnus Versuchen folgt die L\u00f6sung dieses fr\u00fcher auf-gestellteu Problems. Denn aus seinen Versuchen ergiebt sich, dass das Blut wenigstens seines Volumens an Kohlens\u00e4ure enth\u00e4lt, und da ein Pfund Blut etwa 25 C. Z. betr\u00e4gt, so w\u00fcrden also in jedem Pfunde ven\u00f6sen Blutes mindestens 5 C. Z. Kohlens\u00e4ure enthalten seyn. Die in einer Minute an den Lungen vor-heigehenden, 10 Pfund Blut enthalten, also der Berechnung nach 50 C. Z. Kohl ens\u00e4ure, wovon beim Athmen sehr gut 13 C. Z. (Davy) oder 22,7 C. Z. (Allen und Pepys) abgegeben werden k\u00f6nnen.\nD as Stickgas der atmosph\u00e4rischen Luft welches beim Athmen zum kleinen Theil ins Blut \u00fcbergeht, scheint keine weitere Pioile zu spielen; da seine Quantit\u00e4t in beiden Blutarten nicht verschieden scheint. Der letzte Zweck des Athemprocesses besteht offenbar in Aufnahme des Sauerstoffs ins Blut und in der Belebung der Organe durch diess Princip, zweitens in der Befreiung des Biutes von der in den Capillargef\u00e4ssen entstehenden Kohlens\u00e4ure. Dass das letztere nicht der Hauptzweck ist, sieht man deutlich an dem Scheintodtwerden der Fr\u00f6sche in Wasserstoffgas und Stickgas, welche Gase die Ausbauchung der Kohlens\u00e4ure nicht im mindesten ver\u00e4ndern.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. \u00c4bsclin. Athmen.\nVI. Capifel. Von den A t h e mLewegungen und Athemnerven.\na. Atliembewegungcn.\nDas Ein- und Ausatlimen geschieht hei dem Menschen und den S\u00e4ugethieren durch Erweiterung und Verengerung der Brusth\u00f6hle. Sobald die Brustw\u00e4nde sich ausdehnen, und die Brusth\u00f6hle errveit\u00e7rt wird, dringt die Luft in der Luftr\u00f6hre und ihren Zweigen bis in die Zellen nach, die sich in dem Maasse ausdehnen, als die Brusth\u00f6hle sich erweitert, so dass also die Oberfl\u00e4che der Lungen durchaus den sich ausdehnenden W\u00e4nden der Brusth\u00f6hle folgt. Diess ist nur so lange m\u00f6glich, als die Brusth\u00f6hle von allen Seiten geschlossen ist, und so lange kein Druck der Luft von aussen dem Druck der Luft von der Luftr\u00f6hre aus das Gleichgewicht h\u00e4lt. Bei penetrirenden Bruswunden aber ist kein volles Einathmen mehr m\u00f6glich, weil der Luftdruck dann durch die Wunde auf die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che der Lungen wirkt, und dem Luftdruck von der Luftr\u00f6hre her das Gleichgewicht h\u00e4lt. Die Lungen bleiben dann collabirt, wenn auch die Brustw\u00e4nde sich ausdehnen. Zur Erweiterung der Brusth\u00f6hle beim Einathmen dient ganz vorz\u00fcglich das Zwerchfell. Im erschlafften Zustande ist das Zwerchfell gew\u00f6lbt, bei der Contraction desselben wird es flach, und indem seine W\u00f6lbung herabsteigt, erweitert es also die Brusth\u00f6hle, wodurch zugleich die Eingeweide der Bauchh\u00f6hle von oben gedr\u00fcckt werden. Dieser Druck auf die Baucheingeweide von oben beim Einathmen verursacht das Hervortreiben derselben nach vorn oder das scheinbare Anschwellen des Bauches beim Einathmen.\nSobald das Zwerchfell erschlafft, weichen die Eingeweide wieder mehr zur\u00fcck, und der Bauch wird flacher. Beim leisen Einathmen bewirkt das Zwerchfell zum grossen Theil allein die Erweiterung der Brust. Die seitliche Erweiterung der Brust geschieht vorz\u00fcglich durch die Wirkung der Musculi intercostales, aber auch durch Unterst\u00fctzung der Musculi scaleni, levatores co-starum, des serratus posticus superior, und der Brustmuskeln \u00fcberhaupt. Das Ausatlimen kann beim ganz ruhigen Athmen schon durch blossen Collapsus, durch die Elasticit\u00e4t oder Herstellung der vorher ausgedehnten Theile in den Status quo erfolgen, und das ruhige Athmen scheint weniger aus der Abwechselung antagonistischer Muskelbewegungen, als vielmehr periodischer Inspirationsbewegungen zu bestehen. Hierbei wirken zwar die Exspira-tionsmuskeln durch jenes m\u00e4ssige Contractionsspiel, welches allen Muskeln auch ausser den st\u00e4rkeren Zusammenziebungen eigen ist, mit. Wenigstens erfolgt das Ausatlimen von selbst, so wie die Inspiration aulh\u00f6rt. Beim st\u00e4rkern Ausatlimen wirken diese Muskeln st\u00e4rker, noch mehr, und selbst krampfhaft, wenn Reizung in den Lungen oder im Kehlkopfe stattfindet, und Husten ein-tritt. Die Exspirationsmuskeln sind die Bauchmuskeln, welche die","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"5. Athembewegimgen und Athemnerocn\n337\nRippen niederziehen, und durch Zusammendr\u00fcckung des Bauches die Baucheingeweide gegen das erschlaffte Zwerchfell in die H\u00f6he treiben, und so die Brusth\u00f6hle auch von unten verengern. Diess sind der gerade, die schiefen, der quere Bauchmuskel, der Musen-* lus ejuadratus lumborum, Musculus serra tus posticus inferior, Mus-culus sacrolumbaris und longissimus dorsi.\nDas Ausathmen wird unterst\u00fctzt 1) durch die Elasticit\u00e4t der Luftwege, nachdem ihre Ausdehnung durch die Luft aufgeh\u00f6rt hat. 2) Durch Zusammenziehung von Muskelfasern der Luftwege (:\u2019).\nBeim Einathmen ist die Stimmritze weiter, beim Ausathmen enger. Die Luftr\u00f6hrenzweige werden beim Einathmen weiter, beim Ausathmen enger. Die Luft wird entweder durch Mund oder Nase aufgenommen und ausgetrieben. Beim Athmen durch die blosse Nase ist der Ausgang durch den Mund durch Anlegen der Zunge wider den Gaumen oder durch die Lippen geschlossen, beim Athmen durch den Mund ist das Gaumensegel erhoben und die Luft geht durch den weitern Gang aus. Durch Ann\u00e4herung der hintern Gaumenbogen gegen einander, wodurch, wie Dzondi entdeckt hat, eine vollst\u00e4ndige Verschliessung eintritt, und durch Anlegen des hintersten Theils der Zunge gegen den Gaumen, kann Mund und Nase zugleich von den Respirationswegen abgeschlossen werden. Eine Bewegung, die oft willk\u00fcrlich geschieht, wenn man den Athem anh\u00e4lt, und das Durchstr\u00f6men \u00fcbler Ger\u00fcche durch die Nase aufgehoben wird. Dzqndi die Functionen des weichen Gaumens. Halle 1831.\nBei den V\u00f6geln dringt die Luft beim Einathmen nicht allein in die Lungen, sondern auch in die grossen Zellen. Es giebt hier kein vollst\u00e4ndiges Zwerchfell mehr, sondern nur einige Muskelzipfel steigen vom hintern Winkel der 3., 4. und 5. Rippe zu einer fibr\u00f6sen Haut an der untern Fl\u00e4che der Lungen empor. Die Erweiterung der Brust erweitert die grossen Zellen, welche mit den Lungen in Verbindung stehen, wodurch die Luft gen\u00f6thigt wird, sich in die Lungen zu st\u00fcrzen. Die Luft wird aus den Zellen und den Lungen durch die Th\u00e4tigkeit der Bauchmuskeln ausgetrieben. Unter den Amphibien athmen die Chelonier, deren Rippen unbeweglich verbunden sind, und die nackten Amphibien, welche keine wahren Rippen haben (Coecilien, Derotemata, Proteiden, Salamandrina, Batracliia) bloss durch Verschluckung der Luft ein. Die Fr\u00f6sche schiiessen den Mund, erweitern die Mundh\u00f6hle an der Kehle, wodurch ein leerer Raum entsteht, den die Luft, durch die Nasenl\u00f6cher eindringend, einnimmt. Dann ziehen sie die Kehle zusammen, verschliessen den Schlundkopf, und treiben durch die Zusammenziehung der Kehle die Luft durch die Stimmritze in die Lungen, w\u00e4hrend sie durch einen eigen-th\u00fcmlichen Mechanismus die Nasenl\u00f6cher schiiessen. Die Luft wird theils durch die Bauchmuskeln, theils durch die Elasticit\u00e4t der Lungen hei ge\u00f6ffneter Stimmritze ausgetrieben. Sobald die Fr\u00f6sche den Mund nicht mehr schiiessen k\u00f6nnen, k\u00f6nnen sie auch nicht mehr athmen. Das Ausathmen geschieht bei den Schildkr\u00f6ten durch Zusammenziehung der Bauchmuskeln zwischen dem Bauchschild und den hinteren Extremit\u00e4ten. Die mit beweglichen M tiller\u2019s Physiologie. I,\t22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. A/hrnrn.\nRippen versehenen Amphibien athmen durch Erweiterung und Verengerung der K\u00f6rperh\u00f6hle verm\u00f6ge der Rippen. Ueber die Athembewegungen der Fische und ihren Mechanismus siehe Cuvier Ver gl. Anat. T. 4. 222.\n\u2022 Die Hypothese von der Mitwirkung der Lungen bei den Athembewegungen ist seit den \u00e4ltesten Zeiten bald erhoben, bald verworfen worden. F\u00fcr diese Hypothese stritten Averroes, Riolan, Plater, Sennert, Bremond [mcm. de l\u2019acad. d. sc. Par. 1739.), gegen dieselbe Th. Bartholin, Diemerbr\u00f6ck, Mayow und Haller. Haller elemenia physiol. T. 3. I. 8. p. 226. Die Ersteren sahen hei Thieren, deren Brusth\u00f6hle ge\u00f6ffnet war, die Lungen nicht immer zusammen fallen, sondern in einigen F\u00e4llen sich dauernd bewegen, obgleich die Brustmuskeln ausser Th\u00e4tigkeit waren. In der neuern Zeit haben Flormann und Rudolphi diese Hypothese vertheidigt. Rudolphi anat. physiol. ALhandl. p. 111. Flormann sab, dass die Lungen eines ers\u00e4uften Hundes selbst nach Zerschneidung des Zwerchfelles noch fortfuhren sich zu bewegen, Rudolphi sah die Bewegung der Lungen an einem erdrosselten Hunde, bei entferntem Brustbeine, zerschnittenem Zwerchfelle und Interco-stalmuskeln. Man leitete schon solche Bewegungen der Lungen von den Ersch\u00fctterungen des Brustkastens ab, sie k\u00f6nnen auch W'ohl von den Zusammenziehungen des Herzens, und von den von mir beobachteten Zusammenziehungen der Lungenvenen herr\u00fchren. Haller batte nie so etwas gesehen, er sab immer die Lungen bei vollst\u00e4ndiger Ocffnung der Brusth\u00f6hle ganz coliabirt; ich habe auch nie dergleichen gesehen, und ich vermuthe bei den Erfahrungen der ehrw\u00fcrdigen M\u00e4nner Flormann und Rudolphi eine T\u00e4uschung. Die weitere Auseinandersetzung dieser Controverse bat bloss ein geschichtliches Interesse. Die Gr\u00fcnde und Gegengr\u00fcnde wiederholen sich, und man ist zuletzt aufdasZeug-niss seiner Augen angewiesen, das nach meinen Erfahrungen gegen die Hypothese spricht. Tiedemann sah Bewegungen an dem Athemorgan der Holothnrien. Treviranus halte an den Lungen der Fr\u00f6sche auf Application von Opiumtinetur und Belladonnen-extract Bewegungen gesehen. Die Fr\u00f6sche f\u00fcllen von der Kehle aus ihre Lungen mit Luft, die beim Oeffnen der Stimmritze und Nasenl\u00f6cher entweicht. Ist die Stimmritze ge\u00f6ffnet, so sind die Lungen f\u00fcr immer coliabirt, und man kann keine Zusammenziehungen an ihnen erregen. Vergl. \u00fcber diesen Gegenstand Lund Vivisect innen p. 213\u2014250.\nDagegen ist die Contractionsf\u00e4higkeit der Luftr\u00f6hre und ihrer Aeste wohl weniger zu bezweifeln. Man k\u00f6nnte vermuthen, dass die Luftr\u00f6hren\u00e4ste an den von IIoustoun, Bremond, Flormann und RuDOLnn gesehenen Ph\u00e4nomenen Antheil haben. Indessen ist es docli problematisch, dass die Fleischfasern der Luftr\u00f6hre rhythmische Bewegungen aus\u00fcben. Die queren Fleischfasern der Luftr\u00f6hre an ihrer hintern Seite sind bekannt. Fleischfasern sollen sieb auch noch an den ziemlich kleinen Zweigen der Luftr\u00f6hren\u00e4ste finden. Diese Fasern sind durch Reisseisen de fahrica pulmonum. Berol. 1822. fol. am meisten ber\u00fchmt geworden. Reisseisen wollte die Fleischfasern mit der Loupe noch an","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"6. Athcmhewegungen und Athemnerven.\n339\nso kleinen Luftr\u00f6brenzweigen erkannt Laben, an welchen er keine Knorpel mehr wahrnahm.\nEs ist merkw\u00fcrdig, dass die Contractionskraft der Muskelfasern der Luftr\u00f6hre und Luftr\u00f6hrenzweige noch durch keinen di-recten Beweis entschieden ist. Alle Ausf\u00fchrungsgange der Dr\u00fcsen haben wahre Muscularcontractilit\u00e4t, sie sind unwillk\u00fcrlich beweglich. Den Ductus choledochus der V\u00f6gel kann man hei Vivisectionen sich rhythmisch bewegen sehen, wie ich mehrmals selbst ohne Reize sah. Die Ureteren sali ich bei S\u00e4ugethieren und V\u00f6geln auf starken galvanischen Reiz sich zusammenziehen. Tiedemann sah Zusammenziehungen am Ductus deferens des Hoden beim Pferde. Aber die Zusammenziehungen der Luftr\u00f6hrenfasern auf Reize sind bis jetzt nur von Krimer (Untersuchungen \u00fcber die n\u00e4chste Ursache des Hustens. Leipz. 1819.) gesehen worden. Wedemeyer dagegen beobachtete bei einem Hunde und einem Meerschweinchen weder auf mechanische, noch auf galvanische Reizungen auf den ganzen Umfang der Luftr\u00f6hre, mit und ohne Trennung der Schleimhaut angewandt, irgend etwas von Contraction. Dagegen zeigte sich in den Bronchialzweigen von \u00a7 \u2014 1 Linie Durchmesser eine allm\u00e4hlige Verengerung ihres Lumens, fast bis zum g\u00e4nzlichen Erl\u00f6schen desselben. Bei einein lebenden Hunde befreite Wedemeyer die Luftr\u00f6hre 2 Zoll lang von allem Zellgewebe, und schnitt vorn ein St\u00fcck aus der Luftr\u00f6hre aus. Wedemeyer sah bei der Reizung der hintern Wand der Luftr\u00f6hre durch mechanischen und galvanischen Reiz keine Spur von Zusammenziehung. Wedemeyer \u00f6ffnete nun schnell die Brust, nahm die Lungen mit ihren Bronchien heraus, und machte mehrere Durchschnitte derselben. Die St\u00e4mme der Bronchien zeigten kein Zeichen einer Zusammenziehungskraft. Dagegen glaubte Wedemeyer in kleineren Aesten von circa 1 Linie Durchmesser auf den galvanischen Reiz eine deutliche Constriction zu sehen, doch geschah diess sehr langsam. Den letzteren \u00e4hnliche Beobachtungen machte bereits Varnier. Eine rhythmische Bewegung der Luftr\u00f6hre mit den Athembewegungen, die in diesem Falle willk\u00fcrlich seyn k\u00f6nnte, w\u00e4re ein ganz isolirtes Factum. Der Ductus choledochus zieht sich zwar auch rhythmisch zusammen, aber diese Bewegungen sind doch aller Willk\u00fcr entzogen, dahingegen rhythmische Bewegungen der Luftr\u00f6hre, welche mit den anderen Respirationsbewegungen gleichzeitig geschehen, auch mit diesen der Willk\u00fcr unterworfen seyn m\u00fcssen. Ein solcher Einfluss der Willk\u00fcr bis auf die Zweige des Ausf\u00fchrungsganges eines Eingeweides ist im h\u00f6chsten Grade unwahrscheinlich. Vielleicht k\u00f6nnte eine best\u00e4ndig sich \u00e4ussernde Con-tractilit\u00e4t in den Fasern der Luftr\u00f6hrenzweige, bei dein Nachlass jeder Ausdehnung durch Inspiration, zur rhythmischen Verengerung wirken. Diess kann aber auch durch blosse Elastici-t\u00e4t erfolgen, und wirklich sind die Luftr\u00f6hren, so wie ihre Aeste mit elastischen gelben L\u00e4ngsfasern besetzt. Bei den V\u00f6geln giebt es allerdings willk\u00fcrliche Verk\u00fcrzungen der Luftr\u00f6hre durch besondere Muskeln, M. sternotracheales und M. ypsilotracheales (und bei vielen V\u00f6geln f\u00fcr den Zweck des Gesau-\n22 *","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340 IL Buch. Organ, chemische Processe. I. Alschn. A/hmen.\nges an dem untern Kehlkopfe Lei der TLeilung der Luftr\u00f6hre noch besondere Muskeln). Sehr interessant ist, dass jene Muskeln, %vie ich sehe, von einem besondern Nerven verseilen sind, einem zweiten Ramus descendens N. hypoglossi, der bis last zum untern Kehlkopfe herabeeht, und (bei dem Truthahn) die M. sternotra-cbeales und ypsilotracheales versiebt, w\u00e4hrend der N. recurrens, gr\u00f6sstentheils der Speiser\u00f6hre bestimmt, einen verb\u00e4ltnissm\u00e4ssig nur kurzen Ramus trachealis entgegen schickt. Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, Desmoulin\u2019s Angabe zu pr\u00fcfen, dass die Muskeln des untern Kehlkopfs, von den unteren Gervicalner-ven versehen sind. Beim Menschen scheint die Erweiterung der Luftr\u00f6hrenzweige und die von Einigen beobachtete Verk\u00fcrzung der Luftr\u00f6hre beim Einathmen, die Verl\u00e4ngerung beim Ausath-men eine bloss mechanische Folge der Ausdehnung und Verengerung der Brust zu seyn. Der Kehlkopf selbst r\u00fcckt beim heftigen Einathmen ein wenig nach abw\u00e4rts, und beim Ausathmen wieder aufw\u00e4rts.\nb. Einfluss der Nerven auf das At hm en.\nDie Athembewegungen sind sehr zusammengesetzt, und dem Wirkungskreise sehr verschiedener Nerven unterworfen. Gleichwohl ist die Quelle der gemeinschaftlichen Th\u00e4tigkeit dieser Nerven eine und dieselbe. Die Athembewegungen bestehen 1) aus Bewegungen im Gesichte, die sich aber nur selten rhythmisch \u00e4ussern, wie die Erhebung und Senkung der Nasenfl\u00fcgel, die Anstrengung mehrerer Gesichtsmuskeln beim Atbinen. Diese Bewegungen erfolgen bei unwillk\u00fcrlichen heftigen Athembewegungen, und bei grosser Schw\u00e4che selbst mit, sie sind von dem Nervus facialis abh\u00e4ngig, den Charles Bell den Athemnerven des Gesichtes nennt. 2) Erweitern der Stimmritze beim Einathmen, Verengern derselben beim Ausathmen. Diese Bewegung ist ganz von dem Nervus vagus, und zwar von seinen beiden Kehlkopf\u00e4sten, Nervus laryngeus superior et inferior seu recurrens abh\u00e4ngig.\n3)\tErweiterung der Brust beim Einathmen. Nervi spinales. Nervus respiratorius externus Bellii. Nervus accessorius Willisii, insofern er den M. cucullaris beim Heben der Schulter beherrscht.\n4)\tZusammenziehung des Zwerchfelles beim Einathmen. N. phre-nicus. 5) Endlich Zusammenziehung der Bauchmuskeln beim Ausathmen. Nervi spinales. Wir sehen, das zu dem System der Athemnerven der Nervus facialis, vagus, accessorius, und viele Spinalnerven, die sich in den Rumpfmuskeln verbreiten, geh\u00f6ren. Jeder dieser Nerven hat seinen verschiedenen Wirkungskreis, und es kann der eine ohne den andern vernichtet werden. Die Durchschneidung jedes dieser Nerven hebt seinen Antbeil an diesen Bewegungen auf. Aber die Vernichtung der Medulla oblongata hebt alle Athembewegungen zu gleicher Zeit auf, auch die Wirkung derjenigen Nerven, welche von dem R\u00fcckenmark entspringen. Das R\u00fcckenmark verh\u00e4lt sich zu dieser Quelle der Athembewegungen gleichsam als Stamm der Nerven, die von ihm abgehen. Durchschneidet man das R\u00fcckenmark oberhalb","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"6. Alhemlewegungen und Athemnerven.\n311\ndes Abgangs der Dorsalnerven, so werden die Bewegungen der Rippen und der Bauchmuskeln gel\u00e4hmt, die anderen Bewegungen dauern fort. Durchschneidet man das R\u00fcckenmark \u00fcber dem Zwerchfellsnerven, so wird auch dieser mit unlh\u00e4tig, w\u00e4hrend die von der Medulla oblongata selbst abgehenden Nerven noch wirksam sind. Die unter der Verletzung abgehenden Nerven sind zwar noch wirksame Erreger der Bewegung, wenn man sie einzeln reizt, aber sie k\u00f6nnen nicht mehr von der gemeinsamen Quelle aller gleichzeitigen unwillk\u00fcrlichen und willk\u00fcrlichen Athembewegungen aus bestimmt werden. Mit der Verletzung der Medulla oblongata h\u00f6ren alle Athembewegungen zugleich auf, sowohl diejenigen, die vom N. vagus abh\u00e4ngen, als die des Rumpfes.\nLegallois hat dieses Verh\u00e4ltniss gezeigt; er hat bewiesen, dass keine anderen Theile des Gehirns die Quelle der Athembewegungen sind, und dass man bei einem Thiere das Gehirn von vorn nach hinten allm\u00e4hlig abtragen kann, bis bei Verletzung der Medulla oblongata, an einer dem Abg\u00e4nge des Nervus vagus entsprechenden Stelle, alle Athembewegungen zu gleicher Zeit aufh\u00f6ren. Deswegen ist auch die Medulla oblongata gleichsam der vul-nerabelste Theil, wenigstens derjenige, dessen Verletzung unter allen Verletzungen der Nerven und der Centraltheile des Nervensystems die gef\u00e4hrlichsten Folgen hat.\nDie Verletzung des Nervus vagus am Halse l\u00e4hmt die unter der Verletzung des Nerven abgehenden Zweige, also den Nervus recurrens. Die Folge davon ist, dass das Thier die Stimme verliert, und die Oeffnung der Stimmritze erschwert wird. Die Stimme kehrt jedoch nach einigen Tagen wieder, weil die Muskeln des Kehlkopfes gemeinschaftlich von dem Nervus laryngeus Superior und inferior versehen werden. Nach Durchschneidung des Nervus laryngeus superior und des recurrens auf beiden Seiten ist der Kehlkopf ganz gel\u00e4hmt. Magejsdie\u2019s Behauptung, dass der Nervus laryngeus inferior sich nur zu den Muskeln begebe, welche die Erweiterung der Stimmritze bewirken, der N. laryngeus superior zu denen, welche die Stimmritze verengern, hat sich hei n\u00e4herer Untersuchung durch Schlemm und Andere nicht best\u00e4tigt. Beiderlei Nerven verbreiten sich in beiderlei Muskeln. VVenn es einen Unterschied in den Functionen beider Nerven giebt, so entsteht er gewiss nur dadurch, dass der Nervus recurrens bei seinem merkw\u00fcrdigen Verlaufe und seinen Verbindungen mit dem N. svmpathicus, plexus cardiacus nicht allein Fasern von dem willk\u00fcrlichen Bewegungsnerven Vagus, sondern auch pele Fasern vom Sympatbicus enth\u00e4lt. Wir wissen nicht, ob Her N. recurrens willk\u00fcrliche Bewegungen der Kehlkopfmuskeln hervorbringen kann. Andere tiefe Zweige des N. vagus, welche sich viel mit dem Sympathicus verbinden, sind keiner Leitung 2ur willk\u00fcrlichen Bewegung mehr f\u00e4hig, wie die der Speiser\u00f6hre, des Magens.\nHier ist der Ort, Charles Bell\u2019s Ansichten \u00fcber die Athem-\u00bberven zu entwickeln. Der Anblick eines Menschen, im Zustande aufgeregter Th\u00e4tigkeit, \u00dcbei \u25a0zeugt uns, dass die vom Athmen ab-","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342 II. Buch. Organ, chemische Prucesse. I. Abschn. Athmen.\nh\u00e4ngigen Bewegungen fast \u00fcber den ganzen K\u00f6rper sich erstrek-keu, indem sie dann an Bauch, Brust, Hals und Gesicht beobachtet werden. Bell vermutbet, dass ein besonderes System von Fasern in der Medulla oblongata und im R\u00fcckenmark die gleichzeitigen und \u00fcbereinstimmenden Wirkungen der Athein-nerven der 2 Systeme beherrsche. Alle Athemnerven dienen auch vorzugsweise dem Ausdruck der Leidenschaften. Ausser der Concurrenz eines grossen Theils der Spinalnerven zum Athmen, unterscheidet Bell als besondere Athemnerven l\u00fcr besondere Regionen :\n1)\tNervus vagus, Athemnerve des Kehlkopfs.\n2)\tN. facialis\", Athemnerve des Gesichtes. Die Wirkungen dieses Nerven treten beim Athmen um so mehr hervor, je angestrengter es ist, z. B. bei aufgeregter Th\u00e4tigkeit und bei sehr geschw\u00e4chten Menschen. Die Erhebungen und Senkungen der Nasenfl\u00fcgel und die Verzerrungen der Gesichtsmuskeln hei diesem \u00e4ngstlichen Athmen sind von jenem Nerven abh\u00e4ngig. Die Durchschneidung dieses Nerven nimmt dem Antlitze seine Sympathie mit den Athemorganen und den Ausdruck des Affectes. Bei den Thieren nimmt die Ausbildung dieses Nerven mit dem Mangel der leidenschaftlichen Bewegungen in ihrem Gesichte ab.\n3)\tDer obere Rumpfathemnerve, Nervus accessorius Willisii, ausgezeichnet durch seinen merkw\u00fcrdigen Verlauf, dass seine vom obern Theile des R\u00fcckenmarks kommenden einfachen, zwischen den doppelten Wurzeln der Spinalnerven entspringenden Wurzeln, zu seinen Wurzeln von der Medulla oblongata autsteigen, dass er also mit einem grossen Theile seiner Wurzeln in die Sch\u00e4delh\u00f6hle aufsteigt, um als Nervenstamm wieder aus ihr herauszutreten. Dieser Nerve verst\u00e4rkt zum Theil den Vagus, und beherrscht die Th\u00e4tigkeit des Muse, cucullaris bei Aus\u00fcbung seiner Functionen als Athemmuskel, indem er durch das Heben der Schulter die Brust von ihrem Gewichte befreit. Durchschneidet man den Nervus accessorius hei einem lebenden Tliiere, so h\u00f6rt nach Bell die Mitwirkung jenes Muskels beim Athmen auf, w\u00e4hrend die Balligkeit desselben zu willk\u00fcrlichen Bewegungen (durch Aeste von Cervical-Nerven noch forldauert.\n4)\tDer grosse innere Athemnerve. Nervus phrenicus. Zwerchfellsnerve.\nAuf den Nervus thoracicus posterior ist von Bell mehr Gewicht select worden, als er verdient.\nDie Quelle aller dieser Nebenwirkungen ist, wie wir gesehen haben, die Medulla oblongata. Ihre Verletzung hebt alle Athem-bewegungen auf. Dagegen eine Verletzung des R\u00fcckenmarks im 5. Halswirbel, welche den N. phrenicus noch nicht betheiligt, nach Bell das Athmen durch den Nervus phrenicus, accessorius und respiratorius externus noch nicht aufhebt. Hier erfolgt die Exspiration durch blosse Elasticit\u00e4t der Brust- und Bauchw\u00e4nde. Dagegen atbmet nach Bell ein neugebornes Kind noch, wenn das Gehirn gr\u00f6sstuntheils zerst\u00f6rt ist, wenn nur die Quelle der Athemnerven in der Medulla oblongata unverletzt ist. Bell phy-siut. fiulhal. Untersuchungen des Nervensystems, \u00fcbers, von M. \u00dc.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"6. Athemhewegungen und Athemnerven.\n343\nRomberg. Berlin 1832. p. 126. 338. Vergl. Mueller\u2019s Archiv. 1834. 168.\nIch habe schon angef\u00fchrt, dass das ganze respiratorische System der Nerven dem Ausdrucke der Leidenschaften dient. Dasselbe wird aber auch in vielen anderen Fallen gleichzeitig oder in einzelnen Theiien seiner Wirkungssph\u00e4re al\u00fccirt. Die asthmatischen Nervenaffectionen sind ein Beispiel von eonvulsivischer Affection des Systems aller Athemnerven. Aber ein Umstand, worauf Bell nicht aufmerksam gemacht hat, und der mir sehr viel Licht \u00fcber viele Erscheinungen zu verbreiten scheint, ist, dass das System der Athemnerven durch locale Reize in allen Theiien, welche mit Schleimh\u00e4uten versehen werden, in krankhafte Th\u00e4tig-keit zu Erzeugung eonvulsivischer Bewegungen gesetzt werden kann. Reize auf die Schleimhaut der Nase bewirken Niesen, Reize im Schlund, in der Speiser\u00f6hre, im Magen, im Darm bewirken die Concurrenz der respiratorischen Bewegungen zum Erbrechen, heftige Reizung im Mastdarme, in der Urinblase, im Uterus, bewirken die Concurrenz der respiratorischen Bewegungen zum unwillk\u00fcrlichen Stuhlgang, und Harnlassen und zum Austreiben der Frucht. Reize der Schleimhaut des Kehlkopfes, der Luftr\u00f6hre, der Lungen, ja seihst ein Jucken erregender Reiz in der eustachisehen Trompete bewirken Husten.\nAlle diese Bewegungen, Husten, Erbrechen, krampfhaft unwillk\u00fcrlicher Stuhlgang, unwillk\u00fcrliches, mit Zwang verbundenes Harnlassen, werden mit H\u00fclfe der Respiralionsbewegungen ausgef\u00fchrt. Der locale Reiz wirkt hier von der innern Haut der Eingeweide auf die darin sich verzweigenden Aeste des Sympathies, hei Magen, Schlund, Kehlkopf, Lungen auch auf die Aeste des N. vagus, in der Nase auf Nasal\u00e4sle des N. trigeminus, und rellectirt sich auf die Quelle der Athemhewegungen in der Medulla oblongata und auf das R\u00fcckenmark, von welchen aus nun die Gruppen der respiratorischen Bewegungen ausgehen, welche Erbrechen, Husten, Niesen etc. bewirken. Reizung der Nasal\u00e4ste des N. trigeminus in der Nase bewirkt Niesen, und seihst dann, wenn die Reizung secund\u00e4r ist, wenn z. B. der Reiz des Sonnenlichtes auf den Sehnerven zuerst, dieser auf das Gehirn wirkt, das Gehirn eine secund\u00e4re Erregung der Nasennerven und gleichzeitig der Athemnerven verursacht. Ich niese, wie viele Andere, sobald ich helles Sonnenlicht sehe. Reizung des Vagus allein in Kehlkopf, Luftr\u00f6hre, Lungen erregt Husten, Reizung des Schlundastes des Vagus und des glossopharyngeus im Schlunde, des Vagus im Magen erregt Erbrechen. Wir wollen nun die einzelnen Gruppen dieser sympathischen Respirationsbewegungen durchgehen.\nAlle einzelnen Athemhewegungen k\u00f6nnen isolirt ausgef\u00fchrt werden, und verbinden sich zuweilen zu Gruppen, wie sie in der Kegel heim Athmen nicht stattlinden.\nDie Zusammenziehung des Zwerchfells,, verbunden mit den Athemhewegungen zum Ausathmen, findet heim gewaltsamen Austreiben eines K\u00f6rpers aus Theiien der Bauchh\u00f6hle, willk\u00fcrlich oder unwillk\u00fcrlich statt, z. B. willk\u00fcrlich heim Stuhlgang und","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344 II. Ihich. Organ, chemische Prucessc. I. Ahschn. Atlimen.\nHarnlassen, unwillk\u00fcrlich heim Erbrechen, Geh\u00e4ren, unwillk\u00fcrlichen Stuhlgang nach zu langem Zur\u00fcckhalten der Excremente und heim unwillk\u00fcrlichen Harnlassen nach zu langem Zur\u00fcckhalten des Harns. Sowohl der Schlund als Magen, als Mastdarm, die Urinblase, der Uterus, alle diese Theile stehen durch ihre Nerven in einem solchen Zusammenhang mit den Gehirn- und R\u00fcckenmarksnerven, dass jeder heftige Reiz in Schlund, Magen, Mastdarm, Urinblase, Uterus nicht bloss die Zusammenziehung dieser Theile, sondern auch die Zusammenziehung der Bauchmuskeln und des Zwerchfells verursacht zum Austreiben des Reizes nach oben oder nach unten. Diese Wirkung geschieht durch Reflexion der Reizung von Aesten des Nervus vagus im Schlunde und Magen auf das Gehirn und von sympathischen Zweigen des Ma gens auf das sympathische System und auf Gehirn und R\u00fcckenmark, durch Reflexion der Reizung von Nerven des Mastdarms, des Uterus, der Urinblase, tbeils sympathischen Nerven, theiis Aesten der Sacralnerven auf das R\u00fcckenmark. Bei allen jenen Bewegungen zum Austreiben eines Theiles nach oben oder nach unten, wird die Stimmritze eine Zeitlang verschlossen.\nF\u00fcr die Genesis des Erbrechens ist eine Beobachtung von mir sehr instructiv, dass, wenn man bei einem Kaninchen -die Unterleibsh\u00f6hle \u00f6ffnet, und den N. splanchnicus (an der innern Seite der Nebenniere) auf der linken Seite blosslegt, diesen Nerven mit einer Nadel zerrt, \u00f6fter eine Zuckung der Bauchmuskeln entsteht. Beim Hunde habe ich diess nicht wieder gesehen.\nBeim Husten wird die R.eizung des N. vagus in Kehlkopf, Luftr\u00f6hre, Lungen auf die Medulla oblongata verpflanzt. Die Medulla oblongata erregt darauf Zusammenziehung der Stimmritze, mit krampfhaften Exspirationsbewegungen der Brust- und Bauchmuskeln, wobei in jeder Exspirationsbewegung die vorher geschlossene Stimmritze sich etwas \u00f6ffnet, und ein lauter Ton entsteht. Das Zwerchteil hat mit dem Husten nichts zu thun, als dass zuweilen vor dem Husten ein tieferes Einathmen erfolgt. Nach Keimet. (Untersuchungen \u00fcber den Husten) und Br\u00e4chet kann man nach Durchschneidung des Nervus vagus auf beiden Seiten bei einem Thiere keinen Husten mehr durch heftige Reizung der innern Fl\u00e4che der Luftr\u00f6hre erregen. Nach Durchschneidung des N. sympathicus am Halse kann man nach Krimer allerdings noch Husten erregen.\nWir sind im Stande, den Eingang in den Kehlkopf nicht bloss durch die Schliessung der Stimmritze, sondern selbst im Rachen von dem Nasenkanal und Mundkanal abzuschliessen. Diess geschieht durch die von Dzonm entdeckte Ann\u00e4herung der hinteren Gaumenbogen, die sich fast gleich zwei von der Seite sich n\u00e4hernden Vorh\u00e4ngen aneinander legen, und durch Anlegen des hintern iheils der Zunge gegen dieses Planum inclinatum. Diese Bewegung geht jedesmal dem Niesen vorher.\nDas Niesen ist eine heftige pl\u00f6tzliche Zusammenziehung der Exspirationsmuskeln, nachdem die Luftg\u00e4nge vorher vorn abgeschlossen waren. Diese Verscldiessung \u00e4ndert sich im Moment der heftigen Exspiration in ein pl\u00f6tzliches Oelfnen des Mundgau-","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"6. Atliembewegungen und Athemnervm.\n315\ntr\u00e8s und Nasenkanales zugleich, oder des Nasenkanales allein. Mit dem Zwerchfelle, das so viele altere und neuere Autoren nach dem Volksglauben eine Rolle spielen lassen, hat das Niesen gar nichts zu thun. Das Zwerchfell ist kein Musculus exspiratorius, und nur hei dem dem Niesen vorhergehenden tiefen Einathmen ist das Zwerchfell th\u00e4tig. Die weitl\u00e4ufigen Nervensympathien zur Erkl\u00e4rung des Niesens scheinen ganz unn\u00f6thig. Bei der falschen Supposition, dass das Niesen durch das Zwerchfell erfolge, liess man die Reizung des Nasalnerven auf den tiefen Zweig des N. vidianus und auf den sympathicus, und von dort auf die Halsnerven und den N. phrenicus sich fortpflanzen. Da nicht das Zwerchfell, sondern die Expirationsmuskeln den Akt des Niesens (mit vorhergehender Abschliessung des Mund- und Nasenkanals) bewirken, so ist es am einfachsten, als Vermittler zwischen den Nasal\u00e4sten des Trigeminus, den Exspirationsmuskeln und den Muskeln des Gaumensegels, die Medulla oblongata selbst anzusehen, nach Analogie der sympathischen Bewegung der Iris durch den Lichtreiz. Denn hier wirkt, wie es sich deutlich zeigen l\u00e4sst, der Lichtreiz weder unmittelbar auf die Ciliarnerven, noch von der Netzhaut auf die Ciliarnerven. Die Arteria centralis ist zwar nach Tiedemann\u2019s Entdeckung von einem feinen Zweigelchen vom Ciliarknoten begleitet. Diess Zweigelchen verbreitet sich aber auf der Arteria centralis retinae, und steht mit der Retina in keinem erwiesenen Zusammenh\u00e4nge. Bei voller L\u00e4hmung der Retina bewirkt das Licht in der Regel keine Zusammenziehung der Iris mehr, wohl aber noch durch das gesunde Auge eine Zusammenziehung der Iris des kranken Auges. (Es giebt indess Ausnahmen von dieser Regel, welche Tiedemann Zeilxchr. f\u00fcr Physiol. 1. 252. zusammengestellt hat.) Die Bewegung der Iris erfolgt daher auch offenbar durch eine Reflexion der Reizung der Retina auf das Gehirn, vom Gehirn zur\u00fcck auf den N. oculomotorius, und das Ganglion ciliare. Die Sympathieen eines grossen Theils von Nerven mit einer \u00f6rtlichen Reizung durch Vermittelung des Gehirns und R\u00fcckenmarks, werden sehr gut erl\u00e4utert durch die bei der Narkotisation eines Thiers erfolgenden Erscheinungen, wo eine leise Ber\u00fchrung auf der Haut schon allgemeine tetanische Kr\u00e4mpfe erzeugt.\nDas G\u00e4hnen ist eine tiefe und langsame Inspiration und Exspiration mit Antheil der Respirationsmuskeln des Gesichts, die vom facialis abh\u00e4ngig sind. Der Mund wird dabei weit ge\u00f6ffnet, eine Bewegung, die auch vom N. facialis durch den Muse, diga-stricus beherrscht wird. Das G\u00e4hnen erfolgt gew\u00f6hnlich nach einer Erm\u00fcdung, besonders leicht und h\u00e4ufig hei Menschen mit gereiztem und geschw\u00e4chtem Nervensysteme, auch bei der Schl\u00e4frigkeit, bei dem Eintritte eines Fiebers. Dass es von Hindernissen im kleinen Kreislauf entstehe, scheint mir eine durchaus falsche Supposition. Lachen und Weinen sind auch mit Affectionen der Respirationsnerven, im Gesichte und am Rumpfe verbunden.\nDas Schluchzen ist eine wahre Zw\u2019erchfellsaffection, ein abruptes Einathmen bloss durch das Zwerchfell ; zuweilen zieht sich das Zwerchfell zusammen, w\u00e4hrend die Stimmritze zugleich gcschlos-","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nsen ist. Das Schluchzen entsteht meist durch Druck auf Schlund, Speiser\u00f6hre heim Verschlingen zu grosser Bissen, oder hei zu schneller Aufeinanderfolge der Verschlingungen. H\u00e4ufig ist es ein Zeichen von Nervenaflfection. Nach Kiiimer soll man das Schluchzen bei Thieren durch Reizen und Dr\u00fccken des linken Magen-inundes hervorbringen k\u00f6nnen.\nAlle Athembewegungen erfolgen ausser dem Einfluss des Willens unwillk\u00fcrlich, und sind doch auch innerhalb einer gewissen Grenze dem Willen unterworfen. Sie erfolgen, ohne dass wir es wissen, im Schlafe und zu anderer Zeit in best\u00e4ndigem Rhythmus; h\u00e4ufig als blosse periodische Inspirationen, in deren Zwischenzeiten die Theile wieder durch die Elastieit\u00e4t sich verengern, h\u00e4ufig auch als abwechselnde Inspirations- und Exspirationsbewegungen. Sind die Lungen zum Theil zerst\u00f6rt, oder mit Blut \u00fcberf\u00fcllt, so kann in gleichen Zeiten viel weniger geathmet weiden, und die Athembewegungen sind dann in gleichem Grade schneller. Die Athembewegungen sind insofern dem Willen unterworfen, als wir den Eintritt der einzelnen Athemz\u00fcge, aber nur innerhalb einer gewissen Grenze, willk\u00fcrlich bestimmen, dieselben verk\u00fcrzen, verl\u00e4ngern, verschieben k\u00f6nnen, und die Athembewegungen [auf einzelne Gruppen der Respirationsmuskeln beschr\u00e4nken k\u00f6nnen, indem wir z. B. bald mit den Brustw\u00e4nden, bald mit dem Zwerchfelle, bald mit beiden zugleich die Inspirationsbewegung machen. Diese Willk\u00fcr \u00fcben Wir wie bei last allen Bewegungen, die von Gehirn- und R\u00fcckenmarksnerven abh\u00e4ngig sind, aus, und die Willk\u00fcr dauert so lange, als die entsprechenden Nerven noch mit dem Gehirne und R\u00fcckenmark in Verbindung stehen. Ausserordentlich merkw\u00fcrdig und r\u00e4tselhaft ist nun aber der Rhythmus der unwillk\u00fcrlichen Athembewe-gungen, welcher, wie wir schon gesehen haben, auch in der Medulla oblongata seine Quelle hat. Bei dem F\u00f6tus fehlen diese Athembewegungen bis nach der Geburt. Es liegt sehr nahe zu glauben, dass der Einlluss der atmosph. Luft auf die Lungen-, Luftr\u00f6hren- und Kehlkopfnerven die Ursache der Athembewegungen sey, insofern die Reizung der feinsten Zweige der Nervi vagi in diesen Theilen nach dem Gehirne und der Quelle der Athembewegungen verpflanzt werde. Diess ist indess unzweifelhaft falsch; denn wenn diess richtig w\u00e4re, so m\u00fcsste die Zerschneidung der Nervi vagi am Halse mit gleichzeitiger Durchschneidung des h\u00f6her abgehenden Nervus laryngeus superior bei Thieren das Athmen ganz aufheben, weil dadurch die Empfindung des Reizes der atmosph. Luft in den Lungen und im Kehlkopfe aufgehoben wird. Ich habe diess beim Kaninchen gethan, ich habe den Nervus vagus auf beiden Seiten durchschnitten, und nachdem ich eine Oeflnung in die Luftr\u00f6hre zur Unterhaltung des Athmens gemacht, auch den Nervus laryngeus superior durchschnitten, ja hernach den ganzen Kehlkopf ausgeschnitten, aber der Rhythmus der Athembewegungen dauerte unver\u00e4ndert fort, so wie er nach der Durchschneidung der Nervi vagi zu seyn pflegt. In dem F\u00f6luszustande ist aber allerdings die Luftr\u00f6hre und der Kehlkopf in einem unempfindlichen Zustande, da","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"6. Athembewegungen u. Athemnerven. Erstes Athmcn. 347\nder Liquor amnii nach Scheel\u2019s Untersuchungen in beide eindringt, w\u00e4hrend heim Erwachsenen die geringste Fl\u00fcssigkeit an der Stimmritze heftige Bewegungen erzeugt.\nDie Ursache des ersten Athmens nach der Geburt scheint mir allein in dem Reize zu liegen, welchen das in den Lungen sogleich sich oxydirende Blut auf das Gehirn, und vorz\u00fcglich die Medulla oblongata als Quelle der Athembewegungen aus\u00fcbt, w\u00e4hrend diese Organe bisher in einem mehr schlummernden Zustande sich befanden. Das Blut des neugebornen Rindes wird, sobald es geboren ist, in den Lungen schon hellroth, das hellrothe Blut gelangt in wenigen Augenblicken ins Gehirn, und auf der Stelle beginnen die Athembewegungen. Bei dem Athmen der Fr\u00f6sche in Wasserstoffgas oder in Stickgas h\u00f6ren die Athembewegungen allm\u00e4hlig nach einigen Stunden auf, weil der dazu n\u00f6thige Reiz, das hellrothe Blut fehlt. Werden die Fr\u00f6sche in die atmosph\u00e4rische Luft gebracht, so kehren sie, wenn nur ihr Herz, wenn gleich in noch so grossen Pausen, schl\u00e4gt, ins Leben zur\u00fcck, indem ihre Athembewegungen allm\u00e4hlig wieder anfangen. Vergl. oben meine und Bergemann\u2019s Versuche pag. 332. 333.\nBartels (die Respiration als vom Gehirne abh\u00e4ngige Bewegung und als chemischer Process. Breslau 1813. 99.) behauptete, die Anh\u00e4ufung des ven\u00f6sen Blutes im Gehirne beim Ausathmen habe Einfluss auf die Hirnwirkung heim Athmen. Allein Treviramus sah die Athembewegungen der Fr\u00f6sche nach Unterbindung der Blutgef\u00e4sse fortdauern (Biol. 5. p. 260.) und Legallois sah enthauptete Kaninchen den Mund wiederholt wie zum Athmen \u00f6ffnen und schliessen. I. c. p. 29.\nDie Zerschneidung des Nervus recurrens auf beiden Seiten ist hei jungen Thieren oft t\u00f6dtlich, wie Legallois fand; hei erwachsenen Thieren ist sie nicht t\u00f6dtlich. Die Zerschneidung eines Nervus vagus ist nicht t\u00f6dtlich, aber die gleichzeitige Zerschneidung beider Nervi vagi ist immer t\u00f6dtlich, der Tod erfolgt innerhalb mehrerer Tage. Die Ursachen des Todes nach dieser Operation haben die Physiologen seit Rufus Ephesius und Ga-lenus besch\u00e4ftigt, in der neuern Zeit hat man diese Untersuchungen gr\u00fcndlicher angestellt, aber man kann immer noch nicht sagen, durch welche Entziehung zun\u00e4chst diese Verletzung t\u00f6d-tet. Die Athembewegungen sind davon gr\u00f6sstentheils unabh\u00e4ngig. Der Nervus recurrens wird zwar dabei und also die Muskeln des Kehlkopfes halb gel\u00e4hmt; allein man weiss, dass die Durchscheidung der Nervi r\u00e9currentes keinen t\u00f6dtlichen Erfolg hat. Dupuytren (Biblioth. mcd. 17.) fand, dass ein Pferd, dessen beide Nervi yagi durchschnitten waren, innerhalb einer Stunde, ein Hund innerhalb 2\u20143 Tagen stirbt, und dass der Tod mit mit immer zunehmenden Beschwerden der Respiration erfolgt. Das Blut in den Carotiden war allm\u00e4hlig dunkler geworden. Hieraus schloss man, dass der chemische Process des Athmens durch jene Verletzung aufgehoben werde. Diese Ansicht war indess schon darum verd\u00e4chtig, weil das Blut schon ausser dem thierischen K\u00f6rper die beim Athmen gew\u00f6hnliche Ver\u00e4nderung erleidet. In Hinsicht der Kritik dieser Beobachtungen verweise","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Abschn. Al/men.\nich auf die unten angef\u00fchrten vortrefflichen Abhandlungen von Emmert, welche die vollst\u00e4ndigste Zusammenstellung der fr\u00fcheren Versuche enthalten.\nBald zeigte auch Blainville {J\\ouv, bullet, de la soc. philom. 1808.) durch Versuche an V\u00f6geln, dass diese nach Durchschneidung der Nervi vagi eben so viel Sauerstoffgas verzehren und Kohlens\u00e4ure absondern, als im gesunden Zustande, dass die Farbe des Bluts sich eben so noch in den Lungen ver\u00e4ndert. Die V\u00f6gel leben nach dieser Operation noch ziemlich lange, 6 \u2014 7 Tage,. Kaninchen sterben schon nach circa 7 Stunden. Die V\u00f6gel sollen nach v\u00f6lliger Abzehrung sterben. Daher Blainville die Ur-sache des Todes in der St\u00f6rung der Verdauung sucht, was jedenfalls schon nicht auf die Kaninchen und S\u00e4ugethiere \u00fcberhaupt passt. (Ich konnte keine Abmagerung bei G\u00e4nsen wahrnehmen, denen der Vagus auf beiden Seiten durchschnitten war.) Dumas (Journ. gen. d. m\u00e9dec. T. 33. 1808. Dec.) fand, dass atmo-ph\u00e4rische Luft oder Sauerstoffgas in die Lungen eingeblasen dem Arterienblute wieder eine hellrolhe Farbe mittheilt. Nach Em-merts Versuchen an Kaninchen (Reil\u2019s Archiv 9. 380 ; 11. 117.) wird das Athmen nach jener Operation seltener, langsamer, beschwerlicher. Diese Erscheinung ist ganz constant und es ist in der That sehr interessant, wie ich bei Kaninchen und V\u00f6geln beobachtete, dass von dem Moment an, wo beide Nerven durchschnitten sind, die Alhemz\u00fcge tief und langsamer werden. Emmert fand die Umwandlung des Blutes in den Lungen nicht sehr ver\u00e4ndert, er leitet den Tod der Thiere zum Theil von der L\u00e4hmung der eigenth\u00fcmlichen Bewegung der Bronchien ab. Emmert hat zugleich darauf aufmerksam gemacht, dass der sympathische Nerve und der N. vagus unter den S\u00e4ugethieren nur bei den Kaninchen am Halse getrennt sind, dass sich aber bei den meisten S\u00e4ugethieren der N. sympathicus bald nach dem Austritt aus dem Ganglion cervicale supremum mit dem N. vagus verbindet, und dass man daher den N. vagus nicht ohne den N. sympathicus unterbinden oder durchschneiden kann. (Nach Bischof h\u00e4ngt der N. sympathicus nur beim Schwein, Kaninchen, Maulwurf, Waldmaus nicht mit dem Vagus fest zusammen. JSlervi accessorii anatomia et physiologia. Heidelb. 1832.; auch nicht beim Stachelschweine nach meiner Beobachtung.) Emmert erkl\u00e4rte nun den verschiedenen Erfolg der Versuche von Dupuytren, Blainville und Andern von der Durchschneidung beider Nerven oder des einen nach den verschiedenen Thieren, welche angewandt wurden. Von Dupuytren waren beim Pferde beide Nerven, in Emmert\u2019s Versuchen an Kaninchen, und Blainville\u2019s Versuchen an Kaninchen und V\u00f6geln war dagegen bloss der N. vagus durchschnitten worden. Dass indess \"diess keinen besondern Einfluss haben kann, geht aus v. Pommer\u2019s Versuchen hervor, nach welchen die Durchschneidung des Nervus sympathicus auf beiden Seiten \u00bbei Thieren am Halse ganz ohne wichtige Folgen ist. Diese Versuche wurden bei Kaninchen und Hunden, bei letzteren so gemacht, dass die Scheide, welche den Sympathicus und Vagus einschliessl, ge\u00f6ffnet, und der Sympathicus allein durch-","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"6. Athemlewegungen u. Athemnerven, N. vagus.\n319\nschnitten wurde. Die Tliiere zeigten bis zur 7. und 8. Woche, so hinge sie beobachtet wurden, keine wichtige Ver\u00e4nderung. Vcrgl. pag. 198. Nach Ap.nemann sterben Hunde nicht immer nach Durchschneidung der Nervi vagi.\nNach Proven\u00e7al (./. gen. de me'd. 37. 1810. Janv.) h\u00f6rt der chemische Process des Athinens nach jener Operation nicht auf, wird aber vermindert. Es fand, dass die Thiere weniger Sauer-stoffgas verzehren und weniger Kohlens\u00e4ure bilden, und dass die thierische W\u00e4rme abnimmt. Legallois, der bereits gefunden hatte, dass ein Thier um so k\u00fcrzere Zeit ohne Respiration ausdauert, je \u00e4lter es wird, fand auch, dass nach der Durchschneidung der Nervi vagi der entgegengesetzte Fall eintritt. Ein neu-geborner Hund stirbt nach jener Operation schon in -jj Stunde, w\u00e4hrend sie ein erwachsener Hund 1 \u2014 2 Tage \u00fcberlebt, wie denn bei jungen Thieren seihst die Durchschneidung der Nervi r\u00e9currentes in Stunde t\u00f6dtet, so dass bei jungen Thieren die Ursache des schnellen Todes nach der Durchschneidung der Nervi vagi die gleichzeitige L\u00e4hmung der von ihnen abgehenden Nervi laryngei inferiores und die Paralyse der Muskeln des Kehlkopfes zu seyn scheint. Daher auch die Tracheotomie das Leben etwas verl\u00e4ngert. Legallois \u00fcberzeugte sich auch, dass die Stimmritze, die sich beim Einathmen erweitert, hei jungen Thieren nach dieser Operation sich fast g\u00e4nzlich schliesst. Legallois fand nach der Durchschneidung der Nervi vagi eine Ergiessung einer blutig ser\u00f6sen schaumigen Fl\u00fcssigkeit in den Lungen, welche die von der L\u00e4hmung der Muskeln zur Erweiterung der Stimmritze herr\u00fchrende Athembeschwerde vergr\u00f6ssert. Beide Ursachen, welche sich bei der Durchschneidung der Nervi vagi vereinen, scheinen hier die endliche Suffocation und den Tod zu bewirken, der nach der blossen Durchschneidung der Nervi r\u00e9currentes hei erwachsenen Thieren nicht erfolgt. Nach Dupuy sterben Pferde und Schafe nach der Durchschneidung der Nervi vagi in einer Stunde, wenn aber die Tracheotomie gemacht worden, nach mehreren Tagen. Hier ist gleichsam die Wirkung der L\u00e4hmung der Nervi r\u00e9currentes getrennt von der Wirkung der L\u00e4hmung der Pulmonalzweige der Nervi vagi. Indess glaubt Dupuy, dass die L\u00e4hmung der Lungen nicht allein durch die Ergiessung von Fl\u00fcssigkeiten, sondern auch durch vermindertes Athmen Suffocation bewirke. Die Ursache der Ergiessung von Fl\u00fcssigkeiten aus den Lungen-gef\u00e4ssen in die Lungenzellen imd die Bronchien ist \u00fcbrigens leicht aus den pag. 252. angestellten Betrachtungen einzusehen.\nNach Krimer soll nach der Durchschneidung der Nervi vagi eine Ergiessung von Faserstoff in die Lungenzellen erfolgen, was, wenn es richtig ist, eine Thatsache von Wichtigkeit w\u00e4re.\nMayer (Tiedem. Zeitschr. f\u00fcr Physiol. 2. 74.) beobachtete als eine constante Erscheinung nach zahlreichen Versuchen \u00fcber die Unterbindung und Durchschneidung des N. vagus, dass, wenn der Tod l\u00e4ngere Zeit nach der Operation erfolgt, in dem Blute der Lungen und des Herzens sich feste weisse Coagulationen vorfinden, Welche die Arterien und Venen der Lungen, so wie auch die H\u00f6hlen des Herzens ganz ausf\u00fcllen. Diese Coagulationen sind","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Absehn. Athmen.\nnoch weich und bestehen aus schwarzem Gerinnsel, wenn der Tod bald nach der Unterbindung oder Durchselineidung des IV. vagus eintritt; aber wenn der Tod erst nach 48 Stunden oder sp\u00e4ter eintritt; so sind diese Coagulationen weiss. Diese Beobachtungen sind sehr interessant. In 4 Versuchen, bei 2 Hunden und 2 Kaninchen, die unter meiner Leitung angestellt wurden, fanden sich nach Durchschneidung der Nervi vagi, als die Thiere ganz unmittelbnr nach dem erfolgten Tode untersucht worden, nur 2 Mal im linken Herzen ein erbsengrosses Coagulum, keines in den Lungengef\u00e4ssen. Eine zweite Erscheinung und Ursache des Todes, die zwar nicht immer nach dieser ,Operation, aber doch h\u00e4ufig eintritt, ist nach Mayer das Hineintreten von aus dem Magen regurgitirtem Futter durch die ohnehin mehr erschlaffte und unempfindliche Glottis in die Luftr\u00f6hre und Bronchien. Nach Mayer wird nach der Operation der Herzschlag viel schneller, die Respiration immer langsamer.\nReiht man Alles zusammen, was die verschiedenen Beobachtungen ermittelt, so t\u00f6dtet die Unterbindung oTler Durchschneidung des Nervus vagus durch den Zusammenfluss verschiedener, zuletzt Suffocation herbeif\u00fchrender Umst\u00e4nde. Diese sind:\n1.\tDie unvollkommene L\u00e4hmung der Bewegungen zur Ver\u00e4nderung der Stimmritze.\n2.\tDie Exsudationen in den Lungen.\n3.\tDer ver\u00e4nderte chemische Process in den Lungen.\n4.\tDie von Mayer beobachtete Gerinnung des Blutes in den Gef\u00e4ssen. Vergl. \u00fcber diesen Gegenstand Lund Vivisect innen />. 222 \u2014 243.\nII. Abschnitt. Von der Ern\u00e4hrung, vom W a c h s t h u m und von der Wiedererzeugung.\nII. Capitel. Von der Ern\u00e4hrung.\no. Process der Ern\u00e4hrung.\nDie Ern\u00e4hrung ist kein Gegenstand mikroskopischer Beobachtung. Doei,linger und Dutrochet wollen zwar bemerkt haben, dass Blutk\u00f6rperchen in den Capiilargef\u00e4ssen ihre Beweglich-","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"II. Ahschn. Ern\u00fcltrung, JVanhsthum, TVictlcrerzeugung. 351\nkcit verlieren und sich mit der Substanz verbinden. Ici\u00bb babe auch \u00f6fter ein Stocken der Blutk\u00f6rperchen beobachtet; allein fortgesetzte Beobachtungen haben mich immer gelehrt, dass im Zustande der kr\u00e4ftigen Gesundheit eines Thiers die Blutk\u00f6rperchen in den mikroskopisch untersuchten Theilen immer aus den Arterien in die Venen \u00fcbergehen, und ich halte die Theorie der Ern\u00e4hrung durch Aggregation der Blutk\u00f6rperchen oder der Kerne der Blutk\u00f6rperchen f\u00fcr entschieden falsch. So weit ist die Mikrometrie und der Gebrauch guter Instrumente in der Physik der organischen K\u00f6rper schon gekommen, dass sich aus der blossen genauen Vergleichung der Gr\u00f6ssen jene Theorie widerlegen l\u00e4sst. Was zu einer solchen Genauigkeit geh\u00f6rt, habe ich in der Vorrede zur ersten Auflage dieses Werkes auseinandergesetzt, und bemerkt, dass mikrometrische Messungen, um als Basis f\u00fcr wis-senschaftliche Untersuchungen und Vergleichungen zu dienen, nicht bloss direct gemacht seyn m\u00fcssen, sondern dass das Wichtigste und Unerl\u00e4sslichste f\u00fcr diesen Zweck ist die Vergleichung eines K\u00f6rperchens, dass als Einheit oder Maassstab gebraucht werden kann, mit einem andern zu messenden Theile, neben einander unter dem Mikroskop, wie zum Beispiel die mikroskopische Vergleichung der Blutk\u00f6rperchen des Menschen mit Primitivfasern der Nerven, der Muskeln, die zu gleicher Zeit obser-virt werden. Da nun die Blutk\u00f6rperchen des Menschen, nach nahe \u00fcbereinstimmenden zuverl\u00e4ssigeren Beobachtungen von Kater, Wollaston, Pr\u00e9vost und Dumas, Weber, Wagner und von mir sehr sicher zu 0,00020 P. Z. angenommen werden k\u00f6nnen (vergl. pag. 106.), so hat man einen sichern Maassstab. Ich bediene mich zur Vergleichung als Maassstab der Blutk\u00f6rperchen des Menschen, die man sogleich durch einen Hautritz an sich selbst haben kann, und der Blutk\u00f6rperchen des Frosches, die im Durchmesser circa 4 Mal gr\u00f6sser sind, so wie der durch Essigs\u00e4ure dargestellten Kerne der Blutk\u00f6rperchen der Fr\u00f6sche, die im Durchmesser {-------\u00ff so gross als die ganzen Blutk\u00f6rper-\nchen sind.\nDie Blutk\u00f6rperchen sind offenbar zusammengesetzte K\u00f6rper, sie enthalten bei den Fischen, Amphibien, V\u00f6geln, S\u00e4ugethieren und Menschen Kerne. Die Form der Blutk\u00f6rperchen ist eigen-th\u00fcmlieh und stimmt nicht mit den Elementen der Organe \u00fcberein, was man auch dar\u00fcber zu voredig gesagt bat. Die Muskelfasern und Nervenfasern sollten zwar aus aggregirten K\u00fcgelchen bestehen. Allein die Blutk\u00f6rperchen sind bei keinem Wirbel-thiere K\u00fcgelchen, sondern Scheiben. Pr\u00e9vost und Dumas und Edwards halten die Kerne der Blutk\u00f6rperchen f\u00fcr die Elemente der Fasern. Allein so gross auch meine Hochachtung f\u00fcr diese Naturforscher ist, so kann ich doch einen Widerspruch ihrer Ansichten mit meinen Beobachtungen nicht unber\u00fccksichtigt lassen. Ich habe mich niemals deutlich \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dass die Primitivfasern der Muskeln und Nerven aus K\u00fcgelchen bestehen, ich sehe nur Fasern mit dicht folgenden Anschwellungen in den Muskeln, wie denn auch C. A. Schultze [vergl. Anal. 123.) die K\u00fcgelchen in den Muskelfasern nicht finden konnte. Ich finde","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":".352 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nsie noch weniger in den gr\u00f6sstentheils ganz gleichf\u00f6rmigen Nervenfasern, sondern nur Unebenheiten der Oberfl\u00e4che und ebenso wenig in den Zellgewebefasern und seimigen Fasern. Nur wenn man hei dem Schimmer des Sonnenlichtes oder mit schlechten Instrumenten, oder hei der Stellung des Objectes ausser dem Focus bei gleichzeitiger Beschattung observirt, sieht man, in allen Geweben leicht K\u00fcgelchen, die man aber nicht von Unebenheiten der Oberfl\u00e4che unterscheiden kann. Mikroskopische Abbildungen k\u00f6nnen durch Aufnahme dieser Zuf\u00e4lligkeiten nur fehlerhaft werden.\nDie Blutk\u00f6rperchen des Frosches sind nach meinen Untersuchungen 5 \u2014 8 Mal gr\u00f6sser als die Primitivfasern seiner Muskeln. Die Blutk\u00f6rperchen des Kaninchens sind 5 \u2014 6 Mal gr\u00f6sser als die Primitivfasern der Muskeln, die perlschnurartig aussehen, wenn sie nach 14t\u00e4giger Maceration in der K\u00e4lte sichtbar geworden sind. Die Primitivfasern der Nerven, welche dicker sind, als die der Muskelfasern, stimmen auch nicht mit den Verh\u00e4ltnissen der Blutk\u00f6rper und ihrer Kerne \u00fcberein. Zudem sind die Kerne der Blutk\u00f6rperchen, wie ich gezeigt habe, gar keine K\u00fcgelchen hei den Amphibien, sondern elliptisch und heim Salamander sogar platt; wie k\u00f6nnen daraus die Primitivfasern der Muskeln und Nerven entstehen?\nDie Capillargef\u00e4sse verbreiten sich zuletzt nicht mehr auf den Primitivfasern der Muskeln, des Zellgewebes u. s. w., dazu sind diese zu klein, sie sind ja d\u00fcnner als die Capillargef\u00e4sse von 0,00020 \u2014 0,00050 P. Z. Durchmesser. Der Stoffwechsel kann daher nur durch die Capillargef\u00e4ssw\u00e4nde hindurch geschehen. Diese Ern\u00e4hrung durch die Capillargef\u00e4ssw\u00e4nde\u00ab hindurch geschieht aus aufgel\u00f6sten Theilen des Blutes, w\u00e4hrend die imaufgel\u00f6sten Blutk\u00f6rperchen sichtbar aus den Arterien in die Venen \u00fcbergehen. Die wichtigsten Materiale der Ern\u00e4hrung sind offenbar das Eiweiss und der aufgel\u00f6ste Faserstoff. Ein Theil derselben kann die W\u00e4nde der Capillargef\u00e4sse durchdringen, sie tr\u00e4nken die Partikeln der Gewebe, und die Lymphgef\u00e4sse f\u00fchren die zur Ern\u00e4hrung \u00fcberfl\u00fcssigen Theile des in die Partikeln der Organe eindringenden aufgel\u00f6sten Faserstoffs und Eivveisses aus den Geweben wieder ah, ins Blut. Hier ist nun von Wichtigkeit, zu wissen, dass die Capillargef\u00e4sse seihst noch Wandungen haben, was pag. 216. bewiesen worden. Nichts kann zu den Organtheilen aus dem Blute und von jenen ins Blut, ohne im aufgel\u00f6sten. Zustande die Capillargef\u00e4sse zu durchdringen. Die auf den ersten Blick zur Erkl\u00e4rung der Ern\u00e4hrung leichtere Vorstellung, dass das Blut in den Capillargef\u00e4ssen nr-.in Aush\u00f6hlungen der Substanz fliesse, zeigt sich hei n\u00e4herer 'Untersuchung unstatthaft. Dagegen sind die f\u00fcr Aufgel\u00f6stes durchdringlichen W\u00e4nde der Capillargef\u00e4ssfl^ auch kein Hinderniss f\u00fcr die Anziehung der aufgel\u00f6sten Tlieile des Blutes. Die Ern\u00e4hrung geschieht nun, indem die kleinen Partikeln der Organe in den Maschen der Capillargef\u00e4ssnetze die aufgel\u00f6sten Theile des Blutes anziehen und auch wohl Stoffe an das Blut abgeben. Wilbbakd\u2019s Ideen von der Metamorphose des Blutes in den klci-","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Ern\u00e4hrung. Verhalten des Bluts.\n353\nnen Gef\u00e4ssen sind gewiss ohne den Gebrauch des Mikroskops entstanden.\nOh der rothe Farbestoff der Blutk\u00f6rperchen auch an Organe, die Farbestoff zu enthalten scheinen, wie die Muskeln, etwas abgebe, indem davon etwas aufgel\u00f6st wird, oder ob die Muskeln den Stoff, der sich an der Luft starker r\u00f6thet, selbst bilden, ist ungewiss. Jedenfalls sind die Blutk\u00f6rperchen selbst als ganze K\u00f6rperchen keine Materiale der Ern\u00e4hrung durch Aggregation derselben. Sie gehen best\u00e4ndig aus den Arterien in die \\ cnen \u00fcber. Ihre Wirkung in der thierischen Ockonornie ist gewiss \u00e4usserst wichtig, sie erleiden die heim Athmen stattfindende Ver\u00e4nderung, sie werden beim Durchg\u00e4nge durch die Capillargef\u00e4sse des K\u00f6rpers wieder dunkelroth. Sie sind hier in einer Wechselwirkung mit den Partikeln der Organe, welche sic dunkelroth macht, w\u00e4hrend die Blutk\u00f6rperchen doch nur an den Organ-theiiehen vor\u00fcbergehen. Sie erleiden bei jedem Circuitus innerhalb 3 Min. (p. 1S6.) ein Mal die hellrothe F\u00e4rbung in den Lungen, ein Mal die dunkelrotlie in den Capillargef\u00e4ssen des K\u00f6rpers, sie werden in 24 Stunden circa 480 Mal hellroth und dunkelroth. Sie \u00fcben im hellrothen Zustande auf die Organe, und namentlich auf die Nerven, einen zum Leben noth wendigen Reiz aus. Dieser Reiz ist aber von der Zuf\u00fchrung neuen Stoffes durch die Ern\u00e4hrung ganz verschieden. Dutbochet glaubte, dass sie elektrische Str\u00f6mungen bewirken ; das 3. Capitel der Lehre vom Blute (pag. 140.) war der empirischen Untersuchung dieser Hypothese bestimmt.\nIn der Ern\u00e4hrung wiederholt sich das Grundgesetz der organischen Assimilation. Jedes Organtheilchen zieht \u00e4hnliche Theil-chen aus dem Blute an, und wandelt sie so um, dass sie des Le-Lenspriucips des Organes seihst theilhaftig werden. Der Nerve bildet Nerven-, der Muskel Muskelsubstanz, selbst die organisirten pathologischen Produkte assimiliren. Die Hautwarze vergr\u00f6ssert sich, das Geschw\u00fcr ern\u00e4hrt seinen Boden, seine R\u00e4nder auf die f\u00fcr eine bestimmte Lebensart und Absonderung n\u00f6tliige Weise, und die Umwandlung der Nahrungsmateriale in ein krankhaft pro-ducirendes Organ kann zum Ruin des Ganzen werden.\nDie n\u00e4heren Bestandtheile der Organe sind zum Theil schon im Blute vorhanden, das Eiweiss, das in so vielen Theilen, wie im Gehirne und in den Dr\u00fcsen, in der Zusammensetzung so vieler anderen Gebilde im mehr oder weniger modilicirten Zustande vork\u00f6mmt, ist in dem Blute schon vorhanden, der Faserstoff der Muskeln und muskul\u00f6sen Theile ist die gerinnbare, im Blute und in der Lymphe aufgel\u00f6ste Materie, das stickstofflose Fett findet sich im freien Zustande in dem Chylus, das Stickstoff- und phos-phorb\u00e4ltige Fett des Gehirns, der Nerven, ist im Blute schon vorhanden, und mit dem Faserstoffe, Eiweiss und Cruorin gebunden. Das Eisen der Haare, des schwarzen Pigmentes und der Crvstalllinse findet sich schon im Blute vor, die Kieselerde und das Mangan der Haare, das Fluorcalcium der Knochen und Z\u00e4hne sind, wegen ihrer geringen Menge vielleicht, im Blute noch nicht entdeckt worden. Diese Materien werden von den Partikeln der M \u00fc 11 e r\u2019s Physiologie. I,\t23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nOrgane, worin sie Vorkommen, tlieils aus dem Einte als Aehnliches ausgezogen, theils werden die n\u00e4heren Bestandteile der Organe neu zusammengesetzt; denn unm\u00f6glich l\u00e4sst sich die Ansicht durchf\u00fchren, dass alle Bestandteile der Organe schon als solche im Blute vorhanden sind, vielmehr zeigen die organischen Substanzen der meisten Theile theils viele Modificationen von Eiweiss, Faserstoff, Fett, Osmazom, theils ganz eigent\u00fcmliche Materien, wie der Leim der Knochen, der Sehnen, der Knorpel, wovon sich im Blute kein Analogon zeigt. Auch die Substanz des Gewebes der Gef\u00e4sse, die verschiedenen Dr\u00fcsensubstanzen lassen sich nicht ganz auf jene einfachen Bestandteile des Blutes zur\u00fcckf\u00fchren. Selbst die Vergleichung des Faserstoffs der Muskeln mit dem Faserstoff des Blutes ist nicht strenge. Denn geronnener Faserstoff, geronnenes Eiweiss, zeigen bis auf das Verhalten zum Wasserstoffsuperoxyd fast gar keine chemischen Efnterschiede, p. 434, und der wichtigste Unterschied ist nur, dass der im Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff jedesmal gerinnt, sobald er den tierischen K\u00f6rper verl\u00e4sst, Eiweiss aber nicht von selbst, sondern nur bei 70 \u2014 75\u00b0 C., oder durch S\u00e4uren, conccnlrirte Aufl\u00f6sung von fixem Alkali, Metallsalze gerinnt. Der Faserstolf der Muskeln verh\u00e4lt sich chemisch kaum \u00e4hnlicher dem geronnenen Faserstoff, als dem geronnenen Eiweiss. In Hinsicht der Lebenskr\u00e4fte ist aber der Faserstoff der Muskeln von beiden verschieden. So ist auch die Vergleichung der Nervensubstanz mit Eiweiss und stickstoff-und phospborbaltigem Fett nur durch den jetzigen Zustand der organischen Chemie zu entschuldigen. Bei der Assimilation findet, indem die Partikeln der Organe zwischen den Capillargef\u00e4ss-str\u00f6mehen aufgel\u00f6stes Eiweiss und Faserstoff u. A. anziehen, nicht allein Aneignung der \u00e4hnlichen Theile, und Umwandlung der un\u00e4hnlichen in \u00e4hnliche statt, sondern die assimilirenden Theil-chen der Organe theilen auch den assimilirten Theilchen des Blutes ihre Kr\u00e4fte mit.\nDie Organe k\u00f6nnen an Umfang zunehmen, ohne dass sie as-similiren, dann h\u00e4uft sich der Eiweissstolf und Faserstoff des Blutes im rohen Zustande unassimilirt zwischen den Organtheilchen an, wie in der Entz\u00fcndung ; eine Bemerkung, welche hinl\u00e4nglich den grossen Unterschied der Entz\u00fcndung von einer vermehrten Ern\u00e4hrung zeigt. In der Schwangerschaft nimmt das contractile Gewebe des Uterus an wahrhaft assimilirten contractionsf\u00e4higen Theilchen zu, aber in der Entz\u00fcndung des Uterus wird nichts dieser Art bemerkt; die Assimilation der Theilchen des Blutes h\u00f6rt in der Entz\u00fcndung auf, der aufgel\u00f6ste Faserstoff schwitzt durch die H\u00e4ute durch, oder h\u00e4uft sich in den Interstitien der Or gane an; diese nun das Volum des Organes vermehrende Materie ist in den Entz\u00fcndungen alter Organe dieselbe, w\u00e4hrend die verschiedenen Gewebe bei der Ern\u00e4hrung die Theilchen des Blutes je nach ihren verschiedenen Bed\u00fcrfnissen assimilirend ver\u00e4ndern. Die Entz\u00fcndung ist also offenbar kein vermehrter plastischer Process, wof\u00fcr er so oft ausgegeben wird. Es erkl\u00e4rt sich hieraus sehr gut, warum ein Beiz, welcher die Th\u00e4tigkeit eines Organes f\u00f6rdert, von einem Entz\u00fcndungsreize sehr verschie-","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Ern\u00e4hrung. Unterschied von der Entz\u00fcndung. 355\nden ist. Dass verletzte Theile unter fortdauernder Entz\u00fcndung neue Substanz bilden, ist bin und wieder f\u00fcr jene falsche Ansicht von der Entz\u00fcndung angef\u00fchrt worden. Die Bildung einer Substanz ist indess ein Produkt der Yis medicatrix, wahrend der Fortdauer der Entz\u00fcndung der Oberfl\u00e4che, und die Entz\u00fcndung der Oberfl\u00e4che muss bis zur vollst\u00e4ndigen Heilung fortdauern, vveil die Oberfl\u00e4che sich in best\u00e4ndiger Irritation befindet. Es giebt manche Stoffe, welche die Assimilation vermindern, indem sie entweder die Theilchcn der Organe oder des Blutes ver\u00e4ndern. Die Jodine z. B. beschr\u00e4nkt bei l\u00e4ngerem Gebrauche auffallend die Ern\u00e4hrung. Die Neutralsalze, die Mercurialien, der Tartarus stibiatus und andere beschr\u00e4nken die Assimilation. Diese Mittel ver\u00e4ndern zum Theil zun\u00e4chst das Blut, wie es z. B. bei den k\u00fchlenden Salzen offenbar ist, welche selbst dem aus der Ader gelassenen Blute zugesetzt, seine F\u00e4higkeit zu gerinnen aufheben, also die Natur des Faserstoffs ver\u00e4ndern; hierdurch werden diese Mittel auch zur Beschr\u00e4nkung der Entz\u00fcndung wichtig.\nZuweilen ist die Ausbildung der S\u00e4fte, des Chylus und des Blutes fehlerhaft, entweder durch Bildung fehlerhafter Nahrungsstoffe, oder durch die Wirkung eines eingeimpften Rrankheits-stoffes, wie bei der Syphilis. In allen diesen F\u00e4llen, wenn die S\u00e4fte fehlerhaft sind, leidet auch die Assimilation. Es entstehen Ablagerungen fehlerhafter Stoffe, Entz\u00fcndungen, Geschw\u00fcre, wie bei der Serophelsucht, Arthritis, Lepra, Herpes, Scorbut, Syphilis etc. Alle diese unter sich \u00e4usserst verschiedenen Krankheiten, welche man Dyskrasien nennt, haben das gemein, dass sie sich durch Ausscheidungen krankhafter Stoffe auf der Haut, durch Ausschl\u00e4ge und Geschw\u00fcre der Haut, oft durch Geschw\u00fcre in Schleimh\u00e4uten, im h\u00f6chsten Grade durch Degenerationen der Knochen \u00e4ussern. Mehrere Arzneistoffe, welche seilst die Assimilation, ver\u00e4ndern (Alterantien p. 60.) und bei l\u00e4ngtrm Gebrauche auch Geschw\u00fcre und Knochenkrankheiten erzeugen, wie der Merkur, das Antirnom, sind zuweilen in einigen dieser F\u00e4lle hiilf-reich, nicht weil Similia similibus curantur, sondern weil sie die F\u00e4higkeit haben, die Zusammensetzung der organischen Theile zu alteriren, wodurch vorher stattgefundene Affnit\u00e4ten aufgehoben und neue eingeleitet werden k\u00f6nnen, wor.uf die best\u00e4ndige Wiedererzeugung aller Theile nach dem TJrbiMe des Ganzen von selbst (nicht der Mercur) die weitere Ausgleichung und Heilung bewirkt.\nIn mehreren dieser Krankheiten ist das lymphatische System, die Lymphgef\u00e4sse und Lymphdr\u00fcsen, besonders mit afficirt. Von dem gew\u00f6hnlichen Gesichtspunkte, dass die Lymphgef\u00e4sse bloss .eben zur Aufsaugung dienen, l\u00e4sst siel diess Leiden des lymphatischen Systems bei mehreren dieser Krankheiten, besonders bei der Serophelsucht, nicht recht verstehen. Wenn man aber weiss, dass die Lymphe (ausser den Lywphk\u00fcgelchen) fast ganz mit dem Licpior sanguinis (ohne die Blutk\u00f6rperchen) \u00fcbereinkommt, und dass man die Lymphe gleichsam Blut ohne rothe K\u00f6rperhen, das Blut Lymphe mit rothen K\u00f6rperchen nennen kann, indem\n23 *","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"35G II. Buch. Organ, chemische Prnccsse. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\ndie Lymphe und der Liquor sanguinis aufgel\u00f6stes Eiweiss und aufgel\u00f6sten gerinnbaren Faserstoff enthalten; wenn man weiss, dass die Lympbgef\u00e4sse den hei der Circulation theilweise in die Partikeln der Organe eindringenden Liquor sanguinis wieder, so \u2022viel zur Ern\u00e4hrung \u00fcberfl\u00fcssig ist, ahf\u00fchren: so sieht man leicht ein, dass die Ver\u00e4nderungen in der Mischung des Liquor sanguinis nicht allein die Capiilargef\u00e4sse irritiren und Entz\u00fcndung in den Capillargef\u00e4ssen erregen m\u00fcssen, sondern dass eine und dieselbe Fl\u00fcssigkeit auch wieder in den lymphatischen Gef\u00e4ssen Irritation erzeugen muss. Daher mangelhafte Bereitung des Blutes, chemische Ver\u00e4nderungen in der Mischung des Blutes nothwendig auch in vielen F\u00e4llen Krankheitserscheinungen in den kleinsten Blutgef\u00e4ssen und im lymphatischen Systeme erzeugen m\u00fcssen, welches zugleich, wie wir pag. 278. gesehen haben, so vielen An-theil an der Umwandlung des Eiweisses in aufgel\u00f6sten Faserstoff hat. Alle andere im Blute aufgel\u00f6sten Thcile, Salze, ihre fehlerhafte Mischung m\u00fcssen auch wieder auf den Zustand der Lymph-gef\u00e4sse Einfluss haben. In denjenigen Krankheiten, in welchen die aufgel\u00f6sten Theile des Blutes weniger fehlerhaft gebildet sind, als der Cruor oder die Blutk\u00f6rperchen, welche nicht in die Lympbgef\u00e4sse eingehen, werden auch weniger Krankheitserscheinungen in dem lymphatischen System auftreten, wie im Scorbut. Das fernere Studium der Mischungskrankheiten der S\u00e4fte wird daher in der fr\u00fcher angegebenen Analyse der Lymphe und des Blutes eine solidere Basis erhalten.\nDie Ern\u00e4hrung aller Theile nach dem Urhilde des Ganzen setzt eine Fortdauer der Kraft voraus, die alle Unterschiede, alle Organe zuerst als Glieder des Ganzen oder Theile des Begriffes erzeugt, jener Kraft, welche in dem Keime vor der Erzeugung der Organe vorhanden ist, wenn der Keim noch das thierische Wesen potentia ist, welches actu hei der Entwicklung seine Organe erzeiift, erneut und erh\u00e4lt. Die Ern\u00e4hrung ist alsq gleichsam die fortdauernde Whedererzeugung aller Theile durch die Kraft des Ganzen; aber diese Wiedererzeugung ist bei dem erwachsenen Menschen nur durch Assimilation, durch Verbindung der neuen Ma'erie mit den assimilirenden Theilen m\u00f6glich, w\u00e4hrend hei dem Embryo ohne organisirte Grundlage die unvertheilte'Kraft des Ganzen die organisirte Grundlage vielmehr erst erzeugt. Gleichwohl sind alle Organe bis zum Zerfallen des Ganzen zum Zusammenwirken aller assimilirenden Tflieile von der einen organisirenden Kraft des Ganzen beherrscht, deren Wirkungen wir durch Ausgleichung feiner materieller Ver\u00e4nderungen in den Krankheiten als Heilkraft* der Natur bewundern, w\u00e4hrend die Herstellung verlorne? organisirter Theile in den meisten F\u00e4llen nach der ersten Zeugung ihr unm\u00f6glich ist. Vergl. Prolegomena pag. 23. In einigen Krankheiten zeigt sich eine solche fehlerhafte Bildung der tbierischen Materie, dass die Assimilation zu den Gewebetheilcben der Organe in einzelnen Theilen ganz aufgehoben wird, und wegen des Vorwaltens fremdartiger Affinit\u00e4ten nur Afterbildungen entstehen, wie hei dem Krebs und Markschwamme.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Ern\u00e4hrung. TVechsel der Materie.\n.357\nMit dem Leben ist ein best\u00e4ndiger Wechsel der Materie verbunden. Diess zeigt das Bed\u00fcrfniss der Nahrungsstoffe im Ver-h\u00e4ltniss der Ausscheidungen. Nun fragt sich aber, wechseln die Bestandtheile der S\u00e4fte, oder wechseln selbst die Materien der organisirten Theile?\n1.\tWechsel der Materie in den S\u00e4ften. Es liegt am n\u00e4chsten, den Wechsel der Materie zun\u00e4chst in den S\u00e4ften anzunehmen, und zu behaupten, dass dieser t\u00e4gliche Umtausch von mehreren Pfunden Wahrung gegen mehrere Pfunde zersetzter Stoffe, die mit der Hautausd\u00fcnstung, beim Atbmen, mit dem Harnabgang u. s. w. verloren gehen, bloss innerhalb der S\u00e4fte vor sich gehe, w\u00e4hrend die organisirten Theile selbst daran wenig Antheil nehmen. Hie S\u00e4fte erleiden, indem sie zur Unterhaltung des Lebens dienen, best\u00e4ndige Zersetzungen, und man k\u00f6nnte hierin die thie-risebe Maschine mit einer andern Maschine, z. B. Dampfmaschine, vergleichen, welche eine gewisse Quantit\u00e4t Brennmaterial zur Erzeugung der Wasserd\u00e4mpfe erfordert, durch welche sie wirksam ist. Dass der Wechsel der S\u00e4fte am gr\u00f6ssten ist, ist auch unzweifelhaft Das Seltenwerden der Harnabsonderung bei hungernden Amphibien, z. B. Schildkr\u00f6ten, belehrt uns zur Gen\u00fcge dar\u00fcber. So k\u00f6nnte man annehmen, dass die Zersetzung einer gewissen Quantit\u00e4t der S\u00e4fte bei der Unterhaltung des Lebens die Ausscheidung der zersetzten Stoffe, und die Zufuhr der neuen Nahrungsstoffe noting machen.\n2.\tWechsel der Materie in den organisirten Theilen. Manche Ph\u00e4nomene scheinen mit dem Wechsel der thierischen Materie in den organisirten Theilen schwer zu vereinigen, wie z. B. die Erhaltung der Erinnerungen, w'elche von gewissen Eindr\u00fck-ken auf das Sensorium abh\u00e4ngig sind. Mit der organischen Ver\u00e4nderung des letztem wird auch der Schatz an fr\u00fcher gewonnenen Eindr\u00fccken ver\u00e4ndert und \u201dermindert, und das Ged\u00e4chtniss f\u00fcr einzelne Reihen der Ideen, f\u00fcr die Architektonik der Sprachen, ja selbst, wie es scheint, oft f\u00fcr gewisse Theile der Sprache, Hauptw\u00f6rter, Namen etc., f\u00fcr r\u00e4umliche Anschauungen, Perioden des vergangenen Lebens, aufgehoben. Wie ist nun die Erinnerung, das geistige Leben des Menschen, als eine conse-quente Entwicklung aus der Vergangenheit, denkbar, wenn man einen grossen Wechsel der Materie in dem Gehirne und den Nerven annimmt? Diese Schwierigkeit w\u00fcrde jedoch nur f\u00fcr die Supposition materieller Ver\u00e4nderungen bei den psychischen Th\u00e4tigkeiten vorhanden seyn. Auf der andern Seite haben wir wenigstens keine Beweise von einem schnellen Wechsel der Materie im Gehirn.\nIn den meisten Theilen ausser den Nerven sind dagegen viel unzweifelhaftere Zeichen des Wechsels der Materie vorhanden, und gerade die Knochen, welche noch am stabilsten scheinen, und doch so deutliche Spuren des Wechsels der Materie zeigen, scheinen zu beweisen, dass der Wechsel der Materie sich nicht auf die S\u00e4fte beschr\u00e4nkt, sondern ein ausgedehntes Ph\u00e4nomen auch in den organisirten Theilen ist. Hieher geh\u00f6ren z. B. die Entstehung der Zellen in den Knochen, die Entstehung der Stirn-","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nhein- und Keilbeinh\u00f6hlen in der Kindheit, die Resorption der Knochen heim Druck von Geschw\u00fclsten, die Resorption der Alveolen hei den Alten, das D\u00fcnnerwerden des Sch\u00e4dels hei den Alten und vieles Andere. Die Vergr\u00f6sserung der Knochenh\u00f6hlen mit dem Wachsthum der ganzen Knochen, ja \u00fcberhaupt das Wachsthum eines so festen K\u00f6rpers von allen Partikeln aus, die Ver\u00e4nderungen seiner Form heim Wachsthum sind nicht denkbar, ohne eine best\u00e4ndige Wegnahme von Knochenatomen an gewissen Stellen, und Apposition an anderen Stellen, also nicht ohne best\u00e4ndigen Wechsel der Materie. Von anderen Theilen fehlen uns die Beweise des Wechsels der Materie mehr. Es geh\u00f6ren indessen hieher die hei der Regeneration der Schw\u00e4mme wie des Blutschwamms best\u00e4ndige Zer-etzung auf ihrer Oberfl\u00e4che, das Schwinden der Theile im Hunger, in der Atrophie, hei mehreren chronischen Krankheiten, und das Wachsen, Formver\u00e4ndern und Schwinden der Geschw\u00fclste, Warzen, die oft schnelle Restauration nach vorheriger Abmagerung. Die wieder aufgel\u00f6sten Theile m\u00fcssen entweder sogleich in die Blutgef\u00e4sse oder in die Lymph-gef\u00e4sse, wo diese vorhanden sind, \u00fcbergehen.\nDie Resorption der Lymphe kann indess nicht allein als Wiederaufnahme von vorlur organisirten Theilchen der Organe in die S\u00e4ftemasse, und die Lymphe^iicht bloss als Coll\u00fcjuament der Organe betrachtet werden; denn die Lymphe ist, wie pag. 153. 255. gezeigt worden, ausser den Lymphk\u00fcgePcben der farblose Liqi or sanguinis, welcher hei der Circulation zum Theil durch die Capillargef\u00e4sse in die Partikeln xder Organe eindringt, zu ihrer Ern\u00e4hrung dient, und dessen \u00fcberfl\u00fcssige Theilchen wieder in den \u00fcberall in den Interstitiel! der Organtheilchen beginnenden Lymphgef\u00e4ssnetzen sich sammeln. Daher auch die Lymphe durchgehends gleich ist, und \u00fcberall sich als Liquor sanguinis verh\u00e4lt, d. b. aufgel\u00f6sten Faserstoff und Eiweiss enth\u00e4lt.\u2019\nDer Wechsel der Materie in den organisirten Theilen l\u00e4sst sich schon als notbwendig zu der best\u00e4ndigen Ver\u00e4nderung -ihrer Form erkennen. Die Organe ver\u00e4ndern von Kindheit auf best\u00e4ndig ihre Form, und diese Ver\u00e4nderung im Ganzen kann nur durch Ver\u00e4nderung in den kleinen Partikeln der Organe zwischen den Capillargef\u00e4ssen bewerkstelligt werden. Hierbei l\u00e4sst sich denken, dass die resorbirten Theile wieder ins Blut \u00abelangen, und bald wieder zur Ern\u00e4hrhng an anderen Stelen verwandt wrerden. Nun tr\u00e4gt sich aber, oh es nicht einen Wechsel der Materie in den organisirten Theilen giebt, wobei wirklich zersetzte Bestandtheile der Organe ijis Blut wieder aufgenommen werden, um aus der thierischen Oekonomie ganz entfernt zu werden. Leider besitzen wir zur Entscheidung dieser Frage keine Thatsachen, als das Ende des Lehens \u00fcberhaupt, die Gewissheit, dass im Alter immer mehr die Anh\u00e4ufung unwirksamer Bestandtheile in den Organtheilen zunimmt, die Knochen an thierischer Materie verlieren (pag. 36C.), Kalkerde in den W\u00e4nden der Arterien (zwischen mittlerer und innerer Haut) und in anderen Theilen abgelagert wird. D\u2019Outrepont (diss. de perp\u00e9tua materiel (n-ganico-aniinalis vicissitudine. Hal. 1798. Reil\u2019s Arch. 4. 460.)","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Ern\u00e4hrung. Wechsel der Materie.\n359\nnimmt an, dass das Leben selbst nur durch und mit einem best\u00e4ndigen Wechsel der Materie in den S\u00e4ften und den organi-sirten Tbeilen bestehe. Dass das Leben mit einer best\u00e4ndigen Zersetzung der Materie verbunden ist, ist schon oben pag. 34. entwickelt worden. Jede Action ver\u00e4ndert die Mischung des agi-renden Tbeiles, und erfordert eine Restauration der Mischung, die mit der Erholung erst allm\u00e4hlig erfolgt. Es scheint daher wirklich, dass auch die organisirten Theile einer allm\u00e4hligen Zersetzung ihrer Hestandtheile unterworfen sind, die von ihrer Action untrennbar ist, und die Restauration veranlasst. Schon in den Prolegomena ist pag. 53. dasjenige angef\u00fchrt worden, was wir \u00fcber die Statik zwischen der Zersetzung bei den Actionen und der Restauration wissen. Aber leider lassen sich alle diese zarten Verh\u00e4ltnisse nicht der Berechnung unterwerfen. Wir haben hier nur ganz schwache Anhaltspunkte, wie eben die Erm\u00fcdung nach den Actionen, die Nothwendigkeit einer grossem Menge kr\u00e4ftigerer Nahrung nach grossen geistigen und Muskel-Anstrengungen; dagegen zeigt uns die Unver\u00e4nderlichkeit gewisser indie Haut eingeriehener Farbestoffe eine Grenze auf der entgegengesetzten Seite. Innerhalb dieser Grenzen zeigen sich wieder sehr verschiedene Anzeigen des Stoffwechsels in den organisirten Thei-len, wie z. B. das oft schnelle Verschwinden der Hautwarzen, der rasche Stoffwechsel bei der Resorption der Knochen und der Heilung der Knochenverletzungen, die ganz allm\u00e4hlig erfolgende Reduction eines unf\u00f6rmlichen Callus in einen solchen, welcher mehr den nat\u00fcrlichen Formverh\u00e4ltnissen der Knochen entspricht, wobei nach Monaten selbst in den zusammengeheilten Knochen an der Stelle der Zusammenheilung die fr\u00fcher ausgef\u00fcllte Knochenh\u00f6hle sich wieder herstellt; dagegen die geringe Ver\u00e4nderlichkeit der Flecken in der Cornea uns wieder zeigt, wie der Stoffwechsel hier im umgekehrten Verh\u00e4ltnisse mit der Sparsamkeit der Blutgef\u00e4sse steht. Der Stoffwechsel ist \u00fcbrigens in der Jugend am gr\u00f6ssten, und nimmt im Alter immer mehr ab.\nb. Chemische Zusammensetzung der organisirten Theile.\nI.\tGewebe mit eiweissartiger Grundlage.\nDie Gewebe mit eiweissartiger Grundlage geben beim Kochen keinen Leim und werden beim Kochen nur wenig ver\u00e4ndert; nur das in ihre Zusammensetzung eingehende Zellgewebe kann in Leim aufgel\u00f6st werden. Die Modilicationen der eiweissartigen K\u00f6rper sind noch nicht genau gekannt. Bis jetzt kennt man nur das Eiweiss im engern Sinn und den Faserstoff genau, deren Eigenschaften in der Lehre vom Blut angegeben worden.\n- ,\tu\t...\to O\nDie saure Aull\u00f6sung der eiweissartigen K\u00f6rper wird von Kaiium-eisencyanid gef\u00e4lit. Dadurch unterscheiden sich diese Stoffe von den leimgebenden K\u00f6rpern. Zu dem Gewebe mit eiweissartiger Grundlage geh\u00f6ren das Gehirn und die Nerven, die Muskeln, die Dr\u00fcsen, die Schleimh\u00e4ute.\nJ.\tGehirn, R\u00fcckenmark und Nerven. Die Elementartheile der Nerveusubstanz sind die sogenannten Primitivfasern des Gehirnes,","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nR\u00fcckenmarkes und der Nerven, welche in den Nerven durch Zellgewebe zu B\u00fcndeln und Plexus vereinigt sind, ohne selbst in ihrem Verlaufe jemals zusammenzuh\u00e4ngen. Sie bestehen aus einer R\u00f6hre und einem Inhalte, der im Gehirn und R\u00fcckenmark \u00fcberaus weich ist, in den Nerven aber viel mehr Consistenz hat und sich selbst von der R\u00f6hre in einigem Zusammenh\u00e4nge stellenweise isoliren l\u00e4sst. Die Primitivfasern des Gehirns werden von leichtem Druck leicht stellenweise angeschwollen, varic\u00f6s, hei st\u00e4rkerem Druck werden sie ganz zerst\u00f6rt und an ihrer Stelle sieht man Kugeln und K\u00fcgelchen. Die St\u00e4rke dieser F\u00e4den ist \u00fcberaus verschieden, im Gehirn und R\u00fcckenmark sind sic d\u00fcnner als in den Nerven, in diesen sind sie gew\u00f6hnlich viel st\u00e4rker als die Elementartheile anderer Gewebe, und haben\tPar.\nLin. im Durchmesser. Die graue Masse des Gehirns und R\u00fccken-markes und die Masse der Ganglien besteht aus ziemlich grossen Kugeln, die in den Ganglien durch festes Zellgewebe verbunden sind, im Gehirn und R\u00fcckenmark aber \u00fcberaus leiebt zerst\u00f6rbar sind. Sie haben einen Kern in ihrem Innern, zuweilen sogar, namentlich die Gang\u00fcenkugeln, einen Nebenkern an der Oberfl\u00e4che. Eine ausf\u00fchrliche Darstellung der Slructur der Nerven kann erst sp\u00e4ter in der Nervenphysik gegeben werden. Die Hauptbestandteile des Gehirns und der Nerven in chemischer Hinsicht sind Eiweiss und Fett in einer noch nicht gekannten n\u00e4hern Verbindung. Das Fett wird aus dem zerriebenen Gehirne durch kochenden Alcohol oder Aether ausgezogen, worauf das Eiweiss des Gehirns und die zerriebenen Blutgef\u00e4sse Zur\u00fcckbleiben. Das Ilirnfett ist ein stickstoffhaltiges Elain und Stearin. Ersteres ist ein Ocl, es riecht wie frisches Gehirn, und schmeckt ranzig, es fault wie andere tbierische Stolle an der Luft. Es wird von kochendem Alkohol in gr\u00f6sserer Menge als von kaltem gel\u00f6st. Das Stearin besteht aus weissen atlasgl\u00e4nzenden Schuppen.' Nach G siel in und KlVin enth\u00e4lt dieses Stearin wieder 2 besondere Stearinarten, das bl\u00e4tterige und das pulverf\u00f6rmige. Das er-stere ist dem Gallenfett, Cholestrine, \u00e4hnlich, unterscheidet sich aber von ihm darin, dass es phosphorhaltig ist. Das Hirnfett unterscheidet sich von anderen Fettarten, dass es sich nach Vau-quelin nicht mit Alkali vereinigen oder verseifen l\u00e4sst, 4pss es ausserdem Phosphor enth\u00e4lt (auch das gebundene Fett im Blute und in der Leber enthalten nach Chevreul und Braconnot Phosphor). Die nicht ein\u00e4scherbare Kohle, welche nach Verbrennung des Hirnfettes zur\u00fcck bleibt, enth\u00e4lt n\u00e4mlich so viel Phosphors\u00e4ure, dass diese den zur Verbrennung n\u00f6thigen Luftzutritt verhindert. Nach Ausziehung der Phosphors\u00e4ure durch Wasser, brannte die Kohle wieder eine Weile, und h\u00f6rte wieder auf; sie war nun wieder sauer geworden; woraus folgt, dass die Kohle des Hirnfettes den Phosphor in einer nicht fl\u00fcchtigen Verbindung enth\u00e4lt. Nach Vauquei.in betr\u00e4gt der Phosphor ungef\u00e4hr 1 Proc. vom Gewichte des frischen Gehirns, oder J von dem des Ilirnfettes, was Berzelius unwahrscheinlich findet. Die \u00fcbrigen Thcile des Gehirns sind Eiweiss und Salze (phosphors. Salze und kohlens. Alkali;\u2019), Das Gehirn enth\u00e4lt nach Vauqueuk;","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"1. Ern\u00e4hrung. Chemische Zusammensetzung der Organe. 361\nEiweiss\nHirnfett\n4,531\n0,701\nStearin ' Elain Phosphor .\nOsmazom............\nS\u00e4uren, Salze, Schwefel Wasser.............\n. 7,00\n. 5,23\n1,50\n1,12\n5,15\n80,00\n100,00\nDas Gehirn enth\u00e4lt ansserordeljlich wenig erdige und salzige Bestandteile. 50 Gran getrockneten Ralbsgehirns gaben John nur 2 Gran Asche; 100 Theile getrockneter Gehirnsubstanz enthalten nach Sass und Pfaff 3,36 fixe Salze, 100 Theile getrockneter Muskelsubstauz 7,5 fixe Salze. In Hinsicht der Litteratur der chemischen Untersuchungen der Hirnsubstanz verweise ich auf E. H. Webf.r Anal. 1. p. 257.\nVerd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure l\u00f6st nach Reil das Neurilem der Nerven auf. Alkalische L\u00f6sung l\u00f6st dagegen das Mark der Nerven auf.\n2. Muskeln Die Muskeln bestehen aus B\u00fcndeln von Fasern, die primitiven B\u00fcndel aus einigen hundert Fasern sind durch Zellgewebe zu gr\u00f6sseren B\u00fcndeln, diese wieder zu noch grossem verbunden. Die Primitivfasern der Muskeln haben eine St\u00e4rke von 0,00012 \u2014 0,00020 P. Z. An den Muskeln des animalischen Lebens, wozu alle willk\u00fchrlich bewegliche Muskeln geh\u00f6ren, zeigen die primitiven B\u00fcndel sehr regelm\u00e4ssig, dicht aufeinander folgende Querstreifen, die Primitivfasern selbst sind varic\u00f6s, zeigen n\u00e4mlich dicht hintereinander folgende Anschwellungen, die durch kurze, engere Zwischenstellen getrennt sind. Von den organischen Muskeln, welche nur unwillk\u00fchrlich beweglich sind, haben nur die des Herzens und anderer muskul\u00f6sen Stellen des Gef\u00e4sssystems Querstreifen der primitiven B\u00fcndel. Auch die Lyrnphherzen haben diesen Bau der Fasern. Siehe Valentin Repertorium I. 294. Alle \u00fcbrigen organischen Muskeln, die des Darms, der Urinblase, des Uterus und der Iris haben einen andern Bau, den primitiven B\u00fcndeln fehlen die Querstreifen, den primitiven Fasern fehlen die Knoten; jene sind vielmehr ganz gleichf\u00f6rmig. Eine ausf\u00fchrliche Darstellung des Baues der Bewegungsorgane kann erst sp\u00e4ter in dem Buche von der Bewegung gegeben werden. Die wesentliche Substanz der Muskeln ist Faserstoff. Das Muskelfleisch wird von langem Kochen h\u00e4rter, und giebt die farblose Fleischbr\u00fche ab, die erkaltet ge-latinirt, was von dem Leim herr\u00fchrt, in den das Zellgewebe nach Berzelius durch Kochen verwandelt wird. Gegen S\u00e4uren und Alkalien verh\u00e4lt sich Muskelsubstanz w'ie Faserstoff. Beim starken Auspressen von zerhacktem Fleische fliesst eine saure rotbe Fl\u00fcssigkeit ab. Diese enth\u00e4lt 1) Eiweiss und Cruorin. 2) Milchs\u00e4ure. 3) Salze, milchsaures Kali, Natron, Kalkerde und Talkerde, Spuren von milchsaurem Ammoniak, Chlorkalium und Chlornatrium (im Alkohol l\u00f6slich); ferner phosphorsaures Natron, phosphorsauren Kalk (in Alkohol unl\u00f6slich). 4) Extractartige Ma-","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362 II. Buch. Organ, chemische Processc. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nterien, a) durch Alkohol ausziehbar, Osmazom (von Fleischgerucli), welches nach Berzelius ein Gemenge von mehreren Substanzen ist; b) durch Wasser l\u00f6slich, sauer, enthalt Milchs\u00e4ure. Dicss Extract ist wieder ein Gemenge mehrerer Wasserextracte, unter welchen das Zomidin, welches de-n Fleischgeschmack hat. Fleisch mit concentrirter Schwefels\u00e4ure behandelt, bildet eine Substanz, Leucine, die den Geschmack der Fleischbr\u00fche hat. Berzel. Thierch. 406. 6SS.\nBerzelius und Braconnot haben das Muskelfleisch des Ochsen analysirt:\nFleischfaser, Gef\u00e4sse, Nerven 15,8 Zellgewebe, im Rochen zu Leim gel\u00f6st 1 L\u00f6sliches Eiweiss und Faserstoff .\t.\nAlkoholextract mit Salzen...................\nWasserextract mit Salzen ..... Eiweisshaltiger phoshporsaurer Kalk . Wasser (und Verlust)........................\nBerz.\tBrac.\n17,70\t18,18\n2,20\t2,70\n1,80\t1,94\n1,05\t0,15\n0,08\t\u2014\n77,17\t77,03\n100,00 100,00\nSass und Pfaff haben vergleichende Analysen der Muskelsubstanz und Ilirnsubstanz angestellt. Meck. Arch. 5. 332.\nT\nMuskclsubstanz. Ilirnsubstanz.\nKohlenstoff\t.\t.\t48,30\t53,48\nWasserstoff\t.\t.\t10,64\t16,89\nStickstoff\t.\t.\t15,92\t6,70\nSauerstoff\t.\t.\t17,64\t18,49\nFixe Salze\t.\t.\t7, 5\t3,36\nPhosphor . .\t\u2014\t1,08\nHieraus folgi also, dass die Muskelsubstanz viel mehr Stickstoff, die Ilirnsubstanz mehr Wasserstoff enth\u00e4lt.\n3. Dr\u00fcsen. l)ie Substantia propria der Dr\u00fcsen ist zu blind, oft zellenf\u00f6rmig geschlossenen Kan\u00e4len formirt, und besteht aus einem homogenen, mehr k\u00f6rnigen als faserigen Gewebe, \u00fcber dessen Structurverh\u00e4ltnisse in dem Abschnitt \u00fcber die Absonderung ausf\u00fchrliche Aufschl\u00fcsse gegeben werden. Die Hauptmasse der Dr\u00fcsen ist ein eiweissartiger Stoff.\t*\nEnter den dr\u00fcsigen Organen sind die Nieren und die Leber chemisch untersucht worden. Als Braconnot die Lebersubstanz des Ochsen zu Brei zerrieben und mit Wasser versetzt hatte, wurde der gr\u00f6sste Theil der Lebermasse aufgel\u00f6st. Die milchige Fl\u00fcssigkeit gerinnt beim Erhitzen. Aus dem Coagulurn l\u00e4sst sich durch Terpentin\u00f6l ein fettes Oel ausziehen. Das nach Verfl\u00fcchtigen des Terpentin\u00f6ls bleibende fette Oel war rothbraun, halb erstarrt, und hatte Geruch und Geschmack der Ochsenleber. Das Fett war nicht sauer, und also nicht vorher verseift, war aber mit kaustischem Natron verseifbar, ohne dass sich Ammoniak entwickelte. Diess Fett ist indess phosphorhaltig, es verh\u00e4lt sich beim Verbrennen wie Hirnfett. Die Aufl\u00f6sung, woraus sich durch Erhitzen das Eiweiss abgesetzt batte, r\u00f6tliete das Lackmuspapier,","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"1. Ern\u00e4hrung. Chemische Zusammensetzung der Organe. 3G.\u2018J\nund schien eine vom Osmazom etwas verschiedene Substanz zu enthalten.\n100 Theile eigentlicher Lebersubstanz enthielten\n\"Wasser..............................................68,64\nEiweiss............................................... 20,19\nEine wenig Stickstoff baltige, in Wasser leicht, in\nAlkohol wenig l\u00f6sliche Materie.........................6,07\nLeberfett.................................................3,89\nChlorkalium...............................................0,64\nKalkerde eisenhaltig......................................0,47\nSalz von einer brennbaren\tS\u00e4ure mit Kali .\t.\t.\t6,10\n100,00\nBei einer Analyse der Menschenleber wollen Frommherz und Gugert auch K\u00e4sestoff, Speichelstoff gefunden haben. In der Leber des Rochen fand Vauquelin ein Oel, das mehr als die H\u00e4lfte vom Gewichte der Leber betrug. Berzelius schliesst aus diesen Untersuchungen, dass die Leber eine emulsionsartige Verbindung von Eiweiss mit einem fetten K\u00f6rper enthalte, gemischt mit mehreren anderen Thierstoffen, wie Osmazom und einem oder 2 anderen in Alkohol unl\u00f6slichen, in WAsser l\u00f6slichen Stoffen. Berzel. ThiercJi. 164 \u2014 170.\nBerzelius hat die Pferdenieren chemisch untersucht. Die zerriebene Masse wurde in Wasser fast ganz zu einer milchigen Fl\u00fcssigkeit. Die geringe zur\u00fcckbleibende faserige Masse bestand wahrscheinlich aus Blutgef\u00e4ssen. Die fl\u00fcssige Masse gerann durch Hitze. Das Coaguluin enthielt viel Fett, und bestand aus Eiweiss. Die Fl\u00fcssigkeit, worin sich das Coagulum gebildet hatte, war sauer, von'Milchs\u00e4ure, und enthielt thierische Materie, die nach dem Abdampfen theils in Alkohol (Osmazom), theils in Wasser l\u00f6slich war.\n4. Schleimh\u00e4ute. Sie bestehen aus durcheinander gewirkten Fasern, auf welchen eine Schicht von perpendicul\u00e4ren sehr kleinen Cylinderchen aufgesetzt ist und vielen eingestreuten Scldeim-follikeln. Siehe das N\u00e4here in dem Abschnitt von der Absonderung. In chemischer Hinsicht scheinen sich die Schleimh\u00e4ute von dem Gewebe der \u00e4ussern Haut ganz zu entfernen. Denn die Schleimh\u00e4ute geben nach Berzelius beim Kochen keinen Leim; sie sind in Wasser ganz unl\u00f6slich und werden selbst bei langem Kochen nur hart und spr\u00f6de. Ihre Grundlage scheint daher den eiweissartigen K\u00f6rpern anzugeh\u00f6ren.\nII. Leimgehende Gewebe.\nflieher geh\u00f6ren das Zellgewebe, ser\u00f6se Gewebe, Sehnengewebe, die \u00e4ussere Haut, das leimgebende contractile Gewebe, Knorpelgewebe, Knochengewebe, elastische Gewebe, Ihre thierische Grundlage l\u00f6st sich bei l\u00e4ngerem Kochen entweder ganz in Leim auf, oder man erh\u00e4lt bei l\u00e4ngerem Kochen mehr und mehr Leim. Einige geben schon in mehreren Stunden viel Leim, wie Zellgewebe, ser\u00f6ses Gewebe, Knochen; andere erst nach 15 \u2014 18 stundigem Kochen, wie die Knorpel, die \u00e4ussere Haut, andere,","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nwie das elastische Gewebe, gehen erst nach mehrt\u00e4gigem Rochen nur wenig Leim. Die saure Aufl\u00f6sung der leimgebenden K\u00f6rper wird von Kaliumeisencyanid nicht gef\u00e4llt.\n1.\tZellgewebe. Es besteht aus durcheinander gewirkten B\u00fcndeln von Fasern, welche L\u00fccken zwischen sich lassen. Die B\u00fcndel bestehen aus parallelen durchsichtigen Fasern von 0,0007 engl. Lin. Durchmesser. Die Primitivfasern Laben durchaus ge-radlinigte Begrenzung und zeichnen sieb durch ihre geschwungene Form aus, welche an die des lockigen Haars erinnert. Diess Gewebe l\u00f6st sich beim Kocl en ganz in Leim auf.\n2.\tDas leimgebende contractile Gewebe der Tunica dartos gleicht mikroskopisch ganz dem Zellgewebe, aber es ist blassr\u00f6th-lich und seine Faserb\u00fcndel bilden weniger Maschen, und folgen mehr derselben Direction. Es wird durch Kochen ganz in Leim aufgel\u00f6st.\n3.\tGewebe der ser\u00f6sen H\u00e4ute, es besteht ebenfalls aus durcheinander gewirkten Fasern, die weniger L\u00fccken oder Maschen bilden, und deren B\u00fcndel inniger aneinander liegen. Sein Leim stimmt ganz mit dem Leim der vorhergehenden Gebilde \u00fcberein.\n4.\tSehniges oder fibr\u00f6ses Gewebe. Es besteht aus Fasern, die ohne Maschen zu B\u00fcndeln vereinigt sind, die bald in gleicher bald in kreuzenden Richtungen verlaufen. Seine Primitivfasern gleichen den Zellgewebefasern in Form und Dicke. Gr\u00f6ssere Massen oder H\u00e4ute dieses Gewebes haben ein atlasgl\u00e4nzendes Ansehen, und auch die B\u00fcndel zeigen wegen der welligen Lage der Fasern abwechselnde helle und dunklere Stellen. Schon innerhalb 3 Stunden erh\u00e4lt man durch Kochen sehr viel Leim aus Sehnencewebe.\n5.\tGewebe der \u00e4ussern Haut. Das Substrat der Haut, in welches vielerlei Organe wie die Haarb\u00e4lge, Talgb\u00e4lge, Schwciss-driisen eingesenkt sind, besteht aus durcheinander gewirkten Fasern. Die Oberfl\u00e4che, der Haut bildet kleine Erh\u00f6hungen, die Papillen, welche vor i dem Rete malpighii und der Epidermis \u00fcberzogen werden. Letztere geh\u00f6ren den sp\u00e4ter zu beschreibenden Hornbildungen an. Die Haut l\u00f6st sich beim langen (20 st\u00e4ndigen) Kochen ganz oder gr\u00f6sstentheils in Leim auf. Auf der F\u00e4higkeit des Leims sich mit dem Gerbestoff zu einer der F\u00e4ul-niss widerstehenden Verbindung zu vereinigen, beruht das Gerben der H\u00e4ute. Die Structur mehrerer der hier erw\u00e4hnten Gewebe wird sp\u00e4ter ausf\u00fchrlicher erl\u00e4utert. Ucber die Structur des Zellgewebes siebe den Abschnitt von des Absonderung, \u00fcber die Tunica dartos den Abschnitt von den Bewegungen, \u00fcber die '\u00e4ussere Haut die Folge des gegenw\u00e4rtigen Abschnitts.\nDer Leim aus allen vorhergenannten Geweben ist der gew\u00f6hnliche oder Tischlerleim, Colla, weldier von Gerbestoff, Chlor, Sublimat, Weingeist gef\u00e4llt wird, von Alaun, Essigs\u00e4ure, essigsaurem Bleioxyd uud schwefelsaurer Thonerde aber nicht gef\u00e4llt wird. Der von Weingeist gef\u00e4llte Leim l\u00f6st sich in heissem Wasser wieder auf. Die von mir beschriebene eigentb\u00fcmlicbe Leimart der permanenten Knorpel stimmt in vielen Punkten mit dem gew\u00f6hnlichen Leim \u00fcberein, unterscheidet sich aber davon","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"1. Ern\u00e4hrung. Chemische Zusammensetzung der Organe. 365\ndurch folgende Punkte. Er wird von Alaun, schwefelsaurer Tlionerde, Essigs\u00e4ure, essigsaurem Bleioxyd gef\u00e4llt. Die F\u00e4llung von Alaun wird von \u00fcbersch\u00fcssigem Alaun wieder aufgel\u00f6st, die F\u00fcllung von Essigs\u00e4ure durch \u00fcbersch\u00fcssige Essigs\u00e4ure nicht aufgel\u00f6st. K\u00e4sestoff wird zwar von den Reagentien des Knorpelleims oder Chondrins auch gef\u00e4llt, unterscheidet sich aber vom Chondrin durch den Mangel des Gelatinirens, durch sein \\ erhalten zum Kaliumeisencyanid und durch das Verhalten zum Alaun und zur Essigs\u00e4ure. Die F\u00e4llung des K\u00e4sestoffs von Alaun wird von \u00fcbersch\u00fcssigem Alaun nicht aufgel\u00f6st, die F\u00e4llung von Essigs\u00e4ure wird von \u00fcbersch\u00fcssiger Essigs\u00e4ure aufgel\u00f6st.\n6. Knorpel. Ueber die Structur der Knorpel siebe Purkinje und Deutsch de penitiori ossium structura. Vratisl. 1834. Arnold in Tiedemabh\u2019s Zeitschrift. V. 2. Miescher de inflammatione ossium eorumque anatomia generali Berol. 1836. J. Mueller \u00fcber die Structur und die chemischen Eigenschaften der Knorpel und Knochen. Poggend. Ann. XXXVIII. Purkinje und Meckhauer de penitiori cartilaginum structura. Vratisl. 1836. Die Knorpel zerfallen in 4 Klassen:\na.\tKnorpel mit Knorpelk\u00f6rperchen. Die meisten permanenten Knorpel und auch der Knochenknorpel vor der Ossification bestehen aus einer tr\u00fcb durchscheinenden, undeutlich faserigen Substanz, worin ovale, meist platte mikroskopische K\u00f6rperchen eingestreut sind, die von Purkinje zuerst beobachteten Knorpelk\u00f6rperchen, diese selbst enthalten oft noch einen durchsichtigen Kern oder mehrere K\u00f6rnchen in ihrem Innern. Alle diese Knorpel geben beim Kochen nach meinen Beobachtungen Chondrin, keinen gew\u00f6hnlichen Leim, Rippenknorpel, Kehlkopfknorpel gr\u00f6sstentheils Luftr\u00f6hrenknorpel, Nasenknorpel, Knorpel der Eustach. Trompete, Knochenknorpel vor der Ossification, Gelenkknorpel.\nb.\tChondrinhaltige Faserknorpel. Die Cornea ausser einem feinen Ueberzug von Epithelium, von der gew\u00f6hnlichen sp\u00e4ter zu beschreibenden Structur des Epitheliums, 3 Schichten, die erste feine Schicht wird in heissem Wasser sogleich in einem Augenblick sebneeweiss, die innerste feine Schicht ist die Membrana Desmoursii, die sich an die Lamina fusca der Sclerotica anschliesst; die mittlere Schicht oder Hauptsubstanz der Cornea besteht aus sich durchkreuzenden B\u00fcndeln von hellen Fasern ohne Knorpelk\u00f6rperchen. Sie l\u00f6st sich nach meinen Beobachtungen beim Kochen ganz in Chondrin auf.\nc Spongi\u00f6se Knorpel. Sie sind von Miescher entdeckt. Es geh\u00f6ren hieher die gelblichen Knorpel des \u00e4ussern Ohres, der Kehldeckel, die Santorinischen und Wrisbergschen Knorpel des Kehlkopfes. Sie sind gelb und enthalten keine Knorpelk\u00fcr-perchen, sondern sind durch und durch schwammig, grosszellig, geben nach mehrt\u00e4gigem Kochen nur \u00e4usserst weniges nicht ge-latinirendes Extract, dessen chemische Eigenschaften mit dem Chondrin \u00fcbereinstimmen, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen chondrinhaltigcn Knorpel in 15 \u2014 20 Stunden sich in gelatinirendes Chondrin aull\u00f6sen.","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366 II. Buch. Organ, chemische Processe. IL Ahsclin. Ern\u00e4hrung.\nd. Ligament\u00f6se Knorpel, welche heim Kochen kein Chondrin, sondern nur gew\u00f6hnlichen Leim gehen, Ilieher geh\u00f6ren die Zwischengelenkknorpel, die Ligamenta intervertehralia, Symphysen. Der aus ihnen von mir gewonnene Leim stimmt durchaus mit dem Leim der Sehnen und ist kein Chondrin. Sie enthalten auch keine Knorpelk\u00f6rperchen, sondern bestehen ganz aus Fasern. Die auch faserige Substanz der Augenliedknorpel ist in chemischer Hinsicht noch nicht untersucht. Die Knorpel der Knorpelfische sind nicht wesentlich vom Knorpel der \u00fcbrigen Thiere verschieden, wie meine Untersuchungen zeigen. Nach tagelangem Kochen l\u00f6sen sie sich in Leim auf, der nicht gelati-nirt aber mit Chondrin sehr nahe \u00fcbereinstimmt. Sie enthalten meist aber wenig Knorpelk\u00f6rperchen. Bei den Cyclostomen fand ich ausser dem gew\u00f6hnlichen Knorpel, auch viele spongi\u00f6se Knorpel vom Bau des Ohrknorpels des Menschen. Bei den wirbellosen Thieren entfernt sich die Knorpel genannte Materie chemisch ganz vom Knorpel, und ist in lieissem Wasser selbst nach dem l\u00e4ngsten Kochen ganz unl\u00f6slich.\nDie mineralischen Bestandtheile der Knorpel ergeben sich aus einer Analyse von Frommherz und Gu\u00fcert. Die Rippenknorpel eines 20j\u00e4hrigen Mannes gaben Gtjgert nach dem Verbrennen eine Asche, aus welcher sich die Kohle nicht vollst\u00e4ndig wegbrennen liess. Vom Knorpel enthielten 100 Theile Asche\nKohlensaures Natron ....\t35,06\nSchwefelsaures Natron .\t.\t.\t24,24\nChlornatrium .................8,23\nPhosphorsaures Natron .\t.\t.\t0,02\nSchwefelsaures Kali ....\t1,20\nKohlens\u00e4uren Kalk .... 18,37 Phosphorsauren Kalk ....\t4,05\nPhosphorsaure Kalkerde .\t.\t.\t6,90\nEisenoxyd und Verlust .\t.\t.\t0,99\nBei einer 63j\u00e4hrigen Frau waren dieselben l\u00f6slichen Bestandtheile in geringerer Menge, der phosphorsaure Kalk in gr\u00f6sserer Menge als der kohlensaure Kalk enthalten. Die Knorpel enthalten \u25a0\u00a7\u25a0 ihres Gewichtes Wasser.\n7. Knochen. Knochen mit verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure behandelt, lassen den Knorpel zur\u00fcck, w\u00e4hrend dm Knochenerde von der S\u00e4ure aufgel\u00f6st wird. Der Knorpel verwandelt sich beim Kochen ganz in Leim. Die Knochenerde der h\u00f6heren Thiere besteht fast gr\u00f6sstentheils aus phosphorsaurer Kalkerde mit kohlensaurer Kalkerde, und mit geringen Quantit\u00e4ten phosphorsaurer Talkerde und Fluorcalcium. Die phosphorsaure Kalkerde der Knochen ist basisch in einer eigenth\u00fcmlichen Verbindung, die man sonst immer durch Niederschlagung der phosphorsauren Kalkerde mit \u00fcbersch\u00fcssigem Ammoniak erh\u00e4lt. Irn Urin ist die phosphorsaure Kalkerde sauer und aufgel\u00f6st, in der Knochenerweichung scheint mehr dieses aufgel\u00f6sten Salzes durch den Urin ausgeschieden zu werden.","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"1. Ern\u00e4hrung. Chemische Zusammensetzung der Organe. 367\nKnorpel in Wasser v\u00f6llig l\u00f6slich\nGef \u00e4sse......................\nBasische phosphorsaure Kalkerde Kohlens\u00e4ure Ivalkerde ....\nFluorcalcium..................\nPhosphorsaure Talkerde\n\u25a0sT\u2019\nNatron mit sehr wenig Kochsalz\nMensch.\tOchse.\n32,171 1,13J\t33,30\n51,04\t55,15\n11,30\t3,85\n2,00\t2,90\n1,16\t2,05\n1,20\t2,45\n100,00\t100,00\nDie Knochen eines Kindes enthalten nach Schreger des Erwachsenen des Greises \u2022\u00a7\u25a0 erdige Bestandtheile. E. H. Weber Anal. 1. 316. Ueber kranke Knochen Rostock, Med. dar. Transact. Vol. 4.\nDass die phosphorsaure Kalkerde als solche in den Knochen vork\u00f6rnmt, beweist die Affinit\u00e4t der Rubia tinctorum zu den Knochen lebender Theile, welche sie roth f\u00e4rbt.\nUeber die Structur der Knochen siehe Deutsch, Miescher und 1. Mueuter a. a. O.\t.\u2014\nDer Knochenknorpel hat Im Allgemeinen die Structur der permanenten Knorpel, und stimmt vor der Ossification ganz damit \u00fcberein. Wird der von der Kalkerde befreite Knorpel l\u00e4ngere Zeit in verd\u00fcnnten S\u00e4uren macerirt, so zerf\u00e4llt er in Schichten die sich wie die Schalen einer Zwiebel abl\u00f6sen lassen. Auch an frischem Knochenknorpel kann man die Schichten erkennen, sie laufen in der Richtung der Fl\u00e4che der platten Knochen, con-centrisch an den R\u00f6hrenknochen, ausserdem gieht oS auch secun-d\u00e4re concentrische Schichten, deren Systeme von denjenigen Schichten umfasst werden, welche von der Oberfl\u00e4che der R\u00f6hrenknochen concentrisch verlaufen. Im Centrum der secund\u00e4ren Schichten verlaufen die Knochenkan\u00e4lchen, welche Fett und Ge-f\u00e4sse enthalten und \u00fcberall auf Durchschnitten der Knochen bemerkt werden. Sie sind im Kleinen, w'as die Markh\u00f6hle der R\u00f6hrenknochen im Grossen ist. Die Markkan\u00e4lchen oder Fett-k'ui\u00e4lchen laufen in den R\u00f6hrenknochen der L\u00e4nge nach und anastomosiren hier und da; in den spongi\u00f6sen Knochen werden sic durch die Markzellen oder Fettzellen ersetzt. Mehreres vom feineren Bau der Knochen kann am Knochenknorpel selbst nicht, hl aber an fein geschliffenen Knochenpl\u00e4ttchen erkannt werden In solchen feinen Pl\u00e4ttchen erkennt man mit dem Mikroskop ovale K\u00f6rperchen von der Gestalt der Knorpelk\u00f6rperchen, die sonenannten Knochenk\u00f6rperchen. Von jedem derselben gehen radiale zum Theil etwas verzweigte sehr feine Kan\u00e4lchen aus Der Durchmesser dieser radialen Kan\u00e4lchen ist, 0,0002 \u2014 0 0003 Lin Sie sind dunkel bei durchscheinendem Lichte, wie auch die Knochenk\u00f6rperchen, w\u00e4hrend die Zwischensubstanz der K\u00f6rperchen und Kan\u00e4lchen an feinen Pl\u00e4ttchen ganz durchsichtig ist. Bei auffallendem Lichte erscheinen die K\u00f6rperchen und Kan\u00e4lchen vreiss. Nach der Behandlung mit S\u00e4uren werden diese aanz durchsichtig, woraus sich schliessen l\u00e4sst, dass unor-\n\u00fc","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368 II. Buch, Organ, chemische Processe. II. Alschn. Ern\u00e4hrung.\ngallische Deposita in den W\u00e4nden oder im Innern dieser Theil-chen enthalten seyn m\u00f6gen. Die Hauptmasse der Kalksalze ist \u00fcbrigens in der durchsichtigen Zwischenmasse, dem haupts\u00e4chlichen Theil der Knochen enthalten. Diess sieht man, wenn man die Knochenpl\u00e4ttchen mit Pottasche kocht, welche den Knorpel ganz oder gr\u00f6sstentheils l\u00f6st, w\u00e4hrend die Kalksalze weiss, zwischen den radialen Figuren Zur\u00fcckbleiben. Ob die Kalksalze an diesen Theil des Knochens chemisch gebunden oder sehr fein darin abgesetzt sind, ist noch unbekannt.\nDer thierische Bestandtheil des Knochens oder sein Knorpel besteht aus Leim. Sehr merkw\u00fcrdig ist, wie meine Beobachtungen gezeigt haben, dass der Leim des Knochenknorpels vor der Ossification Chondrin, nach der Ossification aber gew\u00f6hnlicher Leim ist. Auch wenn permanente Knorpel krankhaft ossificiren, wie die Kehlkopfknorpel, enth\u00e4lt das Ossificirte statt Chondrin nun gew\u00f6hnlichen Leim. Die von Ost\u00e9omalacie erweichten Knochen geben nicht einmal mehr Leim beim Kochen und enthalten ausserordentlich viel Fett.\nDas knorpelige Skelet der Haifische undPiochen besitzt eine ossificirte Rinde, die aus lauter mosaikartig zusammengef\u00fcgten kleinen Knochenpl\u00e4ttchen oder S\u00e4uleben zusammengesetzt ist. Die sogenannten Hautknochen der Thiere d\u00fcrfen nicht mit den Hornbildungen auf der Haut verwechselt werden. Die Hautknochen der G\u00fcrtelthiere, Schildkr\u00f6ten, St\u00f6re u. a., so wie die kn\u00f6chernen Hautschilder der Crocodile und kn\u00f6chernen Schuppenkerne der Eidechsen si \u00ab d organisirt wie andere Knochen, das Horn ist dagegen gef\u00e4sslos und entsteht durch Absonderung. Auf den orgar\u2018sirten \u2022 Entknochen liegt noch Horn, so die Epidermis auf \u00fcen Hautschildern der G\u00fcrtelthiere, Crocodile, das Schildpatt aul der Schale der Schildkr\u00f6ten, das Horn auf den Knocbcnschildern der Croc\u00f6dile und die Epidermis auf den Schuppenkernen der Eidechsen.\n8. Elastisches Gewebe. Diesem Gewebe ist es eigen, dass, seine Fasern sowohl an St\u00e4rke sehr ungleich sind, als auch untereinander anastomosiren, welches letztere von keinen anderen Fasern bekannt ist. So verh\u00e4lt sich das elastische Gewebe \u00fcberall, in der mittlern Haut der Arterien, in den elastischen Fasern der Luftr\u00f6hre, in den Kehlkopfb\u00e4ndern, in den gelben B\u00e4ndern der Wirbels\u00e4ule, wie im Ligamentum nuchae der Thiere. Das elastische Gewebe ist gelb, beh\u00e4lt seine Elasticit\u00e4t unver\u00e4ndert, wenn es auch noch ^so lange in Weingeist aufbewahrt und selbst, wenn es viele Tage gekocht wird. Es gieht beim Rochen \u00e4us-serst schwer und erst nach mehreren Tagen sehr wenig Leim; aber dieser Leim ist eigenth\u00fcmlich und kann daher nicht von dem Zellgewebe in elastischen Theilen herr\u00fchren. Er n\u00e4hert sich sehr dem Chondrin an, dem er jedoch nicht ganz gleicht. Er wird von essigsaurem Blei, von Essigs\u00e4ure stark getr\u00fcbt, von Alaun und schwefelsaurer Thonerde gef\u00e4llt, aber schwefelsaures Eisenoxyd f\u00e4llt ihn nicht und macht ihn nur opalisirend. Siehe Eulekbf.rc. de /ela elastica. Bcrol. 18'J\u00f6. und J. Mueller in Pog-GEKI3. Ann. XXXVIII.","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Ern\u00e4hrung. Einfluss der Nerven.\n369\nc. Einfluss fier Nerven.\nUeber die Nolhwendigkeit des Nerveneinflusses nuf die Er-n\u00e4lirung ist man noch sehr im Dunkeln. L\u00e4hmungen des Ge-liirns und R\u00fcckenmarkes zeigen zuweilen gar keinen Einfluss auf die Ern\u00e4hrung. In vielen F\u00e4llen sind die gel\u00e4hmten Theiie abgezehrt, welker, und was besonders den Einfluss der Nerven auf die Ern\u00e4hrung erweist, die gel\u00e4hmten Theiie sind leicht nach Verletzungen dem Brande unterworfen. Schr\u00f6der v. d. Kolk hat beobachtet, dass in gel\u00e4hmten Gliedern zuweilen Umwandlung der Muskelsubstanz in Fett und Verkn\u00f6cherung der Arterien erfolgt.\nBei dem Embryo zeigt sicli die Ern\u00e4hrung von dem Gehirne sehr unabh\u00e4ngig, indem z. B. hirnlose Missgeburten vollkommen ern\u00e4hrt, bis zur Geburt ausgebildet werden. Dagegen hat man hei dem Mangel gewisser Nerven meist auch einen entsprechenden Mangel des Organes gefunden, und bei dem Mangel der Organe entsprechenden Mangel der Nerven. Tiedemann beobachtete in 3 F\u00e4llen Mangel der Riechnerven mit undurchl\u00f6cherter Sieb-platte und Gaumenspalte. Der Mangel der Augen ist mit Mangel ihrer Nerven verbunden. Tiedemann\u2019s Zeitschr. J. Physiol. 1. 76. Mayer hat eine Missgeburt beschrieben, an welcher die unteren Extremit\u00e4ten bis auf den Defect von 2 Zehen an der linken vorhanden waren, aber mit dem Mangel des Urinsystems und sehr mangelhafter Entwicklung der Genitalien auch die Cauda equina sehr mangelhaft entwickelt war, indem das R\u00fcckenmark in der Gegend des 12. R\u00fcckenwirbels stumpf endigte: die Nerven der unteren Extremit\u00e4ten waren vorhanden. Tiedemann\u2019s Zeilsehr. Jiir Physiol. 2. 41. Bei mehreren defecten Missgeburten sollen zwar die Nerven ganz gefehlt haben, diess kann man aber ziemlich sicher auf die Schwierigkeit undUngcnauigkeit der Untersuchung schieben. Vergl. Mayer a. a. O. Bei den ncephalen Missgeburten, die bloss aus einer Extremit\u00e4t bestanden, (siehe oben p. 196.) ist doch noch eine knotige Nervenmasse gefunden worden, von welcher die Nerven der Extremit\u00e4t abgehen, und welche als Rudiment des R\u00fcckenmarks zu betrachten ist. Die gegenseitige Bedingung der Organe und der Nerven l\u00e4sst sich sehr gut bei der Verwandlung der Insekten und Amphibien beobachten. So wandelt sich das Nervensystem der Insekten bei der Verwandlung nach den sp\u00e4teren Organtheilcn um; Lei der Raupe sind die Knoten des Nervenstranges gleich den Abtheilungen des K\u00f6rpers mehr gleichartig, hei der Verwandlung, wenn sieh einzelne Abtheilun-gen des K\u00f6rpers weiter ausbilden, Extrem't\u00e4ten und Fl\u00fcgel entstehen , verschmelzen mehrere Knoten zu gr\u00f6sseren Massen , den Stellen entsprechend, welche neue Organe erhalten haben. Herold Entwicklungsgeschichte des Schmetterlings. Cassel 1815. Bei der Verwandlung der Froschlarven schwindet mit dem Schw\u00e4nze das End-theil des R\u00fcckenmarks, w\u00e4hrend mit den Extremit\u00e4ten ihre Nerven sich bilden.\nMan muss sich \u00fcbrigens wohl h\u00fcten, die gegenseitige B( dili\u00bb Miillcr\u2019s Physiologie. 1.\t21","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\ngang von Nerven und Organ so zu verstehen, dass die Erzeugung der Organe von der Pr\u00e4existenz der Nerven abh\u00e4nge. In der Keimsubstanz, in welcher noch die ganze organisirende Kraft ruht, werden Nerven und Organ durch eine und dieselbe Kratt erzeugt. Wenn aber einmal die Organe erzeugt sind, scheint ihre best\u00e4ndige Restauration von dem Einfl\u00fcsse der Nerven zugleich mit abzuh\u00e4ngen. Mehrere Thiere bilden, selbst im sp\u00e4tem Leben, verlorne Theile wieder. Die Salamanderlarven erzeugen abgeschnittene Extremit\u00e4ten, Kiemen, Unterkiefer, Auge wieder. Hier ist es zweifelhaft, ob die in dem Ganzen verbreitete organisirende Kraft, wie hei der ersten Entwicklung, diese Theile nach erzeugt, oder ob die noch unversehrt vorhandenen Centraltheile des Nervensystems die Wiedererzeugung der Theile, zu welchen sie Nerven ausschicken, einleiten. Der Salamander soll die Extremit\u00e4t nicht wieder erzeugen, wenn der Nerve \u00fcber dem Stumpfe abermals durchschnitten worden (?).\nGegen den Einfluss der Nerven auf die Ern\u00e4hrung konnte man anf\u00fchren, dass die Knochen sich regeneriren, ohne Nerven zu besitzen, indessen doch auch die ern\u00e4hrenden Gef\u00e4sse der Knochen so gut wie andere Theile mit feinen Zweigelchen von Nerven, die dem N. sympathicus angeh\u00f6ren, versehen seyn k\u00f6nnen.\nWir besitzen wenig directe Erfahrungen \u00fcber den Einfluss der Nerven hei den Actionen in den kleinsten Gef\u00e4ssen. Magendie sah, dass Brechmi'ltel in die Venen eingespritzt, Lungen- und Magenentz\u00fcndung bewirken, dass diese aber viel geringer war, wenn die Nervi vagi vorher durchschnitten waren. Magendie beobachtete, dass auch nach Durchschneidung des N. trigeminus starke Reize an dem Auge keine Augenentz\u00fcndung erregten, dass aber nach einigen Tagen an dem Auge sich eine Entz\u00fcndung mit Exsudation im Innern einstellte, auch wenn das Auge nicht gereizt worden. Journ. //. physiol. 4. ITC. 304. Dupuy hat nach Ausschneidung des Ganglion cervicale supremum nervi sympathici eine Augenentz\u00fcndung entstehen gesehen, was Mayer bei Unterbindung des N. sympathicus best\u00e4tigt hat. Graefe und Walthf.r\u2019s Journ. 10. 3. Schr\u00f6der durchschnitt hei einem Hunde an dem einen Beine den N. ischiadicus und crura lis, und verwundete beide F\u00fcsse. Am folgenden Tage war die Wunde des paralytisch\u00e8n Beines trockner als xlie des gesunden; innerhalb 3 Wochen entwickelte die Wunde des gesunden Fusses Viel st\u00e4rkere Entziin\u2014 dungspli\u00e4nomene; es entstand Eiterung und Granulation, an dem paralytischen Fusse fehlte fast die Entz\u00fcndung der Wunde, eine weisse Materie wurde ausgeschieden, welche verschorfte. Die Wunde war blass. Ohseru.anat.pathul. 1826. 14. Ich habe nach Durchschneidung des N. ischiadicus, die ich wegen Reproduction der Nerven vornahm, unter mehreren F\u00e4llen beim Kaninchen einmal beobachtet, dass das Thier an dem paralytischen Beine an der Ferse sich aufging, wo ein Decubitus entstand. Es geh\u00f6ren liieher auch die pl\u00f6tzlichen Ver\u00e4nderungen des Zustandes der Wunden nach Gem\u00fcthsbewegungen, worauf Wunden oft schnell ihr gutes Ansehen ver\u00e4ndern, wie Vering und Langenbeck. berichten. Siehe Schr\u00f6der v. d. Kolk a. a. O. p. 28.","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom TVaclistlium. Wachsthum durch Intussusception 371\nUeber den Vorzugs weisen Antlieil des sympathischen Nerven an der Ern\u00e4hrung irn Gegens\u00e4tze der Cerehro-Spinal-Nerven weiss man nichts, als dass die Ern\u00e4hrung eines Theiles nach Durchschneidung seiner vom Gehirne oder R\u00fcckenmarke kommenden Nerven nicht aufh\u00f6rt.\nII. Capitel. Vom Wachst hum.\nDas Wachsthum der Theile organischer Wesen geschieht auf zweifache Art. Entweder geschieht es von allen, kleinen Partikeln zwischen den Capillargef\u00e4ssen aus, .indem sich zugleich die Anzahl der Gef\u00e4sse vermehrt, und so wachsen die organisirten, mit Blutgef\u00e4ssen versehenen Theile, oder das Wachsthum geschieht durch schichtweise Apposition von Bildungsstoff\u2019, der von einer organisirten Matrix abgeschieden wird, w\u00e4hrend die durch Apposition wachsenden Theile keine Gef\u00e4sse besitzen.\na. Von dem W ach stimm der organisirten Theile durch Intussusceptio.\nDie Erzeugung von Gef\u00e4ssen scheint fast \u00fcberall zu den ersten Acten der organisirenden Kraft zu geh\u00f6ren. So entstehen sie in dem hei der Entz\u00fcndung und nach der Conception im Uterus ausgeschwitzten Faserstoff, durch Wechselwirkung der ausgeschwitzten Materie mit der exsudirenden organisirten Oberfl\u00e4che. Von allen organischen Materien ist es der irn Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff, der diess Princip des Lebens in sich enth\u00e4lt, dass er seihst im ausgeschwitzten Zustande noch organisirt wird, sobald er mit organisirten Theilen in Ber\u00fchrung ist. Die erste Entstehung und Vervielf\u00e4ltigung der Gef\u00e4sse l\u00e4sst sich in der Keimhaut des Eies beobachten. Die Keimscheibe vergr\u00f6ssert sich zur Keimhaut; diese zeigt bald eine obere d\u00fcnnere Schichte (ser\u00f6ses Blatt) und eine untere dickere Schichte (Schleimblatt). Um die in der Mitte der Keimhaut sich zeigende Spur des Embryo erscheint ein durchsichtiger Hof, slrca pellucida, w\u00e4hrend der \u00e4ussere Tlieil der Keimhaut undurchsichtig bleibt, und dieser undurchsichtige Theil der Keimhaut wird bald wieder durch eine Abgrenzung in ein \u00e4usseres und inneres ringf\u00f6rmiges Feld abge-theilt, heim Vogel in der 16.\u201420. Stunde. Diese Abgrenzung schliesst zun\u00e4chst den einen Theil des undurchsichtigen St\u00fcckes der Keimhaut ein, welches den innersten oder durchsichtigen Hof der Keimhaut umgiebt, und Area vasculosa genannt wird, weil sich innerhalb dieses Hofes das Blut und die Gef\u00e4sse bilden. So weit die Area vasculosa reicht, zeigt sich zwischen den Bl\u00e4ttern der Keimhaut eine k\u00f6rnige Lage, welche sich bald in k\u00f6rnige dichte Inseln und rinnenl\u00f6rmige Zwischenr\u00e4ume zertheilt, in denen sich zuerst eine gelbliche, hernach rothe Fl\u00fcssigkeit, das Blut, sammelt. Zuerst sieht man das Blut in der Peripherie der Area vasculosa. Alhn\u00e4hlig theilt sich die k\u00f6rnige Lage zwischen beiden Bl\u00e4ttern \u00fcberall in solche Substanzinseln und Rinnen. Das Herz\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372 II. Buch. Organ, chemische Prncessc. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\nselbst entstellt, wie die grossen Gcf\u00e4ssst\u00e4mme, ancli zwischen beiden Blattern. C. F. Wolff (Theorie der Generation. Verl. 1764.) bat nun auf eine bewundernsw\u00fcrdige Weise gezeigt, wie an den Binnen erst die Gef\u00e4ssw\u00e4nde allm\u00e4hlig entstehen, indem die Substanzinseln zuerst in der Mitte durchsichtiger werden, und allm\u00e4hlig sich der dichtere und undurchsichtigere Tlieil der Substanzinseln gegen die Str\u00f6rnchcn hm verschm\u00e4lert, in gleichem Grade, als die' Durchsichtigkeit der Sujistanzinseln von der Mitte sich ausdehnt. Bei ganz jungen filieren, z. B. jungen Fischchen, l\u00e4sst sich, wie D\u00f6llinger (Denkschriften der\u2014dcadcnuc\tManchen.\n7.) that, das Entstehen neuer Str\u00f6rnchcn w\u00e4hrend des Wachsthums des Schwanzes beobachten. Bei ganz jungen Fischclien kehrt anfangs das arterielle Str\u00f6rnchcn am Schwanzende ohne Weiteres in einem ven\u00f6sen Str\u00f6rnchcn um, mit dem Wachsthum des Fischschw\u00e4nzchens vermehren sich die Gef\u00e4ssscblingen. Am einfachsten w\u00e4re nun, sich vorzustellen, dass die organische Substanz um die Str\u00f6mcben her die fl\u00fcssigen Theile des Blutes, aufgel\u00f6stes Eiweiss und Faserstoff anziehen, und indem sie sich damit tr\u00e4nken, sich wie beim ersten Entstehen der Gef\u00e4sse in der Keimhaut in Rinnen und feste Zwischenstellen theile. So l\u00e4sst sich auch die Entstehung der neuen Gef\u00e4sse in dem ausgeschwitzten Faserstoffe bei den Entz\u00fc jdungen am leichtesten denken, indem n\u00e4mlich der exsudirte \u25a0 Liquor sanguinis sich allm\u00e4hlig verdichtet, aber auch durch die permeabeln Capillargelassw\u00e4ndchen hindurch wieder Liquor sanguinis anzielit, der sich in den entstehenden Rinnen der Substanzinseln vertheilt, worauf sp\u00e4ter auch Blutk\u00f6rperchen in die erweiterten neuen Gef\u00e4sschen aufgenommen werden. Denn dass sich die Gef\u00e4ssenden in die neue Materie verl\u00e4ngern sollen, ist eine ungereimte Vorstellung, zumal da es keine Gef\u00e4ssenden, sondern nur Capillargef\u00e4ss\u00fcberg\u00e4nge zwischen arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Str\u00f6mclien giebt.\nEine genaue Zusammenstellung aller Beobachtungen hat All. Thomson, Froriep\u2019s Aot. N. 7-S3. gegeben.\nMit dieser Vorstellung von der Entstehung der neuen Gef\u00e4sse sind aber die Beobachtungen von D\u00f6llinger nicht \u00fcbereinstimmend. D\u00f6llinger bat eine doppelte Entstehung neuer Str\u00f6mcben beschrieben. 1) Die arteriellen Str\u00f6mclien bahnen sich neue Seitenwege in die wachsende Substanz. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Blutk\u00f6rperchen sich solche neue Wege zuerst bahnen und zuf\u00e4lligerweise ein ven\u00f6ses Str\u00f6mclien wieder aiitreffen. Die Einm\u00fcndung der neuen Str\u00f6mclien in ein ven\u00f6ses Str\u00f6mclien w\u00e4re neuerdings zu erkl\u00e4ren, worin ja \u00fcberhaupt die ganze Schwierigkeit liegt. So lange nicht durch Tr\u00e4nkung der Substanz mit Liquor sanguinis und Theilung der Partikeln zwischen arteri\u00f6sen und ven\u00f6sen Str\u00f6mclien neue Rinnen entstehen, ist die Einm\u00fcndung der neuen Str\u00f6mclien in ven\u00f6se Str\u00f6mclien sehr schwierig einzusehen. 2) Eine zweite Art der Entstehung neuer Str\u00f6mcben hat D\u00f6llinger folgendermassen dargestellt: In der N\u00e4he des fliessenden Blutstroms ger\u00e4tli ein Streifen des unbeweglichen Thierstoffes in Bewegung; es bildet sich gleichsam ein bewegliches S\u00e4ulchen aus dem, was D\u00f6llinger Schleimk\u00f6rner","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom Wachsihum. Wachsthum durch Intussusceptio. 373\nnennt, ein S\u00e4ulchen, das mit einem Ende fast an den Blutstrom unter einem rechten Winkel ansi\u00f6sst, mit dem andern von ihm abgekehrt ist. Dieser Streifen schiebt sich nun hin und wieder dem Blutstrome zu, vom Blutstrom ah, alles pulsirend; die K\u00f6rnchen, aus welchen der oscillirende Streifen besteht, legen sich in Ordnung an einander, und nehmen allm\u00e4hlig eine bestimmtere, weniger verflossene Gestalt an, indem sie deutlich oval werden; endlich theilt sich die oscillirende Masse in 2 Str\u00f6mchen, deren eines in arteri\u00f6ser das andere in ven\u00f6ser Bichlung l\u00e4uft. Ich gestehe gern, dass ich diese Erscheinung nicht leicht f\u00fcr den gew\u00f6hnlichen Vorgang hei der Entstehung neuer Str\u00f6mchen halten m\u00f6chte. Entweder geht die Oscillation von dem arteriellen Str\u00f6mchen aus oder nicht. Geht sie nicht davon aus, so ist die Verbindung dieser Oscillation eben so schwer einzusehen, als die Verbindung von 2 Str\u00f6mchen seihst, warum es sich \u00fcberhaupt handelt. Geht die Oscillation von dem arteriellen Str\u00f6mchen aus, und kehrt das Str\u00f6mchen, wie in D\u00f6llinger\u2019s Beobachtung, gegen den Ausgang zur\u00fcck, so hat man einen schlingenf\u00f6rmigen Anhang einer Arterie, nicht aber eine neue Schlinge zwischen Arterie und Vene. Ersteres ist aber nur in dem Falle m\u00f6glich, den D\u00f6llinger auch hervorgeboben hat, n\u00e4mlich am Ende der Hauptarterie, wo diese im Schw\u00e4nze der jungen Fischeben gerade zur Hauptvene umkehrt. Dieser Fall w\u00e4re auch an der Spitze der ^Kiemenbl\u00e4ttchen denkbar, wo arterielle Str\u00f6mchen in ven\u00f6se umkehren. Meyen (Isis 1828. Tab. VI. fig. 3.) hat indess wirklich an der Kieme der jungen Salamanderlarve die Beobachtung gemacht, dass das arterielle Str\u00f6mchen ein Aestchen an der Seitensprosse eines Kiemenbl\u00e4ttchens ausschickte, und die Blutk\u00f6rperchen daraus auch wieder auf nahm. Sp\u00e4terhin ist es freilich anders, indem die Arterie eines Kiemenbl\u00e4ttchens von der Arterie des Kiemenst\u00e4mmchens ausgeht, die Vene des Kiemenbl\u00e4ttchens nicht zu der Arterie, sondern zur Vene des Kiemenstamm-chens zur\u00fcckkehrt. Auch sonst bei den fhieren sind die Schlingen der kleinsten Gelasse nicht zugleich Anh\u00e4nge von einerlei Gef\u00e4ssart, z. B. der Arterien, sondern nur zwischen Arterien und Venen. Weitere Beobachtungen m\u00fcssen noch \u00fcber die Erzeugung neuer Capillargef\u00e4ssstr\u00f6mchen an Salamanderkiemen und anderen Tbeilen angestellt werden, um ins Klare zu kommen, ob nicht die oben von mir aufgestellte Ansicht, f\u00fcr welche vor der Hand noch keine hinreichenden Beobachtungen vorhanden sind, in vielen F\u00e4llen der Natur entspricht. ,\nBeobachtungen \u00fcber das Wachsthum verschiedener Tbcile sind noch wenig vorhanden. Wahrscheinlich findet es \u00fcberall in der Weise statt,' dass sich sowohl die Elementartheilehen der Gewebe zwischen den Str\u00f6mchen bald an Zahl, z. B. Fasern der Muskeln und Nerven, vermehren, bald an Gr\u00f6sse zufiehmen, indem die Partikeln zwischen den Str\u00f6mchen mehr Stoff apponiren, als auch, indem die Zahl der Capillargef\u00e4sse in gleichem Verh\u00e4ltnisse mit den wachsenden Partikeln zunimmt.\nDie Capillargef\u00e4sse haben an der Ern\u00e4hrung nur in so weit Antheil, als sie den SLolf zur Bildung des Elements der Gewebe","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nbergeben. Bedenkt man wie klein die Elemente der Gewebe, die Muskelfasern, Zellgewebefasern u. s. w. gegen die Capillarge-1 Visse sind, und dass bei den Insecten das Gef\u00e4sssystem sehr einfach ist und aus wenig ver\u00e4stelten Str\u00f6men besteht, so wird man von der einseitigen und mechanischen Vorstellung befreit, dass die Capillargef\u00e4sse wesentlich ausser der Zufuhr der Substanz hei der Ern\u00e4hrung und Bildung der Elemente der Gewebe eine Hauptrolle spielen sollen. Man bedenke nur, dass das Mikroskop an dem Fl\u00fcgelstaub der Insekten noch Configurationen nachweist, welche nur durch die st\u00e4rksten Vergr\u00f6sserungen sichtbar gemacht werden k\u00f6nnen, und dass hinwieder die Saftbewegung bei diesen Thieren so einfach ist. Die Bildungen der Elementartheile der Gewebe gehen in dem durch die Gef\u00e4ssw\u00e4nde durchgehenden, und die Gewebe tr\u00e4nkenden von ihnen angezogenen Liquor sanguinis vor sich und die angef\u00fchrten Thatsachen beweisen, dass diese Organisation weit von dem Einfluss der Gef\u00e4sse entfernt in dem bildsamen Stoffe vor sich gehen kann. Der Liquor sanguinis selbst strebt zur Organisation. ln der Entz\u00fcndung und im Uterus nach der Conception ergossen, ist er anfangs homogen, aber sp\u00e4ter untersucht zeigt das \u00e4ltere Exsudat schon deutliche Spuren von Faserbildung. Be 'der Ern\u00e4hrung erh\u00e4lt diess Streben eine bestimmte Richtung durch die schon vorhandenen Elementartheile der Gewebe, und durch die noch vorhandene or-ganisirende Kraft, welche im Keim alle nur potentia vorhandenen Elemente des Ganzen actu zur Erscheinung brachte, und im Erwachsenen auf die Produkte fixirt, ihre Th\u00e4tigkeit fortsetzt.\nWas man vom Wachsthurn einzelner Tlieile kennt, ist Folgendes: man weiss, dass die Knochen vorzugsweise auf der Oberfl\u00e4che und am Ende der Diaphysen wachsen, indem hier neue Knorpelschichten entstehen, die organisirt sind und ossificiren. Diess sieht man, weil die Knochen nach aussen hin sich vergr\u00f6s-sern, w\u00e4hrend das Innere der Knochen, was fr\u00fcher Knochen gewesen, wieder resorbirt und Knochenh\u00f6hle wird. Die hieher geh\u00f6renden Thatsachen findet man in E. H. Weber\u2019s classischem Werke \u00fcber die Anatomie des Menschen im ersten Theile desselben und im Dictionnaire des sciences m\u00e9dicales, art. os(eogenie. T. 38. p. 445. zusammengestellt. Nach Duhamel umschliesst ein um einen R\u00f6hrenknochen eines jungen Thieres gelegter Ring nach einiger Zeit nicht mehr den Knochen, sondern das Knochenmark. Die Knochen ver\u00e4ndern sich bis in das h\u00f6chste Alter, wie denn z. B. im hohen Alter die Hirnschale d\u00fcnner wird, indem die schwammige Diploe zum Theil verschwindet. Die F\u00e4rberr\u00f6the, Rubia tinctorum, welche eine chemische Verwandtschaft zur phosphorsauren Kalkerde hat, und bei der F\u00fctterung von allen Theilen vorzugs-weise nur die Knochen und die Z\u00e4hne roth f\u00e4rbt, f\u00e4rbt bei den Knochen das ganze Gewebe roth. Bei den jungen Tauben hat diese durchg\u00e4ngige rolhe F\u00e4rbung der Knochen nach Morand und Gibson schon in 1 Tage statt, w\u00e4hrend die Knochen erwachsener Tauben erst nach 14 Tage langer F\u00fctterung rosenrolh werden. Indessen scheinen doch die Oberfl\u00e4che und die Enden der Knochen vorzugsweise zu wach-","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vorn TVIachsthum. TVachsthum durch Intussusceptio. 375\nsen, wie die von Weber cilirten Beobachtungen beweisen. Duhamel fand, als er die Tliiere abwechselnd mit Farberr\u00f6the f\u00fctterte, und wieder nicht f\u00fctterte, abwechselnde Schichten weisser und rother Substanz, was sieh aber selten bei jungen Thieren zeigt. Zur Zeit der F\u00fctterung mit Farberr\u00f6the wurde die \u00e4us-serste Schichte roth gefunden. Hiernach r\u00e4umte Duhamel zwar die Intussusception der Knochen ein, behauptete aber doch, mit Grew, dass die Knochensubstanz vorzugsweise an der Oberfl\u00e4che schichtweise sich bilde, wie die Lagen des Holzes an den B\u00e4umen. Diess Alles ist nichts weniger als gewiss; denn in Morand\u2019s Versuchen wurden die Knochen erwachsener Tauben durchweg roth, und Duhamel sah selbst, dass die Knochen eines Hahns in 16, die einer Taube in 3 Tagen in ihrer Dicke roth wurden. Gibson, Meck. Archiv 4. 482. *). Die R\u00f6hrenknochen wachsen vorzugsweise auch an der Grenze zwischen den schon verkn\u00f6cherten St\u00fccken der Knochen und dem noch knorpelig gebliebenen Theiie, welcher das Mittelst\u00fcck von den Epiphvsen in der Kindheit trennt. Diess scheint der Versuch von J. Hunter zu zeigen, nach welchem L\u00f6cher in die beiden Enden des Mittelst\u00fccks eines R\u00f6hrenknochens beim jungen Schweine gebohrt, nach einigen Monaten sich nicht von einander entfernt hatten, so dass die \u00fcber den L\u00f6chern befindlichen Strecken des Knochens vorzugsweise gewachsen seyn mussten. Das Wachsthum der R\u00f6hrenknochen dauert daher auch nur so lange in die L\u00e4nge fort, als die Epiphysen und das Mittelst\u00fcck noch durch eine Lage Knorpel getrennt werden. Siehe Meckel, Handh. d. menschl. Anat. 1. 378. E. H. Weber Anat. 1. 339., wo man auch die Mach Weisungen \u00fcber die Litteratur findet.\nDie Knochen sind anfangs beim F\u00f6tus knorpelig, und enthalten zu allererst keine Zellen und Markh\u00f6hlen. Die Zellen der Knochen fehlen lange, sie entstehen zum Theil schon, ehe die Knorpelsubstanz des Knochens durch Vergr\u00f6sserung des Gehaltes an phosphorsaurer Kalkerde verkn\u00f6chert. Die Verkn\u00f6cherung findet von einzelnen Knochenkernen aus statt, von welchen aus die Knochenlamellen und Fasern (an den platten Sch\u00e4delknoclien radiatim) ausgehen. Der Anfang der Verkn\u00f6cherung geschieht schon im 2. Monat der Schwangerschaft. Steissbein, Kniescheibe, die meisten Hand- und Fuss wurzel knock en verkn\u00f6chern erst nach der Geburt. Dass die Natur des Leims bei der Verkn\u00f6cherung umge\u00e4ndert wird, ist schon oben erw\u00e4hnt; der Knochenknorpel besteht vor der Ossification aus dem eigenth\u00fcmlichen Leim der permanenten Knorpel, Chondrin; nach der Ossification findet sich dieser nicht mehr vor, der Knochenleim ist \u00fcbereinstimmend mit dem Leim der Sehnen des Zellgewebes und der \u00e4ussern Haut. So verh\u00e4lt sich dieser Leim sowohl, wenn er durch Kochen ge-\n*) Aber \u00fcberhaupt, l\u00e4sst sieb aus diesen Versuchen mit Farberr\u00f6the -wenig, sehliessen; denn die F\u00e4rbung der Knochen von F\u00e4rberr\u00f6lhe lehrt nichts \u00fcber die Ern\u00e4hrung der Knochen, sondern ist eine blosse Folge davon, dass die Knochen von Blutgef\u00e4ssen durchzogen sind, von welchen aus die f\u00e4rberr\u00f6lhe sich mit den Kalksalzen der Knuchcn verbindet.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376 IL Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nraspelter Knochen, als wenn er durch Kochen von Knochenknorpel nach Extraction der Kalksalze erhalten wird. Die Entwicklungsgeschichte der Knochen wird \u00fcbrigens im 8. Buche dieses Werkes abgehandelt.\nEs ist eine ganz irrige Vorstellung, wenn man glaubt, ein organisirter Theil k\u00f6nne das Ern\u00e4hrungsorgan eines andern or-ganisirten Theiles seyn, z. B. die Knochensubstanz werde von der Beinhaut gebildet, der Knochen von der Beinhaut ern\u00e4hrt. Die Knochensubstanz muss, weil sie selbst organisirt ist, auch selbst assimiliren. Nur unorganisirte Theile, weiche keine Gef\u00e4sse enthalten, wie die Haare, N\u00e4gel, Z\u00e4hne, Crystalllinse, werden von einer organisirten Matrix erzeugt, und durch Apposition neuen Stoffes erhalten. Dass die Knochensubstanz durch die Beinhaut gebildet werde, diese Vorstellung halte ich f\u00fcr eine des jetzigen Zustandes der Physiologie unw\u00fcrdige Barbarei. Die Knochen erhalten von der Beinhaut und von der Markhaut aus Gef\u00e4sse, sie sterben daher ab, wenn Beinhaut oder Markhaut in einer Strecke zerst\u00f6rt sind; die \u00e4ussereV Schichten sterben ab bei der Zerst\u00f6rung der Beinhaut, die inneren bei der Zerst\u00f6rung der Markhaut der Knochen. Allein daraus folgt nicht, dass diese H\u00e4ute die phosphorsaure Kalkerde im Knochen absetzen. Die Beinbaut ist das Vehikel der Gef\u00e4sse, welche in den Knochen eindringen, darum stirbt er ab, wenn seine Gef\u00e4sse an dieser Stelle zerrissen sind.\nlieber das Wachsthum der Primitivfasern der Muskeln und der Nerven ist man v\u00f6llig im Dunkeln. Man weiss nicht, ob die Zahl der Muskel- und Nervenfasern von der ersten Erzeugung an constant bleibt, und sich, nur ihre L\u00e4nge und St\u00e4rke ver-gr\u00f6ssert, oder ob ilp-e Zahl bei dem Wachsthume und bei der Uebung zunimmt. Genaue mikrometrische Messungen \u00fcber den Durchmesser der Muskel- und Nervenfasern in verschiedenen Altern, \u00fcber den Durchmesser der Nervenfasern in der Atrophie der Nerven, z. B. in der Cauda equina bei der Tabes dorsualis, m\u00fcssen angestellt werden. Durch die interessante Schrift von Valentin, historiae eoolationis syst, muscular is prolusio. Vralist.J.832, ist der Anfang in diesem Theile der Untersuchungen gemacht. Nach ihm bestehen die Muskeln anfangs bei dem ganz jungen Embryo aus deutlichen K\u00fcgelchen, welche hernach verschwinden, so dass an die Stelle eines perlschnur\u00e4hnlichen Fadens ein gleichf\u00f6rmig walzenf\u00f6rmiger tritt. Die Fasern sind nach ihm bei jungen Embryonen der S\u00e4ugethiere und V\u00f6gel immer dicker als bei \u00e4lteren. Die ersten perlschnurartigen Fasern sollen 3 und mehrere Mal dicker als die Muskelfasern \u00e4lterer Embryonen seyn, so dass also aus den ersten F\u00e4den hernach mehrere d\u00fcnnere sich zu bilden scheinen. Da die Primitivfasern der Nerven und Muskeln so klein sind, dass sie selbst keine Capillargef\u00e4sse besitzen, und da diese nur in ihren Zwischenr\u00e4umen verlaufen (vergl. pag. 211.), so muss das Wachsthum durch Anziehung der aufgel\u00f6sten Theile des. Blutes geschehen.\nUebcr die Entstehung und das Wachslhum der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen beim F\u00f6tus habe ich einige n\u00e4here Aufschl\u00fcsse gegeben*","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"377\n2. Vom Wdchsthum. IVachs/hum durch Intussusceptio.\nobwohl die Beobachtungen \u00fcber die Entstehung der Leber, des Pankreas, der Speicheldr\u00fcsen, der Nieren nicht ein ganz gleiches Verhalten zeigen. Roeando, Baer und ich haben gezeigt, dass die Leber als ein kleiner Auswuchs der Darmw\u00e4nde entsteht, der zuerst im Innern hohl ist. Indem die Substanz in der Dicke der W\u00e4nde dieses Auswuchses sich vergr\u00f6ssert, entstehen darin Tr\u00e4ubchen von Kan\u00e4len, von welchen es ungewiss ist, ob sie gleich anfangs hohl sind; die H\u00f6hle in der Basis des Auswuchses wird aber verzweigt. Die Nieren des Vogelembryo bilden nach meinen Beobachtungen anfangs einen gallertartigen KeimstofF, Blastema, welcher auf der Oberfl\u00e4che ein gewundenes Ansehen hat. Der Saum dieser Windungen enthalt hernach die (anfangs) blasigen Enden der parallel aus der Tiefe heraufsteigenden Harnkan\u00e4lchen, welche durch den KeimstofF verbunden sind. Erst allm\u00e4hlig bilden sich die blasigen Enden der Harnkan\u00e4lchen (auf Kosten des Blastema) aus, und werden gefiedert; am vollst\u00e4ndigsten habe ich die Ausbildung der Speichelkan\u00e4lcben in der Parotis und die Entwicklung der Thr\u00e4nendr\u00fcse bei S\u00e4ugethieren beobachtet. Nach E. H. Weber\u2019s und meinen Beobachtungen ist die erste Spur der Speichelkan\u00e4lchen der Parotis der in einer gallertartigen Materie liegende Ausf\u00fchrungsgang, der mehrere blinde Zweigelchen ausschickt. Nach meinen Beobachtungen zeigt sich hier in der Folge ein sehr merkw\u00fcrdiges Verh\u00e4ltniss zwischen dem KeimstofF der Dr\u00fcse, Blastema und den Kan\u00e4lchen. Bei einem Schaafembryo von 4 Zoll L\u00e4nge ist das Blastema nicht mehr gallertartig, sondern eine grauliche gelappte Materie, innerhalb welcher die Speichelkan\u00e4lchen ganz weiss verlaufen, und Sprossen mit blinden Enden ausschicken. Das Blastema umgiebt diese ganze Verzweigung, so dass die Zweigelchen nicht bis an den Rand der L\u00e4ppchen des Blastema fortschreiten. Be glandu_ larum structura penitiori. iah. 6. fig. 11. Bei \u00e4lteren Embryonen, wie z. B. bei einem SchaafF\u00f6tus {fig. 11.), war das Blastema schon viel mehr aufgezehrt, und umgab die viel mehr ausgebildeten Sprossen der Speichelkan\u00e4lchen und ihre Enden nur sehr sparsam, gleichsam als wenn es zuletzt in den BindestofF oder das Interstitial-Zellgewebe zwischen den Kan\u00e4lchen einer Dr\u00fcse verwandelt w\u00fcrde. Bei der Thr\u00e4nendr\u00fcse Iah. 5. fig. 8. haben sich mir diese Beobachtungen \u00fcber das Verh\u00e4ltniss des Blastema zu den Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen best\u00e4tigt.\nDie Frage, bis auf welche Theile sich das Wachsthum durch Intussusceptio von den kleinsten Partikeln aus ausdehnt, ist identisch mit der Frage, welche Theile organisirt sind oder Blutgef\u00e4sse enthalten. In den Sehnen, B\u00e4ndern, Knorpeln sind Blutgef\u00e4sse, wenn auch sehr sparsam, enthalten. Im Museum von Fr emery zu Utrecht sah ich eine sehr sch\u00f6ne Injection der Rippenknorpel, der Knorpel des Kehlkopfs, der Luftr\u00f6hre von einem, wenn ich mich recht erinnere, jungen Fuchs. Von den Gelassen der Cornea, des Glask\u00f6rpers, der ser\u00f6sen H\u00e4ute ist pag. 215. gehandelt worden. Zweifelhaft sind die Gef\u00e4sse noch von der* innern Haut der Blutgef\u00e4sse","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\nb. Von dem Wa cli s t b um c (1er gefasstes en T h eile durch schichtweise Apposition*\nDie gef\u00e4sslosen Theile werden durch eine organisirte Matrix erzeugt, und vergr\u00f6ssern sich durch fortgesetzte Apposition von einer Seite. Ihre Matrix ist bald eine ebene Oberfl\u00e4che, bald vorspringend, bald sackf\u00f6rmig geschlossen. Es geh\u00f6ren hieher 1) das Horngewebe, 2) das Zahngewebe, 3) das Gewebe der Kry-stalllinse. Alle diese Gewebe sind, wenn sie gleich nicht ern\u00e4hrt werden und ihre erste Bildung von einem gef\u00e4ssreichen Keim ausgeht, doch deswegen nicht structurlos, man sieht vielmehr an der bestimmten Structur dieser Gewebe wieder, was wir schon \u00fcber die Ern\u00e4hrung der gef\u00e4sshaltigen Gewebe \u00e4usserten, best\u00e4tigt, dass n\u00e4mlich die Gelasse nur zur Ausscheidung der Materie bestimmt sind, und dass die Organisation der Gewebetheilchen nach dem Gesetz der Gest.ruuag f\u00fcr jedes Gewebe unabh\u00e4ngig von den Gef\u00e4ssen in der ausgeschiedenen Materie entsteht. Zwischen den Capillargef\u00e4ssnetzen liegen erst die sehr viel feineren Muskelfasern, Zellgewebefasern. Die Formation der gef\u00e4sslosen Gewebe wiederholt diese Genesis, aber die neu formirten Theil-chcn vergr\u00f6ssern die alten immer nur von einer Seite aus, w\u00e4hrend bei den gef\u00e4sshaltigen Geweben die Formation zwischen den Netzen der Capillargef\u00e4sse in dem Anfangs formlosen Keim-stolf, Blastema, geschieht.\nDie so durch Apposition entstellenden Theile haben entweder eine bestimmte organische Structur, oder haben keine. Im erstem Fall befinden sich,die durch Apposition wachsenden Gewebe der h\u00f6heren Thiere und auch die Schale der Crustaceen. Im zweiten Fall befindet sich die Schale der Mollusken, welche gr\u00f6sstentheils aus unorganischer Materie, Kalksalzen besteht und in welcher ausser der Crystallisation der unorganischen Theilchen, und ausser der Schichtbildung keine weitere Structur vork\u00f6mmt.\nDie Form der Schale der Mollusken h\u00e4ngt ganz von der Form ihres K\u00f6rpers und der Oberfl\u00e4che ab, welche die kohlensaure Kalkerde, vermischt mit einer thierisclien Materie absondert. Die kleinen aussersten Lamellen der Schalen der Muscheln sind zuletzt gebildet. Bourdon hat gefunden, dass die kohlensaure Kalkerde in diesen Schichten ein mikroskopisch erkennbares krystallinisches Gef\u00fcge hat, und bei der Auster ist cs sehr deutlich.\nI. Vorn Ilorngcivehe. Zum H\u00f6rngewebe geh\u00f6ren die Epidermis der Haut, und das Epithelium der Schleimh\u00e4ute, die Haare, die Stacheln, die N\u00e4gel, Klauen, Hufe, die H\u00f6rner, die Federn.\na. Epidermis, Epithelium.\nDas Epithelium der Schleimh\u00e4ute ist im Mund\" am deutlichsten, undeutlicher in der Speiser\u00f6hre, deutlich im Muskelmagen der k\u00f6rnerfressenden V\u00f6gel, wo es zu Hornplatten anschwillt, deutlich auch in der obern H\u00e4lfte des. Magens der Pferde; im Darmkannl scheint es ganz \u00fcberaus zart zu werden, und ist nur in dem zerreiblichen, unorganisirten Ueberzuge der Darmzollen","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom TVachsthum. IVachst hum durch Apposllio. Oberhaut. 379\nzu erkennen, den ich pag. 265. beschrieben habe; es steht hier dem Schleime sehr nahe. Auf der schleirnabsondernden \u00e4ussern Haut der nackten Amphibien ist auch ein Epithelium vorhanden. Wagler erw\u00e4hnt das H\u00e4uten derselben; und ich habe wenigstens die Oberhauth\u00fclle einer Wassersalamanderlarve gesehen, die dieser abgeworfen hatte. Wie die Schleimh\u00e4ute Epithelium und zugleich Schleim absondern, ist schwer sich vorzustellen, wenn man nicht annimmt, dass die Schleimabsonderung von den in den Schleimh\u00e4uten zerstreuten Folliculi, die Bildung des Epithelium von den Zwischenstellen geschehe. An der Conjunction, wo das Epithelium nicht fehlt, ist der Schleim durch die Thr\u00e4nen ersetzt und nach Valentin fehlen die Follikeln, die Andere bemerkt haben wollten.\nDie Oberhaut, Epidermis, besteht \u00abaus Schichten von Bl\u00e4ttern, die man wenigstens deutlich an der Oberhaut der Hohlhand und Fusssohle, besonders durch Kochen, nachweisen kann. Die innerste Lage der Epidermis ist noch weich, und wird gew\u00f6hnlich Malpighisches Netz genannt. Die Oberhaut des Negers ist schw\u00e4rzlich, noch mehr aber die innerste Schichte derselben, oder das Bete Malpighii. Die organisirte Matrix der Epidermis ist seihst bei dem Neger weiss. E. H. Weber Anat. 1. 187. Vergl. Seiler, Pierer\u2019s med. Hea/worterbuch. Integumente. An der abgezogenen Oberhaut, haben die Meisten keine Poren bemerkt, die man aber auch, wenn sie vorhanden sind, so wenig wie Einstiche in Gummi elasticum bemerken k\u00f6nnte. Nach Eichhorn und Lauth setzt sie sich in die Haarh\u00e4lge fort, bis zur Stelle, wo das Haar gebildet wird, und heim Abziehen der Epidermis werden solche Scheiden ott sichtbar. Nach Eichhorn soll man an abgezogener Epidermis hei schiefer Richtung die L\u00f6cher, durch welche die Haare gehen, allerdings sehen k\u00f6nnen. Ueber die sogenannten Schweissporen S. den Art. \u00e4ussere Haut, im 3. Absclin. dieses Buchs.\nDie feinere Structur der Epidermis und des Epitheliums ist durch die Beobachtungen von Leeuwenhoek, Raspail, Purkinje, Valentin und Hknle aufgekl\u00e4rt worden. Die Epidermis besteht aus pflasterf\u00f6rmigen mikroskopischen platten St\u00fcckchen, wovon jedes einen Kern enth\u00e4lt. Das Rete Malpighii enth\u00e4lt die Pigmenta, wenn solche vorhanden sind, als eingestreute, gef\u00e4rbte, bl\u00e4schenartige K\u00f6rperchen. Seine innere Fl\u00e4che ist mit vielen den Papillen der Haut entsprechenden Vertiefungen versehen, wodurch die Zwischenstellen netzf\u00f6rmig werden, daher der Name. Das Epithelium der Schleimh\u00e4ute ist auch pflasterf\u00f6rmig, und jedes St\u00fcckchen enth\u00e4lt einen Kern ; diese St\u00fcckchen stossen sich best\u00e4ndig ab, daher man gew\u00f6hnlich welche im. Speichel und Schleim des Mundes mit dem Mikroskop auffindet. Die Epitbe-liumst\u00fcckchen sind entweder d\u00fcnn, pl\u00e4ttchenartig, wie im Munde, an der Conjunctiva, hier liegen sie mehrfach auf einander. Im Darmkanal sind sie dagegen h\u00f6her und stellen basaltartig nebeneinanderstehende Cylinder dar, wovon jeder einen Kern enth\u00e4lt, wie Henle gezeigt hat. Selbst die Zotten sind noch von diesen K\u00f6rpern bedeckt. Von dem Durchscheinen der Kerne der Cylinder ist die falsche Ansicht von Oeffnungen entsunden.","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"3S0 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nDie Oberhaut und das EpitheliunVwerden also schichtweise von ihrer Matrix, abgesondert. Wird die Oberhaut bei der Hautentz\u00fcndung, wie sie durch das Legen eines Blasenpflastcrs oder bei der Verbrennung entsteht, durch das unter ihr abgesonderte Serum aufgehoben, so erzeugt sie siel) wieder; eben so geht sie bei der Hautentz\u00fcndung durci) Exantheme in Lappen verloren, und erzeugt sich wieder. Beim Menschen und bei den S\u00e4uge-thieren wird sie von Zeit zu Zeit in kleinen L\u00e4ppchen abgestossen, bei den Amphibien zusammenh\u00e4ngend bei dem H\u00e4uten, eben so bei den Insekten vor ihrer Verwandlung, und bei den Spinnen. Bei den Schlangen, welche eine von der Cutis gebildete Capset \u00fcber das Auge besitzen, hinter welcher sich das Auge frei bewegt, und welche an der innern Seite von der Conjunctiva \u00fcberzogen ist, sondert diese Capsel \u00e4usserlioh auch Epidermis ab, die beim H\u00e4uten mit abgeworfen wird. Bei den Schildkr\u00f6ten und Crocodilen wird die Epidc is an mehreren Stellen in st\u00e4rkern, aus Lamellen bestehenden Iiornplatten abgesondert. Unter den Schildern tier Crocodile liegen auf dem R\u00fccken Knochenkerne, Hautknochen. Diese sind aber organis\u00e2t, auch die Schuppen der Eidechsen, die oft ganz hart sind, sind keine blossen Hornplatten, sondern enthalten, wie z. B. bei den Leguanen, Blindschleichen, h\u00e4rtere organisirte Schuppenk\u00f6rper, welche die Hornsubstanz bloss in d\u00fcnnen Lamellen als Epidermis absondern.\nBei den Hautschwielen des Menschen wird die \u00fcberbaut zu dicken Schichten gebildet; bei der Ichthyosis werden die pllas-terartigen St\u00fcckchen der Epidermis zu langen Cylindern und palisadenartigen Horn fasern.\nVom Wasser quillt die \u00fcberbaut selbst am lebenden K\u00f6rper auf, durch Kochen wird sie nicht weiter ver\u00e4ndert. Von con-centrirter Schwefels\u00e4ure wird sie alhn\u00e4hlig, von Alkalien leicht aufgel\u00f6st; von salpetersaurern Silber wird sie grau, zuletzt schw\u00e4rzlich, auch beim langen innern Gebrauche des salpetersauren Silbers, wobei das Silber sieb mit dem Schwefel der thierische\u00ab Theile zu Schwefelsilber verbindet. Mit Gerbestoff, welcher sich mit dem Corium beim Gerben verbindet, verbindet sich die Epidermis nicht. Die Epidermis bildet sich nach Meckel bei dem Embryo schon im 2. Monat.\nb. N\u00e4gel, Klauen, Hufe.\nDie Art, w'ie der Nagel erzeugt wird, ist noch immer nicht so klar aufgehellt, wie es gew\u00fcnscht werden kann. Die N\u00e4gel stecken bekanntlich mit ihrem hintern Theile oder mit der Nagelwurzel in einer Vertiefung des Coriums. Diese Vertiefung ist mit Papillen besetzt, auch der Theil des Coriums, worauf der Nagel aufliegt, ist mit in L\u00e4ngsreihen gestellten Papillen besetzt. So weit der Nagel hinten weiss ist, ist das Corium weisslich, so weit er r\u00f6thlieh ist, ist es r\u00f6thlich, so dass diese Farbe bloss durchscheint. Nach M. Weder (Zergliederungskunst 1.) und Laut\u00ab {m\u00e9moire sur dicers points d\u2019anatomie) l\u00e4uft die Epidermis unter dem Nagel bis zum hintern Ende des Nagels weg, und schliesst sich auch oben an das hintere Ende des Nagels an. Nach Laut\u00ab wird die Nagelsubslanz schichtweise theils von dem Corium, wor-","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom Wachsthum. Wachsthum durch Appositio. Haare. 381\nauf der Nagel liegt, tlieils noch mehr hinten von dem Boden der Furche abgesondert, so dass er theils in der Dicke wachst, theils durch Apposition von hinten vorgeschoben wird. Man begreift indess hier nicht das Fortlaufen der Epidermis unter dem Nagel, welche Epidermislamelle Lautu f\u00fcr die tiele Schichte des Nagels nimmt. Weitere Untersuchungen m\u00fcssen lehren, oh nicht die untere Seite des Nagels mit der unter ihm frisch abgesonderten Epidermislamelle bloss conglutinirt ist. Krankhaft gebildete gekr\u00fcmmte N\u00e4gel bestehen deutlich aus dachziegelf\u00f6rmig aufeinander und hintereinander liegenden Schichten, so dass die Schichten schief von oben und hinten nach unten und vorn gerichtet sind. Bei den Hufen wird die Hornsubstanz nicht von einer Furche, sondern von einem bestimmten Theile der Oberfl\u00e4che des Fingergliedes abgeschieden. Ueber den Bau der Hufe und Klauen siehe \u00dceusinger Syst. d. Histologie. I. Gurlt in Muell. Arch. 1836. 263. Die N\u00e4gel entstehen nach J. Fr. Meckel erst im 5. Monate des F\u00f6tuslehens.\nc. Haare.\nDie Bildungsst\u00e4tte der Haare ist der Haarbalg, ein l\u00e4ngliches S\u00e4ckchen, auf dessen Boden das Haar, durch den noch weichen Theil, die Haarzwiebel, befestigt ist. Mehrere Beobachter, wie Heusinger {Syst. d. Ihslolog. Eisenach. 2. 1823.), Eule (die Eehre von den Haaren. Wien 1831.) und Gurlt (a. a. O.) beschreiben 2 Substanzen der Haare, eine feste gleichartige Rindensubstanz, und eine innere, mehr zeitige Substanz. Heusinger st\u00fctzte sich hierbei vorz\u00fcglich auf den zelligen Bau der Marksubstanz der Rehhaare. In den von den Haaren verschiedenen Stacheln der Igel und Stachelschweine bemerkt man ganz deutlich beide Substanzen. Die innere, lockere ist auf dem Querdurchschnitte strahlig. Die Borstenhaare des Schweins bestehen nach Erle und Gurlt aus einer zelligen Marksubstanz und aus einer Rinde, die aus mehreren Fasern besteht, welche sich leicht zersplittern. Nach E. H. Weber\u2019s Untersuchungen der Menschenhaare bestehen diese aus einer ganz gleichartigen Substanz, ohne Unterschied von Mark und Rinde. 'Nach Weber sind die Menschenhaare meist platt, auf dem Durchschnitte nach einer Seite oft etwas ausgeh\u00f6hlt, nicrenl\u00f6rmig; so linde ich wenigstens auch die Form meiner Kopfhaare. Die Haare der Flederm\u00e4use sind knotig, die der grauen Thiere, wie M\u00e4use, schwarz und weiss gefleckt. In Hinsicht der vielen Mannigfaltigkeiten in dem Baue der Haare, verweise ich auf Heusinger\u2019s, Eble\u2019s und Gurlt\u2019s vorz\u00fcgliche Schriften und deren Kupfer. Am meisten kennt man den Ursprung der Tasthaare. Der Haarschaft f\u00e4ngt auf dem Boden des Haarbalges mit einer Anschwellung an, die Wurzel oder Zwiebel des Haares; sie ist weicher als das Haar, und zeichnet sich durch die stets gleichbleibende weisse Farbe vor den \u00fcbrigen Theilen des Haares aus; sie ist hohl, und enth\u00e4lt in sich den eigentlichen Haarkeim, Pulpa pili, eine wahrscheinlich gef\u00e4ssreiche Verl\u00e4ngerung des Bodens des Haarbalges. Ausserdem wird das Tastliaar in dem Haarbalge noch von einer r\u00f6tlilichen weichen gallertartigen Scheide umgeben, welche mit der innern Wand des Haar-","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nBalges organisch zusammenh\u00e4ngt. Eble hat hei der Katze durch feine Injection erwiesen, dass die Scheide des Tasthaars in dem Haarbaige gef\u00e4ssreich ist, und die Injectionsmasse f\u00e4rbte seihst den Haarkeim roth, ohne dass sich deutliche Gef\u00e4sse naclnveisen liessen. A., a. O. fig. 121. 122. Vergl. Gurrt a. a. O. Im Haarbalg des Menschen ist es Eble nicht gelungen, die weiche Scheide nachzuweisen. Die Haarzwiebel besteht hier aus dem weichem Theile des Haars und dem darin eintretenden Keime. Die Zwiebel ist keulenf\u00f6rmig und dicker als die Fortsetzung des Haars. Die pulp\u00f6se Substanz oder der Haarkeim verliert sich nach oben in die Marksubstanz des Haars. Fasst man Alles zusammen, so scheint sich die Haarsubstanz durch Absonderung von Hornmasse auf der Oberfl\u00e4che des coniscben organisirten Haarkeims zu bilden. Das Wachsthum der Haare geschieht \u00fcbrigens durch immer weitere Apposition von Bildungstheilchen am Insertionspunkte des Haares. An keiner andern Stelle w\u00e4chst das Haar; die \u00e4ussersten Theile des Haares sind daher die zuerst gebildeten. Uebrigens hat auch der Keim des Haares seine Entwicklungszust\u00e4nde, und von diesen h\u00e4ngt nat\u00fcrlich die verschiedene Form des Haares an verschiedenen Theilen seiner L\u00e4nge, und die bei Thieren oft vorkommende Farbenverschiedenheit an verschiedenen Theilen seiner Lange ab. So ist auch der Anfang der Stacheln spitz, der mittlere Tbeil ist der breiteste, und das lnsertionsende ist wieder d\u00fcnner. Da diese Theile successiv hintereinander gebildet werden, so kann die verschiedene Dicke der ebengebildeten Theilchen nur von verschiedenen Entwicklungszust\u00e4nden der Matrix abh\u00e4ngen. Dass etwas Aehnliches bei den Haaren stattfindet, zeigt das nicht seltene Vorkommen von Haaren, deren lnsertionsende d\u00fcnner ist. Diese Entwicklungszust\u00e4nde des Keims sind am deutlichsten und merkw\u00fcrdigsten Lei der Entstehung der Federn.\nEble bestreitet die Behauptung von Lauth, dass die Epidermis sich im Haarbalge bis zur Insertion des Haares fortsetze, was dieser sehr bestimmt an den Tasthaaren des Fuchses und der Fischotter gesehen haben will. Nach Lauth geht die Epidermis im Innern des Haarbalges continuo in die Basis des Haares \u00fcber, so dass das Haar statt Epidermis durch die starke Absonderung des coniscben Haarkeims entstehe, auf welchem die Basis des Haares aufsitze. Siehe Lauth , Memoire sur divers points d\u2019anatomie fig. 9.\nDie Talgdr\u00fcsen der Haut m\u00fcnden in der Regel in die Haarb\u00e4lge; sie liegen in der obersten Schichte der Cutis und sind traubenf\u00f6rmig, wie Gurlt (Muell. Arch. 1835. 399.) gezeigt hat. Sie bestehen aus kleinen Bl\u00e4schen, deren Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge zu einem oder mehreren G\u00e4ngen vereinigt in den Haarbalg ausm\u00fcnden. An Stellen, wo keine Haare sind, m\u00fcndet ein gemeinschaftlicher Ausf\u00fchrungsgang unmittelbar nach aussen. Die Haare des Weichselzopfes sind nicht von anderen flaaren verschieden, als dass sie sich unter einander verwirren. Bei den im Zellgewebe unter der Haut in eigenen S\u00e4cken eingeschlossenen Haaren, stellt der einschliessende Sack ein Analogon der Cutis dar; die Haare","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom TVaclistliian. TVachsihum durch slppositio. Stacheln. 383\nstecken in Haarb\u00e4lgen, in welche nach Gublt viele Talgdr\u00fcsen m\u00fcnden, und die im Sacke mit den Haaren enthaltene Masse scheint Haultalg zu seyn.\nDie Haare werden durch Reihen elektrisch; wenn ich mit der Collectorplatte eines gew\u00f6hnlichen Condensators nur ganz leise einmal \u00fcber meine Kopfhaare streiche, so bewirkt die dem Rohnenberg. Elektrometer gen\u00e4herte Platte schon eine starke Abweichung des Goldbl\u00e4ttchens. So verhalten sich aber die Haare im todten wie im lebenden Zustande. In Hinsicht der chemischen Zusammensetzung der Haare folge ich Berzelius Thierchemie. Die Haare bestehen aus HornstofF, ihre verschiedene Farbe r\u00fchrt nach Vauquelin von einem gef\u00e4rbten Fett her; heim schwarzen Haare zugleich von Eisen, Schwefeleisen? Nach Ausziehen des Fettes, vermittelst Alkohol oder Aether, wird das Haar graugelb, so dass im Alter die graue Farbe der Haare von einem solchen Fehler in der Absonderung der Bildungstheile des Haares herr\u00fchrt; dass das gef\u00e4rbte Fett fehlt. Alkohol zieht auch Osma-zom mit den begleitenden Salzen, Chlornatrium, Chlorkalium und etwas Chlorammonium aus, welche nach Berzelius bloss von der den Haaren anklebenden Ausd\u00fcnstungsmaterie herr\u00fchren. Der Hornstoff des Haares verh\u00e4lt sich wie der Hornstoff' des Horns. Der Hornstoff wird weder von Wasser, noch von Alkohol, noch von Aether aufgel\u00f6st. Concentrirte Schwefels\u00e4ure l\u00f6st ihn nicht auf. Das von kalter Salpeters\u00e4ure aufgeweichte Horn l\u00f6st sich hernach beim Kochen mit Wasser zu einer Fl\u00fcssigkeit, die nach dem Abdampfen beim Erkalten gelatinirt. Diese Gallerte wird indess von kaltem Wasser wieder aufgel\u00f6st, die Aufl\u00f6sung durch Gerbestoff gef\u00e4llt. Kaustische fixe Alkalien l\u00f6sen den Hornstoff\u2019 leicht, kaust. Ammonium gar nicht auf, wodurch sich der Hornstoff sehr von coagulirtem Faserstoff und Eiweiss unterscheidet. Von letzterem unterscheidet er sich auch durch seine IJnaufl\u00f6s-Jiehkeit in Essigs\u00e4ure, und dass sich der Hornstoff mit Kali zu einem seifenartigen K\u00f6rper, Hornkali, vereinigt. Vergl. pag. 131. Im papinsehen Digestor gekocht, l\u00f6sen sich die Haare nachVAU-ouelin in Wasser auf. Die Aufl\u00f6sung enth\u00e4lt Schwefelwasserstoff. Chlor entf\u00e4rbt die Haare, und vereinigt sich hernach damit zu einer klebrigen bittern Materie. Epidermis und Haare vereinigen sich mit Metalloxyden ; sie werden schwarz von salpetersaurem Silberoxyd, wobei der Schwefel des Haares mit dem Silber sieb zu Schwefelsilb\u00e8r verbindet. Rerzelius Thierch. 299. Beim Erhitzen schmilzt das Haar, und verbrennt leuchtend mit Hornee-ruch; bei der trocknen Destillation entwickelt es Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Die Asche des Haares macht nach Vauoue-lin 1* proc. vom Gewichte des Haars. Sie enth\u00e4lt Eisenoxyd, eine Spur von Manganoxyd, schwefelsauren, phosphorsauren, kohlensauren Kalk und eine Spur von Kieselerde; die schwarzen Haare enthalten am meisten, die hellen am wenigsten Eisen ; letztere dagegen phosphorsaure Talkerde. Die Haare bestehen sonst aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Aber das Verh\u00e4ltniss ihrer Vereinigung kennt man noch nicht.\nd. Stacheln. Ueber den Rau und das Wachsthum der Sla-","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384 II. Buch. Organ, chemische Processc. II. Ahsclm. Ern\u00e4hrung.\ncheln siehe dieses Handb. 1. Aufl. p. 3CS. Boeckh de spinis hi-stricum. Berol. 4834. und Mueller\u2019s Archiv 1835. p. 236.\ne.\tH\u00f6rner. Mit den H\u00f6rnern muss man nicht die Geweihe verwechseln. Letztere sind zu einer gewissen Zeit organisirt, die H\u00f6rner nie; die Matrix der H\u00f6rner ist die Oberfl\u00e4che kn\u00f6cherner Forts\u00e4tze ; die Stirnh\u00f6rner der wiederk\u00e4uenden Thiere bilden sich durch schichtf\u00f6rmige Absonderung der Hornsubstanz auf der Oberfl\u00e4che der kn\u00f6chernen Matrix des Horns oder des Stirnbeinfortsatzes, welcher die Form des Horns bestimmt; diese Schichten verhalten sich also so, dass eine gleichsam in der andern steckt, und dass die j\u00fcngeren zugleich die unteren und inneren sind, und immer eine gr\u00f6ssere Basis erlangen. Das Horn des Nashornes bat keine innere Matrix wie die Stirnh\u00f6rner der \"Wiederk\u00e4uer, sondern geht von der Nasenhaut aus. Diese H\u00f6rner sind also solid, und haben das Eigenlhiimlicbe, dass sie aus lauter Fasern, gleichsam aus verklebten Haaren, bestehen.\nf.\tFedern. Die Federn bestehen 1) aus dem hohien Kiel, der in seiner H\u00f6hle ein vertrocknetes, fr\u00fcher organis\u00e2tes Gewebe, die Federseele, einschliesst; 2) aus dem Schafte, der Fortsetzung des Kiels; 3) aus der Fahne mit ihren Strahlen, die wieder feine Nebenstrahlen ausschicken. Die Dunen besitzen nach Nitsch\u2019s Beobachtung knotige Nebenstrahlen. Die Entstehung der Federn haben Alb. Meckel (Reil\u2019s Arch. 12. 37.), Dutrochet (J. de physiol. 88. 333.) und Fr. Cuvier (Froriep\u2019s ISot. 317.) beobachtet.\nDie Feder steckt in dem Federbalge, der nach Meckel von der Oberhaut bekleidet ist. Auf dem Boden des Balges ist die Feder mit ihrem untern Ende oder dem Nabel der Feder befestigt; wird sie ausgerissen, so blutet die hier blossgelegte Haut des Balges. Wenn die Feder entsteht, erhebt sich nach A. Meckel aus dem Boden des Balges ein conischcr K\u00f6rper, der auf der Oberfl\u00e4che hornig wird, und sich zu einem Cylinder entwickelt. Das Innere dieser hornigen Scheide ist mit gallertartiger organi-sirter Masse, dem Federkeim, angef\u00fcllt, w\u00e4hrend die hornige Scheide des Keims zur Bildung der Feder zun\u00e4chst nichts beitr\u00e4gt. Mit dieser Scheide w\u00e4chst der Federkeim aus dem Balge hervor', die Scheide w\u00e4chst anfangs mit der jungen Feder gleich fort, erh\u00e4lt bald oben eine Oelfnung, aus welcher der Anfang der Federfahne oder vielmehr das zuerst gebildete Ende der Federfahne mit dem Ende des Schaftes hervortritt. Wenn die Feder successiv bis zu dem zuletzt entwickelten Kiele gebildet ist, verklebt die Scheide mit dein Horne des Kiels, von welchem man die Scheide an ausgewachsenen Federn in Form von Fetzen ab-ziehen kann. Ueber die Entstehung der Federfahne und des Schaftes scheinen die Untersuchungen von Fr. Cuvier das meiste Licht zu verbreiten. Schneidet man die Scheide, worin der Pul-pus der Feder liegt, auf, so trifft man nach Fr. Cuvier auf eine \u00e4ussere gestreifte Haut des Pulpus, unter dieser trifft man die B\u00e4rtchen der Fahne so gelagert, dass sie den Stamm des Pulpus schief aufsteigend umfassen, w\u00e4hrend sie nach 2 Richtungen von dem Stamme des Federkeims ausgehen. Unter den Federb\u00e4rt-","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom Wachsthum. Wachsthum durch Appositio. Z\u00e4hne. 385\neben liegt die innere gestreifte flaut, welche zun\u00e4chst den Stamm des Pul pus umgiebt. Zwischen der \u00e4ussern und innern gestreiften Haut liegen h\u00e4utige Scheidew\u00e4ndchen zwischen den B\u00e4rtchen der Federfahne. Die B\u00e4rtchen der Federfahne bestehen anfangs aus einer breiigen Substanz, welche von der Stelle des Stammes, von welcher hernach die B\u00e4rtchen der Federfahne nusgehen, gebildet zu w erden scheint. Man weiss nicht, ob zuerst die Enden der B\u00e4rtchen entstehen, und durch immer weitere Apposition von Bildungstheiichen wachsen. Es bildet sich das Ende der Federfahne mit dem Ende des Schaftes zuerst, und mit dem Wachsthume werden die unteren Theile der Federfahne und des Schaftes nacherzeugt. Wenn die Federfahne aus der Scheide der Feder in die Luft hervortritt, zerstieben die innere und \u00e4ussere Membran, welche zwischen den Scheidew\u00e4ndchen fr\u00fcher die B\u00e4rtchen der Federfahne eingeschlossen haben. Da der Schaft und die Fahne der Feder sich zuerst entwickeln, so zeigt sich auch derjenige Theil des Pulpus, aus welchem jene entstehen, zuerst; allein sobald der am meisten vorgeschobene Theil des Pulpus seine Bestimmung erf\u00fcllt hat, verliert er seine Organisation; sobald er das Mark des Federschaftes erzeugt hat, verliert er seine Gef\u00e4sse, und trocknet aus. Hierauf ver\u00e4ndert der weiter sich entwickelnde untere Theil des Pulpus seine Bestimmung. Er sondert auf seiner Oberfl\u00e4che-die Hornsubstanz des Kiels ab, mit dem sich zugleich die fr\u00fcher erw\u00e4hnte hornige Scheide der Feder verbindet. Wenn der Pulpus in dem Kiele zu vertrocknen anf\u00e4ngt, zeigt er Abtheilungen in Zellen durch trichterf\u00f6rmige Septa, wovon ein Trichterchen in dem andern steckt; fr\u00fcher sind die Zwischenr\u00e4ume dieser Trichter mit Mark ausgef\u00fcllt, sp\u00e4ter schwindet dieses, die Scheidew\u00e4ndchen und das h\u00e4utige Wesen des Pulpus trocknen aus, und der Best davon bildet hernach die sogenannte Federseele. Diess hat schon A. Meckel sehr gut beobachtet.\n2) Vom Zalmgewehe. Die Bewaffnung der Kinnladen geschieht theils durch Hornlamellen, wie am Schnabel der V\u00f6gel, der Schildkr\u00f6ten, an den Barten der Wallfische, an den Hornz\u00e4hnen des Schnabelthiers; theils durch Knochenz\u00e4hne. Beide Arten der Organe sind gef\u00e4sslos und werden durch eine organi-sirte Matrix erzeugt. Aber der Knochenzahn oder eigentliche Zahn ist kein Horn mit abgesetzten Kalksalzen, sondern enth\u00e4lt als thierische Materie leimgebenden Knorpel, der Hornzahn wahres Horn. Ich erhielt nacii der Extraction der Kalkerde aus den Z\u00e4hnen des Pferdes wahren, sehr gut gelatinirenden Leim durch nicht sehr langes Kochen; Fischbein hingegen lieferte keinen Leim und ist Horn, wie schon John angiebt. Der Leim der Z\u00e4hne ist nicht Chondrin, sondern wie in den ossificirten Knorpeln gemeiner Leim. Das Horn ersetzt den Zahnknorpel nur dann, wenn die Z\u00e4hne keine abgesetzte Kalkerde enthalten, Knorpel oder Leim sind aber durchaus n\u00f6thig, wenn die Z\u00e4hne Knochenz\u00e4hne sind. In Hinsicht des Baues der Z\u00e4hne im Allgemeinen verweise ich auf Cuvier\u2019s vergl. .Anatomie, auf sein Werk recherches sur les oss. Joss. Hr.usinger's Histologie. Rousseau\nMuller\u2019s Physiologie. 1.\t^5","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. /Ihschn. Ern\u00e4hrung.\nanal. comp, du syst. deni. Paris 4827. Der feinere Hau der Z\u00e4hne ist von Leeuwenhoek, Purkinje, Retzitjs und mir untersucht. Die Z\u00e4hne des Menschen bestehen aus drei Substanzen: 1. Der rohrigen Zahnsubst\u00e4nz, welche die Hauptmasse bildet. 2. Dem Schmelz der Krone. 3. Der Rindensubstanz der Wurzel. Die r\u00f6hrige Zahnsubstanz ist von vielen rohrigen Fasern durchzogen, welche von der Zahnh\u00f6hle ausgehen und ihre Richtung gegen die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che des Zahns nehmen. Sie sind hygroskopisch und nehmen zum Th eil beim Pferd ziemlich leicht Dintc von der Zahnh\u00f6hle auf. Diese Fasern sind undurchsichtiger als die feste Zwischensubstanz, die zwischen 2 R\u00f6hren ohngef\u00e4hr das sechsfache des Durchmessers einer Faser oder R\u00f6hre betr\u00e4gt. Bei reflectirtem Licht erscheinen die Fasern weiss, von S\u00e4uren verlieren sie ihre weisse Farbe, daher ihre W\u00e4nde unorganische Deposita zu enthalten scheinen, welche man auch hier und da mit dem Mikroskop wahrzunehmen glaubt. Die R\u00f6hren lassen sich durch Zerreissen des von der Kalkerde befreiten Knorpels isoliren. Die Kalksalze sind gr\u00f6sstentheils in der Zw ischenmasse gebunden. Durch Kochen geschliffener Zahnpl\u00e4ttchen in Pot-asche konnte ich sie sichtbar machen, dadurch wird n\u00e4mlich der Knorpel extrahirt. Der Schmelz der Zahne besteht aus aufrecht stehenden Fasern. Wenn der Schmelz noch weicli ist, konnte ich ihre primitive Bildung wahrnehmen. So Hess sich der Schmelz an dem letzten Backzahn des Kalbes weich und breiartig abscha-hen; diese Materie bestand ganz aus schon formirten Nadeln, die an beiden Enden zugespitzt waren. Die Rindensubstanz der Wurzel, welche von Purkinje und Retzius beobachtet wurde, hat ganz den Bau der Knochen und enth\u00e4lt Knochenk\u00f6rperchen mit radialen Kan\u00e4lchen. Sie k\u00f6mmt an der \u00e4ussern und innern dem Zahnkanal zugewandten Fl\u00e4che der Wurzel vor und entsteht wohl durch Ossification anliegender organisirter Tlieile. Der Kitt an den Z\u00e4hnen der Wiederk\u00e4uer hat dieselbe Structur. Siehe Purkinje in Fraenkel de. dentium hum. structura. Vratisl. 4835. und J. Mueller in Poggend. dun. XXXVIII. Die Matrix des Zahnes ist das Zahns\u00e4ckchen. Diese liegen in der Alveolarfurche der Kiefer des F\u00f6tus, von dem Zahnfleische bedeckt. Sie entstehen zum Theile schon im 3. Monat des Embryo. Die S\u00e4ckchen der Z\u00e4hne, welche die Milchz\u00e4hne sp\u00e4ter ersetzen, entstellen zum Theil vor, zum Theil nach der Geburt. Das Zahns\u00e4ckchen wird durch 2 gef\u00e4ssreiche\" H\u00e4ute gebildet. Die innere Haut ahmt die Form der Krone des Zahns nach, obgleich das Bildungsorgan der Krone der Zahnkeim ist. Vom Boden des Zahns\u00e4ckchens erhebt sich der weiche Zahnkeim, Pulpus dentis, in welchen von unten Gef\u00e4sse und Nerven treten, und dessen Oberfl\u00e4che die Form der sp\u00e4tem Krone annimmt. Er ist nach Purkinje und Rasciikow (mc/etemala circa mammalium dentium evolution\u00e4r). Vratisl. 4835.) von einem H\u00e4utchen bedeckt. Zwischen diesem H\u00e4utchen und der Substanz des Zahnkeims bildet sich die r\u00f6hrige Zahnsubstanz. Der Schmelz dagegen wird auf die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che des H\u00e4utchens aufgesetzt. Die Bildung des Schmelzes geschieht von der an die innere Fl\u00e4che des Zahn-","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vorn Wachsthum. Wachsthum durcir Appositio, Z\u00e4hne. 387\nbalges angewachsenen Schmeizmembran, welche aus senkrechten Fasern besteht. Der Kitt an den Z\u00e4hnen der Wiederk\u00e4uer und des Elephanten, welcher die Vertiefungen zwischen den Falten der Krone ausf\u00fcllt, entsteht wahrscheinlich durch Ossification des Zahnbalges. In der Mitte des Embryolebens beginnt die schichtweise Absonderung von Zahnsubstanz auf der Oberfl\u00e4che der weichen Krone des Zahnkeims, in Form von Scherbchen, an den Spitzen der Krone. Diese Scherbchen der verschiedenen Kronenspitzen h\u00e4ngen anfangs noch nicht zusammen, allm\u00e4hlig vereinigen sie sich und die weiche Krone wird nun von einer Schaale von Zahnsubstanz oben und an den Seiten umgeben. Diese Schale, welche die \u00e4usserste Schicht der Knochensuhstanz der Zahnkrone wird, und denselben Umfang hat wie die Krone sp\u00e4terhin, h\u00e4ngt nicht organisch mit ihrer Matrix zusammen, sie entsteht durch blosse Absetzung von den mineralischen Bestand-tbeilen der Z\u00e4hne, vermischt mit thierischer Substanz; man kann die Schalen von ihrer Matrix aufheben. Die einmal gebildete Schale w\u00e4chst nur nach innen durch Apposition von neuen Schichten, w\u00e4hrend in gleichem Maasse der Zahnkeim verkleinert wird, je mehr er Zahnsubstanz an die W\u00e4nde de\u201d Zahnh\u00f6hle von innen absetzt. Zur Zeit des Ausbruchs der Z\u00e4hne, vergr\u00f6ssert sich der Zahn nach unten hin mehr, womit nat\u00fcrlich eine entsprechende Vergr\u00f6sserung dfes Keims von unten gleichl\u00e4uft. Der untere Theil des Keims nimmt die Form der sp\u00e4tem Wurzeln der Z\u00e4hne an, sondert von oben nach unten fortschreitend immer mehr Zahnsubstanz auf der Oberfl\u00e4che ab, so dass die Wurzeln der Zahnsubstanz die Wurzeln des Keims wie hohle Scheiden umgeben, die anfangs ganz kurz sind, allm\u00e4hlig sich aber mit den Keimwurzeln unten durch Apposition verl\u00e4ngern. Der Anwuchs der Wurzeln ist zugleich die Ursache des Durchbruchs der Z\u00e4hne durch das Zahnfleisch. Anfangs sind die Wurzeln tier Zahnsubstanz nur d\u00fcnne Scheiden mit weitem Eing\u00e4nge, allm\u00e4hlig wird durch Ansatz der Materie die Zahnsubstanz auch hier dicker, w\u00e4hrend der Keim d\u00fcnner wird, und nach unten wird die Wurzel des Zahns zuletzt zur Spitze, gerade so wie bei den Stacheln, deren Wurzel sich nacherzeugt, und ebenfalls d\u00fcnner ist als der mittlere Theil des Stachels. Zuletzt bleiben an den Wurzeln der Z\u00e4hne nur Oeffnungen und Kan\u00e4le \u00fcbrig, wodurch die Gef\u00e4sse und Nerven zu dem Beste des Zahnkeims in der Krone eindringen. Blake Reil\u2019s Arch. 4. 314. Vergl. Meck. Handh. d. menschl. Anat. 4. 212.\nDie sich an der Krone abreibenden Z\u00e4hne der Wiederk\u00e4uer und Pferde,' die Nagez\u00e4hne der Nager, k\u00f6nnen von unten noch lange auch im sp\u00e4tem Leben nachwachsen. W^enn die Krone der Z\u00e4hne der Wiederk\u00e4uer noch nicht angegriffen ist, haben sie noch keine Wurzeln, und wenn diese sich gebildet haben, ist die Krone abgenutzt. Cuvier vergl. Anat. 3. 117. Die Stossz\u00e4bne des Elephanten und die Schneidez\u00e4hne der Nager bleiben an der Wurzel immer hohl, und wachsen durch immer weitere Apposition von Zahnsubstanz an die inneren W\u00e4nde der H\u00f6hle durch den conischen Zahnkeim fort. Beim F\u00fcttern von Thieren mit","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nF\u00e4rberr\u00f6tlie fand Hunter (Geschichte der Ziilme 1778.), dass die schon gebildete Zahnsubstanz nicht von F\u00e4rberr\u00f6tlie durchdrungen wurde, wohl aber die innerste Schicht des Zahnes,, welche eben gebildet wurde.\nGegen das Wachsthum der Z\u00e4hne durch blosse Apposition scheint auf den ersten Blick der Umstand zu sprechen, dass man in den Stossz\u00e4hnen von Elepbanten \u00f6lter bleierne Kugeln gefunden hat, die von allen Seiten von Knochensubstanz umgehen waren. Dieser Einwurf widerlegt sich indess durch die Supposition, dass diese Kugeln in denjenigen Theil des Zahnes eingedrungen waren, der eben in der Bildung begriffen war.\nWenn die Z\u00e4hne schmerzen, so ist bloss der Zahnkeim empfindlich, ebenso bei dem Empfindlichwerden der Z\u00e4hne von S\u00e4uren, wobei wahrscheinlich die S\u00e4ure in die Zahnr\u00f6hren verm\u00f6ge der Risse oder Poren des.Schmelzes eindringt, und den Zahnkeim selbst afficirt. Die sogenannte Caries der Z\u00e4hne ist von der Caries der organisirten Knochen Wohl zu unterscheiden. Diess ist eine blosse chemische Zersetzung der Z\u00e4hne hei fehlerhafter Zusammensetzung, eine allm\u00e4hlige Zersetzung durch die Mundfl\u00fcssigkeiten. Die weissen Zahnr\u00f6hren unter einer cari\u00f6sen Stelle der Oberfl\u00e4che des Zahns verlieren meist bis zu einiger Tiefe ihr weisses Ansehen.\nDer sogenannte Weinstein an den Z\u00e4hnen des Menschen und des Pferdes besteht bloss aus angesetzten Speichelsalzen.\nUeber das Wachsthum der verschiedenen Thierz\u00e4hne findet man herrliche Beobachtungen von Cuvier und Meckei, in Cuvier\u2019s ver gl. Anat. \u00fcbers, von Meckel, 3. Nach Rosa sind die Keime der durchbohrten Giftz\u00e4hne der Schlangen Platten, die sich umlegen, .um zuletzt zu einem Kan\u00e4le sich zu verbinden. Siehe Cuvier vergl. Anat. 3. 127. Auch nach Knox ist das Mark oder der Keim der Z\u00e4hne ein umgerollter K\u00f6rper, welcher aussen und innen gegen den Giftkanal Zahnsubstanz abzusondern scheint. Doch sah er keine offene Furche, sondern einen durchsetzenden festen Streifen an der konvexen Seite des Zahns. Auch der Giftkanal enthielt anfangs eine Art Mark. Froriep\u2019s Not. 106. Jeder Zahnkeim entsteht in einer hesondern Capsel, die gleichsam seine Eihaut ist, und diese Capsein sind wieder von einer gemeinsamen Haut vereinigt.\nSo wahrscheinlich es ist dass die Z\u00e4hne der meisten Thiere durch Apposition wachsen, so giebt es doch offenbare Ausnahmen davon bei einigen Knorpelfischen. Ich finde z. B. dass die dik-ken Zahnplatten der Myliobates und Rbinoptera unter den Rochen, ehe sie ossificiren, schon ihre ganze Gr\u00f6sse erreichen, w\u00e4hrend sie doch dann bloss aus h\u00e4utigen Theilen bestehen. Sie enthalten im weichen Zustande viele weite R\u00f6hren, die sp\u00e4ter indem ihre W\u00e4nde ossiffeiren, erstarren, mehr und mehr sich verdicken, w\u00e4hrend die Kan\u00e4le enger werden. Man sieht diesen Bau an den hintersten immer sich nachbildenden Zahnplatten.\nWas die chemische Zusammensetzung der Z\u00e4hne betrifft, so unterscheidet sich der Schmelz von der Knochensubstanz des","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom JVaclisthum. Wachsthum durch Appositio. Z\u00e4hne. 389\nZahnes dadurch, dass Letztere viel mehr thierische Substanz (Knorpel) enth\u00e4lt.\nDie Verschiedenheit zwischen beiden Substanzen ergiebt sich aus Berzelius Analyse derselben vom Menschen.\nSchmelz. Zahnknochen.\nThierische Substanz...............\u2014-\t28,0\nPhosphorsaurer Kalk mit\tFluorcalcium\t88,5\t64,3\nKohlensaurer Kalk .....................8,0\t5,3\nPhosphorsaure Talkerde............1,5\t1,0\nNatron mit etwas Kochsalz .... \u2014\t1,4\nAlkali, Wasser, thier. Substanz.\t.\t.\t2,0\t\u2014\u2022\nDKM\u00bb\t100,0\nDer Kitt an den Z\u00e4hnen des Rindes besteht nach Lassaigne aus 42,18 thierischer Materie, 53,84 phosphors. Kalk, 3,98 koli-lens. Kalk.\nDie Hornz\u00e4hne des Schnabelthiers stehen mit einer breiten Fl\u00e4che aut' dem Zahnfleische, und bestehen aus hohlen Hornfasern. Heusinger a. a. O. 197. Die Z\u00e4hne des Orycteropus bestehen auch aus senkrecht stehenden conglutinirten R\u00f6hrchen, zu denen nach Cuvier Blutgef\u00e4sse gehen. Diese Z\u00e4hne sind nicht hornartig; aber die Z\u00e4hne des Schnabelthiers enthalten nach Lassaigne 99,5 hornarLige Masse, und 0,3 Knochenerde.\nDiese Z\u00e4hne bilden offenbar den Uebergang zu den Barten der Walllische, welche hier die Z\u00e4hne ersetzen. Hier\u00fcber haben Heusinger und Rosenthal {Abhandlungen der Akademie zu Berlin 1829.) Untersuchungen angestellt. Nach Rosenthal bestehen die Barten aus vielen gr\u00f6sseren und kleineren, etwas gekr\u00fcmmten Hornplatten, welche mit ihren schwach konkaven Fl\u00e4chen nach vorn, mit ihren konvexen nach hinten, mit ihren scharfen R\u00e4ndern nach aussen und innen gerichtet sind; sie stehen also cjuer parallel, und sind ^ Zoll von einander entfernt. An ihrer Basis, mit der sie auf dem Oberkiefer aufsitzen, werden sie durch ein 2 Zoll breites Hornhand, welches alle Bl\u00e4tter wie ein Kranz umfasst, vereinigt. Jede einzelne Platte besteht aus einer \u00e4ussern und innern Substanz; die Marksubstanz bildet parallele R\u00f6hren, die am untern Rande der Platte in borstenartige Fasern \u00fcbergehen. Im untersten Theile jeder Platte weichen die Lamellen der Rfnde von einander, und hier entsteht eine H\u00f6hle, in welche die Keimhaut der Barten hineinreicht. Jede Barte ruht auf einer \u00fcber i Zoll dicken gef\u00e4ssreichen Haut. Diese bildet, unter jeder Platte einen hervorragenden Fortsatz, welcher in den hohlen Raum an der Basis der Platten dringt, und \u00bbn fadenartige Verl\u00e4ngerungen \u00fcbergeht, mit denen sie in die R\u00f6hrensubstanz bis zu den Borsten der Barten dringt. Die Gef\u00e4sse der Keimhaut der Barten dringen bis in die R\u00f6hren der Barten nach Rosenthal ein. Zwischen den Forts\u00e4tzen der Keimhaut, die in die untere H\u00f6hle einer Barte eindringen, liegt eine weisse hornige Masse, welche sich in die Rindensubstanz der Barten fortsetzt. Siehe die sch\u00f6nen Abbildungen Rosenthal\u2019s a. a. O. tab. 1 \u2014 3.\n3. Vom Gewebe der Crystalllinse. Die Linse des Auges be-","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nstellt aus concentrisclien Blattern, die \u00fcbereinander liegen. Man bat bemerkt, dass diese Blatter oder Capsein wieder aus Fasern besteben, die die Dicke der Bl\u00e4tter bestimmen. Die Fasern in den Schichten der Crystalllinse sind folgendermaassen angeordnet: Man denke sich vom Mittelpunkte der vorderen Fl\u00e4che oder vom Pole der Linse 3 Linien so gegen den Rand der Linse gezogen, dass sie die Fl\u00e4che in 3 Felder theilen. Die Fasern geben nun parallel vom Rande der Linse durch die Schichten, schief gegen diese 3 Linien, wodurch 3 gefaserte Felder jeder Schicht entstehen. Die 3 Linien bilden eine ungefaserte Figur, welche die Fasern der 3 Felder a-ufnehmen. Ich bemerke hier, dass die Linse der Schweine regelm\u00e4ssig in solche 3 Felder getheiit ist, wie man schon \u00e4usserlich an den meisten Schweinsaugen sieht. Brewster hat gezeigt, dass die Fasern der Linse durch ihre zak-kigen R\u00e4nder an den Seiten ineinander greifen. Die zahnartigen Zacken sind hei den Fischen am deutlichsten.\nDie Matrix der Crystalllinse ist die Linsenkapsel, welche von ihrer innern Fl\u00e4che die Schichten der Crystalllinse abzusondern scheint. Diese Art der Bildung ist indess nicht gewiss, und man weiss nicht genau, oh die Linse nicht in einem engen organischen Zusammenh\u00e4nge mit ihrer Capsel steht. Nach Werneck. (Zeitschr. f. Ophthalmol. 4. p. 28.) soll die innere Fl\u00e4che der Linsenkapsel mit der Linse durch ein Gewebe von sehr kurzen Zellen Zusammenh\u00e4ngen, die heim vorsichtigen Ahreissen unter Wasser an der Linsenkapsel sitzen bleiben. Die Blutgef\u00e4sse der Linsenkapsel sind schon pag. 215 beschrieben worden. Sie erh\u00e4lt heim F\u00f6tus und Erwachsenen Blut von dem durch den Glask\u00f6rper gehenden Ramus capsularis arteriae centralis retinae, heim F\u00f6tus stehen diese Gef\u00e4sse aber auch durch die gef\u00e4ssreiche, von mir gefundene Membrana capsulo-pupillaris mit den Gel \u00e4ssen der Pupillar-Membran und Iris in Verbindung, so wie die Gef\u00e4sse der Linsenkapsel wieder mit den Gefassen der Zonula Zinni im Zusammenh\u00e4nge stehen, was Henle gezeigt. Hehle de memhrana pupillari. Bonnae 1832. Henle hat auch heim F\u00f6tus der S\u00e4uge-tbiere an Injektionen beobachtet, dass die Gef\u00e4sse des Corpus ciliare wieder mit den Gefassen der Zonula Zusammenh\u00e4ngen.\nDie chemische Zusammensetzung der Linse ist von Berzelius untersucht. Die Materie der Crystalllinse ist gr\u00f6sstentheils in Wasser l\u00f6slich. Diese Materie coagulirt von Hitze, und anderen Einfl\u00fcssen, wie Eiweiss und Farhestoff des Blutes. Die nach dem Coaguliren \u00fcbrig bleibende Fl\u00fcssigkeit ist schwach sauer, und enth\u00e4lt Osinazom mit den dasselbe begleitenden\nSalzen.\nEiweissartige Materie\t............35,9\nAlkoholextrakt mit Salzen....................2,4\nWasserextrakt mit Spuren\tvon\tSalzen\t.\t.\t1,3\nIn W asser unl\u00f6sliches thierisches\tWesen\t2,4\nWasser......................................58,0\nDie Asche der Crystalllinse soll etwas eisenhaltig seyn. Die Menge Alkali und Kochsalz mit etwas phosphorsaurem Kalke betr\u00e4gt 0,005 vom Gewichte der frischen Crystalllinse. Eine un-","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom Wachsthum. Wachsthum und Formoerunderung. 391\ndurchsichtig gewordene Linse fand John (Meck. Arch. 3. 361.) alkalisch reagirend.\nLeichte Verwundungen der Linsenkapsel haben nach Dietrich (\u00fcber die Verwundungen des Linsensystems. Tiih. 1824.) keine Folge. Lei st\u00e4rkeren Verwundungen mit Zerrung und Einschneidung der Linse ging das Undurchsichtigwerden der Linse bis in den Kern vor, und verbreitete sich von da bis zur Peripherie der Linse. Aus der Cataracta lenticularis, wo h\u00e4ufig zuerst der dichtere Kern der Linse undurchsichtig wird, kann man nicht schliessen, dass die Linsensubstanz seihst Gef\u00e4sse enthalte. Denn von der Beschaffenheit der Absonderung auf der innern Fl\u00e4che der Linsenkapsel kann es abh\u00e4ngen, dass die innersten Schichten der Linse, die ohnehin dichter sind, und vielleicht in chemischer Hinsicht von den oberfl\u00e4chlichen sich unterscheiden, sich selbst noch lange nach ihrer Erzeugung chemisch ver\u00e4ndern.\nWahrscheinlich h\u00e4ngt die Entstehung der grauen Staare von der Beschaffenheit der Capscl ab. Obgleich die Entz\u00fcndung der Capsel gewiss nicht allein die Ursache der grauen Staare ist, so ist sie es doch nach v. Walther oft; was besonders durch ein Pr\u00e4parat von Schr\u00f6der v. d. Koi.k wahrscheinlich wird, an welchem die Linsenkapsel einer katarakt\u00f6sen Linse sehr sch\u00f6n in-jicirt ist, was sonst bekanntlich bei Erwachsenen sehr schwer gelingt.\nSo viel von dem Waclisthume der gef\u00e4sslosen Gewebe.\nUeber die Gesetze, welche hei dem Waclisthume der organischen K\u00f6rper statt linden, hat G. R. Treviranus mit seinem gewohnten philosophischen Scharfsinn [Biologie 3.463 \u2014 544.) sehr lehrreiche Betrachlungen angestellt.\nDas Wachsthum der organischen K\u00f6rper hat eine bestimmte Grenze; bei den meisten h\u00f6heren Thieren wird diese lange vor dein Ende des Lebens, beim Menschen z. B. mit der Mannbarkeit erreicht, w\u00e4hrend die Formver\u00e4nderungen des Ganzen und der Thcile fortdauern. Bei manchen Pflanzen und bei den Fischen und mehreren Amphibien f\u00e4llt die Grenze des Wachsthums fast mit der Grenze des Lebens \u00fcberhaupt zusammen. Aber nicht alle Thcile wachsen gleichf\u00f6rmig, manche verschwinden, w\u00e4hrend andere entstehen oder sich ausbilden, kurz das Wachsthum ist mit best\u00e4ndigen Ver\u00e4nderungen der Form verbunden. Bei den meisten Thieren fallen die merkw\u00fcrdigsten Ph\u00e4nomene der Metamorphose in die Periode des Embryolebens, wie bei den Menschen, den S\u00e4ugethieren, den V\u00f6geln, den Fischen, w\u00e4hrend die nackten Amphibien und die Insekten und mehrere niederen Cru-slaceen auch nach der Entwicklung des Eies gleichsam den Em-bryouenzustand verl\u00e4ngern, indem sic ihre Form ver\u00e4ndern, neue Organe erzeugen, und andere \u00e4hlegen. Bei den S\u00e4ugethieren und dein Menschen sind diese Umwandlungen wohl am seltensten. Es geh\u00f6ren Ineber das anf\u00e4ngliche Wachsthum der Thymus in der Kindheit und ihr sp\u00e4teres Schwinden bis zum 12. Jahre, die Entwicklungsperioden des Zahnwechsels, der Pubert\u00e4t, mit den Formver\u00e4nderungen des Kehlkopfes, der Entwicklung der Ilaarkeime des Bartes und der Schaamhaare, der Br\u00fcste. Aber","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"39*2 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nhei tien nackten Amphibien erzeugen sich die Nieren seihst erst im Anf\u00e4nge des Larvenlebens, w\u00e4hrend die W\u00f6lfischen K\u00f6rper (pag. 161.) decrepid werden. Das Verschwinden der \u00e4usseren Kiemen hei den Froschlarven, die Entwicklung der inneren Kiemen f\u00fcr die l\u00e4ngere Zeit des Larvenlehens, die Entwicklung der Extremit\u00e4ten am Ende des Larvenlebens, die Ablegung des Schwanzes, und der endliche Verlust der Kiemen sind schon erw\u00e4hnt worden. Erst gegen das Ende des Larvenlebens entstehen ihre Genitalien. So habe ich hei Froschlarven die erste Spur der Hoden und Eierst\u00f6cke erst bemerken k\u00f6nnen, wenn sie sich schon zum Th eil verwandelt haben, n\u00e4mlich schon 4 Reine haben, aber noch den Schwanz und die Kiemen besitzen. Bei den Salamanderlarven , welche in der l\u00e4ngsten Zeit des Larvenlebens schon mit Extremit\u00e4ten versehen sind, entstehen die Genitalien auch erst in der sp\u00e4tem Zeit des Larvenlebens, ehe die Kiemen ein-gehen *).\nDer Darmkanal bei den Froschlarven f\u00fcr Pflanzennahrung bestimmt, war ausserordentlich gross, er erleidet w\u00e4hrend der Metamorphose die Reduction in den Darmkanal des fleischfressenden Thiers. Auch die Wirbel w\u00e4hrend des Larvenlebens durch conisch ansgeh\u00f6hlte Facetten wie hei den Fischen verbunden, nehmen an der Umwandlung Antheil.\nDie Metamorphose der Thiere w\u00e4hrend der Entwicklung und des Wachsthums beruht zum Theil auf Entwicklung und Reduction \u00e4hnlicher Theile. Man hatte fr\u00fcher bemerkt, dass der Embryo w\u00e4hrend der Entwicklung die Stufen niederer Thiere durchlaufe, und diese an sich unrichtige Idee bis ins Abenteuerliche ausgesponnen. In dieser Ansicht liegt aber die Ahnung des wahren Verh\u00e4ltnisses, welche den Gegnern dieser Ansicht entging, v. Bakr hat das Verdienst, das Gesetz dieser Metamorphose zuerst erkannt zu haben; er zeigte, dass die Wirbelthiere, vom Menschen bis zu den Fischen, einen gewissen gemeinsamen Typus ihrer Bildung, eine gewisse Summe gleicher Theile besitzen, die man im Embryonenzustande bei allen in vollkommener Aehnlichkeit noch antrifft, welche sich aber hei verschiedenen Klassen zu verschiedenen Formen ausbilden, oder selbst reducirt werden ; wie z. B. die rippenf\u00f6rmigen Anh\u00e4nge des Zungenbeins allen Wirbelthieren im Embryonenzustande gemeinsam sind, aber bei den h\u00f6heren Thieren reducirt werden, bei den Fischen und Amphibienlarven sich zu Kiemen ausbilden, pag. 29S. Alle Wirbelthiere gleichen sich, und zeigen eine Reihe von Wirbelk\u00f6rpern mit hinteren Bogen f\u00fcr die Deckung der Centraltheile des Nervensystems, und einer Anzahl rippenf\u00f6rmiger vorderer Anh\u00e4nge zur Umschliessung der Eingeweide, welche zum Theil knorpeligen oder kn\u00f6chernen Brustbeinrippen entgegen kommen, um ei-\n*) In meiner Abhandlung, Beitr\u00e4ge zur Anatomie und Naturgeschichte der Amphibien, Tiedemann\u2019s Zeitschrift f\u00fcr Physiol. 4. 2., habe ich mich in dieser Hinsicht nicht ganz richtig ausgedr\u00fcclt, wenn ich sanc, dass die Larven, so lange sie nicht die Kiemen aldegeu, keine entfernte'Spur der Genitalien besitzen.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom IVachsihitm. W^achsthum und Formver\u00e4nderung. 393\nnen Korb zu bilden, wahrend die Halsrippen und Bauchrippen bei vielen Wirbelthieren fehlen, oder hei einigen (Crocodilen und Eidechsen) nur als rudiment\u00e4re Anh\u00e4nge der Halswirbel erscheinen.\nBei allen Wirbelthieren verk\u00fcmmert diess System nach abw\u00e4rts in den Steisswirbeln, entwickelt sich aufw\u00e4rts in den 3 Wirbeln des Sch\u00e4dels (denn mehr kann ich nicht finden, die Bezeichnung Geh\u00f6rwirbel und Aehnliches scheint mir eine Ueber-treibung, Entstellung jener ganz richtigen Analogie). Bei allen Embryonen fehlen anfangs die Extremit\u00e4ten; sie erscheinen bei den Embryonen zuerst als Hiigelchen, welche sich bei verschiedenen Klassen zu verschiedenen Formen umwandeln. Man sieht also, wie die Formen der aus gebildeten Wirbelthiere auf Umwandlungen und Reductionen eines gemeinsamen Typus beruhen. Einige Thiere entfernen sich beim Wachsthum sehr, andere wenig vom gemeinsamen Typus, wie er sich im Embryonen- und Larven zustande ausspricht.\nWendet man sich zu der Abtheilung der Gliederthiere, in welchen das Gehirn zwar oben liegt, aber ein Schlundring den Schlund umfasst, und die Fortsetzung dieses und des Gehirns an dem Bauche liegt, so findet man leicht wieder einen nur diesen Thieren eigenth\u00fcmlichen Typus in ihrem Skelet aus successiv verbundenen Leibesringen. Man findet Maxillen, Mandibeln, welche mit den F\u00fcssen nach Savigny\u2019s Untersuchungen zu einem und demselben Organsystem geh\u00f6ren. Das Insekt hat als Larve 13 Leibesringe, nur im Larvenzustande w\u00e4chst es, indem es sich 3 \u2014 4 Mal h\u00e4utet, in der Metamorphose w\u00e4hrend des Puppenzustandes zu einem neuen Gesch\u00f6pfe wird. Zur Aeusserung des or-ganisirenden Princips, welches die Form ver\u00e4ndert, ist es noting, dass die \u00e4hnlichen Theile eine gewisse Gr\u00f6sse erreicht haben; die fortdauernde Ern\u00e4hrung dieser Theile durch Aufnahme von Nah-rungsstolfen scheint das organisirende Princip von der Einleitung der Metamorphose abzuhalten; denn die Insekten wandeln sich fr\u00fcher um, wenn sie hungern, so wie eine Pflanze fr\u00fcher Bl\u00fcthen treibt in magerm Boden. Je mehr aber die \u00e4hnlichen Theile an Umfang zugenommen haben, um so gr\u00f6sser scheint das Streben zu werden, aus den quantitativ ausgebildeten Massen qualitative Unterschiede durch Reduction und Entwicklung \u00e4hnlicher Theile zu bilden. Bei dem letzten H\u00e4uten erscheint das eingesponnene Insekt als Puppe, deren anfangs weiche Oberhaut, wie aller Hornstoff, erh\u00e4rtet. In der \u00e4ussern Form vieler Puppen lassen sich schon die Rudimente der \u00e4usseren Formen des Insektes erkennen, wobei die Glieder eng an den Leib angeschmiegt sind. Die Grundz\u00fcge zur Verwandlung der ausseren Formen sind schon mit der Umwandlung der Larve in die Puppe gegeben. Die Puppe zeigt schon die Abtheilungen des Thieres in 3 Abschnitte, indem die 3 Ringe, welche in der Larve auf den ersten oder Kopfring folgen, zum Thorax umgewandelt werden, in dem man hernach Prothorax, Mesothorax, Metathorax erkennt, w\u00e4hrend die 9 letzten der 13 Ringe des Larvenk\u00f6rpers in die 9 Ringe des Hinterleibs des vollkommnen Insektes sich umwandeln, und sich","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394 II. Buch. Organ, chemische Broctsse. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nverk\u00fcrzen; die Rudimente der Fl\u00fcgel am 2. und 3. Ring des Brustkastens, die Rudimente der Fiisse an den 3 Ringen des Brustkastens, die Antennen und Palpen am Kopfe sieh bilden. Der Sinn f\u00fcr das Licht entsteht hei vielen Larven erst durch die Verwandlung, hei anderen entwickeln sieh statt der einfachen Larvenaugen zusammengesetzte. Von 13 Ganglien des Nervenstranges heim Kohlschmetterling vereint sich das 3. mit dem 4., das 5. mit dem \u00f6., das 7. und 8. verschwinden ganz. Mit diesen Umwandlungen laufen die der Eingeweide gleichen Schritt. Der Schmetterling erlangt auch statt der bisherigen Kiefer den S\u00e4ugr\u00fcssel; seine Spinngef\u00e4sse verschwinden. Der Darmkanal, die Athemorgane wandeln sich um. Vergl. pag. 295. Vom Beginn der Entwicklung ist der Fettk\u00f6rper fast verfl\u00fcssigt, er wird gr\u00f6sstentheils auf die Bildung der neuen Organe verwandt. Siehe das N\u00e4here in dem classischen Werk: Herold EriUvicklungsge-schichte der Schmetterlinge. Cassel 1815. W\u00e4hrend hei den Amphibienlarven die Genitalien anfangs fehlen, hat Herold hei den seihst sehr jungen Larven die \u00e4usserst zarten Rudimente der Hoden und Eierst\u00f6cke entdeckt. Viele Insekten beharren auf dem Larventypus.\nUnter den Crustaceen beobachtet man nicht allein, dass die h\u00f6heren Crustaceen im Embryonenzustnnde noch ein deutlich gegliedertes Brustst\u00fcck haben, und dadurch niederen Crustaceen gleichen; die jungen Crustaceen* sind auch oft viel einfacher, wie z. B. die jungen Cyclops nur 2 F\u00fchler und 2 Fusspaare haben. Einige Crustaceen erleiden sogar eine g\u00e4nzliche Umgestaltung ihrer Form, wie die Lernaeen nach den Entdeckungen von Nordmann. Micrograph. Beitr. 2. Die Stelle dieser sonderbaren parasitischen Thiere war lange im Systeme zweifelhaft, weil sie im ausgewachsenen Zustande fast alle Spuren ihrer fr\u00fcheren Gliederung abgelegt haben, daher sie Einige unpassend mit den Eingeweidew\u00fcrmern vereinigt hatten. Nordmann hat entdeckt, dass diese Thiere im Embryonen- und Larvenzustande als vollkommene Crustaceen erscheinen. Der Embrvo des Achteres perearum hat z. B. 4 Pin-self\u00fcsse. Nachdem er das Ei verlassen, hat er 2 Antennen, 3 Paar vordere Krallenf\u00fcsse, und 2 Paar B\u00fcschelf\u00fcsse, und ist den Fisch-l\u00e4usen \u00e4hnlich. Die Jungen von Ancorella haben in der Eih\u00fclle selbst ein rolhes Auge.\nDie Ringelw\u00fcrmer vermehren hei dem Wachsthume ihre Ringe, die Arenicolen auch die Zahl ihrer b\u00fcschelf\u00f6rmigen Kiemen, wie ich aus Vergleichung verschiedener Exemplare von Are-nicola carbonaria sehe.\nIII. Capitel. Von der Wiedererzeugung.\nDadurch, dass die schaffende organisirende Kraft, welche im Keim des Embryo alle Theile des Thiers gleichsam als nothwen-dige Glieder seines Begriffes erzeugt, in der Ern\u00e4hrung fortwirkt, ist Erholung, Genesung und Wiedererzeugung eines Verlustes in einer gewissen Grenze m\u00f6glich. Die Regenerationskraft","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"3. IVidler er Zeugung. Gesetze der Regeneration.\n395\nist um so gr\u00f6sser, je |iinger ein zusammengesetztes Thier, und je einfacher \u00fcberhaupt ein Thier gebildet ist. Die Larve der nackten Amphibien, welche seihst noch erst manche Theile erzeugt, die bei anderen Thieren im Embryozustande entstehen, wie die Genitalien, ist auch f\u00e4higer einen Verlust wieder zu erzeugen als das erwachsene Thier; die Insekten-Larven erzeugen oft verlorne Theile wieder, die Insekten nach der Verwandlung nicht. Bei den niederen Thieren, wie Polypen, W\u00fcrmern, erzeugen sich seihst Theile des Ganzen wieder zu einem neuen Ganzen. Man kann sich die allm\u00e4hlige Abnahme der Regenerationskraft mit der Entwicklung und mit der Zusammensetzung eines Thieres nicht anders verst\u00e4ndlich vorstellen, als dass die organisirende Kraft durch die Entwicklung und durch die Erzeugung der Organe gleichsam mehr vertheilt wird, und sich zum Theil an die einzelnen Organe mehr bindet.\nSchon in den Prolegomena sind einige der allgemeinen Gesetze, die l\u00fcr die Wiedererzeugung gelten, angef\u00fchrt. Wenn sehr einfache Thiere und Pflanzen eine gewisse Summe gleichartig gebildeter Theile besitzen, und wenn das Ganze durch Vermehrung dieser gleichartigen Theile w\u00e4chst, kann das Ganze sich theilen, und die getrennten St\u00fccke, welche nun noch die wesentlichen Theile des Ganzen, aber von geringerer Anzahl enthalten, leben fort und erg\u00e4nzen sich, wie z. B. abgeschnitlene Zweige von Pflanzen eingepflanzt wieder zu neuen productiven Individuen werden. Die verschiedenen Theile einer Pflanze sind sich noch so \u00e4hnlich, dass sich die Zweige in Wurzeln, die Staubf\u00e4den in Blumenbl\u00e4tter umwandeln k\u00f6nnen. Von diesem Gesichtspunkte l\u00e4sst sich auch die Regeneration der S\u00fcsswasserpolypen, Hydra und verwandter Thiere betrachten, obgleich die Polypen, nach den Infusorien zu schliessen, gewiss zusammengesetzter sind als man fr\u00fcher glaubte. Tremblev Abhandlung zur Geschichte der Armpolypen, \u00fcbersetzt von Goeze. Quedlinb. 1791. Schaeffer Abhandl. von den Armpolypen. Roesel Insektenbelust. 3. Bonnet contempt, de ia nature. Die Arme der Hydren k\u00f6nnen sich durch freiwillige Abl\u00f6sung zu neuen Polypen ausbilden. Es darf uns daher nicht wundern, dass sie es abgeschnitten tliun. Aber Polypen, die in transverseller oder longitudineller Richtung durchschnitten sind, erzeugen sich wieder, ja selbst kleinere St\u00fccke des Polypen werden wieder zu ganzen Thieren. Stellt man sich den ganzen Polypen als ein System von an Kraft \u00e4hnlichen Theil\u2014 dien vor, die nur so lange dem organisirenden individuellen Princip unterworfen sind, als sie eine gewisse Verwandschaft haben, und denkt man sich die individuelle organisirende Kraft als das Resultat des Zusammerwirkens der Molecule, so werden abgeschnittene St\u00fccke wieder Systeme \u00e4hnlicher Molecule enthalten. Das organisirende Princip wirkt hier wieder durch die Verwandtschaft der Theilchen zu einander, dass das St\u00fcck zu der Organisation eines neuen Polypen umgewandelt wird. Erreicht der Polyp eine gewisse Gr\u00f6sse, ist dann das System von an Kraft \u00e4hnlichen Theilchen gross geworden, so scheint in kleineren Theilen des Polypen eine gr\u00f6ssere Verwandtschaft der Mo-","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nlecule zu einander zu entstehen, als die Tlieilc zum Ganzen behalten, und so tritt ein Streben ein, einzelne Polypensprossen zu bilden, die sich abstossen und selbstst\u00e4ndig werden. Deswegen werden auch die Fetzen eines Polypen individualisirt, sie trennen sich bald von dem Mutterpolyp als neue Individuen. Nach Goeze, ScnAEFFER und Roesel so.ll man Polypen auch umkehren k\u00f6nnen und sie dennoch fortwachsen. Wendet man diese Facta auf die Keime der h\u00f6heren Thiere an, so werden diese nur so lange theilhar und regenerationsf\u00e4hig sevn, als sie noch aus einer homogenen Substanz bestehen, welche die Kraft zur individuellen Organisation noch in allen Theilen gleich enthalt. Denkt man sich, dass die Keimscheibe eines h\u00f6heren Thieres, entweder wo sp\u00e4ter der Kopf, oder wo sp\u00e4ter der Schwanz entsteht, durch irgend eine unbekannteUrsache bis auf eine gewisse Strecke sich theile, oder auch ohne Spaltung nach einer Richtung der Achse doppelte Theile entwickele, so werden, so fern jene oben angedeuteten Gesetze richtig sind, so gut wie bei einer in 2 noch zusammenh\u00e4ngende Fetzen getheilten Planarie, 2 K\u00f6pfe oder 2 Schwanztheile entstehen m\u00fcssen und eine Doppelmissgeburt wird entstehen. J. Mueller, Meck. Arch. 1828. 1. Die Doppelmissgeburten sind weder ganz durch Theilung eines Keims noch durch Verwachsung zweier Keime erkl\u00e4rlich. Ein grosser Theil der Doppelmissgeburten wird besser durch Verwachsung zweier Keime oder durch Entstehung zweier Embryonen in einer Keimhaut, die hernach verwachsen, erkl\u00e4rt, besonders wenn die getrennten Theile gross sind. Dass diese Verwachsung von Embryonen exi-stirt, geht als gewiss aus den F\u00e4llen hervor, wo die Embryonen nur durch einen kleinen Theil, wie z. B. durch den Ilinterkopf in Barrow\u2019s Fall, verwachsen sind. (Barkow de rnonstris duplici-hus ceriicihus inter se junctis. Berol. 1821.) Embryonen, welche bloss durch das Gesicht Zusammenh\u00e4ngen und in der Schnauze einfach sind, sonst aber doppelt oder Doppelmissgeburten mit einem Kopfe und getrennten ganzen R\u00fcmpfen kann man nicht wohl aus Theilung erkl\u00e4ren, sie entstehen wohl durch Verwachsung und Verschmelzung der Keime mit denjenigen Stellen, wo gleichnamige Theile entstehen sollten, Schnauze mit Schnauze oder auf andere Art, wo die gleichnamigen Theile eine gewisse Anziehung auf einander auszu\u00fcben scheinen. Dagegen w\u00e4re es eben so schwer, eine Missgeburt mit einem \u00fcberz\u00e4hligen Theil, mit einem \u00fcberz\u00e4hligen Finger, einen ganz einfachen K\u00f6rper mit einer doppelten Schnauze aus der Verwachsung zweier Keime zu erkl\u00e4ren. Die Gesetze, welche hei der Reproduction der Polypen gelten, xverden ohne Zweifel auch f\u00fcr die einfachen Keimstolle der h\u00f6heren Thiere gellen m\u00fcssen. Man besitzt \u00fcbrigens nur 2 Beobachtungen von Doppelmissgehurten des H\u00fchnchens aus so fr\u00fcher Zeit, wo die Keimhaut noch vorhanden war. Die eine ist von C. Fr. Wolff, 1Sou. comment, acad. Petrop. 14. 456., die andere von Baer, Meck. Arch. 1827. 576. In Wolff\u2019s Fall hingen beide vollst\u00e4ndige Embryonen nur durch denjenigen Theil der gemeinschaftlichen Keimhaut, der sich am Nabel in den Darm fortsetzt, zusammen. In Baer\u2019s Fall war die Area pellucida der","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"3. JVieder er Zeugung. TV. der wirbellosen Thierfi.\n397\nKeimhaut, statt wie gew\u00f6hnlich hiscuitf\u00f6rmig, vielmehr kreuzf\u00f6rmig. Die Embryonen hatten einen gemeinsamen Kopf, ihre Leiber divergirten in den 2 l\u00e4ngeren Schenkeln des Kreuzes. Wir werden \u00fcbrigens auf diesen Gegenstand im 8. Buche, das von der Entwicklungsgeschichte der organischen Wesen handelt, zur\u00fcckkommen.\nDie Planarien haben, wie Dug\u00e8s gezeigt hat, einen grossen Grad von Productionverm\u00f6gen. Froriep\u2019s Not. 501. Jeder S. oder 10. Theil des Thiers kann ein vollst\u00e4ndiges Individuum re-produciren. Jedes abgesebnittene St\u00fcck reproducirte sich im Winter in 12 \u2014 14, im Sommer in 4 Tagen vollkommen. Zuweilen theilen sich die Planarien in 2 Individuen durch Quer-theilung. Dug\u00e8s fand ein Individuum in Wasser mit zwei Schwanz-theilen, und wenn er die Planarien vorn der L\u00e4nge nach theilte, entstand eine Doppelmissgeburt mit 2 vollkommenen K\u00f6pfen.\nBei den Ringelw\u00fcrmern erstrecken sich die St\u00e4mme der Ge-f\u00e4sse, das knotige Nervensystem, der Darmkanal auf eine ziemlich gleichf\u00f6rmige Art durch die ganze L\u00e4nge des Thiers, durch die ringelf\u00f6rmigcn Abtheilungen des Wurmes. Man kann sich aus der Structur dieser Thiere, dass sie aus einer reihenf\u00f6rmigen Succession gleichf\u00f6rmiger Theile bestehen, schon erkl\u00e4ren, dass trotz ihrer gr\u00f6sseren Zusammensetzung doch auch die Theilung des Wurms in die Quere die Regeneration des Wurms nicht auf hebt. O. Fr. Mueller [von den TViirmern des s\u00fcssen und salzigen IVassers) halte die Regeneration der St\u00fccke der durchschnittenen Nereiden, Bonnet die Regeneration von 4, 5, 6 St\u00fccken der Nais variegata, und die Regeneration der zwei Theile eines ejuer durchschnittenen Regenwurms beobachtet, was Dug\u00e8s nicht gelang, obgleich die Regenw\u00fcrmer die abgeschnittenen vordersten Ringe und den Kopftheil ersetzen. Froriep\u2019s Not. 513. Alle diese Thiere regeneriren sich hei longitudinalen Durchschnitten nicht, wahrscheinlich weil die St\u00fccke nun nicht mehr die qualitativ verschiedenen Glieder des Ganzen enthalten. Man bildet die \u00e4lteren Beobachtungen in den gr\u00f6sseren Werken. Treviranus Biologie. Burdach\u2019s Physiologie 1., und in einer kleinen Schrift von Eggers von der JViedererzcugung. TViirzb. 1821. zusammengestellt.\nDie Mollusken, Insekten, Crustaceen, Spinnen regeneriren nur einzelne Theile nach, die ihnen abgeschnitten worden, und es ist gewiss, dass die Schnecken nur einen Theil des Kopfes und die F\u00fchlh\u00f6rner regeneriren, wenn das Gehirn, das auf dem Schlunde liegt, nicht verletzt w'ird. Diese Regeneration erfolgt nur bei gem\u00e4ssigter Temperatur, nicht in der K\u00e4lte. Sciiweigger Naturgeschichte der skeletlosen ungegliederten Thiere. Die Naiden theilen sich von seihst, wie O. Fr. Mueller, Gruithuisen, Dug\u00e8s beobachtet haben. Gruithuisen Nov. act. not. cur. T. 11. tab. 35. Die Hirudineen besitzen nach Moquin Tandon wenig oder kein Reproductions verm\u00f6gen.\nNach Heineren h\u00f6rt die Reproduction der Beine bei den Spinnen auf, sobald sie aufh\u00f6ren sich zu h\u00e4uten oder ganz erwachsen sind. Die Larven der Insekten reproduciren ihre F\u00fchler, nicht die vollkommenen Insekten. Frorieps Not. 6(!6. 607. Die","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\nPliasmen erzeugen verlorne Beine wieder in ilirem unvollkommenen Larvenzustande. Nov. act. nat. cur. T. 12. 5fi3. Die Regeneration der F\u00fcsse bei den Krebsen ist bekannt. Von den Fischen kennt man nur die Reproduction der Flossen nach Broussonet. Eggers a. a. 0. 51.\nUnter den beschuppten Amphibien kennt man die Reproduction des Schwanzes bei den Eidechsen, worin sich jedoch keine vollkommenen Wirbel, sondern nur eine knorpelige Saule bildet. Auch die Salamander erzeugen nach Spallanzani ihren Schwanz wieder. Physic, mathem. Abh. Wir haben hier ein Beispiel von Reproduction des hintersten Theils des R\u00fcckenmarks. Ueber die Reproduction der Salamander haben Spallanzani, R\u00f6nnet, Blumenbach {Spec, physiol, comp, inter animantia calidi ct frigicii sanguinis), Steinbuch {Analecten), und Rudolpiii Versuche angestellt.\nBei den Salamandern, jungen sowohl als alten, erzeugen sich die Beine wieder. Rudolpiii hat beobachtet, dass in dem neuerzeugten Beine des Salamanders keine Grenze an dem reproducir-ten Nerven zu bemerken war. Bei den Salamandern erfolgt auch eine Reproduction der Unterkinnlade, und nach Blumenbach bei Tritonen selbst des Auges mit Hornhaut, Iris, Linse etc. innerhalb eines Jahres. Die Bedingung zu einer Reproduction ist aber, dass der Sehnerve und ein Tlieil der Augenh\u00e4ute im Grunde des Auges unverletzt geblieben. Das Blastema, aus welchem sich hier nach und nach die einzelnen Theile eines verlornen Organs bilden, ist zuerst-gallertartig durchsichtig; so erscheint es als ein gallertartiger Kegel an dem Stumpfe der verschnittenen Beine und der Kieme der Tritonlarve. Nach Steinbuch bemerkt man schon am 2. \u2014 3. Tage am Stumpfe der Kieme dieses wasserhelle, anfangs gef\u00e4sslose Blastema. Diess vergr\u00f6ssert sich zur Form eines Cylinders, aber schon nach einigen Tagen ist diese Materie organisirt und vom Blute durchflossen. Vergl. pag. 372. Bei eigenem Versuche wollte mir diess lange nicht so schnell gelingen. Nach einer Mittheilung von Dieffenbach l\u00f6sst sich nach einer Verwundung der Haut, Muskeln und der Beinhaut bei Salamandern \u00f6fter das ganze Glied, Extremit\u00e4t oder Schwanz ab, welche nachwachsen.\nDie Frage, welches Princip die Wiedererzeugung so zusammengesetzter Theile bei einem erwachsenen Thiere bedingt, ist schon oben ber\u00fchrt worden; oh jenes organisirende Princip, welches selbst die Nerven beherrscht, und bei der ersten Entstehung die Nerven erzeugt, oder die Nerven. Bei der letztem Ansicht ist es interessant, dass alle Nervenfasern, die sich in den Theilen des abgeschnittenen Gliedes von den Nervenst\u00e4mmen aus verbreitet hatten, schon in den noch vorhandenen Nervenst\u00e4mmen des Stumpfes vereinigt neben einander vorhanden sind, wie in der Physik der Nerven im 3. Buche bewiesen wird, und dass die Nervenst'\u00e4mme in der Regel nur die Summe aller in den Aesten und Zweigelcben der Nerven sich entwickelnden Primitivfasern sind. Die zweite Durchschneidung der Nerven an einem Stumpfe beim Salamander soll die Reproduction des Stumpfes hindern.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder er zeugung. IV. der Gewebe.\n3.99\nTonn Quarterly J. of sciences Vol. 16. p. 91. Treviranus Erscheinungen und Gesetze 2. 7. Wahrscheinlich wird indess selbst die Erzeugung der Nerven von einem h\u00f6hern Princip aus bestimmt, da sich die Nerven gleich anderen Tbeilcn hei der Metamorphose der Thiere umwandeln. Alle bisher betrachteten Reproductions-ph\u00e4nomene geschehen ohne Entz\u00fcndungsproeess, sondern durch eine Bildung von Blastema und Organisation desselben, \u00e4hnlich wie hei der ersten Zeugung. Bei den niederen Thieren gehen die Ph\u00e4nomene der Entz\u00fcndung h\u00f6chstens jenen Reproductions-crscheinungen vorher, als n\u00e4chste Folgen der Verwundung. Bei den Fr\u00f6schen beobachtet man wirklich in seltenen F\u00e4llen Eiterung, w\u2019ie ich seihst gesehen. Bei Schlangen verschorften mir schnell die Wunden. Bei den h\u00f6heren Thieren giebt es keine Reproduction zusammengesetzter Tiieile, wie der Extremit\u00e4ten, des Auges, mehr, sondern nur Wiedererzeuguug einzelner Gewebe.\nWiedererzeugung der Gewebe.\nDie Wietiererzeugung der Gewebe erscheint in zweifacher Form, 1) als Regeneration der Gewebe ohne Entz\u00fcndung; 2) als Regeneration mit begleitender Entz\u00fcndung. Die Entz\u00fcndung darf in keinem Falle als die alleinige Ursache einer Regeneration angesehen werden. Bei dem Menschen und den S\u00e4ugethieren Bestehen Regeneration und Entz\u00fcndung oft gleichzeitig nebeneinander, und die Regeneration wird oft durch die Entz\u00fcndung hervorgerufen. Allein der Regenerationsprozess ist noch wesentlich von der Entz\u00fcndung verschieden; jener ist die Aeusserung der Vis medicatrix naturae; diese ist die krankhafte Folge der Verletzung und tendirt je nach den Umst\u00e4nden ebenso zum Schlimmen als zum Guten. Die Unabh\u00e4ngigkeit der Heilung von der Entz\u00fcndung zeigt sich schon sehr deutlich bei den Amphibien; denn bei den Schlangen heilen sogar grosse Wunden mit Substanzverlust ohne Eiterung, indem die Oberfl\u00e4che verschorft wird, unter dem Schorf die neue Substanz sich bildet, diess habe ich seihst beobachtet, und ebenso soll es sich nicht seilen bei V\u00f6geln ereignen. Bei den Salamandern und bei den niederen Thieren ersetzen sich sogar ganze Glieder ohne jenen pathologischen Process und wer wird hier an die Nothwendigkeit der Enz\u00fcndung zur Regeneration denken. Beim Menschen und bei den S\u00e4ugethieren sind dagegen wenigstens nach Verletzungen Entz\u00fcndung und Regeneration mit einander gleichzeitig, und die Entz\u00fcndung dauert so lange bis die verletzte Stelle nicht mehr leidet. Daraus hat man den falschen Schluss gezogen, dass die Entz\u00fcndung ein vermehrter Lebensprocess sei. Bei den h\u00f6heren Thieren giebt es \u00fcbrigens auch einzelne F\u00e4lle von Regeneration ohne alle Spur einer begleitenden Entz\u00fcndung, wie die Wiedererzeugung der Geweihe, Haare, N\u00e4gel u. s. w.\n1) Regeneration ohne Entz\u00fcndung.\na. Organisirte Gewebe, w\u2019elche wiedererzeugt werden, nachdem sie ihre Organisation verloren haben.\nHierher geh\u00f6rt die Regeneration der Schale der Krebse, der","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nGeweihe der Hirsche, der organisirten Keime der Federn und Stacheln, welche sp\u00e4ter ihre Organisation verlieren. Die Schale der Krebse wird j\u00e4hrlich erneut, wenn die Entwicklung der inneren Theile dem Umfange der Schale nicht mehr entspricht. Die Schale spaltet sich und wird im August abgeworfen, unter ihr hat sich schon eine neue gebildet, die anfangs weich, empfindlich ist, und selbst Gef\u00e4sse enth\u00e4lt, aber durch Aufnahme von kohlensauren Kalktheilchen bald hart wird. Cuv. oergl. yjnat. 1. 101. Zur Zeit des Schalenwechsels erzeugen sich an beiden Seiten des Magens, der auch sein Epithelium erneuern soll, kalkige Concretionen, Lapides cancrorum; sobald die neue Schale h\u00e4rter wird, verschwinden diese Concretionen wieder.\nDas Geweihe des Hirsches und verwandter Thiere ist mehr der organisirten Matrix der H\u00f6rner der wiederk\u00e4uenden Thiere als den H\u00f6rnern seihst zu vergleichen. Die Basis des Geweihes sitzt auf dem Stirnbeinh\u00f6cker, ein kn\u00f6cherner zackiger Wulst bezeichnet die Grenze dieses H\u00f6ckers und des Geweihes. IN ich t zur Begattungszeit (Herbst), sondern im Fr\u00fchling werfen die M\u00e4nnchen das Geweihe ah, und es entsteht das neue Geweihe. Die Trennung geschieht durch eine Art Erweichung der organisirten Rnochensubstanz des Stirnbeinh\u00f6ckers an der Grenze zwischen diesem und dem Geweihe. Der neue rauhe Stirnheinfortsatz wird von der Haut bald wieder \u00fcberzogen. Nun w\u00e4chst das neue Geweihe aus dem Stirnbeinfortsatze hervor, von einer Fortsetzung der Haut und unter dieser von Beinhaut bedeckt, weich und knorpelig von unz\u00e4hligen Gef\u00e4ssen durchdrungen. Indem die Knorpelmasse verkn\u00f6chert und hierbei durchaus die Entwicklung der Knochen des F\u00f6tus und Kindes wiederholt, verlieren das Periosteum und die Haut des Geweihes ihre Organisation und l\u00f6sen sich ah. Nach der Castration erzeugen die jungen Hirsche keine Geweihe und die \u00e4lteren wechseln ihre Geweihe nicht mehr. Cuvier oergl. Anat. 1. 97. Bertiiold Beitr\u00e4ge zur Anatomie, Zoologie und Physiologie.\nAuf eine gleiche Art haben die organisirten Keime der Haare nnd Stacheln hei den S\u00e4ugethieren und die Keime der Federn hei den V\u00f6geln ihre Zust\u00e4nde der Abnahme und der Turgescenz, bei dem H\u00e4ren und Mausern. Diess wird die Ursache zum Ausfallen und zur Wiedererzeugung der Haare und Federn. Die Wiedererzeugung der Haare und Federn ist jedoch insofern von der Wiedererzeugung der Geweihe verschieden, als nur die Matrix der Haare dem organisirten Geweihe gleicht, und das abgestorbene Mark der Federn dem verh\u00e4rteten Geweihe gleicht, w\u00e4hrend die Hornsubstanz der Federn bloss durch die Matrix abgesondert wird, wovon an dem Geweihe als Aehnliches nur die Oberhaut des noch weichen Geweihes vork\u00f6mmt. Wir werden daher die Regeneration dieser Theile von der der Geweihe trennen.\nb. Gef\u00e4sslose Gewebe, welche durch Regeneration ihrer Keime wiedererzeugt werden. Es geh\u00f6rt hierher die Wiedererzeugung der Horngewebebildungen, des Zahngewebes und des Gewebes der CrvstalUinse.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder Erzeugung. TH. d. Gewebe. N\u00e4gel.\n401\n4. Horngewebe.\nDie Nagel erzeugen sich bekanntlich wieder, so lange ihre Matrix noch vorhanden ist; aber man bat selbst an den Mittelgliedern amputirter Finger eine anfangende Nagelbildung beobachtet. Blumenb \\cii instit. physiol, p. 511.\nUeber das Haren der S\u00e4ugethiere hat IJeusinger Aufschluss gegeben (Meck. Arch. 558).\t5 Tage nach dem Ausrupfen eines\nTasthaares des Hundes war ein mehr als 2 Millim. langes Haar entstanden. Bei den H\u00e4ren wird die Zwiebel des alten Haares blass und es bildet sich neben ihr ein schwarzes K\u00fcgelchen, welches sich in den neuen Haarcylinder verwandelt. Diess ist sehr interessant, dass die Matrix des neuen Haares gleichsam ein neuer Auswuchs des productiven Bodens des Balges, und nicht der alte Keim ist. Es soll ebenso bei den Stacheln seyn. Bei dem Mausern der V\u00f6gel wird die Oberhaut am Schnabel und anderen Stellen in Form von Platten oder von Kleie abgestossen. Beim Abfallen der alten Federn sind die Keime der neuen Federn schon vorhanden. Siehe das N\u00e4here bei A. Meckel., Beil\u2019s Arch. 12. Eble a. a. O. 1. 83. Burdach\u2019s Physiologie 3. 524.\nVerschiedene Schriftsteller nehmen nach ihren Beobachtungen an, dass ausgerissene und in Einstiche der Haut verpflanzte Haare wieder anwachsen. Dzondi Beitr\u00e4ge zur Vervollkommnung der Hedkunde. Halle 1816. Dieffenbach de regeneratione et irans-plantatione. Herhip. 1822. Wiesemahn de coali/u partium a relic/uo corpore prorsus disjunctarum. Lips. 1824. Diess Anwachsen ausgerissener Haare nach der Transplantation und das Weiterwachsen derselben scheint mir noch nicht constatirt. Insofern die Zwiebel der Haare im Innern organisirt ist, l\u00e4sst sich wohl ein Coalitus seihst mit anderen Theilen der Haut als dem Boden eines Haarbalges denken. Aber wie leicht kann hierbei T\u00e4uschung stattfinden.\n2. Zahngewebe.\nDie Z\u00e4hne regeneriren sich f\u00fcr den Zweck des Zahnwechsels, da sie an der Krone nicht wachsen k\u00f6nnen und neue Z\u00e4hne dem Umf\u00e4nge der vergr\u00f6sserten Kiefer entsprechend entstehen m\u00fcssen. W\u00e4hrend das Hervorbrechen der neuen oder Wechselz\u00e4hne gegen das 6. \u2014 7. Jahr eintritt, hatten sich die Kronen dieser Z\u00e4hne schon sehr fr\u00fchzeitig gebildet. Unter den Milchz\u00e4hnen sind bekanntlich nur 8 Backenz\u00e4hne, unter den bleibenden 20 Backenz\u00e4hne. Die Milchbackenz\u00e4hne sind 4spitzig. Von den bleibenden Backenz\u00e4hnen sind die 2 vorderen jeder Kieferh\u00e4lfte 2spitzig^ die hinteren 4spitzig. Die Milchz\u00e4hne beginnen ihre Entwicklung im dritten Monat des Embryolebens und l\u00e4ngen vom 6. Monat nach der Gehurt an hervorzubrechen.\nDie bleibenden Z\u00e4hne haben ein eigenth\u00fcmliches Ortsver-b\u00e4ltniss zu den Milchz\u00e4hnen. Die sp\u00e4teren 3 hintersten Backz\u00e4hne liegen in einer Reihe mit den Milchz\u00e4hnen und schliessen sich nach Aussen an die Milchbackz\u00e4hne an, mit denen diese hinteren Backenz\u00e4hne auch in der Form der Krone \u00dcbereinkommen, w\u00e4hrend die 2 vorderen Backenz\u00e4hne des Erwachsenen als bi-IM u 11 er\u2019s Physiologie. I.\t26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahsclin. Ern\u00e4hrung.\ncuspidati den Milchbackz\u00e4hnen nicht entsprechen. Die vorderen bleibenden Backenz\u00e4hne, die bleibenden Eck- und Scbneide-z\u00e4hne liegen anfangs hinter den Milchbackz\u00e4hnen, Eckz\u00e4hnen, Schneidez\u00e4hnen. Von den S\u00e4ckchen der bleibenden Z\u00e4hne entsteht nach J. Fr. Meckf.l das des dritten (oder des ersten grossen) Backzahns schon am Ende des 4. Monats der Schwangerschaft. Handb. der Anat. 4. 214. Die S\u00e4ckchen der bleibenden Schneidez\u00e4hne bilden sich nach Meckel im Anf\u00e4nge des 8. Monats der Schwangerschaft, dann das S\u00e4ckchen des Eckzahns, darauf das S\u00e4ckchen des rnittlern grossen Backzahns, die S\u00e4ckchen der vorderen kleinen Backz\u00e4hne erst einige Monate nach der Geburt, das S\u00e4ckchen des hintersten grossen Backzahns erst im 4. Jahr. Meckel a. a. 0. p. 226. Nach Blake und Meckel sind die S\u00e4ckchen der bleibenden Z\u00e4hne Ausw\u00fcchse der S\u00e4ckchen der Milchz\u00e4hne. Indessen findet nach Meckel nur zwischen den \u00e4usseren Bl\u00e4ttern der Zahns\u00e4cke jener Zusammenhang statt; der neue innere Zahnsack entwickelt sich vielmehr an dem alten, zwischen diesem und dem \u00e4usseru S\u00e4ckchen. Meckel a. a. 0. p. 227. Vergl. Meckel im Archiv jiir Physiol. 3. 556. Unter den bleibenden Z\u00e4hnen f\u00e4ngt der dritte Backzahn oder erste grosse Backzahn gegen Ende der Schwangerschaft an zu verkn\u00f6chern. All\u2014 m\u00e4hlig werden die Alveolen der neuen Z\u00e4hne von den alten geschieden. Doch hangen beide Zahnh\u00f6hlen noch immer durch eine ansehnliche Oeffnung zusammen, wodurch der gemeinschaftliche Theil des \u00e4ussern Zahns\u00e4ckchens tritt. Meckel a. a. O. p. 227. Der Zahnwechsel beginnt im 6. \u2014 7. Jabre. Zuerst erscheinen die vorderen grossen Backz\u00e4hne; dann die Schneidez\u00e4hne und Eckz\u00e4hne; die mittleren grossen Backz\u00e4hne erscheinen erst im 13. \u201414., die hintersten Backz\u00e4hne vom 16. \u2014 20. Jahre. Vor dem Ausfallen verlieren die Milchz\u00e4hne ihre Wurzeln.\nDass die Z\u00e4hne eines Thieres ausgerissen und wieder eingesetzt, wieder fest wachsen, wird verschiedentlich behauptet. Ich bezweifle diess entschieden. W\u00e4re es ein wahres Anwachsen, so m\u00fcssten sich die zerrissenen Gef\u00e4sse des Zahnkeims wieder mit den Gef\u00e4ssen des Bodens der Alveole vereinigen. Gerade dieser interessante Gegenstand ist nicht so constatirt, wie er es seyn muss. Eine sehr sichere Art, zur Entscheidung dieser Frage beizutragen w\u00e4re, Thiere mit frisch versetzten Z\u00e4hnen mit F\u00e4rberr\u00f6the zu f\u00fcttern. Hat eine Verwachsung statt gefunden, so muss sich die innerste Schichte des Zahnes an der Zahnh\u00f6hle roth f\u00e4rben. Geborstene Z\u00e4hne k\u00f6nnen sich nat\u00fcrlich nicht regeneriren, da sie nicht organisirt sind, sondern die Risse h\u00f6chstens sich mit Kitt oder Weinstein aus den Speichelsalzen f\u00fcllen. Bei den Schlangen w\u00e4hrt die Bildung neuer Giftz\u00e4hne best\u00e4ndig fort. Die neuen Z\u00e4hne der Crocodile dringen in die conischen H\u00f6hlen der alten Z\u00e4hne vor.\n3. Crystalllinse.\nDie Crystallhnse scheint sich in gewissen F\u00e4llen, nachdem sie aus der Capsel entfernt worden, durch ihre Matrix, die Capsel, wieder zu erzeugen. Lerov d\u2019Etiole hat diess beobachtet. Ma-geisd. J. de Physiol. 182/. 30. Im ersten balle waren 13 Tage,","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wiedererzeugung. W. d. Gewebe. Crystalttinse.\n403\nim zweiten Falle 33 Tage, im dritten Falle 39 Tage, im vierten Falle 31 Tage, im f\u00fcnften Falle 4(i Tage, im sechsten Falle 165 Tage nach der Extraction der Crystalllinse hei Kaninchen, Katzen und Hunden verflossen, als das Auge untersucht wurde. Der Inhalt der hergestellten Capsel war entweder eine gr\u00fcmmliche Masse wie im zweiten Falle, oder ein kleiner linsenf\u00f6rmiger K\u00f6rper wie in den meisten \u00fcbrigen F\u00e4llen, im 6. Falle war aber eine ganz volumin\u00f6se Crystalllinse gebildet. Yergl. Mayer, Graefe und Walther\u2019s Journ. 17. 1. Vbolik ebend. 18. 4. W. Soemmebring Beobachtungen \u00fcber die organischen Ver\u00e4nderungen im Auge, nach Slaarof/erationen. Frankfurt 1828.\n2) Regeneration mit begleitender Entz\u00fcndung.\nFast alle F\u00e4lle von Regeneration bleibend organisirter Theile bei dem Menschen geh\u00f6ren hieher, wenn man die F\u00e4lle ausnimmt, dass sich die Keime f\u00fcr Haar- und Zahnbildung nacherzeugen k\u00f6nnen, und dass diese Keime zuweilen selbst pathologisch z. B. im Eierstocke und anderen Theilen entstehen, so dass sich Haare, Z\u00e4hne hier wie an anderen Orten erzeugen. Diese Erzeugung scheint nach denselben Gesetzen zu erfolgen. Die Z\u00e4hne haben auch ihren Schmelz, und entstehen in S\u00e4ckchen. Meck, im Arch. 1. 519.\na. Regeneration bei exsudativer Entz\u00fcndung.\nDie Entz\u00fcndung hat in einem verwundeten oder nicht verwundeten Theil, wenn er freie Oberfl\u00e4chen darbietet, eine Exsudation. von coagulabler Fl\u00fcssigkeit, Liquor sanguinis, zur Folge. Fehlen freie Oberfl\u00e4chen, so h\u00e4uft sich die coagulable Materie in den Cupillargef \u00e4ssen und in dem Gewebe an und verdichtet dasselbe. Die in Wunden und auf Oberfl\u00e4chen entz\u00fcndeter Theile exsudirende Materie ist anfangs fl\u00fcssig, sie erscheint auf entz\u00fcndeten H\u00e4uten zuerst tropfenweise, anfangs durchscheinend wird sie allm\u00e4ldig vveisslich und consistent. Es ist der im Blute aufgel\u00f6ste Faserstoff. Zur Zeit, wo die exsudirte Materie noch weich ist, scheint sie durch ein dem coagulablen Faserstoffe einwohnendes Lebensprincip zur Organisation zu streben, die durch Affinit\u00e4t und Wechselwirkung derselben mit den entz\u00fcndeten Oberfl\u00e4chen auch erfolgt. Vergl. pag. 371. Es entstehen neue Gef\u00e4ssc in der exsudirten Materie, indem sie anfangs wahrscheinlich wieder Liquor sanguinis in die entstehenden Rinnen, hernach auch rothe,K\u00f6rperchen aufnimmt, ohne dass an eine Verl\u00e4ngerung von Gef\u00e4ssenden, die ja nicht existiren, gedacht werden kann. So muss man sich auch die Entstehung der neuen Gef\u00e4sse in den Wunden und dem die Wundr\u00e4nder verklebenden, Liquor sanguinis vorstellen. Eine Verl\u00e4ngerung der durchschnittenen, Gef\u00e4sse kann man hier nicht wohl annehmen. Alle durchschnittenen. Gef\u00e4sse schliessen sich ohnehin durch Gerinnsel, Trombus. Die durch Exsudation entstandenen Pseudomembranen organisiren sich nicht immer, in den Sehleimmembranen erfolgt diess in der Regel nicht, wie im Croup, in deu ser\u00f6sen Membranen erfolgt es.in der Regel. Dass die Exsudate in sehr vielen F\u00e4llen organisirt werden, daran ist nicht zu zweifeln, wenn man einmal die sch\u00f6nen Injectionen dieser neuen Gef\u00e4sse in Schr\u00f6der van der Kolk\u2019s\n26 *","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404 II. Huch. Organ, chemische Processe. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\nSammlung zu Utrecht und von Pocket.s in Braunschweig gesehen hat, wo Arterien und Venen von Pseudomembranen verschiedener Theile vorn Darme und von der Leber, von Pseudornembranen zwischen Pleura costalis und pulmonalis verschieden gef\u00e4rbt in-jicirt sind. ln diesen Psendomembranen entstehen auch neue Lymphgef\u00e4sse, wie ich -an mehreren Pr\u00e4paraten von Schr\u00f6der gesehen habe, wo neben Arterien und Venen die Lymphgef\u00e4sse mit Quecksilber gef\u00fcllt waren. In Hepatitide vero chronica he-pate pseudomembranis diaphragmati accreto mihi contigit, mercu-j ium in vasa lymphatica inpulsum in ipsas pseudomembranas pro-pellere, ita ut vasa lymphatica nova in conspectum venirent; in bis valvulae vel noduli iam conspici poterant, licet minores quam in aliis vasis lymphaticis; cum arteriis et venis cursum magis rectum servabant, aliquando tarnen paulatim convolutum, aliquando quaedam vasa lymphatica ad pseudomemhranae originem sursum tollebantur, sed postquam in pseudomembranam transire incepe-rant, arcu facto ad hepatis superficiem redibant, in illo arcu plura vasa lymphatica ex bepate terminabantur; an arcus tabs prima vasorum lymphaticorum novorum origo? Schr\u00f6der observ. anal, path. 43.\nMerkw\u00fcrdig ist die neue Gef\u00e4sshildung zwischen den St\u00fcmpfen einer unterbundenen und durchschnittenen Arterie. Mau-TioiR, Parry, Mayer haben solche Beobachtungen gemacht, welche sehr \u00fcbereinstimmend sind. Besonders ist seit Ebel\u2019s wiederholten, mit guten Abbildungen begleiteten Beobachtungen an der Thatsache nicht zu zweifeln. Edel de natura medic at rice, sicubi arteriac vulneratae et ligatae fuerint. Giessen 1826. Die neue Verbindung geschieht durch mehrere zuweilen gewundene Gef\u00e4sse von einem zum andern Stumpfe, wie z. B. zwischen beiden St\u00fcmpfen der Carotis communis. Bei der Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung hat man \u00fcbersehen, dass bei den Thieren auch die Carotis communis mehrere ganz kleine Zweigelchen in die Halsmuskeln abgiebt, daher auch diese sogenannten neuen Gef\u00e4sse wahrscheinlich nur Umbildungen von anliegenden Capillargef\u00e4ssnetzen sind.\nWas die Aneinanderheilung getrennter Theile betrifft, so heilt Alles zusammen, was organisirt ist und im exsudativen Stadium der Entz\u00fcndung sich ber\u00fchrt; getrennte Nervenst\u00fccke k\u00f6nnen unter sich, aber auch mit Muskelsubstanz, Beinbaut, Aponeu-rosen zusammenheilen. Ja selbst ganz abgeschnittene Theile heilen an, w-enn sie frisch in innige Ber\u00fchrung mit homogenen oder heterogenen frischen Wundfl\u00e4chen gebracht werden, deren Entz\u00fcndung aber auch \u00fcber das Stadium exsudativum nicht hinaus seyn darf. Die Wiederanheilung vollkommen getrennter organisier Theile ist zwar \u00e4usserst selten, aber doch nicht zu bezweifeln. Es geh\u00f6rt z. B. hierher der merkw\u00fcrdige BuENGER\u2019sche Fall von Anheilung einer aus einem ganz getrennten Hautst\u00fccke des Schenkels k\u00fcnstlich gebildeten Nase. Froriep\u2019s ISiot.. 4. 255. Nicht alle F\u00e4lle dieser Art ertragen indess eine scharfe Kritik. Huk-ter wollte den Zahn eines Jlundes in den Kamm eines Hahnes verpflanzt haben, wo er fest wurde. Diess wird wohl schwerlich Anheilung gewesen seyn. Er verpflanzte eine Dr\u00fcse vom Unter-","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"4. Wiedererzeugung. W. hei exsudativer Entz\u00fcndung. lOo\nleib eines Halmes auf eine Henne (be next transplanted a gland taken from the abdomen of the cock to a similar situation of a ben). Er verpflanzte den Sporn eines Hahnes. Diese sollen gewachsen seyn. Abernethy hat diese und andere F\u00e4lle beschrieben. Abernethy physiol, lect. 253. Aehnliche Versuche hatte Ba-ronio angestellt. Vergl. oben von den Z\u00e4hnen und Haaren. Nach Merrem und v. Walther, meinem grossen Lehrer, heilt sogar das austrepanirte Knochenst\u00fcck wieder ein.\nDie Anheilung von Hauttheilen, die noch mit dem Stamme Zusammenh\u00e4ngen, mit anderen Theilen desselben K\u00f6rpers geschieht bekanntlich leicht. Ein Process, worauf die Bildung der Nase aus der Stirnhaut und viele andere Fortschritte der Chirurgie beruhen, um welche sich Dieffenbach grosse Verdienste erworben hat. Das einmal angeheilte Hautst\u00fcck kann hernach an der Br\u00fccke, durch die es w\u00e4hrend der Anheilung mit dem Stamme verbunden seyn musste, durchschnitten werden. Die Verwachsung zweier in Entz\u00fcndung gesetzter Theile, deren sich die Chirurgie mit so grossem Vortheile zur Aufhebung der Dis-continuit\u00e4ten und Aufhebung gewisser Absonderungen bedient, ist eine ganz allgemeine Erscheinung bei organisirten Theilen. Der F\u00f6tus kann hierdurch an Theilen seines K\u00f6rpers mit den Eih\u00fcllen verwachsen, aber selbst verschiedene Individuen k\u00f6nnen aut diese Art mit einander verwachsen. Bei der Verwachsung der Embryonen zeigt sich hier ein \u00e4usserst merkw\u00fcrdiges Gesetz, dass mit seltenen Ausnahmen immer die gleichartigen Theile beider Embryonen nicht bloss verwachsen, sondern ganz zusammen-stossen; ja es entfernen sich sogar die symmetrischen Theile des einen Embryo an der Verwachsungsstelle von einander und verwachsen mit den entsprechenden Theilen des andern Embryo\u2019s; wodurch die Janus-Missgeburten entstehen. Dieser Process ist ohne eine gewisse Affinit\u00e4t gleicher Theile nicht denkbar. Diese Verwachsungen mit Verschmelzung m\u00fcssen ganz ausserordentlich fr\u00fch eintreten. Denn sp\u00e4ter findet sich beim Verwachsen nur Verbindung.\nRathke hat einen Fall beobachtet, dass ein Embryo mit dem Kopfe eines andern durch seine Nabelschnur verbunden war. Meck. Arch. 1830. 4.\nWas die Regeneration cler verschiedenen Gewebe betrifft, so verwachsen zwar die getrennten Theile eines Gewebes bei der Ber\u00fchrung im Stadium exsudativum der Entz\u00fcndung in der Regel, aber die neuerzeugte Substanz, welche die organisirten Theile verbindet, und welche anfangs Faserstoff ist, hat bei den der Empfindung und Muskelbewegung bestimmten Theilen nicht vollkommen die Eigenschaften, welche diese Gewebe sonst darbieten. Bei den meisten anderen Geweben ist die Regeneration vollst\u00e4ndig, auch in Hinsicht der organischen Qualit\u00e4ten, besonders bei denjenigen Geweben, welche xveniger durch ihre Lebenseigenschaften als durch die verm\u00f6ge des Lebens erhaltenen physikalischen Eigenschaften wichtig werden, wie die Knochen. Die Gewebe der letztem Art regeneriren aber nicht alle gleich leicht.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nDie Sehnen, B\u00e4nder, Knorpel regeneriren \u00fcberhaupt ungemein schwer, die Knochen dagegen sehr leicht.\nDie Thatsachen \u00fcber die Heilung verletzter Knorpel hat E. II. Weber in seinem trefflichen Werk Anat. 1. 306. zusammen-gestellt. Nach Brodie heilen verletzte Gelenkknorpel h\u00f6chstens doch nur so, dass die zerst\u00f6rten Theile nicht wieder ersetzt werden. Nach Beclard entsteht zwischen den Bruchfl\u00e4chen der Rip-penknorpel eine aus Zellgewebe gebildete Platte; w\u00e4hrend die Knorpelst\u00fccke auch noch durch einen kn\u00f6chernen Ring verbunden werden. Als D\u00f6rner aus dem Schildknorpel einer Katze ein kleines 4eckiges St\u00fcck herausgeschnitten hatte, war das Loch in 28 Tagen nur durch eine teste Haut angef\u00fcllt. Knorpel, welche durch einen Schnitt getrennt werden, wachsen nach D\u00f6rfer nicht unmittelbar, sondern durch Vereinigung des Periehon-driums zusammen.\nUeher die Regeneration des fibr\u00f6sen Gewebes haben Arne-mam, Murray, Moore, K\u00f6hler Versuche angestellt, welche in Weber\u2019s Werke citirt sind. Bei der Heilung der Sehnen soll die neue Substanz mehr knorpelig als faserig und gl\u00e4nzend seyn. Nach Arnemann soll sich die Dura mater nie wieder erzeugen (?).\nAusgezeichnet ist die Regeneration der Knochen. Die mehr schwammigen Knochen, wie Sch\u00e4del, Becken und Epiphysen der R\u00f6hrenknochen, heilen schwieriger als die R\u00f6hrenknochen und dichteren Knochen. Manche Br\u00fcche heilen oft nur durch eine faserige biegsame Bandmasse, wie die zerbrochene Kniescheibe. Der Bruch des Oberschenkelbeinhalses innerhalb des Capselban-des heilt in der Regel nicht durch Callus, sondern durch eine ligament\u00f6se Masse. Otto path, ylriat. pag. 225. Das austrepanirte St\u00fcck des Sch\u00e4dels wird selten, selbst nach langer Zeit nicht, durch einen vollst\u00e4ndigen Ersatz von neuerzeugter Knochenmaterie regenerirt. Doch k\u00f6mmt zuweilen eine vollst\u00e4ndige Ausf\u00fcllung durch neue Knochensubstanz vor, was Scarpa sah.\nDer Process der Heilung gebrochener Knochen beruht auf exsudativer Entz\u00fcndung und Umwandlung des Exsudates in Knochenmaterie, die anfangs die Knochenst\u00fccke ziemlich unf\u00f6rmlich verbindet und sp\u00e4ter allm\u00e4hlig umgewandelt wird. Die Exsudation erfolgt von allen Theilen, welche bei dem Knochenbruche verletzt worden waren, vom Knochen sowohl als von der Beinhaut, von dieser sowohl als von dem umherliegenden Zellgewebe und anderen verletzten in Entz\u00fcndung gernthenden Theilen. Dieses erste Exsudat ist wie \u00fcberall in der Entz\u00fcndung der aufgel\u00f6ste Faserstoff des Blutes; das Exsudat erreicht bald die Consi-stenz der Gallerte, welche sich organisirt, w\u00e4hrend die Entz\u00fcndung fortdauert, die Beinhaut aufschwillt. Von dem urspr\u00fcnglichen Exsudat muss man wohl den eigenth\u00fcmlichen Callus unterscheiden ; das erste Exsudat ist das gleichf\u00f6rmige Entz\u00fcndungsprodukt aller verletzten Theile. Der Callus ist die Grundlage der neuen Knochensubstanz, dieser entsteht zun\u00e4chst von den Knochen aus. Der ganze Vorgang der Callusbildung ist neuerlich durch Miescher\u2019s Untersuchungen wesentlich aufgekl\u00e4rt worden. Miescuer de inflammatione ossiurn eorurnt/ue anatom, ge-","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder er zeugung. TV. hei exsud. Entz\u00fcndung. Knochen. 407\nnerali. Eerol. 1836. Er ist hiernach folgender. Die Entz\u00fcndung tritt zuerst nach einem Bruch am lebhaftesten in den weichen Theilen, Periostium, Zellgewebe, Muskeln auf, welche alle aufschwellen, sich verdichten, verwachsen und so eine feste Cap-sel um die Fractur bilden. Auf der innern Fl\u00e4che dieser Cap-sel wird durch die Entz\u00fcndung eine halbfl\u00fcssige nach und nach fester werdende Substanz gebildet, in der Gef\u00e4sse entstehen. Eine gleiche Substanz geht aus dem Markgewehe des gebrochenen Knochens hervor. Die von der Capsel gebildete Masse und die letztere verschmelzen. Diess ist die in der Capsel liegende, die Fractur umh\u00fcllende Substantia intermedia. Diese nimmt eine fibr\u00f6se Beschaffenheit an, und f\u00fcllt alle Zwischenr\u00e4ume zwischen den Knochen aus, w\u00e4hrend Muskeln, Zellgewebe, Periostium in ihren fr\u00fchem Zustand zur\u00fcckkehren. Sp\u00e4ter als die Weichtheile wird auch der Knochen von der Entz\u00fcndung ergriffen, und zwar zuerst in einiger Entfernung von den Bruchenden, wro der Knochen noch von dem Periostium bedeckt ist und ebenso im Innern des Knochens. Auch die Knochen exsudiren eine gallertarige Masse, worin sich Gef\u00e4sse bilden, w\u00e4hrend diese Substanz w\u00e4chst, wandelt sie sich, von der Seite, wo sie mit dem Knochen zusammenh\u00e4ngt, in Knorpel und Knochen um. Diese neue Masse, der eigentliche Callus, f\u00fcllt auch die H\u00f6hle der Knochen mehr oder weniger aus. Aussen schreitet die Substanz \u00fcber die Kno-cbenenden weg und die Productionen beider Knochen verbinden sich. So geschieht die Bildung des primitiven Callus. Unter-dess verwachsen die Oberfl\u00e4chen der Knochen mit der von den weichen Theilen und dem primitiven Callus selbst gebildeten Capsel, die R\u00e4nder der Fractur verwachsen hinwieder mit der Substantia intermedia. Auch bildet sich nun ebenfalls Callus, welcher sich auf Kosten der unterdess ligament\u00f6s gewordenen Substantia intermedia ausbildet. Auf der \u00e4ussern unebenen Fl\u00e4che des Callus bildet sich wieder Periostium aus. Die erste Erscheinung des primitiven Callus findet an demjenigen Theile des Knochens statt, wo das Periostium noch mit dem Knochen zusammenh\u00e4ngt, es ist die zwischen Periostium und Knochen sich bildende, anfangs halhfl\u00fcssige Materie, worin schon nach dem dritten Tage Gef\u00e4sse sichtbar werden. Der Callus geht daher nach Miescuer\u2019s Untersuchungen immer vom Knochen selbst aus. Wurden zuweilen Knochenkerne in dem Callus beobachtet, welche von jenem Theil des Knochens, von welchem die Callusbildung ausgeht, auf dem Durchschnitt isolirt schienen, so zeigte sich bei weiterer Untersuchung, dass sie doch an anderen Stellen als an der Durcbschnittsfl\u00e4che mit jener productiven Stelle zusammenhingen. Die weiteren Ver\u00e4nderungen des Callus nach der Verwachsung der Knochenenden bestehen in der Herstellung der M\u00e4rkh\u00f6hle in dem Callus selbst und in der Ver\u00e4nderung seiner Form. Die Umwandlungen des Gewebes des Callus geschehen \u00fcbrigens ganz so wie bei der ersten Knochenbildung. So lange der Callus knorpelig ist, enth\u00e4lt er die mikroskopischen Knorpelk\u00f6rperchen, zur Zeit der Ossification entsteht auch das zeitige Gef\u00fcge in der Knochensubstanz.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nDie Litteratnr \u00fcber diesen Process ist ausserordentlich gross, und kann liier nicht ganz angef\u00fchrt werden; man lindet sowohl diese als eine vollst\u00e4ndige Exposition der Ansichten \u00fcber die Bildung des Callus irn Diet, des sc. med. in A. L. Richter Ilandb. d. Lehre von d. Br\u00fcchen und Verrenkungen der Knochen. Berlin 1828. p. 89\u2014117. und in Mjescher\u2019s angef\u00fchrtem Werke. Die vorz\u00fcglichsten Schriftsteller \u00fcber diesen Gegenstand sind Haller element, physiol. 8. 345. Detlef in Halleri op. min. 2. 463. Troja de novorum ossium regeneratione exp. Paris 1775. K\u00f6hler exp. circa r\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e2t, ossium. Colt. 1786. Van Meeker en deosteo-genesi praetcrnaturali. Lugd. Bat. 1798. M acdonald de necrosi et callo. Erlirih. 1799. Dupuytren Diet, des sc. mod. 38.434. How-ship Be.oh. \u00fcber den gesunden und kranken Hau der Knochen. Kor-Tum exp. circa r\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e2t, ossium. Berol. 1824. Meding diss. de regeneratione ossium. Lips. 1823. M. 1. Weber JSov. art acad. nat. cur. 12. 2. Breschet Recherches experiment, sur la formation du cal. Paris 1819.\nDer Hauptpunkt der Controverse Avar vorz\u00fcglich die Frage, welchen 'Antheil die Beinhaut an der Callusbildung habe. Duhamel, Schwenke, Bordenave, Blumenbach, K\u00f6hler, Dupuytren und Boyer schrieben ihr einen wesentlichen Antheil zu. Schon Detlef zeigte, dass die Beinhaut zu der Bildung des Callus nichts beitrage, und sich erstsp\u00e4ter bilde. Haller, S\u00f6mmf.ring, Scarpa, IticiiERAND und Cruveilhier liessen den Callus durch Exsudation von den Knochenenden selbst entstehen. Von der unphysiologischen Vorstellung Duhamel\u2019s, dass die Beinhaut das Bildungsorgan des Knochens sey, ist schon fr\u00fcher die Rede gewesen. So wenig sie zuerst den Knochen bildet, so wenig wird sie allein das Bildungsorgan des Callus sevn k\u00f6nnen. INur an der urspr\u00fcnglichen Exsudation nach dem Knochenbruche hat die Beinhaut, wie alle anderen verletzten Aveichen Theile, den n\u00e4chsten Antheil. Allerdings wirkt das Periostium zur Entstehung des eigentlichen Callus zwischen ihm und dem Knochen mit, aber nur in wie Aveit es \u00fcberhaupt zum Bildungs- und Ern\u00e4hrungsprozess in dem unter ihm liegenden Knochen nothwendig ist, insofern von ihm aus die ern\u00e4hrenden Gef\u00e4sse in den Knochen eindringen. Dass es aber bei der Bildung specifischer GeAvebe noch auf etwas ganz Anderes als auf die Existenz der mit dem Material zur Ern\u00e4hrung gef\u00fcllten Gef\u00e4sse ankommt, ist schon oben erinnert worden.\nDie Entstellung der ersten Ossiticationen im Callus dicht am -Knochen und das xveitere Fortschreiten zeigen, dass die Gesien-wart des Knochens hier zur neuen Knochenbildung nothwendig ist.\nDie ser\u00f6sen H\u00e4ute sind von allen Theilen am meisten zur Exsudation von Licjuor sanguinis geneigt, vielleicht Avril sie am wenigsten eigenes assimilirendes GeAvebe besitzen. Die A erwach-sung ist daher bei ihnen am h\u00e4utigsten. Ob sich hei veralteten Luxationen in den neu entstandenen Gelenken neue Synovialh\u00e4ute bilden, ist noch nicht ganz gewiss, obgleich es Meckel vielleicht zu bestimmt annimmt. Die Synovia eines neuen Gelenkes kann allerdings von dem Reste der Synovialhaut herr\u00fchren, der dem Knochen noch anh\u00e4ngt.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"3. JViedercneugung. TV. bei exsud. Entz\u00fcndung. Nerven. 409\nDie Narbe der im Stadium der exsudativen Entz\u00fcndung gebeilten Hautwunden ist dichter als die Haut selbst, empfindlich, anfangs r\u00f6tlier, sp\u00e4ter weisser; sie hat eine feinere Epidermis. Gr\u00f6ssere Narben entstehen von Heilung mit eiternder Entz\u00fcndung bei Substanzverlust der Haut. In diesem Falle ist die Hautnarbe haarlos, und bei den Negern mehrentheils anfangs farblos, worauf aber doch h\u00e4ufig in der Folge die schwarze Hautfarbe sich wieder erzeugt.\nDie Schleimh\u00e4ute heilen schwer zusammen, worauf zum Theil die Schwierigkeiten bei der Ausf\u00fchrung der Gaumennath und Darmnath beruhen. Nach der Durchschneidung der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen, entsteht, wenn die getrennten St\u00fccke in Ber\u00fchrung bleiben, zuweilen eine Regeneration des Ganges, so dass keine Verscldiessung erfolgt. Dies hat zuerst Mueller de vulne-ribus duct, excret. 77/A. 181,9. in 3 F\u00e4llen am Ductus Whartonia-iiiis der Suhmaxillardrii.se, und einmal am Ductus pancreaticus, in 2 F\u00e4llen am Ductus deferens des Hundes und der Ratze beobachtet. Brodie, Tiedemann, Gmelin, Levret und Lassaigne haben nach Unterbindung des Ductus choledochus in einigen F\u00e4llen eine Wiederherstellung des Ganges gesehen. Die Gelbsucht verschwand in Tiedewann\u2019s Versuchen in einigen F\u00e4llen wieder nach 10\u201415 Tagen. Die Ligatur batte hier entweder durchgeschnitten, und war abgefallen, ehe die Durchschnittsfl\u00e4chen verheilten, oder die coagulable Materie wurde um die Ligatur ergossen, und letztere hatte sich vielleicht im Innern des \u00e4usserlich hergestellten Ganges abgestossen, und ist durch den Kanal selbst ausgetreten. In 13\u201426 Tagen war der Gang wieder hergestellt gefunden worden. Tiedemann und Gmelin die Verdauung nach Versuchen. 2.\nDie Dr\u00fcsen vernarben zwar, aber die Narbensubstanz erh\u00e4lt nicht die Eigenschaften der Dr\u00fcsensubstanz. Eben so verh\u00e4lt es sich mit den Muskeln. Die Narbensubstanz der Muskeln ist nach P. Fr. Meckel, Richerand, Parry, Huhn, Murray und Autenrietu dem verdichteten Zellgewebe \u00e4hnlich, und zeigt keine Contracti-lit\u00e4t gegen galvanischen Pteiz. Kleemann diss. circa reprud. partium. Jfal. 1786. Huhn de regen, partium mollium. Gott. 1787. Murray de redintegratione partium etc. Gott. 1787. Autenrieth et Schnell diss. de nat. unionis musculorum vulneratorum. T\u00fcb. 1S04. Die Wunden des schw\u00e4ngern Uterus vernarben sehr leicht, die Wunde wird durch die Zusammenziehung des Uterus schnell \u00fcberaus klein. Es scheint, dass vorzugsweise die \u00e4ussere ser\u00f6se Haut des Uterus vernarbe. Vergl. Mayer, Graefe und Wal-ther\u2019s Journ. 11. 4. Eine neue Erzeugung von wahrer MuskeL Substanz, wie sie in Wolfe tract, de jormatione fibrarum muscu-larium in pericardia atque in pleura. Heidelb. 1832. beschrieben wird, ist gewiss nicht annehmbar. Diese faserigen Schichten auf Pleura und Herzbeutel, die ich im Museum zu Heidelberg gesehen habe, k\u00f6nnen nur Faserstoffexsudate seyn. Wir kennen keinen Beweis f\u00fcr die Existenz von Muskelsubstanz, als ihre Zusammenziehung und ihr mikroskopisches Verhalten. Vergl. Wutzer in Mueller\u2019s Archiv 1834. p. 451.","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nUeber die Regeneration der Nerven haben Arnemann, Haig-tiion, Pr\u00e9vost, Meyer, Fontana, Michaelis, Swan, Breschet, Tiedemann Untersuchungen angestellt; gleichwohl ist dieser Gegenstand noch ziemlich im Unklaren, indem mehrere Beobachter die Frage, oh die getrennten St\u00fccke zusammenheilen, mit der Frage verwechselten, oh die Narbenmasse die Eigenschaften des Nervengewebes hat, was sowohl in anatomischer als physiologischer Hinsicht eine Pr\u00fcfung von ganz ausserordentlicher Schwierigkeit ist. Bekanntlich ziehen sich die Nervenst\u00fccke nach der Durchschneidung durch die Elasticit\u00e4t ihrer Scheide etwas zur\u00fcck. Dass aber die Nervenst\u00fccke, wenn sie nahe an einander liegen, sich wieder vereinigen, daran ist freilich nicht zu zweifeln. Soll nun die Nervensubstanz die Eigenschaften der Nerven haben, so muss sie Primitivfasern enthalten. Arnemann (Versuche \u00fcber die Regeneration. Gott. 1797.) fand, dass die Narbensubstanz von der eigen-th\u00fcmlichen Substanz der Nerven verschieden sey, und eine harte Anschwellung bilde. Dagegen Fontana (Versuche \u00fcber das Viperngift) die Aehnlichkeit der Substanz nach Versuchen am N. vagus der Kaninchen annimmt. Allein 29 Tage nach der Durchschneidung konnten sich unm\u00f6glich die Priinitivfasern in jener Narbe erzeugen, die man nach meinen Beobachtungen selbst nach 7 Wochen noch nicht deutlich darin findet, indem die Narbenmasse dann noch wie dichtes Zellgewebe ist. Pr\u00e9vost (Froriep\u2019s Not. 360.), der den N. vagus an Katzen durchschniit und wieder heilen liess, fand nach 4 Monaten eine Fortsetzung der Nervenf\u00e4-den durch die Narbe. Sehr unwahrscheinlich ist Michaelis Angabe (\u00fcber die Regen, der Nerven. Cassel 1785.), dass nach Ausschnei-dung von 9\u201412 Lin. langen Nervenst\u00fccken nach mehreren Wochen eine Vereinigung durch Nervenfiiden statt fand. Meyer (Reil\u2019s Arch. 2. 449.) und Tiedemann pr\u00fcften die neu erzeugten Substanzen durch Salpetersaure, welche die H\u00fcllen der Nerven aufl\u00f6st, aber die Nervensubstanz zur\u00fccklasst. Diess Pr\u00fcfungsmittel ist aber wohl tr\u00fcglicli. Nach keinerlei Art chemischer Behandlung kann man, so viel mich meine Beobachtungen lehren, die feinsten Primitivfasern der Nerven studiren, der Nerve muss ganz frisch mikroskopisch untersucht werden. Als ich auf diese sichere und in der That nicht sehr schwierige Art die Narbe des vor 7 Wochen zerschnittenen und wieder verheilten N. ischia-dicus eines Kaninchens untersuchte, so konnte ich mich nicht hinreichend von der Existenz der parallelen Primitivfasern in der noch harten Narbenmasse \u00fcberzeugen , die aus dichtem Zellstoffe zu bestehen schien; Schwann bat indess beim Frosch in der re-generirten Nervensubstanz wirkliche Primitivfasern beobachtet; in diesem Fall hatte sich auch die Leitungsf\u00e4higkeit der Nerven hergestellt.\nVon grossem Gewichte sind nun physiologische Versuche \u00fcber die Wiederherstellung der Empfindung und Bewegung in den Theilen, deren Nerven vorher durchschnitten worden. Man kann aber auch wieder von den meisten der bisher angestellten Versuche dieser Art behaupten, dass sie nicht mit hinreichender Kritik angestellt sind.","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder erzeugung. W. bei exsud\u00e2t .Entz\u00fcndung. Nerven. 411\nEine Wiederherstellung der Empfindung fand der Gegner der Reproduction, Arnemann, in einem seiner Versuche an einem vorher durchschnittenen Hautnerven des Vorderfusses eines Hundes, ferner Descot {\u00fcber die \u00f6rtl. Krankh. der Nerven. Leipz. 1826.) hei einem Manne, der sich den N. ulnaris verletzt hatte, und bei dem anfangs im 4. und 5. Finger das Gef\u00fchl ganz mangelte, w\u00e4hrend die ersten Tage nach der Verletzung das Gef\u00fchl undeutlich war und sich nach und nach wiedcrherstellte. Descot\u2019s Fall beweist nichts, da der Nerve wohl nicht ganz durchschnitten war. Bei einem jungen Manne sah ich Prof. Wtjtzer ein Neuroma des N. ulnaris am Oberarme exstirpiren, wo dieser Nerve ober und unter der Geschwulst durchschnitten und mit der Geschwulst ein \u20181\\ Zoll langes St\u00fcck des Nerven ausgeschnitten wurde. Hier konnte sich unm\u00f6glich die Nervensubstanz reproduciren, dennoch stellte sich nach 3 \u2014 4 Wochen die Empfindung in der Ulnarseite des 4. Fingers (nicht im 5. Finger) allm\u00e4hlig wieder ein, offenbar weil der Ramus volaris ulnaris digiti 4. mit einem Aest-chen des N. medianus verbunden ist. Nach 8 Monaten fand ich den 4. Finger auf beiden Seiten vollkommen empfindlich. Eine allm\u00e4blige, aber unvollkommene Wiederkehr der Empfindung nach Durchschneidung eines N. dorsalis pollicis hat Gruithuisen an sich selbst beobachtet. ln einem Falle, den Earle {med. shir. Trans. 7.) erz\u00e4hlt, wo ein Theit des N. ulnaris ausgeschnitten wurde, konnte der kleine Finger 5 Jahre nachher noch nicht gebraucht werden und batte nur unvollkommene Empfindungen. In der grossen Anzahl von Arnemann\u2019s Versuchen war das untere St\u00fcck eines durchschnittenen Nerven 100\u2014160 Tage nachher ganz unempfindlich. Unter die merkw\u00fcrdigsten Versuche \u00fcber die Reproduction der Nerven geh\u00f6ren die von Haigthon, Pr\u00e9vost und Tiedemann. Haigtiion (Reil\u2019s edreh. 2. SO.) durchschnitt bei einem Hunde den N. vagus am Halse auf der einen Seite; als er 3 Tage nachher den andern Nerven durchschnitt, starb das Thier, wie immer, wenn beide Nerven zugleich durchschnitten sind. Er durchschnitt hei einem Hunde zuerst den einen, 9 Tage darauf den andern Vagus. Der Hund lebte 13 Tage. An einem andern Hunde wurde der Vagus der einen Seite 6 Wochen nach dem Vagus der andern Seite durchschnitten. Der Hund war zwrar darauf 6 Monate ungesund, aber er blieb am Leben. Die Stimme war nach 6 Monaten wiedergekehrt und die T\u00f6ne waren h\u00f6her geworden. An dem Hunde, dem Haigthon 19 Monate vorher beide N. vagi durchschnitten, durchschnitt er nun wieder beide Vagi nach einander, das Thier starb am 2. Tage. Rtcherand hat die Versuche von Haigthon ohne Erfolg wiederholt. Auch Breschet und Delpech leugnen die Regeneration der Nervensuh-stanz. Lund Vivisect ixmen 218. Dagegen hat Pr\u00e9vost Haigthon\u2019s Versuche best\u00e4tigt, Froriep\u2019s Not. 360. Als 2 neugebornen Katzen der eine N. vagus 1 und 2 Monate nach der Durchschneidung des andern durchschnitten wurde, starben die Thiere (iru ersten Falle in 15, im zweiten Falle in 36 Stunden). Dagegen lebten 2 junge Katzen fort, als er den zweiten Vagus 4 Monate nach dem ersten durchschnitt, sie lebten noch 14 Tage nachher alleia","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412 II. Buch. Organ, chemische Processe. I. Ahschn. Athmen.\nals nun der zuerst operirte und wieder vertheilte Nerve nochmals durchschnitten wurde, starben sie in 30 Stunden.\nDie Beweiskraft einer andern Reihe von Versuchen beruht auf der Wiederherstellung der Bewegung in Gliedern, deren Nerven vorher durchschnitten worden. Die meisten Versuche dieser Art beweisen gar nichts, wenn man nicht, wie in Tiedemann\u2019s Fall, alle Nerven eines Gliedes durchschneidet. Swan hatte viele Versuche \u00fcber den Erfolg der Durchschneidung des Nervus ischiadicus bei Kaninchen angestellt, aus denen sich jedoch kein entscheidendes Resultat ergiebt. J. Swan \u00fcber <lie Behandlung der Localkrankheiten der Nerven, \u00fcbers, v. Francke. Leipzig 1824. Die Thiere lernen nach der Durchschneidung des Nervus ischiadicus bald wieder gehen, aber erlangen den vollkommnen Gebrauch des Fusses niemals wieder. Dass diese Thiere selbst einige Tage nach der Durchschneidung des Nervus ischiadicus am Oberschenkel den Fuss wieder gebrauchen, darf uns nicht wundern. Denn da die Aeste der Oberschenkelmuskeln ganz hoch oben aus dem Plexus ischiadicus und dem N. ischiadicus abgehen, so werden sie in der Regel durch die Verletzung des Nervus ischiadicus am Oberschenkel gar nicht betheiligt. Dazu kommt, dass die Oberschenkelmuskeln auch von dem N. cruralis und obturatorius versehen werden. Die Durchschneidung des N. ischiadicus in der Mitte des Oberschenkels und seihst h\u00f6her lahmt nur den Nervus peronaeus und tibialis, also die Muskeln des Unterschenkels und Fusses. Ohne dass die Thiere vollkommen aultreten k\u00f6nnen, werden dieselben nach jener Operation doch das Bein beim Gehen durch die vollkommene Wirkung der Oberschenkelmuskeln gebrauchen.\nIch habe einige Versuche \u00fcber die Regeneration derNerven-substanz nach einem ver\u00e4nderten Plane angestellt, dessen Anwendung in der Folge gewiss sichere Resultate verspricht; aber leider sind die Versuche, die ich anstellte, nicht ganz entscheidend. Ich erz\u00e4hle sie, damit sie neue Versuche dieser Art veranlassen. 1) Ich hatte bei einem Kaninchen den N. ischiadicus am 13. Ja-nur 1832 in der Mitte des Oberschenkels durchschnitten. Das Thier erhielt nach 2 Monaten den Gebrauch seines Fusses nicht, es hinkte und die Ferse war aufgetreten. Am 7. April wurde das Thier wieder vorgenommen. Der N. ischiadicus wurde an dem lebenden Thiere blossgelegt. Der Nerve war sch\u00f6n geheilt und zeigte eine lange Anschwellung. Der Nerve \u00fcber der Narbe mit der Nadel gezerrt, bewirkte keine Zuckungen in den Muskeln des Unterschenkels und Fusses, die Zerrung des oliern Theils der Narbe eben so wenig. Dagegen bewirkte Zerrung des mittlern Theiles und untern Theiles der Narbe, so wie des Nerven unter der Narbe jedesmal eine Zuckung in den Muskeln des Unterschenkels, namentlich in den Muse, peronaeis, welche blossgelegt waren. Die Haut des Fusses war unempfindlich von der Ferse bis zu den Zehen, am Unterschenkel war sie empfindlich, offenbar, weil die Nervi cutanei des Unterschenkels von dem durchschnittenen Theil des Nervus ischiadicus zum Theil unabh\u00e4ngig sind. 2) Bei einem Kaninchen, bei dem ich den","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"3. fViedererzeugwig. IV. bei exsud\u00e2t. Entz\u00fcndung. Nerven. 413\nNervus iscliiadlcus \u00fcber der Mitte des Oberschenkels durchschnitten hatte, legte ich nach 1 Monat 20 Tagen darauf, als das Thier noch ebenso mit dem Fusse hinkte, wie anfangs nach der Operation, (hei dem lebenden Thiere) den Nerven wieder Idoss. Die mechanische Reizung des Nerven mit einer Nadel erregte keine Zuckungen in den entbl\u00f6ssten Muskeln des Unterschenkels, w\u00e4hrend sie unter der Narbe auf den Nerven angewandt Zuckungen, besonders in den blossgelegten Muse, peronaei, bewirkte. Der galvanische Reiz eines einfachen Plattenpaars auf den Nerven \u00fcber der Narbe angewandt, wobei beide Platten \u00fcber der Narbe applicirt wurden, erregte keine Zuckungen in den von dem Nervenst\u00fccke unter der Narbe abh\u00e4ngigen Muskeln. Der Assistent, Herr Schwann, liess nun die Pole einer aus 100 Plattenpaaren bestehenden S\u00e4ule von ausserordentlicher Kraft auf den Nerven \u00fcber der Narbe, dem hier eine Glasplatte untergeschoben war, wirken. Hier entstanden freilich starke Zuckungen in allen Muskeln des Unterschenkels. Allein es zeigte sich, dass der so sehr kr\u00e4ftige galvanische Strom durch den Nerven als blossen nassen thierischen Leiter fortgeleitet wurde. Ein so starker Strom ist, wie wir zu sp\u00e4t ersahen, zu keiner Art physiologischer Versuche brauchbar, weil er nicht wohl zu isoliren ist, und, wie wir hernach sahen, auch schon durch einen ganz zermalmten Nerven und 2 ganz getrennte Nervenst\u00fccke, die durch eine feuchte Oberfl\u00e4che des K\u00f6rpers, worauf sie liegen, verbunden sind, \u00fcberspringt. 3) Am 10. Juli 1832 wurde einem Kaninchen der Nervus isebia-dicus \u00fcber der Mitte des Oberschenkels durchschnitten. Nach 6 Monaten, als das Thier immer noch beim Gehen den Fuss etwas schleppte, wurde bei diesem lebenden Thiere der Nervus iscliia-dicus wieder blossgelegt. Der einfache galvanische Reiz und der in diesem Falle sehr schwache Reiz einer galvanischen S\u00e4ule von 30 Plattenpaaren bewirkte keine Zuckungen in den Muskeln des Unterschenkels, als beide Pole oberhalb der l\u00e4nglichen Narbe applicirt wurden. Wir erstaunten aber sehr, als wir unterhalb der Narbe den galvanischen Reiz auf den Nerven, oder auf den Nervus peronaeus applicirten, und nun auch nur \u00e4usserst geringe Spuren von Zuckungen in den Unterschenkelmuskeln und namentlich den blossgelegten Muse, peronaeis entstehen sahen. Sp\u00e4tere mit Dr. Sticker angestellle Versuche (Mueller\u2019s Archiv 1834. p. 202.) haben die Resultate dieser Versuche noch mehr aufgekl\u00e4rt. Man halte zu viel Werth auf Nysten\u2019s Erfahrungen gelegt, dass die Muskeln derer, die einige Tage nach einem Schlagflusse gestorben waren, trotz der Ilirnl\u00e4hmung noch eontractil gegen galvanischen Reiz waren. Nysten a. a. (). p. 369. Es fand sich n\u00e4mlich bei jenen Versuchen, dass das vom Hirneinfluss getrennte untere St\u00fcck eines durchschnittenen Nerven in der ersten Zeit allerdings seine Reizbarkeit beh\u00e4lt, dass sie aber, wenn die Aneinanderheilung der Nervenst\u00fccke verhindert wird, sp\u00e4ter verloren geht, so dass man nach 2 Monaten durch den auf das untere Nervenst\u00fcck applicirten galvanischen Reiz eines einfachen Plattenpaars keine Zuckungen mehr in den Muskeln erregen kann. Selbst die Muskeln batten ihre Reizbarkeit f\u00fcr das galvanische","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\nFluidum in mehreren F\u00e4llen verloren. Hiernach sprechen die vorhin erw\u00e4hnten Versuche doch mehr f\u00fcr als gegen die Herstellung der Nervenleitung. Im dritten Falle allein fehlte die Reizbarkeit, im untern Nervensl\u00fccke fast ganz, und in diesem Falle scheint daher zwar eine Vernarbung derNerven, aber keine Herstellung der Leitung statt gefunden zu haben. Da der Einliuss des Gehirns und R\u00fcckenmarks auf die Nerven zur langem Erhaltung der Reizbarkeit eines Nerven, nach Sticker\u2019s Versuchen, n\u00f6thig ist, so giebt die blosse Reizbarkeit des untern St\u00fcckes eines durchschnittenen Nerven nach mehreren Monaten den Beweis ab. dass die Heilung mit Herstellung der Leitung verbunden war. Schwann hat neulich einen Versuch \u00fcber die Reproduction der Nerven bei einem Frosche angestellt. Er durchschnitt in der Mitte beider Oberschenkel den N. ischiadicus. In der ersten Zeit nach der Operation h\u00fcpfte der Frosch nur selten, sondern bewegte sich meistens durch Kriechen' fort. Nach Verlauf eines Monates h\u00fcpfte er schon h\u00e4ufiger, und nach 3 Monaten ging diese Bewegung fast eben so gut von Statten, wie bei einem gesunden Frosch. Auch die Anfangs aufgehobene Empfindlichkeit in den F\u00fcssen war nach dieser Zeit gr\u00f6sstentheils zur\u00fcckgekehrt. Wurden die blossgelegten Nerven hoch oben oder dicht \u00fcber der Narbe mit einer Nadel gereizt, so entstanden starke Zuckungen an den entsprechenden Muskeln. Dasselbe zeigte sich, wenn die Nerven unter der Narbe und wenn die Muskeln selbst gereizt wurden. Bei der Untersuchung des Nerven fand Schwann Folgendes : Nachdem der Nerv (die Untersuchung konnte nur an Einem gemacht werden) von den umgebenden Theilen, womit er an der verletzten Stelle zusammenhing, getrennt war, bemerkte man ein St\u00fcck von ungef\u00e4hr 1\u2019\" L\u00e4nge, welches nicht die gl\u00e4nzende Weisse zeigte, wie der \u00fcbrige Nerv, sondern etwas mehr durchscheinend war. Es schien dadurch die Grenze angedeutet, wie weit sich die durchschnittenen Nerven, wenigstens das Neurilem derselben zur\u00fcckgezogen hatte. Das mehr durchscheinende St\u00fcck musste also theils aus der aus dem durchschnittenen Nerven hervorquel-lenden Nervensubstanz, theils aus neu erzeugter Masse bestehn. Das ganze St\u00fcck liess sich aber nicht f\u00fcr hervorgepresste Ner-venmasse erkl\u00e4ren, weil es daf\u00fcr zu lang war. Unter dem Mi-croscop zeigte die fragliche Stelle aber an ihrer ganzen L\u00e4nge dicht an einander liegende Nervenf\u00e4den, und das mehr durchscheinende Ansehn schien nur durch ein weniger vollst\u00e4ndig re-producirtes Neurilem zu entstehn. Diese F\u00e4den gingen continuir-lich in die Nervenf\u00e4den der beiden Nervenstumpfe \u00fcber, und wenn an einzelnen Stellen die Nervencylinder nur durch ganz d\u00fcnne F\u00e4den zusammenhingen, so liess sich diess durch die behufs der mikroskopischen Untersuchung vorgenommene Zerrung erkl\u00e4ren. Der obere Nervenstumpf war \u00fcbrigens eben so angeschwollen, wie es an den Nerven in Amputationsst\u00fcmpfen zu seyn pflegt ; beim unteren Nervenstumpf war diess nicht der Fall. Der Versuch von Schwank beweist dieReproduction derNerven deutlich. Die Versuche von IIaigthon, von Pr\u00e9vost und von Tiedemann sind ohnehin platterdings nicht erkl\u00e4rlich, wenn man nicht eine Re-","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder er zcugung. W. bei exsud\u00e2t. Entz\u00fcndung. Nerven. 415\nproduction der Nerven annimmt. Tiedemann, der bei einem Hunde in der Achselh\u00f6hle die Nervenst\u00e4mrne des Vorderbeins, namentlich den N. ulnaris, radialis, medianus, cutaneus ext. durchschnitten, beobachtete nach 8 Monaten und noch mehr nach 21 Monaten eine Herstellung der Empfindung und Bewegung, so dass der Hund zuletzt den vollst\u00e4ndigen Gebrauch des Fusses wieder erlangt hatte. Diess ist einer der \u00fcberzeugendsten Versuche f\u00fcr die Regeneration der Nerven. F\u00fcr die Regeneration der Nerven bei kleinen durchschnittenen Nervenfasern spricht auch die Wiederkehr einiger Empfindung in transplantirten Hautlappen, die nach der Transplantation und Anwachsung von der Hautbr\u00fccke, mit der sie fr\u00fcher noch zusammenhingen, getrennt werden, wie z. B. der aus der Stirn gebildete Hautlappen f\u00fcr die neue Nase nach dem Anwachsen an der Stelle des Zusammenhanges mit der Stirnhaut getrennt wird. Wenn hier keine Regeneration der feinen Nervenf\u00e4den an den Verwachsungsstellen eintr\u00e4te, so m\u00fcsste ein solches Hautst\u00fcck zuletzt ganz unempfindlich seyn. Nach den Erkundigungen, die ich in dieser Hinsicht bei dem Erfahrensten in diesen Dingen Dieffenbach, eingezogen, bleibt die Empfindlichkeit in diesen Theilen zwar immer sehr gering, aber sie ist doch nicht ganz zu l\u00e4ugnen.\nEin Umstand, der es besonders schwierig macht, sich eine deutliche Vorstellung von dem Hergange bei der Regeneration der Nerven zu machen, ist das Vorhandenseyn von B\u00fcndeln verschiedener Nervenfasern in manchen Nerven, motorischer und sensibler Fasern, wovon die ersteren, wie sp\u00e4ter gezeigt wird, allein die F\u00e4higkeit haben, Muskelbewegungen zu erzeugen. Bei der Piege-neration solcher Nerven m\u00fcssten daher die motorischen Fasern mit den motorischen, die sensiblen mit den sensiblen verwachsen, was wieder schwer ist sich vorzustellen, wenn man die Feinheit dieser Fasern bedenkt. Schwann bezweckte bei seinem oben erw\u00e4hnten Versuch haupts\u00e4chlich zu ermitteln, ob das Zusammenheilen von Empfindungs- und Bewegungsfasern an durchschnittenen Nerven dadurch bewiesen werden k\u00f6nne, dass, wenn die hinteren (Empfindungs-) AVurzeln solcher Nerven im R\u00fccken-markskanale gereizt werden, vielleicht Zuckungen entst\u00e4nden. Er legte daher an dem Frosche, an dem die N. iscliiadici auf beiden Seiten durchschnitten und wieder zusammengeheilt waren, das R\u00fcckenmark bloss und durchschnitt die hinteren Wurzeln beider Seiten; allein es zeigte sich keine Bewegung in den Schenkeln, dagegen entstanden starke Zuckungen in den Muskeln des Unterschenkels, als die vorderen Wurzeln durchshnitten wurden. Aus diesem negativen Resultat aber liess sich kein Schluss gegen das Zusammenheilen von Empfindungs- und Bewegungsnerven ziehen, weil der Erfolg dadurch erkl\u00e4rt werden kann, dass die Ern-pfmdungsnerven vielleicht nicht das Verm\u00f6gen besitzen, eine Reizung vom Centrum nach der Peripherie zu leiten.\nDie von den Neuralgien bergerfommenen Gr\u00fcnde f\u00fcr die Reproduction der Nerven sind wolil die schw\u00e4chsten. Nach der Durchschneidung eines schmerzhaften Nerven kehren die Schmerzen oft wieder. Dicss w\u00fcrde sich allein schon aus dem Umstande","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nerkl\u00e4ren, dass das Nervenleiden seinen Sitz selbst \u00fcber die Stelle der Durchschneidung nach dem Stamme hinauf ausdebne, und dass die Narbe des Nerven Schmerzen an dem Stamme errege. Dass diese sp\u00e4ter wieder erscheinenden Schmerzen in den \u00e4usseren Theilen empfunden zu werden scheinen, darf uns nicht wundern. Denn die St\u00e4mme der Nerven enthalten noch die Summe der Fasern, die sicli in den Zweigen daraus entwickeln, und da die \u00f6rtlichen Empfindungen durch die Verbindungen dieser Fasern mit dem Gehirne entstehen, so kann ein Nervenstumpf noch Empfindungen erzeugen, die in den \u00e4ussern Theilen zu seyn scheinen. Diess kommt noch vor, wenn die \u00e4usseren St\u00fccke gar nicht mehr vorhanden sind. Bei allen Amputirten, die ich untersucht, gehen die Empfindungen, als wenn die amputirten Theile noch vorhanden w\u00e4ren, nie ganz verloren ; ich habe Amputirte 12 und mehr Jahre nach der Operation untersucht. Wenn die Nerven in dem Amputationsstumpf lange gedr\u00fcckt werden, so haben sie die deutlichen Empfindungen, als wenn das Bein oder der Arm, die gr\u00f6sstentheils gar nicht mehr vorhanden sind, einschliefen. Dass diese Empfindungen einige Zeit nach der Amputation sich verlieren sollen, ist ein Irrthum der Aerzte und Chirurgen, welche die Kranken gew\u00f6hnlich nur einige Monate sehen.\nVon besonderem Interesse sind Gruithuiseh\u2019s Beobachtungen an sich seihst, nachdem er sich den Nervus dorsalis radialis pol-licis am hintern Theile des 2. Gliedes durch eine bis auf den Knochen gehende grosse Querw\u00e4nde durch Zufall zerschnitten hatte. Die linke Seite des Daumr\u00fcckens war bis unter den Nagel ganz unempfindlich. Zur Zeit der Entz\u00fcndung wurde diese Hautstelle schmerzhaft und litt an einem dauernden, stechenden und brennenden Schmerz. (Diess war wohl durch die Entz\u00fcndung des Nervenstumpfes vom obern Theile des Nerven verursacht, und wurde nur scheinbar, wie nach Amputationen, in der unempfindlichen Haut gef\u00fchlt.) Diese Schmerzen verschwanden nach 8 Tagen mit der Heilung, worauf der unempfindliche Zustand wieder eintrat. Sp\u00e4ter trat einige Empfindung, aber eine nur h\u00f6chst unbestimmte, ein. Gruithtjisen konnte, wenn er die Augen schloss, auf einer Strecke von 2 Zoll L\u00e4nge und ^ Zoll Breite nicht bestimmen, wo er ber\u00fchrt wurde, und machte Fehler von 3 \u2014 5 Linien. Wenn er auf die Narbe klopfte, hatte er die Empfindung von Prickeln unter dem Nagel. 8 Monate, nachdem er diese Beobachtungen angestellt, war die Empfindung durchaus noch eben so undeutlich wie fr\u00fcher. Gruithuisen scbliesst mit der Bemerkung, dass die Empfindungseindr\u00fccke zwar durch die Nervennarbe geleitet werden k\u00f6nnen, allein sie werden nach ihm in dieser Narbe zu sehr ausgebreitet, als dass sie durch bestimmte Nervenfasern dem Sensorium wTie von einem bestimmten Orte kommend erscheinen k\u00f6nnten. Beitr\u00e4ge zur Physiogtwsie und Eautognosie.\nWas die Reproduction des Gehirns und R\u00fcckenmarks betrifft, so liegen keine Thatsaclien vor, welche beweisen, dass jemals die Folgen der Zerst\u00f6rung der Gehirnmasse und des R\u00fcckenmarkes durch die Reproduction der neuen Substanz ganz hergestellt wer-","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wiedererzeugung. TV. bei exsudativer Entz\u00fcndung. Nerven. 417\nden. Arnemann sali zwar Lei Hunden nach Verlust von 26-\u201454 Gran Gehirn 7 Wochen sp\u00e4ter die Wunde von neuer gallertartiger gelblicher Substanz ausgef\u00fcllt, die sich leichter als die Hirnsubstanz in Wasser l\u00f6ste. Es fragt sich aber, oh diese neue Materie wirklich Hirnsubstanz ist. Zerst\u00f6rungen des grossen Gehirns an der Oberfl\u00e4che haben oft keine auffallenden Folgen, wenn sie nicht mit Druck oder Irritation verbunden sind. Verletzungen des R\u00fcckenmarkes sind bekanntlich leider unheilbar. Das Gehirn vernarbt nach Flourens ( Versuche \u00fcber die Eigenscfi. und Verricht, des Nervensystems) zwar leicht, aber eine eigentliche Reproduction der Hirnsubstanz, die ArnEmann angenommen,, findet nach ihm nicht statt, indem die verwundeten Theiifc anfangs zwar aufschwellen, aber sp\u00e4ter wieder collabiren und einfach vernarben. Die Funktionen des Gehirns stellen sielt zwar oft wieder lier; allein diess geschieht, wenn es geschieht, \u00f6fter schon nach einigen Tagen, und die Reproduction hat wohl nicht allen Antheil daran, lndess soll doch die Wandung eines Hirnventrikels, wenn sie in einer Strecke weggenommen worden, durch Verl\u00e4ngerung der Rinde sich wieder hersteilen.\n1). Regeneration bei suppurativer Entz\u00fcndung..\nDie eiternde oder suppurative Entz\u00fcndung bildet sich immer aus, wenn eine Wunde im exsudativen Stadium der Entz\u00fcndung nicht heilen kann. W\u00e4hrend der Heilung einer Wunde bei suppurativer Entz\u00fcndung wird keine plastische Materie (aufgel\u00f6ster Faserstoff), welche organisirbar ist, ausgeschieden, der Eiter ist nicht organisationsf\u00e4hig. Home\u2019s Ideen \u00fcber die Umbildung von Eiter in Fleischw\u00e4rzchen, sind wohl ein g\u00e4nzliches Missverst\u00e4nd-niss der Natur. Der Eiter entsteht durch eine Absonderung auf der Oberfl\u00e4che oder im Innern des entz\u00fcndeten Theiles, wobei der Eiter im Moment der Secretion nach BfeuoMANS und Auten-rteth fl\u00fcssiger und klarer zu seyn scheint. Diese Absonderung scheint auf Kosten von durch die Entz\u00fcndung zersetzter Materie zu geschehen. Die Eiterk\u00fcgelchen sind ungleich, meist gr\u00f6sser als Blutk\u00f6rperchen, mit denen sie keine Aehnlichkeit der Gestalt haben; sie sind entweder abgestossene Theilehen der eiternden Oberfl\u00e4che, oder entstehen erst wie andere K\u00fcgelchen der Secrete in dem fl\u00fcssigen Secretum im Moment der Secretion, auf \u00e4hnliche Art wie die K\u00fcgelchen im aufgel\u00f6sten Eiweiss bei beginnender Coagulation entstehen.\nBei der Heilung der Wunden per primant intentionem iin St\u00e4dio etsudationis der Entz\u00fcndung, verwachsen die Wundr\u00e4nder mit H\u00fclfe der organisirbaren aufgel\u00f6sten Materie des Blutes. Bei der Heilung eiternder Wunden entstehen keine neuen Gef\u00e4sse in vorher von der Oberfl\u00e4che exsudirter Materie, sondern die eiternden R\u00e4nder und der Boden werden durch Wachsthum der or-ganisirten P\u00e4rtikel\u00fc vorgeschoben. Die Meinungen der Schriftsteller \u00fcber diesen einfachen Process waren zum Theit sehr sonderbar. Mehrere glauben, bei der Granulation einer eiternden Wunde finde zugleich Eiterung und Exsudation von coagulahler Materie statt, die sich organisire. Allein Eiterung und Exsudation von organisirbarer Materie schliessen sich immer aus, und k\u00f6nnen","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Ahschn. Ern\u00e4hrung.\nnicht zugleich auf einer und derselben Stelle einer Wunde statt finden. Langenbeck urtheilte, dass die Heilung dann erst eintrete, wenn die eiterabsondernden kleinen gef\u00e4ssreichen Erhabenheiten oder Granulationen diese Absonderung einstcllen, und plastische Materie absondern. Diess l\u00e4sst sich jedoch nicht behaupten. Eine Wunde von guter Eiterabsonderung bildet neue Substanz durch Wachsthum und wird kleiner, w\u00e4hrend zu gleicher Zeit auf ihrer Oberfl\u00e4che di\u00e9 Eiterung, fortdauert, wie man so oft sieht, und wie auch Pauli immer fand. Da nun die Granulationen nicht vorher exsudirt sind, so kann man nach meiner Ansicht bloss annehmen, dass die schon organisirte Substanz des Wundbeckens am Piande und in der Tiefe sich wachsend ausdehne durch Intussusceplio, \u00e4hnlich dem gew\u00f6hnlichen Wachsthume aller or-ganisirten Theile, nur viel rascher. Bei dieser Art der Substanzbildung organisirt sich nicht der auf der Oberfl\u00e4che ergossene liquor sanguinis, vielmehr wird diese Materie zwischen den Partikeln der \u00e4ussersten Wundschicht organisirt, -wahrend die neue Substanz der Oberfl\u00e4che zu eitern fortf\u00e4hrt. Die eiternde Wunde w\u00e4chst daher in allen Dimensionen vom Rande wie von der Tiefe gleichf\u00f6rmig zu ihrer eigenen Verkleinerung vor. Diese Productionen des Beckens der Wunde von k\u00f6rniger Oberfl\u00e4che werden Granulationen genannt. Sie enthalten nicht die Enden der Gef\u00e4sse, welche etwa den Eiter absondern, denn Enden der Blutgef\u00e4sse giebt es an keinem Orte, sondern sie enthalten Capillargef\u00e4ssnetze. Der Eiter wird also nicht von Blutgef\u00e4ssenden abgesondert, sondern von der exponirten Oberfl\u00e4che der Granulationen. Da nun das Vordringen der organisirten Theile von allen Seiten, vom Rande wie von der Tiefe aus, gleichf\u00f6rmig geschieht, so w'ird die Circumferenz der Wunde und das Becken immer kleiner, und zuletzt punktf\u00f6rmig, oder auf Null reducirt, wodurch die Eiterung von selbst aufh\u00f6rt. Nur wenn der Boden st\u00e4rker als die R\u00e4nder w\u00e4chst, erhebt sich der gra-nulirende Boden \u00fcber die R\u00e4nder empor; in diesem Zustande kann die eiternde Wunde nicht reducirt werden, und das rechte Verh\u00e4ltniss der wachsenden R\u00e4nder zum wachsenden Boden wird durch Cauterisation hergestellt. Im entgegengesetzten Falle, wenn der Boden im Wachsthume zur\u00fcck bleibt, wird die Wunde si-nu\u00f6s, und die R\u00e4nder m\u00fcssen a\u00fcfgeschlitzt w\u2019erden. Bei ganz oberfl\u00e4chlicher Eiterung h\u00f6rt zuletzt die Eiterung mit der Entz\u00fcndung auf, ohne dass es der Reduction bedarf. Von den Capil-largef\u00e4ssen einer eiternden Wunde hat Pauli de vulneribus sanan-dis comment, physiol, chirurg. praemio ornaia. Gott. 1825. eine mikroskopische Abbildung gegeben. Ueber die im Eiter aufgel\u00f6sten Stoffe liefert die Untersuchung von Gueterbock. Aufschluss. Der Eiter enth\u00e4lt Eiweis und eine eigene Materie, die der Verf. Pyin nennt. Letztere geh\u00f6rt mit dein K\u00e4sestoff und Chondrin in die Reihe der Substanzen die von einem Minimum von Essigs\u00e4ure gef\u00e4llt werden; sie unterscheidet sich von beiden aber bestimmt. Sie wird von Essigs\u00e4ure gef\u00e4llt und wie das Chondrin von \u00fcbersch\u00fcssiger Essigs\u00e4ure nicht aufgel\u00f6st; von Alaun wird sie gef\u00e4llt, aber wie der K\u00e4sestoff von \u00fcbersch\u00fcssigem Alaun nicht aufgel\u00f6st,","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wiedererzeugung. W. bei suppuraiiver Entz\u00fcnd. Knochen. 419\nw\u00e4hrend Chondrin wieder ausgel\u00f6st wird und K\u00e4sestofF hinwieder von \u00fcbersch\u00fcssiger Essigs\u00e4ure aufgel\u00f6st wird. Salzs\u00e4ure f\u00e4llt; \u00fcbersch\u00fcssig l\u00f6st sie wieder auf. Die saure Aufl\u00f6sung wird von Kaliumeisencyanid nicht gef\u00e4llt. Die Materie ist in Wasser l\u00f6slich, wird von Weingeist gef\u00e4llt und von Wasser wieder aufgel\u00f6st. Im Schleim ist dieser Stoff auch enthalten, aber der Schleim enth\u00e4llt nicht das Osmazom und das Eiweis des Eiters. Eiter und Tuberkel sind sehr verschieden.\nBei grossen Substanzverlusten der Haut wird diese theils durch Production der R\u00e4nder, theils durch Verdichtung des Zellgewebes ersetzt, was man z. B. in hohem Grade bei Verlust von grossen Theilen des Hodensackes beobachtet hat. Bei grossem Substanzverluste der Haut mit Nekrose der Knochen, wo das nekrotische Knochenst\u00fcck abgestossen wird, und die weichwerdende granulirende Oberfl\u00e4che des Knochens empor w\u00e4chst (wie wir z. B. hei einem grossen Substanzverlust der Sch\u00e4deldecken und Nekrose eines grossen Theils der \u00e4ussern Lamelle des Sch\u00e4dels nach Verbrennung gesehen haben), scheint die Narbensubstanz zum Theil von Verl\u00e4ngerung der Hautr\u00e4nder, zum Theil selbst durch Zellgewebe-Production der Oberfl\u00e4che des granulirenden Knochens, der sich auch wieder seine Beinhaut bildet, zu entstehen.\nDer Process, welcher auf die Nekrose der Knochen erfolgt, bietet ein grosses physiologisches Interesse dar.\nEin Knochen wird nekrotisch oder stirbt ab, entweder in Folge eines \u00dcbeln Ausganges der (dyskrasiseben) Knochenentz\u00fcndung, oder in Folge von Zerst\u00f6rung seiner Gef\u00e4sse durch Zerst\u00f6rung der Beinhaut oder des Markgewebes. Wird die Beinhaut, die durch ihre Gef\u00e4sse in dem innigsten Zusammenh\u00e4nge mit den Gef\u00e4ssen des Knochens steht, in betr\u00e4chtlicher Strecke zerst\u00f6rt, so stirbt die \u00e4ussere Schichte des Knochens (nicht die ganze Dicke des Knochens) ab, weil die Gef\u00e4sse der \u00e4ussern Schichte durch Zerst\u00f6rung der Beinhaut ausser Th\u00e4tigkeit gesetzt sind. Wird das Markgewebe eines Knochens durch Entz\u00fcndung oder k\u00fcnstlich in einem durchs\u00e4gten R\u00f6hrenknochen eines Thieres zerst\u00f6rt, so sterben die inneren Schichten des Knochens (nicht die ganze Dicke des Knochens) ab, weil die Gef\u00e4sse der inneren Schichten des Knochens mit den Gef\u00e4ssen des Markgewebes im innigsten Zusammenh\u00e4nge stehen. Merkw\u00fcrdig ist nun der Process, welcher bei der innern Nekrose in den \u00e4usseren noch lebenden Theilen des Knochens, bei der \u00e4usseren Nekrose in den inneren noch lebenden Theilen des Knochens entsteht. Dieser Theil des Knochens entz\u00fcndet sich, die Folge dieser Entz\u00fcndung ist im Stadium exsudativum Ausschwitzung, wie beim entz\u00fcndeten gebrochenen Knochen, worauf sp\u00e4ter die ausgeschwitzte Masse wie bei den Knochenbr\u00fcchen organisirt und os-sificirt wird. Hat man den Knochen \u00e4usserlich verletzt, und eine \u00e4ussere Nekrose bewirkt, so erfolgt die Exsudation auf der innern Fl\u00e4che der H\u00f6hle der R\u00f6hrenknochen, wodurch die Markh\u00f6hle verkleinert wird. Dieser Callus auf der innern Fl\u00e4che der R\u00f6hrenknochen verst\u00e4rkt nun die Dicke des Knochens, dessen \u00e4ussere Schicht abgestorben ist. Bewirkt man dagegen eine Zerst\u00f6rung","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420 II. Buch. Organ, chemische Processe. II. Abschn. Ern\u00e4hrung.\ndes Markes an einem durchs\u00e4gten R\u00f6hrenknochen eines Thiercs, worauf die innere Schichte abstirht, so erfolgt die Exsudation auf der \u00e4usseren Fl\u00e4che von den \u00e4ussern noch lebenden Schichten des Knochens. Diese Exsudationen sieht man am deutlichsten bei Thieren, in deren hohle Knochen man einen heissen Stab bringt, oder deren Knochen man mit Wolle ausstopft.\nDie Aufschwellung dauert w\u00e4hrend des ganzen Verlaufes der Knochenentz\u00fcndung fort, und erscheint erst recht deutlich, wenn der Knochen sich gegen das nekrotische St\u00fcck hin erweicht, und hier \u00fcberaus gef\u00e4ssreich wird; dieses Wachsthum des entz\u00fcndeten und erweichten Knochens hat hei den S\u00e4ugethieren den gr\u00f6ssten Antheil an der Regeneration des nekrotischen Knochentheils. An der Stelle, wo die gesunde \u00e4ussere Schichte die innere nekrotische oder die gesunde innere Schichte die \u00e4ussere nekrotische ber\u00fchrt, wird die noch lebende entz\u00fcndete Knochenschichte ganz weich, roth, granulirend, und w\u00e4chst hei der innern Nekrose nach aussen vor, wodurch um die nekrotische innere Schichte (Sequester) nicht eine neue R\u00f6hre, sondern eine Verst\u00e4rkung der \u00e4ussern Schichte entsteht, oder unterhalb der \u00e4ussern abgestossenen nekrotischen Schicht eine Verst\u00e4rkung der innern Schicht nach aussen sowohl als gegen die Markh\u00f6hle hin erfolgt. Diese Aufschwellung dauert fort, w\u00e4hrend die Oberfl\u00e4che des entz\u00fcndeten und erweichten Knochens entweder nach innen gegen die innere Nekrose, oder nach aussen hin gegen die \u00e4ussere Nekrose Eiter abzusondern fortf\u00e4hrt.\nIst die ganze Dicke eines Knochens abgestorben, so kann kein Knochen regenerirt werden; die Beinhaut hat nichts damit zu schaffen; dagegen' erfolgt die Regeneration in der Regel, wenn bloss die \u00e4ussere oder innere Schicht abgestorben ist ; es wird aber hier kein neuer Knochen gebildet, sondern das hei der innern Nekrose abgestorbene R\u00f6hrenst\u00fcck ist nur eben die innere Schicht des R\u00f6hrenknochens, und die neue R\u00f6hre um die abgestorbene ist auch eben nur die verst\u00e4rkte und aufgeschwollene \u00e4ussere Schichte des R\u00f6hrenknochens.\nMan hat sich viel gestritten, ob die Reproduction der neuen Knochenmasse, welche den Sequester hei der innern Nekrose ein-schliesst, von der Aufschwellung der \u00e4ussern Schichten des Knochens oder von der \u00fcberkleidenden Beinhaut ausgehe. Weidmann {de necrosi ossium) nimmt beide F\u00e4lle an. Troja behauptet nach seinen neueren Versuchen das Erstere, und Scarta hat cs neuerdings als richtig erwiesen. Meding dagegen vertheidigt die (Reproduction des Knochens durch die Beinhaut. Es ist f\u00fcr s Erste nicht begreiflich, dass eine Haut, wie die Beinhaut, welche nur Tr\u00e4ger der von ihr in den Knochen eindringenden Gef\u00e4sse und H\u00fclle desselben ist, organisirte Knochenmasse bilden soll. Gegen diese Vorstellung habe ich mich schon pag. .376. erkl\u00e4rt, Allein es l\u00e4sst sich bestimmt durch Versuche an S\u00e4ugethieren (die hierzu besser geeignet als die V\u00f6gel sind) zeigen, dass die Bildung der neuen R\u00f6hre theils durch Exsudation (im Stadio ex-sudativo) auf der Oberfl\u00e4che des Knochens geschieht, welche man auch f\u00fcr Exsudation des entz\u00fcndeten Knochens und nicht","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"3. Wieder erzeugung. W. Lei suppurativer Entz\u00fcndung. 421\nder Beinhaut anzusehen hat, dass aber der gr\u00f6sste Theil der Knochenmasse nur durch das w\u00e4hrend der ganzen Eiterung fortdauernde Wachsthum der \u00e4ussern Schichte (hei der innern Nekrose) gebildet wird. Ich berufe mich hier auf die trefflichen Beobachtungen meines Collegen M. J. Weber, die Bannerth in seiner interessanten Dissertation zugleich bekannt gemacht, und wozu er die Abbildungen der Pr\u00e4parate gegeben hat. Miescher hat \u00fcbrigens bewiesen, dass die Vorstellung von Scarpa von einer Expansion des alten Knochens nicht ganz richtig ist, indem die Anschwellung der noch vorhandenen \u00e4ussern gesunden Schichte durch Exsudation geschieht.\nAlles, was ich hier \u00fcber die Reproduction der Knochen bemerkt habe, beruht tbeils auf Untersuchung der WEBERschen Pr\u00e4parate, theils auf Miescher\u2019s Beobachtungen. Versuche von Pockel\u2019s \u00fcber die Regeneration nach innerer Nekrose an mehreren Thieren, die wir gemeinschaftlich in Braunschweig secirten, lieferten \u00fcbereinstimmende Resultate. Vergl. Troja, neue Beob. u. Vers, \u00fcber d. Knochen, \u00fcbers, von Schoenberg Erlang. 1828. Koehler exp. circa regenerationem ossium. Gott. 1786. Kortum diss. exp. et obs.ero. circa regenerationem ossium. Berol. 1824. Meding diss. de regeneratione ossium. Lips. 1823. Scarpa \u00fcber die Expansion der Knochen und den Callus. Weimar 1828. Bannerth, Naturae conaminum in ossibus laesis sanandis indagatio anatumica phy-siologica. Bonnae 1831.\nDie reichhaltigste Zusammenstellung der Litteratur \u00fcber die Reproduction der verschiedensten Theile liefert die vorher erw\u00e4hnte Preisschrift von Pauli.","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"HANDBUCH\n,1er\nPHYSIOLOGIE des MENSCHEN\ni'iir Vorlesungen.\nV o n\nDr. Jo h annes M\u00fclle r,\nordentl. \u00f6ffentl. Professor der Anatomie und Physiologie an der K\u00f6nig!. Friedrich Wilhelms-Universit\u00e4t und an der K\u00f6nigl. medicin. - Chirurg. Milit\u00e4r-Arademie in Berlin, Director des K\u00f6nigl. anatom. Museums und anatom. Theaters; Bitter des Rothen Adlerordens 4. Classe; Mitglied der K\u00f6nigl. Aca-demieen der Wissenschaften zu Berlin und zu Stockholm, Correspondent der Kaiser). Academie der Wissenschaften zu St. Petersburg, der K\u00f6nigl. Academie der Wissenschaften zu Turin, Mitglied der K\u00f6nigl. Soc. d. Wissenscb. zu G\u00f6ttingen und Upsala.\nErsten Bandes zweite Abtheilung.\nDritte verbesserte Auflage.\nMit K\u00f6niglich W \u00fcrtember gische n Privileg! c n\nCoblenz,\nVerlag v o n J. H\u00f6lscher.\n1838.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"HI. Stbschnilt. Von der Absonderung.\nI. Capitel. Von den Absonderungen im Allgemeinen.\n^V\u00e4hrend das Blut aus den feinsten Zweigen der Arterien durch die Capillargef\u00e4ssnetze in die Anf\u00e4nge der Venen \u00fcbergeht, dringen die fl\u00fcssigen, d. h. aufgel\u00f6sten Theile des Bluts nach den pag. 242 dargestellten Gesetzen durch Tr\u00e4nkung zum Tbeil in das Gewebe der Organe ein. Diese erleiden durch die Einwirkung des Gewebes eine chemische Ver\u00e4nderung : gewisse Bestandteile werden angezogen, andere werden von den Organtheilen selbst an das Blut abgegeben. Man kann diese Ver\u00e4nderungen der aus dem Kreisl\u00e4ufe des Blutes abgehenden Theile desselben im Allgemeinen Metamorphose nennen. Die Metamorphose der Substanz auf diesem Wege ist aber \u00fcberhaupt eine dreifache: 1. Verwandlung von Bestandteilen des Bluts in die organisirto Substanz verschiedener Organe \u2014 Iniussusceplio, Ern\u00e4hrung. Diese ist im vorhergehenden Abschnitt pag. 350 abgehandelt. 2. Verwandlung von Bestandteilen des Bluts auf der fl\u00e4chenhaften\nGrenze eines Organes in feste,\ndurch die nicht organisirten Theile wachsen\nnicht organisirte Substanz, wo-Appositio. Davon ist pag. 378 gehandelt. 3. Verwandlung von Bestandteilen des Blutes aut der fl\u00e4chenhaften Grenze eines Organes in eine auszuscheidende fl\u00fcssige Materie \u2014 Secret io, Absonderung. Diese ist der Gegenstand der gegenw\u00e4rtigen Untersuchung. Materien, welche durch diesen chemischen Process zwischen dem Blute und einem absondernden Apparat ausgeschieden werden, sind theils: 1. Bestandteile, welche als solche bereits in dem Blute vorhanden waren und bloss aus demselben entfernt werden, wie die Ausscheidung des Harnstoffs durch die Kieren, die Ausscheidung der Milchs\u00e4ure und milchsauren Salze durch den Urin und durch den Schwmss \u2014 Excretio, Excreta. Bei dem Menschen sind die in der Thierwelt allgemeinsten Excreta, Harn und Sei nveiss, sauer; indessen ist es nicht constant, dass die Excre-tionsstoffe s\u00e4mmtlich sauer reagiren, wie Berzelius einst die Absonderungen ordnete: denn der Harn einiger pflanzenfressenden Tliiere reagirt alkalisch und die eigent\u00fcmlichen Excreta mehrerer Thiere sind zuweilen alkalisch, wie ich z. B. den scharfen ExcretionsstofF der Haut der Kr\u00f6ten gefunden habe. 2. Absonderungen von Materien, welche nicht unmittelbar aus dem Blut abgeschieden werden k\u00f6nnen, indem sie darin nicht vorhanden sind; die vielmehr aus n\u00e4heren Bestandteilen des Bluts erst durch einen chemischen Prozess erzeugt werden, wie die Galle, der Itliillpr\u2019s Physiologic. 1.\t\u201828","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424 II. Buch. Organ, chem. Processe. III. Abschn. Absonderung.\nSamen, die Milcli, der Schleim u. s. w. Secretio. Die Secreta dieser Art sind zum Theil auch wieder bloss Ausscheidungen, welche weiter keinen Zweck in der thierischen Oekonomie mehr erf\u00fcllen, sondern h\u00f6chstens zum Schaden f\u00fcr andere thierische Wesen und zur Vertheidigung derjenigen, welche sie bilden, dienen oder durch Verbreitung eigenth\u00fcmlicher Ger\u00fcche andere thierische Wesen anziehen oder abstossen u. s.w.,und dadurch in weiteren Kreisen in den Plan der thierischen Oekonomie der Natur eingreifen. Dergleichen Excretionsstoffe werden an fast allen Theilen der K\u00f6rperoberflache in der Thierwelt abgesondert. Es geh\u00f6ren z. B. hierher die scharfen Absonderungen vieler K\u00e4fer, der Wespen , der Bienen, des Scorpions, die Spinnmaterie der Spinnen, Insekten, Muscheln, der Tintenbeatei der Cephalopoden, die Sub-maxillar-Moschusdr\u00fcse des Crocodils, die Folliculi lacrymales der Wiederk\u00e4uer, die Gesichtsdr\u00fcsen der Flederm\u00e4use, die Schl\u00e4fendr\u00fcse des Elephanten, die mit unz\u00e4hligen Oeffnungen (und nicht mit einer L\u00e4ngenspalte, wie Geoffr. St. Hilaire angab) sich \u00f6ffnenden Dr\u00fcsen im Hypochondrium der Spitzm\u00e4use, die R\u00fcckendr\u00fcse des Tajassu, die \u00d6eldr\u00fcsen \u00fcber dem Steiss der V\u00f6gel, die Moschusdr\u00fcse am Schwanz des Sorex moschatns, die Afterdr\u00fcsen der Fischotter, des Maulwurfs, des Bibers, der Hy\u00e4ne, des Zi-betthiers u. s. w., die Vorhautdr\u00fcsens\u00e4cke der Hamster und Ratten, desBibers, worin das Bibergeil enthalten, die Folliculi inguinales der Hasen, der Moschusbeutel des Moschusthiers unter der Haut des Unterleibs, \u00fcber dem Penis gelegen und vor der Vorhaut sich \u00f6ffnend; die Schenkeldr\u00fcsen mehrerer Eidechsen, die Giftschenkeldr\u00fcse des Schnabelthiers, die Klauendr\u00fcse mehrerer Wiederk\u00e4uer. Siehe das N\u00e4here in J. Mueller de glandu/arum secerhen-iium struclura pcniliori. Lipsiae 1830. Diese Excretionsstoffe k\u00f6nnen Wirkungen ausser demThiere hervorbringen, aber auch f\u00fcr die thierische Oekonomie desjenigen Organismus, welcher sie ausscheidet, in sofern wichtig werden, als die Bildung dieser Stoffe auf Kosten gewisser n\u00e4herer Bestandtheile des Bluts geschehen muss, das Blut also durch die best\u00e4ndige Ausscheidung gewisser, zu dieser Zusammensetzung n\u00f6thiger Elemente seihst chemisch ver\u00e4ndert wird. Die Unterdr\u00fcckung dieser Absonderungen w\u00fcrde zum Theil vielleicht eben so nachtheilig wirken, wie die Unterdr\u00fcckung gewisser krankhafter Ausscheidungen bei dem Menschen, welche gleichsam als Apparate f\u00fcr die Erhaltung der gesunden Mischung des Blutes zu betrachten sind. Wenn sich eine organische Verbindung ausser dem thierischen K\u00f6rper in eine andere umwandelt, so werden gewisse Bestandtheile, die zu dieser zweiten Verbindung \u00fcberfl\u00fcssig sind, ausgeschieden, wie bei der Umwandlung des Zuckers in Weingeist Kohlens\u00e4ure entweichen muss. Unter demselben Gesichtspunkt kann man nicht bloss die Ausscheidung des Schweisses und Harnes, sondern auch die der eigenthiimlichen Excretionsstoffe mancher Thiere betrachten. Die Bildung und Ausscheidung des Harnstoffes ist f\u00fcr die Erzeugung einer edlern organischen Verbindung dasselbe, was die Ausscheidung der Kohlens\u00e4ure bei Bildung des Weingeistes aus Zucker. Wendet man diess auf die Ausscheidung krank-","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von den Absonderungen im Allgemeinen.\n425\nhafter Stoffe an, so muss man wolt! zweierlei krankhafte Absonderungen unterscheiden: hei der einen Art ist ein krankhaftes Secre-tionsprodukt dermalen zur Erhaltung der gesunden Mischung des Bluts noting und so lange der Mischungsproeess des Blutes \u00fcberhaupt nicht g\u00fcnstig ver\u00e4ndert worden, l\u00e4sst sich eine solche krankhafte Secretion ohne Schaden nicht aufheben. Ganz anders ist es mit den krankhaften Secretionen, welche bloss \u00f6rtliche Bedingungen haben. Nach der Amputation, die hei einer grossen, aber nicht dyskrasischen Eiterung angestellt wird, ist es daher aus physiologischen Gr\u00fcnden nicht zu rechtfertigen, wenn die Chirurgie zuweilen aus Missverst\u00e4ndniss der physiologischen Vorg\u00e4nge vicarirende Absonderungen einrichten will und die Heilung per primam intentionem f\u00fcrchtet.\nAndere Secrete der zweiten Art erf\u00fcllen in der thierischen Oekonomie des Organismus noch weitere Zwecke, wie die Milch, die Galle, der Samen, der Schleim. Die wahren Secreta sind h\u00e4ufig alkalischer Natur, aber keineswegs immer und oft ver\u00e4ndert sich ein und dasselbe Secretum unter leichten Bedingungen aus der alkalischen in die saure, und aus der sauren in die alkalische Beschaffenheit, wie der Speichel und pankreatische Saft. Eine vollst\u00e4ndige Zusammenstellung \u00fcber die sauere oder alkalische Reaction der thierischen Fl\u00fcssigkeiten hat Schultze in seiner vergleichenden Anatomie gegeben. Die Bildung solcher eigenth\u00fcm-Jichen Secreta, die im Blut schon enthalten sind, setzt einen spe-cilisch wirksamen chemischen Apparat, sey es eine Haut oder eine Dr\u00fcse, voraus. Mit der Zerst\u00f6rung dieses Apparats h\u00f6rt jene Absonderung f\u00fcr immer auf, wie die des Samens nach Entfernung des Hodens, der Milch nach Entfernung der Brustdr\u00fcse, und es ist nicht richtig, was Haller einst behauptete {Eiern. Physiol. It. 369), dass fast alle Secreta von jedem Secretionsorgane krankhafter Weise abgesondert werden k\u00f6nnten. Man muss n\u00e4mlich hiermit nicht die ganz verschiedenen F\u00e4lle verwechseln, wo das nat\u00fcrliche Organ abzusondern fortf\u00e4hrt, aber der Ausfluss des Secrets durch die nat\u00fcrlichen Wege gehemmt, dasselbe durch Resorption ins Blut aufgenommen wird, und von diesem aus in anderen Wegen schlechthin exsudiit. Nur die Excretionsstoff'e der ersten Art k\u00f6nnen sich nach Zerst\u00f6rung ihres Ausseheideorgans aus den Wegen des Kreislaufs allenthalben durch Exsudation absetzen, wed .sie, wie z. B. der Harnstoff, im Blute selbst schon enthalten sind. Siehe oben pag. 159.\nDie cl iemischen Apparate der thierischen Secretionen sind tliells Zellen, wie die Fettzellen, theils ebene H\u00e4ute, nie die Synovialh\u00e4ute und ser\u00f6sen Membranen, theils Organe von eigen-llr\u00fcmlicher, zusammengesetzter Structur Dr\u00fcsen.\n1) Absondernde Zellen. Hierher geh\u00f6ren die Zellen des Eierstocks ( Vesiculae Graafuinae) mit einer eiweissstoffhaltigen Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllt, in welchen sich das viel kleinere Ovulum bildet; ferner die Zellen des Hodens einiger Fische, wie des Aals, der Pricke und einiger anderer, bei welchen n\u00e4mlich der Hoden keine Samenkan\u00e4lchen und keinen Ausgang besitzt, wie Rathke zuerst beobachtet, und der Same durch Zerplatzen der Zellen in die\n28 *","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426 II. Buch. Organ, cliem. Proasse. III. Ahsclm, Absonderung.\nBauchh\u00f6hle gelangt, von wo er durch eine einfache Oeffnung ausgef\u00fchrt wird. Am ausgehreitetsten ist die Absonderung durch Zellen in dem Fettzellgewebe. Hier ist der Ort, einige Bemerkungen \u00fcber Zellgewebe .\u00fcberhaupt mitzutheilen.\nDas Zellgewebe, welches durch seine Eigenschaft, andere Gewebe mit einander zu vereinigen, auch Bindegewebe genannt werden k\u00f6nnte, ist in der neuern Zeit einer der r\u00e4thselhaftesten K\u00f6rper geworden, indem man n\u00e4mlich nach Bordeu, Wolff und Meckel nngefangen hat, dessen Structur zu l\u00e4ugnen und als einen zwischen die Organtheile gelegten Schleim zu betrachten, dessen h\u00e4utige und zellige Beschaffenheit erst durch Einfluss von Luft oder durch ein Auseinanderziehen desselben oder durch infi 1 trirte Fl\u00fcssigkeit entstehe. Diese Vorstellungen sind durch die weichere Beschaffenheit dieses Stoffs hei dem Embryo best\u00e4rkt worden. Man ist seihst zu der ganz fabelhaften Vorstellung gekommen, dass sich heim Embryo alle Organe aus Zellgewebe erzeugen, da doch der Keimstoff eines Organes, den wir Blastema genannt haben, etwas viel edleres, mit productiven Kr\u00e4ften begabtes und vom Zellgewebe ganz verschiedenes ist. Die Beschaffenheit dieses Keimstoffes l\u00e4sst sich ganz besonders deutlich hei der Entstehung der Dr\u00fcsen erkennen: er ist hei den Dr\u00fcsen eine gelatin\u00f6se, halbdurchsichtige Materie, in welcher die Verzweigung der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen baumartig entsteht und durch Aestetreiben fortschreitet, so dass dieser Stoff eine Art Atmosph\u00e4re um die Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen bildet, welche anfangs sehr ausgebreitet ist, und im Maasse mit dem Wachsen des Dr\u00fcsensystems gleichsam von ihm absorbirt wird. Bei den gelappten Dr\u00fcsen, der Tbr\u00e4nen-und den Speicheldr\u00fcsen ist dieser Keimstoff in der Folge auch lappig. Siehe J. Mueller de glandularum structurapenitiori. Tab. VI. Fig. il. 12. Tab. V. Fig. S.\nDie unrichtige Vorstellung von der Bildung des Zellgewebes r\u00fchrt davon her, dass man die mikroskopische Untersuchung desselben vernachl\u00e4ssigt hat, oder zu unvollkommene Instrumente hierzu anwenden konnte. Alles Zellgewebe besteht aus ganz \u00fcberaus feinen Fasern, dicTaEviRAKUs und Krause kannten,und aus nichts Anderem, weder K\u00fcgelchen noch Bl\u00e4ttchen. Diese Fasern geh\u00f6ren unter die feinsten Theile des menschlichen K\u00f6rpers und sind ohngef\u00e4hr so stark, wie die Primitivfasern des Sehnengewebes. Selbst die H\u00e4ute der Fettzellen entstehen erst durch Aneinanderlegen dieser Fasern, welche man erst hei einer 400maligen Vergr\u00f6ssernng ihres Durchmessers sieht. Diese Primitivfasern des Zellgewebes sehen fast so wie Primitivfasern des Sehnengewebes aus, mit welchen das Zellgewebe auch dadurch \u00fcbereinstimmt, dass es beim Kochen Leim giebt. Die Fasern des Zellgewebes sind zu Lamellen und kleinen H\u00e4utchen verbunden, und diese Lamellen oder B\u00fcndel von Zellgewebefasern liegen nun in den mannigfaltigsten Bichtungen durcheinander, so dass sie ein unregelm\u00e4ssiges Spinngewebe von kleinen B\u00fcndeln und Lamellen erzeugen, dessen Interstitiell untereinander communiciren, wie man durch das leichte Aufblasen derselben ermittelt. Durch diesen letzten Umstand und durch seine Structur \u00fcberhaupt unterscheidet sieh das thie-","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"i. Absonderung im Allgemeinen. Zellgewebe. Feltabsonderung. 427\nrische Zellgewebe von dem Pflanzenzellgewebe, welches meist eckige geschlossene Zellen bildet. Die Primitivfasern in der Fascia superficialis stimmen durchaus mit denen des Zellgewebes \u00fcberein. Diese d\u00fcnneren Faserh\u00e4ute scheinen bloss durch die Dichtigkeit des Strickwerks des Zellgewebes zu entstehen. ln den eigentlichen Fascien und Sehnen liegen die Fasern schichtweise in gewissen Richtungen, und bilden Faserb\u00fcndelchen, welche, wie die Fasern des fibr\u00f6sen Gewebes \u00fcberhaupt, wohl nicht aus dichten Ordnungen von Primitivfasern des Zellgewebes, sondern aus ei-genth\u00fcmlichen Fasern bestehen. Das Zellgewebe wird nun in ser\u00f6ses und Fettzellgewebe eingetheilt. Die Vorstellung von der Zusammensetzung des Zellgewebes aus Lymphgef\u00e4ssnetzen wird durch das mikroskopische Verhalten und durch den unmittelbaren Uebergang in die Fascia superficialis unwahrscheinlich. Diese Bemerkungen \u00fcber den Bau des Zellgewebes sind aus einer kleinen Arbeit von Jobuah \u00fcber die Tunica darlos und die verwandten Gewebe (Mueller\u2019s Archiv. 1834. p. 410.) entnommen. Ich bemerke, dass ich die Beobachtungen desVerf. selbst verificirt habe.\nDas Fett ist ein blosses Depositum in den Zellen des Zellgewebes, theils unter der Haut im Panniculus adiposus, theils im Omentum, in der Umgegend der Nieren und in dem Mark der Knochen und stellenweise an vielen anderen Theilen. Die Fettzellen des Menschen sind rundlich, die des Schafes und der Thiere mit Talgfett polyedrisch. Eine besondere Structur scheint zu dieser Absetzung aus dem Blute nicht n\u00f6thig, weil eben in allen Theilen Fett sich abscheiden kann. Diese Materie ist \u00fcbrigens ohne alle Organisation und bei der Temperatur des menschlichen K\u00f6rpers selbst fl\u00fcssig oder weich. Die verschiedenen Fettarten in der Thierwelt unterscheiden sich vorz\u00fcglich durch den Temperaturgrad, bei welchem sie weich und fl\u00fcssig werden, und durch einen verschiedenen Gehalt an Stearin und Elain, in der Schmelzbarkeit verschiedenen Fettarten. Das Menschenfett geh\u00f6rt zu den weicheren Fettarten. Das Fett der kaltbl\u00fctigen Thiere ist bei gew\u00f6hnlicher Temperatur noch fl\u00fcssig. Die Zusammensetzung des Fettes ist schon pag. 136 angegeben. Dieses freie Fett ist stickstofflos, w\u00e4hrend andere Fettarten, wie das gebundene Fett im Blut und im Gebirn, Stickstoff- und phosphorhaltig sind. Stearin und Elain sind \u00fcbrigens in Aether und heissem Weingeist l\u00f6slich, Elain bleibt in dem erkalteten Weingeist gel\u00f6st. Der Nutzen des Fettes besteht offenbar theils in seiner Verwendung zur Ausgleichung der Formenverh\u00e4ltnisse, theils dient dasselbe als schlechter W\u00e4rmeleiter zum Schutz der inneren Theile. Das Fett kann aber auch als ein deponirter Nahrungsstoff betrachtet werden, der bei Hungernden und auch bei dem Schwinden der Theile durch Bindung mit anderen Thierstoffen oder verseift un-gemein leicht wieder aufgel\u00f6st und in die Blutmasse wieder aufgenommen, zu organischen Combinationen weiter verwandt wird.\n2) Absondernde H\u00e4ute. Unter die absondernden H\u00e4ute geh\u00f6ren vorz\u00fcglich die ser\u00f6sen H\u00e4ute, ehe Schleimhaut und die \u00e4ussere Haut.\na. Ser\u00f6se H\u00e4ute. Die ser\u00f6sen H\u00e4ute scheinen aus \u00e4hnlichen Fa-","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428 II. Euch. Organ, ehern. Processe. III. Abschi. Absonderung.\nsern wie das Zellgewebe zu bestellen, die auf dieselbe Weise zu B\u00fcn-delchen verbunden und durch einander gewirkt sind. Sie bilden drei Ordnungen: 1. Bursae synoviales, sowohl subcutaneae, als die Bursae synoviales tendinum, welche den durch sie hindurchgehenden, oder an ihnen vorbeigehenden Sehnen einen Ueberzug gehen. 2. Synovialh\u00e4ute der Gelenke. Wenn Sehnen oder B\u00e4nder durch Gelenke hindurch gehen, so erhalten auch diese einen Ueberzug. Die Synovia ist eine alkalische ei weisshallige Fl\u00fcssigkeit, welche durch Kochen coagulirt. 3. Ser\u00f6se H\u00e4ute der Eingeweide. Sie sind sackf\u00f6rmig geschlossen und entstehen als h\u00e4utige Grenzen, wo Eingeweide frei einander ber\u00fchren oder in H\u00f6hlen liegend von anderen Theilen abgesondert sind. Die durch eine ser\u00f6se Haut begrenzten Eingeweide sind von aussen so in den ser\u00f6sen Sack eingedr\u00fcckt, dass sie seihst davon wieder einen Ueberzug erhalten. Von dem Gesetz, dass die ser\u00f6sen H\u00e4ute geschlossene S\u00e4cke sind, giebt es nur selten Ausnahmen, wie z. B. die Oeffnung der Eierr\u00f6hren des Menschen und aller \u00fcbrigen Wirbelthiere (bis auf einige Fische) in die Bauchh\u00f6hle, ferner die Oeffnungen, welche doppelt bei den Haifischen und Rochen, einfach beim Aal und bei den Pricken von aussen in die Bauchh\u00f6hle f\u00fchren. Bei den St\u00f6ren, Haifischen und Rochen h\u00e4ngt der Herzbeutel selbst mit der Bauchh\u00f6hle zusammen, und bei den Ammocoetes und Mvxinoiden ist dieser Zusammenhang am gr\u00f6ssten *).\nMan stellt sich h\u00e4ufig vor, dass die ser\u00f6sen H\u00f6hlen w\u00e4hrend des Lebens mit einem Gas angef\u00fcllt seyen, ohne zu fragen, was diess f\u00fcr ein Gas seyn k\u00f6nnte. Diess ist eine unrichtige Vorstellung. Die ser\u00f6sen S\u00e4cke sind w\u00e4hrend des Lehens so von ihren Eingeweiden angef\u00fcllt, dass gar keine Zwischenr\u00e4ume innerhalb derselben vorhanden sind, und es wird von den Oberfl\u00e4chen der ser\u00f6sen H\u00e4ute w\u00e4hrend des Lebens nur so viel Fl\u00fcssigkeit abgesondert, um die einander ber\u00fchrenden W\u00e4nde schl\u00fcpfrig zu erhalten und vor Verwachsungen zu sch\u00fctzen. So sind die Baucheingeweide unter dem best\u00e4ndigen Druck der Bauchmuskeln zusammengepresst; nur im Innern des Darmkanals erleidet der Raum der Bauchh\u00f6hle nach oben und abw\u00e4rts Ver\u00e4nderungen. Zwischen Pleura costalis und pulmonalis ist w\u00e4hrend des Lebens nicht der geringste Zwischenraum, indem die Oberfl\u00e4chen der Lungen durchaus immer den Bewegungen des Thorax folgen, wodurch allein das Athmen m\u00f6glich ist. Auch zwischen Herzbeutel und Herz braucht man keine gasf\u00f6rmigen Stolle und keine Fi\u00fcs-\n*) Bei den V\u00f6geln sollen nach der gew\u00f6hnlichen Annahme die ans den Bronchien der Bungen durch Oel\u00efnungen aut der Oberfl\u00e4che derselben sich verl\u00e4ngernden Lufls\u00e4rkc auch in die Bauchh\u00f6hle herabsteigen und in diesen Luftzellen die Baucheingeweide alle liegen. Diess ist aber ein Versehen, denn nach meinen Beobachtungen an H\u00fchnern liegen die beiden H\u00e4lften der Leber und der gr\u00f6sste 1 heil des DarnikanaU zwischen den auf beiDn Seiten herabsteigenden Luftzellen in beson-dern mit den Luftzellen gar nicht comrnunicironden Abtheilungen der Bauchh\u00f6hle, in welche bei einer Injection der Luftzellen durch die Luftr\u00f6hre nichts eindringt.","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"1. Absonderungen im Allgemeinen. Ser\u00f6se IJiiute. Schleimh\u00e4ute. 429\nsigkeit w\u00e4hrend des Lebens anzunehmen; denn immer ist ein Theil des Herzens vom Elut ausgedehnt, w\u00e4hrend der andere Theil des Herzens zusammengezogen ist. Durch die Anh\u00e4ufung des Blutes in dem eben erweiterten Theil des Herzens, sey es Vorhof oder Kammer, wird also die H\u00f6hle des Herzbeutels in jedem Augenblick ausgef\u00fcllt, und wenn auch durch die Zusammenziehung eines Theils des Herzens im Herzbeutel ein luftleerer Raum entstehen k\u00f6nnte, so w\u00fcrden die anliegenden Lungen verm\u00f6ge des Luftdrucks von aussen durch die Bronchien, den Herzbeutel verdr\u00e4ngend, diesen leeren Raum einzunehmen suchen.\nDie ser\u00f6sen S\u00e4cke stehen unter sich in sympathischer Verbindung, und theilen sich einander leicht Entz\u00fcndungen mit. Eine diesen S\u00e4cken eigent\u00fcmliche Krankheit ist die Ergiessung von Blutwasser in dieselben, welche leicht durch organische Krankheiten der ihnen anliegenden Eingeweide entsteht. Ueber die Gef\u00e4sse der ser\u00f6sen H\u00e4ute siehe oben pag. 213.\nb. Schleimh\u00e4ute. lieber den feinem Bau siehe oben den Artikel von der Ern\u00e4hrung. Die Schleimh\u00e4ute kommen \u00fcberall vor als innere h\u00e4utige Begrenzungen, wo innere Theile mit der Aussen-welt in offener Verbindung stehen, \u00fcberall wo etwas ausgeschieden oder aufgenommen wird. Sie sind weicb und sammetartig, \u00fcberaus gef\u00e4ssreich, im Mund und in der Speiser\u00f6hre von Epithelium bedeckt, ihr Gewebe gieht beim Kochen keinen Leim und zeichnet sich durch die leichte Maceration in Wasser und durch die Aufl\u00f6slicl keit in S\u00e4uren aus. Ihre \u00e4ussere Fl\u00e4che liegt an anderen Geweben an, an. der Zunge auf Muskeln, an den knor-ligen Theilen der Nase auf Perichondrium, in den Siebbeinzellen, Keilbeinh\u00f6hlen, Kieferh\u00f6hlen, Stirnh\u00f6hlen, gleich wie in der Trommelh\u00f6hle auf Periostium; im Darmkanal liegt die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che dieser Haut an einer Art fester Fascia an ( Tunica propria des Darmkanals), welche eben so auch wieder den Muskelfasern der dritten Haut des Darmkanals zur Befestigung dient. Man kann mehrere Hauptausbreitungen der Schleimh\u00e4ute unterscheiden: 1. die Schleimhaut der Nase. Diese sendet Fortsetzungen in die 3 Nebenh\u00f6hlen der Nase, und durch den Thr\u00e4nenkanal und die Thr\u00e4nenr\u00f6hrchen communicirt sie continuirlich mit der Conjun-tiva palpebrarum et oculi, welche letzte so sicher, wie jede andere Schleimhaut, hierher geh\u00f6rt, da sie die Krankheiten der Schleimh\u00e4ute, n\u00e4mlich sowohl die chronischen Blennorrhoeen als die catarrha-lischen Affectionen dieser H\u00e4ute theilt, ja bei jedem heftigen Schnupfen im trocknen, wie im fliessenden Stadium mit afficirt wird, und weder in der ser\u00f6sen Absonderung, die am Auge von den Thr\u00e4nen, nicht von ihr kommt, noch in Hinsicht der sackartigen Bildung der ser\u00f6sen H\u00e4ute mit diesen etwas gemein hat.\nDie Schleimhaut des Mundes h\u00e4ngt im Rachen mit jener der Nase zusammen, schickt eine Fortsetzung in die Eustachische Trompete, welche als innere Haut der Trommelh\u00f6hle und des Trommelfells endigt. Sie schickt im Munde Fortsetzungen in die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Speicheldr\u00fcsen; im Rachen theilt sie sich in zwei grosse Zweige als innere Haut der Luftwege und des Darmkanals. Jene dringt bis in die Luftzellen als das H\u00e4utchen der-","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430 II. Buch. Organ, diem. Processe. III. Abschn. Absonderung.\nselben vor und endigt blind; diese kleidet den ganzen Darmkanal aus, und schickt Forts\u00e4tze in die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Leber und des Pankreas. Bei den V\u00f6geln b\u00e4ngt sie in der Kloake mit der Schleimhaut der Genitalien und Harnwerkzeuge zusammen. Die Schleimhaut der letzteren \u00fcberzieht den ganzen Verlauf der Harnwerkzeuge von ihrer M\u00fcndung his in die Calyces renales, dringt in die Geschlechtstheile als innere Haut bis in die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Genitalien ein, hei dem Weihe grenzt sie merkw\u00fcrdiger Weise an den Fimbrien der Trompeten an die ser\u00f6se Haut der Unterleihsh\u00f6hle. Bei den Fischen stehen alle Schleimh\u00e4ute durch die schleimahsondernde Oberfl\u00e4che der Haut in Verbindung. ( Alle diese H\u00e4ute stehen in grosser sympathischer Verbindung unter sich, indem sich die Krankheiten dieser H\u00e4ute, namentlich die Schleimfl\u00fcsse und catarrhalischen Alfectionen, leicht innerhalb dieses Gewebes ausbreiten. Durch diesen Consensus erkennt man an einem Theil dieser H\u00e4ute die Beschaffenheit eines andern: aus der Beschaffenheit der Schleimhaut der Zunge die Beschaffenheit der Schleimhaut des Magens und Darmkanals. Vgl. den pag. 343 erl\u00e4uterten, merkw\u00fcrdigen sympathischen Zusammenhang aller Schleimh\u00e4ute mit den Athembewegungen. Die Leichtigkeit, mit welcher durch Vermittelung der Nervensympathieen aus Reizungen der Schleimh\u00e4ute convulsivische Bewegungen der zum respiratorischen System geh\u00f6rigen Muskeln entstehen, wie sie heim Husten, Kiesen, Erbrechen, unwillk\u00fchrlichen Trieb zum Stuhlgang und Harnlassen stattfinden, will ich hier nicht weiter untersuchen.\nDie eigenthiimlichen Krankheiten dieser H\u00e4ute sind die Blen-norrhoeen oder Schleimfl\u00fcsse und die catarrhalischen Affeclionen, welche sich von den ersteren dadurch unterscheiden, dass sie acut, heftig, d. h. schnell steigend und abnehmend sind, und dass sie ein congestives, erstes und blennorrhoisches, zweites Stadium besitzen.\nDie Absonderung des Schleims geschieht sowohl auf den der Schleimb\u00e4lge ermangelnden Schleimh\u00e4uten der Kieferh\u00f6hle, Stirnheinh\u00f6hle, Keilbeinh\u00f6hle und Trommelh\u00f6hle, als auf den mit Folliculis mucosis versehenen Schleimh\u00e4uten; daher die letzteren nicht die einzigen Quellen der Schleimabsonderung seyn k\u00f6nnen.\nDie Schleimdr\u00fcsen sind \u00fcbrigens blosse s\u00e4ckchenf\u00f6rmige Vertiefungen der Schleimh\u00e4ute. In denjenigen Schleimh\u00e4uten, welche mit Epithelium bedeckt sind, wo also ausser dem Schleime noch eine andere Absonderung stattfindet, scheint die Schleimabsonderung auf die Schleimdr\u00fcsen beschr\u00e4nkt zu seyn. Vgl. \u00fcber das Epithelium pag. 379.\nUer Schleim {Mucus) wird nur von Schleimh\u00e4uten gebildet Und k\u00f6mmt in anderen thierischen Theilen nicht vor. Dieser zum Schutz aller mit der Aussenwelt in Wechselwirkung stehenden inneren Theile bestimmte Stoff quillt im Wasser auf, ist aber im Wasser nicht l\u00f6slich ; in der W\u00e4rme gerinnt er nicht, vom Weingeist wird er aus seiner Zertheilung in Wasser niedergeschlagen, erh\u00e4lt aber ausgewaschen seine vorige Zertheilbarkeit im Wasser wieder. Uehrigens ist der Schleim nicht auf allen Schleimh\u00e4uten","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"1. Absonderung im Allgemeinen. Schleimh\u00e4ute. Aeussere Haut. 431\nvon gleicher Beschaffenheit; denn wie Berzelius fand, ist der Schleim der Gallenblase in S\u00e4uren ganz unl\u00f6slich , w\u00e4hrend der Schleim der Harnblase einigermaassen von verd\u00fcnnten S\u00e4uren sowohl, als von verd\u00fcnntem Alkali gel\u00f6st wird. S\u00e4uren l\u00f6sen \u00fcberhaupt sehr wenig vom Schleim auf. Nach Gmelin gerinnt der Darmschleim durch S\u00e4uren, selbst durch Essigs\u00e4ure. Die S\u00e4ure zieht nur sehr wenig aus und er wird selbst im Kochen von ihr nicht aufgel\u00f6st. Das Wenige, was von S\u00e4ure aufgel\u00f6st worden oder was Wasser nach dem Abgiessen der S\u00e4ure in der Digestion aus ihm auszog, wird von Gall\u00e4pfelinfusion, aber nur selten von Cyaneisenkalium gef\u00e4llt. Berzelius Thierchemie 138. Im Schleim k\u00f6mmt auch eine in Wasser l\u00f6sliche thierische Materie vor, das Pyin, welches nach Gueterbocr dem Eiter und Schleim gemein ist. Seine Aufl\u00f6sung in Wasser wird von Weingeist gef\u00e4llt. Die F\u00e4llung wird durch Wasser wieder aufgel\u00f6st. Salzs\u00e4ure f\u00e4llt, \u00fcbersch\u00fcssig l\u00f6st sie wieder auf. Die saure Aufl\u00f6sung wird von Kaliumeisencyanid nicht gef\u00e4llt. Essigs\u00e4ure und Alaun f\u00e4llen das Pyin, und im Ueberschuss l\u00f6sen sie es nicht wieder auf. Der Schleim des Magens enth\u00e4lt auch Verdauungsprincip, Pepsin, Laab.\nc. Aeussere Haut. Auf der \u00e4ussern Haut finden sehr mannigfaltige Absonderungen statt, wovon jede von besondern Stellen des Hautorganes gebildet wird. Am allgemeinsten ist die Absonderung der Epidermis. Die Absonderung der Epidermis geschieht schichtweise von der obersten Schicht der Haut. Vgl. oben pag. 379. Die Epidermis ist selbst nach \u00fcbereinstimmenden Beobachtungen nicht organisirt. Schultze fand zwar, dass nach Injection der Blutgef\u00e4sse mit blossem Terpentin\u00f6l nicht allein die feinsten, sonst nicht sichtbaren Gef\u00e4sse angef\u00fcllt werden, sondern dass auch die abgezogene Epidermis an ihrer innern Seite ein mit dem Mikroskop erkennbares deutliches Gef\u00e4ssnetz zeigt. Um die Injection auf das Weiteste zu treiben, hat Schultze den Stumpf des injicirten unterbundenen Arms in heisses Wasser gethari. Dieser Gelehrte batte die G\u00fcte, mir nicht allein das Gef\u00e4ssnetz der innern Seite der Epidermis an abgezogenen und getrockneten St\u00fccken unter dem Mikroskop zu zeigen, sondern auch ein St\u00fcckchen dieser Epidermis mir mitzutheilen, woran ich den deutlichen Beweis dieser Gef\u00e4sse in H\u00e4nden habe. Es l\u00e4sst sich aus dieser Beobachtung indess freilich nicht schliessen, dass die Epidermis selbst Gef\u00e4sse enthalte; denn diese Schicht von Gef\u00e4ssen, an der innern Seite der Epidermis, kann sehr wohl mechanisch beim Abl\u00f6sen der Epidermis von dem Stratum Mal-pighianum subepidermicum mit abgel\u00f6set seyn. Auch Hesse sich erst an senkrechten Durchschnitten der Epidermis uuter dem Mikroskop der Bevveis f\u00fchren: ob diese Gef\u00e4sse bloss eine innere Schicht an der gef\u00e4sslosen Epidermis selbst bilden, oder ob die Gef\u00e4sse wirklich bis zu einiger Tiefe in die Substanz der Epidermis eindringen. Sie verhalten sich \u00fcbrigens bei ihrer Verzweigung und netzf\u00f6rmigen Endigung gerade so wie Blutgef\u00e4sse. Von den rothes Blut f\u00fchrenden Gef\u00e4ssen unterscheiden sie sich nach Schultze nur, dass sie einigemal d\u00fcnner sind, als menschliche Blutk\u00f6rperchen. W\u00e4re diese Messung an nicht getrockneter","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432 II. Buch. Organ, clicm. Processe. III. Abschn. Absonderung.\nEpidermis angestellt, so k\u00f6nnte sie den noch fehlenden Beweis leisten, dass es wirklich Ramuli serosi der Blutgef\u00e4sse gehe. Siehe Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. und Physiol. 1834. p. 30.\nDie Absonderung der Haare findet in den Haarb\u00e4lgen von den Haarkeimen statt. Die Bildung der die Haut ein\u00f6lenden Hautschmiere geschieht durch jene unz\u00e4hligen, \u00fcber die ganze Haut zerstreuten Folliculi sehacei, kleine, in der Dicke der Haut liegende \u00e4stige S\u00e4ckchen mit engerem Halse. Diese Dr\u00e4schen m\u00fcnden meist in die Haarb\u00e4lge aus. Gurlt in Muell.Archiv. 1835. 399. Endlich findet die Absonderung des Scbweisses wieder in eigenlh\u00fcm-lichen kleinen, \u00fcber die ganze K\u00f6rperoberfl\u00e4che verbreiteten Schl\u00e4uchen statt, welche ihr Secretum durch feine Poren an der Epidermis ergiessen. Wendt de epidcrmide hurnana. Piss, inaug. Vratisl. 1833. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. u. Physiol. 1834. Heft 3. pag. 280. Breschet arm. d. sc. nat. Sept. Oct. Dec. 1834. Gurlt a. a. O. Diese Organe wurden von Purkinje und Breschet entdeckt.\nDie kleinen Poren auf den erhabenen Linien der Vola und Planta sind bekannt. Diese Oeffnungen fuhren zu fadenf\u00f6rmigen Organen, welche durch das Stratum Malpighianum in die Haut seihst \u00fcbergehen, einen spiralf\u00f6rmigen Verlauf haben und zuletzt in der Tiefe der Haut in eine aus einem gewundenen Schlauche bestehende Dr\u00fcse endigen. An den Hautstellen mit d\u00fcnner Epidermis sind diese Kan\u00e4le d\u00fcnner und weniger gewunden. Zu dieser Untersuchung wird ein St\u00fcck der Haut, am besten aus der Vola manus, durch Liijuor kali carbonici erh\u00e4rtet und in senkrechten Lamellen, die mit den Furchen der Vola parallel laufen, mit einem sehr scharfen Messer zerschnitten, darauf diese Durchschnitte mikroskopisch untersucht.\nMan sieht aus dieser Zusammenstellung der in der Haut stattfindenden Absonderungen, dass f\u00fcr jedes auch nur punktf\u00f6rmige Vordringen eines Secretes in der Haut ein bestimmter, durch sackartige oder schlauchf\u00f6rmige Structur ausgezeichneter, Apparat n\u00f6thig ist und wenn sich die Vorstellungen der Alten \u00fcber das Hervordringen des Schweisses aus den Schweissporen best\u00e4tigt haben, so darf man sich darunter keineswegs, wie jene sich dachten, ein Ergiessen des Schweisses aus offenen Fortsetzungen der Blutgef\u00e4sse denken; vielmehr ist jeder Schweisspore nur das Ende eines blinden und in sich geschlossenen Schlauches, welcher sein Secretum, wie jede andere Dr\u00fcse, auf seiner innern Oberfl\u00e4che bildet. Ueber die chemische Zusammensetzung der Hautabsonderung siehe den folgenden Abschnitt IV. Cap. VIII. bei den Ausscheidungen.\n3) Dr\u00fcsen. Die Organe, welche man bisher Dr\u00fcsen genannt bat, sind theils ohne Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge, theils absondernde und mit Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen begabte.\nDie erste Reihe dieser Organe oder der Dr\u00fcsen ohne Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge, \u00fcben ihren plastischen Einfluss auf die in ihnen und durch sie circulirenden und in den allgemeinen Kreislauf zur\u00fcckkehrenden S\u00e4fte aus, sie haben keine Beziehung auf ein Aeusseres, wie die absondernden Dr\u00fcsen. Diese Organe bestehen","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vorn innern Bau d. Dr\u00fcsen. Malpighi\u2019s u. Ruysch\u2019s Ansichten. 433\ndaher auch fast nur aus Gef\u00e4ssbildung, sie sind Gef\u00e4sskn\u00e4uel, Gtfiissknote.n, indem die in ihre Bildung eingehenden Gef\u00e4sse des Kreislaufs sich im Parenchym derselben ins Unendliche zer-theilen und ans dieser Zertheilung wieder in ausf\u00fchrende oder r\u00fcckf\u00fchrende Gef\u00e4sse des Kreislaufs sieh sammeln.\nAlle Dr\u00fcsen dieser Art oder die Gef\u00e4ssknoten sind aber zweierlei :\nI.\tBlutgef\u00fcssknoten, ganglia sanguineo -vasculosa. Hierher geh\u00f6ren im Svstema chylopoeticum die Milz, im Systema uropoeti-cum et genitale die Nebennieren, im Systema respiratorium die Schilddr\u00fcse und die Thymusdr\u00fcse, im Auge die glandula chorio-idalis der Fische, endlich die Piacenta des Foetus.\nAlle diese Organe sind blosse Blutgef\u00e4sskuchen, sie k\u00f6nnen in ihrem Parenchym bloss die Beziehung und Einwirkung auf das sie in einer grossen Zertheilung durchkreisende Blut haben.\nSie sind aber bald\n1.\tvereinigte Ganglia sanguineo - vasculosa, wie die Placenta, die Milz;\n2.\tvereinzelte, wie die Cotyledonen und die mehrfachen Milzen.\nII.\tLyniphgefiissknoten, Ganglia lymphatico - vasculosa. Diese bestehen aus Verzweigungen der in sie eingehenden und aus ihnen herausf\u00fchrenden Lymphgef\u00e4sse, deren innere Zertheilung zuletzt in lauter Netze und Zellen endigt. Siehe oben pag. 267.\nHieher geh\u00f6ren die Lympbdriisen und Mesenterialdr\u00fcsen.\nAuch diese k\u00f6nnen in ihrem Innern bloss die Beziehung auf die sie durchkreisende Lymphe oder den Chylus haben.\nSie sind ebenfalls bald\n1.\tvereinzelt, wie gew\u00f6hnlich die Mesenterialdr\u00fcsen in grosser Anzahl ;\n2.\tvereinigt, wie das sogenannte Pancreas Asellii der Hunde, als eine Masse von Mesenterialdr\u00fcsen.\nAlle diese Dr\u00fcsen, die Blutgef\u00e4ssknoten und Lympbgef\u00e4ss-knoten, sind nicht der Gegenstand gegenw\u00e4rtiger Untersuchung; sie sind von derselben g\u00e4nzlich ausgeschlossen.\nEine zweite Klasse der Dr\u00fcsen hat nicht bloss die Beziehung auf das sie durch kreisende Fluidum, sondern auf ein Aeusseres, das die Produkte der Metamorphose durch Ausfiihrungsg\u00e4nge aus der Sph\u00e4re des Kreislaufes in sich aufnimmt. Alle Dr\u00fcsen dieser Ordnung m\u00fcssen in Hinsicht ihrer innern Bildung vollst\u00e4ndig zergliedert werden.\nII. Capitel. Von dem innern Bau der Dr\u00fcsen.\nDie Untersuchungen \u00fcber den innern Bau der Dr\u00fcsen sind durch des Malpighius exercitationcs de structura viscerum 1665 er\u00f6ffnet worden, welcher lehrte, dass die Elementartheile aller Dr\u00fcsen, die sogenannten Acini desselben Baues seyen als die einfa-chenB\u00e4lge und conglomerirten Balgdr\u00fcsen, dass sie n\u00e4mlich aus rundlichen S\u00e4ckchen bestehen, welche von den feinsten Blutgef\u00e4ssen ihre S\u00e4lte erhalten, und diese in ihre Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge abgeben,","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434 II. Buch. Organ, ehern. Prunesse. III. Abschn. Absonderung.\nwobei er sich auf den blinddarm\u00e4hnlichen Bau einiger einfacher Dr\u00fcsen, wie des Pankreas des Schwertfisches, der Leber der Krebse und auf die Bildungsgeschichte der Leber bei dem Embryo st\u00fctzte. Obgleich dieser Ansicht gute Anschauungen zum Grunde lagen, so hat sich doch Malpighi im Einzelnen geirrt, denn die eigentlichen Elementartheile der zusammengesetzten Dr\u00fcsen blieben ihm unbekannt, und was derselbe als Folliculi der Leber und anderer zusammengesetzter Dr\u00fcsen beschrieb , sind nur Anh\u00e4ufungen der zahlreichen, ihm unbekannt gebliebenen Elementartheile. Die Ersch\u00fctterung, welche diese Lehre durch Ruysch seit 16t)6 erlitt, war daher unausbleiblich; denn durch die Ausbildung der feinem Injection der Blutgef\u00e4sse wurde es Ruysch nicht schwer zu zeigen, dass in den Folliculis der zusammengesetzten Dr\u00fcsen noch eine ungemein zahlreiche Zertheilung der feineren Blutgef\u00e4sse stattfindet. Indessen ist Ruysch durch Uebersch\u00e4tzung der anatomischen H\u00fclfsmittel und dessen, was ihm die Injection der Blutgef\u00e4sse leistete, ohne hinreichende Gr\u00fcnde zu dem Schluss verleitet worden, dass die eigentliche Dr\u00fcsensubstanz aus nichts als Blutgef\u00e4ssen bestehe, und dass die feineren Blutgef\u00e4sse unmittelbar in die A nf\u00e4nge der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen \u00fcbergehen. Ruysch\u2019s Lehre \u00fcber den Bau der Dr\u00fcsen bekam ein grosses Uebergewicht dadurch, dass Haller sich auf seine Seite neigte. H aller hat die alte Hypothese von den aushauchenden offenen Enden der Arterien erst recht befestigt. Er f\u00fchrt (Element. Physiol. Lib. II. \u00a7. 23.) f\u00fcnf Arten dieser Endigung an: in einen Ausf\u00fchrungsgang, ins Zellgewebe, in H\u00f6hlen, durch die Haut, in lymphatische Gef\u00e4sse; in Wahrheit aber existiren alle diese \u00fce-berg\u00e4nge nicht, denn wie die an so vielen durchsichtigen Theilen angestellten Untersuchungen \u00fcber die Circulation, \u00fcber die Bewegung des Bluts in den Capillargcf \u00e4ssen, und die Beobachtungen au den fein injieirten Geweben aus allen Theilen des menschlichen K\u00f6rpers lehren, giebt es in keinem Organe, in keiner Haut einen andern Uebergang der Arterien, als den netzf\u00f6rmigen Uebergang ihrer feinsten Zweige in die Venen. Haller und mehrere seiner Nachfolger haben f\u00fcr Ruysch\u2019s Hypothese auch den Uebernaug der in die Blutgef\u00e4sse injieirten Fl\u00fcssigkeiten in die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen und die Blutungen aus den absondernden Geweben angef\u00fchrt. Was den ersten Grund betrifft, so l\u00e4sst es sich zwar nicht l\u00e4ugnen, dass hei starken Injec-tionen der Pfortader zuweilen, wenn gleich selten, etwas in den Ductus hepaticus \u00fcbergeht, und dass, in seltenen F\u00e4llen nach heftiger Injection der Nierenarterien etwas von der injieirten Fl\u00fcssigkeit in dem Nierenbecken sich vorfindet. Allein die Untersuchung nach solchen Ueberg\u00e4ngen zeigt gerade, dass eine Zer-reissung statt gefunden haben muss; denn die feineren Zweige der ausf\u00fchrenden Kan\u00e4le finden sich in diesen F\u00e4llen nicht injicirt, was seyn m\u00fcsste, wenn der Uebergang auf nat\u00fcrlichen Wegen durch die feinsten Zweige der Arterien in die feinsten Ziveige der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge geschehen w\u00e4re. So f\u00fcllen sieh auch, wie meine Untersuchungen bewiesen haben, nach Injection der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge, z. B. der Leber, der Niere nur dann durch","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom innern Bau <1. Dr\u00fcsen. Malpighis u. Ruysch\u2019s Ansichten. 435\nExtravasation die Blutgef\u00e4sse, wenn die feineren Zweige der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge nicht angef\u00fcllt sind. Dergleichen Ueberg\u00e4nge sehen sich daher ganz wie das Anstreten feiner Injectionsmassen aus Schleimh\u00e4uten an, in welchen es doch erwiesener Maassen keine offenen Enden der Blutgef\u00e4sse, sondern nur Capillargef\u00e4ss-netze giebt. Dasselbe gilt von den Blutungen, welche durch Extravasation erfolgen und die \u00fcberdiess in den Dr\u00fcsen ganz ausserordentlich selten sind. Am auffallendsten schien der Ue-bergang feiner Injectionen aus den Nierenarterien in die Bellini\u2014 sehen Harnkan\u00e4lchen; ja es wurden sogar die aus den Arterien injicirten gestreckten Gef\u00e4sse der Marksubstanz der Nieren bei dem Vortrag der Anatomie zur Demonstration der Bellini\u2019schen B\u00f6hren benutzt. Die genauere Untersuchung solcher Injectionen durch Huschke und mich hat indessen diesen Irrthum aufgedeckt und gezeigt, dass diese sogenannten Bellini\u2019schen R\u00f6hren gar nicht die wahren Bellini\u2019schen B\u00f6hren, vielmehr nichts anders als langgestreckte, zwischen den bellini\u2019schen R\u00f6hren verlaufende Arterien sind, welche gegen die Papille der Nieren hin, statt sich zu \u00f6ffnen, wie die Bellini\u2019schen R\u00f6hren, vielmehr feiner werden und Capillargef\u00e4ssnetze um die Oeffnung der Harnkan\u00e4lchen bilden.\nDie Controverse \u00fcber den Bau der Dr\u00fcsen konnte auf den bisherigen Wegen, welche meist in Injectionen der Blutgef\u00e4sse bestanden, nicht entschieden werden. Hierzu geh\u00f6rten gl\u00fcckliche Injectionen der Absonderungskan\u00e4lchen selbst von ihren Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen und eine durch alle Dr\u00fcsen durchgef\u00fchrte Untersuchung der Dr\u00fcsen, \u00fcber den feinsten Bau und die Wurzeln dieser Kan\u00e4lchen. Die erste genauere Untersuchung dieser Art war von Ferrein \u00fcber den Bau der Dr\u00fcsen {Mein, de l\u2019Acad. royale des Sc. de Paris 1749), welcher die gewundenen Harnkan\u00e4lchen der Bindensubstanz als die eigentliche Quelle der Harnab-Sonderung entdeckte, wovon weder Malpighi noch Ruysch eine Ahnung gehabt haben. Die Entdeckung dieser Kan\u00e4le, deren Anh\u00e4ufung und Feinheit erst den Schein von festem Parenchym hervorbringt, liess eine grosse Aehnlichkeit zwischen diesen Kan\u00e4len der Rindensubslanz der Nieren und den Samenkn\u00e4lchen einsehen, die sich von ihnen nur unterscheiden, dass sie mit blossen Augen sichtbar sind, die Samenkan\u00e4lchen aber mussten immer f\u00fcr die Lehre von dem Bau der Dr\u00fcsen von grosser Wichtigkeit seyn, weil sie uns eine entschiedene Selbstst\u00e4ndigkeit der absondernden Kan\u00e4le zeigen, auf deren W\u00e4nden sich bloss die feinsten Blutgef\u00e4sse verzweigen und in Capillargef\u00e4ss\u00fcberg\u00e4ngen von den Arterien in die Venen \u00fcbergehen. Schumlansicy {de structura renum. Argentorat. 1788) hat diese Untersuchungen vervollkommnet; indessen hat er doch einen bedeutenden Irrthum in die feinere Anatomie der Nieren gebracht, dadurch, dass er die noch mit blossen Augen sichtbaren Malpighi\u2019schen K\u00f6rperchen in der Rindensubslanz der Nieren f\u00fcr die Quelle der Harnabsonderung hielt, und den Anfang der gewundenen, \u00fcberall gleichf\u00f6rmig dicken und unverzweigten Rindenkan\u00e4lchen der Nieren in diese Malpighi\u2019schen K\u00f6rperchen sctzlc und in seiner","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436 II. Buch. Organ, ehern. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nschematischen Abbildung sehr anschaulich machte, wahrend doch nach neueren Untersuchungen diese runden Malpighi\u2019schen K\u00f6rperchen aus blossen kleinen Geflechten der Arterien bestehen, von ihnen \u00fcberaus leicht sich f\u00fcllen, niemals aber hei Injection der Harnkan\u00e4lchen angef\u00fcllt werden, und \u00fcberhaupt, in keinem Zusammenh\u00e4nge mit ihnen stehen. Mascagny und Cruikshank zeigten ferner, dass die Anf\u00e4nge der absondernden Kan\u00e4lchen in den Milchdr\u00fcsen zellenf\u00f6rmig sind; dasselbe hat E. II. Weber (Meckel\u2019s Archie. 1827) von den Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel und S\u00e4ugetbiere und von dem Pankreas der V\u00f6gel gezeigt. Durch diese sch\u00f6nen Untersuchungen von Weber und durch die eben so trefflichen Beobachtungen von Huschke \u00fcber den Bau der Nieren (Isis 1828, Heft 5 und 6) ist nun in der neuern Zeit der Anfang einer Arbeit gemacht worden, deren ganzem Umfang ich mich selbst weiter unterzogen habe, indem ich den Bau der feineren Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen in allen Arten der absondernden Dr\u00fcsen studirte. J. Mueller De glandularum structura penitiori. Lips. 1830. Hierdurch ist nun zur Evidenz gebracht, dass die absondernden Kan\u00e4lchen in allen Dr\u00fcsen selbstst\u00e4ndig sind, und dass, m\u00f6gen sie nun gewunden, wie in der Rindensubstanz der Nieren und in ilen Hoden sich ausbreiten oder sich baumf\u00f6rmig verzweigen, w'ie in der Leber und den Speicheldr\u00fcsen, m\u00f6gen sie reiserf\u00f6rmig blind wie in der Leber, oder in 1 rauhenf\u00f6rmigen Zellen blind wie in den Speicheldr\u00fcsen, in dem Pankreas und in den Milchdr\u00fcsen endigen, die Capillargef\u00e4sse nur netzf\u00f6rmig auf ihren W\u00e4nden, und zwischen den Kan\u00e4lchen sich ausbreiten, indem auch die feinsten Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen, wie in der Leber, in den Nieren immer noch einigemal st\u00e4rker sind, als die zartesten Ver\u00e4stelungen der Arterien und Venen. So mannigfaltig nun die einzelnen Formen in der Anlage der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen sind, so haben doch alle absondernden Dr\u00fcsen mit einander gemein, dass sie eine grosse absondernde Fl\u00e4che in dem Innern der Schl\u00e4uche, der gewundenen oder verzweigten Kan\u00e4le darstellen, und dass auf der innern Fl\u00e4che der Kan\u00e4le dasselbe, nur complicirter rea-lisirt ist, was auf einer ebenen absondernden Haut stattfindet, so dass die Natur in den dr\u00fcsigen Organen durch die eigenth\u00fcm-Jiche Anordnung der zur chemischen Ver\u00e4nderung der Materie bestimmten Substanz \u00fcberall nur eine grosse Fl\u00e4che im kleinen Raum erzielt hat, ein Zweck, den die Natur, rvie mau aus der folgenden Zusammenstellung der Thatsachen sieht, auf sehr mannigfache Weise erreicht hat.\nDie einfachsten Dr\u00fcsen sind gr\u00f6ssere oder kleinere Vertiefungen einer Haut; zuweilen sind diese Vertiefungen sehr flach und entstehen durch blosse Einsenkungen, wie die einfachen Crypten der Schleimh\u00e4ute, wie sie in fast allen Schleimh\u00e4uten Vorkommen, in andern F\u00e4llen sind die Vertiefungen deutlicher und bilden S\u00e4ckchen mit einem Hals (Folliculi), gleich wie die Folliculi der Schleimh\u00e4ute. (Die Peyer\u2019schen Dr\u00fcsen des Ileums d\u00fcrfen nicht hieher gerechnet werden, wie in dem Abschnitte von der Verdauung gezeigt wird.) In andern F\u00e4llen dagegen bildet sich die Vertiefung oder Ausst\u00fclpung zu","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom Innern Bau der Dr\u00fcben. Einfache Dr\u00fcsen. Folliculi. 437\neiner R\u00f6hre aus, wie die Schleimkan\u00e4le unter der Haut der Fische. Im Allgemeinen kann man den Balg (Fo/liculus) und die R\u00f6hre (lubulus) als die Elemente der Hauptmodificationen im Baue der Dr\u00fcsen betrachten. Aber seihst die scheinbar einfachsten B\u00e4lge sind in ihrem Innern schon zusammengesetzt, indem entweder die innere Fl\u00e4che des Balges zellenf\u00f6rmige Vorspr\u00fcnge hat, oder das S\u00e4ckchen traubig ist, wie an den kleinsten Lieber-k\u00fchn\u2019schen Dr\u00fcsen der Darmschleimhaut und an den Meibomi-schen Dr\u00fcsen, oder die W\u00e4nde des Follikels selbst wieder in ihrer Dicke blinde R\u00f6hrchen enthalten, wie die Magendr\u00fcsen der V\u00f6gel und anderer Thiere. Boehm de glandularum intestina-lium structura penitwri. Beruh 1835. Boyd Edirib. mcd. surg. Journ. 1836. \u00fccl. 382. Bei der weitern Ausbildung dieser einfachen Dr\u00fcsen durch kl\u00e4chenvermehrung kann man folgende Formen unterscheiden. Dergleichen S\u00e4ckchen und R\u00f6hren stehen oft in einer geselligen Verbindung dicht neben einander (Folliculi aggre-gutijj bald reihenl\u00f6rmig oder linear, wie die Meibomi\u2019schen Dr\u00fcsen der Augenlieder, oder haufenweise, wie in der Dr\u00fcsenschicht im Dr\u00fcsenmagen der V\u00f6gel. Bei dieser Aggregation bleiben die Oelii)Uiigen der einzelnen Dr\u00fcsen getrennt; die Natur erreicht aber denselben Zweck durch Zusammensetzung der Folliculi zu einem Ganzen mit einfacher Ausm\u00fcndung (Folliculi compositi} con-glomerati) wie die Mandeln, die Glandulae labiales, buccales, die aus zusammengesetzten Blindd\u00e4rmen bestehenden prostatischen Dr\u00fcsen mehrerer S\u00e4ugethiere. (J. Mueller a. a. O. Tab. 3.), die Milchdr\u00fcse des Schnabelthiers, das Pankreas des Schwertfisches und Thunfisches, Denkt man sich diese Zusammensetzung weiter fortschreitend, so treiben die B\u00e4lge des Balgs kleinere Folliculi hervor. Es entsteht eine hohle Verzweigung mit blinden, entweder reiserf\u00f6rmigen oder zellenf\u00f6rmigen Enden. Auch diese Folliculi compositi k\u00f6nnen sich durch Aggregation neben einander zu einer grossem Dr\u00fcsenmasse von mehreren oder vielen Ausf\u00fch-rungsg\u00e4ngen verbinden, wmvon man ein Beispiel in der Prostata des Menschen hat, die aus einer Aggregation von einzelnen Dr\u00f6schen besteht, deren jede gleichsam ein hohles Strauchwerk mit zellenf\u00f6rmigen Enden der Kan\u00e4lchen darstellt. Durch fortgesetzte Vermehrung dieser Art entsteht nun eine zusammengesetzte Dr\u00fcse; indessen bildet diese Ait der Fl\u00e4chenvermehrung nur die eine Hauptform zusammengesetzter Dr\u00fcsen; die zweite Hauptforin bildet die zusammengesetzten Drusen von r\u00f6hriger Structur, in welchen die Verzweigung entweder fehlt oder sehr untergeordnet ist, die Vermehrung der Fl\u00e4che vielmehr durch die L\u00e4nge und die Windungen einfacher, in ihrem Durchmesser ziemlich gleichf\u00f6rmiger Kan\u00e4le erreicht wird.\n1) Zusammengesetzte Dr\u00fcsen mit. verzweigter Grundlage. Es geh\u00f6ren hierher vorz\u00fcglich die Thr\u00e4uendr\u00fcse, die Milchdr\u00fcse, die Speicheldr\u00fcsen, das Pankreas und die Leber. Diese Dr\u00fcsenart zerf\u00e4llt wieder in zwei Gruppen, je nachdem die Verzweigung eine gewisse Regelm\u00e4ssigkeit beobachtet, wodurch der Hauptstamm von Stelle zu Stelle Seitenkan\u00e4le, die Seitenkan\u00e4le von Stelle zu Stelle Seitenkan\u00e4le zweiter Ordnung, und diese wieder","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438 II. Buch. Organ, ehern. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nSeitenkan\u00e4le der dritten Ordnung, wie bei den gelappten Driiscn ausscbicken. Hierdurch entstehen Lappen der ersten, zweiten, dritten, vierten Ordnung, welche bloss locker durch Zellgewebe mit einander verbunden sind. Unter diese gelappten Dr\u00fcsen mit regelm\u00e4ssiger Anordnung der Verzweigung geh\u00f6ren die Thr\u00e4nendr\u00fcse, die Milchdr\u00fcse, die Speicheldr\u00fcse und das Pankreas. Die kleinsten mit blossen Augen sichtbaren Theile dieser Dr\u00fcsen sehen entweder k\u00f6rnig aus {Acini). Sie sind nichts Anderes als traubenf\u00f6rmige Aggregate von sehr kleinen, nur mikroskopisch im angef\u00fcllten Zustande sich offenbarenden Zellen, die auf den feinsten Zweigelchen der Absonderungskan\u00e4lchen traubenf\u00f6rmig auf-sitzen, umwoben von Capillargef\u00e4ssnetzen. In anderen F\u00e4llen sind die feinen Kan\u00e4le als \u00fcberaus feine blinde R\u00f6hrchen, wie die Bl\u00e4ttchen der Moose um die Zweige des Ausf\u00fchrungsganges in der ganzen L\u00e4nge desselben gestellt, wie in der Leber der Krebse und in der Thr\u00e4nendr\u00fcse der Schildkr\u00f6ten, wodurch auch wieder Lappen entstehen; oder die Endr\u00f6hrchen eines kleinsten Lappens bilden, ohne ebenfalls in Bl\u00e4schen \u00fcberzugeben nur B\u00fcschel reiserf\u00f6rmiger R\u00f6hren, wie in den Cowper\u2019schen Dr\u00fcsen des Igels; a. a. O. Tab. 3., Fig. 8. 9.\nDie zweite Gruppe hierher geh\u00f6riger Dr\u00fcsen bilden diejenigen, bei welchen die Verzweigung unregelm\u00e4ssig baumf\u00f6rmig ist, und keine durchgreifende Lappenbildung entsteht. Es geh\u00f6rt hierher die Leber; die B\u00fcschel der feinsten Zweige der Gallenkan\u00e4lchen bilden zwar auch Acini zusammen, allein diese Acini sind ohne durchgreifende Unterabtheilung von L\u00e4ppchen, zu einem oder zu mehrern gemeinsamen Lappen verbunden.\nDiese Verzweigung und auch das Eigenth\u00fcmliche, dass die Kan\u00e4lchen zuletzt nicht in Zellen, sondern in vielfach verzweigte Reiserchen von mikroskopischer Feinheit endigen, die, in eine grosse Anzahl vereinigt, erst das ausmachen, was, mit nackten Augen angesehen, Acinus genannt wird, characterisirt die Leber der Wirbelthiere. Die Leber der Wirbellosen geh\u00f6rt h\u00e4ufig unter die erstere Gruppe der hier beschriebenen Dr\u00fcsen. Wir werden den Bau der vorz\u00fcglichsten Dr\u00fcsen dieser Klasse, welche beim Menschen Vorkommen, hier abbandeln.\nA. Thr\u00e4nendr\u00fcse. Die Thr\u00e4nendr\u00fcse zeigt nach meinen Untersuchungen im Allgemeinen zwei Hauptformen in der Anordnung der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen: a. die bei den Schildkr\u00f6ten von mir gefundene; b. die bei den \u00fcbrigen Wirbeltbieren, V\u00f6geln und S\u00e4ugethieren stattfindende Structur. Bei den Schildkr\u00f6ten bildet die Dr\u00fcse lauter keulenf\u00f6rmige Lappen, welche wie Aeste mit einander durch die in ihrem Inneren verlaufenden Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge verbunden sind. Im Innern dieser Keulen verl\u00e4uft ein ziemlich gleichf\u00f6rmiger Kanal, in welchen unz\u00e4hlige, senkrecht auf ihn gestellte mikroskopische B\u00fcschel von Blindd\u00e4rmchen (wie das Laub der Moose zu ihren Stengeln sich verhaltend) von 0,00194 p. Z. Dicke einm\u00fcnden, so dass man sich diese scheinbar soliden Massen in einer federbuschartigen Zusammenstellung von Blindd\u00e4rmchen denken muss, die mit den Enden s\u00e4mmtlich gegen die Oberfl\u00e4che gerichtet sind. J. Mueller de glandularum'structura.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom innern Bau der Dr\u00fcsen. Milchdr\u00fcse. Speicheldr\u00fcse. 439\nJab. V. hg. 4. Bei Jen V\u00f6geln und den S\u00e4ugethieren sind die Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen de Thr\u00e4nendr\u00fcse regelm\u00e4ssig verzweigt und endigen in jedem Acinus in einen Haufen von kleinen Zellen. Bei den V\u00f6geln sind diese Zellen sehr gross, n\u00e4mlich 0,00327 p. Z. Auch heim Pferde lassen sich, so wie hei den V\u00f6geln, diese Zellen von den Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen mit Quecksilber f\u00fcllen.\nB.\tMilchdr\u00fcse. Die Milchdr\u00fcsen zeigen im Allgemeinen eine doppelte Structur; sie sind entweder aus Blindd\u00e4rmen zusammengesetzt, wie die Milchdr\u00fcsen des Schnahelthiers, oder aus verzweigten Kan\u00e4len (Ductus lactiferi), deren feinste B\u00fcschel traubenf\u00f6rmige, mikroskopisch sichtbare Cellulae lactiferae bilden. Die erste Structur kennt man mit Sicherheit nur beim Schnabelthiere nach Meckel\u2019s Entdeckung. Diese verzweigten Blindd\u00e4rme, welche sich in einer ebenen Stelle neben einander in grosser Anzahl \u00f6ffnen, enthalten indess in ihrem Innern, wie Owen (PAL los. Transact. 1832) gezeigt hat, eine etwas complicirtere Follicu-larstructur. Nach von Baer (Meckel\u2019s Archie. 1827. p. 559.) besteht auch die Milchdr\u00fcse der Cetaceen, die sich nicht mehrfach, sondern nur einfach ausm\u00fcndet, aus Blindd\u00e4rmen. Die Untersuchung einer Milchdr\u00fcse von Delphinus Phocaena macht mich indessen glauben, dass die von Baeb gesehenen Blindd\u00e4rme nur die st\u00e4rkeren Ductus lactiferi waren, und dass die Milchdr\u00fcse der Cetaceen vielleicht nicht viel weniger complicirt als bei den \u00fcbrigen S\u00e4ugethieren ist. Bei diesen \u00f6ffnet sich die Milchdr\u00fcse bald einfach, wie bei den Wiederk\u00e4uern, bald durch mehrere Oeffnungen, wie bei den reissenden Xhieren und dem Menschen, in die Warze, wo dann im letzteren Fall eigentlich eben so viel Dr\u00fcsen zu einer gemeinsamen Milchdr\u00fcse verbunden sind. Die Structur dieser Dr\u00fcsen l\u00e4sst sich sehr sch\u00f6n durch die Anf\u00fcllung der Cellulae lactiferae mit Quecksilber zeigen. Siehe Mueller a. a. O. Tab. Vf. Fig. 1 \u2014 8. Beim s\u00e4ugenden Igel betragen die Cellulae lactiparae 0,00712 \u2014 0,00928 p. Z.; beim s\u00e4ugenden Hunde betragen sie 0,00260 p. Z. Sie sind also 10 bis 35 Mal so stark als die feinsten Capillargef\u00e4sse des Menschen von 0,00025 p. Z.\nC.\tSpeicheldr\u00fcsen. Die Speicheldr\u00fcsen der Insekten sind, wie die Dr\u00fcsen dieser Thiere \u00fcberhaupt, lange r\u00f6hrenf\u00f6rmige Schl\u00e4uche mit blinden Enden. Bei den Mollusken habe ich sie von schwammiger und deutlich zelliger Structur gefunden. Siehe die Abbild, von Murex Tritonis Tab. XVII. Fig.6. Bei den Fischen giebt es keine Speicheldr\u00fcsen ; bei den Schlangen muss man die einfachen Speicheldr\u00fcsen von den ganz davon verschiedenen Giftdr\u00fcsen unterscheiden. Die einfachen Speicheldr\u00fcsen, welche theils an der Ober- und Unterlippe, theils unter der Zunge, theils wie die von mir gefundenen, neben der Nase liegen, sehen k\u00f6rnig aus und bestehen in ihrem Innern aus einer zeitigen Structur (J. Mueller a. a. O. Tab. VI. Fig. 5.), so zwar, dass die Ober- und Unterlippendr\u00fcsen eigentlich aus einer linearen Aggregation vieler Dr\u00fcsen mit vielen Oeffnungen bestehen. Die Giftdr\u00fcsen sind ganz anders gebaut. Sie bestellen in der Regel aus einer Reihe von Bl\u00e4ttern, die auf dem Ausf\u00fchrungsgang aufsitzen, indem jedes wieder aus verzweigten Blinddarm-\nM\u00fcIler\u2019s Physiologie. I.\t2*)","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440 II. Buch. Organ, ehern. Processe. III. Ahschii. Absonderung.\neben bestellt. (J. Mueller a. a. O. Tab. VI. Fig. 1.) Die Giftschlangen bilden \u00fcbrigens drei Ordnungen: 1. Coluberartige (Am/diihola Milli.) mit vorderen einfachen Zahnen im Oberkiefer und hinteren gefurchten Giftzahnen, wie Dipsas, Homalopsis, Dryophis. 2. Giftschlangen mit vorderen durchbohrten Giftz\u00e4hnen, mit hinteren einfachen Z\u00e4hnen im Oberkiefer (Trimeresurus, Bun-jarus Naja(?), Platurus, Hydrophis, Pelamis). 3. Giftschlangen mit blossen Giftz\u00e4hnen im Oberkiefer, wie Trigonocephalus, Cophias, Vipern, Pelias, Crotalus. Bei den V\u00f6geln sind die Submaxillardrii-sen in Hinsicht ihres Baues von E. H. Weber und mir untersucht worden. Sie sind eine Aggregation von mehreren zusammengesetzten Dr\u00fcsen mit einzelnen OeA'nungen, wie bei den h\u00fchnerartigen V\u00f6geln und G\u00e4nsen, gr\u00f6ssere einfache Dr\u00fcsen sind die Unterzungendr\u00fcsen der Spechte. Im erstem Falle besteht jede scheinbar k\u00f6rnige Dr\u00fcse aus einem verzweigten Folliculus, dessen W\u00e4nde mit Zellen besetzt sind; im letzteren Falle findet derselbe Bau, nur complicirter statt. J. Mueller a. a. O. Tab. VI. Fig. 6\u2014S. Bei den S\u00e4ugethieren zeigt sich eine Speicheldr\u00fcse bei ihrer ersten Entstehung nach Weber\u2019s und meinen Beobachtungen als ein einfacher, vom Mund ausgehender Kanal mit knospenf\u00f6rmigen Ausw\u00fcchsen innerhalb eines gallertigen Keimstofles, Blastema; a. a. O. Tab. VI. Fig. 9 und 10. Bei der weitern Ausbildung der Kan\u00e4le verzweigen sich die Kan\u00e4le auf Kosten des Keimstofles immer weiter und in denselben hinein. Dieser Keimstofi' zeigt sich bei diesen gelappten Dr\u00fcsen bald lappig, und wird von der fortschreitenden Verzweigung zuletzt ganz absor-birt; a. a. O. Tab. VI. Fig. 11. 12. Schon bei dieser ersten Entstehung der Dr\u00fcse zeigen sich also die Speichelkan\u00e4le als ein in sich geschlossenes und blind endigendes System; allein auch im erwachsenen Zustande lassen sich die Bl\u00e4schen an den mikroskopischen Enden der feinsten Speichelkan\u00e4lchen vom Ausf\u00fchrungsgang der Dr\u00fcse aus mit Quecksilber anf\u00fcllen, wie E. H. Weber beim Menschen und ich bei dem Hunde gethan. Die kleinsten Zellen in der Parotis des Menschen messen mit Quecksilber gef\u00fcllt 0,0082 p. Z. Diese Zellchen verbinden sich zu Tr\u00e4ubchen, welche 4 bis 7 Mal gr\u00f6sser sind. Die Zellchen sind also ungef\u00e4hr 3 Mal und die Tr\u00e4ubchen 12 Mal gr\u00f6sser als die feinsten Blutgef\u00e4sschen. Die kleinsten Lungenzelichen sind 5 bis 16 Mal gr\u00f6sser als die Zellchen der Parotis. Beim Hunde fand ich die mit Quecksilber gef\u00fcllten Zellchen der Parotis 0,00176 p. Z. dick.\nD. Pankreas. Gleichwie die erste Erscheinung der Milchdr\u00fcsen hei den Cetaceen in der Form von Blindd\u00e4rmchen aultritt, so erscheint das Pankreas bei den Fischen zuerst in derselben Gestalt, als Appendices pyloricae, welche \u00fcbrigens bei vielen Fischen fehlen. Diese Blindd\u00e4rme sind bald einfach, bald mehrfach, und in seltneren F\u00e4llen verzweigt. Der Anfang dieser Verzweigung zeigt sich sehr einfach noch bei Polyodon folium, wo die Blindd\u00e4rme sehr stark und kurz sind. In der Familie der Scomberoiden erreicht die Verzweigung in einigen Gattungen eine grosse Complication, wie z. B. bei Scomber Thynnus, wo 4 grosse St\u00e4mme der Blindd\u00e4rme vom D\u00fcnndarm ausgehen, sich","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom innern Bau der Dr\u00fcsen. Pankreas. Leber. 441\nverzweigen und jeder Zweig zuletzt in ein quastf\u00fcrmiges B\u00fcschel von d\u00fcnnen r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Blindd\u00e4rmen \u00fcbergeht, (j. Mueller, a. a. O. Tah. VII. Fig. 4. 5.) Beim S chwertfisch findet derselbe Bau statt, nur sind die Blindd\u00e4rme nicht r\u00f6hrenf\u00f6rmig, sondern kurz und dick. Beim St\u00f6r stellen die Blindd\u00e4rme, indem sie untereinander durch Zellgewebe verbunden sind, eine grosse schwammig-zeilige Masse dar; a. a. O. Tab. VII. Fig. (i Die Entwik-kelungsgeschicbte des Pankreas zeigt bei Froschlarven einen \u00e4hnlichen Fortschritt, wie hei der Entwickelung der Speicheldr\u00fcsen der S\u00e4ugethiere. Bei den V\u00f6geln l\u00e4sst sich indess, seihst im erwachsenen Zustande, das Pankreas ganz bis in die zellenf\u00f6rmigen Enden der Ductuli pancreatiei mit Quecksilber injicircn, wie E. H. Weber und ich gethan. J. Mueller a. a. O. Tah. XVII. Fig. 3\u2014 5. Diese Zellchen messen 0,00137 bis 0.00297 p. Z., sind also fi \u201412 Mal gr\u00f6sser als die feinsten Blutgef\u00e4sse.\nE. lieber. Ohne mich hier \u00fcber die von Einigen angenommene Aehnlichkeit der Malpigbi\u2019schen Gef\u00e4sse der Insekten mit Gallenorganen zu verbreiten, wovon im IV. Capitel hei der Verdauung und Gallenabsonderung das N\u00e4here, will ich bloss erw\u00e4hnen, dass die Gallenorgane der Spinnen Tr\u00e4ubchen von Bl\u00e4schen darstellen, welche durch Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge in den Darmkanal ausm\u00fcnden. Dieser G\u00e4nge sind heim Scorpion 5 Paar. J. Mueller a. a. O. Tah. VIII. Fig. S. Bei den Crustaceen, namentlich bei den eigentlichen Krebsen, besteht die Leber aus grossen B\u00fcscheln fingerf\u00f6rmig-verbundener Blindd\u00e4rmchen, deren IJaupt-ausfiihrungsgang auf jeder Seite in den Darmkanal ausm\u00fcndet; a. a. O. Tab. VIII. Fig. 11. vom Flusskrebs. Fig. 12. vom Pa-gurus striatus. Dagegen andere Krebse, wie die Gattungen Pa-laeinon, Penaeus und Grangon, eine traubenf\u00f6rmige Bildung der Leber besitzen und die Leberlappen der Scjuillen schwammigzellige Massen bilden; a. a. (). Tab. IX. Rathke hat gezeigt, dass die aus Blindd\u00e4rmchen zusammengesetzte Leber des Flusskrebses heim Embryo als eine Ausst\u00fclpung der Darmw\u00e4nde nach aussen, entsteht. Bei den Mollusken gleicht die Leber schon sehr ihrem Ansehen bei h\u00f6heren Thieren. Mit Galle angef\u00fcllt scheint sie auf den ersten Blick von k\u00f6rniger Structur zu seyn; sie l\u00e4sst sich aber, wie ich gezeigt habe, durch Aufblasen der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge leicht als eine hohle Traube darslellen. Bei einigen grossem Schnecken, wie Murex Tritonis, ist die zellige Bildung so auffallend und die Zellen sind so gross, dass die Leber heim Durchschnitt dem blossen Auge als eine durchaus schwammige Masse erscheint; a. a. O. Tab. X. Fig. 4. Die Untersuchung der Leber der Wirbelthiere bietet ausserordentlich viele Schwierigkeiten dar und nur die Entwickeluugsgcschichtc giebt vollst\u00e4ndige Aufschl\u00fcsse \u00fcber den Bau der feinsten Elementartheile dieses Organes. Eine gute Injection der Gallenkan\u00e4lchen ist un-gemein schwierig, w\u00e4hrend die Injection der Blutgef\u00e4sse der Leber durchg\u00e4ngig sehr leicht gelingt.\nRolando\u2019s, Baer\u2019s und meine eigenen Beobachtungen haben cs ausser Zweifel gesetzt, dass die Leber zuerst als eine Ausst\u00fclpung der Darmw\u00e4nde bei dem Vogelembryo entsteht, eine\n29*","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442 II. Buch. Organ, client. Processe. III. Alschn. Absonderung.\nBildung, welche die Leber in der ersten Entstehung'mit der Lunge und dem Pankreas gemein hat. Nach v. Baer erscheint die Leber bei dem Vogelembryo um die Mitte des dritten Tages der Bebr\u00fctung als zwei kegelf\u00f6rmige hohle Schenkel des Speiseka-nals, welche den gemeinschaftlichen Venenstamm umfassen. Bald verl\u00e4ngern sich diese Kegel, indem sie Gef\u00e4ssverzweigungen vor sich hertreiben, w\u00e4hrend sich die Basis allm\u00e4hlig verengt und die Gestalt eines jcylinderf\u00f6rmigen Ausf\u00fchrungsganges annimmt. Die Leber entsteht also zuerst als eine doppelte hohle Ausst\u00fclpung der Darmwand in die Gef\u00e4ssschieht nach Aussen. Diese bohlen Kegel verzweigen sich im Innern, vereinigen sich aber an der Basis, indem die beiden hohlen Kegel bei ihrer Verl\u00e4ngerung von der Darmwand immer mehr an sich ziehen, bis sie den zwischen sich befindlichen Theil ganz in sich nufgenommen haben, so dass nun diese beiden M\u00fcndungen in eine einzige zusammengeflossen sind. v. Baer in Burdach\u2019s Physiologie, Bd. II. pag. 5\u00dc4. Die Gallenblase bildet sich als ein Divertikel des Ausf\u00fchrungsganges. Nach meinen Beobachtungen hat der ausgest\u00fclpte hohle Theil der Darmwand anfangs, n\u00e4mlich am 4. Tage, fast dieselbe Dicke als die \u00fcbrige Darmwand ; bald aber wird dieser Theil viel dicker, w\u00e4hrend er im Innern immer noch eine H\u00f6hle enth\u00e4lt. Diese H\u00f6hle nimmt bei der weitern Ausbildung der Gallenkan\u00e4le ab, w\u00e4hrend sich in der Dicke der Lebersubstanz verzweigte Figuren und blinddarmf\u00f6rmige K\u00f6rnchen ausbilden, welche letztere indessen nicht deutlich hohl scheinen. Die Ductus biliferi bilden sich daher durch fortgesetzte Ausst\u00fclpung nicht, sondern durch weitere Organisation des hervorgetriebenen Theils der Darmw\u00e4nde. Siehe die Abbild, bei J. Mueller a. a. O. Tab. IX. Fig. 1 \u2014 3., Tab. XL Fig. J\u20144. Was die sp\u00e4tere Ausbildung und Verzweigung der Galleng\u00e4nge betrifft, so haben dar\u00fcber schon Harvey und Malpighi Aufschl\u00fcsse gegeben. Harvey Exercilt. de genera-tione animalium. 19.; Malpighi de formal, pulli. 61. Der Erstere sah die Lebersubstanz als einen sprossenf\u00f6rmigen Auswuchs der Blutgef\u00e4sse; Malpighi sah die Leber am 6., 7. und 9. Tage aus Blindd\u00e4rmclien bestehend. Dieser anf\u00e4ngliche Bau der Leber ist von mir durch fortgesetzte mikroskopische Untersuchungen weiter verfolgt worden. Es zeigen sich n\u00e4mlich auf der Oberfl\u00e4che der Leber bei mikroskopischer Untersuchung lauter Blindd\u00e4rm-chen oder kurze Reiserchen von gelblich weisser Farbe, die aus der sonst blutrothen Substanz in unz\u00e4hliger Menge dicht neben einander hervorsehen. Bei \u00e4lteren Embryonen sieht man diese Reiserchen auf der Oberfl\u00e4che der blutrothen Leber noch weiter zer\u00e4stelt, so dass die B\u00fcschel der Reiserehen die Form von Federchen annehmen, oder auch wohl kleine Str\u00e4uschen bilden. J. Mueller a. a. O. Tab. XI. Fig. 4 \u2014 9. Diese Elementartheilchen betragen gegen 0,00172 p. Z. Beim Kaninchen ist mir die feinere Injection der Gallenkan\u00e4lchen aus dem Ductus hepaticus mit Leim und Zinnober einigemal gelungen, wobei die Leber \u00fcber und \u00fcber roth wurde. Die kleinen Acini der Leber zeigten sich hierbei als vielfach zer\u00e4stelte -Zertheilungen der Gallenkan\u00e4lchen, so zwar, dass die Kan\u00e4lchen in dichten Haufen,","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"-. Vom innern Bau der Dr\u00fcsen. Leber.\n413\nwelche die Acini bildeten, aus der Tiefe kommend, nach der Peripherie aus einander fuhren, sich auch noch reiserl\u00f6r-mig theilten , ohne weiter d\u00fcnner zu werden. Diese Zwei-gelchen, welche man nur m\u00fchsam hei mikroskopischen Untersuchungen der injicirten Leber erkennt, liegen so dicht, dass dadurch ein Anschein von Verbindung entsteht; die Ranalchen haben einen Durchmesser von 0,00108 \u2014 0,00117 p. Z., sie sind also starker als die Capillargef\u00e4sse. Merkw\u00fcrdig ist, was die Leber von den Speicheldr\u00fcsen unterscheidet, dass die Enden der Gallenkan\u00e4lchen beim Embryo reiserl\u00f6rmig blind aufh\u00f6ren, wie die Entwickelungsgescliichte erweist, ohne dass man in der sp\u00e4tem Zeit der Entwickelung kn\u00f6pf- oder bl\u00e4schenf\u00f6rmige Anschwellungen an diesen Reiserchen sieht. (Durch Anf\u00fcllung mit Luft nahmen dagegen in Krause\u2019s Untersuchungen (Mukll. Arch. 1837.) die Enden der Gallenkan\u00e4lchen wirklich ein bl\u00e4schenf\u00f6rmiges Ansehen an, und Krause schliesst aus seinen Versuchen, dass auch die Acini der Leber aus bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Enden der Gallenkan\u00e4lchen von 4-6\u2014\u25a0i'd\" gebildet sind.) In seltenen F\u00e4llen gelingt die Maceration der Leber in schlechtem Weingeist so, dass sie ganz in ihre Acini zerf\u00e4llt, welche dann bloss noch unter sich \u00e4stig Zusammenh\u00e4ngen. So besitzt das anatomische Museum zu Berlin eine durch die Maceration in lauter B\u00fcschel von Acini analysirte Leber eines Eisb\u00e4ren. Die feineren Stammelten der Gallenkan\u00e4lchen sind nicht mehr erkennbar, oder liegen vielleicht im Innern der B\u00fcschel der Lebersubstanz. Die B\u00fcschel der Lebersubstanz h\u00e4ngen aber an den Zweigen der Lebervenen, welche in das Innere von jedem Aestchen der Lebersubstanz ein Zweigelchen hineinschicken. Die an den Zweigelchen der Lebervenen sitzenden St\u00e4mm-clien der verzweigten Lebersubstanz von 4 Lin. Dicke, verzweigen sich, ohne an Dicke zu verlieren, weiter, und endigen zuletzt unmerklich in dickere, n\u00e4mlich T' Linie dicke, 2\u2014 3 Linien lange K\u00f6rperchen, welche hier und da stumpfe Forts\u00e4tze ausschicken. Die zarten Gallenkan\u00e4lchen an dieser Substanz lassen sich nicht mehr erkennen. Merkw\u00fcrdig ist, dass nicht die Pfortaderzweige, sondern die Lebervenenzweige von der acin\u00f6sen Substanz, wie der Stengel vom Laub der Moose, bekleidet sind. An denjenigen Theilen der Leber, wo die Theile noch durch Zellgewebe verbunden sind, sieht man, dass die Enden dieser \u00e4stigen Lebersubstanz eigentlich das sind, was man auf der Oberfl\u00e4che der Leber die Acini nennt. Diese \u00e4stigen Cy-linderehen bestellen also selbst wieder aus den vorher nach ln-jectionen und nach der Entwickelungsgescliichte beschriebenen viel feineren Gallenkan\u00e4lchen. Was die von mehreren Schriftstellern, wie Autekbietb, Bichat, Cloquet, Maites und Meckel, angenommene doppelte Substanz in der Leber betrifft, welche sich wie Mark und Rinde an den Acinis durch die ganze Leber vertheilen soll, so reducirt sich diess nach meinen Untersuchungen aul das Factum, dass die \u00e4stigen Zertheilungen der Lebersubstanz und der Acini \u00fcberall von einem oft dunkeln gef\u00e4ssr,eichen Zellgewebe unter einander verbunden sind, wogegen die gelblichen Anh\u00e4ufungen der Gallenkan\u00e4lchen abstechen, ein Verh\u00e4ltnis*,","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444 II. Buch. Organ, chem. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nwas durch die Entwickelungsgeschichte evident wird, indem man heim Vogelembryo die weiblichen Reiserchen der Gallenkan\u00e4lchen auf der Oberfl\u00e4che der Leber aus einem r\u00f6thlichen Gef\u00e4ssgewehe hervorkommen sieht.\nWas die Vertheilung der Blutgef\u00e4sse in der Leber betrifft, so ist es bekannt, dass sich von Injection der Leberarterie und der Pfortader dieselben Capillargef assnetze anf\u00fcllen , mit welchen wieder die Anf\u00e4nge der Lebervenen in Verbindung stehen. In den Capillargef assnetzen der Leber scheint daher eine Vermischung des hellrothen Blutes der Leberarterie und des dunkelrothen Blutes der Pfortader statt zu finden, und aus beiden geschieht vielleicht die Absonderung der Galle. Die feinsten Capillargef \u00e4sse sind, wie ich schon bemerkt habe, feiner als die mikroskopischen Reisereben der Gallenkan\u00e4lchen. Diese Netze verlaufen \u00fcberall zwischen den Reiserchen der Kan\u00e4lchen, umspinnen sie, stehen aber mit ihnen in keinem unmittelbaren Zusammenh\u00e4nge; denn hei dem Vogelembryo sieht man mit H\u00fclfe des Mikroskops auf der Oberfl\u00e4che der Leber die reiserf\u00f6rmigen Endigungen der Gallenkan\u00e4lchen, und dasselbe l\u00e4sst sich mit Erfolg an der Leber der Froschlarven beobachten. Siebe .1. Mukm.f.h a. a. O. Tab. V. Fig. 12. Bei der Salamanderlarve l\u00e4sst sich sogar die Bewegung des Bluts zwischen den Acinis der Leber mit dem Mikroskop beobachten (a. a. O. Tab. X. Fig. 10.), wo die Blutk\u00f6rperchen sich zwischen den Theilchen der Lebersubstanz deutlich durchwinden, um aus den zuf\u00fchrenden Gef\u00e4ssen in die abf\u00fchrenden zu gelangen. Ueber das Pfortadersystem der Thiere siehe oben pag. 185.\nDurch Kief.nan\u2019s sehr sch\u00e4tzbare Untersuchungen hat die Anatomie der Leber weitere Fortschritte gemacht. Philosoph. Transact. 18113. p. 2. pag. 711. Kierdan beschreibt die kleinen K\u00f6rnchen Lobules) der Leber, welche Andere Acini nennen, als blattf\u00f6rmige, aber nicht platte K\u00f6rper, welche mehrere stumpfe Forts\u00e4tze ausschicken, \u00e4hnlich denjenigen, die wir oben von der ma-cerirten Leber des Eisb\u00e4ren beschrieben haben. Im Inneren eines jeden kleinen L\u00e4ppchens l\u00e4uft ein Centralkan\u00e4lchen ( Venu la int ra-lobularis), ein Zweig der Lebervene, welche das Blut aus dem Capillargef\u00e4ssnetz des L\u00e4ppchens zur\u00fcckf\u00fchrt; die Venulae intralobulares gehen von den Aesten der Lebervenen aus, welche an diesen Stellen in ihren W\u00e4nden wie durchl\u00f6chert sind, indem die L\u00e4ppchen auf der Oberfl\u00e4che der W\u00e4nde der Lebervenen-zweige aufsitzen, so dass diese so gruppirten L\u00e4ppchen einen Kanal bilden, in welchem der Lebervenenzweig liegt. Diese Kan\u00e4le sind also durch die Basen aller L\u00e4ppchen gebildet. Die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che jedes L\u00e4ppchens dagegen ist von einer Zellgewebe-scheide, Capsel, Fortsetzung der Capsula Glissonii umgehen, und in diesem Zellgewebe, welches wieder die L\u00e4ppchen von einander sondert, verbreiten sich die Zweigelchen der Arterie und die Zweigelchen der Pfortader, welche (Venae interlobulares) durch die Capillargef \u00e4ssnelze des L\u00e4ppchens in die Vena intralobularis, oder den Anfang eines Lebervenenzweiges \u00fcbergehen. Je nachdem entweder in den Vcnis interlobular, von der Pfortader her eine RliUanli\u00e4ulung, oder in den Vcnis intralobular, von den Leber-","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vorn innern Bau der Dr\u00fcsen. Leber.\n445\nvenen lier eine Blutanh\u00e4ufung staltlindet, sclieint entweder die Mitte der gelben L\u00e4ppchen bl\u00e4sser, oder der Umfang bl\u00e4sser, und daher der Irrtbum von zwei Substanzen an den L\u00e4ppchen, welche K iernan so wie ich aus einer einfachen Substanz gebildet fand.\nDas Zellgewebe der Capsula Glissonii geht von der Leberpforte als gemeinschaftliche Scheide der Leberarterie, der Pfortader und des Gallenganges weiter ins Innere der Leber ein, umfasst immer wieder die neben einander liegenden Zweige dieser Gef\u00e4sse und endigt zuletzt in dem Interlobularzellgewebe. Der Verzweigung der Lebervenen bleiben diese Scheiden ganz fremd.\nDie Leberarterie verzweigt sich nach Kiernan vorzugsweise und gr\u00f6sstentheils auf den W\u00e4nden der Gallenblase, der Galleng\u00e4nge und der andern Blutgef\u00e4sse, indem sie die Vasa vasorurn derselben bildet. Aus den Netzen der Arterienzweigelchen geht das Blut nach Kiernan in Zweige der Pfortader \u00fcber und von dort aus in die Lebervenen; denn durch feine Injectionen der Leberarterie wurde die Pfortader wohl, nicht aber die Lebervenen gelullt. Als er mit blauer Masse zuerst die Pfortader und dann mit rother die Leberarterie gef\u00fcllt hatte, wurden Zweige von beiden Gelassen in den H\u00e4uten der Gef\u00e4sse, der Galleng\u00e4nge und der Gallenblase gefunden; die L\u00e4ppchen der Leber waren blau gef\u00e4rbt und die rothe Masse erschien nur punktweise im Umfang derselben. Kiernan nimmt daher an, dass diejenigen Zweige der Leberarterie, welche bis zu den L\u00e4ppchen gelangen, in die ven\u00f6sen Plexus der Pfortader \u00fcbergehen und dass das Blut von dort erst in die Anf\u00e4nge der Lebervenen gelangt. Diese Ansicht, welche jener widerspricht, dass alles Blut der Leberarterie sowohl als der Pfortader in dieselben Capillargef\u00e4sse gelange, ist indess noch nicht hinreichend erwiesen und die LiEBERKUEiia\u2019schen Injectionen widersprechen ihr, indem hier die Uapillargef\u00e4ssnetze \u00f6fter so leicht von dem einen als von dem andern Gelass aus sich injicirt, zeigen.\nVon der letzten Verzweigung der Gallenkan\u00e4lchen sagt Kiernan Folgendes. Da wo die feineren Zweige zwischen den L\u00e4ppchen liegen, theilen sie sich durch Verzweigung, diese Zweige anastomosiren endlich mit einander und bilden zuletzt einen von den Blutgef\u00e4ssen unabh\u00e4ngigen Plexus, welcher die eigentliche Substanz des L\u00e4ppchens ausmacht. Philus. Transact. 183-3. p. 2. Tab. 23. Fig. 3. An den von mir injicirten Gallenkan\u00e4lchen habe ich \u00fcber die Existenz dieser Verbindungen nicht sicher werden k\u00f6nnen. Die Kan\u00e4lchen sahen mehr wie in den mannigfaltigsten Richtungen durch einander liegende kurze Rispen aus, und die Entwickclungsgeschichte widerspricht dieser Ansicht, indem man beim H\u00fchnchen und bei den Froschlarven auf der Oberfl\u00e4che der Leber mit dem Mikroskop offenbar Reiserchen sieht. Kiernar erkl\u00e4rt sich diess Ansehen heim F\u00f6tus auf eine andere Art, n\u00e4mlich als gelbe Zwischenstellen, zwischen den Radiationen der Venen. Diese Erkl\u00e4rung w\u00fcrde dieser treffliche Forscher indess wohl nicht aufgestellt haben, wenn er seihst mikroskopische Untersuchungen \u00fcber die Gallenkan\u00e4lchen bei Vogelembryo-neu und Froschembryonen angestellt h\u00e4tte. Dass die Gallenka-","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446 II. Buch. Organ, chem. Processe. III. Absehn. Absonderung\no \u2022\nn\u00e4lchem beim Embryo reiserf\u00f6rmige kurze Endigungen an der Oberfl\u00e4che der Leber bei mikroskopischer Untersuchung sehen lassen, ist nach meinen zahlreichen Beobachtungen nicht zu bezweifeln; ob die Acini beim Erwachsenen auch aus einer Anh\u00e4ufung nicht anastomosirender K\u00f6rper oder aus Plexus von Kan\u00e4lchen bestehen, wie Kiernan behauptet, ist noch nicht entschieden und schwer zu entscheiden, da auch die gut injicirten Kan\u00e4lchen der Acini, wenn ihre durch einander fahrenden Zweigelchen dicht geh\u00e4uft sind, den Anschein von Plexus annehmen k\u00f6nnen, zuweilen aber auch Plexus f\u00fcr Gallenkan\u00e4lchen gehalten werden k\u00f6nnen, welche nichts anders sind, als durch Extravasation aus den Galleng\u00e4ngen angef\u00fcllte Venennetze oder Capillargef\u00e4ssnetze.\n2. Dr\u00fcsen mit r\u00fchrigem Baue. Hierher geh\u00f6ren die Nieren und die Hoden. Bei dieser Art dr\u00fcsiger Organe wird die Ver-gr\u00f6ssernng der Fl\u00e4che durch Kan\u00e4le von ausserordentlicher L\u00e4nge realisirt, welche mehrentheils gewunden sind, w\u00e4hrend die Verzweigung entweder fehlt, oder ganz untergeordnet ist, und die Kan\u00e4le in dem gr\u00f6ssten Theiie ihres Verlaufs einen gleichen Durchmesser behalten.\nF. Nieren. Die Nieren der niederen Wirbelthiere, wie der Fische und Amphibien, zeigen noch keinen deutlichen Unterschied von Substantia medullaris und cortiealis. Das ganze Gewebe der Nieren der Fische besteht aus lauter gewundenen Kan\u00e4lchen (Ductus unnijeri), welche durchg\u00e4ng g denselben Durchmesser behalten und sich zuletzt wahrscheinlich blind endigen, w\u00e4hrend sich ihre anderen Enden in den Harnleiter ergiessen. J. Mueller a. a O. Tab. XII. Fig. 1\u20144.\nDie Harnkan\u00e4lchen in der Niere der Fr\u00f6sche gehen, wie die Federfahne von dem Federschaft, nach einer Seite hin ab. Sie sind in ihrem Verlaufe theils gerade, thcils gewunden, ver\u00e4ndern ihren Durchmesser nicht und endigen zuletzt blind an dem entgegengesetzten Rande der Niere. J. Muelier a. a. O. Tab. XII. Fig. :l 1. Bei den Schlangen, wo die Nieren an dem, am \u00e4ussern Rande derselben verlaufenden, Harnleiter, eine Reihe von Lappen bilden, schickt der Harnleiter von Stelle zu Stelle ein St\u00e4mmchen in die Concavit\u00e4t der Lappen ab, welches sich alsbald b\u00fcschelf\u00f6rmig verzweigt. Diese B\u00fcschel gehen dann in die eigentlichen Harnkan\u00e4lchen \u00fcber, welche in mannigfaltigen Windungen das eigentliche Parenchym der Nieren ausmachen. Am Ende scheinen die Harnkan\u00e4lchen etwas angeschwolien und blind. Mit Quecksilber gef\u00fcllt haben diese Harnkan\u00e4lchen einen Durchmesser von 0,00322 p. Z. Die Nieren der Schildkr\u00f6ten gleichen in der Bildung der Harnkan\u00e4lchen, deren Enden gefiedert sind, ganz denen der V\u00f6gel. Leber das eigenth\u00fcmliche System von zuf\u00fchrenden Venen in den Nieren der Fr\u00f6sche und Amphibien, siehe pag. 1S5 dieses Handbuchs.\nDie Nieren der V\u00f6gel, welche aus mehreren ganz getrennten, nur durch die Aeste des Harnleiters verbundenen Lappen bestellen, gleichen schon den Nieren der S\u00e4ugethiere darin, dass in ihnen Pyramiden enthalten sind, welche die Harnkan\u00e4lchen in kleine Warzen sammeln, wovon jede in einen Ast des Harn-","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"2.\t1 <>m innern Bau der Dr\u00fcsen. Nieren.\n447\nleiters eingesenkt ist. Auf der Oberfl\u00e4che der Nieren bemerkt inan kleine Windungen, wie auf der Oberfl\u00e4che des Gehirns oder wie die an einander liegenden R\u00e4nder eines sehr gekr\u00e4uselten Blattes. Diese Windungen entstehen durch die schichtweise Ausbreitung der zur Oberfl\u00e4che auftauchenden Harnkan\u00e4lchen, ln diesen Windungen liegen die Harnkan\u00e4lchen parallel neben einander; man kann sich diese Anordnung so vorstellen, wie wenn ein Tuch nach einer Seite hin in die Spitze einer Pyramide zusammengefasst wird, w\u00e4hrend das andere Ende des Tuchs wie eine Gardine oder eine Halskrause in gekr\u00e4uselte Falten gelegt ist. Bei der ersten Entstehung der Niere sieht man diese Bildung noch deutlicher, indem die aus der Tiefe aufstrebenden Schichten der Harnkan\u00e4lchen sich in gekr\u00e4uselten Figuren auf der Oberfl\u00e4che der Niere neben einander legen und den Falten einer Krause in der That sehr \u00e4hnlich sehen; a. a. O. Tab. XIH. Fig. 4. 5. C. Beim erwachsenen Vogel, wo sich die Harnkan\u00e4lchen mit H\u00fclfe der Luftpumpe durch Leim und Zinnober inji-ciren lassen, liegen die Enden der Harnkan\u00e4lchen auf der Oberfl\u00e4che d er Nieren in wundersch\u00f6ner Anordnung neben einander. Jedes dieser Kan\u00e4lchen treibt federf\u00f6rmig kleine Zweige nach den Seiten aus, so dass jedes Harnkan\u00e4lchen einem Federchen, oder auch der Verzweigung des Hirschgeweihes \u00e4hnlich sieht. Siche Tab. XIII. Fig. 7. 9. 13.\nHuscuke\u2019s und meine Beobachtungen haben dieses Verhalten ermittelt. Nach neuen Beobachtungen, die ich an ausserordentlich sch\u00f6nen Injeclionen vom Prof. Retzius in Stockholm angestellt habe, setzen sich die Seitenzweigelchen noch weiter in die Tiefe fort, wo sie keine Acste weiter abgeben und allm\u00e4hlig kaum etwas feiner werden. Wie sie zuletzt endigen, weiss ich nicht gewiss; wie es scheint, bilden sie Schlingen. Die Harnkan\u00e4lchen haben auf der Oberfl\u00e4che der Nieren der Eule einen Durchmesser von 0,00174 p. Z. Vergleiche \u00fcber den Bau der Vogelnieren Huschke, Isis 1828. pag. 565.\nBei dem Embryo der S\u00e4ugethiere und des Menschen besteht die Niere aus mehreren ganz abgesonderten Lappen (Renculi), welche bloss durch die Zweige des Nierenbeckens Zusammenh\u00e4ngen. Dieser Renculi sind so viele, als die Niere sp\u00e4ter Pyramiden hat. Bekanntlich bleiben diese Renculi in grosser Anzahl hei mehreren Thieren durchs ganze Leber getrennt, wie heim B\u00e4ren, der Fischotter und den Cetaceen. Sowohl hei diesen Thieren, als hei dem F\u00f6tus der \u00fcbrigen S\u00e4ugethiere und des Menschen besteht jeder Renculus aus der pyramidalischen Marksubstanz und der wie eine M\u00fctze um die abgerundete Basis derselben herumgeschlagenen Corticalsuhstanz, welche die Medullarsubstanz, also bis auf die Papille des Renculus umgiebt. Nachdem diese Renculi unter einander verwachsen sind, setzt sich also nothwen-dig die Corticalsuhstanz der Nieren zwischen die Pyramiden bis gegen die Papillen hin fort. In der Marksubstanz verlaufen die Harnkan\u00e4lchen bekanntlich gestreckt; von der Basis bis gegen die Papille hin verbinden sie sich von Stelle zu Stelle, je zwei mit einander, wie die Zinken einer Gabel. Sie werden","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448 II. Buch. Organ, chcm. Processe. III. Alschn. Absonderung.\ngegen die Papille hin heim Pferde unbedeutend, heim Menschen, nach Weber, nicht einmal weiter und \u00f6ffnen sich in den L\u00f6cherchen der Papillen. Gegen die Corticalsubstanz hin fahren die Harnkan\u00e4lchen aus den B\u00fcndeln (Ferreinsche Pyramiden), welche die Malpighi\u2019schen Pyramiden zusammensetzen, nach allen Richtungen auseinander. JVur eine kleine Strecke setzen sich die B\u00fcschel der gestreckten Kan\u00e4lchen in die Corticalsubstanz fort, indem diese B\u00fcschel von Harnkan\u00e4lchen von aussen nach innen immer mehr Harnkan\u00e4lchen, gewunden in die Rindensubstanz, abweichen lassen. Siehe J. Mueller a. a. O. Tab. XIV. Pig. 4. vom Eichh\u00f6rnchen. Die ganze Rindensubstanz besteht aus lauter Windungen von Harnkan\u00e4lchen, die ihren Durchmesser nun nicht weiter ver\u00e4ndern. Bei dem Pferde ist die Rindensubstanz d\u00fcnn und die Zahl der gewundenen Kan\u00e4le daher viel geringer. Die Enden der gewundenen Harnkan\u00e4lchen aut-zuiinden ist ungemein schwierig. Nach meinen Beobachtungen an den Nieren des Eichh\u00f6rnchens theilen sich zuletzt die Kan\u00e4lchen mehrfach, und h\u00f6ren mit nicht oder kaum angeschwollenen Enden auf. Weber fand beim Menschen bei mikroskopischen Untersuchungen keine Enden der Harnkan\u00e4lchen, sondern nur Schleifen. Beim Pferde habe ich durch Injectioncn der Harnkan\u00e4lchen vom Ureter aus mittelst der Luftpumpe ganz deutlich ermittelt, dass diese Kan\u00e4le vielfach unter einander anastomosi-ren. Tab. XV. Fig. 2. Nach Krause\u2019s Untersuchungen kommen blinde Enden der Harnkan\u00e4lchen und Anastomosen zugleich vor, wie es auch bei den Samenkan\u00e4lchen der Fall ist. Hiernach verhalten sich also die gewundenen Harnkan\u00e4lchen durch ihre Anastomosen gerade so, wie die gewundenen Samenkan\u00e4lchen. Um diese Kan\u00e4lchen der Rinde zu injiciren, muss man sich der H\u00fclfe der Luftpumpe bedienen, indem die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che der Niere dem luftleeren Raum ausgesetzt ist, und die ln jectionsmasse durch den Druck der \u00e4ussern Luit aus dem Ureter in die Harnkan\u00e4lchen bis auf die Oberfl\u00e4che der Nieren hineingetrieben wird. Diese Injectionsart, welche zu diesem Zweck Huschke zuerst angewendet hat, gelingt nur bei dem Pferde vorz\u00fcglich. Was den Durchmesser der Harnkan\u00e4lchen betrifft, so betragen sie in der Rinde der Nieren des Eichh\u00f6rnchens 0,00149 p. Z. ; sind also ungef\u00e4hr 3 bis 6 Mal so dick, als die feinsten Blutgef\u00e4sse. Auf der Oberfl\u00e4che der Nieren des Pferdes betragen die Harnkan\u00e4lchen im injicirten Zustand 0,00137 bis 0,00182; in der Medul-larsubstanz betragen sie gegen die Milte derselben schon betr\u00e4chtlich mehr, n\u00e4mlich 0,00489 und gegen die Papillen hin 0,01305 p. Z. Nach E. H. Weber nehmen diese Kan\u00e4le von ihren Windungen in der Rinde gegen das Mark und von dort bis an die Papillen beim Menschen gar nicht einmal an Umfang zu. In der Rindensubstanz betragen sie nach ihm 0,00180 p. Z. Durchmesser, in den Pyramiden 0,00100 p. Z., an der Papille 0,00100 p. Z.\nVon ganz besonderem Interesse ist das Verbal tniss der Blutgef\u00e4sse zu der Nierensuhstanz. ln der Rinde der Nieren bilden die Blutgef\u00e4sse die gew\u00f6hnlichen Capillargef\u00e4ssnetze, welche ausserordentlich dicht sind, sa dass der Durchmesser nur einige Mul kleiner ist,","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom innern Hau der Dr\u00fcsen. Nieren.\n449\nals ihre Zwischenr\u00e4ume; sie betragen hier nach meinen Ausmessungen 0,00037 bis 0,00058 p. Z. Durchmesser. In der Rinde zwischen den Harnkan\u00e4lchen liegen die Malpighi\u2019schen K\u00f6rperchen, gr\u00f6sser als die Harnkan\u00e4lchen und eben noch mit blossen Augen erkennbar; sie sind von Schumlansky viel zu klein abgebildet. Sie messen nach meinen Beobachtungen 0,00700; nach E. H. Weber 0,00606 bis 0,00883 p. Z. Diese K\u00f6rpereben liegen in bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Aush\u00f6hlungen des Zellgewebes zwischen den Harnkan\u00e4lchen und bestehen ganz aus Windungen von Blutgef\u00e4ssen. Siehe Tab. XIV. Fig. 8. 9. Merkw\u00fcrdiger Weise kommen sie auch in den Nieren der mehrsten , vielleicht aller Wir-helthiere vor; sie sind bei den Fr\u00f6schen, Kr\u00f6ten, Salamandern, Schildkr\u00f6ten, V\u00f6geln, S\u00e4ugethieren und Menschen aufgefunden. SchuAn.ANsh.y hatte die Hypothese eingef\u00fchrt, dass diese Glomeruli die Quelle der Harnabsonderung seyen, indem aus ihnen die Harnkan\u00e4lchen entspr\u00e4ngen. Diess hat sich bei n\u00e4herer Untersuchung als unrichtig gezeigt, wie sich aus Huschke\u2019s und meinen Beobachtungen ergiebt. Denn die Glomeruli seu corpora Malpighiana lassen sich nur von den Arterien aus injiciren, werden aber nie nach Iujectionen der Harnkan\u00e4lchen angef\u00fcllt. Huschke hat \u00fcberdiess beim Salamander beobachtet, dass das Blut-gef\u00e4sschen, welches in sie hineintritt, nach vielen Windungen wieder aus denselben herausgeht. Tiedemann Zeitschrift f\u00fcr Physiol. 4. Tab. 6. Fig. 8. Sie werden \u00fcbrigens eben so leicht von den Arterien als von den Venen aus angef\u00fcllt, und sind \u00fcberhaupt blosse Receptacula des Bluts.\nDie Quelle der Harnabsonderung sind die gewundenen Harnkan\u00e4lchen selbst, welche nicht bloss an ihren Enden, sondern an der ganzen ungeheuren Oberfl\u00e4che, welche ihre Windungen darbieten, die in Harn verwandelten Theile des Bluts ausscheiden. Sie sind \u00fcberall von den feinsten Blutstr\u00f6mchen umgeben, indem die Netze der Capillargef\u00e4sse in ihren Zwischenr\u00e4umen \u00fcberall hingehen und sie umweben. Die aufgel\u00f6sten Theile des Blutes k\u00f6nnen durch die zarten W\u00e4nde der Harnkan\u00e4lchen durchdringen, und bei diesem Durchdringen eine chemische Ver\u00e4nderung erleiden, oder die zersetzten Theile desselben angezogen und ausgeschieden werden.\nIn der Marksubstanz verlaufen die Blutgef\u00e4sse zwischen den Harnkan\u00e4lchen gestreckt gegen die Papillen hin, indem sie von der Rinde kommen. Diese von den Arterien und Venen aus leicht zu injicirenden Gef\u00e4sse der Marksubstanz sind in fr\u00fcherer Zeit von dmi Anatomen f\u00e4lschlich f\u00fcr die von den Arterien aus inji-cirten Bellini\u2019schen Harnkan\u00e4lchen gehalten worden, in welche die in die Arterien injicirten Fl\u00fcssigkeiten nicht \u00fcbergehen. Jene gestreckten Arterien und Venen werden gegen die Papillen der Nieren hin, statt sich wie die Harnkan\u00e4lchen zu erweitern, vielmehr fein und bilden die gew\u00f6hnlichen Capillargef\u00e4ssnetze um die Oeflnungen der Harnkan\u00e4lchen. Beim Hunde betragen diese gestreckten Arterien der Pyramiden 0,00175\u20140,00068 p, Z. im Durchmesser, in der N\u00e4he der Papillen, wo sie Netze bilden, 0,00012 p, Z.","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450 II. Buch. Organ, chcm. Processe. III. Ahsrhn. Absonderung.\nVergleicht man die Harnkan\u00e4lchen mit den Samenkan\u00e4lchen des Hodens, so zeigt sich die gr\u00f6sste Aehnlichkeit; auch jene sind gewunden und bilden Anastomosen , unterscheiden sich von diesen nur durch ihre gr\u00f6ssere Feinheit, indem sie beim Menschen einige Mal d\u00fcnner sind als die Samenkan\u00e4lchen, und daher mit blossen Augen nicht mehr gesehen werden, bei den Schlangen sind sie dagegen schon so gross, dass man sie mit blossen Augen sieht, und eben so bei den Itochen und Haien. Erst durch ihre Feinheit und Anh\u00e4ufung bilden sie den Anschein von tester Masse, wie ihn die Feinde dem nackten Auge darbietet.\nG. Hoden. Bei den Insekten ist die Bildung des Hoden unendlich mannigfaltig. Der Grundtypus ist Vermehrung der Fl\u00e4che, welche absondert, im kleinen Raume. Die Formen sind hier so \u00fcberaus reich, als die Ausbildung einer grossen Fl\u00e4che im kleinen Raume mannigfaltig ist. Siehe Leon Dufour Ann. des sc. nat. Tom. VI. Sept hr. u. Octbr.; Succow in H eusinger\u2019s Zeitschrift f\u00fcr organ. Physik. Tom. II. Man findet daher bald einfache, unverzweigte, mehr oder minder gewundene R\u00f6hren, bald kn\u00e4uelf\u00f6rmig aufgewickelte Pi\u00f6hren ; in anderen F\u00e4llen endigen die R\u00f6hren verzweigt in Bl\u00e4schen oder wirtelf\u00f6rmig, oder in sternf\u00f6rmige Anh\u00e4ufungen von Blindd\u00e4rmchen. Zuweilen stellt der Hoden einen Haufen b\u00fcrstenf\u00f6rmig verbundener Blindd\u00e4rmchen vor; zuweilen ahmen die R\u00f6hrchen einem Pferdeschweif nacli ; auch kommt es vor, dass die R\u00f6hrchen schlingenf\u00f6rmig sich mit einander verbinden, wie ich es an den Hoden der Scorpione gefunden habe. Die Absonderung geschieht also nothwendig hier nur auf der innern Fl\u00e4che dieser R\u00f6hrchen, Blindd\u00e4rme, Kapseln und die Natur erreicht denselben Zweck in einem einfachen, sehr langen Kan\u00e4le, wie in k\u00fcrzern verzweigten R\u00f6hrchen oder Anh\u00e4ufungen von Blindd\u00e4rmchen. Unter den Mollusken ist der finden ebenfalls sehr mannigfaltig, doch l\u00e4sst er sich gr\u00f6ssten-theils auf die Traubenform und die b\u00fcschelf\u00f6rmigen Anh\u00e4ufungen von Blindd\u00e4rmchen reduciren.\nBei den Fischen finden sich zwei Modilicationen der Bildung der Hoden vor; entweder bestehen sie n\u00e4mlich aus verzweigten R\u00f6hren, wie beim gr\u00f6ssten Theil der Fische (siehe Tab. XV. Fig. 7. von Clupea alosa), oder sie sind k\u00f6rnig. Im letztem Fall giebt es keinen Ausf\u00fchrungsgang des Hodens. Der Same wird im Innern dieser K\u00f6rner gebildet, gelangt durch Zerplatzen dieser K\u00f6rner wahrscheinlich in die Bauchh\u00f6hle, wie auch die Eier einiger Fische in die Bauchh\u00f6hle fallen, und aus der Bauchh\u00f6hle durch eine oder zwei, in diesem Fall vorkommende Oelfnungen nach aussen. So z. B. verh\u00e4lt es sich beim Aal und bei der Pricke nach Rathke\u2019s Beobachtungen, welche eine einfache Oeffnung der Bauchh\u00f6hle haben und bei welchen eben so die Eier nach aussen gelangen. Derselbe Bau findet sich nach meinen Beobachtungen in Hinsicht der Hoden bei den Haifischen und Rochen, welche zwei Oeffnungen der Bauchh\u00f6hle haben. Was man fr\u00fcher f\u00fcr Nebenhoden und Ausf\u00fchrungsgang des Hoden gehalten hatte, jenes aus gewundenen Kan\u00e4len und einem starken Ausl\u00fchrungs-gang bestehende Organ, steht n\u00e4mlich in keinem Zusammenh\u00e4nge","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom iniicrn Bau der Dr\u00fcsen. Hoden.\n45 t\nmit dem k\u00f6rnigen Hoden und ist eine Dr\u00fcse eigener Art. Siehe .1. Mueller in Tiedemank\u2019s Zeitschrift f\u00fcr Physiol. IV. de, glandid. penit. structura. Tal). XV. Fig. S. Auch heim St\u00f6r sind die Hoden k\u00f6rnig. Die Weihehen der Rochen und Haitische besitzen \u00fcbrigens die Oefl'nungen der Bauchh\u00f6hle, obgleich die Eier hei ihnen nicht in die Bauchh\u00f6hle lallen, sondern durch den Eierleiter nach aussen gelangen.\nDie Hoden der nackten Amphibien sind noch ohne Nebenhoden, indem die Vasa etlerentia sich ohne Weiteres zu dem Ductus deferens verbinden; sie bestehen \u00fcbrigens aus kurzen blinden R\u00f6hrchen; hei den beschuppten Amphibien beginnt der Ne-benhode aus den Windungen der Vasa etlerentia und des Samenkanals seihst. Lieber den Bau des Hoden bei dem Menschen haben in neuerer Zeit die Untersuchungen von Asti.Er Cooper (lieber die Bildung des Hoden. H'ciniar 1832.) und besonders von A. Lautu (Riem, de la Soci\u00e9t\u00e9 de /\u2019hist. nat. de Strasbourg. Lie. II.) und Krause (Muell. Arch. 1837. 20.) weitere Aufschl\u00fcsse gegeben. Nach Cooper werden die L\u00e4ppchen des Hoden nicht bloss durch die von der Albuginea ausgehenden Scheidewand - artigen Forts\u00e4tze geschieden, sondern auch noch einzeln durch ein \u00fcberaus feines H\u00e4utchen eingeschlossen. Die Samenkan\u00e4lchen haben s\u00e4rnmtlich die Richtung gegen das Rete testis. Man kann sic gleichsam als einen Kegel vorstellen, dessen Spitze an dem genannten Orte liegt; auch ist jedes Samenkan\u00e4lchen so gelagert, dass es durch die Abnahme seiner Windungen gegen das Rete testis gleichsam einen Kegel bildet. Krause fand zwischen 404 und 484 L\u00e4ppchen im Hoden. Die Samenkan\u00e4lchen haben alle denselben Durchmesser. Er betr\u00e4gt nach Lauth yyg- bis r,Ls Zoll, im Durchnitt y\u00ff-g-Zoll; ich habe ihren Durchmesser auf 0,0047\u00bb p. Z. angegeben. Injicirt betragen sie nach Lautu im Durchschnitt -, Zoll, nach mir 0,00945 p. Z. Mit Samen gef\u00fcllt haben sie nach Krause 0,00666. leer und hei Greisen 0,00521 Zoll im Durchmesser. Die L\u00e4ppchen bestehen nach Lauth bald aus einem, bald aus zwei, bald aus mehreren Samenkan\u00e4lchen. Lauth berechnet die Zahl der Samenkan\u00e4lchen auf 840, und die L\u00e4nge von einem auf 2 Fuss 1 Zoll. Ich hatte schon Enden der Samenkan\u00e4lchen bei S\u00e4ugethieren aulgcfundcn, wo diess bei den Nagetbieren, wegen der Gr\u00f6sse der Samenkan\u00e4lchen, weniger schwer ist. Lauth hat nur einmal ein geschlossenes linde eines Samenkan\u00e4lchens im Hoden des Menschen bemerkt. Krause hat die blinden Enden \u00f6fter beobachtet, und sowohl diess Verhalten als die Anastomosen constatirt. Dieses seltene Erscheinen der blinden Enden kommt nach Lauth davon her, dass die Samenkan\u00e4lchen zuletzt sich sehlingenf\u00f6rmig mit einander verbinden. Die Theilungen und Vereinigungen der Samenkan\u00e4lchen sind nach Lauth so h\u00e4utig, dass er auf einer entwickelten Portion, deren Kan\u00e4lchen circa 45 Zoll zusammen an L\u00e4nge betrugen, gegen 45 Anastomosen aufl'and; diese Anastomo->en linden jedoch nur gegen das Ende der Samenkan\u00e4lchen statt. Die Beobachtung dieser Anastomosen ist ganz neu. Da diese Kan\u00e4lchen \u00fcbrigens \u00fcberall einen gleichen Durchmes er behalten,","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452 II. Buch. Organ, chem. Prncesse. III. Ahsclin. Absonderung.\nda sic theils durch ihre blinden Enden, theils durch ihre Anasto-mosen geschlossen sind, so darf man sich die Absonderung des Samens nicht an den Enden desselben, sondern in ihrer ganzen Ausdehnung denken. An eine Communication der feinen Arterien mit Enden der Samenkan\u00e4lchen ist ohnehin nicht zu denken. Die Samenkan\u00e4lchen sind 15 Mal dicker als die feinsten Arterien, und die feinsten Blutgef\u00e4sse verzweigen sich nur auf den W\u00e4nden der Samenkan\u00e4lchen. Wenn die Vasa seminifera bis auf eine oder zwei Linien Entfernung zum Rete testis gelangt sind, so h\u00f6ren ihre Windungen auf; mehrere vereinigen sich in ein Kan\u00e4lchen, und so gehen die Ductuli recti in das Rete testis \u00fcber. Dieser geraden Kan\u00e4lchen sind nach Lautii jedenfalls mehr als 20, wie Haller annahm; ihr Durchmesser ist st\u00e4rker, wie der der Samengef\u00e4sse, im Durchschnitt T\u00ff\u00a5 Zoll. Das Rete testis nimmt einen grossen Theil des obern Randes des Hodens ein; es f\u00e4ngt dort ein wenig nach aussen von der Extrernit\u00e4s interna an und dehnt sich bis zum \u00e4ussern Dritttheile des obern Randes aus; es liegt in der Dicke der Albuginea, 6 bis 11 Linien lang, und bildet nach innen einen weissen Vorsprung der Albuginea. Die H\u00f6he dieses Vorsprungs oder des Corpus Highmori betr\u00e4gt 2 bis 4 Linien, seine Basis 3 bis 5 Linien. Das Rete testis besteht aus 7 bis 13Gef\u00e4ssen, welche wellenf\u00f6rmig verlaufen, sich unter sich vereinigen und wieder theilen und alle unter sich Zusammenh\u00e4ngen. Diese Gef\u00e4sse haben \u2014, bis T7o Zoll Durchmesser. Die Vasa elferentia, welche aus dem Rete testis in den Kopf des Nebenhoden treten, sind anfangs grade, fangen aber bald an sich zu winden, so dass jedes der Kan\u00e4lchen die Figur eines Conus annimmt, dessen Spitze mit dem Rete testis und dessen Basis mit dem Kopf der Epididvmis Zusammenh\u00e4ngen. Nach Lauth wird dieser Kanal gegen die Epididymis zu enger; anfangs haben sie T~, zuletzt T~ Zoll Dicke; die Zahl der Vasa elferentia ist 0 bis 30, sie haben 7 Zoll 4 Limen L\u00e4nge. Der Kanal des Nebenhoden nimmt diese G\u00e4nge nach einander auf, nach Latjth\u2019s Berechnung in einer Entfernung von 3 Zoll zwischen je zweien. Die mittlere L\u00e4nge des Kanals des Nebenhoden betr\u00e4gt nach Lauth\u2019s Berechnung 1.0 Fuss 4 Zoll 8 Linien. Das Vascu-lum aherrans findet sich gew\u00f6hnlich an dem Winkel, welchen der Ductus deferens bildet, indem er sich gegen den Nebenhoden anlehnt. Meistens verbindet es sich mit dem Ende des Kanals des iNebenhoden, seltener mit dem Anf\u00e4nge des Ductus deferens. Selten finden sich mehrere Vasa aberrantia. Dieser Appendix hat eine gelbliche Farbe. Die L\u00e4nge des entwickelten Kanals betr\u00e4gt 1^ bis 13 Zoll. Die Verbindungsstelle des Kanals mit dem Nebenhoden ist immer d\u00fcnner als der \u00fcbrige Theil und viel d\u00fcnner als der Kanal des Nebenhoden. Gegen sein blindes Ende zu wird er allm\u00e4hlig dicker, zuweilen, nachdem er sich erweitert hat, zuletzt ausserordentlich fein; offenbar ist dieses Ge-f\u00e4ss zur Absonderung eines Saftes in den Nebenhoden bestimmt. Ob dieser Kanal mit dem Wolff\u2019schen K\u00f6rper des F\u00f6tus in einer Beziehung steht, ist unbekannt. Sehr selten ist dieser Kanal verzweigt.","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"\u20182. Vom Innern Bau der Dr\u00fcsen.\n453\nNachdem nun der Bau der absondernden Organe im Einzelnen dargestellt worden, lassen sich allgemeine Piesultate \u00fcber den Bau der Dr\u00fcsen zusammenfassen.\nI. Die vorhergehenden Untersuchungen \u00fcber den innern Bau s\u00e4mmtlicher Dr\u00fcsen, welche in der Thierwelt und hei dem Menschen aultrelen, zeigen, dass, so mannigfaltig die Bildung ihrer Elementartheile ist, alle doch sammt und sonders dasselbe Bildung sgesetz verfolgen und von dem einfachsten unverzweigten Folliculus bis zu den zusammengesetzten Dr\u00fcsen eine ununter-brochene Bildungsreihe darstellen.\nD. Es l\u00e4sst sich zwischen den Absonderungsorganen der wirbellosen Thiere und der Wirbelthiere keine Grenze ziehen, und die einfachsten Schl\u00e4uche und r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Secretionsor-gane der Insekten wiederholen sich nicht allein hei den h\u00f6heren Thieren, sondern gehen durch die Thierwelt offenbar in die Dr\u00fcsen der h\u00f6heren Thiere \u00fcber. Die Milchdr\u00fcsen des Schnabelthiers, die einfachsten Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel, die prostatischen Dr\u00fcsen vieler S\u00e4ugetliiere, das Pankreas der meisten Fische, sind so einfach wie die Absonderungsorgane der Crustaceen.\n111. Alle Dr\u00fcsen bieten im Inneren nur eine grosse Fl\u00e4che der Absonderung dar und es giebt gar viele Arten innerer Bildung, durch welche die absondernde Fl\u00e4che im kleinsten Raume vermehrt wird. Die Natur zeigt hierin, wie \u00fcberall, einen unendlichen Reichtlmm der mannigfaltigsten Bildungen, ohne die einfachen Gesetze der Entwickelung zu verlassen. Wunderbar sind die Formen, durch welche sie hei den Insekten die samen-absondernden R\u00f6hren in fast vegetabilischem Character ver\u00e4ndert, aber noch viel wunderbarer ist ihre Mannigfaltigkeit in der Ausbildung der zusammengesetztesten Dr\u00fcsen bei den h\u00f6heren Thieren ; allein alle Dr\u00fcsen haben das gemein, dass sie nur auf Entwickelung des Ausf\u00fchrungsganges zu inneren H\u00f6hlen oder Kan\u00e4len mit geschlossenen Enden beruhen. Die Mal-riGHi\u2019sche Ansicht von dem Bau der Dr\u00fcsen ist daher allerdings die richtigere, und diese Wahrheit ist durch die neueren Untersuchungen \u00fcber allen Zweifel erwiesen; aber Malpighi kannte die Elementartheile der Dr\u00fcsen nicht; nicht, was er f\u00fcr Folliculi in den zusammengesetzten Dr\u00fcsen hielt, sind diese Elementartheile, sondern diese problematischen Folliculi bestehen aus einer grossen Anzahl viel kleinerer Theile, welche den Verzweigungen der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge aulsitzen; auch sind Folliculi nicht immer die letzten hohlen Enden der Dr\u00fcsen, sondern diese sind bald langgezogene Blindd\u00e4rmchen, bald \u00e4stige und liederf\u00f6rmig vereinigte Kan\u00e4le mit geschlossenen Enden, bald hohle Tr\u00e4ub-clien, bald grosse gewundene R\u00f6hren, welche ihren Durchmesser durchg\u00e4ngig beibehalten, und in mannigfachen Verbindungen zusammentreten; aber das ist richtig, was die Hauptsache der Malpighi\u2019schen Ansicht war, dass alle letzten Verzweigungen der Ausf\u00fchruimse\u00e4nae geschlossen sind. Diess hatten bereits ascagni und Citui ks h a N K durch Quecksiiberinjection von den Milchdr\u00fcsen des Menschen, E. H. Weber von den Speicheldr\u00fcsen des Menschen und der V\u00f6gel und dem Pankreas der letzteren","page":453},{"file":"p0454.txt","language":"de","ocr_de":"454 II. Buch. Organ, chem. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nebenfalls durch Quecksilberinjectionen, Rathke von den Harnkan\u00e4len der niederen, Huschke vo:i den Harnkan\u00e4len der liolie\u2014 ren Wirbelthiere gezeigt. Wir haben diesen Beweis durch alle Formen der Dr\u00fcsen durchgef\u00fchrt, von den einfachen Haut-b\u00e4lgen an, von den Intestinaldr\u00fcsen, von den aussondernden Dr\u00fcsen, von den prostatischen und Cowper\u2019schen Dr\u00fcsen, welche entweder aus Blindd\u00e4rmchen oder aus blinden R\u00f6hrchen oder aus Bl\u00e4schen bestehen. Wir haben die L\u00e4ppchen der Milchdr\u00fcsen des Kaninchens von den Milchg\u00e4ngen aus bis in die bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Enden der Ductus lactiferi vollst\u00e4ndig aufgeblasen und dieselben beim Igel und Hunde mit Quecksilber gef\u00fcllt, was Mascagni und Cruikshank schon beim Menschen gethan hatten. Wir haben die Thr\u00e4nendr\u00fcse der Gans und des Pferdes vollkommen bis in die bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Enden der Kan\u00e4le mit Quecksilber gef\u00fcllt, wir haben die b\u00fcschelf\u00f6rmigen R\u00f6hrchen in der Thr\u00e4nendr\u00fcse der Riesenschildkr\u00f6te erwiesen.\nWir zeigten die zellige Substanz in den Speicheldr\u00fcsen von Murex tritonis, die blinden Enden der Kan\u00e4le in den Giftdr\u00fcsen der Schlangen, den zelligen Bau in den Speicheldr\u00fcsen der Schlangen. Die Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel haben E. II. Weber und ich mit Quecksilber gef\u00fcllt. Wir haben die fortschreitende Entwickelung der Speichelkan\u00e4le in den Speicheldr\u00fcsen des S\u00e4ugethierembryo durch eine Reihe von Beobachtungen verfolgt und \u00fcberall die blinden und zuletzt bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Enden der Kan\u00e4le beobachtet. Weber hat die Zellehen der Parotis des Menschen, und ich die des Hundes mit Quecksilber gef\u00fcllt. Wir haben den Uebergang der pankreatischen Blindd\u00e4rme der Fische in ein zel\u00fcges Pankreas durch eine ganze Reihe von Mittelstufen dargestellt. Beim Embryo der Amphibien, V\u00f6gel und S\u00e4ugethiere lassen sich die freien blinden Enden der Ductuli pancrealici beobachten, und bei der Gans gelingt die Quecksilber-injection der zelligen Enden und somit des ganzen Pankreas.\nDie Leber der Krebse besteht meist aus Blindd\u00e4rmchen oder Zellen. Wir haben gezeigt, dass man die traubenf\u00f6rmige oder spongi\u00f6se Leber der Mollusken', bis in die letzten Bl\u00e4schen und Zellen, wie eine Lunge auf'blasen kann. Wir best\u00e4tigten, was schon Harvey und Malpighi angedeutet hatten, dass die Enden der Gallenkan\u00e4le bei den Embryonen freie, stumpf und blind geendigte, mikroskopische Reiserchen bilden.\nD ie Beobachtungen von Huschke und mir erweisen die unabh\u00e4ngige Existenz der Harnkan\u00e4le bei allen Wirbelthieren. Diese Kan\u00e4le verzweigen sich nicht baumf\u00f6rmig, sondern behalten ihren Durchmesser in ihrem Verlauf bis in ihre blinden, nicht angeschwollenen, auch nicht verd\u00fcnnten Enden, m\u00f6gen sie nun gerade verlaufen oder sich durcheinander schl\u00e4ngeln und der Hodensubstanz \u00e4hnlich sevn.' Diess beweisen unsere Beobachtungen an Fischen, Salamandern, Fr\u00f6schen, Schlangen, V\u00f6geln, S\u00e4ugetliieren, diess beweist der Augenschein miftel.it einer einfachen Loupe, an den Nieren der Rochen und Schlangen, wo diese Kan\u00e4le ungemein stark sind und bei gleicher Gr\u00f6sse die gr\u00f6sste Aehnlichkeit mit den Samenkan\u00e4len darbieten. Diess","page":454},{"file":"p0455.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom inriern Bau der Dr\u00fcsen.\t455\nbeweisen unsere Injectionen der Ilarnkan\u00e4le bei V\u00f6geln und S\u00e4u-gethieren.\nDie \u00fcbereinstimmende Bildung des Hoden aus selbstst\u00e4ndigen Kan\u00e4len war l\u00e4ngst bekannt, und die Lungen k\u00f6nnen endlich, mit ihren blind geschlossenen Zellen, f\u00fcr eine ganze Reihe von dr\u00fcsigen Organen den Prototypus abgeben.\nIV.\tAcini, als Dr\u00fcsenk\u00f6rner, in dem hypothetischen Sinne der Schriftsteller giebt es eigentlich nicht; es giebt keine Ver-kn\u00e4uelungen der Blutgef\u00e4sse, aus welchen auf eine geheimnissvolle Art absondernde Kan\u00e4le entspringen sollen, welche Vorstellung man auch dabei habe; es giebt keinen unmittelbaren Uebergang der feinsten Blutgef\u00e4sse in die Anf\u00e4nge der absondernden Kan\u00e4le. Das System der absondernden Kan\u00e4le ist ganz eigen-th\u00fcmlich und in sich geschlossen, wie es von allen Formen der Dr\u00fcsen erwiesen worden ist.\nV.\tWas man als Dr\u00fcsenk\u00f6rner beschreibt, diese Acini sind nur die Haufen der Enden der absondernden Kan\u00e4le, selbst oft Aggregate und Tr\u00e4ubchen kleiner mikroskopischer Bl\u00e4schen, die sich mit Quecksilber f\u00fcllen und h\u00e4ufig sogar aufblasen lassen. Wirkliche solide K\u00f6rner giebt es nur in den Hoden einiger weniger Fische, deren Hoden keinen Ausf\u00fchrungsgang haben und wo die Samenk\u00f6rner in die Bauchh\u00f6hle platzen und von hier aus durch eine Oeffnung ausgef\u00fchrt werden.\nVI.\tIn vielen Dr\u00fcsen, denen man f\u00e4lschlich Dr\u00fcsenk\u00f6rner zugeschrieben hat, giebt es nicht einmal hohle oder bl\u00e4schenartige Acini, sondern vielmehr bloss lange gewundene Kan\u00e4le von \u00fcberall gleichem Durchmesser, wie in den Nieren, eben so wie in den Hoden und vielen anderen Dr\u00fcsen ; oder gerade R\u00f6hrchen, wie in der Thr\u00e4-nendr\u00fcse der Riesenschildkr\u00f6te, in den Cowper\u2019schen Dr\u00fcsen des Igels, in dem Hoden der Sepie, der Fische und der Fr\u00f6sche, in den Steissdr\u00fcsen der A \u00f6gel, in den Dr\u00fcsen def Eierleiter bei den Rochen und Haien; oder Blindd\u00e4rmchen, wie in der Leber der Krebse, in den Dr\u00fcsen, welche die Cloake bei den m\u00e4nnlichen Urodelen besetzen, in den prostatischen Dr\u00fcsen vieler S\u00e4u-gethiere. Hohle Endbl\u00e4schen (Substantia ac\u00fciosa) giebt es aller-di ngs in gewissen Dr\u00fcsen von traubenf\u00f6rmiger Bildung der Elementartheile, wie in den Speicheldr\u00fcsen, im Pankreas, in den Milchdr\u00fcsen der meisten S\u00e4ugethiere, in der Thr\u00e4nendr\u00fcse der V\u00f6gel und S\u00e4ugethiere, in der Harder\u2019schen Dr\u00fcse, in der Leber der Mollusken u. s. w. Die Ausdr\u00fccke: Subxi antia acinosa, acini u. dgl. passen daher allerdings f\u00fcr eine gewisse Klasse von Dr\u00fcsen, insofern Acinus urspr\u00fcnglich Tr\u00e4ubchen bedeutet. Allein diese Bedeutung ist durch die mannigfaltigen Hypothesen nach und nach in die falsche Bedeutung Dr\u00fcsenkorn, k\u00f6rniges Wesen \u00fcbergegangen; und da die Bezeichnung Acini nur f\u00fcr einige Dr\u00fcsen, auch im richtigen Sinne des Wortes, passt, so ist es r\u00e4thlich, bei dem Gebrauch dieses Wertes, dem sich so viele falsche Erkl\u00e4rungen und Hypothesen angeh\u00e4ngt haben, sehr vorsichtig zu seyn.\nAll. Es ist von allen Dr\u00fcsen erwiesen, dass die Blutgef\u00e4sse nicht in diese Elementartheile \u00fcbergehen, dass die feinsten Blut-get\u00e4sschen sich zu den W\u00e4nden jener hohlen Kan\u00e4le und ihren M\u00fclle r\u2019s Physiologie, I.\tqq","page":455},{"file":"p0456.txt","language":"de","ocr_de":"456 II. Buch. Organ, client. Processe. III. Ahsclin. Absonderung.\nEnden verhalten, wie zu jeder andern feinen absondernden Hanf, z. B. der Schleimhaut der Lungenzellen. Sie \u00f6ffnen sich nicht mit freien offenen Endigungen in den Anf\u00e4ngen der absondernden Kan\u00e4le und H\u00f6hlungen der Dr\u00fcsen, sondern die Arterien gehen auf den Elemental Iheilen der Dr\u00fcsen durch unendliche netzf\u00f6rmige feine Anastomosen in Venen \u00fcber, wie wir an dem Bau der mebrsten Dr\u00fcsen gezeigt haben.\nVIII.\tS o wie die absondernden Kan\u00e4le der Dr\u00fcsen mit ihren blinden Wurzeln eigenth\u00fcmlich und selbstst\u00e4ndig sind, so bildet auch das Blutgef\u00e4sssystem in jeder Dr\u00fcse ein vollkommen in sich geschlossenes Ganze, durch den vollkommen geschlossenen netzf\u00f6rmigen Zusammenhang der baumf\u00f6rmigen Verzweigungen der Arterien und Venen.\nIX.\tMan hat von einigen Dr\u00fcsen fr\u00fcher einen Zusammenhang der lymphatischen Gef\u00e4sse mit den Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen behauptet. Cbuikshank u. A. f\u00fcllten aus den Milchg\u00e4ngen der Milchdr\u00fcsen lymphatische Gef\u00e4sse. Diess geschieht in der Regel nicht; die Milchdr\u00fcsen f\u00fcllen sich, wie Mascagni zuerst zeigte, mit Quecksilber bis in ihre Endbl\u00e4schen ohne allen Uebergang in die Lymphgef\u00e4sse. Walter behauptete aus gewaltsamen Injectio-nen einen Zusammenhang zwischen Lymphgef\u00e4ssen und Gallenkan\u00e4len. Allein diese Gr\u00fcnde sind so wenig haltbar, als so mancher andere von gelegentlichen Ueberg\u00e4ngen einer Injectionsma-terie aus einer Ordnung von Gelassen in eine andere, nach gewaltsamen Injectionen. L'eberhaupt k\u00f6nnte ein Zusammenhang der Lymphget\u00e4sse nur mit den st\u00e4rkeren ausfiihrenden Kan\u00e4len m\u00f6glicher Weise stattfinden; denn die Lymphgef\u00e4sse sind ja ausserordentlich st\u00e4rker als die feinsten Elementartheile der Dr\u00fcsen.\nX.\tDas System der ahsondernden Kan\u00e4le, mit blinden bohlen Wurzeln selbstst\u00e4ndig und geschlossen, ist als eine Ef-florescenz des Ausf\u00fchrungsganges zu betrachten und bildet sich auch beim Embryo augenscheinlich aus einem zuerst astlosen Gang.\nXI.\tDie baumf\u00f6rmigen Verzweigungen der Blutgef\u00e4sse begleiten die aufkeimenden absondernden G\u00e4nge und legen sich mit ihrer peripherischen netzf\u00f6rmigen Aufl\u00f6sung \u00fcber alle diese blinden Elementartheile hin, welche sie mit Blut tr\u00e4nken. So wie sich die innere Fl\u00e4chenbildung auf der einfachen ebenen Wfand zum Blinddarm und verzweigten Blindd\u00e4rmchen fortsetzt, so erhebt sieh hinter und \u00fcber dieser Efllorescenz die Gef\u00e4ssschicht der einfachen Wand, ein Process, der beim H\u00fchnchen beobachtet werden kann. So entwickeln sich beide Systeme an einander aufsteigend, je mehr sieh die einfache Wand in eine innere Fl\u00e4chenbildung complicirter ausbildet.\nXII.\tDad urch, dass die verzweigten Kan\u00e4le und R\u00f6hren, welche bei einfacherer Bildung unter den Insekten und Crusta-ceen und selbst bei h\u00f6heren Thieren frei liegen, immer mehr durch neue Elflorescenz aneinanderr\u00fccken und sich decken, entsteht Paren chym. Dieser Entwickelungsgang ist bei den Embryonen augenscheinlich gemacht worden.\nXIII.\tDie feinsten netzf\u00f6rmigen Blutgef\u00e4ssclien sind meist","page":456},{"file":"p0457.txt","language":"de","ocr_de":"457\n2. Vom inncrn Hau der Dr\u00fcsen.\n\u25a0viel d\u00fcnner als die d\u00fcnnsten Aeste der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge oder Dr\u00fcsenkan\u00e4le und ihre Winden Enden, seihst in den zusammengesetztesten dr\u00fcsigen Eingeweiden. Die Elementartheile der Dr\u00fcsen sind immer noch so gross, dass sie erst von den feinsten Blutgef\u00e4ssnetzen umspannt und umweht werden k\u00f6nnen. Die Rindenkan\u00e4le der Nieren sind viel st\u00e4rker als die feinsten Blutgef\u00e4sse, wie durch alle Klassen der Tliiere erwiesen worden ist. Bei den Speicheldr\u00fcsen der Menschen und der S\u00e4ugethiere sind die feinsten Blutgef\u00e4sse immer noch mehrmal d\u00fcnner als die traubenf\u00f6rmig verbundenen, mit Quecksilber zu f\u00fcllenden Endbl\u00e4schen der Speichelkan\u00e4le. Ehen so heim Pankreas, wie ebenfalls durch Injectionen erwiesen ist. Auf den Zellen der IlardeEschen Dr\u00fcse, der Thr\u00e4nendr\u00fcse und Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel, die alle mit Quecksilber auf das Artigste inpeirt werden k\u00f6nnen, verbreiten sich erst die feinsten Blutgef\u00e4sseben, wie auf anderen zarten H\u00e4utchen, wie auf den Lungenzelien. Auf den Samenkan\u00e4len des Hodens verbreiten sich erst die Netze der feineren Blutgef \u00e4sschen. Die Harnkan\u00e4le in den Nieren der Rochen sind aber nicht d\u00fcnner als die Samenkan\u00e4le im Hoden des Menschen. Endlich zeigt die Entwickelungsgeschichte aller zusammengesetzten Dr\u00fcsen diesen Unterschied an den noch frei liegenden Dr\u00fcsenkan\u00e4len zur Evidenz.\nXIV.\tDie Ausbildung der Dr\u00fcsen in der Entwickelungsgeschichte des Embryo ist eine Wiederholung ihrer Ausbildung in der Thierwelt. Die vollkommensten und zusammengesetztesten Dr\u00fcsen der h\u00f6heren Thiere bestehen hei den Embryonen dieser Thiere zuerst nur aus den freien Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen, ganz ohne alle Zweige; aus diesen Kan\u00e4len, welche dann ganz mit den Absonderungsorganen der niederen Thiere \u00dcbereinkommen, efflorescirt die Verzweigung immer weiter.\nXV.\tEs giebt sehr viele Modificationen im innern Bau einer Dr\u00fcse, wodurch sie die absondernde Fl\u00e4che vermehrt; aber keine ist einer Dr\u00fcse ganz eigentb\u00fcmlicb durch alle Thiere. Ganz verschiedene Dr\u00fcsen k\u00f6nnen einen gleichen innern Bau haben, wie die Hoden und die Rindensubstanz der Nieren; gleiche Dr\u00fcsen haben oft einen ganz und gar verschiedenen Bau hei verschiedenen Thieren, wie die Thr\u00e4nendr\u00fcse der Schildkr\u00f6te, V\u00f6gel und S\u00e4ugethiere. Die Speicheldr\u00fcsen sind hei den V\u00f6geln nur verzweigte G\u00e4nge mit zelligen Vorspr\u00fcngen; hei den S\u00e4uge-thieren sind' es Traulichen von Zellen, zu denen eine compiieirte Verzweigung der Kan\u00e4le f\u00fchrt. Wie verschieden ist die innere Bildung der Leber in der Thierwelt, bald einfach blinddarmf\u00f6rmig, bald b\u00fcschelf\u00f6rmig, bald traubenf\u00f6rmig, bald schwammig, bald aus verzweigten Kan\u00e4len, mit gefiederten Elementarreiserchen endigend! Wie unendlich mannigfaltig die Bildungen der Samenkan\u00e4lchen im Hoden! Nur die Nieren behaupten in ihrer Bildung durch alle Klassen das Constante, dass sie aus unver\u00e4-stelten, nicht baumf\u00f6rmig vertheilten Kan\u00e4len, sondern durchg\u00e4ngig aus langen neben- oder durcheinander liegenden R\u00f6hrchen bestehen,' obgleich in der Ordnung dieser R\u00f6hrchen die gr\u00f6sste Verschiedenheit herrscht.\n.30","page":457},{"file":"p0458.txt","language":"de","ocr_de":"458 II. Buch. Organ, ehern. Processe. III. Absehn. Absonderung.\nXVI.\tDie Dr\u00fcsenbildung vervollkommnet sich nicht in der Thierwelt absolut, sondern in jeder Klasse der Thiere treffen wir rudiment\u00e4re Dr\u00fcsen mit h\u00f6chst einfacher Bildung, wenn diese Dr\u00fcsen der Klasse zuerst zukommen; so einfach sind die Speicheldr\u00fcsen hei den V\u00f6geln und Schlangen, und so erscheinen die Milchdr\u00fcsen des Schnabelthiers, die prostatischen Dr\u00fcsen der Nager, das Pankreas der Fische, die Leber der niederen Thiere, seihst blinddarmf\u00f6rmig.\nXVII.\tDie Substanz der Elementartheile der Dr\u00fcsen ist durchg\u00e4ngig weiss, oder weissgraulich, oder weissgelblich, hei allen Dr\u00fcsen, so verschieden die Secrete der Dr\u00fcsen sind. Eine Efehcreinkunft der Dr\u00fcsensubstanz mit ihrem Secretum besteht nicht.\nMikroskopische Messungen.\nPar. Zoll.\nFeinste Blutgef\u00e4sschen oder Capillargcfassc (nach E. II. We-\nber)\t=4oW \u2014 Wo\u00bb z = 0,00025 \u2014 0,00050\nDieselben in\tden\tNieren\tnach meinen\tMessungen.......... 0,00037 \u2014 0,00058\nDieselben in\tder\tIris des\tMenschen ..................... 0,00037 \u2014 0,00047\nDieselben in\tden\tProcessus ciliares...................... 0,00053\nKleinste Lungenzellchen beim Menschen (nach E. II. We-\nber) =0,053- 0,160 Lin. = 0,00441 \u2014 0,01333\nCylinderf\u00f6rmige Blinddarmchcn an den Lungen des Vogelern bryo\t............................................ 0,00474\nElcmentarbl\u00e4scbeii der Milchdr\u00fcsen des s\u00e4ugenden Igels .... 0,00712 \u2014 0,00928\nDieselben vom Hunde mit Quecksilber gef\u00fcllt................ G,00260,\nZellen in den Speicheldr\u00fcsen der Gans, nach meinen Inject! onen ............................................... 0,00200\nZellen der Parotis des Neugebornen (nach E. II. Webf.r\u2019s Injectionen) ............................................... 0,00082\nDieselben vom Hunde, nach meinen Injectionen .............. 0,00187\n'Zellen der Thr\u00e4nendr\u00fcsc von der Gans, nach meinen Injectionen ................................................ 0,00327\nZellen des Pankreas der Gans, mit Quecksilber gef\u00fcllt...... 0,00137\u20140,00297\nElementartbeile der Thr\u00e4nendr\u00fcsc der Riescnschildkr\u00f6tc ... 0,00194 Zellen der Harder\u2019schen Dr\u00fcse vom Hasen, nach meinen\nInjectionen ......................................... 0,00776\nElementarbl\u00e4schen der Leber von Helix pomatia ............. 0,00565\nElementarreiserchen der Leber eines Heber embryo von 1 Z.\nL\u00e4nge................................................0,00172\nEndreiserchen der Gallenkan\u00e4lchen., auf der Oberfl\u00e4che der\nLeber des Kaninchens, injicirt....................... 0,00108 \u2014 0,00117\nBlindd\u00e4rmchen der Wolll\u2019scben K\u00f6rper eines Vogelembryo 0,00377\nDieselben von einem andern Embryo ......................... 0,00300\nIlarnkan\u00e4lc von Pctromyzon marinus ........................ 0,00324\nHarnkan\u00e4le der Nieren vom Zitterrochen .................... 0,00469\nHarnkan\u00e4le der Schlangen, mit Quecksilber gef\u00fcllt ......... 0,00232\nEnden derselben............................................ 0,00423\nHa rnkan\u00e4lc von der Eule, vom Ureter aus injicirt, an ihren\nEnden ............................................... 0,00174\nHarnkan\u00e4le des Eichh\u00f6rnchens (Rindenkan\u00e4le)................ 6,00149\nRindenkan\u00e4le der Pferdeniercn (vom Ureter aus injicirt) auf\nder Oberfl\u00e4che der Nieren............................ 0,00137 \u2014 0,00182\nBellinPsche R\u00f6hren der Marksubstanz von Pferdenieren, vorn\nUreter aus injicirt, an den Papillen am st\u00e4rksten....0,01305\nDieselben von mittlerer St\u00e4rke (injicirt).................. 0,00489\nDieselben auf Durchschnitten der Rinde am feinsten (injic.) 0,00140 \u2014 0,00188","page":458},{"file":"p0459.txt","language":"de","ocr_de":"!i. lieber den Secretionsproccss. Ursachen der Absonderung. 15 9\nDieselben in der Rinde der Nieren des Menschen, nach\nWeber............................................... 0,00180\nDies eiben In den Pyramiden ............................. 0,00160\nMalpighPscbc K\u00f6rperchen der menschlichen Nieren.......... 0,00700\nDieselben (nach E. H, Weber) ........................... 0,00666-0,00883\nGestreckte Arterien der Pyramiden des Hundes............. 0,00068 \u2014 0,00175\nDieselben in der N\u00e4he, der Papillen, wo sie Netze bilden .. 0,00042\nSamenkan\u00e4le eines jungen Hahnen ......................... 0,00528\nSatnenkan\u00e4le des Eichh\u00f6rnchens ..........*...............0,01453\nSamenkan\u00e4le des Igels ................................... 0,00970\nSamenkan\u00e4le des Menschen ................................ 0,00470\nDieselben mit (Quecksilber geliillt ................-\u2022... 0,00945\nK\u00f6hren in den Steissdriiscn der Gans..................... 0,00990\nKeiserl\u00d6rmige Klindd\u00e4rmchen oder K\u00f6hren von den Cow-\nper\u2019schen Dr\u00fcsen des Igels ......................... 0,01022\nZellrhen an den Meibomi\u2019schen Dr\u00fcsen des Menschen (nach\nE. H. Wriver) .................;.......;............ 0,00258 \u2014 0,00633\nZellen der Ilarder\u2019schen Dr\u00fcse der Gans, mit (Quecksilber , gef\u00fcllt i\u2014 J\u2014Ein.\nZellen in den Speicheldr\u00fcsen von Murex tritonis -J\u2014 ] Ein.\nZellen der spongi\u00f6sen Leber von Murex tritonis | Eniw Man vergleiche die Messungen von Krause a, a. O.\nIII. Capilel\u2019. lieber den Secretions - Process..\n1. Von (len Ursachen der Absonderung.\nDie Absonderung ist nur eine besondere Art der Verwandlung oder Metamorphose, welche die thierisehen S\u00e4fte,, das Blut bei dem Durchkreisen der Organe erleiden. Das Blut kreist in allen Organen in einem \u00fcberaus feinen Netzwerk von Blutgef\u00e4ss-clien aus den Arterien nach den Venen. Diese Netze sind allenthalben geschlossen, nirgends giebt es Enden der Gef\u00e4sse, sondern allenthalben nur netzf\u00f6rmige Ueberg\u00e4nge der Arterien in Venen. Die feinsten netzf\u00f6rmigen Blutstr\u00f6mcben haben nur eine \u00e4ussersl d\u00fcnne, leicht durchdringliche Wand. Siehe oben pag. 216. Wo ein Str\u00f6mchen entsteht (und neue Str\u00f6m-cben bilden sieb immer wieder, wie Beobachtung beim Embryo und bei jungen Thieren lehrt), da entsteht eine Rinne in dem Bildungsstoffe, die mit den \u00fcbrigen netzf\u00f6rmigen Str\u00f6mchen in Communication tritt, und wenn sie im Anfang ohne dichtere Begrenzung ist, doeli bald eine solche |erhalten mag. Die Ca-piUargef\u00e4ssw\u00e4nde aber, dem Auge ohnehin meist unerkennbar, sind so fein, dass eine freie Wechselwirkung der Substanz mit den Blutstr\u00f6mcben stattfinden kann. Die Substanz tr\u00e4nkt sich mit dem Blute, eignet sich dessen Bestandlbeile an und verwendet sie auf die jedem Organe eigenth\u00fcmliclie Art.\nAlle Absonderung aber geschieht auf Fl\u00e4chen, seven es nun einfache H\u00e4ute, wie die ser\u00f6sen Membranen und die Schleimh\u00e4ute, oder sey es complicirte innere Fl\u00e4chenbildung in zellen-liaften oder kanalf\u00f6rmigen Aush\u00f6hlungen der Dr\u00fcsen.","page":459},{"file":"p0460.txt","language":"de","ocr_de":"460 II. Buch. Organ, c/iem. Processe. III. Abschn. Absonderung.\nInnerhalb der absondernden Haute geben die Arterien wie \u00fcberall durch ein Netzwerk der feinsten Blutgef\u00e4sschen in Venen \u00fcber; diess geschieht hier in der Flache unz\u00e4hliger netzf\u00f6rmiger Verbindungen. Die h\u00e4utigen W\u00e4nde tr\u00e4nken sich w\u00e4hrend des Durchgangs des Blutes durch die feinsten Gef\u00e4ssnetze mit den aufgel\u00f6sten Theilen des Blutes, verwandeln es und lassen das Verwandelte, als Secret, auf der h\u00e4utigen Fl\u00e4che abfliessen.\nDie complicirteste Dr\u00fcse ist auch nur eine im kleinsten Raum construirte grosse Fl\u00e4che, sie ist mit allen ihren inneren G\u00e4ngen, Kan\u00e4len, jenen R\u00f6hren, oder Zellen, oder Blindd\u00e4rm-chen immer nur eine ungeheure fl\u00e4chenhafte thierische Grenze, auf welcher die Metamorphose des Blutes stattfindet.\nDie Elementarr\u00f6hren der Nieren, die Elementartbeile der Leber, w ie anderer zusammengesetzten Dr\u00fcsen, sind in ihrem ganzen Verlauf von den feinsten Blutgef\u00e4ssnetzen umsponnen, haben zw ischen sich nur d\u00fcnnes Bindegewebe, welches die Dr\u00fcsenkan\u00e4le verbindet und innerhalb welchem die feinsten Str\u00f6mchen des Blutes stattfinden. Die Elementarkan\u00e4le, jene Tr\u00e4ubchen, Pi\u00f6hr-chen etc., werden also \u00fcberall \u00e4usserlich von feinen Blutstr\u00f6mchen umsp\u00fclt, sie tr\u00e4nken sich mit diesem Blute, verwandeln es auf eigenthiim\u00fcche Ai t, und lassen auch das Verwandelte nach innen gegen die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge abfliessen. Diess ist der einfache Process der Absonderung, der sich von der Ern\u00e4hrung nur unterscheidet, dass das Verwandelte von h\u00e4utigen Grenzen ablliesst.\nMan hat fr\u00fcher die Absonderung in den Dr\u00fcsen ge^en alle Analogie auf die Enden der Dr\u00fcsenkan\u00e4le oder auf jene hypothetisch so geheinmissvollen Acini verwiesen. Diess ist sehr unrecht, wie bereits E. II. Weber bemerkt; denn die Acini, in dem naturgem\u00e4ssen Sinne, dass es hohle Bl\u00e4schen sind, existiren in den wenigsten zusammengesetzten Dr\u00fcsen; die Elementartheile der Leber sind Reiserchen, die Elenientarthede der Hoden und Nieren blosse Bohren von \u00fcberall gleichem Durchmesser. Viele andere Dr\u00fcsen haben b\u00fcschelf\u00f6rmige Blindd\u00fcrrnchen am Ende der Kan\u00e4le ohne alle Endanschwellung. Lnsinnig w\u00e4re es, hier zu sagen, der Samen, der Harn u. s. w. wird nur in den blinden Enden der R\u00f6hren abgesondert, die Galle nur am Ende der hohlen Reiserchen.\nEinige zusammengesetzte Dr\u00fcsen zeigen \u00fcberdiess im Verlauf des Ausf\u00fchrungsganges \u00fcberall dieselben Elementartheile, als Zellen wie die Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel, die Thr\u00e4nendr\u00fcse derselben, die Mediomischen Dr\u00fcsen des Menschen; oder Bhndd\u00e4rm-chen, wie die Leber der Krebse und die Thr\u00e4nendr\u00fcse der Schildkr\u00f6ten.\nIn den Dr\u00fcsen, welche aus zusammengesetzten 13!incldarm\u2014 ehen bestehen, kann man endlich die Grenze der Elementartheile und der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge gar nicht angeben.\nEs ist also h\u00f6chst wahrscheinlich, ja gewiss, dass die Absonderung auf der ganzen Continuil\u00e4t der Dr\u00fcsenkan\u00e4le, also auf einer zusammenh\u00e4ngenden Fl\u00e4che, geschieht.","page":460},{"file":"p0461.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ueher den Secretionsprocess. Ursachen der Absonderung. 461\nDas Blut wird in den Dr\u00fcsen wie in allen Organen durch die feinsten Verzweigungen der Arterien in ein \u00fcberaus feines Netzwerk von Str\u00f6mchen vertheilt, aus weichet\u00bb es wieder in die Anf\u00e4nge der Venen \u00fcbergeht. Die Vasa exhalantia sind von den \u00e4lteren Physiologen bloss des sw cg en erfunden worden, weil man die pag. 237 und 252 erl\u00e4uterte Beschaffenheit der thierischen Gewebe nicht kannte, mit allem Aufgel\u00f6sten sich zu tr\u00e4nken, und die Fl\u00fcssigkeiten eben so leicht durch ihre por\u00f6sen W\u00e4nde an andere Theile abzugeben. Man muss sich also eine absondernde Fl\u00e4che nur von den dichtesten Netzen der Capillargef\u00e4sse durchzogen denken. Man weiss schon wie nahe diese Netze der Oberfl\u00e4che einer von Epidermis unbedeckten Haut liegen; man weiss, dass ein H\u00e4utchen von der D icke der Urinblase eines Frosches schon innerhalb einer Sekunde einen aufgel\u00f6sten Stoff durch sich hindurch hisst, und da das zarte H\u00e4utchen der Darmzotten vom Kalb und Ochsen von 0,00174 p. Z. Dicke noch blutf\u00fchrende Capillargef\u00e4sse enth\u00e4lt (siehe pag. 244), so kann man sich nach dieser Dicke einen Begriff von der Tiefe machen, welche aufgel\u00f6ste Stoffe des Bluts zu durchdringen haben, um aus den oberfl\u00e4chlichsten Netzen der Capillargef\u00e4sse hervorzudringen. Aus diesen Netzen der Ca-pillargef \u00e4sse dringen nun die aufgel\u00f6sten Theile des Bluts mit Leichtigkeit in die Partikeln des specilischen Gewebes der absondernden Haut ein; hier werden sie chemisch ver\u00e4ndert und dringen gegen die Oberfl\u00e4che der absondernden Haut hervor. Die Kraft, durch welche das chemisch ver\u00e4nderte Secretion von der secernirenden Fl\u00e4che ahgestossen wird, ist hiermit noch nicht, sondern bloss die M\u00f6glichkeit des Durchdringcns erkl\u00e4rt.. Man kann diese hei manchen Secretionen so profuse Ergiessung wie so vieles Andere, nicht im Ernst von der Kraft des Herzens und dem Impuls des Blutes abh\u00e4ngig machen; diese mechanische Erkl\u00e4rung w\u00fcrde durchaus nicht ausreichen; ausserdem dass sie ohnehin hei den Absonderungen der Pflanzen wegf\u00e4llt, w\u00e4re auch nicht cinzusehen, nie die Absonderung sich unabh\u00e4ngig vom Herzen durch specifische \u00f6rtliche Reize vermehrt. Nun fragt sich ferner, warum das speciiisch ver\u00e4nderte Fluidum bloss nach einer Seite hin vordringt, und warum der Schleim nicht eben so leicht zwischen den H\u00e4uten des Darmkanals, als auf der innern Haut desselben abgeschieden wird? warum die Galle aus den Gallenkan\u00e4lchen nicht eben so leicht durch die Oberfl\u00e4che der Leber, als nach innen im Verlauf der Gallenkan\u00e4lchen Vordringen kann? warum der Samen nur auf der innern Fl\u00e4che der Samenkan\u00e4lchen und nicht auf der \u00e4ussern Fl\u00e4che derselben in die Zwischenr\u00e4ume dieser austritt? Diese Abscheidung des Secretums nach einer Seite der secernirenden W\u00e4nde, n\u00e4mlich ins Innere der secernirenden Kan\u00e4le und nicht nach aussen ist eines der gr\u00f6ssten physiologischen R\u00e4tbsel; man kann sich dasselbe auf zweifache Art hypothetisch l\u00f6sen:\n1. Indem man annimmt, dass jene die secernirenden Fl\u00e4chen durchziehenden Capillargef\u00e4ssnetze durch besonders construire organische und gleichsam aushauchende Poren bloss nach der innern Fl\u00e4che der secernirenden Kan\u00e4le offen stehen. Das","page":461},{"file":"p0462.txt","language":"de","ocr_de":"'162 II. Buch. Organ, client. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nSchwierige dieser Ansicht liegt darin, dass man hierbei etwas nicht zu Erweisendes annehmen muss, und dass man dann wieder andere Poren an den zartesten Blutgef\u00e4ssen annehmen m\u00fcsste, durch welche die zur Ern\u00e4hrung der absondernden Kan\u00e4le bestimmten Fl\u00fcssigkeiten eindrinuen m\u00fcssten.\n-\u2022 indem man wahrscheinlicher annimmt, dass zwar durch blosse Imbibition oder allgemeine Porosit\u00e4t (sogenannte unorganische Poren) die fl\u00fcssigen Stoffe aus den Capillargef\u00e4ssen in das Gewebe des secernirenden Organes sich verbreiten, dass aber die Oberfl\u00e4che der secernirenden Kan\u00e4le die Elemente, die sie zu neuen Stoffen zu verbinden strebt, chemisch anzieht, und auf eine freilich unerkl\u00e4rliche Weise gegen die innere Fl\u00e4che der secernirenden Haut oder der Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen ver\u00e4ndert abst\u00f6sst. Vgl. Mas cagni Nova per poros inorganicos secreiionum theoria uaso-rumt/ue lymphaticorum historia ilerum oulgala et parle altera aucta, in qua vasorum minimorum vindicatio et secreiionum per poros inorganicos refutatio continetur. /tuet. P. Lift, liomae 1793. Dass es hier nicht bloss auf Durchschwitzung, sondern auf Action der absondernden W\u00e4nde ankommt, sieht man leicht ein, wenn man die Menge der durch eine gereizte Speicheldr\u00fcse abgesonderten Fl\u00fcssigkeiten, die Pl\u00f6tzlichkeit und Menge der Thr\u00e4nen auf augenblickliche Wirkungen bedenkt.\nSo entbl\u00f6sst von Thatsachen eine solche Annahme von Anziehung und Abstossung auch ist, so ist sie doch nicht ohne Analogie in den physikalischen Erscheinungen, und es scheint, dass bei der Absonderung eine ganz \u00e4hnliche Kraft die Ausscheidung bewirkt, wie jene, welche bei der Resorption die Aufnahme in die Lymphgef\u00e4ssnetze oder Anf\u00e4nge der Lvmphgef\u00e4sse bewirkt. Wunderbar, dass in verschiedenen Gewebetheilen einer und derselben Membran oft beiderlei Kr\u00e4fte neben einander wirken, indem z. B. die Schleimb\u00e4lge der Schleimh\u00e4ute, welche absondern, von den anziehenden und aufsaugenden Lymphgef\u00e4ssnetzen dicht umher umgeben sind. Yergl. oben pag. 271.\nWollaston nimmt an, dass dei den Secretionen ein elektrischer Process stattfinde. Er nahm eine zwei Zoll lange, 13 Zoll dicke Glasr\u00f6hre, und verband das eine Ende derselben mitBIase; dann goss er Wasser in die R\u00f6hre, worin TJ.(T Kochsalz. Die Blase wurde \u00e4usserlich befeuchtet und auf ein St\u00fcck Silber besetzt; nun wurde ein Zinkdraht durch das eine Ende mit dein Silber, durch das andere mit der Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung gebracht. Es erschien reines Natron an der \u00e4ussern Fl\u00e4che der Blase. Eberi\u00e6 gelang dieser Versuch nur bei einer st\u00e4rkern galvanischen Action. Eberle, Physiologie der Verdauung, p. 137. \u2018\nDie Eigenth\u00fcmliehkeit und Verschiedenheit der Absonderungen h\u00e4ngt von keinem \u00e4usserlichen und mechanischen Grunde ab. Man hat sie in der verschiedenen Schnelligkeit des Blutlaufs in verschiedenen Organen gesucht, und diese Verschiedene Schnelligkeit w\u00e4re seihst wieder zu beweisen. Man hat sie in dem verschiedenen Zustande der Blutgef\u00e4sse, und ihren Theilungswinkeln gesehen. Aber die Blutgef\u00e4sse verhalten sich in den Nieren fast wie in den Hoden, in den Speicheldr\u00fcsen nicht viel anders als","page":462},{"file":"p0463.txt","language":"de","ocr_de":"3. lieber den Secreiionsprocess. Ursachen der Absonderung. 463\nin der Leber, wie an Lieberkiihn\u2019schen Pr\u00e4paraten zu sehen; sie bilden allenthalben netzf\u00f6rmige Anastomosen zwischen den feinsten Arterien und \\enen. Man hat die Ursachen in der Verschiedenheit der Enden der Arterien gesucht, aber diese Enden cxistircn nicht; in dem verschiedenen Durchmesser der aufnehmenden Kan\u00e4le, und dennoch geschehen die verschiedensten und ei-genth\u00fcmlichsten Absonderungen auf ebenen H\u00e4uten. Alle diese Dinge, womit Haller sich viel zu lange aufgehalten hat, geben keine Erkl\u00e4rung, wenn sie auch stattf\u00e4nden; sie sind unzureichende und unerwiesene Beweismittel. Und wie leicht waren alle diese mechanischen Dillicult\u00e4ten abzufertigen durch die einzige Frage: warum wird hier Gehirn, dort Muskel, dort Knochen gebildet; entsteht etwa das Gehirn auch durch veschiedene Winkel der Gef\u00e4ssvertheilung?\nDie Eigenth\u00fcmliclikeit der Absonderungen h\u00e4ngt auch nicht von dem innern Bau der Dr\u00fcsen ah; denn jedes Secret wird in der Thierwelt bei dem verschiedensten Bau abgesondert, wie ich wohl zur Gen\u00fcge erwiesen habe. Man denke an die Speicheldr\u00fcsen der V\u00f6gel und der S\u00e4ugethiere, an die Leber der Krebse, Mollusken, Wirbelthiere, an die ausserordentliche Verschiedenheit in dem Bau der Hoden, in dem Bau der Thr\u00e4nendr\u00fcse bei den Schildkr\u00f6ten, V\u00f6geln und S\u00e4ugethieren. \u00fceberdiess haben die verschiedensten Absonderungen bei gleichem Bau der Dr\u00fcsen statt. Die Rindenkan\u00e4le der Nieren unterscheiden sich von den Samenkan\u00e4len nur durch ihre gr\u00f6ssere Feinheit. Milchdr\u00fcsen, Speicheldr\u00fcsen, Thr\u00e4nendr\u00fcsen haben eine durchaus gleiche Beschaffenheit.\nDie Natur der Absonderung h\u00e4ngt daher allein von der ei-genthi\u00fcnlichen speciliscb belebten organischen Substanz ab, welche die inneren absondernden Kan\u00e4le der Dr\u00fcsen bildet, und welche sich gleich bleiben kann bei der verschiedensten Architektonik der Dr\u00fcsenkan\u00e4le, und ausserordentlich verschieden ist hei gleichem Bau der letztem. Die Verschiedenheit der Absonderung beruht daher auf demselben Grunde, wie die Verschiedenheit der Bildung und des Lebens in den Organen \u00fcberhaupt. Der einzige Unterschied liegt nur darin, dass das verwandelte Blut in dem einen Fall dem Organe einverleibt wird, in dem zweiten aber \u00fcber die Grenze desselben als Secret hinaustritt.\nIn der neuern Zeit bat sich von Seiten mehrerer Chemiker, namentlich durch Chevreul, die Ansicht geltend gemacht, dass alle Absonderungen ohne Umwandlung geschehen und dass das Blut alle Stoffe, welche sich in den Secreten vorfinden, bereits enthalte, dass dagegen den Secretionsorganen das Verm\u00f6gen zukomme, vorzugsweise bald den einen, bald den andern aus dem Blute auszuziehen und in ihr Secret zu \u00fcbertragen. Hierf\u00fcr spricht, nach Gmf.lin, dass die Salze des Blutes und der Secrete ungef\u00e4hr dieselben sind, dass in beiden Osmazom und speichelstoffartige Materie (?) vorkommt, und dass man im Blute bereits auch vi ete von denjenigen Stollen gefunden bat, von welchen man fr\u00fcher glaubte, dass sic nur in den Secreten Vorkommen, wie K\u00e4ses toll; Gallenfett, Talg, Oel, Oels\u00e4ure. ln der That ist neuer-","page":463},{"file":"p0464.txt","language":"de","ocr_de":"464 II. Buch. Organ, chem. Proresse. III. Ahsclm. Absonderung.\nlicli die Existenz von Cholesterin im Blute von Boudet (essai criliijiie et experimental sur Le sang. Paris 1833) wieder best\u00e4tigt worden. Dennoch aber scheint mir jene Ansicht ein grosser Fehlgriff. F\u00fcrs Erste, weder Hornstoff, noch Schleim, noch Gal-Jenstoff, noch Picrornel, noch Samen, noch wirklicher K\u00e4sestoff, noch wahrer Speichelstoff und die giftigen Seercta finden sich im Blute; zweitens k\u00f6nnen Bestandtheile der Sccreta durch Imbibition zuf\u00e4llig ins Blut gelangen, ohne dass diess ein Beweis von der Existenz derselben als Constituentia des Blutes w\u00e4re. Endlich w\u00e4re die Existenz aller Secrete im Blute gar keine Erkl\u00e4rung; denn es entsteht nun die viel schwierigere Frage, wie sie z. B. von pflanzenfressenden Thieren erzeugt werden. Es erleidet gar keinen Zweifel, dass die wahren Secreta durch die Secretionsorgane selbst eben so aus einfacheren Bestandteilen des Blutes gebildet werden, wie es von den festen Theilen gewiss ist.\nDer chemische Process der Absonderung ist g\u00e4nzlich unbekannt. Die einfache zu erkl\u00e4rende Aufgabe ist, wie es kommt, dass die secernirenden W\u00e4nde sich aus demselben Blute zugleich ern\u00e4hren, das heisst \u00e4hnliche Theile Anziehen und in sich verwandeln und auch wieder un\u00e4hnliche Theile abstossen oder absondern. Denn das Secretum ist durchg\u00e4ngig von dem secernirenden Organe chemisch verschieden. Die Dr\u00fcsensubstanz besteht in der Regel nur in einem ungeronnenen, nach der Zerklei nerung leicht von Wasser l\u00f6slichen, Eiweiss. Ich fand die Elementartheile der Secretionsorgane immer grau, oder weissgrau, oder weissgelb; so sind sie seihst in der Leber beim Embryo weissgelbe Rispen und nur durch die blutigen Ca-piilargef\u00e4ssnetze, welche dazwischen verlaufen, ist bei unbewaffnetem Auge das Ansehen braun. Gleichwohl ist das Secretum der Leber gr\u00fcn. Der Harn ist bei den eierlegenden Thieren weiss, dennoch ist die Substanz der Nieren ganz verschieden, und man erkennt den grossen Unterschied in den Nieren ganz junger, eben ausgekrochener V\u00f6gel, wo der weisse llarn die feinsten Harnkan\u00e4lchen bis auf die Oberfl\u00e4che der Nieren anf\u00fcllt und gleichsam injicirt. Berzelius fand bei Untersuchung der Nierensubstanz nicht die charakteristischen Bestandtheile des Harns-Thierchemie 319. Die Substanz der Leber enth\u00e4lt zwar nach den Untersuchungen fette, auch in der Galle verkommende Bestandtheile, und verwandelt sich leicht krankhaft in Fett, aber die wesentlichen Bestandthede der Galle hat man dann noch nicht gefunden. Braconnot {Ami. de chirn. et phys. 10. 189) fand in 81 Proc. l\u00f6slichen Theilen der Leber 6 slickstoffar.me Materie, 20 Eiweiss, 4 eigenlh\u00fcmlichcs \u00f6lartiges, sehr phosphorhaltiges Fett. Kuehn (Kasther\u2019s Archiv 13. 337) hat aus der Leber ein Fett ausgezogen, das sich bestimmt von Cholesterin unterschied. Dann ist auch noch zu bemerken, dass es fast unm\u00f6glich ist, eine von Galle reine Lebersubstanz zu uutersuchen. Bleiben wir indess bei den absondernden H\u00e4uten stehen; die \u00e4ussere Haut enth\u00e4lt keinen Ilornstoff, den sie doch absondert, das Gewebe der Cho-rioidea ist gereinigt ohne schwarzes Pigment.","page":464},{"file":"p0465.txt","language":"de","ocr_de":"3. l eier den Secretionsprocess. Ursachen der Absonderung. 465\nEs ist also gewiss, dass das Secretam von dem Secernens clierniscli verschieden ist, und dass die Secretion durch eine blosse Verfl\u00fcssigung der schon vorhandenen Organtheile der Secretions-organe nicht erkl\u00e4rt werden kann, dass vielmehr die secerniren-den W\u00e4nde, indem sie durch Ern\u00e4hrung Aehnliches anziehen, zugleich auch ein Verschiedenes abscheiden.\nBei der Ern\u00e4hrung anderer, nicht seccrnirender Organe, werden aus einem Theilchen Blut a durch das Organ die \u00e4hnlichen Bestandteile angezogen, die un\u00e4hnlichen in den Kreislauf zur\u00fcckgegeben ; bei der Secretion werden un\u00e4hnliche nach aussen abgestossen.\nMan k\u00f6nnte sich nun vorstellen, dass bei der Zerlegung eines Bluttheilchens \u00ab durch ein Secretionsorgan, die Zerlegung so vollst\u00e4ndig und rein w\u00e4re, dass das, w'as an das Organ zur Ern\u00e4hrung \u00fcbergeht, und das, was abgesondert wird, zusammen-gedacht, wieder Blut ausmachte? Dr\u00fcckt man ein Molecul Blut durch a, ein Molecul der Materie des Secretionsorganes durch x aus, so w\u00e4re das Secret nach dieser Vorstellung a\u2014x.\nOb diess richtig oder unrichtig ist, l\u00e4sst sich jetzt gar nicht einmal untersuchen, daher ich mich denn auch durchaus nicht f\u00fcr jene Ansicht erkl\u00e4ren, sondern sie als eine ber\u00fceksichtigungs-werthe Andeutung f\u00fcr fernere Untersuchungen hinstellen will. Jedenfalls passt diese an sich so einfache und deswegen blendende Ansicht schon nicht auf diejenigen Absonderungen, wodurch aus dem Blute etwas entfernt wird, was anderswo gebildet worden, wie die Absonderung des Harnstoffs.\nD ass das Secret in dem Laufe durch die feinen, und oft sehr langen, D r\u00fcsenkan\u00e4lchen noch weiter ausgebildet werde, l\u00e4sst sieb eher vermuthen als beweisen. Diess war man immer geneigt vom Hoden anzunehmen. Da indess die L\u00e4nge der Harnkan\u00e4le nicht minder ist, der Harn aber bloss Excret ist und keiner Veredlung bedarf, so siebt man hieraus schon, dass man bei der L\u00e4nge der Kan\u00e4le mehr die Gr\u00f6sse der absondernden Fl\u00e4che, als die Veredlung des einmal Abgesonderten im Auge haben muss.\nDie chemische Zusammensetzung der einzelnen Absonderungsfl\u00fcssigkeiten ist bis jetzt f\u00fcr die Physiologie der Absonderung im Allgemeinen von wenig Interesse und nur f\u00fcr die Lehre von den Functionen, in welche die Sccreta eingreifen, von Wichtigkeit, daher die Secreta unter den verschiedenen Abschnitten nachzusehen sind. Die allgemeiner vorkommenden Secreta sind bei den absondernden H\u00e4uten abgehandelt; als: Fett, Schleim, Serosit\u00e4t, Synovia; dagegen werden Galle, Speichel, Succus gastricus, pancreaticus bei der Verdauung, Harn und Schweiss bei den Ausscheidungen, Samen, Milch u. s. w. bei der Zeugung abgehandelt.\nEin wichtiger Gegenstand sind die mikroskopischen K\u00fcgelchen in gewissen Absonderungsfl\u00fcssigkeiten, wie im Samen, in der Milch. In der Galle der Fr\u00f6sche fand ich \u00fcberaus sparsame K\u00f6rnchen, von ungleicher Form und Gr\u00f6sse, die gr\u00f6ssten ohngef\u00e4hr 5 Mal kleiner als die Blutk\u00f6rperchen des Frosches, andere noch kleiner; der gr\u00fcne Theil ist aufgel\u00f6st. Weber beschreibt auch K\u00f6rnchen der Galle. Im Speichel fand ich \u00fcberaus sparsame K\u00f6rnchen;","page":465},{"file":"p0466.txt","language":"de","ocr_de":"466 II. Buch. Organ, ehern.'Processe. III. Abschn. Absonderung.\nWeber findet sie gr\u00f6sser als Blutk\u00f6rperchen und durchsichtig; der gr\u00f6sste Tlieil der Speichelmaterie ist offenbar aufgel\u00f6st. So enthalt auch der ganz durchsichtige Theil des Schleims nach Weber keine K\u00f6rnchen, wohl aber die im Schleim vorhandenen Flok-ken. Meines Erachtens kann man den hei weitem gr\u00f6ssten Theil der Materie des Speichels', der Galle, des Schleims so gut wie des Harns, als aufgel\u00f6st betrachten. Dagegen enthalten Samen, Milch, schwarzes Pigment und Eiter so viele K\u00f6rnchen, dass dieselben zu den wesentlichsten Theilen derselben geh\u00f6ren m\u00fcssen. Die K\u00f6rnchen des schwarzen Pigments sind nach E. H. Weber ungleich und haben im Mittel 0,0015 p. Lin. oder sir04 P- Zo sie sind daher ohngef\u00e4hr halb so gross als die Blutk\u00f6rperchen. In der Milch sind sie nach Weber sehr durchsichtig, rund, aber ungleich, im Mittel 1 \u2014 * Mal kleiner als die Blutk\u00f6rperchen. Treviranus h\u00e4lt sie f\u00fcr Fettk\u00fcgelchen, da sie nicht zu ,Boden sinken und das Licht stark brechen. Weber h\u00e4lt sie f\u00fcr zusammengesetzt aus K\u00e4se und Fett. Die Eiterk\u00fcgelchen sind nach Weber rund und von inrdo\u2014TsVb P- Z> die meisten p. Z., sie sind daher gr\u00f6sser und ohngef\u00e4hr noch ein Mal so gross als Blutk\u00f6rperchen. Alle diese Umst\u00e4nde beweisen, dass die in einigen Absonderungsfl\u00fcssigkeiten vorkommenden K\u00f6rnchen keine ver\u00e4nderten Blutk\u00f6rperchen sind; die der Milch sind zu klein, die des Eiters zu gross dazu; letztere k\u00f6nnen nicht aus den Capillargef\u00e4ssen kommen, da sie selbst etwas gr\u00f6sser als die feinsten Capillarge-f\u00e4sse sind. Ueberdiess ist eine Ausscheidung von Blutk\u00f6rnchen im ver\u00e4nderten Zustande auch schon darum nicht m\u00f6glich, weil damit die Zur\u00fcckhaltung wirklicher Blutk\u00f6rperchen unvereinbar w\u00e4re. Nach meiner Ansicht entstehen die K\u00fcgelchen der Milch, des schwarzen Pigments und des Eiters, indem der aufgel\u00f6ste Thierstoff des Secretums, nach der Secretion, wie bei der Gerinnung des Eiweisses, zum Theil in K\u00fcgelchen sich formirt. Authenrietr erz\u00e4hlt folgende merkw\u00fcrdige Beobachtung (Physiol. 2. 119.). L\u00e4sst man die w\u00e4ssrige Feuchtigkeit, welche nach abgewischtem Eiter aus der Oberfl\u00e4che eines entz\u00fcndeten Theils dringt, zwischen zwei durchsichtigen, feinen Talgbl\u00e4ttchen in der Wunde liegen, so sieht man in ihr nach und nach feine, immer sich vergr\u00f6ssernde und undurchsichtig werdende K\u00fcgelchen sich bilden, aber diese nicht, wenn die Feuchtigkeit g\u00e4nzlich aus der Atmosph\u00e4re lebender Theile entfernt wird. Auch Brugmans {Piss, de pyogenia. 114, Sciiroeder van der Kolk, observ. anat. path. 21.) giebt an: dass, wenn eine eiternde Stelle abgcsp\u00fchlt worden, nun der Eiter als eine klare Fl\u00fcssigkeit abgesondert und erst sp\u00e4ter dicker wen ! e. Vgl. \u00fcber diesen Abschnitt Wedemeyer, \u00fcber den Kreislauf des Blutes; Doellinger, was ist Absonderung/' IV\u00fcrz\u2014 b\u00fcrg 1819.\n2. Vom Einfluss, der Nerven auf die Absonderung.\nUeber den Einfluss der Nerven auf die Absonderungen ist man noch sehr im Dunkeln. Es ist hier zuerst der bekannte, von A. v. Humboldt an sich selbst angestellte, Versuch zu erw\u00e4hnen, wo","page":466},{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"3. Ueher den Secretionsproeess. Einfluss der Nerven. 467\ner n\u00e4mlich zwei Blasenpflaster auf die Schultergegend sich appli-cirte, die eine Wundstelle mit einer Silberplatte bedecken liess und mit einem Leiter von Zink die Rette schloss, worauf unter schmerzhaftem Brennen eine Fl\u00fcssigkeit aus der Wunde floss, welche nicht mild und ungef\u00e4rbt wie vorher, sondern roth gef\u00e4rbt war und, wo sie herablief, den R\u00fccken in blauroten Striemen entz\u00fcndete. ( Ueher die gereizte Muskel- und Nervenfaser. I. 324.) Auch Most (Ueher die grossen Heilkr\u00e4fte des Galvanismus. 1823) will in der galvanischen Kette, wenn er mit dem positiven Pol an der Ohrspeicheldr\u00fcse, mit dein negativen in der Hand, 10 Minuten lang schloss, verst\u00e4rkte Absonderung von Speichel gesehen haben, der weder alkalisch noch sauer reagirte. Directe Versuche \u00fcber den Einfluss der Nerven auf die Absonderung sind noch wenige angestellt worden; doch weiss man, dass nach Durchschneidung des Nervus vagus die Absonderung des Magensafts auf h\u00f6rt. Tiedemann und Gmelin, die Verdauung. I. 340. Brodie (Biblioth. de med. hritt. Paris 1814) zeigte durch eine Reihe von Versuchen, dass Arsenik nach Durchschneidung des Nervus vagus und sympathicus nicht die reichliche Absonderung im Magen und Darmkanal hervorbringt, welche man sonst findet. Die Absonderung der Schleimhaut in den Lungen wird ferner nach der Durchschneidung jenes Nerven ver\u00e4ndert und daher sind jene schaumig-blutigen Exsudationen abzuleiten.\nUeher den Einfluss des Nervensystems auf die Urinabsonderung, welcher im Allgemeinen durch das den Nervenzuf\u00e4llen gew\u00f6hnliche Ph\u00e4nomen des wasserhellen, an den gew\u00f6hnlichen Be-standtheilen armen Urins erhellt wird, hat Krimer (Physiol. Untersuchungen) Versuche angestellt. Derselbe will die Nerven der Nieren durchschnitten und darauf die Absonderung des Urins untersucht haben, in welchem sich der Eiweiss- und Blutf\u00e4rbestoff in demselben Grade vermehren sollen, wie die eigent\u00fcmlichen Bestandteile des Urins sich vermindern. Nach Durchschneidung des Nervus vagus soll die Urinabsonderung fortgedauert haben; aber Rhabarber und blausaures Kali sollen nicht in den Urin \u00fcbergehen, der ausserdem durch das in den Urin \u00fcbergehende Blutserum specilisch schwerer werde, durch die Verbindung der durchschnittenen Nervenenden mit der S\u00e4ule aber seine normale Beschaffenheit wieder erlange, und den Uebergang jener Substanzen zulasse. Nach der Durchschneidung des R\u00fcckenmarks in der Pi\u00fccken- und Lendengegend werde der Urin wasserhell. Die Durchschneidung des sympathischen Nerven am Halse mache den Urin alkalisch und eiweissstoffhaltig; die Wirkung der vol-taischen S\u00e4ule stelle aber seine normale Beschaffenheit wieder lier. Siehe Ltjnd (Physiologische Resultate der Vivisectiouen neuerer Zeit. Kopenhagen 1825 pag. 204 ), wo die Versuche von Krimer ausgezogen sind. Aehnliche Beobachtungen hat Br\u00e4chet (Recherches experiment. sur les jonctions du syst\u00e8me nerveux ganglio-naire. Paris 1830. pag. 269.) durch Unterbrechung des Nervenein-flusses in den Nierennerven gemacht. Er durchschnitt die Nierenarterie eines Hundes, nachdem er sie vorher vor und hinter der Durchschnittsstelle zwei Mal unterbunden, und verband die","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468 II. Buch. Organ, chcm. Processe. III. Ahschn. Absonderung.\nbeiden St\u00fccke der Nierenarterie durch eine eingebundene Kan\u00fcle, so dass die Nierennerven durchschnitten waren, ohne dass den Nieren der Zufluss des Blutes abgeschnitten war. Die hierauf innerhalb mehrerer Stunden aus dem Ureter aufgefangene Fl\u00fcssigkeit war roth und theilte sich in fibr\u00f6ses Gerinnsel und Serum. Die Wiederholung dieses Versuchs gab dieselben Resultate. Dagegen hat die Durchschneidung der Nervi vagi keinen Einfluss auf die Urinsecretion.\nIch habe neulich mit Dr. Ff.ipers \u00fcber diesen Gegenstand eine Reihe von Versuchen angestellt. Wir unterbanden die Nie-rengef\u00e4sse mit Ausschluss des Harnleiters hei Thieren (Schafen und Hunden) so fest, dass die damit einhegriffenen Nierennerven (wie die Nerven gew\u00f6hnlich durch die Ligatur) mortificirt werden mussten. Darauf l\u00f6sten wir die Ligatur wieder, so dass die Circulation \u2018des Blutes wieder durch die Nieren stattfand. Der Hainleiter wurde nach aussen geleitet und ihm ein R\u00f6hrchen angebunden. In den meisten Fallen wurde darauf gar kein Harn mehr abgesondert, seihst in dem Fall nicht, nachdem dieselbe Operation auch an der zweiten Niere eines Schafes gemacht worden, wo man aber die Ligatur, urn die Absonderung auf dieser Seite unm\u00f6glich zu machen, liegen Hess. Nur in einem einzigen Falle (Schaf) dauerte die Absonderung fort, wurde blutig und Hr. Wittstock fand in dem Secret, ausser den Re-standtheilen des Blutes, Hippurs\u00e4ure (Harnbenzoes\u00f6ure). Merkw\u00fcrdig war die in diesen oft wiederholten Versuchen sich immer einstellende Erweichung des Gewebes der Nieren nach jener Mortification der Nerven. Siehe Peipers de nervorum in seerciiones actione. Berol. l\u2018VU.\nDer Einfluss der Nerven kann nun bei jeder Dr\u00fcse entweder verschieden und eigenth\u00fcmlich sevn, oder er ist, was wahrscheinlicher ist, bei allen Dr\u00fcsen gleich, und es bedarf z.ur Belebung durch ihn bloss, dass die specifische Dr\u00fcsensubstanz chemisch wirksam wird. Auch the t\u00e4glichen Lebenserfahrungen geben vielf\u00e4ltige Beweise von dem Einfl\u00fcsse der Nerven auf die Absonderung. Alan weiss, dass Minderung ties Nerveneinflusses in dem Froststadium der Fieber alle Absonderungen nicht bloss vermindert, sondern sie auch arm an ihren nat\u00fcrlichen Bestand\u2014 theilen macht, und dass sich diese mit dein Wiedereintritt des Turgors auch wieder einstellen. Man weiss, dass die Trockenheit der Schleimh\u00e4ute und der Haut oft Zeichen eines verminderten Einflusses der Nerven in den akuten Krankheiten sind. Hierzu kommen die h\u00e4ufigen Erfahrungen \u00fcber den Einfluss der Leidenschaften aut die Absonderung, z. B. der Thronen, der (Rille, der Milch, ja seihst der Gem\u00fcthsbewegungen auf die Beschaffenheit der Secretion und des Zustandes der Wunden. Vgl. oben pag. 370. Man hat sogar behauptet, dass die Gegenwart des F\u00fcllens auf die Milchsecretion der Mutter Einfluss habe. Ohne auf die Erz\u00e4hlungen von der giftigen Wirkung des Speichels nach Bissen von gereizten Thieren irgend einen Werth zu legen, da die Erscheinungen im Allgemeinen vielleicht nur die der Bisswunden \u00fcberhaupt sind, so ist doch die Thatsache bekannt genug und unzweifelhaft, dass","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"3. L eber den Sccretionsprocess. Ver\u00e4nderung der Absonderung. 4C\u00ce)\nnicht allein durch die Gegenwart der Speisen im Munde die Secretion des Speichels vermehrt wird, sondern dass auch die Vorstellung leckerer Speisen die Secretion des Speichels beth\u00e4tigt. W\u00e4re es m\u00f6glich, den Einfluss der Nerven eines absondernden Organes ganz aufzuheben, so w\u00fcrde man vielleicht wie nach Durchschneidung des Nervus vagus in Hinsicht des Magensaftes, immer finden, dass die Bildung der specilischen Secrete durch den mangelnden Nerveneinfluss g\u00e4nzlich aufgehoben wird. Ich bin weit entfernt zu glauben, dass die von dem Leben abh\u00e4ngende chemische Wirksamkeit der Dr\u00fcsensubstanz nicht einen eben so grossen Einfluss auf die Secretion der Dr\u00fcsen habe; aber diese chemische Wirksamkeit der Dr\u00fcsensubstanz, welche in verschiedenen Dr\u00fcsen verschieden ist, kann sich wahrscheinlich nur unter dem Einfl\u00fcsse der Nerven unterhalten.\nAuf den eisten Biick scheinen sowohl Cerebrospinalnerven als sympathische Nerven zur Regulation der Absonderung f\u00e4hig zu sevn. Bekannt ist die Verzweigung des Lingualis in der Sub-maxillardr\u00fcse und Sublingualdr\u00fcse, des Nervus glossopharyngeus in den Tonsillen, eines Zweiges des Nervus tibialis in der Kapsel des Kniegelenks. Am merkw\u00fcrdigsten ist das Factum, dass die Milchdr\u00fcse des Weibes ihre Nerven nicht vom Sympathicus direct sondern, wie ich sehe, nur vom dritten und vierten Brustnerven erh\u00e4lt. Indessen werden auch die Cerebrospinalnerven h\u00f6chst, wahrscheinlich von Fasern des Sympathicus begleitet, w'ie wenigstens Retzujs vom zweiten Aste des N. trigeminus beiThie-ren gezeigt hat, und wie bei den Thieren an den vielen grauen Nerven zu sehen ist, welche vom Ganglion oticum \u00fcber den Nervus buccinatorius Eingehen. Nach halbseitigen L\u00e4hmungen des Gehirns und R\u00fcckenmarks ist die Absonderung der Haut auf der leidenden Seite bald ver\u00e4ndert, bald nicht ver\u00e4ndert.\n3. Von den Ver\u00e4nderungen der Absonderung.\nDie Absonderung kann von \u00f6rtlichen sowohl als allgemeinen Ursachen ver\u00e4ndert werden.\nDer Zustand eines absondernden Organes modifient nicht bloss die Quantit\u00e4t, sondern auch die Qualit\u00e4t der Absonderung; der Harn ist nach Nervenzuf\u00e4llen w\u00e4ssrig und arm an den n\u00e4heren Bestandtheilen ; der Schleim ist in den verschiedenen Stadien des Schnupfens verschieden, anfangs w\u00e4ssrig und salzig, sp\u00e4ter consistent; endlich hebt die Entz\u00fcndung in der Regel in jedem Absonderungsorgane die specilische Absonderung, wie in jedem Organe die Function auf. ln Beziehung auf Reiz verhalten sich die Absonderungsorgane eigenth\u00fcmlich ; derselbe vermehrt anfangs die Absonderung. Dieser Zustand vermindert sich in demselben Grade, als die Reizung in Entz\u00fcndung \u00fcbergeht. Im erschlafften Zustande der Absonderungsorgane mit Auflockerung, vermehren die Absonderungen sich in der Regel, wo jedoch das Secret an Consistenz verliert. Im erschlafften Zustande mit Verdichtung des Gewebes des Absonderungsorgans wird die Absonderung vermindert. Diess wiederholt sich in allen Absonderungsorganen,","page":469},{"file":"p0470.txt","language":"de","ocr_de":"470 II. Buch. Organ, chem. Processc. III. Ahsrhn. Absonderung.\nin den Schleimh\u00e4uten der Nase, der Conjunctiva, auf der \u00e4us-sern Haut. Alles dieses beobachtet man an den nat\u00fcrlichen wie krankhaften Absonderungen auf gleiche Art; das gereizte Geschw\u00fcr sondert reichlichen Eiter ah; die Verst\u00e4rkung des entz\u00fcndeten Zustandes hebt die Absonderung auf; das erschlaffte Geschw\u00fcr mit aufgelockerten W\u00e4nden sondert reichliche w\u00e4ssrige Secrete ab, das erschlaffte Geschw\u00fcr mit verdichtetem Gewebe von Ent-z\u00fcndungsprodukten sondert sparsam ah.\nDer aufgehobene Nerveneinfluss vermindert die nat\u00fcrlichen Bestandteile eines Absonderungsorganes; der Harn wird in Nervenzuf\u00e4llen wasserhell, die Haut in Fiebern mit geschw\u00e4chtem Einfl uss des Nervensystems trocken, die Haut ist im Froststadium des Fiebers trocken. Aber r\u00e4tselhaft ist, dass eine viel st\u00e4rkere Entziehung des Nerveneinflusses, wie in der Ohnmacht die Absonderung so ungemein vermehren kann, wie heim kalten Schweiss, bei der Diarrhoe von Schrecken, Angst. Die qualitativen Ver\u00e4nderungen der Seereta durch ver\u00e4nderten Nerveneinfluss, kennt man mehr aus den sch\u00e4dlichen Wirkungen dieser Seereta, wie der Milch, der Galle nach Leidenschaften, als aus chemischen Untersuchungen.\nDadurch, dass alle Absonderungen durch die Entziehung gewisser Bestandteile des Bluts auf die Mischung desselben wirken, kann eine Absonderung aus demselben nicht ver\u00e4ndert werden, ohne dass das Gleichgewicht, welches die verschiedenen Absonderungen gegen einander in Hinsicht ihrer Wirkung auf das Blut hatten, gest\u00f6rt wird; daher die Vermehrung einer Absonderung die Verminderung einer anderen zur Folge bat, was man den Antagonismus der Secretionen nennt. Auf dem Princip dieses Antagonismus beruht die Hervorrufung mancher k\u00fcnstlichen Secretionen um andere krankhafte aufzuheben. Hierbei finden folgende Gesetze statt:\n1.\tDie Vermehrung einer Absonderung in einem Gewebe A, welches weniger reizbar als das Organ B ist, kann in dem Organe B die Absonderung nicht antagonistisch vermindern, daher z. B. k\u00fcnstlich erregte Absonderungen in der Haut, wie durch Blasenpflaster, in der N\u00e4he des Auges, hei Augenentz\u00fcndungen, fruchtlos sind, weil das Auge reizbarer als die Haut seihst ist.\n2.\tDie Vermehrung einer Absonderung in einem gewissen Gewebe A kann nicht vermindert werden durch Hervorrufung derselben Absonderung in einem anderen Theile des Gewebes \u00c0, im Gegentheil wird die Absonderung in allen Theilcn desselben Gewebes eher verst\u00e4rkt als vermindert, weil die verschiedenen Theile eines Gewebes nicht in einem antagonistischen, sondern in einem sympathischen Verh\u00e4ltnisse stehen. Man kann also eine Blennorrhoe der Genitalien oder Harnwerkzeuge durch eine k\u00fcnstlich erregte Diarrh\u00f6e nicht antagonistisch heilen.\n3.\tDagegen stehen diejenigen Gewebe oft in einem antagonistischen Verh\u00e4ltnisse der Absonderung, welche nicht zu derselben Klasse der Gewebe geh\u00f6ren. So bewirkt die Vermehrung der Absonderung durch die Haut eine Verminderung der w\u00e4ssrigen Absonderung durch die Nieren. Im Sommer ist die llaut-ausd\u00fcnstung st\u00e4rker und die Nierenabsonderung verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig","page":470},{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"3.\tVon rien Ver\u00e4nderungen der Absonderung, Metastasen. 47 4\ngeringer; Im Winter findet das umgekehrte Verh\u00e4ltnis.? statt. Bei der Ablagerung w\u00e4ssriger Fl\u00fcssigkeiten im Zellgewebe und in den, ser\u00f6sen H\u00e4uten ist die \u00e4ussere Haut trocken und der Urin sparsam, und der Fluss des Urins steht in geradem Verh\u00e4ltnisse mit der Abnahme der wassers\u00fcchtigen Anschwellung. Durch Unterdr\u00fcckung der Hautausd\u00fcnstung, durch Erk\u00e4ltung, entstehen Blen-norrhoeen der Schleimh\u00e4ute, in den Lungen und im Darmkanal.\n4.\tNur am Ende der colliquativen Krankheiten beschr\u00e4nken sich die Absonderungen nicht gegenseitig mehr, sondern alle werden zuletzt durch Erschlaffung der Gewebe vermehrt, wie denn durch den sogenannten colliquativen Zustand, z. B. colliquative Diarrhoeen, Schweisse und Wasserergiessungen vor dem Tode hei den Phthisikern entstehen.\n5.\tGewebe, welche gegen einander in Antagonismus treten, werden bestimmt th ei Is dadurch, dass sie einigermassen \u00e4hnliche Fl\u00fcssigkeiten im nat\u00fcrlichen Zustande absondern, gleichwie die Verminderung der Wasserausscheidung durch die Nieren auf die Vermehrung der Wasserausscheidung durch die Haut wirken! muss; oder das antagonistisch erregte Absonderungsorgan war ohnehin schon zu krankhafter Th\u00e4tigkeit pr\u00e4disponirt. So bewirkt die Erk\u00e4ltung hei demjenigen eine Affection der Schleimhaut der Lungen, welcher zu dieser schon vorher disponirt war, hei Anderen aber aus denselben Gr\u00fcnden leichter eine Ver\u00e4nderung der Schleimabsonderung im Darmkanal. Vgl. Heusikger, \u00fcber den Antagonismus der Excretionen; desselben Zeitschrift f\u00fcr organ. Physik. Bd. I.\nZuweilen bewirkt die Unterdr\u00fcckung der Absonderung an einem Orte das Erscheinen desselben Fluidums an einem anderen Orte. Dieses geschieht vorz\u00fcglich leicht hei denjenigen Absonderungsfl\u00fcssigkeiten, welche als solche schon ini Blute vorhanden sind. Vicarirende Blutungen f\u00fcr die Menstruation lassen sich nicht l\u00e4ugnen, und die Unm\u00f6glichkeit, den im Blute bereits vorhandenen Harnstoff (siehe jntg. 159) durch g\u00e4nzlich zerst\u00f6rte Nieren mit dem Harne abzusondern, muss mit Harnstoff geschw\u00e4ngerte Ausscheidungen in allen \u00fcbrigen Theilen des K\u00f6rpers zur Folge haben k\u00f6nnen. Nysten [Recherches de chimie et de physiologie palhol. Paris 1811. pag. 263 \u2014 293) hat die Existenz von Llarnstoff in bei g\u00e4nzlicher Harnverhaltung ausgebrochenen Fl\u00fcssigkeiten constatirt, und an der Ablagerung harnsauren Natrons in den Gichtknoten ist kein Zweifel.\nIst aber ein Absonderungsstoff als solcher nicht schon im Blute vorhanden, so kann die Unterdr\u00fcckung dieser Absonderung in dem dazu bestimmten Apjiarat nicht dieselbe Absonderung in anderen Theilen metastatisch verursachen, und was man auch hie-f\u00fcr angef\u00fchrt hat, beruht auf schlechten Gr\u00fcnden.\nNach verhaltener Aussonderung der Galle kann zwar die schon einmal abgesonderte Galle resorbirt ins Blut gelangen und von dort aus in anderen Theilen sich ablagern. Diess ist aber ein ganz anderer Fall, der keine Aebnlichkeit mit demjenigen hat, wo ein Absonderungsorgan ganz entfernt wird; hier ist kein Aji-parat mehr dazu vorhanden, wie nach Exstirpation des Hoden IHiiller\u2019s Physiologie. I,\t3 t","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472 II. Buch. Organ, chcm. Processe. III. Ahsrhn. Absonderung.\ndie Bildung des Samens unm\u00f6glich wird. Die oft wiederholte Lehre von der M\u00f6glichkeit, dass alle specifischen Absonderungen seihst nach Zerst\u00f6rung ihrer Absonderungsorgane aus dem Blute sich wiedererzeugen k\u00f6nnen, hat gar keine thals\u00e4cldiche Basis; denn pile daf\u00fcr angef\u00fchrten Gr\u00fcnde sind bloss von denjenigen F\u00e4llen hergenommen, wo die Absonderung in dem urspr\u00fcnglichen Organ nicht aufgehoben, sondern die Weiterf\u00f6rderung des Secretes durch mechanische Hindernisse gehemmt war, oder wo der Absonderungsstoff als solcher im Blute schon vorhanden war, wie es vom Harnstoff nach Pbevost und Dumas Untersuchungen bekannt ist. Die einzige Absonderung, deren Bestandtheile im Blut nicht als solche vorhanden sind, welche sich aber immer und an allen Orten wiedererzeugen kann, indem sich mit der Entz\u00fcndung das Organ dazu von neuem bildet, ist die Eiterung.\nIn allen F\u00e4llen, wo nach g\u00e4nzlicher Unterdr\u00fcckung einer Absonderung eine antagonistische entsteht, zu der der Stoff nicht als solcher aus dem Blut genommen werden kann, ist die antagonistische Absonderung auch durchaus von der urspr\u00fcnglichen verschieden, und hat nur so viel Aehnlichkeit mit der ersten, als die n\u00e4heren Bestandtheile der Absonderung des zweiten Organes es zulassen. Wahre Milchversetzungen giebt es z. B. nicht; Au-temrieth bemerkte schon, dass dergleichen Versetzungen durch Mangel an den wesentlichen Bestandtheilen der Milch, n\u00e4mlich des Milchzuckers und der Butter sich unterscheiden. Diese Ausscheidungen bestehen vielmehr nur aus den n\u00e4heren Bestandtheilen des Bluts, welche zur Umwandlung von Blut in Milch h\u00e4tten verwandt werden k\u00f6nnen, z. B. Eiweiss. Ueber die Unstatthaftigkeit der Eitermetastasen und die Missverst\u00e4ndnisse, welche durch Unkenntniss der hierbei stattfindenden pathologischen Vorg\u00e4nge entstehen, habe ich schon pag. 272. gehandelt.\nDie Dr\u00fcsenkan\u00e4lchen scheiden das Secret immer nach innen ab (vergl. p. 461.), nur in seltenen F\u00e4llen scheint die neugebildete Materie sogleich auch weiter und ins Blut zu gelangen, wie bei der nach Gem\u00fcthshewegungen entstehenden Form der Gelbsucht.\n4. Von der Ausf\u00fchrung der Secreta.\nDie Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen enthalten in ihrem Innern eine Schleimhaut, welche \u00e4usserlich mit einer \u00e4usserst d\u00fcnnen Schicht von muskul\u00f6sem Gewebe umlagert ist. Die Existenz von Muskelfasern l\u00e4sst sich hier zwar anatomisch nicht nachweisen, aber aus physiologischen Gr\u00fcnden l\u00e4sst sich daran nicht zweifeln; denn von den meisten Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen weiss man, dass sie auf Beize sich zusammenziehen k\u00f6nnen. So hat Rudolphi schon die Zusammenziehungsf\u00e4lligkeit des Ductus choledochus der V\u00f6gel beobachtet. Ich habe dieses Ph\u00e4nomen \u00f6fter gesehen, wenn ich hei einem eben get\u00f6d-teten Vogel den Ductus choledochus mechanisch oder galvanisch reizte; die darauf erfolgende Zusammenziehung des Ganges ist ungemein stark und dauert Minuten lang, worauf sich der Gang wieder, wie vorher, erweitert. Auf gleiche Art habe ich","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von der Ausf\u00fchrung der S\u00e9cr\u00e9ta.\n473\nhei Kaninchen sowohl als hei V\u00f6geln an den Ureteren auf starken galvanischen Heiz \u00f6rtliche starke Zusamrnenziehungen eintre-ten gesehen. So hat Tiedemann Bewegungen an dem Ductus deferens des Pferdes auf angebrachten Reiz beobachtet. Tiedemann, iilter die TVege, auf welchen u. s. iv. p. 22. Es scheint sogar, dass periodische wurmf\u00f6rmige Bewegungen an diesen Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen stattfinden, wenigstens gilt dieses von dem Ductus choledochus der V\u00f6gel; denn an diesem b\u00e4he ich hei einem eben get\u00f6dteten Vogel regelm\u00e4ssig in Pausen von mehreren Minuten Zusammenziehungen beobachtet, worauf jedesmal der Gang sich wieder erweiterte. Diese Zusammenziehungen landen in jenem Fall merkw\u00fcrdiger Weise aufsteigend' statt, n\u00e4mlich vom Darmkanal gegen die Leber hin, und werfen ein Licht auf die Art, wie die (falle zu gewissen Zeiten, statt durch den D. choledochus auszufliessen, vielmehr zur\u00fcckgehalten und in das Divertikel des Gallengangs, n\u00e4mlich die Gallenblase, getrieben wird, wozu denn auch noch die vollkommne Verschliessung der M\u00fcndung des Ductus choledochus beitragen mag. Zur Zeit der Verdauung, wo die Galle der Gallenblase ausgeleert wird, erfolgt diese Ausleerung wahrscheinlich bloss durch die Oeffnung des Ductus choledochus unter dem Druck der umliegenden Theile und der Bauchmuskeln; denn die Gallenblase kann sich h\u00f6chst wahrscheinlich nicht zusammenziehen, wenigstens konnte ich an der Gallenblase der S\u00e4ugethiere und der Vogel, seihst hei dem heftigsten Reiz durch eine galvanische S\u00e4ule, keine Zusammenziehung bewirken, und es unterscheidet sich dieses Divertikel von den im Ganzen \u00e4hnlichen Divertikeln anderer Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge, n\u00e4mlich der Urinblas\u00e4 und den Samenbi\u00e4sehen.\nDie Beschaffenheit der inneren Haut der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge und die Contractilit\u00e4t ihrer mittlern Haut beweist offenbar, dass diese G\u00e4nge blosse Ausst\u00fclpungen der Schl\u00e4uche sind, in welche sie f\u00fchren, v\\ie der Ductus choledochus und pancreaticus aus denselben Schichten bestehend, Fortsetzungen der H\u00e4ute des Duodenums sind.\nWelchen Anlheil die Contractilit\u00e4t der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge an der oft pl\u00f6tzlichen Ausscheidung des Speichels und der Thr\u00e4nen habe, will ich hier nur fraglich andeuten. Auch will ich hier noch bemerken, dass, da die Contractilit\u00e4t der Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen l\u00fcctisch erwiesen ist, der Krampf dieser Theile keine blosse Einbildung der Aerzle ist.\n31","page":473},{"file":"p0474.txt","language":"de","ocr_de":"474 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nJJ '. Abschnitt. Von cl e r V c r d a u u n g, C h y 11 fi c a t i o n und Ausscheidung der zersetzten Stoffe*).\nI. Capitel. Von der Verdauung im Allgemeinen.\nDie Nahrung der Thiere sind thierische Substanzen und Ve-getahilicn; einige leben nur von diesen, andere nur von jenen, andere von beiden zugleich, wie auch der Mensch, der bei bloss animalischer Nahrung so gut wie bei bloss vegetabilischer Nahrung ausdauert, und nach di\u00e4tetischen Erfahrungen, auch nach seinem gemischten Zahnbau der gemischten Kost bestimmt scheint. Sowohl in der Pflanzennahrung als in der thierischen Kost sind die gew\u00f6hnlichen Salze enthalten, welche als nothwendige Be-standtheile des Organismus auch als NahrungsstofF im relativen Sinne betrachtet werden k\u00f6nnen. Von blossen mineralischen Stoffen lebt kein Thier; aus Noth oder Vorurtheil, um den Bauch zu f\u00fcllen, wird zuweilen von Menschen Erde tlicils allein, theils mit organischen Substanzen genossen, wie von den Otomaken und Glutin\u00f6s am Oronoco und von den Bewohnern von Neuschottland bekannt, ln dem von den Neuschottlandern genossenen Stcalit hat Vauquei.in keine Nahrungsstoffe gefunden. Siehe v. liciMBor.rn\u2019s Reise. 4. 557. Runoi.piifs Physiot. 2. IS. Die im Jahr 1S32 im Kirchspiel Degern\u00e4, an den Grenzen Lapplands wegen Misswachses mit Mehl und Baumrinde vermischte und zu Brot verbackene Erde bestand aus mit organischen Bestandtheilen vermischter Kieselerde. Foggesd. Ann. B. 2!). p. 26t. Dieses Bergmehl erkannte Retzius aus 19 verschiedenen Formen von Infusorien, d. h. ihren fossilen Resten bestehend.\nIm Thier- und Pflanzenreich scheinen alle Stoffe nahrhaft zu seyn, welche einer leichten Aufl\u00f6sung durch thierische Fl\u00fcssigkeiten f\u00e4hig sind, welche keine dem Thierstoff eines Thieres zu heterogene Combination der Elemente enthalten, oder welche keine hervorstechenden chemischen Eigenschaften und keine Tendenz haben, sich auf Kosten der lebendigen Verbindungen bin\u00e4r chemisch zu combiniren. Was die letzten Eigenschaften hat, entweder heterogen oder von chemisch eigenth\u00fcmliehen Affinit\u00e4ten ist, ist entweder Arzneik\u00f6rper oder (im relativen Sinne) Gift. Dass F auch die narkotischen Gifte, welche keine sichtbaren Ver\u00e4nderungen im Organismus und nicht wesentlich Entz\u00fcndungen bewirken, durch feinere Elmwandlung der Materie verg\u00fcten, indem sie durch heterogene und chemisch eigenthiim\u00fcche Stoffe Zersetzungen und\n\u00a5) Die hier zu untersuchenden Processe sind zusammengeseteter als die vorhergehenden ; die Kcnntniss der Bewegung der Satte, der Resorption, der rh\u00e4tigheit der lymphatischen Gebisse, der Absonderungen wird zu ihrer Untersuchung vorausgesetzt, daher diese Materien s\u00e4mmt\u00fcch vor* dem nun zu betrachtenden Gegenst\u00e4nde abgehandelt werden mussten. Dagegen werden nun hei der Darstellung der Vorg\u00e4nge der Verdauung weitl\u00e4ufige Eikl\u00e4rungen \u00fcber diese Functionen, die auch ausser den Verdauungsorganen in vielen andern Thcilen wirksam sind).'vermieden werden k\u00f6nnen.","page":474},{"file":"p0475.txt","language":"de","ocr_de":"1.\tVon der Verdauung im Allgemeinen. Nahrungsstoffe. 475\nbin\u00e4re Combinationen verursachen, ist mir sehr wahrscheinlich, tlieils durch ihren Gehalt an vegetabilischen Alkaloiden, theils durch Fontana\u2019s Beobachtungen, dass die wirksamsten narkotischen Gifte, Viperngift und Tieunasgift, materielle Umwandlungen bewirken, indem beide zu frischem Blut ausser der Ader gemischt, de ssen Gerinnbarkeit verhindern, Viperngift aber, in Wunden lebender Tliicre gebracht, das Blut schnell gerinnen macht, \u00fceher vegetabilische Gifte siehe die toxikologischen AVcrkc, \u00fcber tliie-rische Gifte Ruaoi.pm I. c. Der Begriff von Gift ist sehr relativ. Schlangengift zersetzt die thierischen S\u00e4fte, wenn es ins Blut gebracht wird, scheint dagegen im Darmkanale zersetzt und unsch\u00e4dlich gemacht zu werden. Viperngift wirkt auch in den Wunden der niederen Wirbelthiere, namentlich der Amphibien, bei Fr\u00f6schen, Blindschleichen nur sehr langsam und bei Schlangen, wie es scheint, oft gar nicht. Doch sind die meisten Narcotiea in gr\u00f6sseren Gaben auch f\u00fcr die niederen Thiere t\u00f6dtlich. Die Blaus\u00e4ure t\u00f6dtet den Blutegel so gut wie den Menschen, Opium, Kux vomica scheint fast f\u00fcr alle giftig (mit Ausnahme des Vogels Buceros Rhinoceros, der von Kr\u00e4henaugen leben soll).\nDie einfachsten Nahrungsstolfe sind aus dem Pflanzenreich:\n1.\tDie s\u00e4uerlichen S\u00e4fte vieler Pflanzen und Fr\u00fcchte.\n2.\tDas St\u00e4rkmehl (Amylum) in den Samen der Gr\u00e4ser, der U\u00fclsenfr\u00fcchte, in den Knollen der Kartoffeln, in der Sagopalme, im Lichen island.\n3.\tDer Schleim (Mucilago) in Wurzeln und Samen und als Gummi (verschieden vom thierischen Schleim, in Wasser l\u00f6slich).\n4.\tDer Zucker im Safte vieler Pflanzen, auch ihrer Fr\u00fcchte.\n5.\tDas fette Pflanzen\u00f6l im Samen und einigen Wurzelknollen.\n6.\tDas Pflanzeneiweiss (Albumen) in der Pflanzenmilch, in der Milch des Milchbaums, in emulsiven Samen.\n7.\tDer Kleber (Gluten), meist mit Fiweiss verbunden, in den Getreidearten und anderen Samen, auch in s\u00fcssen Fr\u00fcchten.\nS. Fungin in den Schw\u00e4mmen.\nViele andere Stoffe, wie weingeistige und aromatische, sind mehr Reizmittel der Verdauungsorgane als Nahrungsmittel. Unverdaulich sind die Pflanzenfaser, die H\u00fclsen der Samen, die meisten Harze, Farbstoffe, Extractivstoffe, die Haare, Federn, Horn, Klauen, Schuppen, Insektenschalen und \u00fcberhaupt aller Hornstoff.\nDie Hauptnahrungsstoffe des Thierreichs sind:\n1.\tGelatina in den Sehnen, Knochen, Knorpeln, in der \u00e4us-sern Haut, dem Zellgewebe und vorz\u00fcglich in sehr jungen Thie-reu (Eigenschaften siehe oben p. 138.).\n2.\tEiweiss (Albumen) vorz\u00fcglich in den Eiern, Gehirn und Nerven, im Blute etc. (Eigenschaften s. oben p. 134.).\n3.\tFaserstoff (Fibrina) im Fleisch und Blut der Thiere (Eigenschaften s. oben p. 130.).\n4.\tDas thierische Oel und Fett (Eigensch. s. oben p. 13(1, 427 ).\n5.\tDer K\u00e4sestoff in der Milch mit thierischem Fett (Butter) und im K\u00e4se (Eigenschaften s. unten im 8. Buche bei dem Artikel M ilch).\nAusf\u00fchrliche Belehrungen \u00fcber die Nah rungsmittel linden sich in Tiedemann, Physiologie. 3. Bd. Darmstadt 1830.","page":475},{"file":"p0476.txt","language":"de","ocr_de":"476 II. Euch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nDer letzte Zweck der Verdauung ist 1. die Aufl\u00f6sung der Nahrung, weil nur Aufgel\u00f6stes f\u00e4hig ist zur Aufnahme in resor-hirende Gef\u00e4sse, und 2. eine Reduction dieser verschiedenen Be-standtheile in das einfachste Material der thierischen Processe, in Eiweiss, welches sich in dem verdauten Speisesafte theils aufgel\u00f6st, theils in K\u00fcgelchen enthalten zeigt. Die Verdauung hat also zum Wesen, dass sie nicht allein die Stolfe aufl\u00f6st, sondern dass sie alle eigenth\u00fcmlichen Qualit\u00e4ten, welche den organischen Stoffen von ihren Quellen noch zukommen, tilgt, dass sie die Nahrungsstoffe aufl\u00f6st und Alles in Eiweiss verwandelt. Hierzu sind ausser der mechanischen Zertr\u00fcmmerung chemische Einfl\u00fcsse, Verdauungss\u00e4fte noting. Diejenigen Substanzen sind nun am leicht-verdaulichsten und nahrhaftesten, welche am l\u00f6slichsten und bei welchen die Reduction in Eiweiss am leichtesten, oder welche seihst ei weisshaltig sind; und so ist der Dotter als eine concen-trirte Aufl\u00f6sung von Eiweiss (mit Dotter\u00f6l) der Nahrungsstoff' seihst, aus welchem der Embryo unmittelbar assimilirt und der keiner vorbereitenden Verdauung bedarf. Alles wird aber unverdaulich seyn , welches wegen seiner unaufl\u00f6slichen Beschaffenheit (wie Holzfasern, H\u00fclsen) keinen Nahrungsstof! abgehen kann, oder selbst eine chemische Qualit\u00e4t geltend macht, welche die im Organismus von der organischen Kraft im Gleichgewicht gehaltene Tendenz der Elemente, bin\u00e4re Verbindungen einzugehen, entfesselt. Alan muss \u00fcbrigens zwischen leicht verdaulichen und n\u00e4hrenden Stoffen unterscheiden. Ein Stoff kann durch seine leichte Aufl\u00f6slichkeit in einer Hinsicht leicht verdaulich, aber doch wenig n\u00e4hrend seyn, weil er durch seine Zusammensetzung weniger leicht in Eiweiss verwandelt werden kann. Andere Stolfe, die an sich, einmal aufgel\u00f6st, wohl n\u00e4hrend sind, k\u00f6nnen durch ihre schwere Aufl\u00f6slichkeit f\u00fcr schwache Verdauungskr\u00e4fte schwer verdaulich seyn. Zu einer guten Nahrung geh\u00f6rt also nicht allein leichte Aufl\u00f6slichkeil , sondern auch n\u00e4hrende Beschaffenheit. Je entfernter eine Substanz in Hinsicht ihrer Zusammensetzung von dem Eiweiss ist, um so weniger ist sie n\u00e4hrend, und um so grossem Aufwand der Verdauungskr\u00e4fte nimmt sie zu ihrer Verwandlung in Anspruch.\nK\u00e4me es bei der Verdauung bloss auf die Aufl\u00f6sung an und enthielten alle Nahrungsstoffe eine gewisse Menge eines und desselben Nutrimentes, das keiner weitern chemischen Ver\u00e4nderung bedarf, so k\u00f6nnte die Verdaulichkeit darnach bestimmt werden, wie leicht ein Stoff aufl\u00f6slich ist, wie viel Nutriment von dem Darmkanal aus ihm ausgezogen werden kann und wie leicht diese Ausziehung des Nutrimentes aus den \u00fcbrigen Beimischungen ist. Dieser unrichtige Begriff von Nahrungsstoff liegt dem Hippokratischen Satz zu Grunde, dass es verschiedene Arten der Alimente, aber nur ein A\u00fcmentum gebe. Die in Eiweiss zu verwandelnden Stoffe enthalten aber zum Theil kein pr\u00e4formirtes Eiweiss in sieh, wie die vegetabilischen Nahrungsmittel. Das A\u00fcmentum in jenem Hippokratischen Sinne entsteht daher erst durch die Verdauung, indem die in Hinsicht ihrer Zusammensetzung von dem","page":476},{"file":"p0477.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Verdauung im Allgemeinen. Nahrungssloffe. 477\nEivveiss verschiedenen Nahrungsstofle erst in di\u00bb Zusammensetzung des Alimentum umgewandelt werden m\u00fcssen.\nAut eine wichtige Unterscheidung der JNTahrungsmittel in stick-stotFreiche, stickstolFarme und slickstofflose hat Magendie aufmerk-sam gemacht. Physiol, ed. 2. t. 2. 486. Meckel\u2019s Archiv. 3. 311. Nahrungsmittel, welche wenig oder keinen StickstotF enthalten, sind die zuckerhaltigen und s\u00e4uerlichen Fr\u00fcchte, die Oele, Fette, die Butter, die schleimigen Vegetabilien, der raffinirte Zucker, die St\u00e4rke, das Gummi, der Pflanzenschleim, die vegetabilische Gallerte. Hierher geh\u00f6ren die Getreidearten, der lleis, die Kartoffel. Stickstoffhaltig dagegen sind Pflanzenei weiss, Kleber, Fungin der Schw\u00e4mme und einige in verschiedenen Pflanzen vorkommende, dem Fleischextract \u00e4hnliche Stoffe. Sie linden sich vorz\u00fcglich in den Samen der Gr\u00e4ser, in den Stengeln und Bl\u00e4ttern der Gr\u00e4ser und Kr\u00e4uter. Auch die Leguminosen (Linsen, Erbsen, Bohnen), die Mandeln, die N\u00fcsse geh\u00f6ren hierher. Aus dem Thierreiche sind zu nennen: die Gelatina, das Eiweiss, der Faserstoff, der K\u00e4sestoff. Ausser dem Fett enthalten die meisten thie\u2014 rischen Theile vorz\u00fcglich mehr oder weniger Stickstoff'. Einige Schriftsteller haben f\u00fcr eine Quelle des Stickstoffs in den thieri-seben K\u00f6rpern das Athmen aus der Atmosph\u00e4re gehalten, andere haben angenommen, dass sich Stickstoff in Thieren aus anderen Elementen erzeuge. Hierbei stiilzle mau sich auf das Beispiel der pflanzenfressenden Thiere, die sieh von stickstolllosen oder stiek-stoffarmen Stoffen n\u00e4hren sollen, auf das Beispiel der Neger, welche lange Zeit bloss von Zucker sich n\u00e4hren. Magendie bemerkt hiergegen, dass fast alle Vegetabilien, von denen sieh Thiere und Menschen n\u00e4hren, mehr oder weniger StickstolF enthalten, dass der unreine Zucker ziemlich viel Stickstoff enthalte, dass die V\u00f6lker, die sieh mit lleis, Mais, Kartoffeln n\u00e4hren, Milch oder K\u00e4se hinzuf\u00fcgen. Magendie hat sehr dankenswerthe Versuche \u00fcber die Nahrung von Thieren (Hunden) aus blossen stickstofflosen Mitteln, wie rallinirtem Zucker, mit destillirtem Wasser, gemacht. Die ersten 7\u20148 Tage waren die Thiere munter, frassen und tranken wie gew\u00f6hnlich, in der zweiten Woche fingen sie an abzumagern, obgleich der Appetit immer gut war und t\u00e4glich 6\u2014S Unzen Zucker verzehrt wurden. Die Abmagerung steigerte sich in der dritten Woche, die Kr\u00e4fte nahmen ah, die Thiere verloren die Munterkeit und den Appetit. Zu dieser Zeit entwickelte sich auf beiden Augen eine Exulceration der Cornea mit Ausfluss der Augenfeuchtigkeiten \u2014 ein Ph\u00e4nomen, was sich Lei wiederholten Versuchen best\u00e4tigte. Obgleich die Thiere noch t\u00e4glich 3\u2014 4 Unzen Zucker frassen, so wurden sie doch zuletzt so schwach, dass sie zu aller Bewegung unf\u00e4hig waren, und der Tod erfolgte am 31 \u2014 34. Tage. (Man muss hierbei erw\u00e4gen, dass Hunde ohne alle Nahrung fast eben so lange aushaltcn.) Bei der Section land sich alles Fett verzehrt, die Muskeln waren sehr an Volumen vermindert, Magen und Darmkanal sehr zusammengezogen, Gallenblase und Urinblase ausgedehnt. Giievrell land den Unn, wie bei den Pflanzenfressern, nicht sauer, sAndern alkalisch, aber auch otme Spur von Harns\u00e4ure und Pfios-","page":477},{"file":"p0478.txt","language":"de","ocr_de":"478 II, Euch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\npliaten. Die Galle enthielt viel Pikromel, woran die Galle der Hcrhivoren reich ist, das man aber seitdem auch in der Galle von Fleischfressern entdeckt hat. Die Excremente enthielten sehr wenig Stickstoff, dessen sie sonst viel enthalten. Um auszumit-teln , oh diese Wirkungen dem Zucker eigent\u00fcmlich sind, oder nur von seinem Stickstoffmangel herr\u00fchrt, f\u00fctterte Magendie Hunde mit Oliven\u00f6l und Wasser. Wahrend 15 Tagen befanden sie sich wohl. Darauf traten mit Ausnahme der Ulceration der Cornea dieselben Ph\u00e4nomene wie bei den mit Zucker gef\u00fctterten ein, und der Tod erfolgte am 36. Tage. Urin, Galle verhielten sich gleichwie in den vorhergehenden Versuchen. Hunde mit Gummi gef\u00fcttert, was mit anderen Mitteln zusammen sehr nahrhaft ist, aber keinen Stickstoff enth\u00e4lt, zeigen dieselben Ph\u00e4nomene. Eine blosse Nahrung von Butter ertrug ein Hund sehr wold 14 Tage lang, darauf wurde er mager und schwach, und starb am 36. Tage, obgleich er am 32. Tage Fleisch erhalten hatte. Das eine Auge ulcerirte, Urin und Galle verhielten sich wie in den fr\u00fcheren Versuchen. Magendie \u00fcberzeugte sich durch andere Versuche, dass gleichwohl Zucker, Gummi und Oel verdaut wurden und Chvlus bildeten, dass also der Ghvlus nur keine n\u00e4hrenden Eigenschaften hatte. Diesen Versuchen kann man die Bemerkung hinzuf\u00fcgen, dass in D\u00e4nemark Vcrurtheilung zu Brot und Wasser auf 4 Wochen mit der Todesstrafe gleichgesetzt wird, und dass Stark\u2019s Versuche an sich selbst mit Monate langer Zuckerkost seinen Tod bewirkten, nachdem er \u00e4usserst schwach und gedunsen, rothe Flecke im Gesicht bekommen hatte, welche drohten in Geschw\u00fcre anfzuhrechen. Durch diese Versuche hat Magendie auch einiges Licht auf die Ursachen und die Behandlung der Gicht und des Ilarngrieses geworfen. Die von diesen Krankheiten befallenen Personen sind meist wohllebende Fleisch-* esser; die meisten Harnsteine, der Harngries, die Gichtknoten und der Schweiss der Gichtischen enthalten Harns\u00e4ure, eine Substanz, die sehr reich an Stickstoff ist. Durch Verminderung der stickstoffhaltigen Nahrungsmittel kann man daher wohl der Gicht und der Bildung des Ilarngrieses zuvorkommen und sie mit Erfolg Ijchandeln,\nTiedemann und Gmelin haben Magendie\u2019s Versuche best\u00e4tigt. Sie f\u00fctterten verschiedene G\u00e4nse, die eine mit Zucker, die an-' dere mit Gummi, die dritte mit St\u00e4rke; alle erhielten zugleich W asser. Die G\u00e4nse nahmen hierbei best\u00e4ndig an Gewicht \u00abh. Die mit Gummi gef\u00fctterte starb den 16., die mit Zucker den 22. und die mit St\u00e4rke den 24., eine andere den 27. Tag, nachdem sie \u2019 bis \\ ihres G< nvichts verloren hatten. Indessen starb eine Gans, die mit gekochtem und zerhacktem Eiweiss gef\u00fcttert wurde, trotz der stickstoffreichen Nahrung und des Appetits der Gans, ausgehungert am 46. Tage, nachdem sie fast \u2019 des Gewichts verloren halte.\nIfiese Versuche w\u00fcrden wie die von Magendie sehr beweisend seyn, wenn man hei demselben Thiere mit verschiedenen stickstoftlosen Substanzen in der Nahrung abgewecbselt h\u00e4tte. Denn da, w ie sich auch aus den folgenden Versuchen von Magendie","page":478},{"file":"p0479.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von der Verdauung im Allgemeinen. Nahrungsi Hoffe. 479\ncrgicbt, das unausgesetzte Darreichen einer stickstoffhaltigen Substanz ohne Abwechselung mit anderen stickstoffhaltigen Mitteln die Theire in manchen Fallen auch nicht erhalten hat, so sind jene Versuche noch nicht ganz conclusiv. Vergl. Lome, Fro-biep\u2019s Not. B. 13. Nr. 10.\nLieber die F\u00e4higkeit verschiedener Substanzen, zu n\u00e4hren, hat Magendie noch folgende Versuche angestellt: 1. Ein Hund, welcher Weissbrot, Weitzen und Wasser zur Nahrung erhielt, lebte nicht \u00fcber 50 Tage. 2. Ein anderer Hund, der dagegen bloss Kommissbrot bekam, erhielt seine Gesundheit sehr wohl. 3. Kaninchen und Meerschweinchen mit einer von folgenden Substanzen: Weitzen, Hafer, Gerste, Kohl, gelbe R\u00fcben, gef\u00fcttert, starben mit vollkommener Inanition nach 15 Tagen ab. Mit denselben Substanzen zugleich oder nach einander gef\u00fcttert, lebten sie ganz ohne Nacktheit. 4. Ein Esel, der mit trocknem und sp\u00e4ter mit gekochtem Reis gef\u00fcttert wurde, lebte nur 15 Tage. Ein Hahn dagegen lebte von gekochtem Reis, ohne Nachtheil, mehrere Monate. 5. Hunde, bloss mit K\u00e4se oder bloss mit harten Eiern gef\u00fcttert, lebten lange, aber sie wurden schwach und mager, verloren die Haare. 6. Muskelfleisch vertragen die Nagethiere sehr lange. 7. Wenn man ein Thier eine Zeit lang mit einer Nahrung f\u00fcttert, von der allein es zuletzt umkommen m\u00fcsste, so wird es durch Herstellung seiner gew\u00f6hnlichen Nahrung nicht mehr gerettet. Das Thier frisst zwar mit Begierde, doch sein Tod erfolgt zur selben Zeit, als wenn es mit der ersten Nahrung fortgef\u00fcttert worden w\u00e4re. Nach Allem diesem scheint die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Nahrungsmittel eine Hauptregel zur Erhaltung der Gesundheit zu seyn.\nProut reducirt alle Nahrungsmittel der h\u00f6heren Thiere auf 3 Klassen: Saccharina (Zucker, St\u00e4rke, Gummi u. s. w. ), Oleosa (\u00fcel und Fett), Albuminosa (animalische Materien und vegetabilischer Gluten). Das Folgende enth\u00e4lt einen Auszug der Ansichten von Prout, welchen Elliotson in seiner Uebersetzung von Bi.umenbach\u2019s Physiologie aus einem ungedruckten Werke von Prout \u00fcber die Verdauung, und daraus H. Mayo in Outlines oj human physiology. 3. ed. London 1833. pag. 152, rnitgetheilt haben.\n\u201eDurch die Beobachtung, dass die Milch als der einzigeStolf, der fertig gebildet und von der Natur als Nahrung bestimmt, im Wesentlichen aus drei Substanzen zusammengesetzt ist, n\u00e4mlich aus Zuckerstoff, Oelsloff und K\u00e4sestoff oder einer dem Eiweiss verwandten Materie, ward ich nach und nach zu dem Schluss veranlasst, dass alle Nahrungsstoffe bei dem Menschen und den h\u00f6heren Thieren auf diese drei allgemeinen Quellen reducirt werden k\u00f6nnten. Desshalb beschloss ich, sie zuerst einer strengen Pr\u00fcfung zu unterwerfen, und, wo m\u00f6glich, ihre allgemeinen Beziehungen und Analogieen zu erforschen. Die charakteristische Eigent\u00fcmlichkeit von zuckerhaltigen K\u00f6rpern bestellt darin, dass sie einfach aus Kohlenstoff mit Sauerstoll und Wasserstoff in dem Verh\u00e4ltnis^ worin diese Wasser bilden, zusammengesetzt sind; die Proportionen von Kohlenstoff wechseln in verschiedenen Beispielen von ungef\u00e4hr 30 bis 50 Proc. Die beiden anderen Klassen bestehen aus zusum-","page":479},{"file":"p0480.txt","language":"de","ocr_de":"480 II. Buch. Organ, client. Processe. IP. Abschnitt. Verdauung.\nmengesetzten Basen (wovon der Kohlenstoff den Hauptbestandteil Bildet), gleichfalls gemischt lind modilicirt mit Wasser. Die Proportion von Kohlenstoff in \u00f6lhaltigen K\u00f6rpern, die in dieser R\u00fccksicht die oberste Stelle einnehmen, schwankt von ungef\u00e4hr 60___\n80 Proc.; desshalb k\u00f6nnen die Oele, wenn man den Kohlenstoff als Maass der Ern\u00e4hrungsf\u00e4higkeit betrachtet, was in gewisser Hinsicht auch gethan werden kann, im Allgemeinen als die Klasse der n\u00e4hrendsten K\u00f6rper betrachtet werden. Der allgemeine Schluss von dem Ganzen ist, dass K\u00f6rper, die von Natur weniger als 30 oder mehr als 80 Proc. Kohle enthalten, nicht gut als alleinige Nahrung passen.\nEs ist noch \u00fcbrig, zu erforschen, ob Thiere von einer einzigen dieser Kl assen ausschliesslich leben k\u00f6nnen; aber bis jetzt sind die Versuche durchaus gegen diese Annahme, und die annehmlichste Ansicht ist, dass eine Mischung, zum wenigsten aus 2 Klassen dieser Nahrungsstoffe, wo nicht aus allen dreien, dazu nothwendig ist. Mdch ist demnach, wie bewiesen wurde, eine solche Zusammensetzung, und zumeist alle Gr\u00e4ser und Kr\u00e4uter, die f\u00fcr die Thiere zum Futter dienen, enthalten wenigstens zwei von jenen drei Stoffen. Dasselbe ist ausgemacht von animalischen Nahrungsmitteln, welche zum wenigsten aus Eiweiss und Oel bestehen; kurz, es ist vielleicht unm\u00f6glich, eine Substanz namhaft zu machen, die von h\u00f6heren Thieren zur Nahrung benutzt wird, welche nicht wesentlich eine nat\u00fcrliche Composition von wenigstens zweien, wo nicht von allen dreien, der obigen drei grossen Klassen von Nahrungsstoffen darstellt.\nAber in der k\u00fcnstlichen Nahrung des Menschen sehen wir\nU\t_\ndiess wichtige Princip von Mischung am strengsten erwiesen. Er, nicht mit den Productionen, die die Natur freiwillig schafft, sich begn\u00fcgend, sucht aus jeder Quelle und bildet durch die Kraft seines Verstandes oder vielmehr seines Triebes auf jede m\u00f6gliche Weise und mit jeder Erk\u00fcnstelung dieselbe wichtige Nahrungsmischung. Diess ist, mit aller seiner Kochkunst, wie wenig er auch es zu glauben geneigt seyn mag, der einzige Endzweck seiner Arbeit, und je mehr seine Erfolge sich dem n\u00e4hern, um so n\u00e4her kommen sie der Vollendung. So hat schon in den fr\u00fchesten Zeiten der Trieb ihn gelehrt, Oel oder Butter zu mehligen Substanzen zu mischen, wie zum Brot und zu denen, welchen von Natur dieser Stoff mangelte. Derselbe Naturtrieb hat ihn gelehrt, Thiere zu m\u00e4sten, um sich \u00f6lhaltige Substanzen mit Eiweiss verbunden zu verschaffen, welche Verbindung er endlich meist zugleich mit zuckerhaltigen Stoffen in Form von Brot oder Vegetabilien ge-niesst. Sogar in seinem ausgew\u00e4hltesten Luxus und in seinen angenehmsten Leckerbissen ist dasselbe wichtige Princip im Auge behalten, und sein Zucker und Kraftmehl, seine Eier und Butter, in all ihren verschiedenen Formen und Verbindungen, sind nichts mehr und nichts weniger als versteckte Nachahmungen des Haupt-nahrungstypus, der Milch, wie sie ihm von der Natur geboten wird. \u201c\nDie Empfindungen des Appetits und der S\u00e4ttigung sind theils selbst Geschmack, iiiciis dem Geschmack analoge Empfindungen,.","page":480},{"file":"p0481.txt","language":"de","ocr_de":"481\n1. Von der Verdauung im Allgemeinen. Hunger.\ngleichwie die Empfindungen, welche Speisen in der Appetitlosigkeit erregen. Die Empfindung des Appetits wird erh\u00f6ht im Winter und Fr\u00fchling, durch kalte B\u00e4der, durch Friction der Haut, des Unterleibes und dessen Ersch\u00fctterung heim Reiten, so wie durch Anstrengung.\nDie Verdauung erregt hei Gesunden ein wohlth\u00e4tiges Ge-meingef\u00fcbl mit W\u00e4rmeempfindung verbunden; diese Gef\u00fchle erstrecken sich aber nicht bloss auf die Verdauungsorgane allein, deren Hauptsensationsnerve der Nervus vagus ist, sondern auch aut fast alle \u00fcbrigen Theile: daher es wahrscheinlich ist, dass die Erregung der sympathischen Nerven, die, wie sp\u00e4ter bewiesen wird, eine grosse Communicationsf\u00e4higkeit ihrer Zust\u00e4nde haben, hieran Antlieil habe.\nMangel der Verdauungskraft ist ein Zustand der Verdanungs-organe, wo sie theils nicht die zur Aufl\u00f6sung bestimmten Fl\u00fcssigkeiten absondern, theils in einem Zustande von Reizbarkeit oder Atonie sind und durch die Nahrungsstofle mehr mechanisch zu unangenehmen Empfindungen und unangemessenen Bewegungen allicirt werden. Die \u00f6rtlichen unangenehmen Empfindungen der Verdauungswege scheinen vorzugsweise in dem Nerv, vagus ihren Sitz zu haben, dessen st\u00e4rkere Reizungen wenigstens schon in der Speiser\u00f6hre und im Schlunde dieselben Empfindungen von Ekel, wie die Reizung des Magens selbst, welche dem Erbrechen vorhergeht, bewirken. Allein die Ver\u00e4nderung in der Stimmung des gesammten Nervensystems ist in diesen F\u00e4llen eben so auf-lallend und scheint auch hier von dem Nervus sympathicus abh\u00e4ngig zu seyn.\nBei den Ph\u00e4nomenen des Hungers und Durstes sind beiderlei, \u00f6rtliche und allgemeine, Empfindungen vorhanden, allein die weiteren Erscheinungen werden sp\u00e4ter noch unmittelbar aus dem absoluten Mangel an Nabrungsstofl'en und Wasser abh\u00e4ngig.\nDie ersten Ph\u00e4nomene des Durstes sind Trockenheit der Wege, welche am meisten verd\u00fcnnsten (der Luftwege), sp\u00e4ter Fieber, Entz\u00fcndung der Luftwege.\nW as man indessen Durst nennt, ist zuweilen mehr ein Be-d\u00fcrfniss nach Abk\u00fchlung durch k\u00fchle Getr\u00e4nke, wie hei dem, in Fiebern durch vermehrte W\u00e4rme und durch verminderten Turgor bewirkten, trocknen, heissen Zustande der Luftwege, des Mundes und der Haut. Die Ausd\u00fcnstung ist hier oft eher vermindert und die Trockenheit entsteht dadurch, dass, wenngleich Blut in die Capillargef\u00e4sse fliesst, die Wechselwirkung zwischen Blut und den von der organisirenden Kraft belebten Theilen, was man Turgor viialis nennt, vermindert ist. Ohne dass die W\u00e4rme-production in den inneren Theilen vermehrt zu sevn braucht, erscheint die Haut heisser, weil die Ausd\u00fcnstung fehlt und die mit dem Uebcrgang der tropfbaren Fl\u00fcssigkeit in den gasf\u00f6rmigen Zustand verbundene Abk\u00fchlung wegf\u00e4llt.\nD>e letzten Folgen des unbefriedigten Durstes sind : ein fieberhafter Zustand, der von dem eines nerv\u00f6sen Fiebers nicht verschieden scheint und mit Entz\u00fcndung der Luftwege verbunden ist.\nDie \u00f6rtlichen Empfindungen des Hungers, welche sich auf","page":481},{"file":"p0482.txt","language":"de","ocr_de":"4S2 II. Buch. Organ, chcm. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\ndie Verdauungswege beschr\u00e4nken und im N. vagus ihren Sitz zu haben scheinen, sind Gef\u00fchle von Druck, Bewegung, Zusammenziehung, von Uebelkeit mit Kollern, sp\u00e4ter Schmerzen. Als Ursache dieser Empfindungen hat man den Speichel, die Galle, eine Reibung der Magenw\u00e4nde, den scharfen Magensaft angesehen. Dumas erkl\u00e4rt den Hunger daraus, dass die einsaugenden Gelasse des Darms sich gegen die Magen- und Darmw\u00e4nde selbst wenden.\nAn alles dies\u00bb ist wohl nicht zu denken. Die Nahrungsmittel sind ad\u00e4quate oder homogene Reizmittel der Verdauungsorgane; wenn diese fehlen, bringen die Nerven den Zustand des Organes zum Bewusstseyn. Die \u00f6rtlichen Empfindungen des Hungers, wie des Appetites und der S\u00e4ttigung, k\u00f6nnen nach der Durchschneidung des N. vagus vielleicht fehlen, wde Br\u00e4chet ( Recher ch. sur les fonct. du syst, g'anglionaire. Paris 1830.) aus Versuchen scldiesst; die Empfindung des Hungers wird durch Ver\u00e4nderung der Nerven des Magens, verm\u00f6ge der Ingesta, durch st\u00e4rkere Empfindungen und Th\u00e4tigkeiten, die das Sensorium in Leidenschaften, Meditationen besch\u00e4ftigen, durch die Aenderung des Sensoriums seihst von Opium etc. aufgehoben. Darum die h\u00e4ufige Erscheinung des Fastens bei Irren, weil sie durch die Alteration des Sensoriums vielleicht die \u00f6rtliche Sensation des Hungers, die uns zur Nahrung mahnt, nicht haben. Nur die allgemeinen Folgen des Fastens sind unter ungleichen Zust\u00e4nden der Verdauungsorgane meist gleich.\nDahin geh\u00f6ren die Empfindungen von allgemeiner Hinf\u00e4lligkeit, die wirklich immer mehr zunehmende Kraftlosigkeit, Abmagerung, Fieber, Irrereden, die heftigsten Leidenschaften abwechselnd mit tiefster Niedergeschlagenheit. Die W\u00e4rme soll um mehrere Grade sinken, dem von Currie ( Wirkungen des kalten und warmen TVassers p. 267.) bei einem von Verschliessung des Schlundes Hungernden widersprochen wird. Der Athcm wird stinkend, der Harn scharf und feurig, die Lympbgef\u00e4sse werden nach Magendie und Collard blutig. Der Inhalt dieser Gelasse soll in der ersten Zeit des Fastens gr\u00f6sser seyn (?), sp\u00e4ter immer geringer, auch die Lympbgef\u00e4sse des Darms sollen indess gegen die mittlere Zeit der Abstinenz noch etwas weniges Lymphe f\u00fchren. Collard de Martigny. Zusammenziehung des Magens tritt ein, Die Absonderungen h\u00f6ren auf, obgleich bei angef\u00fcllter Gallenblase doch auch immer noch Galle in den Darm fliesst (in den Magen fliesst sie nach Magendie nicht). Der Schleim der Schleimh\u00e4ute vermindert sich wie alle der Resorption f\u00e4hige Substanzen. Eiter der Wunden, Milch, Speichel, Gift der Schlangen werden nicht mehr abgesondert. Der Urin enth\u00e4lt noch Harnstoff, wie Lassaigne (Journ. de chim. med. 1825. at\u00ae,) bei einem Irren nach einem Hungern von 18 Tagen fand; die Harnwege sind nicht nothwendig entz\u00fcndet, die Schleimh\u00e4ute blass. Nach Coilard de Martigny vermindert sich w\u00e4hrend des Hungers die relative Quantit\u00e4t der Fibrine im Blute, w\u00e4hrend die relative Quantit\u00e4t der festen Theile der Blutk\u00f6rperchen steigt. Magendie .Journ. de Physiol. T. S. p. 171. Nach dem Tode erscheint der Magen sehr zusammengezogen.","page":482},{"file":"p0483.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Vertlauungsorganen.\n483\nAus den \u00fcber die Lebensdauer der Tbiere und des Menschen angestellten Versuchen gebt hervor, dass warmbl\u00fctige Tbiere am wenigsten ausdauern. Niedere Tbiere mit harten Schalen hungern ausserordentlich lange, wie ich aus brieflichen Mittheilungen selbst die Beobachtung habe, dass ein afrikanischer Scorpion auf einer Reise nach Holland und dort in den H\u00e4nden des Dr. De-Haan noch neun Monate ohne etwas zu fressen erhalten wurde. Rudolpiii erhielt einen Proteus anguinus 5, Zoys i\u00fc Jahre lang in erneuertem Brunnenwasser. Auch Wassersalamander, Schildkr\u00f6ten und Goldfische kann nian Jahre lang ohne Nahrung erhalten. Von Schlangen ist es bekannt, dass sie oft halbe Jahre lang hungern. V\u00f6gel lebten in Redi\u2019s Versuchen 5 bis 28 Tage; ein Seehund ausser Wasser und ohne Nahrung 4 Wochen, Hunde 25 bis 36 Tage ohne Speise und Trank. Menschen ertragen Hunger und Durst in der Regel nicht viel langer als eine Woche, selten mehr als 2 Wochen, den blossen Hunger viel l\u00e4nger, in Krankheiten noch l\u00e4nger, besonders Irre. Siehe Tikdemamn a. a. O. Tiedemann f\u00fchrt Ftdie an, in welchen Hungernde, denen verg\u00f6nnt war, den Durst zu stillen, 50 und mehr Tage ausdauerten. Monate oder wohl gar Jahre langes Fasten geh\u00f6rt, wie Rudolphi mit Recht bemerkt, zum Betrug. Uebcr alle in diesem Capitel abgehandelten Gegenst\u00e4nde finden sich ausf\u00fchrlichere Untersuchungen in Tiedemank\u2019s Physiologie. 3. Bd. Tiedemann, Untersuchungen \u00fcber das IVahnnigsbediirjniss, den Nahrungstrieb und die Nahrungsmittel des Maischen. Darmstadt 1836.\nII. Capitel. Von den Verdauungsorganen, a. Darmkanal im Allgemeinen.\nEs scheint ein allgemeiner Charakter der Thiere zu seyn, dass sie eine innere H\u00f6hle zur Verwandlung der Nahrungsstoffe, zur 5 erdauung besitzen. Diese H\u00f6hle wird Darm genannt, welcher in den mehrsten F\u00e4llen schlauchf\u00f6rmig, und an seinem obern und an seinem untern Ende ge\u00f6lfnet ist, zuweilen jedoch nur eine Mund\u00f6ffnung besitzt, indem die Beste der Nahrungsstoffe durch dieselbe Oeffnung ausgeworfen werden, durch welche sie eindringen. Ueber Agastrica s. Meyen act. mit. cur. T. Xl'I. Suppl.\nBei den Infusorien giebt es nach Eurenberg\u2019s grossen Entdeckungen nicht nur durchg\u00e4ngig einen mit Wimpern umgebenen Mund, sondern Ehrenberg hat auch durch F\u00fctterung mit farbigen Stoffen die Form der Verdauungsorgane dieser Thiere ermitteln, und die Eintheilung der Hauptgruppen dieser Thier lassen auf den Bau der Verdauungsorgane gr\u00fcnden k\u00f6nnen. Sie sum theils darmlose, mit mehreren dem Munde angeh\u00e4ngten Magen versehene Thiere, denen eigentlicher Darm und After fehlt, wie die Monaden u. a; theils mit einem vollst\u00e4ndigen Darin und mit Mund und After ausgestattete. Der Darm ist mit vielen blinddarmf\u00f6rmigen, gestielten Magen besetzt, und ist bald kreisf\u00f6rmig zum Munde zur\u00fcck kehrend, wo dann After und Mund","page":483},{"file":"p0484.txt","language":"de","ocr_de":"484 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nneben einander an dem gewimperten Umfange des oberen Endes sieb befinden, wie bei den Vorticellen ; tbeils gegenm\u00fcndig, indem Mund und After sieb an entgegengesetzten Enden befinden; tbeils wechsehniindig, indem entweder Mund, oder After am Ende des K\u00f6rpers sind; tbeils bauchm\u00fcndig, indem sicli beide Oeffnungen am Bauche befinden. 13ei einem Infusorium mit Darmkanal, Loxo-des cucullulus, sind von Ehrenberg nun auch bereits Zahne am Schlundkopf entdeckt worden.\nDie R\u00e4dertbiere, welche durch die mit Wimpern besetzten R\u00fc-derorgane am Kopfe einen Strudel im Wasser erregen, besitzen einen einfachen, vom Munde zum After gebenden Darm, der selten mit Blindd\u00e4rmen besetzt ist, und sind zum Th ei 1 mit einem von Ehrenberg entdeckten Zahnsystem versehen. Die meisten sind am Anf\u00e4nge des Darms mit zwei dr\u00fcsenartigen K\u00f6rpern versehen. Ehrenberg. Physika/. Abhandl. der K\u00f6nig/. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1830 und 1831.\nBei den Acalephen oder Quallen fehlt der After mit dem Darm, es werden die Nahrungsstoffe entweder durch den Mund in den Magen aufgenommen, der sieb gef assartig im Innern des Thicres verzweigt, wie bei den Medusen; oder die Nahrungsstoffe gelangen durch Saugr\u00f6hren der Fangarme in den centralen Magen, wie bei den Rhizostomen ; oder die Nahrungsstoffe scheinen in einigen F\u00e4llen durch Saugr\u00f6hren aufgenommen, ohne Magen h\u00f6hle durch gef\u00e4ssartig verzweigte Verdauungskan\u00e4le verbreitet zu werden, wie bei den Berenicen und anderen. Auch in den F\u00e4llen, wo sich ein Magen vorfindet, gehen von diesem gef\u00e4ssartige Zweige aus, im Innern des Thieres sich verbreitend. Bei den Polypen, welche tbeils frei, tbeils festgeheftet sind, und tbeils wieder einfach, tbeils auf einem Polypenstock vereinigt leben, sind die Verdauungsorgane bald einfach, und aus einem blinden sackf\u00f6rmigen Magen bestehend, wie bei den Actinien, Funginen, Madreporinen, Tubiporinen, Corallinen, Pennatulinen, Alcyoninen, Milleporinen, Sertulurien, llydrinen; bald aus einem kurzen Darmkanal gebildet, dessen Atter sich neben dem Munde \u00f6ffnet, wie Lei den Alcyonellinen. Siehe Hempricii et Ehrenberg Symbolae physicae. Animalia vertelrata et evcrlehrata exc/usis insect is percen-suit Ehrenberg. Berolini 1831. Vergl. Meyen, Isis 1828. Nov. act. nat. cur. T. XVI. Suppl.\nBei den Eingeweidew\u00fcrmern ist der Bau der Verdauungsorgane ungemein verschieden. Bei den Blasenw\u00fcrmern scheint die blasenf\u00f6rmige K\u00f6rperh\u00f6hle die Verdauungsorgane zu vertreten. So scheint es wenigstens beim Cysticercus und Coenurus zu seyjj. Bei den Bandw\u00fcrmern, Cestoidea, ist der Darm nach Mehlis einfach beginnend und sehr bald gabelig getheilt. Bei den Trema-toden oder Saugw\u00fcrmern fehlt der After, und der Darmkanal ist gef\u00e4ssartig verzweigt, obgleich bei den Trematoden, Yvie z. B. bei Dystoma, noch ein zweites Gef\u00e4sssystem vorhanden ist, welches am hintern Ende ausm\u00fcndet, und welches vielleicht mit den feinsten Zweigen des Darmkanals in Verbindung steht. Mehlis de distomate hepalico et lanceolato. G\u00f6ltingae 1825. Laurer dis/juis. anaturn. de amphistomo conico. Gryphiae 1830. Bai den","page":484},{"file":"p0485.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Verdauungsorganen.\t485\nJfakenw\u00fcrmern, Acanth-ocephala, fehlt der After und der zwei-scljetiklige Darm endet blind. Die Nem\u00e4toidea, Rundw\u00fcrmer, besitzen einen schlauchf\u00f6rmigen Darm mit entgegengesetztem Mund und Atter, Bei den der Gruppe der Eingeweidew\u00fcrmer, namentlich den Trernatoden, so verwandten weisssaftigen W\u00fcrmern des s\u00fcssen und salzigen Wassers (Planaria, Prostoma, Derostorna u. a.) zeigen sich auch wieder- auffallende systematische Unterschiede, indem Mund und Atter hei Prostoma und Derostorna vorhanden, und der Darm einfach ist, wahrend die Planarien einen verzweigten Darm (Mund an der untern Flache des K\u00f6rpers) ohne deutlichen Alter besitzen. Eubenberg symb. phys.\nl\u00e4ei den Radiarien ist der Darm zuweilen vollst\u00e4ndig mit Mund und Atter, wie b\u00abei den Holothurie\u00bb und Seeigeln, indem sich Mund und Alter bt\u00bbi den ersteren an den entgegengesetzten Enden; hei den Seeigeln der Mund in der Mitte der unteren Flache, der Alter bald am Scheitel, wie hei Echinus, bald am Rande, wie bei Spatangu\u00ab, befinden. Bei den Asteriden oder Seesternen fehlen dagegen der Alter und Darm, und letzterer ist durch hlinddarml'\u00f6rmige Anh\u00e4nge des Magens ersetzt, w\u00e4hrend bei den Haarsternen, Crinoidea, der Darm und After wieder vorhanden sind, wie bei den Corna tulen, wo der After mit dem Munde auf der untern Fl\u00e4che des K\u00f6rpers beat.\nDer Darmkanal der Annularien, Crustaceen, Spinnen und Insekten ist immer vollst\u00e4ndig mit entgegengesetztem Mund und After; in seiner Organisation bietet er sehr viele Mannigfaltigkeiten dar. Wir f\u00fchren b ier nur als besonders merkw\u00fcrdig auf: die Art, wie der ungemein kurze Darm bei den Phalangien durch blinddarmf\u00f6rmige Ausw\u00fcchse vergr\u00f6ssert wird, das Zahnger\u00fcst in dem Magen der Krebse und mehrerer Insekten (Orthoptera), und die Zusammensetzung des Magens bei einigen fleischfressenden Insekten. Im Allgenueinen besteht der Darmkanal der Insekten aus der Speiser\u00f6hre, aus dem Saugmagen, der jedoch nur einigen der Hymenopteren, den Schmetterlingen und Zweifl\u00fcglern zukommt, dem Muskelmagen im Innern mit Z\u00e4hnen oder Horn-leislcn besetzt, welcher den fleischfressenden K\u00e4fern und den meisten Orthopteren zukounmt; dem Chylus bildenden Theil des Darms bis zur Insertion der Malpighi\u2019schen oder sogenannten Gallengef\u00e4sse, und dem Afterdarm von der Insertion jener Gelasse bis zum After.\nBei den W'irbelthieren zeigt sich der Magen gew\u00f6hnlich als eine einfache Erweiterung des Darms. Die L\u00e4nge des Darms, der bei den Fischen gew\u00f6hnlich kurz ist, wird zuweilen durch Vor Spr\u00fcnge der'Schleimhaut compens\u00e2t, indem z. B. hei den Rochen und Haifischen die innere Wand des Darms eine spiralf\u00f6rmige Klappe vom Magen bis zum After bildet. Der After liegt bei den Fischen meist vor der Harn- und Geschlechtsrn\u00fcndung.\nDer Magen der V\u00f6gel zeigt eine Zusammensetzung, welche man bei den Fischen und Amphibien noch nicht vorlindet. Ausserdem, dass der Kropf als sackf\u00f6rmiger Anhang der Speiser\u00f6hre ein ziemlich allgemeines Organ unter den V\u00f6geln, zur vorl\u00e4ufigen Erweichung der Nahrungsmittel bestimmt, vorkommt, und nur","page":485},{"file":"p0486.txt","language":"de","ocr_de":"4S6 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nhei tien Kletterv\u00f6geln, Sumpf- und Wasserv\u00f6geln, den Insekten fressenden und straussartigen V\u00f6geln fehlt, zerf\u00e4llt der Magen selbst in zwei Theile: in den sogenannten Vormagen oder Dr\u00fcsenmagen (Proventriculus), eine Erweiterung der .Cardia, deren W\u00e4nde zwischen Schleimhaut und Muskelhaut mit einer ganzen Schicht von gesonderten Driisens\u00e4ckchen besetzt sind, und in den Muskelmagen, welcher unmittelbar auf den erstem folgt. Bei den fleischfressenden V\u00f6geln sind die W\u00e4nde des Muskelmagens d\u00fcnner, sehr stark dagegen bei den Pflanzenfressern, wo die Muskelschicht zwei ungeheure muskul\u00f6se Schalen bildet, die an der innern Fl\u00e4che der Schleimhaut mit einer schwieligen, dicken Schicht des Epitheliums bedeckt sind. Der Dickdarm kurz und eng, besitzt an seinem Anf\u00e4nge zwei Blindd\u00e4rme, die vorz\u00fcglich bei den von Vegetabilien lebenden V\u00f6geln lang sind. Der Mastdarm \u00f6ffnet sich wie bei den Amphibien mit den Ausf\u00fchrungsg\u00e4ngen der Harnwerkzeuge und Geschlechtstbede in die Kloake.\nBei den S\u00e4ugefhieren wird vorz\u00fcglich der Unterschied der Pflanzenfresser und Fleischfresser wichtig. Der hei den V\u00f6geln vorkommende Dr\u00fcsenmagen kommt unter den S\u00e4ugethieren als gesonderte Abtheilung nicht vor, wiederholt sich bloss in der Anh\u00e4ufung mehrerer Dr\u00fcsen an der Cardia einiger S\u00e4ugethiere, wie beim Biber und Phascolomys u. a. Siehe Home Lectures on comparative Anatomy. Vol. II. Mueller de gland, secernentiurn penitiori structura. Tab. I. Fig. 9. 10.\nBei mehreren Nagethiercn, wie beim Hamster und der Wasserratte, zerf\u00e4llt der Magen bereits in zwei H\u00e4lften. Bei dem Riesen-K\u00e4nguruh unterscheidet man 3 und bei den Faullhieren selbst 4 Abtbeilungen; unter den Alfen haben die Semnopitheci einen zusammengesetzten Magen, welcher aus 8 Theilen, einer Portio cardiaca mit glatten, einfachen W\u00e4nden, einer sehr weiten sackf\u00f6rmigen Portion, und einem langen, dickdarm\u00e4hnlichen Kanal bestellt. Bei den wiederk\u00e4uenden Thieren zeigt der Magen constant 4 Abtheilungen. Die Zusammensetzung des Magens ist jedoch im Allgemeinen kein Charakter der pflanzenfressenden S\u00e4ugethiere; denn bei den Einhufern ist der Magen einfach, und die verschiedenen Regionen unterscheiden sich nur, dass die Portio cardiaca noch mit dem Epithelium der Speiser\u00f6hre \u00fcberzogen ist. Unter den dickh\u00e4utigen Thieren ist der Magen im Allgemeinen bis auf die dem P\u00e9cari und Nilpferde eigentn\u00fcmlichen Anh\u00e4nge oder sackf\u00f6rmigen Erweiterungen des Magens von einfacherer Structur. Bei den wiederk\u00e4uenden Thieren unter den Pflanzenfressern und bei den Delphinen unter den Fleischfressern hat der Magen eine auffallend zusammengesetzte Structur. Bei den Wiederk\u00e4uern, wo sich 4 Magen vorfinden, gleicht nur der letzte durch die saure Beschaffenheit seiner Absonderung dem Magen der \u00fcbrigen S\u00e4ugethiere. Die drei ersten Abtheilungen, welche noch mit Epithelium bedeckt sind, k\u00f6nnen als Abtheilungen der Portio cardiaca betrachtet werden, welche zur vorl\u00e4ufigen Erweichung der vegetabilischen Nahrung bestimmt sind. Unter diesen Abtheilungen zeichnet sich die erste grosse (Wanst,","page":486},{"file":"p0487.txt","language":"de","ocr_de":"2. Fon den Verdauungsorganen. Darmkana! im Allgemeinen. 487\nFansen) durch die vielen platten Warzen seiner innern Flache aus; in ihm sind die Nahrungsmittel noch wenig ver\u00e4ndert und werden der Einwirkung des Speichels \u00fcberlassen. Die zweite kleinere Abtheilung, welche mit der ersten in einem weiten Zusammenh\u00e4nge steht, ist der Netzmagen, durch die zellenf\u00f6rmigen, ge/\u00e4hnelten Falten einer innern Haut ausgezeichnet. Im dritten Magen, dem Bl\u00e4ttermagen, bildet die Schleimhaut eine grosse Anzahl hoher L\u00e4ngenfalten, die wie Bl\u00e4tter eines Buchs nebeneinander stehen. Das in dem ersten und zweiten Magen erweichte Futter gelangt in einer gewissen Zeit wieder nach der Speiser\u00f6hre und in den Mund zur\u00fcck; erst im wiedergek\u00e4uten, verdauten Zustande gelangt es aus der Speiser\u00f6hre in den dritten Magen, und erst von hier aus durch eine engere Oeffnung in den vierten Magen, Labmagen, welcher eine weichere Beschaffenheit seiner Schleimhaut und eine l\u00e4ngliche, fast darmartige Form besitzt. Man kann den ersten und zweiten Magen als Erweiterungen des Cardiatheils der Speiser\u00f6hre und des Magens betrachten. Durch Schliessung der Rinne, durch welche sie mit der Speiser\u00f6hre Zusammenh\u00e4ngen, kann die Speiser\u00f6hre an dem ersten und zweiten Magen vorbei, den Bissen in den dritten gelangen lassen. Unter den Cetaceen kommt die zusammengesetzte Structur sowohl bei den grasfressenden als fleischfressenden vor. Die grasfressenden Monati\u2019s haben mehrere S\u00e4cke an ihrem Magen, und die fleischfressenden Wallfische haben sogar f\u00fcnf und mehr Abtheilungen desselben.\nDer Darmkanal ist bei den fleischfressenden S\u00e4ugethieren in der Regel viel k\u00fcrzer, und der Unterschied der d\u00fcnnen und dicken Ged\u00e4rme weniger ausgepr\u00e4gt; dagegen ist der Grimmdarm bei den meisten Grasfressern sehr wmit und sehr lang. Merkw\u00fcrdige Unterschiede zeigen sich auch am Blinddarm fast durchg\u00e4ngig nach der Art der Nahrung. Dieses Darmst\u00fcck ist in der Riegel bei reissenden Thieren \u00e4usserst klein, dagegen bei den Einhufern, Wiederk\u00e4uern und den meisten Nagern ungemein lang, z. B. beim Pferd 2k Fuss lang, beim Biber 2 Fuss lang. Beispiele vom Uebergang der thierischen Nahrung in vegetabilische bilden in gewissen Lebensabschnitten die pflanzenfressenden S\u00e4ugethiere, indem sie nach der Geburt von Muttermilch ern\u00e4hrt werden; der erste Magen der Wiederk\u00e4uer ist, so lange sie noch von Milch leben, klein. Gr\u00f6sser sind die Ver\u00e4nderungen, welche der Darm des Frosches durch die Verwandlung erf\u00e4hrt. Die Larven dieser nackten Amphibien scheinen bei einem ausserordentlich langen Darmkanal vorz\u00fcglich von Vegelabilien zu leben.\nDas allgemeinste Resultat dieser Vergleichung, auf deren Detail die vergleichende Anatomie einzugehen hat, ist, dass die Verdauung der Vegetabilien ungleich grossem Aufwand thieri-scher Apparate erfordert, als die Verdauung des Fleisches. Der innige Zusammenhang, in welchem die gesammte Organisation eines Thiers zu seiner Nahrung steht, ist von Cuvier auf eine so bewundernsw\u00fcrdige Weise geschildert worden, dass ich mich nicht enthalten kann, diese Darstellung in seinen eigenen Worten, Umw\u00e4lz. d. Erdrinde, \u00fcbersetzt von Noeggerath. Botin 1830\nM\u00fclle r\u2019s Physiologie, 1,\t3^","page":487},{"file":"p0488.txt","language":"de","ocr_de":"488 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\np. 87, wiederzugeben. Cuvier sagt: Jedes lebende Wesen bildet ein Ganzes, ein einziges und geschlossenes System, in welchem alle Theile gegenseitig einander entsprechen, und zu derselben endlichen Action durch wechselseitige Gegenwirkung beitragen. Keiner dieser Theile kann sich ver\u00e4ndern ohne die Ver\u00e4nderung der \u00fcbrigen, und folglich bezeichnet und gieht jeder Theil einzeln genommen alle \u00fcbrigen. Wenn daher die Eingeweide eines Thiers so organisirt sind, dass sie nur Fleisch und zwar bloss frisches verdauen k\u00f6nnen, so m\u00fcssen auch seine Kiefer zum Fressen, seine Klauen zum Festhalten und zum Zerreissen, seine Z\u00e4hne zum Zerschneiden und zur Verkleinerung der Beute, \u00bbdas ganze System seiner Bewegungsorgane zur Verfolgung und Einholung, seine Sinnesorgane zur Wahrnehmung derselben in der Ferne eingerichtet seyn. Es muss seihst in seinem Gehirne der n\u00f6thige Instinkt liegen, sich verbergen und seinen Schlachtopfern hinterlistig auflauern zu k\u00f6nnen. Es bedarf der Kiefer, damit es fassen k\u00f6nne, einer bestimmten Form des Gelcnkkopfes, eines bestimmten Verh\u00e4ltnisses zwischen der Stelle des Widerstandes und der Kraft zum Efnterst\u00fctzungspunkte, eines bestimmten Umfanges des Schlafmuskels, und letzterer wiederum einer bestimmten Weite der Grube, welche ihn aufnimmt, und einer bestimmten Convexit\u00e4t des Jochbogens, unter welchem er hinl\u00e4uft, und dieser Bogen muss wieder eine bestimmte St\u00e4rke haben, um den Kaumuskel zu unterst\u00fctzen. Damit das Thier seine Beute forttragen k\u00f6nne, ist ihm eine Kraft der Muskeln n\u00f6thig, durch welche der Kopf aufgericlitet wird; dieses setzt eine bestimmte Form der Wirbel, wo die Muskeln entspringen, und des Hinterkopfes, wo sie sich ansetzen, voraus. Die Z\u00e4hne m\u00fcssen, um das Fleisch verkleinern zu k\u00f6nnen, scharf seyn. Ihre Wurzel wird um so fester seyn m\u00fcssen, je mehrere und st\u00e4rkere Knochen sie zu zerbrechen bestimmt sind, was wieder auf die Entwickelung der Theile, die zur Bewegung der Kiefer dienen, Einfluss hat. Damit die Klauen die Beute ergreifen k\u00f6nnen, bedarf es einer gewissen Beweglichkeit der Zehen, einer gewissen Kraft der N\u00e4gel, wodurch bestimmte Formen aller Fussglieder und die n\u00f6thige Ver-theilung der Muskeln und Sehnen bedingt werden; dein Vorderarm wird eine gewisse Leichtigkeit, sich zu drehen, zukommen m\u00fcssen, welche bestimmte Formen der Knochen, woraus er besteht, voraussetzt; die Vorderarmknochen k\u00f6nnen aber ihre Form nicht \u00e4ndern, ohne auch im Oberarm Ver\u00e4nderungen zu bedingen. Kurz, die Form des Zahns bringt die des Condylus mit sich, diejenige des Schulterblattes die der Klauen, gerade so, wie die Gleichung einer Curve alle ihre Eigenschaften mit sich bringt; und so wie man, wenn man jede Eigenschaft derselben f\u00fcr sich zur Grundlage einer besondern Gleichung n\u00e4hme, sowohl die erste Gleichung als alle ihre andern Eigenschaften wiederfinden w\u00fcrde, so k\u00f6nnte man, wenn eines der Glieder des Thiers als Anfang gegeben ist, bei gr\u00fcndlicher Kenntniss der Lebens\u00f6konomie das ganze Thier darstellen. Man sieht ferner ein, dass die Tliiere mit Hufen s\u00e4mmtheh pflanzenfressende seyn m\u00fcssen, dass sie, indem sie ihre Vorderf\u00fcsse nur zur St\u00fct-","page":488},{"file":"p0489.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Verdauungsorganen. H\u00e4ute des Darmkanals. 489\nzung ihres K\u00f6rpers gebrauchen, keiner so kr\u00e4ftig gebauten Schulter bed\u00fcrfen, woraus denn auch der Mangel des Schl\u00fcsselbeins und des Acromium und die Schmalheit des Schulterblattes sich erkl\u00e4rt; da sie auch keine Drehung ihres Vorderarms noting haben, so kann die Speiche bei ihnen mit der El-lenbogenr\u00f6bre verwachsen, oder doch an dem Oberarm durch einen Ginglymus und nicht durch eine Arthrodie eingelenkt seyn; ihr Bed\u00fcrfniss zur Pflanzennahrung erfordert Z\u00e4hne mit platter Krone, um die Samen und Kr\u00e4uter zu zermalmen; diese Krone wird ungleich seyn, und zu diesem Ende der Schmelz mit Knochensubstanz abwechseln m\u00fcssen. Da bei dieser Art von Krone zur Reibung auch horizontale Bewegung (muse, pteryg.) noting ist, so wird hier der Condvlus des Kiefers nicht eine so zusammengedr\u00fcckte Erhabenheit bilden, wie bei den Fleischfressern, er wird abgeplattet seyn und zugleich einer mehr oder weniger platten Fl\u00e4che am Schl\u00e4fenbein entsprechen; die Schl\u00e4fengrube, welche nur einen kleinen Muskel aufzunehmen hat, wird von geringer Weite und Tiefe seyn.\nb. H\u00e4ute des Darmkanals.\nDer Darm besteht aus einem ser\u00f6sen Ueberzug vom Peritoneum, aus einer darunter liegenden Muskelhaut, aus einer Tunica propria, welche eine Art Fascie oder festes Ger\u00fcste bildet, an welchem nach aussen die Muskelfasern anliegen, und nach Innen die Schleimhaut befestigt ist.\nBei vielen Fischen setzt sich die Schleimhaut der Speiser\u00f6hre durch den Luftgang der Schwimmblase in die innere Haut der Schwimmblase fort, -welche also die Natur einer Schleimhaut hat. Bei vielen Fischen fehlt jene Verbindung der Schwimmblase mit dem Schlund. (Vergl. oben pag. 310. ) Hier scheint es sonderbar, dass die innere Haut der Schwimmblase, obgleich muc\u00f6ser Natur, doch gegen das Gesetz der muc\u00f6sen H\u00e4ute einen geschlossenen Sack bildet. Diese Sonderbarkeit verschwindet indess durch die von Baer gefundene Thatsache der Entwickelungsge-schichte (FrorieFs Notizen. SIS.), indem n\u00e4mlich die Schwimmblase als eine Ausst\u00fclpung des Schlundes sich urspr\u00fcnglich bildet, bei jenen Fischen also eine Abschn\u00fcrung einer urspr\u00fcnglich stattfindenden Communication eintreten muss.\n\u00fceber den Bau der Darmzotten, jener Verl\u00e4ngerungen des Schleimh\u00e4utchens im D\u00fcnndarm, und ihr Verh\u00e4ltniss zur Resorption ist bereits fr\u00fcher in dem Capitel vom Ursprung und Bau der Lymphgef\u00e4sse p. 260 gehandelt worden. Hier sind noch die innerhalb des D\u00fcnndarms in der Schleimhaut vorkommenden Dr\u00fcsen zu erw\u00e4hnen. Man hat dreierlei Formen davon unterschieden: 1. ciie Lieberk\u00fchn\u2019schen Dr\u00fcsen. Diess sind wohl jene unz\u00e4hligen, mit dem einfachen Mikroskop erst erkennbaren L\u00f6chelchen oder Vertiefungen, welche im ganzen Laufe des D\u00fcnndarms m der Mucosa dicht neben einander Vorkommen, und bei hinreichender Vergr\u00f6sserung ihr das Ansehn eines Siebes gehen. Aon diesen Vertiefungen ist bereits oben pag. 266 gehandelt.","page":489},{"file":"p0490.txt","language":"de","ocr_de":"400 H. Buch. Organ, chcm. Fror esse. IV. Abschnitt. Verdauung.\n2. die Brunner\u2019schen Dr\u00fcsen. Sie sind besonders im obern Tbcilc des D\u00fcnndarms h\u00e4ufig, und sind mit blossen Augen erkennbare, vereinzelt stehende Folliculi. 3. die sogenannten Pcier-schen Dr\u00fcsen. Diese Organe, welche jedesmal die der Insertion des Mesenterium entgegengesetzte Stelle des Darms einnehmen, sind bis auf den heutigen Tag r\u00e4thselhaft geblieben, Aus Rudoli'hi\u2019s Abhandlung \u00fcber die Peier\u2019sehen Dr\u00fcsen (Anatom. physiol. Abhandlungen. Berlin 1802.) hat man nur das Allgemeinste von den Formverschiedenheiten dieser meistens ovalen, verdickten Stellen der Schleimhaut kennen gelernt. Da nun aber diese Organe, welche dem Ileum angeh\u00f6ren, in der neuern Zeit durch ihre krankhaften Ver\u00e4nderungen, namentlich die in ihnen sich ausbildenden Pusteln und Geschw\u00fcre, im Typhus abdominalis, von grosser Wichtigkeit geworden sind, so war eine genaue Kenntniss von der Structur dieser Theile dringend nothwendig geworden, um endlich zu wissen, was sich in jenen F\u00e4llen krankhaft ver\u00e4ndert und worin diese Ver\u00e4nderung besteht. Was ich hier mittheile, ist das Resultat der hier von Boehm \u00fcber diesen Gegenstand angestcllten Beobachtungen. Es ist bei der Genauigkeit dieser Untersuchungen \u00fcberfl\u00fcssig zu bemerken, dass ich die Beobachtungen des Verf. seihst verificirt habe. Um die Peyer\u2019schen Dr\u00fcsen zu untersuchen, darf man nur den Darmkanal ganz gesunder Menschen zum Gegenst\u00e4nde der Beobachtung w\u00e4hlen. Es ist daher besonders die Schleimhaut des Darmkanals der durch pl\u00f6tzliche Todesart Gestorbenen dazu geeignet. In vielen chronischen Krankheiten, namentlich in den Krankheiten des Darmkanals selbst, werden diese Theile sehr ver\u00e4ndert, und man erh\u00e4lt aus der Beobachtung in jenen F\u00e4llen ein durchaus falsches Bild von dem Bau dieser Theile im gesunden Zustande. Tn allen F\u00e4llen, wo die Peier\u2019sehen Dr\u00fcsen wie neben einander stehende seichte Zellen aussehen, ist der gesunde Zustand verloren; (Tenn im gesunden Zustande haben jene Organe nichts mit offenen Zellen oder Follikeln gemein. Untersucht man die Peier\u2019sehen Dr\u00fcsen von einem gesunden und durchaus frischen Darmkanal, nachdem man die Schleimhaut sanft abgewaschen und die Dr\u00fcsen mit einem weichen Pinsel vorsichtig abgepinselt hat, mit dem Mikroskop, so gewahrt man am leichtesten, dass das dichtere Ansehn der Schleimhaut an den Stellen, wo Peier\u2019sche Dr\u00fcsen sind, zumTheil von der Gr\u00f6sse und St\u00e4rke der hier befindlichen Darmzotten herr\u00fchrt, welche hier im Ganzen breiter und vorz\u00fcglich an ihrer Wurzel breiter ausgezogen sind. Die gr\u00f6ssere Dichtigkeit der Schleimhaut an jenen Steilen r\u00fchrt aber nicht bloss von der St\u00e4rke der Flocken her, sondern liegt auch in dem Gewebe der Mucosa selbst. Untersucht man den Boden der Schleimhaut der Peier\u2019sehen Dr\u00fcsen zwischen den auf ihr sitzenden Zotten, so bemerkt man, dass die in der ganzen Schleimhaut des D\u00fcnndarms vorkommenden L\u00f6eherchen oder Gr\u00fcbchen (Lieberk\u00fchn\u2019sche Dr\u00fcsen?) auch hier zwischen den Zotten in grosser Anzahl vorhanden sind, ohne sich von ihrem Verhalten irn \u00fcbrigen Theil des Darmkanals zu unterscheiden. Man sieht aber auch zwischen den Zotten gr\u00f6ssere, gegen","page":490},{"file":"p0491.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Verdauungsorganen. P'eyer sehe Dr\u00fcsen. 491\n1 Linie breite, rundumschriebene wcissc Stellen der Schleimhaut, welche beim Menschen ziemlich flach und wenig erhaben, bei den Thiereu und namentlich bei dem Hund, der Katze, dem Kaninchen ziemlich hervorragend sind, und beim llund wie weisse Papillen aussehen, in anderen Fallen einige Aehnlichkeit mit den Papillae vallatae der Zunge in ihrer Form haben, indem sie, wie Lei dem Kaninchen und bei der Katze, von einer kreisf\u00f6rmigen Furche umzogen sind und eine mehr platte Oberfl\u00e4che darbieten. Beim Menschen sind diese runden Stellen fast gar nicht erhaben, sondern flach und ohne sie umgrenzende Furchen. In allen F\u00e4llen, sowohl bei Menschen als beim Hund, bei der Katze und dem Kaninchen, sind diese runden weissen Stellen von einem Kranz, von Oeffnungen umgeben, und diese Oeffnungen sehen gerade so, aus wie die L\u00f6cherchen zwischen den Zotten auf den Peier\u2019schen Dr\u00fcsen in der \u00fcbrigen Mucosa, oder wie die Lieberk\u00fchn\u2019schen mikroskopischen Droschen. Sie unterscheiden sich von jenen nur dadurch, dass die Oeffnungen zuweilen weniger rundlich als l\u00e4nglich sind, so zwar, dass der L\u00e4ngendurchmesser dieser Ordnungen in der Richtung der Radien jener runden weissen Stellen liegt. Dieser Kranz von Oeffnungen, deren bei Menschen um eine solche Stelle gegen zehn und mehr sind, ist meistens kreisf\u00f6rmig, selten etwas unregelm\u00e4ssig. Auf den runden weissen Stellen, die hei den Thieren Paj\u00fcllen sind, sieht man in den meisten F\u00e4llen keine Spur von Oeffnungen, nur bei den V\u00f6geln gelingt es, eine kleine Oeffnung zu sehen. Ich habe diess Verhalten hei der Katze schon in meiner Schrift (De penitiori gland, structura') dargestellt, und Tab. I. Fig. 11. abgebildet,, wo noch das Eigenth\u00fcmliche vorkommt, dass um jeden Kranz der Oeffnungen herum eine s \u25a0heidenf\u00f6rmige, \u00fcberaus feine Falte verl\u00e4uft. Herr Boehm hat den Bau bei vielen anderen Thieren und dem Menschen untersucht. Die runden weissen Stellen, auf welchen keine Oeffnungen Vorkommen, sind in der Regel von Zotten entbl\u00f6sst; nur selten und ausnahmsweise bemerkt man bei Menschen auf einer oder der andern dieser runden, gegen 1 Linie grossen weissen Stellen Spuren von kurzen Zotten, oder auch zuweilen eine ganz kurze pyramidale, weissere Zuspitzung der flachen Erhabenheit; in der Regel sind diese Stellen ganz eben. Alle Versuche bei Menschen und bei S\u00e4ugethieren, aus diesen, Stellen ein Secret herauszudr\u00fccken und ihre Follicularstructur zu erweisen, sind missgl\u00fcckt; auch dringt beim Druck auf diese Stellen nichts aus den rundum stehenden Oeffnungen hervor. Um so auffallender ist es, dass, wenn man die Oberfl\u00e4che dieser Stellen aufritzt, man zu einer Aush\u00f6hlung gelangt, welche den Umfang der weissen Stelle besitzt und ziemlich tief, aber nicht so tief als breit ist; dass in dieser Aush\u00f6hlung ein grau-lichweisser, schleimiger Stoff enthalten ist, der von der ungemein d\u00fcnnen Decke dieser Stellen eingeschlossen wird. Die K\u00f6rnchen dieses Stoffes sind feiner als die gew\u00f6hnlichen Schleimk\u00f6rner. Es geht hieraus hervor, dass weit offene Folliculi und Zellen in den Peier\u2019schen Dr\u00fcsen gar nicht Vorkommen; was jene. S\u00e4ckchen sind, bleibt unbekannt. Bei den Thieren sieht mau","page":491},{"file":"p0492.txt","language":"de","ocr_de":"492 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nnach dem Abziehen der Mucosa Vertiefungen in der Tunica propria, welche dem Fundus jener Stellen entsprechen. Erst durch Zerst\u00f6rung der Oberfl\u00e4che der weissen, porenlosen Stellen entstehen Zellen oder weit offene Folliculi, wie man sie an krankhaft ver\u00e4nderten oder sogenannten Peier\u2019schen Drusen so h\u00e4ufig und leicht sieht.\nDie dritte Schicht der Verdauungswege bildet das contractile Fasergewebe oder die Muskelhaut, die ohne Unterbrechung vom Schlund bis zum After sich fortsetzt und Verl\u00e4ngerungen in die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der grossen Dr\u00fcsen schickt, indem, wie pag. 472. gezeigt worden ist, die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge dieser Dr\u00fcsen irritabel sind, und auf Reize und ohne Reize sich zusam-menziehen.\nDie ser\u00f6se Haut des Darmkanals geh\u00f6rt dem in der Bauchh\u00f6hle gelegenen Theile desselben an und entsteht dadurch, dass der Darmschlauch von aussen so in den Peritonealsack hineingeschoben ist, dass er, wie die Leber und die Milz, zugleich einen Ueberzug von dem Peritoneum erh\u00e4lt, der sich hinter dein Darm von beiden Seiten an einander legt und dadurch das Gekr\u00f6se oder Aufh\u00e4ngehand des Darms bildet. Das Gekr\u00f6se kommt an dem gr\u00f6ssten Theile des Darmkanals vor, nur das Duodenum hat kein Gekr\u00f6se. In der fr\u00fchesten Zeit des Embryolebens hat auch der Magen ein Gekr\u00f6se, wie ich (Meckel\u2019s Arch. 1830. pag. 395.) gezeigt habe. Durch merkw\u00fcrdige Ver\u00e4nderungen wird dieses Gekr\u00f6se des Magens (Mesogastrium) sp\u00e4ter zum grossen Netz, indem es sich beutelf\u00f6rmig herabsenkt; aber erst im 3\u20144. Monat des Embryolebens verw\u00e4chst das grosse Netz mit dem Colon und dem Gekr\u00f6se desselben (Mesocolon transversiun), so dass hierdurch erst jene merkw\u00fcrdige, sonst unerkl\u00e4rliche Verbindung des Magens mit dem Colon durch das grosse Netz entsteht. Eine Verbindung, die schon hei vielen S\u00e4ugethieren (Hund, Katze, Igel, Kaninchen, Pferd) fehlt, indem hei diesen das grosse Netz oder Mesogastrium sich in der hintern Unterleihswand inserirt, und von dem Mesocolon transversum ganz verschieden ist. Im Anf\u00e4nge, und zwar in der 4. und 5. Woche des Embryolebens des Menschen, hat der Magen noch eine fast senkrechte Lage, indem die kleine Curvatur nach rechts, die grosse nach links liegt, und der Pylorus nach abw\u00e4rts gerichtet ist; so ist auch die Befestigung des Magens an die hintere Bauchwand noch eine senkrechte Falte, welche von der Mittellinie der Wirbels\u00e4ule ausgeht, sich nach links gegen die grosse Curvatur des senkrechten Magens wendet und sich hier ansetzt, um mit ihren zwei Bl\u00e4ttern den Magen zwischen sich zu nehmen, so dass sich das linke Blatt dieser Falte \u00fcber die vordere, das rechte \u00fcber die hintere Fl\u00e4che des Magens umbiegend fortsetzt. An dem obern Theile der kleinen Curvatur treten die Bl\u00e4tter wieder zusammen und bilden vereinigt eine Falte zur Leber.\nDiese von der Mittellinie hinten ausgehende doppeltbl\u00e4ttrige Falte des Bauchfells, welche sich links wendend die. grosse Curvatur des senkrechten Magens erreicht, und diesen zwischen sich","page":492},{"file":"p0493.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Verdauungsorganen. Netz.\n493\nnimmt, ist jetzt noch ein wahres Magengekr\u00f6se, welches ich, so lange es als solches besteht, Mesogaslrium nenne.\nDa nun der Ausgang dieses Magengekr\u00f6ses jetzt noch in der Mittellinie der hintern Bauchwand ist, das Mesogastrium aber, um die grosse Curvatur des Magens zu erreichen, sich nach links wendet, so entsteht durch dieses Mesogastrium hinter dem Magen ein Beutel von halbmondf\u00f6rmiger Form, und zwar ein Sack, dessen Eingang an dem untern Theil der kleinen Curvatur rechts ist, dessen vordere Wand der Magen seihst, dessen hintere Wand das Mesoeastrium ist.\nDer Eingang in diesen Beutel des Mesogastrium rechts unter der Leber, unter der Falte, welche von der kleinen Curvatur ;.n die Leber geht, ist noch sehr gross; er ist das sp\u00e4tere Foramen Winslowii. Nach oben wird dieser Eingang etwas bedeckt, dadurch eben, dass das Peritoneum von der sp\u00e4tem Fossa hepatis transversa faltenf\u00f6rmig, als Ligamentum gastrohepaticum zur kleinen Curvatur des Magens tritt, um sich \u00fcber den Magen in die Bl\u00e4tter des Mesogastrium fortzusetzen.\nIndem aber der Magen sehr fr\u00fch sich platt legt, wird die Dichtung des Mesogastrium von der des Mesenterium verschieden; denn das Mesenterium, so lange es noch senkrecht ist, trennt die Bauchh\u00f6hle zu seinen Seiten hinten in einen gleichen rechten und linken Theil; das Mesogastrium aber geht zwar auch senkrecht von der Mittellinie aus, tritt aber nach links an die grosse Curvatur des Magens, und bildet, statt auf beiden Seiten des Magens gleiche R\u00e4ume, vielmehr zu seiner Rechten hinter dem Magen einen blinden Beutel mit rechter Oeffnung, w\u00e4hrend die der linken Seite des Darms entsprechende Seite des Magens zur vordem geworden ist.\nDer hinter dem Magen befindliche Beutel beh\u00e4lt seine Form, nur wird der Eingang in diesen Beutel auf der rechten Seite unter der Leber kleiner, je mehr die von der Leber zur kleinen Curvatur gehende Falte des Peritoneum sich herabzieht, der Pylorus aber sich mehr gegen die Leber aufrichtet, und der Magen \u00fcberhaupt aus seiner senkrechten Lage in eine schiefe \u00fcbergeht. So lange der Magen senkrecht steht, ist die Ausgangsstelle oder Insertion des Mesogastrium hinten auch senkrecht in der Mittellinie vor der Wirbels\u00e4ule, indem es von hier links nach der grossen Curvatur des Magens sich wendet und rechts den beschriebenen Peritonealbeutel l\u00e4sst. Indem aber die grosse Curvatur allm\u00e4hlig mehr zur untern, die kleinere Curvatur zur obern wird, ver\u00e4ndert auch das Mesogastrium allm\u00e4hlig seine Insertion an die hintere Bauchwand, und r\u00fcckt aus der mittlern senkrechten mehr in eine schiefe Richtung nach links. Zugleich wird der durch das Mesogastrium gebildete Beutel da, wo er mit seinen Lamellen an die grosse Curvatur des Magens tritt, unten etwas verl\u00e4ngert und dieser von dem Magen aus sich verl\u00e4ngernde Thea des Beutels wird etwas runzlig.\nWenn sich nun endlich in der Lagen Ver\u00e4nderung des Magens die Insertion des Mesogastrium aus der senkrechten Richtung schiel' nach links gewendet hat und zuletzt zum Theil quer","page":493},{"file":"p0494.txt","language":"de","ocr_de":"404 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV.AhschnUt. Verdauung.\nwird, so r\u00fcckt der in dem Peritonealbeutel des Mesogastrium und Netzes eingeschlosSene Raum ebenfalls immer mehr nach der linken Seite und in die Quere, und es entsteht vollends der obere hintere Peritonealraum hinter dem Magen, wahrend dieser Raum fr\u00fcher ganz zur rechten Seite des beutelf\u00f6rmigen Mesogastrium war.\nNoch sind das Mesogastrium oder grosse Netz, und das Mesocolon transversum in keiner Communication als mittelbar durch die hintere Peritonealwand, in welche die Blatter des Mesogastrium und Mesocolon \u00fcbergehen. Allein je mehr das Colon sich bogenf\u00f6rmig aufstellt und h\u00f6her gegen den Magen hinaufr\u00fcckt, der Peritonealbeutel des grossen Netzes oder Mesogastrium aber sich tiefer aussackt, und seine schiefe Insertion in die hintere Peritonealwand herabr\u00fcckt, kommen sich die Insertion des Mesogastrium ;oder grossen Netzes und die Insertion des Mesocolon transversum immer n\u00e4her. Auf diese Art wird das zwischen der Insertion des Mesogastrium oder Netzes und Mesocolon transversum liegende St\u00fcck der hintern Peritonealwand immer kleiner und mehr und mehr als Fortsetzung der \u00e4ussern Lamelle des Netzbeutels herabgezogen, bis der Zwischenraum zwischen der Insertion des Mesogastrium oder grossen Netzes und des Mesocolon transversum gleich Null wird. Diese Ann\u00e4herung schreitet von rechts nach links vor, weil die Insertion des Mesogastrium eine nach links aufsteigende schiefe Linie ist.\nDiese Verwachsung ist zuerst von Meckel entdeckt und von mir best\u00e4tigt worden. Zuletzt scheint nun das Netz hinten an das Colon transversum selbst sich zu inseriren. Dann geht die innere Lamelle des Netzbeutels \u00fcber die obere Seite des Colon transversum in die obere Platte des Mesocolon transversum, und sofort in die hintere obere Peritonealwand \u00fcber; die \u00e4ussere Lamelle des Netzbeutels, welche von der vordem Fl\u00e4che des Magens kommt, scheint dann \u00fcber die untere Seile des Colon transversum in die untere Platte des Mesocolon \u00fcberzugehen, obgleich sie nur am Colon transversum verwachsen ist.\nDie Bedeutung des Netzes f\u00fcr die Function der Verdauungsorgane kann auf keinen Fall gross seyn , da es schon bei meh-rern S\u00e4ugelhieren seine anatomischen Verbindungen aufgiebt und sich als ein blosses schlaffes Band des Magens beweist.\nIII. Capit eh Von den Bewegungen des Darmkanales.\nDie Muskelhaut des Darmkanals geh\u00f6rt z\u00fc den von dem Nervus sympathicus abh\u00e4ngigen, unwillk\u00fcbrlich beweglichen Theilen, auf welche das Nervensystem der willk\u00fchrlichen Bewegungen keinen unmittelbaren, sondern lirnitirten Einfluss hat, wie er sich in den mannigfaltigen Sympathieen dieses Apparates mit dem Gehirn und R\u00fcckenmarke \u00e4ussert. Nur am Anf\u00e4nge und Ende dieses unwill-k\u00fchrlich beweglichen Apparates ist er mit Muskeln versehen, die dem Cerebrospinalnervensystem unterworfen und willk\u00fchrlich beweglich sind. Diess sind die Muskeln des Mundes, die Kau- und Schlundmuskeln einerseits und die Aftennuskcin andrerseits. Der","page":494},{"file":"p0495.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Schlingen. 495\nSchlund ist noch willk\u00fchrlich beweglich, die Speiser\u00f6hre nicht mehr, obgleich der Nervus vagus beide versieht. Diess sonderbare Factum lasst sich auf doppelte Art erkl\u00e4ren, entweder 1. dadurch, dass man annimmt, dass der untere Theil des Nerv, vagus, welcher die Plexus oesophagi bildet, durch die Verbindungen mit dem Nervus sympathicus seinen willk\u00fchrlichen Einfluss verliert, oder 2. dass man nach der Hypothese von Arnold, Scarpa und Bischoff (JSicrvi accessorii anatomia et physiologia. lleidelb.) annimmt , die motorische Kraft des N. vagus sey diesem \u00fcberhaupt nicht original eigen, sondern komme ihm von dem Nervus accessorius , w\u00e4hrend der N. vagus selbst bloss Empfindungsnerve sey, wonach dann die Bewegungs\u00e4ste des N. vagus, n\u00e4mlich Nervus pharyngeus und Nervi laryngei von dem N. accessorius ihre motorische Kraft erhielten, der untere Theil des. N. vagus aber keine motorische Kraft bes\u00e4sse, womit denn allerdings die Tliat-sache \u00fcbereinstimmen w\u00fcrde, dass man nach Magendie\u2019s und meinen Versuchen durch auf den N. vagus applicirte Reize durchaus keine Bewegungen des Magens hervorbringen kann. Tiedemann und Gmelin wollen auf mechanische Reize des N. Vagus zwar solche beobachtet haben. Ich habe indess diese Versuche zu oft an S\u00e4ugethiercn (Kaninchen, Hunden) und V\u00f6geln angestellt, und muss annehmen, dass in dem TiEDEMANN\u2019schen Falle ein Beobachtungsfehler stattgefunden habe. Welche jener beiden Hypothesen, von dem verschiedenen Verhalten des N. vagus am Schlunde und an der Speiser\u00f6hre, richtig ist, l\u00e4sst sich bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse noch nicht sicher entscheiden. Man sehe das N\u00e4here \u00fcber die Physiologie des N. vagus im 3. Buch.\nDen Mechanismus des Saugens, Ergreifens und Rauens setze ich als bekannt voraus. Vergl. Treviranus Biologie. T. 4. R\u00e4th-selhaft m\u00fcssen die inneren Gr\u00fcnde solcher instinktm\u00e4ssigen Handlungen, wie das unmittelbare Saugen der Neugebornen seyn. Es ist hier schwer, sich vorl\u00e4ufig mit Cuvier\u2019s Antwort \u00fcber Instinkt zufrieden zu stellen, dass diese auch noch so jungen Thiere durch einen in ihrem Gehirn sich mit Nothwendigkeit wiederholenden Traum von Bildern zu solchen Handlungen gen\u00f6thigt sind, eine gleichsam angeborne Idee, welche von ihrer Organisation und ihren Bed\u00fcrfnissen ausgeht, wie die Gleichung einer Curve alle Eigenschaften der letztem mit sich bringt. Man kann sich indess vorl\u00e4ufig auch mit der Antwort begn\u00fcgen, dass in dem Sensorium des S\u00e4uglings ein unwiderstehlicher Trieb zur Ausl\u00fchrung m\u00f6glicher Saugbewegungen ist, so dass S\u00e4uglinge auch an ihren eigenen Lippen saugen und abgeschnittene K\u00f6pfe ganz junger Thiere noch die dargebotenen Finger umfassen, wie Mayer gesehen.\nAusf\u00fchrlicher werden hier nun die Schlingbewegungen, die Bewegungen des Magens, des Wiederk\u00e4uens, das Erbrechen und Aufst\u00f6ssen, die Bewegungen der Ged\u00e4rme und die Ausleerung der Speisereste abgehandelt.\n1) Schlingen.\nDas Sehlingen li\u00e2t drei Akte; in dem ersten passiren die von der Zunge zu einem Bissen gesammelten Theile zwischen der","page":495},{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"496 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nOberfl\u00e4che der Zunge und dem Gaumengew\u00f6lbe bis hinter die vorderen Bogen des Gaumens, im zweiten Acte gelangt der Bissen bis \u00fcber die Constrictoren des Schlutides hinaus, im dritten passirt er die Speiser\u00f6hre. Diese drei Acte erfolgen \u00fcberaus schnell hinter einander; der erste wird von den der willk\u00fchrli-chen Bewegung f\u00e4higen Muskeln der Zunge unter dem Einfl\u00fcsse der Nervi hypoglossus und glossopharyngeus mit Willkiihr ausge\u00fcbt, der zweite Act erfolgt zwar unter Mitwirkung von Muskeln, die zum Theil auch der willk\u00fchrlichen Bewegung f\u00e4hig sind, wie der oberen und unteren Gaumenmuskeln, ist aber doch eine un-willk\u00fchrliche Bewegung; denn die Bewegungen zum zweiten Acte des Sehlingens erfolgen unwiderstehlich, sobald man durch die Zunge einen Bissen oder Getr\u00e4nk oder Speichel bis an eine gewisse Stelle der Zunge gebracht.\nDer dritte Act wird unwillk\u00fchrlich von Bewegungen ausgef\u00fchrt, welche auch sonst nicht willk\u00fchrlich seyn k\u00f6nnen.\nDie Ausf\u00fchrung des zweiten Actes ist eine sehr zusammengesetzte Operation, wor\u00fcber die Schrifsteller der verschiedensten Meinung sind. Zur Einsicht desselben ist vorz\u00fcglich eine richtige Ansicht von den Stellungen der Bogen des Gaumensegels in den verschiedenen Bewegungen desselben n\u00f6thig. Der Gaumen hat bekanntlich zwei untere Muskelbogen, den vorderen durch die aus den Muse, glossopalatini gebildeten Schenkel, den hintern durch die aus den Muse, pharyngopalatini gebildeten Schenkel. Die Schenkel des vordem und hintern Bogens weichen jeder-seits von einander und haben die Mandeln zwischen sich, indem der Schenkel des vordem Bogens sich an die Zunge, der Schenkel des hintern Bogens sich nach hinten und abw\u00e4rts an den Schlund anschliesst; im Gaumen selbst convergiren jederseits die Schenkel des vordem und hintern Bogens, und daher kann man sich die Uvula als im Mittelpunkt der Convergenz oder als im Mittelpunkt eines von jenen Muskelbogen ausgef\u00fchrten Kreuzgew\u00f6lbes denken. Ueber die Wirkung dieser Muskeln li\u00e2t neuerlich Dzondi [die Functionen des weichen Gaumens. Halle 1831.) mehr Licht verbreitet. Die Wirkung des vordem Bogens ist, in Verbindung mit der Zunge, die eines Schliessmuskels, und der vordere Bogen f\u00fchrt mit Beeilt den Namen Constrictor isthmi faucium. Dieselbe Wirkung \u00e4ussert auch der hintere Muskelbogen, wenn seine oberen und unteren Insertionspunkte fest sind. Wenn aber das Gaumensegel durch den Muse. tens, veli palatini fixirt ist, wenn die unteren Schenkel sich durch Zusammenziehung des Schlundes selbst einander n\u00e4hern, so muss die Contraction der Muse, pharyngopalatini bewirken, dass sich die hinteren Bogen des Gaumensegels wie zwei Vorh\u00e4nge von den Seiten einander n\u00e4hern und den Durchgang zwischen den hinteren Gaumenbogen zu einem ritz\u00e4hnlichen Schlitze machen; welcher unten sich erweitert. Dzondi hat nun bewiesen, dass diese Ann\u00e4herung der Seiten des hintern Gaumenbogens oder des hintern Gaumenvorhangs im Schlingen fast bis zur Ber\u00fchrung erfolgt, und in der That kann man sich \u00fcberzeugen, wenn man bei untersuchendem Finger zu schlingen versue ht, oder wenn man am Spiegel, bei herabgedr\u00fcckter Zunge Schling-","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Schlingen. 497\nversuche macht, dass diese Ann\u00e4herung wirklich erfolgt und dass die Musculi pharyngopalatini, durch diese Ann\u00e4herung, den Weg des Bissens von dem obersten Theil des Rachens und den Choa-nen mit einem herahh\u00e4ngenden und schief nach hinten und unten geneigten Planum inclinatum absperren. Das Z\u00e4pfchen ist hierbei erschlafft und liegt hei der Ann\u00e4herung der Schenkel des hintern Gaumenvorhangs vor der \u00fcbrigbleibenden Ritze. Ich habe diese Versuche wiederholt und sie best\u00e4tigt gefunden. Es ist also unrichtig, wenn die meisten Schriftsteller behaupten, die Abschliessung der Choanen von dem Schlund geschehe beim Schlingen durch Hinaufziehen des Gaumensegels, eine Bewegung, wodurch \u00fcberhaupt beide nicht vollkommen von einander abgeschlossen werden k\u00f6nnen. Bei allen Bewegungen, wo der Nasenkanal von dem Mundkanal excludirt wird, geschieht diess durch die schon beschriebene Bewegung der Ann\u00e4herung der Schenkel des hintern Gaumenbogens, oder, wie Dzondi sagt, des hintern Gaumen Vorhangs.\nDer Mechanismus des Sehlingens ist demnach, nach Dzondi, folgender. Im ersten Act wird der Bissen durch Anpressen der Zunge an den Gaumen bis hinter die Gegend des vorderen Gaumenbogens gebracht. Im zweiten Act bewirkt die Zunge, indem sie sich nach hinten zur\u00fcckzieht, und der sich hinter dein Bissen zusammenziehende Muskel des vordem Gaumenbogens oder de\u00bb Constrictor isthmi faucium, die weitere Bewegung. Die Direction der Bewegung wird bestimmt durch die W\u00e4nde des Rachens in diesem Moment. Durch die Zur\u00fcckbiegung der Zungenwurzel wird der Kehldeckel auf den Eingang des Kehlkopfs, der gehoben und nach vorn unter die Wurzel der Zunge geschoben wird, gedr\u00fcckt, und der Bissen gleitet ohne Gefahr der Stimmritze weiter. Da nun im zweiten Act auch die Ann\u00e4herung der Schenkel des hintern Gaumenhogens eintritt, so ist der Weg in die Choanen und den obern Theil des Rachens abgesperrt, und der Bissen gleitet von dem Planum inclinatum des hintern Gaumenvorhanges in den ihm angen\u00e4herten Schlund, durch dessen Contraction er in die Speiser\u00f6hre weiter gelangt. Bei dieser Bewegung sind die Zunge, die Muskeln des vordem und hintern Gaumenbogens und die oberen Muskeln des Gaumensegels (durch Anspannung und FixaLion des Gaumensegels) und die Constrictores pha-ryngis zugleich th\u00e4tig, w\u00e4hrend das Gaumensegel weder herabgezogen, noch hinten aufgezogen, sondern nur angespannt und ein wenig gehoben ist. Siehe Dzondi /. c. Tab, IV.\nIn der Speiser\u00f6hre, welche keiner willk\u00fchrlichen Bewegung f\u00e4hig ist, wird jede erweiterte, den Bissen aufnehmende Stelle von dem Bissen zur Contraction gereizt; diese wellenf\u00f6rmig fortschreitende Contraction erfolgt, wie man namentlich bei Pferden beim Trinken sieht, \u00fcberaus schnell; nur bei grossen Bissen und zu h\u00e4ufigem Schlingen ist die Bewegung langsam, und man f\u00fchlt das schmerzhafte Fortr\u00fccken. Der Bissen und das Getr\u00e4nk sind hierbei in jedem Moment von contractilen W\u00e4nden eiugeschlos-sen, die sich an den Bissen anlegen. Diess f\u00e4llt weg, wenn die","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nSpeiser\u00f6hre hei Sterbenden bereits gel\u00e4hmt ist, wo das Getr\u00e4nk mit Rollern hindurchf\u00e4llt.\nDie Bewegungen des dritten Actes sind rein unwillk\u00fchrlich, und werden von Muskelfasern der Speiser\u00f6hse ausgef\u00fchrt, welche keiner Spur willk\u00fchrlicher Bewegungen f\u00e4hig sind. Die im zweiten Act th\u00e4tigen Muskeln sind willk\u00fchrlicher Bewegungen f\u00e4hig, wie die Muskeln der Zunge und des Gaumens und Schlundes, und in der That kann man auch ohne Bissen, wenn der Rachen nur feucht ist, willk\u00fchrlich schlingen (obgleich nicht oft hinter einander). Man kann ferner einen Theil dieser Bewegungen, wie z. B. das Ann\u00e4hern der Schenkel des hintern Gaumen-bogens, willk\u00fchrlich veranlassen, ohne dass es zum Schlingen kommt. Man kann sogar am Spiegel sich \u00fcberzeugen , dass wir einigen willk\u00fchrlichen Einfluss auf die Muskeln des Sehlundkopfes ausser dem Schlingen haben. Allein wenn mehrere dieser Bewegungen (z. B. die der Zunge und des hintern Gaumenbogens) zu gleicher Zeit willk\u00fchrlich oder durch Reiz vorgenommen werden, so folgen die Bewegungen der ganzen zum Schlingen geh\u00f6rigen Muskelgruppe mit den Constrictoren von selbst, und jeder bis an eine gewisse Grenze im Munde gekommene Theil von Getr\u00e4nk, Bissen, Speichel muss unwiderstehlich verschlungen werden.\nDas Verschlingen der wahren Schlangen, welche ihre Oberkiefer einigermassen, wie die H\u00e4lften des Unterkiefers von einander entfernen k\u00f6nnen und durch ihre langen, an beweglichen Ossa temporalia aufgeh\u00e4ngten Gelenkbeine f\u00fcr den Unterkiefer den Rachen ungeheuer erweitern k\u00f6nnen, ist, wie Rudolphi richtig bemerkt, ein Her\u00fcberziehen der Schlingwerkzeuge \u00fcber die grosse Beute.\nMagendie (M\u00e9moires sur l\u2019usage de l\u2019c/nglotte dans la d\u00e9glutition. Paris 1813.) hat best\u00e4tigt, was schonGaeekus berichtet, dass sich die Stimmritze seihst beim Schlucken scldiesst. Er ist aber wohl zu weit gegangen, wenn er glaubt, aus Versuchen anThie-ren, die Entfernung des Kehldeckels hebe das Schlingen nicht auf. Wenn man diess auch zug\u00e4be, so ist es eben so gewiss aus den zahlreichen Beobachtungen \u00fcber Verlust des Kehldeckels durch Kehlkopfschwindsucht und Reichel\u2019s Versuche, de usu epi-glottidis. Berul. 1816., dass das Schlingen hierdurch sehr beschwert wird. Vergl. Rudolphi, Physiol. 2. p. 378. Lund, Vioi-sectionen. Kopenhagen 1825. p. 9. Bei den walllischartigen Thie-ren ist der obere, hier schnabelf\u00f6rmige Theil des Kehlkopfs gegen die Nasenh\u00f6hlen heraufgezogen. Die Speisen gelangen hier durch den Druck der Zunge zu den Seiten des Kehlkopfes in den Schlundkopf. Den \u00fcbrigen Thieren, ausser den S\u00e4ugethie-ren, fehlt das Gaumensegel und in der Regel auch der Kehldeckel.\n2. Bewegungen der Speiser\u00f6hre.\nMagendie hat eine eigenth\u00fcinliche Beobachtung \u00fcber die rhythmischen Zusammenziehungen des untersten Theils der Speiser\u00f6hre ausser dem Schlingen gemacht, welche ich best\u00e4tigt habe. Diese Zusammenziehungen geschehen von oben nach der Cardia hinab und schnell, dauern ungef\u00e4hr 3\u00f6 Secunden und nach Ma-","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Speiser\u00f6hre. 499\nGF.Nnrr. um so l\u00e4nger (bis 10 Minuten), je voller der Magen ist. T) ie Zusammenziehung gebt, nach meiner Beobachtung, allm\u00e4hlig in Erschlaffung \u00fcber, worauf wieder die Zusammenziehung folgt. Magendie konnte zur Zeit der letztem nichts vom Contention des Magens in' die Speiser\u00f6hre treiben, w\u00e4hrend bei der Erweiterung die Fl\u00fcssigkeiten durch ihre blosse Schwere hineinglitten. Was auf diese Art in die Speiser\u00f6hre gelangte, wurde entweder (obgleich nur selten) ausgeworfen oder (gew\u00f6hnlich) durch die Zusammenziehungen der Speiser\u00f6hre in den Magen wieder zur\u00fcck-getrieben. Man darf sich daher die Cardia nicht jederzeit gleich stark geschlossen denken; hei Dvspejasie scheint die Erschlaffung noch h\u00e4ufiger zu seyn, und es ist hieraus die Eructation, das Auf-stossen von Luft und Speisen erkl\u00e4rlich, sey es, dass die Zusammenziehungen des Magens im Moment der Oeffnung der Cardia den Inhalt hervortreiben oder die mit der Zusammenziehung desZwerch-fells erfolgte Verkleinerung der Bauchh\u00f6hle einen Druck auf den Magen anbringt.\nMagendie\u2019s, Legalt.ois\u2019s und Beclard\u2019s Versuche haben gezeigt, dass die Speiser\u00f6hre beim Erbrechen in einer dem Schlingen entgegengesetzten antiperistaltischen Bewegung ist. Bei dem Erbrechen, welches durch Einsprilzen von Brechweinstein in die Venen erfolgt, sahen sie die Bewegungen der Speiser\u00f6hre, auch nachdem sie vom Magen getrennt worden. Lund 1. c. p. 15.\n3) Bewegungen des Magens.\nSo energisch die Zusammenziehungen der starken Magenmuskeln bei den k\u00f6rnerfressenden V\u00f6geln seyn m\u00fcssen, so gewiss die mechanische Gewalt in dem mit Z\u00e4hnen bewaffneten Magen vieler Crustaceen und Orthopteren unter den Insekten wirkt, so schwach sind die Bewegungen des membran\u00f6sen Magens im gesunden Zustande. Man sieht zwar hei Vivisectionen von Hunden, Kaninchen, dass die Magenw\u00e4nde nicht schlaff den Mageninhalt umschliessen, aber der Magen zeigt den auffallendsten Con-strast gegen die unaufh\u00f6rlichen peristaltischen Bewegungen der Ged\u00e4rme, die sie besonders auf den Reiz der atmosph\u00e4rischen Luft annehmen. Bei den Wiederk\u00e4uern, wo sich \u00f6fter aus verschluckten Haaren Haarb\u00e4lle bilden, welche deutliche Spuren einer drehenden oder Cirkelbewegung zeigen, muss die Bewegung des Magens st\u00e4rker seyn.\nDie Reizung des N. vagus durch Galvanismus, bei Kaninchen, Hunden und fleischfressenden V\u00f6geln, scheint gar keinen Einfluss auf den Magen zu \u00e4ussern, eben so wenig, wie die Reize des Ganglion coeliacum bei Kaninchen. Nur Reize auf den Magen selbst angew'endet, bewirken sogleich Zusammenziehung.\nEs geht hieraus hervor, wie sehr sich diejenigen t\u00e4uschen, welche hei der Zerkleinerung der Speisen auf die Bewegungen des Magens viel rechnen. Die peristaltischen Bewegungen des Magens habe ich nie deutlich gesehen, ich beschreibe sie daher nach Magendie, Free. clement, de physiol. 2. ed. 2. p. hl. ln der ersten Zeit der Verdauung bleibt der Magen gleichf\u00f6rmig ausgedehnt, sp\u00e4ter zieht sich die Portio pylorica in ihrer ganzen Ausdehnung zusammen, wo sich die in Speisebrei verwandelten Nahrungsmittel","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nanh\u00e4ufen, w\u00e4hrend die weniger alterirten Stoffe in der Portio splenica sich befinden. Die peristaltischen Bewegungen, die sich nach Magendie auch nach Durchschneidung der N. vagi fortsetzen, sind folgende. Nachdem der Magen einige Zeit unbeweglich gewesen, zieht sich der Anfang des Duodenums zusammen, ebenso der Pylorus lind die Portio pylorica; diese Bewegung treibt den Chymus gegen den Fundus. Darauf dehnt sich der Magen wieder aus und nun contrahirt sich die Portio pylorica von der linken zur rechten und treibt den Chymus gegen das Duodenum, wo er durch den Pylorus durchgeht, wenn die Speisen die geh\u00f6rige Aufl\u00f6sung im Magen erlitten haben. Diese Bewegungen wiederholen sich einige Mal, darauf h\u00f6ren sie auf, um sich nach einer bestimmten Zeit zu wiederholen. Ist der Magen voll, so beschr\u00e4nkt sich die Bewegung auf die dem Pylorus zun\u00e4chst gelegene Partie, in dem Maass als er sich entleert, dehnt sich die Bewegung aus und zeigt sich auch in der Portio splenica, wenn der Magen fast leer ist.\nSchultz {de alimentorum concoctione. Berol. 1S34.) nimmt an, dass die Bewegung des Magens hei Thieren mit st\u00e4rkerem Fundus so stattfinde, dass die Speisen innerhalb der beiden Curva-turen Cirkel beschreiben, wie heim Kaninchen und beim Pferd, w\u00e4hrend bei den reissenden Thieren mit geringerm Fundus die Speisen abwechselnd gegen den Pylorus hin und wieder zur\u00fcck-getrieben werden; daher sollen die ersteren Tbiere schwer, die letzteren leichter brechen.\nBeaumont hat die Bewegungen des Magens an einem Menschen beobachtet, der von einer .Schusswunde ein ansehnliches Loch im Magen behielt, dessen R\u00e4nder mit den Rauchw\u00e4nden verwachsen waren. W. Beaumont experiments and observations on the gastric juice and the physiology of digestion. Boston 1834.\nAusser der Verdauung ist der Magen zusammengezogen. Sobald die Speisen in den Magen getreten, bewegen sie sich aus dem Fundus von links nach rechts entlang der grossen Curvatur, dann entlang der kleinen Curvatur von rechts nach links. Diese Bewegungen sah er auch an den Ortsver\u00e4nderungen, welche die Kugel des in den Magen gebrachten Thermometers erlitt. Die Umw\u00e4lzungen sind in 1 \u2014 3 Minuten vollendet. Sie nehmen mit dem Fortschritt der Chymification an Schnelligkeit zu.\nNach Beaumont finden in der Portio pylorica am Anfang des conischen Theils derselben 3 \u2014 4 Zoll von dem d\u00fcnnen Ende eigenth\u00fcmlicbe Contraction en und Relaxationen statt; der an diese Stelle gebrachte Bulbus des Thermometers wurde von Zeit zu Zeit festgehalten und 3 \u2014 4 Zoll weit gegen den Pylorus hingezogen. A. a. O. p. 113.\nIm Anfang der Verdauung scheint der Pylorus ganz verschlossen. Die Verschliessung des Pylorus kann so stark seyn, dass nach Wepfer, Tiedemann und Gmelin selbst aus dem ausgeschnittenen Magen nichts entweicht. Nach Adernethy gehen beim Menschen anfangs nicht einmal leicht Getr\u00e4nke durch den Pylorus, er fand bei einer Person, die sich durch Opium vergiftet und der man w\u00e4hrend des Lehens viel Fl\u00fcssigkeit einge-","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Wiederk\u00e4uen. 501\nfl\u00f6sst hatte, alle Fl\u00fcssigkeit nach dem Tode noch im Magen. Nach Magendie wird durch den Magen schon der gr\u00f6sste Theil der Fl\u00fcssigkeit aufgesogen; doch soll heim Pferde das Wasser schnell durch den Pylorus durchgehen und bis in das ger\u00e4umige Coecum gelangen, so wie auch das Futter zum Theil unaufgel\u00f6st schon durch den Pylorus durchgeht. Colem*.n liess ein Pferd viel Wasser trinken; nach 6 Minuten fand mandas Wasser schon durch den Pylorus und die d\u00fcnnen Ged\u00e4rme bis in das Coecum gelangt. Arernethy physiol. Lect. 180. Gegen das Ende der Verdauung scheint der Pylorus dem Andr\u00e4ngen eine schw\u00e4chere Resistenz entgegenzusetzen; dann bekanntlich \u00f6ffnet er sich auch f\u00fcr unverdaute Dinge, wie Kirschkerne und andere gr\u00f6ssere K\u00f6rper. Home\u2019s Meinung von einer mittlern Einschn\u00fcrung des Magens w\u00e4hrend der Verdauung ist nicht bewiesen. Tiedemann hat nichts davon hei Hunden gesehen, ich auch nicht.\n4) Wiederk\u00e4uen.\nRei den wiederk\u00e4uenden Thieren f\u00fchrt die Speiser\u00f6hre unmittelbar zugleich in den ersten (Pansen) und zweiten Magen (Haube). Die Speiser\u00f6hre setzt sich aber durch einen Halbkanal in den dritten Magen fort. Nach Flourens neuen Beobachtungen am Schafe (Reime encyclop\u00e9dique Baris, Noo, 1831. pag. 542. ) gelangt das Futter beim ersten Verschlingen, gleichviel ob Gras, Hafer, R\u00fcben, in den ersten und zweiten Magen zugleich. Als man einem Schaf einen Brei von gek\u00e4uten R\u00fcben gab, drang diese feinere Masse in die beiden ersten Magen, und ein kleiner Theil auch in den dritten Magen. Aus dem ersten und zweiten Magen gelangen die vorl\u00e4ufig dort von dem Speichel und den Absonderungen dieser M\u00e4gen erweichten Speisen durch eine Art Eructation wieder in den Mund, und werden zum zweiten Mal gekaut, worauf sie wieder verschluckt werden. Was nach der zweiten Deglutition geschieht, hat nun Flourens so auszumitteln gesucht, dass er an verschiedenen Thieren einen Anus contra naturam an den verschiedenen M\u00e4gen anlegte. Die Oeff'nung, welche er schliessen konnte, erlaubte ihm zu beobachten, was in dem Magen vorging. Beim Verschlingen nach der Rumination gelangt ein Theil des Wiedergek\u00e4uten zwar auch noch in den Pansen und in die Haube, aber ein grosser Tbeil folgte der Halbrinne der Speiser\u00f6hre und in den dritten Magen. Flourens erkl\u00e4rt den verschiedenen Weg der Speisen nach der ersten und zweiten Deglutition auf folgende Art. Bei der ersten Deglutition ist der Bissen volumin\u00f6s, er erweitert die Speiser\u00f6hre (auf Kosten jenes Halbkanals), und gelangt noth wendig in den ersten M\u00e4gen. Beim zweiten Schlingen sind die Speisen weich und folgen ohne Ausdehnung der Speiser\u00f6hre der ihnen sich anweisenden Rinne, wobei jedoch auch wieder ein kleiner Theil in den ersten Magen gelangen kann. Wenn die von Magendie und mir hei Thieren beobachteten rhythmischen, sich wiederholenden und eine geraume Zeit anhaltenden Zusammenziehungen des untern Theils der Speiser\u00f6hre auch hei den Wiederk\u00e4uern stattfinden, so m\u00fcssen sie die Lefzen des Halbkanals, der in den dritten Magen f\u00fchrt, zu einem ganzen Kanal formiren, in welchen alles","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502 II. Euch. Organ, chcm. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nfern Zertheilte eindringt, der aber von volumin\u00f6sen Bissen (bei der ersten Deglutition) ausgedehnt werden muss. Vergl. Berthold, Beitr\u00e4ge zur Anat., Zootomie und Physiol. Giitt. 1831.\nIn Hinsiebt des Erbrechens fand Flourens, dass w\u00e4hrend die beiden ersten M\u00e4gen leicht die Speisen zum Wiederk\u00e4uen austreiben, der vierte Magen, durch welche das Erbrechen stattfindet, ausserordentlich schwer zu dieser Bewegung bestimmt wird. Mcm. de l\u2019acad. des sc. T. 12.\n5) Erbrechen.\nDas Erbrechen ist eine mit 'Ekel verbundene antiperistaltische Bewegung des Magens (zuweilen auch eines Theils des Darms) und der Speiser\u00f6hre, begleitet von heftigen Zusammenziehungen der Bauchmuskeln und des Zwerchfells, welche erregt werden kann durch )ede auf den Schlund, die Speiser\u00f6hre, den Magen, den Darmkanal unmittelbar, oder mittelbar durch die Nerven dieser Theile einwirkende starke Reizung, oder welche selbst erfolgt, wenn die Reize dieser Theile in den Kreislauf von andern Orten aus eingef\u00fchrt werden. So entstellt das Erbrechen durch mechanische Reizung des Schlundkopfes mit einerFeder, mit dem Finger, ja selbst durch einen Bissen, der im Schlunde zu lange verweilt, durch alle Mittel, welche den Magen mechanisch oder chemisch reizen, durch Entz\u00fcndung desselben und des Darmkanals, durch eingeklemmte Br\u00fcche und Intussusceptionen des Darmkanals, durch Reizung des Gehirns und Unterbrechung des Hirneinflusses nach Durchschneidung oder Unterbindung der Nervi vagi, zuweilen selbst durch die beim Husten sich associirenden Bewegungen; ferner bei Kopfverletzungen, endlich durch Einfl\u00f6ssen von Tarturus emeticus in die Venen. Alle Reize, welche, in geringem Grade \u00f6rtlich applicirt, die peristaltischen Bewegungen der gereizten Theile bef\u00f6rdern, machen in heftigem Grade der Wirkung dieselben Bewegungen antiperistaltisch, und bewirken durch Consensus der Nerven auch die Bewegungen der \u00fcbrigen zum Erbrechen concurrirenden, nicht prim\u00e4r gereizten Theile. Nach Dzondi ist die Stellung des hintern Gaumenbogens iin Erbrechen dieselbe, wie im Schlingen, und indem die Schenkel des hinlern Gaumenbogens sich einander n\u00e4hern und ein Planum in-clinatum vom Gaumensegel bis zur hintern Wand des Schlundes bilden, der hintere Gaumenbogen aber mehr aufgezogen wird und das Z\u00e4pfchen durch die Wirkung seines Muskels sich verk\u00fcrzt, ist der Weg bezeichnet, durch welchen das Erbrochene in den Mund gelangt und die Nase vermeidet, welches letztere freilich nicht immer geschieht, da die unteren, auch bei den Ann\u00e4herungen seitlich auseinander weichenden Schenkel des hintern Gaumenbogens den Eingang vom untern Theil des Schlundes in die Choannen erleichtern. Die reissenden Thiere brechen leicht, das Pferd sehr schwer.\nMagendie hat den fr\u00fcher von Bayi.e, Chirac, Sj:nac und J. Hunter angeregten, von Haller aber widerlegten Zweifel \u00fcber den Antheil des Magens am Erbrechen wieder vorgebracht, und behauptet, dass der Magen dabei v\u00f6llig unth\u00e4tig sey, und das Erbrechen allein aus Zusammendr\u00fcckung des Ma-","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Erbrechen. 503\ngens verm\u00f6ge der Verkleinerung der Bauchh\u00f6hle durch die Zusammenziehung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln entstehe. Magendie beobachtete bei Hunden, denen er Brechmittel durch Linspi itzen in die Venen oder un Magen beigehracht, niemals Zusammenziehungen am Magen. Zog er denselben aus der Bauchh\u00f6hle heraus, so erfolgte kein Erbrechen, sobald er aber den Magen in die Bauchh\u00f6hle zur\u00fcckbrachte, erfolgte es. Ein Druck mit der Hand ersetzte die Bauchmuskeln; zerschnitt er die letzteren, so bewirkte das Zwerchfell noch Erbrechen, in Verbindung mit der weissen Linie. Die Durchschneidung der Zwerchfellsnerven hob das Erbrechen auf. Ersetzte er den Magen durch eine an die Speiser\u00f6hre angebundene Schweinsblase, so erfolgte das Erbrechen aus denselben Ursachen, wie bei dem unverletzten Magen. Maint.aui.t\u2019s Widerspr\u00fcche gegen diese Behauptungen, welcher nach Durchschneidung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln Erbrechen sah, veraniassten weitere Untersuchungen. Das Comit\u00e9 der Academie fand, dass ohne aussern Druck auf den Magen kein Erbrechen stattlindet; dieser Druck kann aber sehr gering seyn, und Fl\u00fcssigkeiten k\u00f6nnen nach durchschnittenen Bauchmuskeln und L\u00e4hmung des Zwerch-fells durch blosse Ann\u00e4herung der untersten Rippen zu der Regio epigastrica in die Speiser\u00f6hre getrieben werden; im Magen selbst entdeckten sie, ausser den vom Erbrechen unabh\u00e4ngigen (?) cirkelf\u00f6rinigen Zusammenziehungen in der Gegend des Pf\u00f6rtners, keine Bewegung, dahingegen Rudolphi solche Bewegung auch nach Durchschneidung der Bauchmuskeln gesehen hat. Ueber die den Gegenstand nicht wesentlich auf kl\u00e4renden, Aveitercn Versuche von Portal, Bourdon, Beclard, Merat gegen Magendie, und Rostan, Piedagnel, Gondret f\u00fcr denselben, kann man das angef\u00fchrte Werk von Lund nachsehen. Magendie\u2019s Versuch mit der Blase beweist wohl nicht viel, und Rudolpiii bemerkt mit Recht, dass durch Einspritzung von Brechweinstein in die Venen antiperistaltische Bewegungen in der Speiser\u00f6hre entstehen m\u00fcssen, welche den Inhalt der Blase, der ohnehin nur zum kleinsten Theil ausgeworfen w\u00fcrde, hinaufziehen k\u00f6nnen. Dieser Versuch verliert aber alle Beweiskraft, wenn man bedenkt, dass die Ursache, warum \u00fcberhaupt der Mageninhalt nicht in die Speiser\u00f6hre auslaufen kann, die beschriebene Zusammenziehung \u00bb1er Speiser\u00f6hre an der Cardia, hei dem Durchschneiden der Speiser\u00f6hre an dieser Stelle aufh\u00f6ren musste, jede Fl\u00fcssigkeit also ausfliessen konnte bei der geringsten Veranlassung. Ein wichtiger Umstand, der bisher nicht gew\u00fcrdigt worden, ist eine Art von unmerklicher Zusammenziehung des ganzen Magens, wo er in seinem Volumen im Ganzen kleiner wird, ohne dass man an einzelnen Theilen Contraction sieht. Diess habe ich oft ausser dem Erbrechen beobachtet. Mir scheint die Contraction des Magens im Erbrechen unzweifelhaft, da man deutlich die Zusammenziehung des Magens dabei f\u00fchlt, obgleich man im Allgemeinen den Antheil des Magens dabei viel zu gross angeschlagen hat, der beim Erbrechen von unmittelbarem Reiz des Magens die Reizung sympathisch auf andere Muskeln, namentlich die Bauchmuskeln.\nM ti I-Ier\u2019s Piijsiologie. I.\t33","page":503},{"file":"p0504.txt","language":"de","ocr_de":"504 77. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung,\nmul das Zwerclilcil, \u2018fortpflanzen kann. Diess Letztere ist keine Verrnulhung mehr; denn ich habe rnelirmal die Beobachtung gemacht, dass die mit der Nadel bewirkte Zerrung des N. splanch-nicus in der Bauchh\u00f6hle, wo er hei Kaninchen auf der linken Seite an der innern Seite der Nebenniere ziemlich leicht zu linden ist, Zusammenzichungen der Bauchmuskeln veranlasst. (Beim Hunde ist diess nicht gelungen.) Da nun der Nervus splanch-nicus die Verbindung zwischen dem Nervus sympathicus und dem Ganglion coclincum bewirkt, der Nervus sympathicus aber wieder mit den Spinalnerven, und durch sie mit dem R\u00fcckenmark zusammenhangt, so folgt, dass Reizung des Nervus splanch-nicus mit Vermittelung dos R\u00fcckenmarks die Spinalnerven der Bauchmuskeln reizen kann, und dadurch in Reizungen des Magens durch Vermittelung des G. coeliacum und des Nervus splanch-nicus Zuckungen der Bauchmuskeln sympathisch entstehen m\u00fcssen. Diese Beobachtung macht mir Magendie\u2019s Theorie von der Wirkung der Brechmittel unwahrscheinlich. Er nimmt n\u00e4mlich an , dass die Brechmittel in den Magen eingell\u00f6sst auch erst ins Blut aufgenommen werden, und von dort aus die beim Brechen concurrirenden Organe afliciren, wie beim Erbrechen, welches durch Einspritzung von Breehweinsteinl\u00f6.sung in anderen Theilen und in die Venen entsteht. Wenn der Nervus splanchnicus Zuk-kungen der Bauchmuskeln erregen kann, so ist es fast erwiesen, dass das Erbrechen von Einnahmen des Brechmittels durch Propagation der Nervenrcizung erfolgt, wie denn eine andere Erkl\u00e4rung auch unm\u00f6glich beim Erbrechen von mechanischer Reizung des Magens, von mechanischer Reizung des Darms, von Magen-und Darmentz\u00fcndung, von mechanischer Reizung ties Schlundes stattfinden kann. Siehe \u00fcbrigens Magendie memoire concernant l'influence de l\u2019cmelii/ue etc. nom\u2019, hull, de la soc. pliilom. T. 3. />. 360.\nWenn es nun sehr wahrscheinlich ist, dass in den Magen gelangte Brechmittel schon von dort aus, und nicht indem sie ins Blut gelangen, durch Nervenconsensus die Erbrechungsbewegungen erregen, und wenn diess von dem Erbrechen, das durch mechanische Pteize in den Verdauungswerkzeugen, durch Darmund Magenentz\u00fcndung erregt wird, gewiss ist, so entstellt nun die Frage, ob der Magen und Dann, indem sie Erbrechen erregen, mehr durch den Nervus vagus auf das Gehirn, oder durch den N. splanchnicus und sympathicus auf Gehirn und Pi\u00fccken-mark den Eindruck fortpllanzen, worauf die weiteren H\u00fclfsbe-wegungen des Erbrechens durch Wirkung der Spinalnerven auf die Bauchmuskeln und das Zwerchfell vom Gehirn und R\u00fccken-markc aus erfolgen. Die genannte Beobachtung \u00fcber die F\u00e4higkeit des Nervus splanchnicus, Zuckungen der Bauchmuskeln zu erregen, beweist den Antheil des N. splanchnicus an jener Transmission. Das Erbrechen von Piciz des Schlundes, in dem sich vorz\u00fcglich Acsle des N. vagus verzweigen, beweist den An-tlieil des N. vagus an jener Transmission, und so ist allerdings wahrscheinlich, dass N. splanchnicus und vagus zugleich hei der Wirkung der Brechreize im Magen und Darm die Transmission des Reizes bewirken.","page":504},{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von den Bewegungen des Darmkanals. Erbrechen. 505\nD as Erbrechen von Durehschneidung und Unterbindung des N. vagus (Mayer in Tiedemann\u2019s Zeitschrift 2. 62.) ist auf dieselbe Art zu erkl\u00e4ren. Die Unterbindung und auch die mit der Durchschneidung des N. vagus verbundene Quetschung wirkt auf das Gehirn, und da die Enden der durchschnittenen A erven noth wendig in Entz\u00fcndung gerathen m\u00fcssen, so ist der Eindruck des Hirnst\u00fccks vom N. vagus auf das Gehirn derselbe, als ob die Endzweige des N. vagus im Magen in der Magenentz\u00fcndung gereizt werden, und es erfolgt in beiden Fallen dasselbe Ph\u00e4nomen, Erbrechen. Auch die Durchschneidung anderer Nerven bewirkt zuweilen Erbrechen mit anderen Nervenzuf\u00e4llen, wie die Durchschneidung des Sehnerven bei der Exstir-patio bulbi oculi.\nDass die Transmission des Eindrucks durch den N. vagus Antheil am Erbrechen habe, macht Br\u00e4chet (Recherches sur les Jonctions du syst/'nie ganglionaire) daraus wahrscheinlich: \u201eQuelque soit le dose que vous administriez les vomitifs et les purgatifs dans les chiens, \u00e0 qui vous avez fait la section des nerfs vagues, leur impression devient nulle.\u201c Diess steht freilich mit der Erfahrung im Widerspruch, dass Hunde nach dem Durchschneiden des N. vagus von selbst vomiren.\nBei dem Erbrechen von Gehirnaffection wirkt die Pieizung tHeils unmittelbar auf den Magen, theils durch Mitaffection des R\u00fcckenmarks auf die Spinalnerven und Zwerchfell und Bauchmuskeln. Gew\u00f6hnlich stellt man sich vor, dass der N. vagus, von Gehirnaffection gereizt, Contraction des Magens bewirkt. Diess ist sehwer zu glauben, denn wie deutlich die Zusammenziehungen der Speiser\u00f6hre sind, die man durch mechanischen und galvanischen Reiz des N. vagus bewirken kann, so ist es mir doch in den vielf\u00e4ltigsten Versuchen mit Kaninchen, fleischfressenden und k\u00f6rnerfressenden V\u00f6geln nie gelungen, durch die st\u00e4rksten mechanischen Reize, und selbst die einer sehr starken S\u00e4ule auf den isolirten N. vagus auch nur eine irgend deutliche Zusammenziehung des Magens zu erregen. Selbst der dicke Muskelmagen der H\u00fchner contrahirt sich hierbei durchaus nicht. Dagegen zieht sich der Magen sogleich bei S\u00e4ugethieren und V\u00f6geln zusammen, wenn man ihn seihst reizt. Aehnliche Beobachtungen haben Magendie und Mayo gemacht. Die Bewegungen des Magens scheinen fast allein vom N. sympathicus abh\u00e4ngig, wie die des Darms. Beide k\u00f6nnen sich ausgeschnitten noch peristaltisch bewegen, wie Werfer vom Magen und Andere vom Darm sahen.\nNun entsteht immer noch die Frage, auf welche Art Brechmittel wirken, die ins Blut gelangen, ohne erst in den Magen eingefl\u00f6sst zu scyn. Diess ist nicht ganz klar, oder vielmehr wir besitzen leine hinreichenden Thatsachen, diese Frage bestimmt, zu entscheiden. Im Grunde ist es einerlei, ob ein Reiz an der \u00e4us-sern Fl\u00e4che der Organe, oder noch unmittelbarer durch das Blut im Parenchym eines Organes wirkt, wie denn auch Arsenik von anderen Theilcu aus Magenentz\u00fcndung erregt. Hiernach scheint es,\n33 *","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506 II. Buch. Organ, chcm. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\ndass der ins Blut gekommene Brechweinstein von den Blutgef\u00e4ssen aus auf die beim Erbrechen betheiligten Organe wirke. Allein es ist immer noch zweifelhaft, oh er mehr aut die organischen Excitatoren der Bewegungen, Gehirn, R\u00fcckenmark, und Nerven, oder unmittelbar auf die beweglichen Organe seihst wirkt.\n6) Bewegung des Darms.\nDie wurmf\u00f6rmigen oder peristaltischen Bewegungen des Darms, ebenso umyillkiihrlich w ie die des Magens, scheinen w\u00e4hrend des Lehens schwach, und sind nur in nerv\u00f6ser Heizung, die sich auf die Ged\u00e4rme fortpflanzt, in der Dyspepsie und in krampfhaften Bewegungen, namentlich hei einer Reizung und im Durchfall schneller; hei eben ge\u00f6ffneten Thieren sind sie sehr unmerklich, sie verst\u00e4rken sich aber schnell durch den Reiz der Luft zu einem ausserordentlichen Grade von Lebhaftigkeit; die D\u00e4rme heben und senken sich, treiben ihren Inhalt weiter und im Allgemeinen immer mehr nach abw\u00e4rts. Reizt man den Darm mechanisch , chemisch, galvanisch, so zieht er sieh an dieser Stelle allm\u00e4hlig sehr eng zusammen, der h\u00f6chste Grad von Zusammcn-ziehung erfolgt, wenn der Reiz schon aufgeh\u00f6rt hat, und l\u00e4sst allm\u00e4hlig ebenso wieder ah. Wendet man starke galvanische Reize auf den auf einer Glasplatte isolirten Nervus splanchnicus oder auf das Ganglion coeliaeum an, so versl\u00e4iken sich die Bewegungen allgemein; Durchsehneidung der Nervi vagi hebt diese Bewegungen so wenig als Verletzung der sympathischen Nerven auf, sie dauern au dem abgeschnittenen Darmkanal fort.\nAuf dem Wege durch den Darmkanal verliert der Darminhalt durch Resorption allm\u00e4hlig immer mehr nahrhafte Theile, und es werden die Bieste als Excremente im Dickdarm immer con-sistenter. Der Schliessmuskel des Afters ist zu jeder Zeit ausser den Rothausleerungen contrahirt. Einen geringen Grad best\u00e4ndiger Contraction scheint derselbe mit allen Muskeln gemein zu haben, die man wenigstens dann erst erkennt, wenn ihre Antagonisten durchschnitten sind. Die Contraction des Sphincters ist aber besonders durch die Ansammlung des Roths und dessen Reiz im Mastdarm vermehrt; sie dauert so lange, bis sie durch den Andrang der Excremente \u00fcberwunden wird ; die Contractionen des Sphincters sind der willkiibrlichen Verst\u00e4rkung, aber nicht der willk\u00fchrlichen Erschlaffung f\u00e4hig. Die Expulsion der Excremente, und die den Widerstand des Sphincters \u00fcberwindende Gewalt kann in seltenen F\u00e4llen hei weichen Excrementen ohne Mitwirkung der Rauchw\u00e4nde durch blosse (unwillk\u00fchrliche) Contraction des Mastdarms erfolgen; wie Legallois und Beclard {Bull, de la far. et de la sor. de med. 1813. A. 10.) nach Wegnahme der Bauchmuskeln gesehen haben wollen. Gew\u00f6hnlich sind iu-dess die Zusammenziehungen des Zwerchfells und der Muskeln durch Einengung der Bauchh\u00f6hle mit Erhebung des willk\u00fcbrlicb beweglichen Levator ani zur Rothentieerung noting. Alle diese Bewegungen willk\u00fchrlicher Muskeln treten auch unwillk\u00fchrlich und krainplhaft so gut wie heim Erbrechen ein, wenn der Reiz der Excremente auf den Mastdarrn anhaltend und sehr heftig ist.\nJene Bewegungen k\u00f6nnen auch durch Verletzungen und Krank-","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungssiiften. Speichel.\n507\nheilen des R\u00fcckenmarks (und Gehirns) gelahmt seyn, und es kann, je nachdem mehr der Sphincter ani erschlafft, oder der Mastel arm und die Bauchmuskeln gelahmt sind, \u00fcnwi\u00fck\u00fcbrlicber Abgang oder best\u00e4ndige Verstopfung entstehen. Nach Knisirn ist die Kothentleerung nach Zerschneidung der Nervi phrenici und L\u00e4hmung des Zwerchfells nicht aufgehoben, wold aber nach Zerschneidung der Bauchmuskeln oder des R\u00fcckenmarks bei Hunden, zwischen dem 5 \u2014 6. R\u00fcckenwirbel.\n\u2022\nIV. Capitel. Von den Verdauungss\u00e4ften.\na. Speichel. Die Absonderung des Speichels scheint in der Thierwelt mit Ausnahme der Wallfische und Fische fast allgemein zu sevn. Die Insekten besitzen speichelabsondernde Schl\u00e4uche, Blindd\u00e4rmchen oder B\u00f6hren, die Mollusken ein oder mehrere Paar zusammengesetzte Speicheldr\u00fcsen. Viele Schlangen haben bloss einfache Speicheldr\u00fcsen. Mit der Speichelabsonderung, muss man die Giftabsonderung der Schlangen nicht verwechseln; denn die Giftschlangen haben ausser den gew\u00f6hnlichen Speicheldr\u00fcsen auch noch die besonderen Giftdr\u00fcsen. Ob die giftigen S\u00e4fte der Schlangen (auch der Spinnen) zur Aufl\u00f6sung der Speisen beitragen, ist noch unbekannt. Die Analogie, die man zwischen diesen S\u00e4ften und dem giftigen Speichel der llundswulhkranken gezogen bat, ist aber wohl abergl\u00e4ubisch; denn in der Hundswuth ist die Ansteckung durch den Speichel nur zuf\u00e4llig, und nach den Versuchen von Uertwig in der Thierarzneischule zu Berlin k\u00f6nnen andere S\u00e4fte der Hundswuth-kranken, wenigstens Blut, eingeimpft die Wuth erzeugen. Hiermit fallt auch die Hindeutung auf die giftige Beschaffenheit, welche der Speichel durch Leidenschaft erlangen soll, weg. Die materiellen Ver\u00e4nderungen in Leidenschaften sind allgemeine, und Betreffen zugleich mehrere Absonderungen, wie besonders von der Milch bekannt ist. Dass Bisswunden gereizter Thierc sieh von gew\u00f6hnlichen gerissenen Wunden unterscheiden, davon ist der Beweis noch zu fuhren *).\n*) Das Schlangengift ist nach FoN'TANA weder alkalisch noch sauer, es ist gelblich, ohne bestimmten Geschmack, es .sinkt im Wasser zu Boden und mischt sich nicht leicht mit demselben. In Wunden gebracht macht es das Blut der lebenden Thierc schnell gerinnen, aus der Ader gelassenes Blut verliert nach FontANA durch Zusatz von Viperngift seine Gerinnbarkeit. Das Vipcrn-gifl ist weder f\u00fcr die Vipern noch f\u00fcr andere Schlangen t\u00fcdliich, wenn sie gebissen werden. FoNTANA \u00fcber das Viperngift. Berlin 1787, j). 15. Dagegen sah Bengger Klapperschlangen mit von Klapperschlangen vergifteten Wunden bald sterben. Viperngift tolltet nicht die gebissenen Blutegel, .Blindschleichen, f\u00fcr die Schildkr\u00f6ten ist das Gilt nur zuweilen t\u00f6dtlich, allen warmbl\u00fctigen J liieren ist es t\u00fcdliich, wenn es in Wunden gebracht wird. Ausser d' H Wunden scheint das Gilt nicht t\u00f6dtlich zu wirken, wie wenigstens Bedi\u2019s, Man-Gir.l\u2019s und PoimmerAs Versuche lehren. Leber die Wirkungen des Schlangengifts auf lebende J liiere siehe Fontana /. c. und BenGGER, AJeck. yirchiv 1829.\nDie gew\u00f6hnlichsten Fische-iiiiingen sind \u00e4usserste Kraftlosigkeit, Schwindel, Erbrechen, Durchfall, Zittern, L\u00e4hmung, die gebissenen Glieder schwellen","page":507},{"file":"p0508.txt","language":"de","ocr_de":"508 II. Buch. Organ, client. Proresse. IV. Abschnitt. Verdauung.\nUeber die Quantit\u00e4t des Speichels hat Dr. C. G. Mitscherlich bei einem Menschen mit einer Speicheliistel des Ductus Ste-nonianus Beobachtungen mitgetheilt. Die Ausscheidung h\u00f6rt hei vollkommener Ruhe der Kaumuskeln und der Zunge, und hei Mangel eines ungew\u00f6hnlichen Nervenreizes auf; unter den entgegengesetzten Umst\u00e4nden wird sie hervorgerufen. Die Menge des abgesonderten Speichels betr\u00e4gt hei einem gesunden Manne in 24 Stunden aus einer Parotis 65 bis 95 Grammen, der aus dem Mund ausgeworfene Speichel von den 5 anderen Dr\u00fcsen betr\u00e4gt 6 Mal mehr als der Speichel einer Parotis. Mitscherlich \u00fcber den Speichel des Menschen. Rust\u2019s Mag. 1832. Schultz [de alimentorum concnctione. Bcrol. 1834.) sammelte aus dem Ductus Stenonianus eines Pferdes in 24 Stunden 55 Unzen und 7 Drachmen Speichel, wovon 12 Unzen auf die innerhalb 2 Stunden erfolgte erste F\u00fctterung, 10 Unzen 9 Drachmen auf die Zeit von 3 Stunden zwischen der ersten und zweiten Mahlzeit kommen.\nUeber die chemische Natur des Speichels von Menschen und S\u00e4ugethieren besitzen wir ausgezeichnete Arbeiten von Berzelius (Thierchemie), Gmelin (Tiedemann und Gmelin die Verdauung nach Versuchen. Heidelb. 1826.) und Mitscherlich (a. a. 0.).\nDer Mundspeichel ist ein fadenziehendes Gemeng von Speichel und Schleim. In einem hohen schmalen Gef\u00e4ss gesammelt, trennt er sich nach Berzelius allm\u00e4hlig in eine obere, klare, farblose und eine untere Schicht, welche ein Gemenge derselben Fl\u00fcssigkeit und einer weissen undurchsichtigen Masse ist. Mit Wasser verd\u00fcnnter und gesch\u00fcttelter Speichel l\u00e4sst den Schleim vollst\u00e4ndiger zu Boden fallen. In Hinsicht der sauren oder alkalischen Reaction ist der Speichel sich nicht gleich. Tiedemann und Gmelin fanden ihn hei Menschen meist schwach alkalisch, zuweilen neutral, nie sauer. Sciiultze (yergl. Anat.) fand ihn heim Menschen sauer, wenn er lange in der Mundh\u00f6hle verweilt hatte, alkalisch immer hei Kindern. Speichel von Hunden und Schafen aus dem Stenon\u2019schen Gang seihst aufgefangen fand Gmelin alkalisch. C. H. S chultz fand den Speichel des Menschen in der Regel alkalisch, so zwar, dass eine Drachme Speichel zur Saturation einen Tropfen Weinessig erforderte. Auch der Speichel des Pferdes war alkalisch. Nach der Saturation soll der Speichel allm\u00e4hlig wieder alkalisch werden. Dr. Mitscherlich fand den Speichel einer Speicheliistel w\u00e4hrend des Essens und Trinkens, und schon nach dem ersten Bissen, alkalisch, ausser dieser Zeit sauer. Die Alkalesccnz des Speichels soll nach Schultz von Ammonium herr\u00fchren; nach Mitscherlich dagegen giebt der frische Speichel auch heim Erw\u00e4rmen kein Ammoniak, und das freie Alkali ist fix.\nDer Speichel enth\u00e4lt sehr sparsame K\u00f6rnchen, wie Leuwenhoek,\nh\u00e4utig, alier nicht immer auf, und die Wunde wird unterlaufen. Diese Symptome treten schon nach einigen Minuten ein, der Tod erfolgt schnell oder innerhalb eines f ages, oder innerhalb II Tage. Bei der Section zeigen sich brandaiVige flecke in verschiedenen Einge weiden. Die Erz\u00e4hlungen von Bannen der I liiere durch den Blick der Schlangen sind Kabeln","page":508},{"file":"p0509.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von ilen Ver dauungssiift en, Speichel.\n509\nWeber, Tiedemann und ich gesellen; sie sind durchsichtig und nach Weber gr\u00f6sser als Blutk\u00fcgelchen. Nach Berzelius enthalt der Speichel des Menschen ohngefahr 1 Proc. von aufgel\u00f6sten Stoffen. Der Speichel hatte in Mitsciierlich\u2019s Versuchen eip specifisches Gewicht von 1,0061\u2014-1,0088; in Schultz\u2019s Versuchen hatte der Pferdespeichel ein specilisclies Gewicht von 1,0125. Der R\u00fcckstand des Speichels nach dem Ahtrocknen ist durchsichtig. Alkohol zieht daraus eine kleine Menge Osniazom mit etwas Chlornatrium, Chlorkalium und milchsaurem Alkali aus. Der in Alkohol ungel\u00f6ste Theil ist schwach alkalisch und enthalt Natron. Der ausgezogene R\u00fcckstand besteht nun aus einem Ge-meng von Schleim ( j ) und einem eigenen Stoff, Speichelstotf. Die Aufl\u00f6sung desselben im Wasser ist etwas schleimig und wird durch Kochen nicht unklar. Beim Abdunsten erhalt man den Speichelstoll, der nach Ber/.elius durchsichtig, farblos, nach Tiedemann und Gmelin hellbraun und undurchsichtig ist. Nach Mitscherlich ist er gelbbraun, wenn man das Alkali nicht s\u00e4ttigt, und zieht Feuchtigkeit aus der Luft an, ist dagegen fast ganz weiss und zerfliesst nicht, wenn das freie Alkali zu Anfang der Analyse neutralisai worden ist. Der weisse Speichelstofl\u2019 l\u00f6st sich nach dem vorsichtigen Eintrocknen ganz (nicht zum Theil wie der braune) im Wasser auf. Der Speichelstofl des lieutralisirten Speichels reagirt nicht alkalisch, wie Mitscherlich bemerkt; ohne Neutralisation des Speichels reagirt er alkalisch. Mit Wasser begossen wird der Speichelstoff wieder aufgelost zu einer klaren Fl\u00fcssigkeit, die nach Berzelius und Mitscherlich weder von Galhipfehnfusion, Quecksilberchlorid, Eisenchlorid und basischem essigsaurem Bleioxyd (Berzelius), noch von starken S\u00e4uren gef\u00e4llt wird, nach Gmelin dagegen von Gall\u00e4pfelinfusiou, Kalkwasser und der Aufl\u00f6sung von Alaun, den neutralen Oxydsalzen von Kupfer, Blei und Eisen, von Quecksilberchlorid und salpeter-saurem Silberoxyd, gef\u00e4llt wird. Nach Mitscherlich f\u00e4llt salpeter-saures Silberoxyd allerdings den Speichelstofl\u2019, auch essigsaures Bleioxy d, letzteres den ohne vorherige Neutralisation des Speichels dargestellten Speichelstofl\u2019. Der nach Ausziehung des Speichelstofles mit kaltem Wasser zur\u00fcckbleibende Schleim enth\u00e4lt nach Berzelius viel Knochenerde, woraus sich wahrscheinlich der, aus phosphorsaurem Kalk bestehende, Weinstein der Z\u00e4hne bildet. Tiedemann und Gmelin erhielten aus dem Speichel des Menschen heim Abdampfen 1,14 bis 1,19 Proc. teste Theiic, die 0,25 Theile Asche gaben, wovon 0,203 in Wasser l\u00f6slich, und 0,017 phosphorsaure Erdsalze waren. 100 Theile R\u00fcckstand von verd\u00fcnntem Speichel gaben:\nin Alkohol l\u00f6sliche, nicht in Wasser l\u00f6sliche Substanz\n(phosphorhaltiges Fett)..............................\nin Alkohol und in Wasser l\u00f6sliche Stoffe: Osniazom, Chlorkalium, milchsaures Kali. Schwefelcyaukalium .\t.\t.\naus der L\u00f6sung in kochendem Alkohol heim Erkalten uie-dcrgetallene thierisehe Substanz mit schwcfelsaurem Kali und etwas Chlorkalium .\t.\t\u2022\t1,-5","page":509},{"file":"p0510.txt","language":"de","ocr_de":"51U II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\n32.50\nnur in Wasser l\u00f6sliche Stoffe : Speichelstoff mit viel phosphorsaurem und etwas schwefelsaurem Alkali und Chlorkalium 20,00 weder in Wasser noch Alkohol l\u00f6sliche Stoffe: Schleim, vielleicht etwas Eiweiss mit kohlensaurem und phosphorsaurem Alkali.............................................40,00\n92.50\nNach Dr. Mitsciierlicii\u2019s Analyse enthalt der Speichel folgende Salze:\nChlorkalium.........................................0,18 Proc.\nKali (an Milchs\u00e4ure gebunden) .\t............ 0,094\t\u2014\nNatron (an Milchs\u00e4ure gebunden). .\t.............. 0,024\t\u25a0\u2014\nMilchs\u00e4ure..........................................\nNatron (wahrscheinlich mit Speichelschleim verbunden) 0,164\t\u2014\nphosphorsauren Kalk.................................0,017\t\u2014-\nKieselerde..........................................0,015\t\u2014\nDie n\u00e4heren organischen Bestandtheile des Speichels verhielten sich in Mitscherlich\u2019s Analyse \u00e4hnlich wie in der von Berzelius. Ein von Mitscherlich gefundener, in Wasser und absolutem Alkohol l\u00f6slicher, gelbr\u00f6thlicher Stoff giebt mit S\u00e4uren, Kali, Ammonium und Sublimat keinen, mit essigsaurem Bleioxyd und Eisenchlorid, salpetersaurem Silberoxyd einen Niederschlag.\nDie Existenz der Materie, welche Tiedemann und Gmelin als Schwefelcyan erweisen, hat zuerst Treviranus im Speichel ermittelt. Biolug. 4. 565. Er hatte n\u00e4mlich gefunden, dass Speichel, mit einer neutralen Aufl\u00f6sung eines Eisenoxydsalzes vermischt, tief dunkeiroth werde. Tiedemann und Gmelin best\u00e4tigten diese F\u00e4rbung, wobei ich jedoch bemerken muss, dass in meinen Versuchen der Speichel nur rostfarbenroth, nicht purpurfarben wurde, ich mochte nun verschiedene Eisenoxydsalze anwenden. Vergl. oben p. 129. Kuehn bezweifelt die Gegenwart von Schwefelcyan im Speichel, weil er sowohl nach Eire\u2019s als nach Gmelin\u2019s Verfahren keine Schwefels\u00e4ure entstehen sah. Wenn Speicheldestillat Eisenoxydsalz r\u00f6thet, so kann es in Folge von essigsauren Salzen geschehen seyn, -\u2014 eine Farbenver\u00e4nderung, die wirklich essigsaure Salze, mit salzsaurem Eisenoxyd bewirken. Schweigger's J. 59. 37S. Vergl. Schultz a. a. 0. \"K\u00e4stner bemerkt, dass die durch Essigs\u00e4ure erzeugte F\u00e4rbung doch nie vollkommen blutroth ist. Hier muss ich jedoch erinnern, dass auch die des Speichels nicht blutroth ist. Urk (Journ. of Sc. Hit. a. A. \u2014 N. S. 7. 60.) h\u00e4lt das Schwefelcyan im Speichel durch seine Versuche f\u00fcr ganz ausser Zweifel gesetzt (?).\nVon den animalischen Stoffen des Speichels, Speichelstolf, Schleim, Osmazom, fanden Tiedemann und Gmelin ersten beim Schaf, letztes beim Hund fast g\u00e4nzlich fehlend.\nDer an den Z\u00e4hnen sich ansetzende Weinstein des Menschen besteht nach einer von Berzelius angestclllen Analyse aus\nSpeichelstoff..........................1,0\nSpeichelschleim.......................12,5\nphosphorsauren Erdsalzen ....\t79.0\nvon Salzs\u00e4ure aufgel\u00f6stem Thierstoff 7,5\n100.0","page":510},{"file":"p0511.txt","language":"de","ocr_de":"511\n4. Vcin den Verdauungss\u00e4ften. Magensaft.\nBei den Insecten ist der Speichel nicht genau untersucht, er scheint nach Rengger [physiol. Untersuchungen \u00fcber die thierische Haushaltung der Insecten. Tiib. 1S17.) alkalisch.\nh. Succus gastricus, Magensaft. Die Angaben der fr\u00fcheren Naturforscher, welche sich mit Untersuchung des Magensaftes besch\u00e4ftigten, widersprechen sich durchaus. Spallanzani, der zu erweisen suchte, dass der Magensaft ein Aufl\u00f6sungsmittel f\u00fcr die Speisen in und ausser dem Magen sey, behauptete, dass er vollkommen neutral sey, und Montegre (sur la digestion. Paris 1S04.) fand ihn zwar meist sauer, laugnete aber die Aufl\u00f6sungskraft des Magensaftes. Helm [zwei Krankengeschichten. JUien 1803. 8.) fand bei einer Person mit einer Oeffnung im Magen keine saure Beschaffenheit des Magensaftes. Dagegen haben Viridet, Carminati, Brugnatelli , Werner die saure Beschaffenheit desselben beobachtet. Die Verschiedenheit der Angaben wurde indess bereits durch Carminati\u2019s Erfahrungen [\u00fcber die Katar des Magensaftes. Wien 1785. 8.) einigermassen aufgeklart, der n\u00e4mlich den Magensaft hei fastenden, fleischfressenden Thie-ren niemals sauer, aber diese Reaction deutlich fand, sobald sie Fleisch gefressen hatten. Derselbe fand auch den Magensaft pflanzenfressender Thiere sauer, dagegen keine vorstechende S\u00e4ure im Magensaft des Menschen und der Thiere von gemischter Nahrung. Tiedemann und Gmelin haben diese Frage endlich entschieden. Sie fanden die im Magen n\u00fcchterner Pferde und Hunde vorkommende Fl\u00fcssigkeit fast ganz neutral oder nur kaum sauer, dagegen eine entschieden saure Reaction, sobald den Thieren nur mechanische Reize, wie Steine oder Pfeffer, beigebracht worden. Diess haben auch Leuret und Lassaigne beobachtet. In diesen F\u00e4llen war nur der Magensaft sauer, die Eigenschaft r\u00fchrte nicht von den Absonderungen in der Speiser\u00f6hre her, denn letztere reagirte in diesen F\u00e4llen nicht sauer.\nEs ist interessant, den Grad der Acidit\u00e4t des Chymus zu kennen. Schultz hat hier\u00fcber Beobachtungen angestellt. Zieht man das Mittel aus diesen Beobachtungen, so erfordert 1 Theil Chymus etwas mehr als 1 Proc. Kali carbonicum zur Saturation.\nDie Quelle der Absonderung des Succus gastricus scheinen die einfachsten mikroskopischen Dr\u00f6schen der innern Fl\u00e4che des Magens zu seyn, wenigstens bei den Thieren, wo keine besonderen Dr\u00fcsen zu dieser Absonderung vorhanden sind. Die Schleimhaut des, Magens vom Menschen ist von Sprott Boyd [Edinb. med. sarg. Journ. Oct. 382.) untersucht. Sie zeigt hie und da mikroskopische F\u00e4ltchen oder faltige Zotten, \u00fcberall aber kleine regelm\u00e4ssige Zellen von ffjj- bis -jj/, am Pylorus von jK.\" Durchmesser. Der Grund jeder Zelle erscheint wie von zahlreichen Oeffnungen durchbohrt, bei verticalen Schnitten der Schleimhaut zeigt sie sich aus senkrecht stehenden Fibern zusammengesetzt, die der Verfasser f\u00fcr R\u00f6hren h\u00e4lt, welche sich in den Grund der Zellen \u00f6ffnen. Tiedemann und Gmelin haben die das Gerinnen der Milch bewirkende Eigenschaft des Magens nicht bloss in der Portio pylorica, sondern auch in der Portio cardiaca wahrge-","page":511},{"file":"p0512.txt","language":"de","ocr_de":"512 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt, Verdauung.\nnormnen. Bei melirern S\u00e4ugethieren kommen \u00fcJjri^ciis besondere Dr\u00fcsen im Magen vor, wie die grosse Dr\u00fcse \u00fces Bibers, deren Saft wahrscheinlich zur Aufl\u00f6sung der Rinden bestimmt ist; \u00e4hnliche Dr\u00fcsen finden sich in der Portio cardiaea des Magens hei Myoxus, Halmaturus, Phascolomys, u. a. ; unj es geh\u00f6rt hierher ebenfalls der Provcntriculus der V\u00f6gel, zwischen fessen innerer Haut und Muskelhaut sich eine ganze Schicht blindarmf\u00f6rmiger Dr\u00fcsen mit gesonderten M\u00fcndungen befindet. Diese Dr\u00fcsen sind hier einfache, aggregirte selten Haufen zusammengesetzter Blind-d\u00e4rmchen. Siehe dar\u00fcber Home lectures on comparative anatomy. T. II. und J. Mueller de penit. gland, struct. Q;e erste genauere chemische Untersuchung des Magensaftes ist von PEOut philos. Transact. 1824. p. 1. Er zeigte, dass sich im Magensaft des Kaninchens, Hasen, Pferdes, Kalbes, Hundes freie Chlorwasserstoff-s\u00e4ure (Salzs\u00e4ure) befindet, auch hat er wie Children {Ann. of philos, .Jul. 1824.) Salzs\u00e4ure in der von Hysp^ptischen erbrochenen Fl\u00fcssigkeit gefunden. Auch Pr\u00e9vost und Le Royer (Fro-RiEif\u2019s Bot. 9, 194.) best\u00e4tigten die Salzs\u00e4ure un Magensaft. Leu-ret und Lassaigne haben diese gel\u00e4uguct, allem Prout hat ihre Einw\u00fcrfe widerlegt. Annals of philos. N. .y ]),,\u25a0, 182fi. 405. Tiedemann und Gmelin fanden dagegen 3 S iJren jm Magensaft: 1) Salzs\u00e4ure, im Magensaft der Hunde und Pfei Je, 2) Essigs\u00e4ure, \u00bbn Magensaft derselben. Milchs\u00e4ure, die dEj. Essigs\u00e4ure ganz nahe verwandt ist, haben auch Chevreuil in t[em Erbrochenen eines INuchternen, und Graves in dem Erbrochenen eines Dys\u2014\npeptischen gefunden. Tiedeaiann und Gmelin [, c, p, 152.__________\n3) Eutters\u00e4ure. Diese S\u00e4ure fanden die deutschen Naturforscher zwei Mal im Magen des Pferdes. Schultz hat den Chyinus mit Wasser destillirt, und gefunden, dass die S\u00e4uee ],ei vielen Tliie-reu zum Theil oder ganz fl\u00fcchtig ist. Eine fl\u00fcchtige S\u00e4ure fand sich vor bei einem Pferde, das mit Hafer, bei einem Schweine, das mit Erbsen, hei einem Kalb und bei Sch;,f'en t|[e ,nit Gras gef\u00fcttert worden; dagegen war die S\u00e4ure nicht fl\u00fcchtig hei allen fleischfressenden Thieren, hei s\u00e4ugenden Schafen bei mit Heu gef\u00fctterten Pferden und hei Kaninchen, die itljt Jlrot, Gras und Kartoffeln gef\u00fcttert waren. Bei Schafen, welche Hafer oder frisches Gras bekommen hatten, war die S\u00e4ure im ersten Ma \"en fl\u00fcchtig, im vierten Magen aber nicht fl\u00fcchtig. d;u S\u00e4ure schien nach seinen Versuchen freie Essigs\u00e4ure zu sey,1; dagegen die Salzs\u00e4ure nach Schultz im Chyinus nicht frei sondern mit Kali verbunden Vorkommen soll.\nDie im n\u00fcchternen Zustande hei den wie derk\u00e4uenden Thieren in den beiden ersten Magen sieh sammeln ,[e Fl\u00fcssigkeit enth\u00e4lt viel kohlensaures Alkali, nach Pr\u00e9vost ut\\tf Le Royer (Fro-rieFs Not. 9. p. 194.); Tiedemann und Gmei. ,N haben diess best\u00e4tigt. Nur der 3. und noch mehr der 4. J\\la\u00a3\u00bben enth\u00e4lt sauren Magensaft.\nNoch niemals ist der Magensaft des Men^c|,cn ju so grosser Quantit\u00e4t, sorein und so h\u00e4ufig untersucht wo rden als von Beaumont, welcher; hei einem Manne mit Magenfistel w\u00e4hrend mehrerer","page":512},{"file":"p0513.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungssiiflen. Magensaft.\n513\nJalire eine grosse Reihe von Versuchen \u00fcber den Magensaft anstellte. Er hat es best\u00e4tigt, dass der Magen im n\u00fcchternen Zustande keinen Magensaft enth\u00e4lt, und dass die den Magen benetzende Feuchtigkeit in diesem Zustande nicht sauer reagirt; sobald aber Speisen in den Magen gelangen, tritt diese Absonderung ein und der Magen reagirt sauer. Schultz, welcher die Existenz des Magensaftes g\u00e4nzlich l\u00e4ugnet und die saure Reaction des Chymus von der Zersetzung der Speisen selbst ableitet, musste einen Einwurf gegen seine Ansicht in dem Factum finden, dass, wie Tiedemann und Gmelin beobachtet haben, die Absonderung des Magensaftes bei n\u00fcchternen Thieren durch mechanische Reize, wie verschlungene Steine hervorgerufen werden kann, und erkl\u00e4rt den hierauf Vorgefundenen sauren Magensaft f\u00fcr Reste des sauren Chymus. Nach den so zahlreichen Versuchen von Beaumont l\u00e4sst sich indess nicht an der Existenz des Magensaftes zweifeln ; er hat die Absonderung des Magensaftes durch k\u00fcnstlich eingebrachte, mechanisch wirkende Mittel, wie eine Kautschuckr\u00f6hre oder die Kugel des Thermometers, mit welcher er den Magen reizte, erst dann hervorgebracht, nachdem er sich vorher \u00fcberzeugt hatte, dass nichts in dem Magen war, und dass die Magenw\u00e4nde nicht sauer reagirten. Nach jener mechanischen Reizung entstand nun in allen, so oft wiederholten Versuchen eine ziemlich betr\u00e4chtliche saure Absonderung, so dass er bei jenem Subjecte oft gegen 1 Enze Magensaft sammeln konnte. In diesem reinen Zustande ist der Magensaft fr\u00fcher noch niemals untersucht worden. Beaumont beschreibt den Magensaft folgendermassen: Der Magensaft ist ein klares Fluidum ohne Geruch, von etwas salzigem und sehr merklich saurem Geschmack; er schmeckt wie eine d\u00fcnne Aufl\u00f6sung von Mucilago, welche von Salzs\u00e4ure leicht ges\u00e4uert ist; er ist in Wasser, Wein, Weingeist aufl\u00f6slich, mit Alkalien elfervescirt er leicht, er schl\u00e4gt das Eiweiss nieder, fault sehr schwer und hindert dieF\u00e4ulniss in thierischen Stoffen. Speichel soll dem Magensaft eine blaue F\u00e4rbung und ein sch\u00e4umiges Ansehn mittheilen ; gegen Nahrungsstoffe verh\u00e4lt er sich auch ausser dem thierischen K\u00f6rper als ein L\u00f6sungsmittel, wie die vielen von Beaumont angestelllen Versuche beweisen. Dieser Autor hat den Magensaft, von Dunglison untersuchen lassen. Er enthielt freie Salzs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure, phosphorsaure und salzsaure Salze aus den Basen\"von Kali, Natron, Magnesia und Kalk, und eine thierische Materie, welche in kaltem Wasser l\u00f6slich, in heissem aber unl\u00f6slich ist. Beaumont hat auch den Magensaft von Sil-l]man untersuchen lassen; diese Untersuchung hat aber keinen Werth, da der Magensaft mehrere Monate bis zur Analyse aufbewahrt wurde. Er verhielt sich auch jetzt noch sauer, nachdem sich bereits ein H\u00e4utchen auf ihm gebildet hatte; er enthielt Salzs\u00e4ure, eine Spur von Schwefels\u00e4ure und wie Silliman vermu-thet, auch etwas Phospbors\u00e4ure.\nBeaumont bemerkt ausdr\u00fccklich, dass der Magensaft von kleinen hellen Punkten oder sehr feinen Papillen abgesondert zu werden scheine.","page":513},{"file":"p0514.txt","language":"de","ocr_de":"514 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt, Verdauung.\nDie Fl\u00fcssigkeit des Kropfs der V\u00f6gel reagirt nach Tiedemann und Gmelin gemeiniglich sauer. Die Fl\u00fcssigkeit des Dr\u00fcsen rnagens enthielt auch im n\u00fcchternen Zustande eine freie Saure. Die Milch gerinnt durch den Magensaft der V\u00f6gel. Die Saure des Magensaftes r\u00fchrt von Salzs\u00e4ure und wahrscheinlich auch von Essigs\u00e4ure her. Treviranus (Biol. IV. p. 362.) hat die Frage angeregt, ob der Magensaft der V\u00f6gel Flusss\u00e4ure enthalte, da nach Bru\u00f6natelli (Crell Annalen 1787. I. p. 230.) Bergkrystall und Achat in R\u00f6hren eingeschlossen nach lOt\u00e4gigem Verweilen im Magen der H\u00fchner und Truth\u00fchner deutlich angegriffen waren, und 12 Bis 14 Gran an Gewicht verloren hatten und Treviranus selbst Aehnliches an einer Porzellanschale, worin Chymus der H\u00fchner digerirt wurde, bemerkt hatte. Tiedemann und Gmeun konnten diess nicht sicher entscheiden. Sie digerirten den Magensalt von Enten in einem Platintiegel, der mit einer mit Wachs \u00fcberzogenen radirten Glasplatte bedeckt war, fanden aber nach 24 Stunden keine Spur von Aetzung am Glase. Tiedemann und Gmelin schliessen hieraus nicht, dass der Magensaft der V\u00f6gel keine Flusss\u00e4ure enthalte, da Fluorcalcium wenigstens in verschiedenen thierischen Theilen, wie im Harn und in den Knochen, bereits gefunden ist, l. c. T. 2. p. 13!). Der Magensaft der Amphibien rc-agirt meist sauer, auch der Magen der Fische enth\u00e4lt besonders im gef\u00fcllten Zustande auch eine freie S\u00e4ure. Es war aus anderen Gr\u00fcnden wahrscheinlich, dass auch hier Salzs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure die L\u00f6sungsmittel seyen. Leuret und Lassaignf. (recherchesphysiol, pour servir \u00e0 l\u2019histoire de la digestion. Paris 1825.) halten die freie S\u00e4ure des Magensaftes in allen 4 Classen f\u00fcr Milchs\u00e4ure. Nach einer Entdeckung von Eberle besteht das aufl\u00f6sende Princip des Magensaftes nicht in dieser S\u00e4ure, sondern es ist die Natur des Magenschleimes Avie alles Schleimes, im ges\u00e4uerten Zustande eine Zersetzung, und folgende Aufl\u00f6sung der Nahrungsstolfe herbeizuf\u00fchren. Eberle Physiologie der Verdauung. W\u00fcrzburg 1834. Daher l\u00e4sst sich mit s\u00e4uerlichem Magenschleim auch ausser dem thierischen K\u00f6rper eine k\u00fcnstliche Verdauung von Nahrungsstoffen bewirken. Siehe J. Mueller und Schwann \u00fcber die k\u00fcnstliche Verdauung des geronnenen Eicveisses. Mueller\u2019s Arch. 1836. 66. Dass anderer Schleim als Magenschleim s\u00e4uerlich gemacht zur k\u00fcnstlichen Verdauung hinreiche, Avie Eberle angegeben, ist nicht richtig, und schon hieraus geht hervor, dass das Verdauungs-princip nicht der Schleim seihst, sondern ein eigenth\u00fcmlicher, im Magenschleim enthaltener Stoff seyn muss. Es ist derselbe Stoff, welcher die Milch im Magen gerinnen macht. Die meisten Kenntnisse \u00fcber das Verdauungsprincip Pepsin verdankt man Schavann \u00fcber das Wesen des Verdauungsprozesses. Mueller's Arch. 1836. 90. Ganz rein kann er bis jetzt nicht dargestellt werden. Seine l\u00f6sende Kraft \u00e4assert er nur im ges\u00e4uerten Zustande. Das n\u00e4here dar\u00fcber kann erst sp\u00e4ter hei der Lehre von dem Verdauungsprozesse beigebracht Averden.\nDa es ausgemacht ist, dass der Magensaft auch ausser dem thierischen K\u00f6rper aufl\u00f6send auf thierischc Tlicile Avirkl; so finde ich es nicht wunderbar, Avenu der Magen nach dem Tode zuweilen","page":514},{"file":"p0515.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungsstiften. Galle.\n515\ndavon angegriffen wird und schneller als andere Theile sicli erweicht, wie man diess besonders hei Kaninchen und kleinen Kindern findet; ich habe es hei ersteren gesehen und ich weiss dass es nicht von der Todesart abhing. Yergl, \u00fcber die widerspre ebenden Erkl\u00e4rungen Rudolphi\u2019s Physiol. 11. 2. 119., wo das Factum ungen\u00fcgend von der F\u00e4ulniss abgeleitet wird. Es ist freilich eine Zersetzung, die aber ihre localen materiellen Ursachen haben muss, und wahrscheinlich in den chemischen Eigenschaften des Magensaftes hat.\ne. Die Galle. Die Absonderung der Galle ist eine in der Thierwelt so weit verbreitete, und in ihrer Bedeutung f\u00fcr den Verdauungsprocess doch so wichtige Secretion, dass es von dem gr\u00f6ssten Interesse ist, zu wissen, ob sie \u00fcberhaupt jemals auch bei den niedersten Thieren entbehrlich werden kann. Was man bei den W\u00fcrmern als erste Anf\u00e4nge der Gallenorgane ansehen k\u00f6nnte und angesehen hat, sind die blinden Erweiterungen oder blinddarmf\u00f6rmigen Anh\u00e4nge des Darmkanals, welche bei dem me-dicinischen Blutegel in ihrem einfachsten Zustande noch blosse Seitenerweiterungen, bei den Aphroditen lange d\u00fcnne Blindd\u00e4rm-chen, bei verschiedenen W\u00fcrmern aber schon verzweigt sind, und endlich bei den Planarien und Distomen schon einen vollst\u00e4ndig verzweigten Darmkanal (ohne After) darstellen. Die blinden Anh\u00e4nge am Magen der Seesterne, welche auch keinen After besitzen, k\u00f6nnten auch als analoge Absonderungsorgane angesehen werden, allein es l\u00e4sst sich nicht ermitteln, ob und was alle diese Organe absondern. Bei den Insecten m\u00fcnden bald tiefer bald h\u00f6her in dem Darkanal, immer hinter dem weilen Theil des Darms, den man 1\u2018\u00fcr den Magen h\u00e4lt, die sogenannten Gallengef\u00e4sse, Vasa Malpighiana ein, lange, meist paarige, gewundene K\u00f6hren mit blindem Ende. Diese Gelasse enthalten indess keine Galle, sondern nach Audouik [l\u2019institut 135.) und Chevkedl (Stkaus-Duerckueim considerations generales sur l\u2019anatomie des anim. articul. Paris 1828. 4. 251.) Harns\u00e4ure. Diese Gebisse secerniren \u00fcberdiess w\u00e4hrend der Entwickelung der Puppe, wo nichts verdaut vfird, sehr stark. Sie sind also offenbar Ausscheidungsorgane, Vasa urinaria. Sie m\u00fcnden erst hinter dem Theil des Darms ein, worin der Chylus gebildet wird, und bei den Larven oft kurz vor dem After. Dagegen giebt es bei niehreren Insecten h\u00f6her in den Darm einm\u00fcndende \u00dflindd\u00e4rm-chen oder sogar \u00e4hnliche Vasa Malpighiana superiora. Ich bin geneigt, mit Meckel [Arch. 1826.) letztere f\u00fcr die gallabsondernden Organe zu halten. Mit solchen Blindd\u00e4rmchen ist der bei den fleischfressenden K\u00e4fern auf den Muskelmagen folgende h\u00e4utige Magen besetzt, und \u00e4hnliche Schl\u00e4uche kommen bei mehreren anderen Insecten vor. Bei vielen Orthopteren, Mantis, Gryllus, Blatta eiebt es \u00e4hnliche Blindd\u00e4rmchen hinter dem auch hier vor-komrnenden Muskelmagen, und bei Locusta, Acheta, Gryllotalpa m\u00fcnden die Vasa Malpighiana superiora in besondere schlauchartige Anh\u00e4nge des Darms hinter dem Muskelmagen ein. Was man bei den insecten Magen nennt, jener weitere mittlere Theil des Darms, bald allein, bald hinter einem Muskelmagen, ist etwas","page":515},{"file":"p0516.txt","language":"de","ocr_de":"516 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nganz anderes als der Magen der h\u00f6heren Thiere; die Speisen werden liier aufgel\u00f6st und dringen von hier aus in den Fettk\u00f6rper, der alle Organe verh\u00fcllt; dieser Theil des Darms ist die Pars chylopo\u00ebtica, w\u00e4hrend die Excrementbildung von der Einm\u00fcndungsstelle der Vasa Maipighiana oder urinaria anlangt. Diese Darlegung wird noch sicherer, wenn wir hei den Spinnen, namentlich heim Scorpion am obern Theil des Darms wahre gallenahsondernde Gelasse, am untern Theil Vasa Maipighiana antrelfen. Siehe meine Schrift de penit. gland, struct. Tab. 8. Fig. 8.\nDie Leber hat hei den Wirbelthieren zweierlei zuf\u00fchrende Ge-f\u00e4sse, Arterien, eine zuf\u00fchrende Vene (Pfortader), und einerlei r\u00fcckf\u00fchrende Gef\u00e4sse, die r\u00fcckf\u00fchrenden Venen oder Venae hepaticae. Bei dem Menschen und den S\u00e4ugethieren setzen die Venen des Magens, Darms, Mesenteriums, der Gallenblase, des Pankreas die in der Leber nach Art einer Arterie sich verzweigende Pfortader zusammen, und aus den Capillargef\u00e4ssen der Leber, zu welchen auch die Leberarterien f\u00fchren, kehrt das Blut durch die Lebervenen zur\u00fcck in die Vena cava inferior. Bei den V\u00f6geln und Amphibien geht zur Pfortader auch ein Theil des Blutes der untern Extremit\u00e4t, des Schwanzes, des Beckens. Jacodson, Meck. Arch, 1817. 147. Nicolai Isis 1826. 404. Die Pfortader erh\u00e4lt zuweilen hei Fischen auch die Venen der Genitalien und der Schwimmblase, vergl. oben p. 444.\nNach Kiernan\u2019s Untersuchungen verzweigt sich die Leberarterie vorzugsweise auf den W\u00e4nden der Galleng\u00e4nge, Gallenblase und der andern Blutgef\u00e4sse. Derselbe bestreitet die Annahme, dass in dasselbe Capillargef\u00e4ssnetz, aus welchem die Anf\u00e4nge der Lehernerven entstehen, sowohl das arterielle Blut als das ven\u00f6se Blut der Pfortader ergossen werde. Nach Kiernan geht das Blut der Arterie, nachdem es die W\u00e4nde der Gef\u00e4sse ern\u00e4hrt hat, aus den Netzen der Arterien in Zweige der Pfortader \u00fcber, und von dort aus mit dem \u00fcbrigen Pfortaderblut in die Lebervenen. Die Acini der Leber dagegen erhalten vorzugsweise ven\u00f6ses Blut, welches zwischen den feinsten Gallengef\u00e4ssen durch Capillarge-f\u00e4ssnetze in die Lebervenen \u00fcbergef\u00fchrt wird. Vergl. oben p. 445. Nach Kiernan w\u00fcrde die Absonderung der Galle mehr aus ven\u00f6sem Blute geschehen. In den Galleng\u00e4ngen kommen auch kleine Schleimfolliculi vor, welche Kiernan nachgewiesen hat; derselbe l\u00e4sst diese Absonderung des Schleims hier wie in der Gallenblase von arteriellem Blute geschehen.\nDass die Gallenahsonderung indess auch aus arteriellem Blute geschehen kann, beweisen F\u00e4lle, in welchen die Pfortader, statt sich in der Leber zu verbreiten, vielmehr in die untere llohl-ader \u00fcberging. Dieses sah Aeernetiiy (Philos. Transact. 1793.) hei einem lOmonatlichen Knaben, und Lawrence (Medico-chirurg. Transact, o. 174.) theilte einen Fall von einem mehrj\u00e4hrigen Kinde 'mit. Da indess in dem Falle von Arernetiiv die Vena umbilicalis noch durchg\u00e4ngig war und sich in der Leber verzweigte, so kann, wie Kiernan bemerkt, das Arlerienblut, nachdem es durch die Vasa vasorum die Leber ern\u00e4hrt, ven\u00f6s geworden, in die Zweige der Umbilicalvene getreten scyn, so wie es nach","page":516},{"file":"p0517.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungss\u00e4jten. Galle.\n517\nKiernan\u2019s Vorstellung ven\u00f6s geworden sonst in die Aeste der Pfortader \u00fcbergellt; in diesem Fall k\u00f6nnte also die Absonderung docli aus ven\u00f6sem Blute statt gefunden haben. Kiernan Philos. Transact. 1833. P. //.\nSimon (\u00c4ouv. hull, des sc. par la soc. philomat. 1825.) und Phillipps [Land. med. gaz. 1833. dun.) schlossen aus Versuchen, dass die Galle vom Pfortaderblute abgesondert werde. Da in-dess in Phillips Versuchen auch nach Unterbindung der Pfortader die Absonderung der Galle fortfahren soll, wiewohl in geringerer Menge, so schliesst er, dass die Galle sowohl aus dem arteriellen als ven\u00f6sen Blute abgesondert werde. Nach Unterbindung der Arteria hepatica fand er keine Ver\u00e4nderung der Gallenabsonderung.\nDie Gallenblase der Wirbelthiere zeigt sich in der Entwickelungsgeschichte als Divertikel oder Auswuchs des Ausl\u00fchrungsganges der Leber. Siehe meine Schrift de penif. gland, struct. Beim Menschen und bei mehreren S\u00e4ugethieren kann die aus dem Lebergang dem Ductus eholedochus zufliessende Galle, durch Verschliessung der Darmm\u00fcndung des letztem, oder verl\u00e4ngerte Contraction des Ganges in den Ductus cy-slicus und die Gallenblase ausweichen, wie denn diess im n\u00fcchternen Zustand vorz\u00fcglich geschieht. Bei den Thieren erh\u00e4lt die Gallenblase aber h\u00e4utig am Halse oder Grunde besondere Leberg\u00e4nge, Ductus hepatico-cystici, die beim Menschen nicht vorhanden sind. Bei den V\u00f6geln m\u00fcndet der Lebergang, vom Ductus cysticus getrennt, in das Duodenum. Die Gallenblase erh\u00e4lt ihre Galle durch besondere Leberg\u00e4nge am Halse oder Grunde. Bei den Reptilien gelangt die Galle durch Aeste des Leberganges in die Gallenblase. Bei den Fischen verbinden sich alle Leber\u00e4ste mit der Gallenblase oder dem Ausf\u00fchrungsgange derselben. Cuvier, ocrgl. Anat. 3. p. 5B7. Wahre Ductus hepatico-cystici kennt Rudolphi Physiol. (//. 2. 153.) unter den Hauss\u00e4ugethieren nur vom Piinde (8-\u201410). Mehrere Thiere haben gar keine Gallenblase. Hierher geh\u00f6ren unter den S\u00e4uge-thieren die Einhufer, ferner die Hirsche und Kameele, Elephant, Nashorn, Daman, Pekari, Hystrix dorsata, Hamster, viele M\u00e4usearten, die Tardigraden, Rytina, der Braunfisch und T\u00fcmmler unter den Cetaceen. Unter den V\u00f6geln fehlt sie beim Papagey, Kukuk, Straus, Taube, Holztaube, und Haselhuhn. Unter den Fischen fehlt sie bei der Lamprete (nicht bei Ammococtes und den Myxinoideen), dem Nilbarsch, dem gestreiften Plattfisch, der Meerleier, dem Lump und einigen Sci\u00e4nen. Siehe Cuvier /. c. p. 591. Also zeigt sich in dem Mangel derselben nichts Geselzm\u00e4ssigcs, obgleich diejenigen Thiere, denen sie fehlt, meist Pflanzenfresser sind und mchrentheils best\u00e4ndig verdauen. Allein sehr viele Pflanzenfresser besitzen eine Gallenblase. Wo sie fehlt, ist h\u00e4ufig der Ausf\u00fchrungsgang der Leber sehr erweitert, wie beim Pferde.\nDie Galle ist gr\u00fcn, bitter schmeckend und ekelhaft riechend, die Lebergalle heller, die Gallenbiascngaile wegen Resorption","page":517},{"file":"p0518.txt","language":"de","ocr_de":"518 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nfl\u00fcssiger Theile consistenter und gr\u00fcner, von aufgel\u00f6stem Schleim fadenziehend. Sie enth\u00e4lt sparsam weissliche oder graue K\u00fcgelchen; beim Frosch sind sie nach meiner Beobachtung von ungleicher Form und Gr\u00f6sse, und im Durchschnitt 5 Mal kleiner als die Blutk\u00f6rperchen des Frosches, andere noch kleiner. Was die Galle gr\u00fcn macht, ist aufgel\u00f6st. Im Irischen Zustande ist die Galle nach Schultz immer alkalisch. Die Galle gerinnt nicht heim Kochen und l\u00f6st Oele nicht auf. Nach Weener soll die Galle die Gerinnung des Blutes verhindern, und die Aufl\u00f6sung des Blutroths im Blutwasser ausser den thierischen K\u00f6rpern bedingen. Das Letztere ist unrichtig.\nBerzelius Analyse der Ochsengalle von 1807. Wird Ochsengalle bis zur Consistenz von Extract abgedarnpft und dann mit Alkohol vermischt, so bleibt eine gelbgraue Substanz der Galle ungel\u00f6st; sie ist, da sie auch von Essigs\u00e4ure aus der Galle niedergeschlagen wird, nicht Eiweiss, sie ist vielmehr der Schleim der Gallenblase. Diese durch S\u00e4ure aus der Galle niedergeschlagene Materie, und der von der Gallenblase abgeschabte Schleim mit S\u00e4ure behandelt, verhalten sich ganz gleich.\nDie Aufl\u00f6sung von eingetrockneter Galle in Alkohol enth\u00e4lt die wesentlichen Bestandteile der Galle. Destilhrt man den Alkohol ab, l\u00f6st den R\u00fcckstand mit wenig Wasser und vermischt ihn mit etwas verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure, so hat man in dem gr\u00fcngrauen Niederschlage eine Verbindung mit dem characteristi-schen bittern Stoff der Galle. Denselben Stoff erh\u00e4lt man in gleicher Verbindung, wenn man von Gallenschleim befreite Galle mit weniger verd\u00fcnnter S\u00e4ure versetzt. Die Fl\u00fcssigkeit, woraus der bittere Stoff niedergeschlagen wird, enth\u00e4lt Osinazom, Kochsalz, milchsaures Natron gleich dem Blutwasser.\nDie von Schwefels\u00e4ure mit dem hittern Stoff der Galle erhaltene Verbindung ist in Alkohol wie ein Harz aull\u00f6slich, wird daraus durch Wasser niedergeschlagen, und zeigt die Charactere eines Ilarzcs. Man erh\u00e4lt den bittern Stoff aus dieser Verbindung, indem die Aufl\u00f6sung dieser Materie in Alkohol mit kohlensaurem Baryt digerirt wird, die Schwefels\u00e4ure wird dann abgeschieden und der bittre Stoff bleibt aufgel\u00f6st. Berzelius hat diesen Stoff'Gallenstoff genannt. Gmeun h\u00e4lt ihn f\u00fcr ein Gemenge von mehreren Stoffen. Der abgeschiedene Gallenstoff enth\u00e4lt eine gewisse Menge Fett, w\u2019elches sich durch Aether daraus ausziehen l\u00e4sst. Chevreul und Gmelin haben dieses Fett aus der concentrirten Galle selbst durch Aether ausgezogen. Es besteht theils aus verseiftem Fett (fetten S\u00e4uren), theils aus einem eigenen, nicht mit Alkali verbindbaren Gallenfett. Der reine Gal-lenstoff wird von Wasser aufgel\u00f6st, und die Aufl\u00f6sung besitzt Farbe und Geschmack der Galle. Der Gallenstoff ist gelbbraun gr\u00fcnlich, doch scheint die Farbe von einem F\u00e4rbestoff herzur\u00fchren, denn der Gallenstoff l\u00e4sst sich fast farblos darstellen. Beim Erhitzen schmilzt der Gallenstoff unter Aufbl\u00e4hen, verkohlt, raucht, entz\u00fcndet sich und verbrennt mit russender leuchtender Flamme, und hinterl\u00e4sst eine schwer verbrennliche aufgeschwollene Kohle. Der Gallenstoff ist in Wasser und Alkohol in allen Verh\u00e4ltnissen.","page":518},{"file":"p0519.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungss\u00fcften. Galle.\n519\nl\u00f6slich, aber unl\u00f6slich irn Aether. Der Gallenstoff wird auch von Alkali aufgel\u00f6st. Berzelius glaubt, dass das in der Galle enthaltene kohlensaure Natron mit dem GallenstolF chemisch verbunden ist. Von Gallapfelinfusion wird der Gallenstoff aus Wasser nicht gefallt, wohl aber von Metallsalzen. Nach der Analyse von Berzelius enthalt die Ochsengalle:\nWasser....................................................  .90,44\nGallenstoff mit Fett..........................................8,00\nGallenblasenschleiin..........................................0,30\nOsmazom, Kochsalz\tund\tmilchsaures\tNatron...................0,74\nNatron.....................................................0,41\nphosphorsaures Natron, phosphorsaure Kalkerde und Spuren von einer im\tAlkohol\tunl\u00f6slichen\tSubstanz .\t.\t.\t0,11\n100,00\nProut\u2019s Analyse stimmt im Wesentlichen mit der von Berzelius, dagegen erhielt Thenard (1806) hei einer andern Methode andere Resultate (mem. de la soc. d\u2019arc. 1. 23.). Er analysirte die Galle mit essigsaurem Bleioxyd. Nachdem er n\u00e4mlich eine von ihm f\u00fcr Eiweiss gehaltene Materie der Galle mit Salpeters\u00e4ure gefallt hatte, vermischte er die fdtrirte und verd\u00fcnnte Fl\u00fcssigkeit mit einer Aufl\u00f6sung von basischem essigsaurem Bleioxyd. Dasjenige, was heim Zusatz von Salpetersaure zum Niederschlag ungel\u00f6st bleibt, nannte er Gallenharz, ln dem noch fl\u00fcssigen Theile der mit Bleisalz versetzten Galle f\u00fcllte er durch neuen Zusatz von Bleisalz eine andere Substanz, welche nach Abschei-dung des Bleisalzes ganz im Wasser l\u00f6slich ist, n\u00e4mlich eine extradai tige, s\u00fcssliche, bittere Masse, die er Pikromel nannte.\nThe sard\u2019s Gallenharz ist gr\u00fcn und bitter, heim Schmelzen wird es gelb. Es ist in geringer Menge in Wasser l\u00f6slich, und wird daraus durch Schwefels\u00e4ure gef\u00e4llt. Seine Aufl\u00f6sung im Alkohol wird durch Wasser niedergeschlagen. Im Alkali ist es l\u00f6slich und wird daraus durch S\u00e4ure gelallt. Pikromel ist z\u00e4he, hellgelb, im Aeussern wieTerpenthin. Es ist im. Wasser und Alkohol l\u00f6slich, aber nicht im Aether. Es wird von basischem essigsaurem Bleioxyd, von Eisenoxydsalzen und salpetersaurein Quecksilberoxydul gef\u00e4llt. Gallenharz ist im Pikromel aufl\u00f6slich und es wird hierdurch wieder Galle gebildet. Berzel. Thicrch. 183.\t1000 Eheite\nOchsengalle enthalten:\n875,6\n30,0\nWasser .\nGallenharz\nPikromel\n75,4\n5,0\n5.0 2.5\n4.0\n1.0\ngelben F\u00e4rbestoff der Galle\nNatron...................\nphosphorsaures Natron\nKochsalz.................\nschwefelsaures Natron schwefelsauren Kalk .\t.\nSpur von Eisenoxyd\nBerzelius machte es wa M\u00fc tier\u2019s Physiologie. L\n1000,0\nhrscheinlieb, dass statt dieser beiden 34","page":519},{"file":"p0520.txt","language":"de","ocr_de":"520 II. Buch. Organ, chem. Processe. IF. Abschnitt. Verdauung.\nStoffe Gallenharz und Pikromel nur der einzige Gallenstoff anzunehmen sey, welcher wegen seiner Eigenschaft, durch Verbindung mit Minerals\u00e4ure ein Harz zu bilden, zur Annahme des Gallenharzes veranlasst habe. Gmelin hat dagegen Thenard\u2019s Ansicht best\u00e4tigt, dass in der Galle wirklich Pikromel nebst einem Harz enthalten ist, oder einer Materie, die durch geringe \u00e4ussere Einfl\u00fcsse in Gallenharz verwandelt wird. Gmelin f\u00fchrt in seiner Chemie das Gallenharz unter den stickstofffreien, das Pikromel unter den stickstoffhaltigen K\u00f6rpern auf. Das Pikromel ist seitdem von Chevreul, Chevallier und Lassaigne auch in der menschlichen Galle gefunden worden, wie denn Orfii.a, Laugier und Caventou dasselbe auch in menschlichen Gallensteinen entdeckt haben. Nach Thenard wird der Gallenstoft dem Albumen um so \u00e4hnlicher, je mehr durch einen krankhaften Process die Leber sich in Fett zu verwandeln scheint. Huenefeld physiol. Chem. 2. 108.\nDie Resultate von Gmelin\u2019s Analyse der Ochsengalle gehen:\n1.\tmoschusartig riechender Stoff, wird durch Destillation der Galle erhalten, wobei er als riechendes Wasser \u00fcbergeht.\n2.\tGallenfett Cholestrin. Bestandtheil der Gallensteine, von Ciievreul in der frischen Galle nachgewiesen, auch in anderen Theilen, im Blut nach Boudet, sonst meist krankhaft vorkommend, wie in dem Wasser der localen Wassers\u00fcchten, Hydrocele, im Markschwamm. Man gewinnt das Gallenfett der Galle, indem man die abgedampfte Galle mit Aether sch\u00fcttelt, welcher es auszieht. Nach dem Abdestilliren eines Theils des Aethers krysta11isirt es beim Erkalten aus dem R\u00fcckstand, verunreigt mit Oels\u00e4ure, von der es sich durch Aull\u00f6sen in kochendem Alkohol reinigen l\u00e4sst, aus dem es heim Erkalten ansebiesst. Gallenfett krystallisirt in weissen perlmuttergl\u00e4nzenden Bl\u00e4ttern, ist ohne Geruch und Geschmack und schwimmt auf Wasser. Von kaustischem Kali l\u00e4sst sich das Gallenfett nicht aufl\u00f6sen oder verseifen, worin einer seiner Hauptcharactere bestellt. Hierin stimmt es mit Hirnfett \u00fcberein, enth\u00e4lt aber keinen Phosphor; es ist das kohlenstoffhaltigste aller Fettarten. Berzelius Thierchemie. 185.\n3.\tOels\u00e4ure, ein blassgelbes, halb durchsichtiges Oel, Lacmus-papier r\u00f6thend.\n4.\tTalgs\u00e4ure, krystallisirt in farblosen perlmuttergl\u00e4nzenden Bl\u00e4ttchen. Die Aufl\u00f6sung in Weingeist r\u00f6thet das Lacmuspapier.\n5.\tChols\u00e4ure, eine neue Substanz, krystallisirt in feinen Nadeln, von scharfs\u00fcssem Geschmack, enth\u00e4lt Stickstoff, und ist in kochendheissem Wasser etwas l\u00f6slich; die L\u00f6sung r\u00f6thet Lacmuspapier; im Alkohol ist sie leicht l\u00f6slich. Von Schwefels\u00e4ure wird sie aufgel\u00f6st und daraus wieder vom Wasser gef\u00e4llt. Die von Chols\u00e4ure gebildeten Salze sind l\u00f6slich und zuckers\u00fcss, die S\u00e4ure ist st\u00e4rker als Harns\u00e4ure und zersetzt auch in der K\u00e4lte die kohlensauren Alkalien. Berzelius Thierchemie. 190.\n6.\tG\u00e4llcnliarz, in der K\u00e4lte spr\u00f6de, bei m\u00e4ssiger W\u00e4rme weich, von brauner Farbe, hell durchscheinend, aufl\u00f6slich im Alkohol und daraus durch Wasser f\u00e4llbar. Es brennt, \u00fcber 100 Grad erhitzt, mit russender klamme und aromatischem Ger\u00fcche, und hinterl\u00e4sst eine schwammige, leicht verbrenn-","page":520},{"file":"p0521.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungsslijten. Galle.\n521\nliclie Kohle. In concentrirter Schwefels\u00e4ure l\u00f6st es sich langsam auf, Wasser schl\u00e4gt es daraus in Flocken nieder. Es wird weder von Salzs\u00e4ure noch Essigs\u00e4ure aufgel\u00f6st. Es verbindet sich leicht mit kaustischem Kali, diese Verbindung l\u00f6st sich in reinem Wasser auf; es wird leicht von kaustischem und kohlensaurem Ammoniak, nicht von kohlensaurem Kali aufgel\u00f6st ; alkoholfreier Aether l\u00f6st fast nichts auf. Gmelin a. a. O. I. 57.\n7.\tTaurin, ein neuer Stof!', in grossen, farblosen, durchsichtigen Krystallen, irregul\u00e4ren sechsseitigen S\u00e4ulen mit 4- oder 6 seifiger Zuspitzung. Die Krystalle knirschen zwischen den Z\u00e4hnen und schmecken piquant; sie sind weder sauer noch alkalisch, ver\u00e4ndern sich selbst hei -4-100\u00b0 C. nicht in der Luft. Im offenen Feuer kommt das Taurin in dicken Fluss, wird braun, bl\u00e4ht sich auf, und hinterl\u00e4sst eine leicht verbrennliche Kohle. Taurin ist l\u00f6slich im Wasser, sehr wenig in kochendem Alkohol, fast gar nicht in wasserfreiem Alkohol ; es enth\u00e4lt etwas Stickstoff. Gmelin 1. c. 61.\n8.\tPikromel. Thenard\u2019s Pikromel ist dickfl\u00fcssig undwieTer-penthin. Gmelin\u2019s Pikromel ist undurchsichtig, besteht aus krystalli-nischen Kr\u00fcmchen und ist sehr reich an Stickstoff. Es ist in kaltem Wasser leicht l\u00f6slich, ebenso im Alkohol, unaufl\u00f6slich im Aether; in concentrirter Schwefels\u00e4ure ist es leicht l\u00f6slich mit W\u00e4rmeentwickelung, heim Erkalten gesteht es zur H\u00e4lfte zu einer kry-stallinischen Masse. M\u00e4ssig concentrirte Salzs\u00e4ure l\u00f6st Pikromel auf. Pikromel wird nicht von Gall\u00e4pfeltinctur gef\u00e4llt, und l\u00e4sst sich nicht in G\u00e4hrung versetzen. Tuenard\u2019s Pikromel soll eine Verbindung von Pikromel mit Gallenharz seyn.\n9.\tF\u00e4rbestoff der Galle (stickstoffhaltig). Der F\u00e4rbestoff der (\u25a0alle zeigt ein characteristisches Verhalten, gegen Salpeters\u00e4ure, und wird vermittelst derselben auch erkannt, wenn er in der Gelbsucht etc. in das Blut und den Urin aufgenomrnen worden. Harn, wenn er F\u00e4rbestoff der Galle enth\u00e4lt, wird, wenn man ihn mit einem gleichen Volum Salpeters\u00e4ure vermischt, zuerst gr\u00fcnlich, dann dunkelgr\u00fcn, darauf schmutzig roth und sp\u00e4ter braun. Berzelius Tiiierchem. p. 410.\n10.\tOsmazom. 11. Eine Materie, die heim Erhitzen Harngeruch entwickelt. 12. Eine pflanzenleimartige Materie. 13. Ei-weiss. 14. Gallenblasenschleim. 15. K\u00e4sestoff 16. Speichelstoff. 17. Zweifach kohlensaures Natron. 18. Kohlensaures Ammonium. 19. Essigsaures Natron. 20\u2014416. Oelsaures, talgsaures, cholsaures, schwefelsaures und phosphorsaures Kali und Natron, Kochsalz und phosphorsaurer Kalk.\nGmelin hat in der Galle des Menschen Gallenfett, Gallenharz, Pikromel und Oels\u00e4ure gefunden; ausserdem haben Frommherz und Gugert (Schw. Journ. 50. 68.) in der Menschengalle noch F\u00e4rbestoff, Speichelstoff, K\u00e4sestoff, Osmazom, \u00f6lsaures, cholsaures, talgsaures, kohlensaures, phosphorsaures und schwe-felsaures Natron mit wenig Kali, und phosphorsauren, schwefel-sauren und kohlensauren Kalk gefunden. Vcrgl. Berzelius Thierchemie. p. 206.","page":521},{"file":"p0522.txt","language":"de","ocr_de":"522 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Ahschni/I. Verdauung.\nBerzelius Iieg\u00efeitet die chemische Beschreibung der Galle mit der Bemerkung, dass die Zusammensetzung der Galle wohl einfacher sey, als die analytischen Resultate zu erkennen gehen, und halt es f\u00fcr sehr wahrscheinlich, dass sie die eiweissartigen Bestandteile des Blutes zwar wesentlich ver\u00e4ndert, aber mit den im Blute vorkommentlen Salzen unorganischen Ursprungs vermischt enthalte, und dass das von eiweissartigen Bestandteilen Hervorgehrachte eine so grosse Neigung zu Ver\u00e4nderungen in der Zusammensetzung habe, dass es durch Einwirkung von ungleichen Reagentien, in verschiedene Verbindungen zersetzt werde, die verschieden ausfallen, nach den zu ihrer Scheidung eingeschlagenen ungleichen Methoden, gerade so wie Oele' Und Fette durch Einwirkung von Basen in Zucker und in fette Sauren umgewandelt werden.\nNach Berzelius Analyse der Schlangengalle enth\u00e4lt dieselbe einen eigenen Gallenstoff, der von S\u00e4uren und Alkalien nicht gelallt wird. Vom Gallenstoff der warmbl\u00fctigen Thiere unterscheidet er sich dadurch, dass er vom essigsauren Blei nicht in Gallenharz und Gallenzucker (Pikromel) zerlegt werden kann. Er ist verbunden mit Farbestoff, \u00e4hnlich dem F\u00e4rbestoff aus der Galle anderer Thiere, der f\u00fcr sich im Wasser wenig l\u00f6slich ist, in Verbindung mit Gallenstoff aber sich reichlich darin l\u00f6st. Die Verbindung dieser beiden Stoffe ist der unzersetzten Galle ganz \u00e4hnlich. Ausserdem enth\u00e4lt die Galle der Schlange eine geringe Quantit\u00e4t eines krystallisirenden, durch eine L\u00f6sung von kohlensaurem Kali f\u00e4llbaren Gallenstoffs, analog demjenigen, welchen Gmelin in der Galle mehrerer Cyprinusarten [Leuciscux, a/hiirnus, barbusJ fand, und welcher dort das Gallenharz und Pikromel ersetzt. Nach Gmelin bewirkt der krystallinische Gallenstoff der Cyprinusarten, wenn er mit Galle vermischt wird, eine Gerinnung zu einer gr\u00fcn-lich-weissen, k\u00f6rnigen Masse. Leider besitzen wir keine Untersuchungen \u00fcber die Galle der Krebse und der Mollusken.\nEinige Beobachtungen \u00fcber die Galle hat Schultz angestellt. Beim n\u00fcchternen Ochsen fand er 12\u201416 Unzen Galle in der Gallenblase, nach der Verdauung noch 2\u20144 Unzen in derselben, hei einem grossen n\u00fcchternen Hunde 5 Drachm,, hei einem Hunde mittlerer Gr\u00f6sse nach der Verdauung 2 Dr. 17 Gr. Die Galle des Ochsen hatte ein specilisches Gewicht von 1,026\u20141,0-30; sie war immer alkalisch; ihre Neutralisation erforderte, wenn sie dick war, 1 Dr. Weinessig auf 1 Unze Galle, dagegen, wenn sie d\u00fcnn war, \u2014 * Drachm. Weinessig. Das in der Galle durch Weingeist entstehende COagulum h\u00e4lt er nicht f\u00fcr Eiweiss, sondern f\u00fcr eine dem Speichelstoff \u00e4hnliche Materie, weil n\u00e4mlich die Galle durch Hitze keine Gerinnung eingehe. Die weingeistige Aufl\u00f6sung der bis zur Trockne eingedickten Galle war auch noch alkalisch, daher h\u00e4lt Schultz die gew\u00f6hnliche Meinung, welche auch Tiedemann und Gmelin liegen, dass die Aikalescenz der Galle von kohlensaurem fixem Alkali herr\u00fchre, f\u00fcr unrichtig; sie r\u00fchre auch nicht von Ammonium lier, w'eil das Destillat der Galle nicht alkalisch reagirt. Schultz nimmt ein organisches Alkali in der Galle an, \u00e4hnlich den Pflanzenalkaloiden ; die in der Galle vor-","page":522},{"file":"p0523.txt","language":"de","ocr_de":"I. Von den Verdanungss\u00e4ften. Pankreassaft.\n523\nbandeue Oels\u00e4ure denkt er sich in einer Verbindung mit diesem alkalischen Stoffe. Das von Sauren hervorgebrachte Coa-gidutn h\u00e4lt er nicht f\u00fcr Eiweiss, sondern f\u00fcr einen Niederschlag jenes SLoiles. Diesen Stoff glaubte er so darstellen zu. k\u00f6nnen, dass er durch Essigs\u00e4ure einen Niederschlag der Galle bewirkte, die Essigs\u00e4ure durch Ammonium neutralisirte, und das essigsaure Ammonium durch Destillation bis zur Trockne ab-schied. Das braune bittere Residuum war nun irn Wasser, Essig und Weingeist l\u00f6slich, und gab alkalische Anzeigen gegen ge-r\u00f6theles Laemuspapier; l\u00e4ngere Zeit der Luft ausgesetzt, verlor diese Materie ihre Alkalescenz und war weder im Wasser, Essig, noch Weingeist ganz l\u00f6slich. Offenbar war diese Materie ein Gemenge mit Gallenblasenschleim, welcher nach Berzelius von Essigs\u00e4ure aus dei Galle gef\u00e4llt wird. Nach dem Niederschlage der Galle durch Essigs\u00e4ure bleibt, nie Schultz selbst bemerkt, noch eine bitterschmeckende oder bitters\u00fcsslich schmeckende Materie ui der Aufl\u00f6sung zur\u00fcck.\nd. Succus pancreaticus. Ausser Grant's Beobachtung (Fro-iiiEr s Notizen. 1. i.\t182.), dass bei Loligo sagittata eine dem\nPankreas analoge Dr\u00fcse vorhanden ist, n\u00e4mlich zwei hellrothe, gelappte, mit dem Gallengang verbundene Dr\u00fcsen, kennt man das Pankreas nicht bei den Wirbellosen. Selbst unter den Fischen ist es nicht allgemein, bei vielen derselben fehlt es, bei anderen sind Blindd\u00e4rme in verschiedener Anzahl und Ordnung an seiner Stelle, Appendices pyloricae. Bei dem Stockfisch und Schellfisch h\u00e4ufen sich diese und beginnen sich zu tbeilen, bei Polyodon folium stellen sie einen in Abschnitte ausserlieh getbeilten Sack dar, beim Thunfisch sind sie sehr verzweigt und bilden eine ungeheure Anzahl B\u00fcschel blind endigender R\u00f6hrchen, beim Schwertfisch endigen die Zweige des grossen Ausf\u00fchrungsganges mit einem B\u00fcndel kurzer zahlreicher Blindd\u00e4rmchen, w\u00e4hrend eine gemeinsame Haut das Ganze umh\u00fcllt. Beim St\u00f6r endlich ist die ganze Masse scheinbar parenchymat\u00f6s, und besteht aus einem schwammigen Gewebe von kleinen und gr\u00f6sseren Zellen, und bei den Hayen und Rochen giebt es ein dichteres Gewebe des Pankreas wie bei den hohem Thieren. Siehe das N\u00e4here in dem Dr\u00fcsenwerk J. Mueller depend, gland, struct. Lib. VIII. Ta//. IIf. Bei den Fischen ist der Saft der Blindd\u00e4rme klebrig und rea-girt, wie Swammerdam und Tiedemann . und Gmelin beobachtet, nicht oder sehr wenig sauer. Hunden hat man das Pankreas ganz oder gr\u00f6sstentheils zerst\u00f6rt, ohne dass ihre Verdauung und \u00fcbrige Gesundheit gelitten h\u00e4tte. Man hat nur zuweilen gr\u00f6ssei\u2019e Geh\u00e4ssigkeit beobachtet. Autenrietii Physiol. 2. b'9.\nIn der neuern Zeit b\u00e4hen Mayer, Magendie, Tiedemann und Gmelin den pancreatischen Saft der h\u00f6heren Thiere untersucht. Mayer (Meckel\u2019s Archie. 3. 170.) fand denselben, wie er in einem blasenartigen Beh\u00e4lter hei der Ratze sich angesammelt hatte, alkalisch, durchsichtig. Magendie (physiol. 2. 367.) fand den Saft des Hundes gelblich, geruchlos, salzig schmeckend, alkalisch, auch sollte er hier wie bei den V\u00f6geln in der Warme gerinnen. Tiedemann und Gmelin sammelten den","page":523},{"file":"p0524.txt","language":"de","ocr_de":"524 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\npankreatischen Saft eines grossen Hundes durch ein in den eingeschnittenen Gang eingelegtes R\u00f6hrchen. Alle 6 \u2014 7 Secunden floss ein Tropfen aus (in vier Stunden beinahe zehn Grammen). Der Saft war klar, etwas opalisirend, liess sich in F\u00e4den ziehen und schmeckte schwach salzig. Dieselben Versuche machten sie an einem Schaf und an einem Pferde. In diesen 3 F\u00e4llen re-agirte der Saft anfangs schwach sauer, nur die zuletzt abfliessende Portion des pancreatischen Saftes vom Hunde und Pferde re-agirte schwach alkalisch. A. Schui.tze fand den pankreatischen Saft beim Hunde, bei der Ratze und beim Pferde sauer, einmal beim Hunde indifferent. Die vergleichende Analyse des Saftes jener 3 Thiere von Gmelin ergab F\u2019olgendes: Der pankreatische Saft ist sehr reich an Eiweiss, er enth\u00e4lt kein schwefelblausaures Salz wie der Speichel enthalten soll. An festen Theilen enth\u00e4lt er beim Hunde 8,72, beim Schaf 4 \u2014 5 Procent, die festen Theile sind:\n1.\tOsmazom.\n2.\tEine durch Chlor sich r\u00f6thende Materie, die bloss beim Hunde, nicht beim Schafe gefunden wurde.\n3.\tEine dem K\u00e4sestoff \u00e4hnliche Materie, wahrscheinlich mit Speich elstoff.\n4.\tViel Eiweissstoff, ohngef\u00e4hr die H\u00e4lfte des trockenen R\u00fcckstandes betragend.\n5.\tSehr wenig freie S\u00e4ure, wahrscheinlich Essigs\u00e4ure. Die Asche des pankreatischen Saftes betr\u00e4gt beim Hunde 8,28 Proc. vom trocknen R\u00fcckstand, beim Schafe iJ9,7 Proc.\nSie enth\u00e4lt an l\u00f6slichen Salzen\na.\tKohlensaures Kali (wahrscheinlich essigsaures im Safte), beim Hunde und beim Schafe.\nb.\tViel salzsaures Alkali.\nc.\tWenig phosphorsaures Alkali Leim Hunde, und beim Schafe.\nd.\tSehr wenig schwefelsaures Alkali beim Hunde und Schafe. Das Alkali war mehr Natron als Kali. Die nicht im Wasser l\u00f6slichen Salze der Asche sind wenig koh lensaurer und phosphorsaurer Kalk.\nAus diesen trefflichen Untersuchungen ergiebt sich die Vei--sehiedenheit des pankreatischen Saftes und Speichels, denn der Speichel enth\u00e4lt Schleim und Speicbelstoff, im pankreatischen Safte dagegen kommt viel Eiweiss und K;\u00e4sestoff vor, kein Schleim und wenig oder kein eigentlicher Speich eis to ff, Speichel ist alkalisch, Succus pancreat. frisch s\u00e4uerlich. Der Sp eichel des Schafes enth\u00e4lt etwas schwefelblausaures Alkali (?), der 'pankreatische Saft nicht. Die \u00fcbrigen Salze sind ohngef\u00e4hr dieselben . Tiedemann und Gmelin '. e. p. 25\u201443.\nLeuret und Lassaigne erhielten b \u00abim lebenden Pferde in einer halben Stunde 3 Unzen pankreatischen Saft. Er war klar, schmeckte salzig, reagirte alkalisch und emthielt nur Proc. fester liestandtheilc, die sie nach einer wie es scheint oberfl\u00e4chlichen Untersuchung f\u00fcr dieselben wie im Speiclu el erkl\u00e4rten. Wasser 99","page":524},{"file":"p0525.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von den Verdauungss\u00fc\u00dfen. Darmsaft.\n525\nthierische Materie, im Alkohol aufl\u00f6slieh, thierische Materie, in Wasser aufl\u00f6slieh, Spuren von Eivveiss, Schleim, freie Soda, Chlorsodium, Chlorpota.ssiurn, phosphorsaure Kalkerde 00,9.\ne. Succus entericus. Ueber tien Bau der den Darmsaft absondernden Dr\u00fcsen ist bereits fr\u00fcher gehandelt worden. Man vergleiche besonders was pag. 190. \u00fcber den Bau der r\u00e4thsel-haften K\u00f6rper, die man Peyer\u2019scIic Dr\u00fcsen nennt, gesagt worden. Besondere Dr\u00fcsenmassen kommen ausser jenen zweifelhaft dr\u00fcsigen K\u00f6rpern im Darm der Thiere nicht vor. Der Darmsaft ist von Tiedemann und Gmelin bei hungernden Tliic-ren untersucht worden. Bei n\u00fcchternen Hunden erschien die innere Fl\u00e4che der Schleimhaut wie mit einer d\u00fcnnen Lage einer sehr consistentcn, weisslichen und etwas gelbgef\u00e4rbten Materie bedeckt, und es fand sich nur sehr wenig ergossene Galle. Wenn Kieselsteine oder Pfeifer verschluckt worden, so war eine gr\u00f6ssere Menge eines d\u00fcnnen und fadenziehenden Schleimes vorhanden, und die Galle war reichlicher ergossen. Die schleimige Masse wurde nach unten im D\u00fcnndarm consisten-ter und gelblich oder gelbbraun, es zeigten sich in ihr gr\u00fcngelbe oder gelbbraune Flocken, aus Darmschleim, Gallenschleim, Harz, Fett und F\u00e4rbestolf der Galle bestehend. Die schleimige Fl\u00fcssigkeit des D\u00fcnndarms der Hunde und Pferde enth\u00e4lt im ersten Drittheil oder in der ersten H\u00e4lfte: 1. etwas freie S\u00e4ure, im Fortgange des D\u00fcnndarms ward sie meist indifferent, und bei den Pferden enthielt sie doppelt kohlensaures Natron. Die Fl\u00fcssigkeit des D\u00fcnndarms enthielt auch 2. viel Eiweissstolf, wahrscheinlich vom Succus pancreaticus; 3. bei den Pferden ferner eine dem K\u00e4sestoff \u00e4hnliche Materie und 1. eine durch salzsaures Zinn f\u00e4llbare Materie beim Pferde, wahrscheinlich Speichel-stotf und Osmazom; 5. eine durch Chlor und Sublimat sich r\u00f6-thende Materie bei Pferden. 6. wenig Gallenharz bei Pferden. 7. im obern Theil des D\u00fcnndarms der Pferde eine stickstofffreie schwachsaure Materie. Ausserdem die gew\u00f6hnlichen Salze tliie-rischer Fl\u00fcssigkeiten. Tiedemann und Gmelin die Verdauung. I. p. 157.\nDer Schleim des Blinddarms reagirte bei allen untersuchten Hunden sauer. Im Blinddarm der Pferde dagegen fand sich statt freier S\u00e4ure doppelt kohlensaures Natron. Viridet {de prima coctione) batte im Blinddarm der Kaninchen gleiche saure Iteaction, wie im Magen gefunden.\nUeber die saure Reaction in dem Blindd\u00e4rme der Thiere hat Schultz weitere Versuche angestellt. Er fand bei den Thieren, wenn sie fasteten, leichter eine alkalische oder neutrale Beschaffenheit der Fl\u00fcssigkeiten im Blindd\u00e4rme, was er aus der Neutralisation durch die w\u00e4hrend des Fastens weiter bewegte Galle erkl\u00e4rt, sonst aber und w\u00e4hrend der Verdauung reagirte die Fl\u00fcssigkeit sauer. Diese Reaction findet sich indess gew\u00f6hnlich bei den pflanzenfressenden Thieren, die mit einem langem Blinddarm ausgestattet sind, dagegen sie bei den Fleischfressern mit unvollkommenem Blindd\u00e4rme meistens fehlt Die Saturation der","page":525},{"file":"p0526.txt","language":"de","ocr_de":"526 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nS\u00e4ure im Chymus eines Kaninchens, das von Kartoffeln und Gras gen\u00e4hrt, und 2^ Stunden nacli dein Tode ge\u00f6ffnet worden, erlorderte auf 2 Unzen Chymus des Magens 3.V Unzen Ochsengalle; dagegen waren zur Saturation des sauren Inhaltes des Blinddarmes eines Kaninchens auf 1 Unze Darminhalt 5 Drachmen Ochsengalle noting. 18 Unzen Chymus aus dem Magen eines Pferdes erforderten zu ihrer Saturation 15 Gran Kali carhonicum oder 1 Unze Chv-mus 2.} Unze Ochsengalle. Zur Saturation von 1 Unze Inhalt des Coecurn geh\u00f6rten 5 Unzen Ochsengalle. Der Chymus des Magens von einem Schwein erforderte' 1,04 bis 1,11 Proc. Kali carhonicum, der Inhalt des Blinddarmes dagegen 0,78 Proc. Kali carhonicum zur Saturation,\nI . Capitel. Von den Ver\u00e4nderungen der Speisen im D a r ink a n a 1.\nDie Aufl\u00f6sung der Speisen setzt voraus, dass die Nahrungsstoffe ihr organisches Gef\u00fcge und ihre Coh\u00e4sion verlieren, was durch das Kauen grossentheils geschieht. Diese Zertr\u00fcmmerung findet theils im Munde, theils im Schlunde hei Schlundz\u00e4hnen, wie bei einigen Fischen, theils im Magen durch die knorpeligen Magenw\u00e4nde des Muskelmagens hei den K\u00f6rner und Insecten fressenden V\u00f6geln, oder durch einen mit Z\u00e4hnen bewaffneten Magen, wie bei einigen Crustaceen, Insecten und Mollusken statt. Dieser und der folgende Act in den Verdauungsoperationen, die Aufl\u00f6sung, lassen sich in der That mit den gew\u00f6hnlichen chemischen Operationen vergleichen, ohne dass dem Organismus etwas vergehen wird. Der Chemiker pulvert die aufzul\u00f6senden oder zu extrahirenden Stoffe, und digerirt sie mit dem L\u00f6sungsmittel; auch diese Digestion findet in dem Kropfe der V\u00f6gel und in den Magen der 1 liiere statt. Nach der Extraction der l\u00f6sbaren Stoffe seiht der Chemiker das Gel\u00f6ste von dem Unl\u00f6slichen ah. Auch im Verdauungsprocesse wird also zertr\u00fcmmert, digerirt, aufgel\u00f6st und das Unl\u00f6sliche abgeschieden.\na. Speichel.\nDer Speichel macht die Speisen zum Verschlucken geschickt; oh er etwas zur Aufl\u00f6sung derselben beitrage, und wie weit seine Bestandteile eine Rolle in der chemischen Verwandlung der JNahrungsstoffe im Magen spielen, ist unbekannt. Seine Wirkung bei der Verdauung scheint keineswegs gross zu seyn, da er den Fischen und Cetaceen fehlt. Spallanzani und Reaumur wollen gefunden haben, dass Thiere das ihnen in durchl\u00f6cherten R\u00f6hren beigebrachte Futter schneller verdauten, wenn es vorher mit Speichel, als wenn es mit W\u2019asser durchtr\u00e4nkt war. Spallanzani\u2019s Versuche Hier das Verdauungsgesch\u00fcft. Leipz, 1785. Tiedemann und Gmelin glauben, dass der Speichel durch seinen Gehalt an kohlensaurem, essigsaurem und salzsaurem Kali und Natron einigermaassen, wiewohl nur schwach aufl\u00f6send wirke (?).\u2022","page":526},{"file":"p0527.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 527\nBerzelius dagegen Bemerkt, dass der Speichel an und f\u00fcr sich aus den Nahrungsstoffen nicht mehr als reines Wasser ausziehe, und ich muss gestehen, dass mir hei den vergleichungsweise mit Speichel und Fleisch, so wie mit Wasserund Fleisch angestellten Versuchen kaum irgend ein Unterschied hemerklich geworden ist.\nSogenannte dynamische Wirkungen des Speichels kenne ich nicht. Auch scheint der Speichel nicht durch Zerst\u00f6rung der specifnchen organischen Eigenth\u00fcmlichkeiten der Nahrungsstoffe zu wirken. Die giftige Wirkung des Schlangengiftes und des Hundswuthgiftes k\u00f6nnte auf dergleichen Gedanken Bringen. Allein ich nahe schon bemerkt, dass die Giftdr\u00fcsen der Giftschlangen nicht ihre Speicheldr\u00fcsen, sondern Angriffsmittel sind, und dass die Giftschlangen ausserdem die gew\u00f6hnlichen Speicheldr\u00fcsen der Schlangen besitzen. Auch ist es nur zuf\u00e4llig, dass der Speichel der tollen Hunde vorzugsweise giftig erscheint, weil gew\u00f6hnlich durch den Biss die Ansteckung geschieht, gleich wie es eben so zuf\u00e4llig ist, dass das venerische Gift gew\u00f6hnlich durch die Genitalien ansteckt, indem die Bedingung der Ueber-tragung auf Schleimh\u00e4ute hier am h\u00e4ufigsten stattfindet. Nach Hertwig\u2019s trefflichen Arbeiten \u00fcber die Ilundswuth stecken auch andere Stoffe der tollen Hunde, als Speichel an, wie z. B. Blut, wenn es eingeimpf't wird. Hertwig\u2019s Beitr\u00e4ge zur n\u00e4hern Kennt-niss der TVuthkrankheit'. Brr/. 1829. p. 156. ICO.\nOb der Speichel an der chemischen Ver\u00e4nderung der Nahrungsstoffe im Magen Antheil habe, weiss man nicht. 'Man hat nur eine Beobachtung dieser Art, welche von Schwann best\u00e4tigt worden ist, n\u00e4miich die Bemerkung von Leuchs (Kastner\u2019s \u00c0rch. 1831.), dass Speichel gekochte St\u00e4rke in Zucker verwandeln soll, was insofern interessant ist, als auch im Magen die Starke in St\u00e4rkegummi und allm\u00e4hlig in Zucker verwandelt wird.\nb. Magenverdauung. Magensaft.\nIm Magen werden die Getr\u00e4nke schon gr\u00f6sstenthcils aufgesogen, und gelangen nicht durch den Pylorus; die soliden Theile der Speisen werden in eine zum Theii ganz fl\u00fcssige, zum Tlieil aus K\u00fcgelchen bestehende Materie, ('.hymns, bis auf die unl\u00f6slichen Tlieile, aufgel\u00f6st, was nach den meisten Beobachtern schichtweise von den Magenw\u00e4nden aus, nach den zahlreichen Beobachtungen von Beaumont innerhalb des ganzen Magens geschieht. [Jeher die Ver\u00e4nderungen der Speisen, die Zeit, welche zu ihrer Aufl\u00f6sung noting ist, haben wir Beobachtungen von Gosse an sich selbst, bei k\u00fcnstlich erregtem Erbrechen (in Spallanzani\u2019s Werke mit\u00bbetheilt), von Spallanzani, Stevens (de aliment, ronco. ctione. Ed'inb. 1777.), von Tiedemann und Gmelin, von Schultz bei Thieren, und die bei weitem gr\u00f6ssere Anzahl von Beobachtungen an einem Menschen mit perl'orirtem Magen, angestellt von Beaumont. Spallanzani brachte Katzen ein mit Brot gef\u00fclltes B\u00f6brchen bei; das Brot war nach 5 Stunden zum Theii aufgel\u00f6st, Fleich in einem \u00e4hnlichen Versuche nach 9 Stunden. Selbst Knorpel und Knochen, in R\u00f6hrchen, Sehnen in Leinewand eingeschlossen, waren nach l\u00e4ngerer Zeit erweicht oder aufgel\u00f6st.","page":527},{"file":"p0528.txt","language":"de","ocr_de":"528 H, Euch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nGeronnenes Eiweiss haben Tiedemann und Gmelin beim Hunde nach 4 Stunden zum Theil ungel\u00f6st, zum Theil gel\u00f6st gefunden. Bei Hunden zeigte sich Faserstoff nach 4 Stunden aufgequollen, ohne faseriges Gef\u00fcge, und zum Theil in aufgel\u00f6stes Eiweiss verwandelt. Thierleim verliert im Magen die Eigenschaft zu gelati-niren und seine characteristische Reaction gegen Chlor, welches ihn sonst fadenartig f\u00e4llt. K\u00e4se zeigte sich im Magen verfl\u00fcssigt, ohne in Eiweiss verwandelt zu seyn. Gekochtes St\u00e4rkemehl war nach 5 Stunden in St\u00e4rkegummi und Zucker verwandelt. Kleber (in Essigs\u00e4ure und Salzs\u00e4ure unl\u00f6slich) war nach 5 Stunden unver\u00e4ndert. Die Milch gerinnt im Magen und der niedergeschlagene K\u00e4se wird wieder aufgel\u00f6st, w\u00e4hrend die Molken weiter gehen. Rohes Rindfleisch war beim Hunde nach 4 Stunden mit einer breiartigen, gallertigen, braunen Masse \u00fcberzogen. Knochen und Knorpel wurden hei Hunden nach 2 \u2014 4 Stunden an den R\u00e4ndern, Ecken und Oberfl\u00e4chen etwas erweicht gefunden. Brot war beim Hunde nach 2~ Stunden fast vollst\u00e4ndig aufgel\u00f6st. Beim Pferde schien das Futter den Magen in weniger aufgel\u00f6stem Zustande zu verlassen.\nBeaumont hat w\u00e4hrend mehrerer Jahre Gelegenheit gehabt, die Verdauung bei einem ihm untergebenen Menschen zu studi-ren. Dieser Mensch hatte von einer Schusswunde eine ansehnliche Oeffnung im Magen, deren R\u00e4nder mit den R\u00e4ndern der Hautwunde verwachsen waren, und die durch eine vom obern hintern Rande der Wunde ausgehende Falte der H\u00e4ute des Magens bedeckt war, aber durch Eindr\u00fccken der Falte weit ge\u00f6ffnet werden konnte. Das Loch im Magen war 2 Zoll unter der linken Brustwarze, in einer von dort zur Spina oss. il. si-nistr. gezogenen Linie, also im linken obern Theile des Magens, nahe dem obern Ende der grossen Curvatur, 3 Zoll von der Cardia. Lag dieser Mann auf dem R\u00fccken, und wurde dann die Hand auf seine Lebergegend gedr\u00fcckt, und .der K\u00f6rper zugleich auf die linke Seite gedreht, so floss Galle durch den Pylorus und durch ein in das Magenloch eingebrachtes elastisches Rohr aus. Zuweilen, aber selten, wurde sie mit dem Magensaft auch ohne diese Operation vermischt gefunden. Der Chyrnus wurde aus dem Magen gewonnen, wenn man mit der Hand auf den untern Theil der Magengegend nach aufw\u00e4rts dr\u00fcckte. Bei vollem Magen floss der Inhalt schon beim Druck auf die Klappe aus. Der leere Magen konnte bis zu einer Tiefe von 5\u20146 Zoll untersucht werden, wenn er durch k\u00fcnstliche Mittel ausgedehnt erhalten wurde. So konnte man Speise und Trank eintreten sehen. XJeber die Verdauungen dieses Mannes li\u00e2t nun Beaumont ein vollst\u00e4ndiges Journal gef\u00fchrt. Die folgende Tabelle giebt Aufschluss \u00fcber die Zeit, welche zur Verdauung der verschiedenen Nahrungsmittel noting war. Die Nahruugssloffe wurden mit Brot oder Vegeta-bilien, oder mit beidem genossen.","page":528},{"file":"p0529.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 529\n\t\t\tArbeit\t\t\nNahrungsmittel\tZuberei- tung\tSpeisezeit\t.. . I ange-massig .\t. \u00b0 strengt St. Min. |St. Min.\tRuhe St. Min.\tBemerkungen\nKal daun eil...\nScliweinsf\u00fcsse .. \"Wildpret, frisch Stockfisch, getrocknet ......\nBrot und Milch\nTruthahn.......\nGans, wilde .... Schwein, jung Gehackt. Fleisch Austern........\nRindfleisch, frisch.......\nRindfleisch, gesalzen .........\nSchweinefleisch, frisch, gesalzen\nSchweinefleisch, frisch...........\ngeschmort\ngekocht\ngebraten\ngekocht\nkalt\nger\u00f6stet\nwarm\nroh\nged\u00e4mpft\nroh\nged\u00e4mpft\nger\u00f6stet\ngebraten\ngekocht\nger\u00f6stet\ngebraten\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\nAbendessen\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nF r\u00fchst\u00fcck\nMitta\nF r\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\nMittag\nFr\u00fchst\u00fcck\n1 00 1 00 f 35\n00\n00\n30\n30\n30\n30\n45\n3 30 3 00 3 00 3 30\n3 30 3 00\n2\t45\n3\t00\n4 00 3 38\n3 30 3 30\n5 30\n3\t30\n5 15\n4\t30\n5\t15\n6 00\n3 30\n3 30\nAustern im Ma gen aufgehangen.\nnur mit etwas trockncm Brot oder Zwieback.\n3 45\n4 00 4 30\n4 00 4 15\n4 15\n6 30\n3\t15\n4\t30\n4 00 3 30\nArbeit bis zur Erm\u00fcdung, krankh. Aussehen des Magens.\nviel Fett, ebenso.\nebenso.ln liegender Stellung.\n\u00e4rgerte sich w\u00e4hrend des \"Versuches.\nungew\u00f6hnlich volles Mahl.\nungew\u00f6hnlich volles Mahl","page":529},{"file":"p0530.txt","language":"de","ocr_de":"530 IL Buch. Organ, chem. Processi. IV. Abschnitt. Verdauung.\n\t\t\t\tArbeit\t\t\t\nNahrungsmittel\tZuberei- tung\tSpeisezeit\tmassig St. Min.\t\tange- strengt st. min.\tRuhe St. Min.\tBemerkungen\nHammelfleisch.\tger\u00f6stet\tMittag\t3\t15\t\u2014\t\u2014\t\n\u2014\tgebraten\tFr\u00fchst\u00fcck\t\t\u2014\t3 00\t\u2014\t\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t3\t30\t\u2014\t\u2014\t\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t4\t30\t\u2014\t\u2014\tkrankh. Aussehen des Magens.\n\t\t\t\tMittag\t4\t00\t\u2014\t\u2014\t\n\u2014\t\u2014\tFr\u00fchst\u00fcck\t4\t30\t\u2014\t\u2014\tvolles Mahl, grob gekaut. ~\nEier\t\thart gek.\t\u2014\t3\t30\t\t\u2014\tBrot oder Brot und Kaflee.\n\u2014\tweich gck.\t\u2014\t3\t00\t\u2014\t\u2014\t\n\u2014\thart\tMittag\t\t30\t\u2014\t\u2014\tMagen krank.\n\t\t\t\tFr\u00fchst\u00fcck\t3\t30\t\u2014\t\t\t \u2014\n\u2014\tweich gek.\tMittag\t3\t00\t\u2014\t\u2014\t\nWurst \t\tgebraten\tF r\u00fchst\u00fcck\t3\t30\t\u2014\t\u2014\tmit weich gekocht en Fiern.\n\u2014\t\u2014\tMittag\t3\t00\t\u2014\t\tlin einem Musse-\n\u2014\tgeschmort\tFr\u00fchst\u00fcck\t4\t00\t\t\t\tB linbeutelchen\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t5\t00\t\u2014\t\t( eingeh\u00e4ngt.\n\tgebraten\t\u2014\t3\t30\t\u2014\t\ta Magen krank.\n\u2014\t\u2014\t\u2014\t4\t\t4 15\t\u2014\tvolles Mahl. Schwere Arbeit.\nHenne\t\tgekocht\t\u2014\t\t00\t\u2014\t\u2014\tMit Brot u. Kaffee.\n\u2014\t\u2014\tMittag\t4\t00\t\u2014\t\u2014\tMit Brot und Wasser.\n\t\t\t\t\u2014\t4\t00\t\u2014\t\u2014\t\t \t\nKalbfleisch.. ..\tgebraten\tFr\u00fchst\u00fcck\t4\t00\t\t\tSn einem M\u00fcsse linbeu lelehen eingeh\u00e4ngt.\n\t\t\t\tMittag\t4\t00\t\u2014\t\t\t\n\t\t\t\tFr\u00fchst\u00fcck\t4\t00\t\u2014\t\t\t\n\u2014\t\u2014\tMittag\t4\t45\t\u2014\t\t\tMagen krank.\n\t\t\u2014\tFr\u00fchst\u00fcck\t\t\u2014\t3 45\t\u2014\t\n\t\t\t\tMittag\t4\t30\t\u2014\t\t\t\nFleischsuppc u.\t\u2014\tFr\u00fchst\u00fcck\t5\t30\t\u2014\t~\tMagen krank.\nVegetahili en .\t\u2014\t\u2014\t4\t00\t\u2014\t\u2014\t\nButterbrot.\t\tmit Kaffee\tFr\u00fchst\u00fcck\t4\t15\t\t \u2022\t\t\tMagen krank.\nBrot, trocken..\t\t.\u2014\t\u2014\t3\t45\t\u2014\t\u2014\t\n\" \u201c\tmit Kartoffelbrei\tMittag\t3\t45\t~\t\t\nEs wird nicht ohne Interesse se\u2019yn, einige Fidle aus dem Journal von Beaumont noch genauer als Beispiele kennen zu lernen.\nErste Reihe. Exp. 1. Um 12 Uhr brachte Beaumont durch die Magen\u00f6ffnung des Sr. Martin an Seidenf\u00e4den ein St\u00fcck stark gew\u00fcrztes Boeuf \u00e0 la mode, ein St\u00fcck gesalzenes, fettes Schweinefleisch, ein St\u00fcck rohes, gesalzenes, mageres Rindfleisch, ein St\u00fcck gekochtes, gesalzenes Rindfleisch, ein St\u00fcck Brot und einen Bausch rohen geschnitenen Kohl, von jedem gegen 2 Drachmen. Um 1 Uhr Kohl und Brot halb verdaut. Die Fleischst\u00fccke unver\u00e4ndert; Alles in den Magen zur\u00fcck. I m 3 FKir Kohl, Brot,","page":530},{"file":"p0531.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 531\nSchweinefleisch und gekochtes Rindfleisch, Alles verdaut und vom Faden gegangen, die anderen St\u00fccke sehr wenig ver\u00e4ndert; in den Magen zur\u00fcck. Um 2 Uhr Boeuf a la mode zum Theil verdau! ; das rohe Rindfleisch wenig macerirt auf der Oberfl\u00e4che. Der Versuch wurde wegen Unwohlseins nicht weiter fortgesetzt. Den T ag darauf hatte St. Martin Magenbeschwerden und Kopfweh, Verstopfung, einen schwachen Puls, trockene Haut, belegte Zunge und zahlreiche weisse Flecke oder Pusteln (Aphthen) wie coagulirte Lymphe auf der innern Fl\u00e4che des Magens. Ein \u00e4hnliches Aussehen beobachtete Beaumont sp\u00e4ter \u00f6fter hei Magenbeschwerden.\nZweite Reihe. Exp. 33. Um 1 Uhr ass Sr. Martin eine Portion ger\u00f6stetes Rindfleisch, Brot und Kartoffeln; nach einer halben Stunde glich der Mageninhalt einer dicken Suppe, um 4 Uhr war die Chymification vollendet, und um 6 Uhr wurde in dem Magen nichts, als etwas mit Galle gef\u00e4rbter Succus gastricus gefunden.\nExp. 42. Um 3 Uhr Fr\u00fchst\u00fcck von 3 hart gekochten Eiern, Pfannkuchen und Kaffee, um lOj Uhr waren keine Theile mehr im Magen.\nExp. 43. Um 11 j Uhr 2 gebackene Eier und 3 reife Aepfel, nach 40 Minuten anfangende Digestion, um 12^ Uhr Magen leer.\nExp. 44 An demselben Tage um 2 Uhr ger\u00f6stetes Schweinefleisch und Vegetabilien ; um 3 Uhr halbe Chymification, um 4 Uhr nichts mehr im Magen.\nExp. 45. Um S Uhr G\u00e4nsefleisch; um 4 Uhr waren ^ des Mageninhaltes fortgegangen, der Rest chymificirt, um 4'B Uhr Magen leer.\nDritte Reihe. Exp. 18. Um 8.} Uhr b\u00e4ngte Beaumont 2 Drachmen Irische Bratwurst in einem feinen Musselins\u00e4ckchen in dem Magen des St. Martin auf. Der letztere nahm durch den Mund auch von derselben Wurst, gebratenes Hammelfleisch und Kaffee zu sich. Um 11 Uhr Magen halb leer; der Inhalt des Beutels um die H\u00e4lfte vermindert; um 2 Uhr Magen leer, Beutel auch leer bis auf 15 Gran, bestehend aus d\u00fcnnen St\u00fccken von knorpeligen und h\u00e4utigen Fasern, und dem Gew\u00fcrz der Wurst (letzteres (i Gran).\nWal irend der Verdauung ist die Temperatur im Magen nicht erh\u00f6ht, wie Beaumont gezeigt hat; sie betr\u00e4gt im Magen constant 100\u00b0 Fahrenh., und nimmt nur bei Anstrengungen wie in anderen Theilen um einige Grade zu.\nW\u00e4hrend der Verdauung ist in der Regel im Magen nur sehr wenig Gas enthalten. Magendie und Ciievreul haben es bei einem Hingerichteten untersucht. Es bestand aus: Sauerstoffgas .\t11,00\nKohlens\u00e4uregas 14,00 Wasserstotfgas .\t3,55\nStickgas .\t.\t.\t71,45\nDie Materien, welche Tiedemann und Gmeltn in dem Chv-mus f\u00e4nden, sind:\n1. Eiweiss. Bei Hunden, nach F\u00fctterung mit gekochten","page":531},{"file":"p0532.txt","language":"de","ocr_de":"532 II. Buch. Organ, chem. Process?. IV. A//schnitt. Verdauung.\nEiern, Faserstoff, Fleisch, Brot, Kleber, weniger nach F\u00fctterung mit fl\u00fcssigem Eiweiss, K\u00e4se, Leiin und Knochen.\n2.\tK\u00e4sestoff\u00e4hnliehe Materie hei mit fl\u00fcssigem Eiweiss und mit Faserstoff gef\u00fctterten Hunden.\n3.\tDurch salzsaures Zinn f\u00e4llbare Materie nach Kleber, K\u00e4se, Milch bei Hunden, nach St\u00e4rkemehl und Hafer hei Pferden (wahrscheinlich Osmazom und Speichelstoff).\nDie beiden ersten Magen der Wiederk\u00e4uer, welche eine kohlensaures Alkali haltige Fl\u00fcssigkeit enthalten, k\u00f6nnen hierdurch Pflanzeneiweiss und Kleber aus den Pflanzen ausziehen. Das ausgezogene Fl\u00fcssige gelangt in den dritten Magen, das Un-aufgel\u00f6ste wird wiedergek\u00e4uet und gelangt in den dritten Magen. Nach Tiedemann und Gmelin\u2019s, und nach Pr\u00e9vost und Le Royer\u2019s (Froriep\u2019s Not. 9. 194.) Untersuchungen enth\u00e4lt das Aufgel\u00f6ste der Futtermasse der beiden ersten Magen Eiweiss, in alkalischer L\u00f6sung; nach dem Fressen von Hafer enthielt die Fl\u00fcssigkeit des Chymus der ersten Magen so viel Eiweiss, dass sie hei + 81\" C. gerann. Von weniger n\u00e4hrender Materie bekam sie diese Eigenschaft nicht. Pr\u00e9vost und Le Pioyer haben die Quantit\u00e4t Eiweiss in der ausgepressten Fl\u00fcssigkeit der Futtermasse des Pansen vom Ochsen sehr gross angegeben. Bei der Verdauung in den beiden ersten Magen entwickelt sich auch Schwefelwasserstoffgas, Kohlens\u00e4uregas und Kohlenwasserstoffgas; letzteres bleibt gasf\u00f6rmig, w\u00e4hrend sich die ersteren in der Fl\u00fcssigkeit aufl\u00f6sen. Das von frischem Klee sich entwickelnde Gas ist nach Lameyron und Fremy Schwefelwasserstoffgas 0,80, Kohlenwasserstoffgas 0,15, Kohlens\u00e4uregas 0,05. Berzelius Thierchem. p. 240. Im dritten Magen ist das abgesonderte L\u00f6sungsmittel sauer, im vierten noch saurer. Der Labmagen der K\u00e4lber enthielt in Tiedemann und Gmelin\u2019s Untersuchungen geronnene Milch. Im Labmagen des Ochsen war ein weicher gelblichbrauner Brei. Der Labmagen der Wiederk\u00e4uer enthielt 1. Eiweissstoff bei Ochsen und K\u00e4lbern,\n2.\tdurch Salzs\u00e4ure sich r\u00f6thende Materie hei Ochsen und Schafen,\n3.\tdurch salzsaures Zinn f\u00e4llbare Materie bei Schafen.\nM arcet hat gezeigt und Prout best\u00e4tigt, dass bei Hunden, von denen der eine mit thierischer Nahrung, der andere mit Brot gef\u00fcttert wurde, der Chymus bei dem erstem weit eiweissstoffhaltiger war als bei dem letztem. Thomson Annah of philos. 1819. Jan. und April.\nBei den V\u00f6geln fanden Tiedemann und Gmelin in der durch Extraction der Nahrung im Kropfe gebildeten Fl\u00fcssigkeit Eiweiss der Nahrungsstoffe aufgel\u00f6st, so dass diese Fl\u00fcssigkeit zuweilen in der Hitze gerann, Eiweiss nach dem Genuss von Fleisch, Pflanzeneiweiss nach dem Genuss von Getreide und Erbsen. Noch mehr finden sich diese Materien im Muskelmagen.\nTheorie der Magcnverdau 11 n g.\nUnter den \u00e4ltern Lehren \u00fcber das Wesen der Verdauung sind mehrere offenbar heutzutage bloss von historischem Werthe, wie z. B. diejenige von der Zerreibung der Nahrungsstoffe durch","page":532},{"file":"p0533.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal, Theorie d. Verdauung. 533\ndie Magenw\u00e4nde. Es sind im Magen der meisten Thiere keine mechanischen H\u00fclfsmitle! dazu vorhanden (Vergl. p. 499.), und dann haben die Versuche von PiEAUMur und Spallanzani gezeigt, dass in durchl\u00f6cherten R\u00f6hren eingeschlossene Substanzen, aut' welche gar kein Druck statt haben konnte, eben so leicht verdaut werden. Ebenso ist es kaum noting, zu bemerken, dass die Theorie von der Putrefaction der Speisen im Magen ungegr\u00fcndet, indem keine Zeichen der F\u00e4ulniss an den verdauten Stoffen wahrnehmbar sind, w\u00e4hrend doch hei 30\u00b0 R. Temperatur, wenn die Speisen ihrer blossen Zersetzung \u00fcberlassen w\u00e4ren, sehr bald Zeichen der F\u00e4ulniss eintreten m\u00fcssten. Dann aber verlieren selbst anfangend faule Substanzen w\u00e4hrend der Verdauung die Putrefaction, wie Spallanzani gezeigt hat.\nBei dem heutigen Zustande der Untersuchungen fragt es sich zun\u00e4chst:\n1.\tob die Verdauung ohne Antheil einer Verdauungsfl\u00fcssigkeit das Wesen derselben in einer chemischen Ver\u00e4nderung der Speisen, Fermentation oder Oxydation bestehe, wodurch sie ihre Coh\u00e4sion verlieren und zerfallen. Bei dieser Ansicht giebt es keinen Magensaft als Verdauungsprincip, und was man so nennt, ist das Product, nicht die Ursache der Verdauung.\n2.\toder ob die Verdauung wesentlich in Aufl\u00f6sung und chemischer Ver\u00e4nderung der Speisen durch ein L\u00f6sungsmittel, den Magensaft, bestehe.\nDie erstere Theorie erscheint in den Ansichten von Boer-uave von der Fermentation, und ist in der neuern Zeit durch C. 11. Schulz durch die Ansicht von dem Zerfallen durch Oxydation erneuert worden. Die Theorie der Fermentation scbliesst \u00fcbrigens die Vorstellung von einem wirksamen Magensaft nicht aus.\nBei der Fermentationstheorie dachte man sich eine chemische Wirkung der Principien der Nahrungsstoffe auf einander, welche entweder durch einen R.est der vorhergehenden Verdauung, oder durch ein von dem Magen abgesondertes Ferment entstehen soll. Hiernach w\u00e4re also die S\u00e4ure im Magen ein Product der Fermentation. Diese Theorie ist niemals bewiesen, kann aber jetzt widerlegt werden. F\u00e4nde in dem Magen eine Fermentation statt, so w\u00e4re sie gewiss eigener Art und w\u00fcrde sich von den bekannten Fermentationen unterscheiden, indem, wie sich sp\u00e4ter zeigen wird, die wesentlichen Erscheinungen der G\u00e4hrung hei der k\u00fcnstlichen Verdauung fehlen. Die neulich von Schultz vorgetragene Theorie der Verdauung geht zwar nicht von der Fermentation aus, ist jedoch im Princip \u00e4hnlich, indem sie behauptet, dass die Speisen nicht durch -einen eigenen Magensaft aufgel\u00f6st, sondern durch Oxydation umgewandelt w\u00fcrden und dadurch ihre Coh\u00e4sion verl\u00f6ren, dass aber die S\u00e4ure nicht dieUr-sache, sondern die Folge der Bildung des Chymus sey. Schon Mont\u00e8gre hatte die Existenz eines eigenen Magensaftes gel\u00e4ugnet. Er hatte gefunden, dass, nachdem er alle Magenfl\u00fcssigkeit ausgebrochen, und den etwaigen R\u00fcckstand im Magen durch Verschlingung vom Magnesia neutralisirt hatte, die darauf genommenen Nahrungsmittel nicht weniger chymificirt wurden und nicht we-","page":533},{"file":"p0534.txt","language":"de","ocr_de":"534 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\n0\nniger sauer geworden waren. Er hielt also den angeblichen Magensaft f\u00fcr nichts anderes, als f\u00fcr Speichel und Magenschleim, die durch die Chymification ver\u00e4ndert worden. Man sieht leicht ein, dass die Chymification in diesen F\u00e4llen eben so gut durch die Absonderung einer neuen Quantit\u00e4t Magensaftes erfolgen konnte. Die Gr\u00fcnde, welche Schultz f\u00fcr jene Theorie anf\u00fchrt, sind folgende: Ein eigener Magensalt existire nicht. Was Tiedemasm und Gmelih daf\u00fcr genommen, seven Reste von Chymus gewesen; ausser der Chymification finde keine S\u00e4urebildung statt, und k\u00f6nne auch nicht durch mechanische Reizung der Magenw\u00e4nde hervorgerufen werden. Diesem Satz in der ScuULTz\u2019scheu Theorie widersprechen wenigstens \u00fcbereinstimmende directe Beobachtungen, sowohl die von Spallanzani, Tiedemann und Gmehn, als die viel entscheidenderen von Beaumont. Dann st\u00fctzt sich Schultz ferner auf die Analogie der Pflanzen, indem die Nahrungsstoffe der Pflanzen auf eine \u00e4hnliche Art vorbereitet w\u00fcrden, und der Nahrungsstoff in dem keimenden Samen durch eine Art Oxydation in S\u00e4ure und Zucker umgewandelt und l\u00f6slich werde. Diese Gr\u00fcnde sind sehr gut, es fragt sich hier indess wieder, oh cs hei den Thieren ein eigenes L\u00f6sungsmittel, einen Magensaft g\u00e4be, der seihst ausser dem K\u00f6rper Nabrungsstoffe aufzul\u00f6sen im Stande ist, was, wenn man auch auf die \u00e4lteren unvollkommeneren Erfahrungen keine R\u00fccksicht nehmen will, durch die zahlreichen \u00fcbereinstimmenden Beobachtungen von Beaumont, Ererle u. A. bejahend zur Evidenz gebracht wird. Endlich st\u00fctzt sich Schultz auf die Erfahrung von der Gerinnung der Milch durch den Magen, indem das Sauerwerden der Milch ein Beispiel f\u00fcr die Umwandlung einer nicht sauren Nahrung in sauren Chymus darbiete. Die Milch werde auch durch eine Infusion des trocknen Kalbs-inagens -geronnen, nachdem alle S\u00e4ure desselben durch Kali car-bonicum abgestumpft worden. Ausserdem mache auch eine Infusion vom frischen Magen eines durch 4\u00dc Stunden hungernden Hundes, obgleich sie deutliche Zeichen von Alkalescenz darbiete, die Milch gerinnen; endlich gerinne auch die Milch im Magen saugender junger Hunde, deren Magen nach 12\u201416 Stunden leer sey und sich neutral und alkalisch verhalte; die Gerinnung erfolge nur langsamer, als wenn sich S\u00e4ure im Magen befinde. D ie Ursache der Gerinnung der Milch ist allerdings nicht allein die S\u00e4ure des Magensaftes, wie bereits Berzelius zeigte, vielmehr, wie man jetzt mit Bestimmtheit weiss, ein eigenth\u00fcmliches organisches Princip des Magensaftes.\nSo wie die Sachen standen, kam Alles darauf an, zu entscheiden: 1. oh es einen eigenen Magensaft giebt? 2. oh dieser Magensaft, gleichviel von welcher Natur, die Speisen in und ausser dem K\u00f6rper aufzul\u00f6sen im Stande ist? und 3. wenn diess geschieht, oh es durch die S\u00e4ure dieses Saftes oder durch andere als existirend nachweisbare Principien erfolgt, und 4. ob mit dieser Aufl\u00f6sung eine chemische Ver\u00e4nderung verbunden ist.\nErste Frage. Giebt es einen Magensaft? Diese Frage ist bereits in dem vorhergehenden Capitel beantwortet, wo die zahlreichen Versuche von Tiedemann und Gmelin, namentlich aber die","page":534},{"file":"p0535.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 535\nentscheidend gewordenen von Beaumont aufgef\u00fclirt sind, welcher den Magensaft des St. Martin im n\u00fcchternen Zustande durch mechanische Reizung in merklicher Quantit\u00e4t zur Absonderung brachte, und aus dem Magen durch die krankhafte Oeffnung desselben herausnahrn.\nZweite Frage. Ist der Magensaft ein l\u00f6sendes Mittel der Speisen innerhalb und ausserhalb des thierischen K\u00f6rpers? Hier kommt Alles auf die M\u00f6glichkeit einer k\u00fcnstlichen Aufl\u00f6sung der Speisen ausser dem Magen durch Vermischung derselben mit dem Magensafte an. Die k\u00fcnstlichen Verdauungen sind zuerst durch Spallanzani ber\u00fchmt geworden. Spallanzani verschaffte sich Magensaft der V\u00f6gel, indem er kleine Schw\u00e4mme an F\u00e4den durch den Mund bis in den Magen brachte, nach einiger Zeit wieder herauszog und mit der hierdurch gewonnenen Fl\u00fcssigkeit gekaute Nahrungsmittel vermischte, und nun dieses Gemeng in kleinen Glasgef\u00e4ssen in seiner Achselh\u00f6hle erw\u00e4rmte; nach 15 Stunden oder zwei Tagen schienen die Nahrungsmittel in Chymus verwandelt zu seyn. Diese Versuche schienen durch die von Mont\u00e8gre im Jahre 1S12 dem franz\u00f6sischen Institut vorgelegten Beobachtungen widerlegt zu werden. Mont\u00e8gre konnte willk\u00fchr-lich erbrechen; er verschaffte sich n\u00fcchtern dadurch den vorgeblichen Magensaft, den er in den meisten F\u00e4llen merklich sauer fand. Nachdem Stevens bei einer k\u00fcnstlichen Verdauung ein \u00e4hnliches Resultat wie Spallanzani gefunden hatte, haben Tiedemann und Gmelin ebenfalls mit dem Magensafte zweier Hunde eine k\u00fcnstliche Verdauung versucht. Im ersten Versuche wurden 10 Grammen mit 3 Grammen gekochtem Rindfleisch, und 10 Grammen mit einem W\u00fcrfel von der Rinde befreiten Brotes gemengt und in einem dritten Gef\u00e4sse gleichviel Fleisch mit der innern Wand des Magens in Ber\u00fchrung in denselben eingewickelt. Ebenso verf\u00fchren sie mit Brot und Magenhaut, endlich stellten sie ein gleiches St\u00fcck Fleisch mit Wasser, und ein gleiches St\u00fcck Brot mit Wasser zusammen. S\u00e4mmtliche Gef\u00e4sse wurden einer Temperatur von 30\u201410\u00b0 Cent. 8 Stunden lang ausgesetzt. Das Fleisch im Magensafte war auf der Oberfl\u00e4che zu einem r\u00f6thfich-weissen, sehr weichen, leicht abzuschabenden Brei erweicht. Das Fleisch in der Magenhaut hatte keinen solchen Ueberzug, war h\u00f6chstens ein wenig weicher, als das mit reinem Wasser zu-sammengebrachte Fleisch, welches ganz hart und z\u00e4he war, ohne dass sich etwas Bemerkliches abschaben liess. D as Brot im Magensafte war in eine weiche, leicht abzuschabende, weissliche Masse verwandelt; fast eben so weich war das Brot in der Magenhaut geworden, w\u00e4hrend das Brot im Wasser weniger weich als das im Magensafte geworden war. In dem zweiten Versuche mit 62 Grammen Magensaft stellten sie in verschiedenen Gelassen Magensaft und rohes Rindfleisch, Magensaft und gekochtes Ei-weiss, Wasser und Rindfleisch, Wasser und Eiwciss, Wasser mit 10 Tropfen destillirten Essig und Rindfleisch, Wasser mit eben so viel Essig und Eiwciss zusammen. Die Temperatur war wie in dem vorigen Versuche, die Dauer 10 Stunden. Das Fleisch im Magensafte war oberfl\u00e4chlich sehr erweicht, so dass sich eine\nM ii Iler\u2019 s Physiologie.\t35","page":535},{"file":"p0536.txt","language":"de","ocr_de":"536 H. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nbreiartige Materie abschaben liess, das Eiweiss im Magensafte war ebenfalls oberfl\u00e4chlich erweicht, und verhielt sich ungef\u00e4hr eben so, wie das Eiweiss in dem Magen des Hundes, der mit geronnenem Eiweiss gef\u00fcttert war. Das Fleisch im Wasser war weiss-iich und ganz fest, w\u00e4hrend das im Magensafte blassroth geworden war; auch das Eiweiss im Wasser war ganz fest. Die andern Stoffe im Essigwasser hatten gar keine Erweichung erlitten. Tiedemann und Gmelin a. a. O. p: 209. 210.\nVon ganz besonderer Wichtigkeit sind nun die k\u00fcnstlichen Verdauungen von Beaumont, welche wir hier im Auszuge mittheilen.\nErste Reihe. Exp. 2. August 7. 1S25. Beaumont gewann von dem Magensafte des St. Martin, nachdem derselbe 17 Stunden gefastet hatte, auf die fr\u00fcher beschriebene Weise 1 Unze. Darein legte er ein ganzes St\u00fcck gekochtes, frisch gesalzenes Rindfleisch von 3 Drachm., und setzte das Gef\u00e4ss im Wasserbade einer Temperatur von 100\" F. aus. In 40 Minuten batte die Digestion deutlich auf der Oberfl\u00e4che des Fleisches begonnen, nach 50 Minuten war die Fl\u00fcssigkeit tr\u00fcb geworden, die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che begann sich zu zertheilen und lose zu werden; nach 2 Stunden war das Zellgewebe zerst\u00f6rt und die Muskelfasern lose und unzusammenh\u00e4ngend geworden ; nach 6 Stunden waren sie fast alle g\u00e4nzlich verdaut und nur wenige Fasern \u00fcbrig geblieben, nach 10 Stunden war Alles verdaut. Der im Anf\u00e4nge des Versuchs klare Magensaft setzte beim Stehen ein feines Sediment zu Boden. Zu gleicher Zeit mit diesem Versuche hatte Beaumont in dem Magen des St. Martin ein kleines St\u00fcck Rindfleisch aufgeh\u00e4ngt, welches nach 1 Stunde so wie in der k\u00fcnstlichen Verdauung ver\u00e4ndert, nach 2 Stunden aber ganz verdaut war.\nZweite Reihe. Exp. 24. December 14. 1829. Beaumont ge-wann 1} Unzen Magensaft durch die \u00e4ussere Oeffnung des Magens von St. Martin nach einem Fasten von 18 Stunden, und brachte diesen mit 12 Drachm, frisch gesalzenen, gekochten Rindfleisches zusammen, im Wasserbad von 100\u00b0 F. Nach 6 Stunden war das Fleisch halb aufgel\u00f6st; nach 24 Stunden wog der trocken ge-(juetschte Rest 5 Drachm. 2 Scrup. 8 Gr.\nExp. \u2018lh. 20 Minuten, nachdem St. Martin eine gew\u00f6hnliche Mahlzeit von gekochtem, gesalzenem Rindfleisch, Brot, Kartoffeln und R\u00fcben mit einem Glas Wasser zu sich genommen batte, gewann Beaumont durch die \u00e4ussere Oeffnung ein Gef\u00e4ss voll des Mageninhaltes, und setzte es einer Temperatur von 90\u2014100\u00b0 F. aus. Nach 5 Stunden fand sich nur ein geringer Unterschied zwischen der k\u00fcnstlichen und nat\u00fcrlichen Verdauung. Von \u00e4hnlichem Erfolge ist das Exp. 26.\nHier hatte St. Martin eine Mahlzeit von Brot, 8 Unzen frisch gesalzenen, magern Rindfleisches, 4 Unzen Kartoffeln und 4 Unzen gekochter R\u00fchen zu sich genommen. Nach 45 Minuten nahm Beaumont einen Theil des Mageninhaltes heraus. Die Textur des Fleisches war in kleine weiche und pulp\u00f6se Fetzen aufgel\u00f6st, das Fluidum tr\u00fcb und leimig; diese Materie wurde wie gew\u00f6hnlich erw\u00e4rmt. Nach 2 Stunden vom Anf\u00e4nge des Versuchs nahin Beau-","page":536},{"file":"p0537.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 537\nmont eine neue Portion Nahrung heraus. Diese verhielt sich in Hinsicht der fortgeschrittenen Verdauung last eben so wie hei der k\u00fcnstlich fortgesetzten Verdauung: Bei der letztem waren fast alle Partikeln von Fleisch verschwunden und in ein r\u00f6tldich-braunes Sediment verwandelt, w\u00e4hrend lockere, weisse Coagula an der Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit schwammen. Bei der zuletzt herausgenommenen Portion wurde die k\u00fcnstliche Verdauung fortgesetzt. Nach 3 Stunden vom Anf\u00e4nge des Versuchs hatte die Verdauung in beiden Gef\u00e4ssen gleiche Fortschritte gemacht; am andern Morgen (der Versuch war um 3 Uhr Nachmittags begonnen) war Alles verdaut bis auf einige Ueberbleibsel von Vegeta-bilien. Die Contenta der Gl\u00e4ser waren in dieser Zeit von der Consistenz einer d\u00fcnnen Gallerte, von einer hellbraunen Farbe, salzigem und saurem Geschmack.\nExp. 31. M\u00e4rz 9. 1831. Beaumont gewann aus dem leeren Magen des St. Martin 2 Unzen Magensaft, theilte diesen in zwei gleiche Theile, und legte in jeden eine gleiche Quantit\u00e4t Roastbeef: Den einen Theil erw\u00e4rmte er im Wasserbade bei 9.9\u00b0 F., den andern liess er an der offenen Luft bei 34\u00b0 stehen. Dieselbe Quantit\u00e4t Fleisch that er in eine gleiche Quantit\u00e4t Wasser und liess sie unerw\u00e4rmt stehen. 1 Stunde darauf hatte St. Martin sein Fr\u00fchst\u00fcck aus demselben Fleisch mit Zwieback, Butter und Kaffee geendet. Um 10Uhr nahmBEAUMONT eine Portion theil\u2014 weise verdauter Nahrung aus dem Magen und erw\u00e4rmte sie wie gew\u00f6hnlich. Das Fleisch der k\u00fcnstlichen Verdauung und W\u00e4rme war in demselben Zustande wie das des Magens, das Fleisch des kalten Magensaftes war weniger verdaut, das Fleisch in dem blossen Wasser war nur macerirt, noch eben so wie nach dem Kauen. 2 Stunden 45 Minuten nach Anfang des Versuchs war in dem Magen Alles verdaut und weggegangen. Da 6 Stunden nach dem Anf\u00e4nge des Versuches die Fleischst\u00fcckchen in dem Magensafte halb verdaut, nicht weiter aufgel\u00f6st waren, so nahm Beaumont 12 Drachm. Magensalt aus dem leeren Magen des St. Martin, und setzte sie zu den k\u00fcnstlichen Verdauungen mit Magensaft, auch zu der Masse, die aus dem Magen genommen war. Darauf begann die Verdauung wieder und schritt regelm\u00e4ssig fort, aber schneller in der aus dem Magen genommenen Portion; in letzterer blieb indess ein solides St\u00fcck Fleisch, welches wahrscheinlich ungekaut verschlungen war, unaufgel\u00f6st. Die Gef\u00e4sse mit kaltem Wasser und kaltem Magensafte waren 8 Stunden nach Anfang des Versuchs wenig ver\u00e4ndert. Nach 24 Stunden zeigten die Portionen folgende Erscheinungen: Die eine Stunde nach dem Essen aus dem Magen genommene Portion war vollst\u00e4ndig verdaut, und in eine dickliche, breiige Masse von r\u00f6thlichbrauner Farbe verwandelt, mit Ausnahme des ungekauten St\u00fccks Fleisch. Diese Portion hatte einen scharfen, ranzigen Geruch, und war etwas bitter. Die Portion Magensaft mit Fleisch war sehr \u00e4hnlich der erstem, obgleich weniger vollkommen verdaut; sie war nicht so consistent, aber von demselben scharfen Geruch und bitterem Geschmack, zugleich empyreumatisch und schwach faulig riechend. Die kalten PortioncnFleisch und Magensaft, Fleisch\n35 *","page":537},{"file":"p0538.txt","language":"de","ocr_de":"538 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nund Wasser, glichen einander sehr, beide waren maccrirt, aber nicht verdaut; kaum hatte der Magensaft etwas mehr als das Wasser lingewirkt. Dieser hatte \u00fcbrigens einen eigenth\u00fcmlichen Geschmack erhalten; seine Farbe war dunkelbraun, die w\u00e4ssrige Portion r\u00f6thlicbgrau. Ungef\u00e4hr zur seihen Zeit des andern Tages, n\u00e4mlich eine Stunde sp\u00e4ter, als der Versuch am ersten Tage begonnen hatte, setzte Beaumont diese beiden Portionen dem Wasserbade aus, und behandelte sie so 24 Stunden. In der Portion irn Magensafte schritt die Verdauung nun deutlich vor: das Fleisch verminderte sich, und eine d\u00fcnne, kleisterartige Fl\u00fcssigkeit bildete sich. Die w\u00e4ssrige Portion zeigte keine anderen Erscheinungen als die einer einfachen Maceration; gegen das Ende der letzten 24 Stunden begann die faule Fermentation.\nDritte Reihe. Exp. 15. December 15. 1832. Fr\u00fchst\u00fcck von Beefsteak, Brot und Kaffee; zur selben Zeit kaute St. Martin 4 Drachm. Beefsteak, welches in Magensaft, der vorher aus dem Magen genommen wurde, gelegt wurde. Zu einer andern gleichen Quantit\u00e4t Magensaft legte Beaumont ein gleiches St\u00fcck Fleisch, aber ungekaut: beide wurden wie gew\u00f6hnlich erw\u00e4rmt, eben so eine gleiche Portion Fleisch mit einer Unze Wasser. Nach 2b Stunden Avar die Mahlzeit in dem Magen beinahe verdaut und mehr als die H\u00e4lfte schon fortgegangen; verglichen mit den k\u00fcnstlichen Verdauungen glich dieser Chyrnus beinahe dem gekauten Fleische und dem Magens\u00e4fte, war aber mehr verdaut und d\u00fcnner, und enthielt Oeltheilchen und Brot. Das ungekaute Fleisch war nicht so dick und gelatin\u00f6s, von dunklerer Farbe; das St\u00fcck Fleisch Avar nicht sehr verkleinert, die Oberfl\u00e4che nur ein wenig zerst\u00f6rt, erweicht und mit einer grauen Haut bedeckt. Die w\u00e4sserige Portion hatte keine oder wenig Ver\u00e4nderung erfahren. Die k\u00fcnstlichen Verdauungen wurden 24 Stunden fortgesetzt: die aus dem Magen genommene Portion blieb fast in demselben Zustande. Der Magensaft mit gekautem Fleische stellte eine dicke, breiige, balbfl\u00fcssige Masse mit einigen deutlichen Fleischfibern dar, Avelche auf den Boden einer gelblich-molkigen Fl\u00fcssigkeit sanken. Das Fleisch im Wasser hatte keine andere Ver\u00e4nderung als anfangende F\u00e4ulniss erfahren. Das ungekaute Fleisch im Magensafte war ungef\u00e4hr um die H\u00e4lfte vermindert, der R\u00fcckstand locker und weich, das Fluidum wartr\u00fcbe mit einem feinen braunen Sediment wie in der gekauten Portion. Vergl. Exp. 23. 28. 33.\nEap. 48. Am 8. Januar 1S33. Unze Magensaft wurde ohne Schwierigkeit herausgenommen. In zwei gleiche Theile getheilt, brachte sie Beaumont in besondere Gl\u00e4ser; in ein drittes goss er 2 Drachm, einfaches Wasser. Zu jedem der 3 Gl\u00e4ser that er ein einzelnes St\u00fcck Sch\u00f6psenherz von 11 Gr. Ein Glas mit Magensaft und Herz brachte er in die Achselh\u00f6hle, das andere zugleich mit dem Wasserglase stellte er unter ziemlich h\u00e4ufigem Umsch\u00fctteln an einen k\u00fchlen Ort von ungef\u00e4hr 46\u00b0 Fahr. Um 7 Uhr Nachmittags war das St\u00fcck im Avarmen Magensafte halb verdaut; die Fl\u00fcssigkeit undurchsichtig r\u00f6thiiehbraun; das Herz im kalten Magensalte sehr wenig angegriffen, an der Oberfl\u00e4che mit einer d\u00fcn-","page":538},{"file":"p0539.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 539\nnen, glutin\u00f6sen Schiebt bedeckt und die Fl\u00fcssigkeit ein wenig tr\u00fcbe. Das St\u00fcck im Wasser war nicht im Mindesten afficirt, und das Wasser war vollkommen durchsichtig, als ware es eben eingegossen. Am 9. Januar 9 Uhr Vormittags zeigten die drei Muskelst\u00fcckchen lolgende Resultate: das im warmen Magensafte, als es herausgenommen und eben so trocken gemacht war, wie heim ersten Hineinlegen, wog 7^ Gr.; das im kalten Magensafte, eben so behandelt, wog 12.y Gr., indem es durch Einsaugung des Magensaftes Gr. gewonnen hatte; das im einfachen Wasser wog 11 Gr., hatte also weder etwas verloren, noch etwas gewonnen. Die im ersten Glase zur\u00fcckgebliebenen 3d Gran waren in einem ganzen St\u00fccke von derselben Form, wie es zuerst hineingelegt war, aber sehr zart und weich und kaum im Stande, den hinreichenden Druck beim Aufheben mit den Fingern zu ertragen; sie waren ein vollst\u00e4ndiger Brei. Das Muskelst\u00fcck im zweiten Glase hatte im Umfange ein wenig zugenommen, erschien geschwollen, zart, schleimig und weich, hatte aber noch hinreichende Starke des Gewebes, um einem betr\u00e4chtlichen Druck heim Aufheben zu widerstehen. Es war nicht aufgel\u00f6st. Das St\u00fcck im Wasser behielt seine Festigkeit und war unver\u00e4ndert, wenn man einige Bl\u00e4sse der Oberfl\u00e4che durch die Maceration abrechnet. Am 10. Januar Morgens 8 Uhr zeigten sich folgende Erscheinungen: Das erste St\u00fcck in dem warmen Magensafte wog lt- Gr., indem es in 23 Stunden nur 2 Gr. verloren hatte; es hatte dieselbe Form und ungef\u00e4hr dieselbe Consistenz wie gestern. Ein r\u00f6thlichbraunes Sediment war auf dem Boden der molkenfarbigen Fl\u00fcssigkeit. Das zweite St\u00fcck im kalten Magens\u00e4fte wog etwas \u00fcber 9 Gran, hatte also etwa 3\u00ff Gran verloren; das im Wasser war unver\u00e4ndert und Avog immer noch 11 Gran. Am 10. goss Beaumont in das Glas mit dem warmen Magensafte und Muskelfleische ] Drachme frischen, eben herausgenommenen Magensaft, nahm es wieder in die Achselh\u00f6hle auf, und in 5 Stunden war der Inhalt bis zu einer kaum bemerkbaren Spur aufgel\u00f6st.\nDas Muskelst\u00fcck im kalten Magensafte, in der Temperatur zwischen 50\u201460\u00b0 F. bis zum 11. Morgens 9 Uhr erhalten, wog 7 Gr., hatte dieselbe Form, wie gestern, und dieselbe Textur. Die \u00eel\u00fcssigkeit war mehr undurchsichtig und milchicht geworden, und der Bodensatz vermehrt.\nDas Stiick im Wasser hatte sich nicht ver\u00e4ndert und wog genau noch 11 Gran. Um 9 Uhr Vormittags diese zwei Gl\u00e4ser in die Achselh\u00f6hle. Abends 9 Uhr war der Rest des Muskelst\u00fcckes in dem am Morgen in die Achselh\u00f6hle gebrachten Glase mit Magensaft fast ganz gel\u00f6st, indem nur 1 Gr. als zarter Brei zur\u00fcckblieb.\nDas Muskelst\u00fcck im Wasser blieb unver\u00e4ndert, und wog gerade so viel als zuerst; aber es begann einen heftig stinkenden Geruch zu verbreiten, und in w\u2019cnig Tagen w urde es sehr faulig. Es wurde jedoch seine erste Beschaffenheit durch 3 Drachm, frischen Magensaftes, den er am 21. hinzugoss, last ganz wieder her-gestellt. Als es ius Wasserbad gestellt, zu digeriren und bald dar-","page":539},{"file":"p0540.txt","language":"de","ocr_de":"540 II. Buch. Organ, clicm. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nauf zu chymificiren begann, verlor es seinen stinkenden Geruch und erlangte einen stark sauren, oder vielmehr scharfen Geschmack.\nAuf diese Art sind von Beaumont noch eine Menge k\u00fcnstlicher Verdauungen angcstellt, wie in den Exp. 58. 66. 78. 84. 85. 86. 95. (Magensaft und Kartoffeln) 96. 101. 104. 105. 106. 109. 110. 111. 112. 115- Im Allgemeinen fand immer derselbe Erfolg statt. Der Magensaft zeigte sich als L\u00f6sungsmittel f\u00fcr die verschiedensten Speisen. \"Was die Glaubw\u00fcrdigkeit des Verfassers betrifft, so ist zu erw\u00e4hnen, dass derselbe zuf\u00e4llige Erscheinungen hei den Versuchen immer mit grosser Gewissenhaftigkeit angieht, und dass er sich auf das Interesse mehrerer Gelehrten, SlLLIMAN, KjNIGUT, Yves, HuBBARD, DuNGLISSON, SeWALL, JoNES, LIenderson an diesen Versuchen bezieht. Es ist also nach diesen Versuchen nicht entfernterweise zweifelhaft, dass der Magensaft wirklich in und ausser dem K\u00f6rper ein L\u00f6sungsmittel organischer Substanzen ist.\nDritte Frage. Sind die l\u00f6senden Principien im Magensafte S\u00e4uren oder andere unbekannte Stoffe?\nTiedemann und Gmelin neigten sich zu der Theorie, dass die Aufl\u00f6sung der Speisen durch die im Magensafte Vorgefundenen S\u00e4uren, also durch Essigs\u00e4ure und Salzs\u00e4ure geschehe.\nlim die aufl\u00f6sende Wirkung der im Magen vorkommenden S\u00e4uren auf einige nicht im Wasser l\u00f6sliche organische Stoffe kennen zu lernen, stellten sie diese S\u00e4uren mit thierischen Substanzen hei ungef\u00e4hr 10\u00b0 C. einige Wochen zusammen.\nDie aufzul\u00f6senden Stoffe waren:\n1.\tFaserstoff aus dem Blute der K\u00e4lber.\n2.\tFaserstoff aus dem Blute der Ochsen.\n3.\tFaserstofl aus dem Blute der Pferde.\n4.\tDie Haut dicker Venenst\u00e4mme von einem Pferde.\n5.\tDie Haut dicker Arterienst\u00e4mme von einem Pferde.\n6.\tHart gekochtes H\u00fchnereiweiss.\n7.\tDarmschleim aus dem D\u00fcnndarm eines Hundes.\n8.\tDarmschleim aus dem D\u00fcnndarm eines Pferdes.\nUeberall waren die Gewichtsverh\u00e4ltnisse, wobei diese Materien in feuchtem Zustande bestimmt wurden, die Temperatur und die Zeit dieselben.\nEssigs\u00e4ure.\n1., 2. und 4. absorbirte s\u00e4mmtliche Essigs\u00e4ure und schwoll damit zu einer durchscheinenden Masse auf, die sich beim Erw\u00e4rmen mit einer neuen Menge von S\u00e4ure v\u00f6llig l\u00f6ste.\nBei 3., 5. und 6. blieb wenig fl\u00fcssige S\u00e4ure, welche durch Gall\u00e4pfeltinctur und hlausaures Eisenkali stark gef\u00e4llt wurde. Der aufgequollene R\u00fcckstand von 3. und 5., mit mehr S\u00e4ure erw\u00e4rmt, wurde noch gallertartiger und l\u00f6ste sich gr\u00f6sstentheils auf; der von 6. war minder aufgequollen und ver\u00e4nderte sich auch in der W\u00e4rme xveniger.\nDer Schleim 7. und S. blieb in der kalten Essigs\u00e4ure ziemlich unver\u00e4ndert, so dass sich diese mit Gall\u00e4pfeltinctur nicht deutlich tr\u00fcbte; doch l\u00f6ste er sich heim Erhitzen mit frischer Essigs\u00e4ure gr\u00f6sstentheils auf.","page":540},{"file":"p0541.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderung entier Speisen irn Darmkanal. Magenverdauung. 541\nSalzs\u00e4ure..\nDie kalte Salzs\u00e4ure hatte, nach der Wirkung der Gall\u00e4pfel tinctur zu urtheilen, von den Materien 1. bis 6. sehr viel, vom Schleim 7. und S. nur wenig gel\u00f6st. Tiedemann und Gmelin a. a. (). p. 332.\nBeaumont hat auch mehrere Versuche \u00fcber k\u00fcnstliche Aufl\u00f6sung der Nahrungsmittel durch S\u00e4uren, und zwar im Vergleich mit gleichzeitigen Versuchen mit Magensaft, angestellt.\nVierte Reihe. Exp. 46. Beaumont nahm 3 Gl\u00e4ser, goss in das erste 2 Drachm. Magensaft, in das zweite 2 Drachm, gew\u00f6hnlichen Weinessig, und in das dritte 2 Drachmen Wasser, und f\u00fcgte jedem einzelnen 10 Gr. frisches Enveiss hinzu.\nD iese drei Gl\u00e4ser in die Achselh\u00f6hle genommen und 2 Stunden lang gesch\u00fcttelt, zeigten Folgendes: Die Gerinnsel im Ptlagen-safle waren halb gel\u00f6st und die Fl\u00fcssigkeit milchicht; die im Weinessig und Wasser blieben dieselben, und ihre Fl\u00fcssigkeit unver\u00e4ndert, ln 5 Stunden war das Eiweiss im Magensafte vollst\u00e4ndig aufgel\u00f6st und die Fl\u00fcssigkeit mehr undurchsichtig und weiss; in den beiden anderen Gl\u00e4sern zeigte sich dasselbe, wie bei der letzten Besichtigung; die Gerinnsel im Weinessig wogen herausgenommen 0 Gr., die im Wasser waren zu lose und sch\u00e4umig, als dass sie h\u00e4tten herausgenommen und gewogen werden k\u00f6nnen.\nDritte Reihe. Exp. 115. Beaumont machte verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure in St\u00e4rke und Geschmack dem Magensafte so \u00e4hnlich als m\u00f6glich, und nahm davon 3 Drachm., vermischte sie mit 1 Drachm, bis zu fast demselben Geschmack verd\u00fcnnter Essigs\u00e4ure, und goss das Gemisch auf 1 Scrup. fein geschnittenes, gebratenes Bindfleisch. Dieselbe Quantit\u00e4t eben so zubereitetes Fleisch legte er in 4 Drachm. Magensaft. Nachdem beide Gef\u00e4sse 6{-Stunden im Bade gestanden, dann herausgenommen und fdtrirt worden, wog das im Magensafte gewesene T leisch nur 2 Gr., wogegen das in den S\u00e4uren digerirte sich nicht aufgel\u00f6st, sondern nur sein fibr\u00f6ses Gef\u00fcge verloren hatte, indem es eine zitternde, gallertartige Masse bildete, die zu z\u00e4h war, um durchs Filtrum zu gehen, und mehr als beim Hineinlegen in die S\u00e4uren wog. Zugleich erschien es nicht dem Chymus \u00e4hnlich, noch dem im Magensafte digerirten Fleische. Nach abermaliger achtst\u00fcndiger Digestion im Bade war das Fleisch in den S\u00e4uren fast ganz aufgel\u00f6st, und liess, wenn es durchs Filtrum lief, nur eine sehr geringe Menge der gallertartigen Substanz zur\u00fcck, die hei der ersten Untersuchung so h\u00e4ufig war. Die Fl\u00fcssigkeit war nun der durch Digestion des Fleisches mit dem Magensafte erzeugten \u00e4hnlicher, obgleich nicht durchaus gleichartig, indem letztere, undurchsichtig und von weisslichgrauer Farbe, ein dunkelbraunes Sediment heim Stehen zeigte, w\u00e4hrend die der sauren Digestion ebenfalls undurchsichtig, aber von r\u00f6thlichbrauner Farbe war und kein Sediment absetzte.\nZwei Drachmen Gall\u00e4pfelinfusion bewirkten in der Digestion mit Magensaft einen feinen, r\u00f6thliehbraunen Niederschlag, indem die Fl\u00fcssigkeit dieselbe Farbe annahm. In der Digestion mit den S\u00e4uren brachten die 2 Drachm. Gall\u00e4pfelinfusion einen viel","page":541},{"file":"p0542.txt","language":"de","ocr_de":"542 II. Buch. Organ, chem. Processe. III. AhscJin. Absonderung.\ncopi\u00f6seren Niederschlag hervor, wor\u00fcber eine klarere und d\u00fcnnere Fl\u00fcssigkeit von weisslieher, fast durchsichtiger Farbe stand.\nExp. 104. Um 9 Uhr Vormittags nahm Beaumont 40 Gr. gekautes, gekochtes Rindfleisch, theilte es in 2 gleiche Theile, legte den einen in 4 Drachm. Magensaft und den andern in 4 Drachm, einer Mischung aus 3 Theilen verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure, und 1 Tbeil verd\u00fcnnter Essigs\u00e4ure, die durch zugesetztes Wasser dem Magensafte an Geschmack so \u00e4hnlich als m\u00f6glich gemacht war, und stellte beide Gl\u00e4ser ins Bad. Um 6 Uhr des Abends war im Magensafte Alles aufgel\u00f6st; die Digestion mit den S\u00e4uren Hess hei dem Durchseihen 9 Gr. R\u00fcckstand von gallertartiger Consi-stenz. Die Fl\u00fcssigkeit der Digestion mit Magensaft war undurchsichtig hellgrau, und Hess heim Stehen ein braunes Sediment fallen; die andere war ebenfalls undurchsichtig, aber r\u00f6thlich-braun, und zeigte kein Sediment.\nExp. 105. Fr\u00fch 9Uhr nahm Beaumont 40 Gr. reine trockne Ichthyocolla, theilte sie in 2 gleiche Theile, legte den einen in 4 Drachmen einer Mischung von Essigs\u00e4ure und Salzsaure, in derselben Art wie im Experiment 104 bereitet, den andern in 4 Drachmen Magensaft, und stellte beide ins Bad. Um 6 Uhr Abends war die Ichthyocolla im Magensafte ganz aufgel\u00f6st, die in den verd\u00fcnnten S\u00e4uren Hess 3 Gran R\u00fcckstand von gallertartiger Consistenz auf dem Filtrum. Die Fl\u00fcssigkeit in der Mischung von Magensaft war undurchsichtig weisslich, mit wenigem feinem Sediment von brauner Farbe, die von den S\u00e4uren ebenfalls undurchsichtig, aber von r\u00f6thlichbrauner Farbe, d\u00fcnner, schleimiger Consistenz und ohne Sediment. Als er zu letzterer 1 Drachm. Gall\u00e4pfelinfusum zugoss, entstand sogleich eine reichliche rahm\u00e4hnliche Fl\u00fcssigkeit, und langsam fiel ein zartes compactes Sediment zu Boden. Als eben so viel Gall\u00e4pfelinfusum zu den S\u00e4uren gesetzt war, bildete unmittelbar darauf die ganze Masse ein grobes, braunes Coagulum, das nach einigem Ruhigstehen ein h\u00e4ufiges, loses, br\u00e4unliches Sediment, und eine hellgef\u00e4rbte, durch Stehen weiss und milchig werdende Fl\u00fcssigkeit sich abscheiden Hess; das Sediment wurde compact und blieb so.\nDie Pr\u00e4eipitate, nach Hinzuf\u00fcgen des Gall\u00e4pfelinfusum herausgenommen und filtrirt, wogen: das aus dem Magensaft 18 Gr., das aus den S\u00e4uren 40 Gr., indem der Gewichtsunterschied ungef\u00e4hr gleich war der hineingelegten Gelatina.\nExp. 106. Am folgenden Tage fr\u00fch 9 Uhr wurde ganz dasselbe Experiment (105) wiederholt. Nachmittags 15 Minuten nach 3 Uhr war im Magensafte alles bis auf eine Kleinigkeit aufgel\u00f6st, in den S\u00e4uren fast eben so, nur blieben 6 Gr. gallertartige Substanz auf dem Filtrum zur\u00fcck. Die Fl\u00fcssigkeit im Magensafte hatte eine blaulichweisse Farbe, und die andere eine gelbliche wie trockene Gelatina. Um 6'Uhr war in den S\u00e4uren die Gelatina aufgel\u00f6st, und die \u00fcberstehende Fl\u00fcssigkeit in beiden Gebissen sehr \u00e4hnlich.\nEine Drachme Gall\u00e4pfelinfusum, beiden Mischungen hinzugef\u00fcgt, bildete sogleich lose hellgef\u00e4rbte Coagula in beiden. Aus dem Magensaftgemische fiel ein compactes Sediment zu Boden,","page":542},{"file":"p0543.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speis en im Darmkanal. Magen verdauung. 513\nwor\u00fcber eine undurchsichtige, milchichte Fl\u00fcssigkeit stand. Die groben Coagula in dem S\u00e4uregemische blieben lange Zeit durch die ganze Fl\u00fcssigkeit suspendirt und fielen allm\u00e4hlig nieder. Nach 48 Stunden waren beide Niederschl\u00e4ge am Boden zu einer compacten Masse geworden, und zeigten deutliche Theilchen von ganz ungel\u00f6ster Gelatina, mit einer schmutzigweiss gef\u00e4rbten, quark\u00e4hnlicben Substanz vermischt.\nExp. 116. Nachmittags 3 Uhr nahm Beaumont 2 gleiche Theile, jeden zu 2 Drachm., Speichel, machte sie s\u00e4uerlich, den einen mit Essigs\u00e4ure, den andern mit Salzs\u00e4ure, bis sie ungef\u00e4hr den Geschmack des Magensaftes angenommen hatten, und legte darauf in jedes Glas 2 St\u00fcckchen Pastinake und 2 St\u00fcckchen Moorr\u00fche, von beiden je eins gekocht und das andere roh; jedes wog 10 Gr. Nun wurden beide Gelasse ins Bad gebracht. Den folgenden Tag 3 Uhr Nachmittags hatte die Moorr\u00fcbe im Speichel mit Salzs\u00e4ure nichts an Gewicht verloren ; die Pastinake nur 2 Gr. In der Essigs\u00e4ure waren beiderlei Winzeln unver\u00e4ndert. Beide Fl\u00fcssigkeiten waren in ihren bemerkbaren Eigenschaften und Erscheinungen dieselben geblieben. Nachdem sie noch 24 Stunden unter h\u00e4ufigen Bewegungen im Bade gehalten worden, batte die Pastinake 4 Gr. und die Moorr\u00fcbe nichts an Gewicht verloren in der Salzs\u00e4uremischung. Die Pastinake in der Essigs\u00e4ure hatte 6 Gr. und die Moorr\u00fche 4 Gr. verloren, aber es schien mehr durch Maceration als durch Aufl\u00f6sung wie bei der Verdauung geschehen zu seyn.\nEr mischte nun Alles zusammen und hielt es noch 24 Stunden im Bade, wo dann das ganze vegetabilische Ueberbleibsel 12 Gr. wog. Die Fl\u00fcssigkeit erschien jetzt ein wenig chymus-artiger und mehr tr\u00fcbe.\nUm die T\u00fcchtigkeit der Theorie, dass das aufl\u00f6sende Princip des Magensaftes die S\u00e4ure desselben sey, zu pr\u00fcfen, habe ich auch' schon l\u00e4ngst einige Versuche gemacht. Ich legte St\u00fcckchen Fleisch von einigen Gran und kleine W\u00fcrfel von geronnenem Ei-weiss in gleiche Quantit\u00e4ten sehr verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure, Essigs\u00e4ure, Milchs\u00e4ure, Weinsteins\u00e4ure und Klees\u00e4ure. Obgleich sich nun bald aus der Fl\u00fcssigkeit ein Theil des aufgel\u00f6sten Stoffes mit den gew\u00f6hnlichen Reagentien niederschlagen iiess, indem eine Tr\u00fcbung entstand, so zeigte sich doch die Hauptmasse Fleisch und Eiweiss von einigen Gran selbst nach mehreren Tagen durchaus nicht merklich ver\u00e4ndert, ja es behielten sogar die kleinen W\u00fcrfelchen von Eiweiss Wochen lang ihre Ecken und Kanten. In der Digestionsw\u00e4rme wird auch nicht viel mehr auf diese Art aufgel\u00f6st. Unter jenen S\u00e4uren schien die Klees\u00e4ure, die f\u00fcr den menschlichen K\u00f6rper schon in kleinen Quantit\u00e4ten bekanntlich ^ Gift ist, am st\u00e4rksten zu wirken. Das Menstruum wurde nach einiger Zeit tr\u00fcbe und es setzte sich auch ein weisslicher Satz sparsam zu Boden ; aber an dem Fleischst\u00fcckchen und dem Eiweiss zeigte sich doch keine merkliche Ver\u00e4nderung. Zur selbigen Zeit setzte ich ein Gl\u00e4schen mit verd\u00fcnnter Essigs\u00e4ure und euien Fleischst\u00fcckchen 24 Stunden dem Strom einer starken ga v. S\u00e4ule aus; dasselbe wurde mit Kochsalzaull\u00f6sung versucht;","page":543},{"file":"p0544.txt","language":"de","ocr_de":"544 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\naber auch jetzt zeigte sich keine irgend merklich verst\u00e4rkte Aufl\u00f6sung. So gross die Aufl\u00f6sungskraft der S\u00e4uren f\u00fcr mineralische Substanzen ist, so gering ist sie f\u00fcr organische Substanzen, und bedenkt inan, dass verd\u00fcnnte oder selbst concentrirte S\u00e4uren ein kleines St\u00fcckchen Fleisch oder Eiweiss von einigen Granen in vielen Tagen nicht ganz aufzul\u00f6sen verm\u00f6gen, so verliert die scheinbar so einfache Theorie von der Aufl\u00f6sung der Nahrungsmittel durch die S\u00e4ure des Magensaftes alle Wahrscheinlichkeit, die sie ohnehin f\u00fcr diejenigen nicht haben konnte, welche die so h\u00e4ufige Gleichzeitigkeit von Indigestion mit verst\u00e4rkter S\u00e4urebildung erwogen haben. Man musste daher anerkennen, dass die Untersuchungen bis dahin \u00fcber das wirksame, aufl\u00f6sende Princip im Magensafte keinen Aufschluss gegeben haben, und dass wir dieses Princip nicht kennen. Diess ist dasselbe Glaubensbekennt-niss, welches bereits Berzelius vor l\u00e4ngerer Zeit abgegeben bat.\nAlles diess f\u00fchrt schon zu der Ueberzeugung, dass das wirksame Princip im Magensaft ein organischer Stoff ist, der auf dieselbe Art wirkt, wie die Diastase auf das St\u00e4rkemehl, indem sie dasselbe aufl\u00f6st. So war der Stand der Dinge zurZeit der Herausgabe der ersten Auflage dieses Theils des physiologischen Lehrbuchs. Seither sind wichtige Entdeckungen in Hinsicht des wirksamen organischen Princips des Magensaftes gemacht worden.\nEberle (Physiologie der Verdauung. IViirzb. 1834.) entdeckte n\u00e4mlich, dass obgleich weder die verd\u00fcnnten S\u00e4uren, noch der Schleim allein das Verm\u00f6gen besitzen, organische Materien schnell aufzul\u00f6sen, diese aufl\u00f6sende Kraft doch dem s\u00e4uerlichen Schleime zukommt und dass Eiweiss und Fleisch in Digestion mit saurem Schleim oder dem s\u00e4uerlichen Extrade der Schleimh\u00e4ute nicht allein bald gel\u00f6st werden, sondern auch eine chemische Umw andlung erleiden, indem der Eiw'eissstoff seine F\u00e4higkeit verliert, zu gerinnen und in Osmazom und Speichelstoff umgesetzt wird. Diese Entdeckung hat sich in der Hauptsache vollkommen best\u00e4tigt. Siehe J. Mueller und Schwann in Mueller\u2019s Archiv. 1836. 68. Man hat die Versuche von Eberle jetzt von vielen Seiten wiederholt und sie haben durchg\u00e4ngig ein best\u00e4tigendes Resultat gegeben. Doch hatte sich Ebrrle darin geirrt, dass er allem saurem Schleime jene Eigenschaft zuschrieb, welche vielmehr nur ein mit dem Magenschleime zugleich abgesondertes organisches Princip besitzt. Der Schleim aus anderen Organen als dem Magen, z. B. nach Schwann Harnblasenschleimhaut mit Salzs\u00e4ure behandelt, besitzt diese Eigenschaft nicht. Man gewinnt die Fl\u00fcssigkeit zur k\u00fcnstlichen Verdauung durch Extraction der Schleimhaut des vierten Magens des Kalbes. Die Schleimhaut desselben w ird ab-pr\u00e4parirt, mit kaltem Wasser ausgewaschen, bis sie nicht mehr sauer reagirt und dann getrocknet. So kann die Schleimhaut aufbewahrt W'erden, und sie ist jederzeit zu den Versuchen anwendbar. Eine Versuchsreihe, welche die Hauptph\u00e4nomene auf die einfachste Art darlegt, ist folgende. Die getrocknete Schleimhaut wird in St\u00fccke zerschnitten, und diese in 5 Probirgl\u00e4ser, mit destillirtem Wasser \u00fcberg\u00f6ssen, gelegt, ln 2 von diesen Gl\u00e4sern werden in jedes 6\u20148 Tropfen Salzs\u00e4ure zugesetzt, in 2 an-","page":544},{"file":"p0545.txt","language":"de","ocr_de":"5. Verlindbrungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 545\ndem in jedes 12\u201414 Tropfen Essigs\u00e4ure. Zur Vergleichung enth\u00e4lt ein Gl\u00e4schen Schleirnhautst\u00fccke und hlosses Wasser, und ein sechstes Gl\u00e4schen so viel Wasser als die \u00fcbrigen mit 8 Tropfen Salzs\u00e4ure ohne Schleimhautst\u00fccke. In alle diese Gl\u00e4ser werden W\u00fcrfel von geronnenem Eiweiss und gekochtem Fleisch von gleicher Gr\u00f6sse und mehreren Grau Gewicht gelegt. Nach einer Digestion von 12 Stunden hei 30e1 It. zeigen die herausgenommenen Fleisch- und Eiweisst\u00fccke folgende Beschaffenheit. Die mit blosser S\u00e4ure behandelten St\u00fccke zeigen sich unver\u00e4ndert, ebenso die mit blossen Schleimhautst\u00fccken und Wasser ohne S\u00e4ure digerirten Nahrungsstoffe, welche sp\u00e4ter einen fauligen Geruch zu entwickeln beginnen. Die St\u00fccke in dem s\u00e4uerlichen Extrade von Schleimhaut sind erweicht. Das Eiweiss durchscheinend, in der Mitte k\u00e4seartig, leicht zerdr\u00fcckbar. Wird die Digestion noch l\u00e4nger bis 21 Stunden fortgesetzt, so l\u00f6sen sich die Nahrungs-stoffe in dem s\u00e4uerlichen Extract von Schleimhaut ganz oder gr\u00f6sstentheils auf. Die Digestionsfl\u00fcssigkeit erh\u00e4lt einen eigent\u00fcmlichen, durchaus nicht fauligen Geruch, welcher dem Ger\u00fcche des Commissbrotes einigermassen vergleichbar ist; der Geschmack ist s\u00e4uerlich, nicht angenehm. Sehr schnell l\u00f6st sich Faserstoff des Blutes auf, die Aufl\u00f6sung geht auch hei der gew\u00f6hnlichen Temperatur der warmen Jahreszeit vor sich und schon nach einigen Stunden werden geronnene Eiweissst\u00fccke im Umfang durchsichtig und sind von einer Wolke gr\u00f6sstentheils aufgel\u00f6ster Ei-weisstheilchen umgehen. Das aufgel\u00f6ste Eiweiss hat seine vorigen Eigenschaften ganz verloren, es ist nicht mehr gerinnbar, und die Untersuchung der L\u00f6sung zeigt Osmazorn und Speichelstoff und nach Schwann noch einen dritten eiweiss\u00e4hnlichen Stoff, der von kohlensaurem Natron niedergeschlagen wird, in Wasser und Weingeist unl\u00f6slich, in verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure l\u00f6slich ist. Er wird nicht durch Siedhitze, weder durch essigsaures Blei, noch durch Weingeist, wohl aber durch Salpeters\u00e4ure und Sublimat stark und durch Kaliumeisencyan\u00fcr und Gall\u00e4pfeltinctur schw\u00e4cher niedergeschlagen. Wir stellten Versuche an, um zu entscheiden, ob hei der k\u00fcnstlichen Verdauung wie hei der G\u00e4h-rung Kohlens\u00e4ure entwickelt und Sauerstoffgas absorbirt wird. Weder das eine noch das andere findet dabei statt.\nUeher die Natur des Verdauungsprincips und des hei der Verdauung stattfindenden Processes hat Schwann weitere Aufschl\u00fcsse gegeben. Schwann \u00fcber das Wesen des Verdauungspro-cesses. Mueller\u2019s Arch. 1836. 90. In den vorhergehenden Versuchen bleibt es unklar, ob das Verdauungsprincip durch Contact wirkt, oder ob es selbst im aufgel\u00f6sten Zustande sofort die Nah-i'ungsstofle aufl\u00f6st. Schwann erkannte nun, dass das klare Filtrat der Verdauungsfl\u00fcssigkeit die k\u00fcnstliche Verdauung eben so gut als vorher bewirkt. Das Verdauungsprincip war also vollkommen aufgel\u00f6st, und die Meinung, dass es durch Contact wirke, verlor ihre Basis. Das klare Filtrat, welches die Verdauungsfl\u00fcssigkeit enthalt, ist an Farbe saturirtem Urin \u00e4hnlich, es beh\u00e4lt die F\u00e4higkeit zur k\u00fcnstlichen Verdauung Monate lang. Um gute Verdauungsfl\u00fcssigkeit zu bereiten, empfiehlt Schwann so viel S\u00e4ure","page":545},{"file":"p0546.txt","language":"de","ocr_de":"546 II. Buch. Organ, client. Processe. IV.-Abschnitt. Verdauung.\nzu nehmen, dass auf ^Loth Magenschleimhaut und Wasser zusammengerechnet 3,3 Gran Salzs\u00e4ure kommt. Die Quantit\u00e4t des Wassers, wenn nur die Menge der S\u00e4ure nach dem angegebenen Verh\u00e4ltnisse ver\u00e4ndert wird, ist ziemlich gleichg\u00fcltig, und kann das Gewicht der Schleimhaut im feuchten Zustande um das Ein-bis F\u00fcnffache \u00fcbertreffen. Schwann stellte sich die Frage, in wie weit die S\u00e4ure zur Verdauung mitwirke. Sie ist nothwen-dig, wie aus den angef\u00fchrten Versuchen hervorgeht, aber die S\u00e4ure k\u00f6nnte zur Bildung irgend eines anderen wesentlich verdauenden Stoffes dienen, der einmal gebildet, selbstst\u00e4ndig die Verdauung bewirkt. Um diess zu pr\u00fcfen, nenlralisirte er Verdauungsfl\u00fcssigkeit mit kohlensaurem Kali und digerirte sie dann mitEiweiss. Das Eiweiss wurde aber gar nicht ver\u00e4ndert. Setzte er nun wieder die angemessene Menge Salzs\u00e4ure zu, so wurde das Eiweiss vollst\u00e4ndig verdaut. Freie S\u00e4ure ist demnach wesentlich hei der Verdauung wirksam. Um die Frage zu l\u00f6sen, oh die S\u00e4ure als blosses L\u00f6sungsmittel des Verdauungsprincips diene, wurde ein Theil der Verdauungsfl\u00fcssigkeit mit soviel kohlensaurem Kali versetzt, dass mehr als die H\u00e4lfte der S\u00e4ure darin neutralisirt wurde, die Fl\u00fcssigkeit also noch sauer reagirte und keine Tr\u00fcbung entstand. Obgleich nun nichts von dem Ver-dauungsprincip niedergeschlagen seyn konnte, ging doch die Verdauung nicht vor sich. Die S\u00e4ure wirkt also nicht als blosses L\u00f6sungsmittel des Verdauungsprincips. Es entstand ferner die Frage, oh die S\u00e4ure mit dem Verdauungsprincipe vielleicht eine chemische Verbindung analog den sauren Salzen bilde. In diesem Falle muss die Menge der S\u00e4ure in einem Verh\u00e4ltnis zur Menge der andern verdauenden Materie stehen. Aus Schwann\u2019s Versuchen folgte, dass ein Gehalt von 3,3 Gran bis 6,6 Gran Salzs\u00e4ure in einem halben Lothe Verdauungsfl\u00fcssigkeit sich am besten zur Verdauung, wenigstens von Eiweiss eignet, dass ein h\u00f6herer S\u00e4uregehalt die verdauende Kraft schw\u00e4cht oder ganz aufhebt, indem er das verdauende Princip zerst\u00f6rt, dass ein zu geringer S\u00e4uregehalt aber nur wegen Mangels der wesentlich wirksamen S\u00e4ure die Verdauung nicht bewirkt. Sollte nun die vorher aufgestellte Ansicht richtig seyn, so m\u00fcsste die Alenge der S\u00e4ure nicht zu der der ganzen Fl\u00fcssigkeit, sondern zu der Menge des darin enthaltenen organischen Verdauungsprincips in einem bestimmten Verh\u00e4ltnisse stehen. Aus den in dieser Beziehung von Schwann angestellten Versuchen folgt, dass die nothwendige Menge von S\u00e4ure sich nicht nach der Quantit\u00e4t des organischen Verdauungsprincips richtet, so dass die fragliche Ansicht nicht richtig seyn kann. Die dritte Hypothese, dass die S\u00e4ure vielleicht zur Aufl\u00f6sung von Producten diene, die sieh hei der Verdauung bilden und etwa bloss in S\u00e4uren l\u00f6slich sind, wurde ebenfalls widerlegt.. Das hei der. k\u00fcnstlichen Verdauung gebildete Product ist zwar in S\u00e4ure und seihst in sehr verd\u00fcnnter S\u00e4ure l\u00f6slich, aber eine Quantit\u00e4t*Verdauungsfl\u00fcssigkeit, welche zur Aufl\u00f6sung einer bestimmten Monge Eiweiss hinreicht, verdaut nicht, wenn sie mit Wasser verd\u00fcnnt ist. Sollte endlich die S\u00e4ure in die Zusammensetzung der sich hei der Verdauung bildenden Product\u00a9","page":546},{"file":"p0547.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Magenverdauung. 547\neingellen, so m\u00fcsste die Menge der freien S\u00e4ure sich hei der Verdauung \u00e4ndern. Indess bleibt der Gehalt an freier S\u00e4ure bei der k\u00fcnstlichen Verdauung unver\u00e4ndert. Aus allem diesem schliesst Schwank, dass die S\u00e4ure durch ihre Gegenwart, ohne selbst ver\u00e4ndert zu werden, zur Zersetzung der organischen Substanzen bei der Verdauung mitwirkt, ebenso wie dies bei der Umwandlung der St\u00e4rke in Zucker durch Rochen mit verd\u00fcnnten S\u00e4uren der Fall ist.\nDer G\u00e4hrung und den Contactwirkungen gleicht die k\u00fcnstliche Verdauung darin, dass selbst eine sehr geringe Quantit\u00e4t des zersetzenden K\u00f6rpers die Wirkung hervorbringt. Eine sehr bedeutende Verd\u00fcnnung von normaler Verdauungsfl\u00fcssigkeit durch saures Wasser wirkte noch auf das Eiweiss. Es wurden 4,8 Gran Verdauungsll\u00fcssigkeit mit 1 Drachme geronnenen zerriebenen Ei-weisses (im feuchten Zustande gewogen) und ^ Loth sauren Wassers vermischt. Dieselbe Quantit\u00e4t Eiweiss wurde in t} Loth unverd\u00fcnnter Verdauungsfl\u00fcssigkeit gebracht. Nach 24 Stunden war das Eiweiss in beiden bis auf einige wenige Reste aufgel\u00f6st. Es hatten 4,8 Gr. Verdauungsll\u00fcssigkeit oder 0,11 trockne verdauende Substanz 00 Gr. leuchles Eiweiss (ungef\u00e4hr 10 Gr. feste Substanz) aulgel\u00f6st, oder 1 Theil hatte die Zerlegung von ungef\u00e4hr 100 bewirkt, was sich den Contactwirkungen und der G\u00e4h-rung vergleichen l\u00e4sst. Aus Schwann\u2019s Versuchen ergiebt sich ferner, dass die Verdauungsll\u00fcssigkeit durch die Verdauung einen Theil ihrer Kraft verliert, und dass sich bei der k\u00fcnstlichen Verdauung nicht neues Verdauungsprincip aus dem Eiweiss bildet, wie es doch mit dem Ferment bei der G\u00e4hrung der Fall ist. Von der G\u00e4hrung unterscheidet sich \u00fcbrigens der Verdauungs-process, dass keine Kohlens\u00e4ure dabei entwickelt wird und dass seihst nicht ein Minimum von Sauerstoff' zu ihrer Einleitung noting ist, wie n\u00e4her von Schwann bewiesen wird. Viele Mittel, welche die Weing\u00e4hrung st\u00f6ren, st\u00f6ren auch die Verdauung. Schwann zeigt, dass Alkohol sowohl als Siedhitze die Wirksamkeit des Verdauungsprincips aufbeben. Dasselbe gilt in geringerm Grade von den Neutralsalzen, besonders von den schwefelichtsauren Salzen. Dagegen land Schwann auch, dass arsenichtsaures Kali wohl die Weing\u00e4hrung, nicht aber die k\u00fcnstliche Verdauung st\u00f6rt. Beide Processe haben endlich bei aller Verschiedenheit das gemein, dass sie Processe einer freiwilligen Zersetzung sind, die durch einen schon im Minimum wirkenden Stoff hervorgerufen werden, und dass dieser Stoff' bei dem dadurch bewirkten Processe selbst ver\u00e4ndert wird.\nEine reine Darstellung des Verdauungsprincips ist deswegen last unm\u00f6glich gemacht, weil es seine Wirksamkeit durch Rea-gentien so leicht verliert. Mehrere Versuche von Schwann kl\u00e4ren sein Verhalten zu andern Stoffen auf. Das Verdauungsprincip wird durch die Neutralisation der S\u00e4ure nicht niedergeschlagen, sondern ist auch in blossem Wasser l\u00f6slich; es wird durch essigsaures Iflei aus der neutralen Aufl\u00f6sung gelallt, und l\u00e4sst sich aus diesem Niederschlage durch Schwefelwasserstoff wieder wirksam darstellen. Kaiiumeisencyan\u00fcr sowohl als Kaliumeisencyanid","page":547},{"file":"p0548.txt","language":"de","ocr_de":"548 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nbewirken in der neutralen Verdauungsfl\u00fcssigkeit keinen Niederschlag, wohl aber in der sauren; das Verdauungsprincip wird aber nicht dabei gefallt, denn die Fl\u00fcssigkeit beh\u00e4lt' ihre verdauende Kraft. Sublimat bewirkt sowohl in der s\u00e4uern als in der neutralen Verdauungsfl\u00fcssigkeit einen Niederschlag. Gerbestoff fallt, Weingeist und Siedhitze bewirken eine Tr\u00fcbung und heben die verdauende Kraft auf. Die L\u00f6sungsmittel des Verdauungs-princips sind Wasser, verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure und Essigs\u00e4ure. Diese Reactionen und zugleich das eigent\u00fcmliche Verhalten zum K\u00e4sestoff, den das Verdauungsprincip als einen in Wasser unl\u00f6slichen K\u00f6rper niederschl\u00e4gt, stellen jenen Stoff {als eigent\u00fcmlich dar, so dass, wenn auch noch keine reine Darstellung des Stoffes bis jetzt m\u00f6glich ist, doch der Name Verdauungsprincip, Pepsin, auch in dieser Beziehung gerechtfertigt wird. Das Verhalten des Verdauungsprincips zum K\u00e4sestoff verdient noch eine n\u00e4here Erw\u00e4hnung. Bebz.ei.ius zeigte bereits, dass das Laab des K\u00e4lbermagens, auch wenn alle Spuren der S\u00e4ure daraus durch Waschen entfernt sind, doch noch die Milch zum Gerinnen bringt. Man weiss ferner, dass die Gerinnung des K\u00e4sestoffs von Laab eigent\u00fcmlich ist, indem der auf diese Weise geronnene K\u00e4sestoff in Wasser unl\u00f6slich ist, w\u00e4hrend sich das Coagulum von S\u00e4ure und Weingeist in Wasser wieder aufl\u00f6st, das Coagulum von S\u00e4ure auch schon in mehr S\u00e4ure wieder aufl\u00f6st. Man kennt nun diess eigent\u00fcmliche, die Milch gerinnen machende Princip des Laabs in dem Verdauungsprincipe. Setzt man nach Schwann Verdauungsfl\u00fcssigkeit in \u00e4usserst geringer Quantit\u00e4t zur Milch und erw\u00e4rmt sie ein wenig, so sondert sich bald der geronnene K\u00e4sestoff ab ; derselbe Beobachter hat gezeigt, dass das Verdauungsprincip auch im neutralen Zustande den K\u00e4sestoff f\u00e4llt. Zur Gerinnung der Milch in der W\u00e4rme sind mehr als 0,42 Proc. erforderlich, 0,83 Proc. bringen sie schon zur Gerinnung. Durch die Siedhitze verliert die Verdauungsfl\u00fcssigkeit die F\u00e4higkeit, die Milch zum Gerinnen zu bringen, daher die Salze der Verdauungsfl\u00fcssigkeit keinen Anteil an der Wirkung haben k\u00f6nnen. Durch das Verhallen des Verdauungsprincips zur Milch wird die Milch zum Reagens f\u00fcr das Verdauungsprincip, wenn n\u00e4mlich eine neutrale Fl\u00fcssigkeit die Gerinnung der Milch bewirkt, schnell aufgekocht aber diese F\u00e4higkeit verliert, so kann man schliessen, dass die Fl\u00fcssigkeit Verdauungsprincip enth\u00e4lt. Schwann a. a. O. p. 130. Durch diese Reaction hat Schwann nachgewiesen, dass das hier betrachtete Verdauungsprincip auch wirklich im Magen vorkommt. Er teilte den Mageninhalt eines unmittelbar nach der Geburt gestorbenen Kaninchens in zwei Theile, kochte den einen und setzte zu beiden Milch. Bei gelindem Erw\u00e4rmen gerann dieselbe in dem ungekochten, nicht aber in dem gekochten Magensaft.\nEinige Nahrungsstoffe werden nicht von dem Verdauungsprincipe, sondern entweder vorzugsweise von den S\u00e4uren oder unter Mitwirkung einer andern organischen Materie aufgel\u00f6st. Die vom Verdauungsprincipe leicht l\u00f6slichen sind Faserstoff, Muskelfleisch, geronnenes Eiweiss. Der geronnene K\u00e4sestolf aber und Thierleim, Kleber scheinen nach Schwann\u2019s Versuchen nicht durch","page":548},{"file":"p0549.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal, Magewerdauurig. 549\ndas Verdauungsprincip aufgel\u00f6st -zu werden. Denn wenn dieselben einzeln mit verd\u00fcnnten Sauren und mit verd\u00fcnnter Verdauungsfl\u00fcssigkeit digerirt wurden, so wurde kein Unterschied be-merklich. Dagegen stimmten die Iteactionen der Filtrate dieser mit blossen verd\u00fcnnten Sauren behandelten mit denen von Tiedemann und Gmelin bei der nat\u00fcrlichen Verdauung gefundenen (mit Ausnahme des St\u00e4rkemehls) \u00fcberein. Leim verlor seine Gerinnbarkeit, Jodtinctur brachte in der sauren Aufl\u00f6sung von Kleber eine F\u00e4llung, aber keine Farbenver\u00e4nderung hervor. Zur Erkl\u00e4rung der Verdauung des St\u00e4rkemehls reicht die S\u00e4ure nicht hin. Nach Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Beobachtung wird dasselbe duVch die nat\u00fcrliche Verdauung in St\u00e4rkegummi und Zucker verwandelt. Indessen bildet sich durch Digestion des St\u00e4rkemehls mit verd\u00fcnnten S\u00e4uren kein Zucker, auch nicht, wenn Verdauungsfl\u00fcssigkeit zugesetzt wird. Dagegen wird nach Leuchs das St\u00e4rkemehl durch den Speichel in Zucker verwandelt, was Schwann best\u00e4tigt fand. Wurde sauer gemachter Speichel mit gekochtem St\u00e4rkmehl 24 Stunden digerirt und dann filtrirt, so brachte Jod darin keine Farbenver\u00e4nderung mehr hervor. Aus dem neutra-Iisirten und abgedampften Filtrate liess sich durch Weingeist eine ansehnliche Quantit\u00e4t Zucker ausziehen, der sich sowohl durch seinen Geschmack als dadurch, dass er mit Hefe in G\u00e4hrung \u00fcberging, zu erkennen gab. Was der Weingeist nicht aufl\u00f6ste, war der\" Speichelstoff des Speichels theils ver\u00e4ndertes, dem Gummi \u00e4hnliches St\u00e4rkemehl, welches nicht auf Jod reagirte.\nDa die Wirksamkeit des Verdauungsprincips von der freien S\u00e4ure abb\u00e4ngt, so ist es einsichtlich, wie eine salzhaltige neutrale Verdauungsfl\u00fcssigkeit durch Zersetzung der Salze mittelst der galvanischen Elektricit\u00e4t wieder f\u00fcr die k\u00fcnstliche Verdauung wirksam werden k\u00f6nne, wie diess in der That von Purkinje beobachtet ist. Am positiven Pole erzeugt sich n\u00e4mlich aus den zersetzten Salzen freie S\u00e4ure.\nMan hat angenommen, dass die Elektricit\u00e4t sogar f\u00e4hig sei, die Wirkung des Nervus vagus bei der Verdauung zu ersetzen. Nach der Durchschneidung des Nervus vagus auf beiden Seiten h\u00f6rt die Verdauung gr\u00f6sstentheils auf. Vergl. oben pag. 44/. Blainville sah bei Tauben, dass die Wicken, die sie genossen, nach jener Operation in ihrem Kropfe unver\u00e4ndert geblieben, und dass ihre Chymification ganz aulgehoben war. Diesen Erfolg haben auch Legallois, Dupuy, Wilson I\u00fciilip, Clarke, Abel, Hastings gehabt. Dagegen sahen Broughton, Magendie, Leuret und Lassaigne die Verdauung nach der Durchschneidung des N. vagus fortdauern. Mayer (Tiedemann\u2019s Zeitschrift. 2. 1.) beobachtete auch noch einige Fortdauer der Verdauung und saure Reaction des Chyrnus wenigstens hei den Kaninchen. Br\u00e4chet (recherches sur les funct. du syst, gangl. Paris 1830.) sah die Speisen, wo sie die Magen w\u00e4nde ber\u00fchren, in allen Versuchen durch Chymification ver\u00e4ndert. Da sich bei S\u00e4ugethieren wegen des meist bald erfolgenden Todes nicht mit voller Sicherheit \u00fcber diesen Gegenstand entscheiden l\u00e4sst, so habe ich mit Herrn Dr. Dieckiiof mehrere Versuche an V\u00f6geln, namentlich G\u00e4nsen, an-","page":549},{"file":"p0550.txt","language":"de","ocr_de":"550 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\ngestellt. Nachdem diese Thiere 48 Standen gefastet, wurden sie mit Hafer gef\u00fcttert. ;Jedesmal wurden 2 Thiere zugleich zum Experiment genommen. Nur dem einen wurde der N. vagus auf beiden Seiten durchschnitten, das andere blieb zur Vergleichung im unversehrten Zustande. Nach dem Tode des ersten, der innerhalb 5 Tagen erfolgte, wurde auch das zweite get\u00f6dtet. In letzterem war der Kropf meist leer, im erstcren immer ganz voll von Hafer, im Muskelmagen fanden sich einige K\u00f6rner, zum Theil zermalmt. Hie Magenfl\u00fcssigkeit reagirle sauer, nicht so sauer als im gesunden Thiere. Hieraus kann man schliessen, dass die Verdauung nach jener Operation gr\u00f6sstentheils, aber doch nicht ganz aufh\u00f6rt. Tiedemann sah zwar nach der Durchschneidung der beiden N. vagi bei einem Hunde, dass das Erbrochene so wenig sauer als der Magenschleim reagirte, und auch in Mayer\u2019s Versuchen reagirte der Chymus bei Katzen und Hunden nicht sauer, aber diese Reaction salie Mayer bei den Kaninchen nach der Operation, und ich habe sie in den mit Dieckhof angestellten Versuchen niemals fehlen gesehen, obgleich sie weniger stark als im gesunden Zustande ist. Nun hat Wilson behauptet, dass man die Verdauung vermittelst eines elektrischen Stromes durch den Nervus vagus wiederherstellen k\u00f6nne, so zwar, dass man den einen Pol der Saure auf den Nervus vagus, den andern auf die mit Zinnfolie belegte Regio epigastrica applicire. Brescuet und Vavasseur haben diese Versuche wiederholt. Sie fanden: die einfache Durchschneidung der Nervi vagi ohne Substanzverlust hebe den Verdauungsprocess nicht ganz auf) wohl aber die Durchschneidung mil Subst\u00e4nzverl\u00fcst. Froriep\u2019s Aut. (i. 264. Indess immer ist ein Nerve gelahmt und bleibt es f\u00fcr eine sehr lange Zeit, mag man ihn mit oder ohne Substanzverlust durchschnitten haben. Nun behaupten sie ferner, dass man mittelst der Elektri-cit\u00e4t, indem ein elektrischer Strom durch die getrennten St\u00fccke geleitet werde, die Verdauung ganz wiederherstellen k\u00f6nne. Sie rechnen hierbei auf die verst\u00e4rkten Bewegungen des Magens. Sp\u00e4ter haben Brescuet und Edwards (Archiv. gen. de med. Fevr. 1828) jene Ansicht reforrnirt; sie haben als Piesultate neuer Versuche angegeben, dass die Durchschneidung der N. vagi die Chymification verlangsame, ohne sie ganz aufzuheben, dass die Verlangsamung von der L\u00e4hmung der Speiser\u00f6hre abh\u00e4nge, dass diese auch die Ursache des in jenen F\u00e4llen stattlindenden Erbrechens sey, dass die Wiederherstellung der Chymification durch elektrischen Strom nicht von der Elektricit\u00e4t, sondern von der dadurch bewirkten Reizung der N. vagi abh\u00e4nge, indem mechanische Reizung des untern Endes des Nerven dieselbe vollkommene Wiederherstellung der Verdauung wie die Elektricit\u00e4t bewirke, insofern die Bewegung des Magens dadurch wiederhergestellt werde. Aber durch Reizung des N. vagus kann inan, wie ich schon \u00f6fter aus Erfahrung anf\u00fchrte, die Bewegung des Magens nicht im geringsten ver\u00e4ndern. Vergl. p. 505. W\u00fcrden die trefflichen Beobachter ihre Versuche l\u00e4nger fortgesetzt haben, so w\u00fcrden sie vielleicht gesehen haben, dass weder der mechanische noch der elektrische Reiz an den N. vagi irgend eine be-","page":550},{"file":"p0551.txt","language":"de","ocr_de":". 5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. D\u00fcnndarm verdauung. 551\nmerkenswerthe Ver\u00e4nderung der Verdauung bewirkt, dass sich die Tbiere ziemlich gleich verhalten, mag man diese Reize anbringen oder nicht anbringen, wie wir cs in unseren Versuchen gesehen haben. Ich habe mit Dr. Dieckiiof eine ganze Reihe von Versuchen an Kaninchen angestellt. Jedesmal wurden 3 Kaninchen zu gleicher Zeit zum Versuch gezogen. Alle 3 wurden 48 Stunden hungern gelassen, sie wurden dann mit Kohl gef\u00fcttert. Das erste wurde hierauf unversehrt gelassen, dem zweiten wurden beide N. vagi einfach durchschnitten; hei dem dritten geschah nicht allein das Letztere, sondern es wurde auch 7 bis S Stunden lang ein galvanischer Strom durch die Nerven auf die von Wilson angegebene Art geleitet. Nach dem Tode des gal-vanisirten Kaninchens oder des zweiten mit durchschnittenem N. vagus wurden auch die anderen get\u00f6dtet. Das unversehrte Kaninchen hatte jedesmal ganz chymificirt; das Futter war bis auf den unaufl\u00f6slichen, ziemlich trockenen R\u00fcckstand extrahirt; hei den beiden andern war das Futter fast ganz in demselben Zustande: einmal war das Futter des galvanisirten Kaninchens etwas weniger verdaut, mehrere Mal waren beide ganz gleich, und mehrere Mai war das nicht galvanisirte vielleicht, aber kaum etwas weniger ver\u00e4ndert als das galvanisirte. Dieckhoff de actione, t/uarn ntrvus vagus in digestionem cihorum exerceat. Berol. 1835. Matteucci' will eine k\u00fcnstliche Verdauung aus Fleisch mit Kochsalz, unter Einwirkung der Elektricit\u00e4t, bewirkt haben. Fro-riep\u2019s JSot. 867. Sich st\u00fctzend auf die Versuche von Wilson stellt sich Matteucci die saure Reaction des Magens als durch einen positiv-elektrischen Zustand dieses Eingeweides hervorgebracht, vor. Er nahm ein St\u00fcck gekochtes Fleisch, that Wasser, Kochsalz und kohlens\u00e4uerliches Natron hinzu, erhielt diese Mischung lange Zeit in einer geh\u00f6rigen W\u00e4rme, indem er sie dabei immerfort zerrieb, bis sie in eine breiige Masse verwandelt war, der \u00e4hnlich, welche man durch das Kauen erh\u00e4lt. Diesen Brei brachte er in eine mit einer Aufl\u00f6sung von Kochsalz befeuchtete Blase, und setzte mit dieser die Pole einer aus 18 \u2014 20 Plattenpaaren bestehenden S\u00e4ule in Verbindung. L\u00e4ngs den W\u00e4nden der Blase, besonders um den positiven Draht, habe sich eine weissliche, dichte, saure, von Blasen von Oxygengas ausgedehnte Schicht gebildet. Diese Substanz sey flockig gewesen, und sey nach der Aufl\u00f6sung in Wasser erhitzt geronnen. Nachdem ich schon l\u00e4ngst mich vergeblich bem\u00fcht hatte, Fleischst\u00fcckchen in S\u00e4ure oder Kochsalz mit H\u00fclfe eines elektrischen Stroms aufzul\u00f6sen, mussten mir diese Resultate sehr unwahrscheinlich Vorkommen. Ich habe denVersuch von Matteucci mit Dr. Dieckhof wiederholt; wir brachten von demselben Brei von Fleischst\u00fcckchen mit Kochsalz und kohlens\u00e4uerlichem Natron 2 Portionen in verschiedene Blasen ; nur die eine wurde galvanisirt, die andere wurde sich selbst \u00fcberlassen. Nach Beendigung des Versuchs zeigte sich kein irgend hemerkliclier Unterschied in beiden Fl\u00fcssigkeiten.\nc. Ver\u00e4nderung des Speisedreies im D\u00fcnndarm.\nWir greifen hier den Faden der klassischen Untersuchungen\niHUller\u2019s Physiologie, 1.","page":551},{"file":"p0552.txt","language":"de","ocr_de":"552 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nvon Tjebemakn und Gmelik wieder auf; denn sie enthalten auch hier das einzige Sichere, was wir \u00fcber die Ver\u00e4nderungen des Chymus wissen. Der Chymus des Duodenums reagirt sauer. Sein Reiz auf die Darmw\u00e4nde, der sich auf den Ductus choledochus und die Gallenwege \u00fcberhaupt fortpflanzt, hat Ergiessuna von Galle und Succus pancreaticus zur Folge; wenigstens hat Tiebe-MAHrf die Gallenblase, hei Tbieren, w\u00e4hrend der Verdauung fast leer gefunden. In den Contends des D\u00fcnndarms liess sieh nach F\u00fctterung mit Leim dieser nicht mehr erkennen, nach F\u00fctterung mit Butter wurde das Fett wieder erkannt, nach F\u00fctterung mit K\u00e4se undeutlich der K\u00e4sestoff, nach St\u00e4rkemehl Reste des letztem, aber nicht immer, statt St\u00e4rke wurde St\u00e4rkezucker gefunden. Von Milch zeigten sich in der ersten H\u00e4lfte des D\u00fcnndarms Kl\u00fcmpchen von K\u00e4se. Nach F\u00fctterung eines Hundes mit Knochen f\u00e4nden sich kleine Knochenst\u00fccke in der ersten H\u00e4lfte des D\u00fcnndarms, in der zweiten H\u00e4lfte viel phosphorsaurer und wenig kohlensaurer Kalk. Bei Pferden war nach F\u00fctterung mit Hafer, in der ersten H\u00e4lfte des D\u00fcnndarms noch St\u00e4rkemehl vorhanden, was seine Eigenschaft im mittlern und untern Theile verlor.\nDie Contenta des D\u00fcnndarms reagirten in der ersten H\u00e4lfte desselben immer sauer, aber schw\u00e4cher als die des Magens. Die S\u00e4ure nahm in der zweiten H\u00e4lfte ab und verschwand gew\u00f6hnlich in dem Endst\u00fccke des D\u00fcnndarms. Tiedemank\u2019s und Gme-lin\u2019s Untersuchungen lassen es unentschieden, oh das Verschwinden der S\u00e4ure des Chymus von der Neutralisation derselben durch das kohlensaure Alkali der Galle herr\u00fchrt, wie Boerhave, Werker, Prout glauben, oder oh der untere Tlieil des D\u00fcnndarms alkalische Absonderung hat, oh sich durch anfangende F\u00e4ulniss Ammoniak entwickelt, welches die S\u00e4ure s\u00e4ttigt, oder ob der Chymus im sauren Zustande resorbirt wird und die S\u00e4ure in den We gen durch die Lymphgef\u00e4sse und Lympbdr\u00fcsen verliert, da der Chylus allerdings alkalisch ist. Die im Chymus des D\u00fcnndarms enthaltenen thierischen Materien sind vorzugsweise:\n1.\tEiweiss; seine Menge nimmt in der letzten H\u00e4lfte des D\u00fcnndarms wegen der Resorption des Chymus ah.\n2.\tK\u00e4sestoff; er nimmt auf gleiche Art ah. Von beiden l\u00e4sst sich nicht angeben, wie viel der Verdauung, wie viel den Verdauungss\u00e4ften, z. B. dem pankrealischen Safte, angeh\u00f6re. Tiede-makk und Gmelik finden es m\u00f6glich, dass der K\u00e4sestoff des pan-creatischen Saftes, als sehr stickstoffreiche Materie, einen Theil seines Stickstoffs an weniger stickstoffhaltige Nahrungsstoffe abgebe und sich damit in Gleichgewicht setze, wodurch solcher Nahrungsstoff in Eiweiss verwandelt werden k\u00f6nnte.\n3.\tDurch salzsaures Zinn f\u00e4llbare stickstoffhaltige Materie (Speichelstoff und Osmazom). Sie nimmt nach unten ah.\n4.\tDurch Chlor sich rotbende Materie, wahrscheinlich vom pankreatischen Safte, da sie sich nicht im Magen zeigt, nicht von der Galle, da sie auch nach Unterbindung des Gallenganges noch vorkommt. Sie findet sich nicht in Excrementen wieder.\n5.\tlin Weingeist, nicht im Wasser, l\u00f6sliche Materien: Fett,","page":552},{"file":"p0553.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkana/. D\u00fcnndarmverdauung. 553\nTalg, Farbestoff und Harz der Galle. In qualitativer Hinsicht unterscheiden sich jedoch die aufgef\u00fchrten Stoffe nicht von denjenigen, welche Tiedemann uiuI^GmeliN in dem Darmkanale von n\u00fcchternen Thieren landen. Sie sind daher ausser der von den Nahrungsmitteln herr\u00fchrenden Menge von Eiweiss wahrscheinlich den Verdauungssaften, namentlich dem Succus pancreaticus, angeh\u00f6rend, der Eiweiss, K\u00e4sestoff, durch Chlor sich r\u00f6thende Materie enth\u00e4lt.\nHier w\u00e4re nun der Ort, den Einfluss der Gaiie auf den Chy-mus zu untersuchen. Beaumont hat einige Versuche \u00fcber das Verhalten von Galle zum Chymus ausser dem lebenden K\u00f6rper angestellt. Wurde Ochsengalle mit Chymus aus dem Magen des St. Martin versetzt, so bildete sich ein tr\u00fcbes, gelblich-weisses Fluidum oder vielmehr feine, weisse Coagula, die sich, einige Zeit gestanden, in hellgelbe, zu Boden sinkende Coagula und ein tr\u00fcbes, milchfarbenes Fluidum sonderten. Vermischte Beaumont zur Vergleichung Galle und verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure, von beiden 1 Drachme mit 2 Unzen Wasser, so entstand eine \u00e4hnliche Tr\u00fcbung, aber es bildete sich ein tief gr\u00fcner, gallertartiger Bodensatz in einer bl\u00e4ulichgr\u00fcnen Fl\u00fcssigkeit ohne milchiges Ansehen, wie in der Mixtur von Chymus. Nach einer Beobachtung von Purkinje unterbricht wenig Galle schon die k\u00fcnstliche Verdauung ausser dem thierischen K\u00f6rper durch Verdauungsprincip. TJeber den Antheil der Galle an der Chymification haben auch Tiedemann\u2019s und Gme-lin s Untersuchungen keine vollen Aufschl\u00fcsse gegeben. Durch die S\u00e4ure des Chymus w ird aus der Galle der Schleim derselben geronnen mit einem grossen Tbeil des Farbestoffs der Galle gef\u00e4llt. Ausserdem wird Gallenfett niedergeschlagen, welches beim Ausziehen des im Wasser unaufl\u00f6slichen Theils der Contenta des Darms mit Weingeist erhalten wurde. Die von Tiedemann und Gmelin im Darmkanal gefundene Talgs\u00e4ure erkl\u00e4ren sie als aus der Galle abgeschieden. Der nicht im Wasser l\u00f6sliche Tlieil der Contenta enthielt Gallenharz, welches ein excrementieller Stoff zu seyn schien, ohne Einfluss auf die Umwandlung der Nahrungsstoffe, ein Hauptbestandteil der Excremente. Tiedemann und Gmelin fanden die von Werner {exp. circa modum, </uo chymus in chylurn rnutatur, diss. inaug. praes. Autenrieth. Tiib. 1800.) eingef\u00fchrte Ansicht, dass der Chylus von der Galle in Form von Flocken niedergeschlagen werde, ungegr\u00fcndet. Bei Vermischung von Galle mit dem fl\u00fcssigen Mageninhalte erfolgen nur diejenigen Niederschl\u00e4ge aus der Galle, wie sie beim Vermischen einer S\u00e4ure mit der Galle entstehen. Die sogenannten Chylusflocken im D\u00fcnnd\u00e4rme sind nur Schleimflocken, welche sich auch nach Unterbindung des gemeinschaftlichen Gallenganges zeigten. Der resorptionsf\u00e4hige Chymus ist fl\u00fcssig. Nach Autenrieth und A. Cooper w\u00e4re der Chylus im D\u00fcnndarme eine ziemlich consistente, zwischen den Zotten haftende, an der Luft gerinnbare Materie. Vergl. Abernethy physiol, lect. p. 18.9. Nach Tiedemann und Gmelin ist diess aber Schleim, und dann muss die Gerinnung ein Missver-st\u00e4ndniss seyn. Die aus der Galle zur Umwandlung des Chymus anwendbaren Fl\u00fcssigkeiten, sind wahrscheinlich das Pikrome), das\n36*","page":553},{"file":"p0554.txt","language":"de","ocr_de":"554 II. Euch. Organ, client. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nOsmazom, die dem Gliadin \u00e4hnliche Materie und die Chols\u00e4urc, weil sie nach TiedemaNN\u2019s und GmeliN\u2019s Untersuchungen nicht in den Excremenlen Vorkommen, 1. c. 1. 362., 2. 65. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der. hlosse Zweck der Galle, ausser der Ausscheidung des excrementiellen Gallenharzes und Farbestoffs, ist, die S\u00e4ure des Chymus abzustumpfen und ihn zu der Umwandlung vorzubereiten, die er in den Lyrnphgef\u00e4ssen erl\u00e4hrt, wo er als Chvlus alkalisch wird. Entweder tragen ihre wesentlichen, nicht in den Excrernenten vorkommenden Bestandtheile dazu bei, die fernere Aufl\u00f6sung des Chymus zu vollenden, wie Haller glaubt, oder diese Bestandtheile m\u00fcssen zur Umwandlung des Chymus in den Inhalt der Lymphgef\u00e4sse verwandt werden, so wie Prout vermuthet, dass die Beimischung der Galle zur Erzeugung des Eiweissstoffes aus den Nahrungsmitteln beitrage. Der Chylus der Lymphgef\u00e4sse enth\u00e4lt ausser dem Eiweiss weder die von Tiedemann und Gmelin im Darmkanal noch gefundenen anderen thierischen Materien, noch jene aufgel\u00f6sten Bestandtheile der Galle, welche nicht in die Excremente \u00fcbergehen, sondern statt alles dessen Eiweiss.\nUm den Antheil der Galle an der Umwandlung der Nahrungsmittel zu ermessen,hat Brodie {Quarterly J. uj.se. andar/s 1823. Jan., MageNdie ./. d. phfsiol. 3. 93.) den Ductus choledochus bei Katzen unterbunden, worauf Gelbsucht eintrat, die indessen zuweilen wieder verschwand; dann war an der Unterbindungsstelle eine Exsudation von gerinnbarem Faserstoff eingetreten, welche die getrennten St\u00fccke wieder verband.\nBrodie hat gefunden, dass durch Unterbindung des Gallenganges die Verdauung im Magen nicht gest\u00f6rt, dass aber kein Chylus mehr aus dem Chymus gebildet wurde, und dass weder die Saugadern des Darms, noch der Ductus thoracicus einen weissen Chylus enthielten. Tiedemann und Gmelin haben sich durch Pr\u00fcfung dieser Erfahrung in zehn Versuchen ein neues Verdienst erworben. Am 2 \u2014 3. Tage nach der Operation trat Gelbsucht ein; diese verschwand zuweilen wieder nach 10 \u201415 Tagen. In diesen F\u00e4llen hatte der Gang sich wieder hergestellt, und die Ligatur hatte hier entweder durchgeschnitten und war abgefallen, ehe die Durchschnittsfl\u00e4che verheilte, oder die coagulable Materie wurde um die Ligatur ergossen, und letztere hatte sich im Innern des \u00e4usserlich hergestellten Ganges abgestossen, und war durch den Kanal selbst ausgetreten. In 13\u201426 Tagen war der Gang wiederhergestellt gefunden worden. in anderen F\u00e4llen trat der Tod ein nach 3 \u2014 7 Tagen (Versuch 1. 4. 8.). Ein Hund, bei dem die Gelbsucht blieb, aber der Gang sp\u00e4ter oflen gefunden wurde, hatte 26 Tage gelebt, als er get\u00f6dtet wurde. In einem Fall (Versuch 1.), wo ein Hund nach 7 Tagen starb, war grosse Magerkeit und eine solche Mattigkeit eingetreten, dass das Thier kaum stehen konnte. Das Bauchfell zeigte sieh nach dem Tode entz\u00fcndet, oder Spuren der stattge-i\u00fcndenen Entz\u00fcndung. In diesen F\u00e4llen wurde Gallenf\u00e4rbestoff im Blut und Urin gefunden, und die Lymphgef\u00e4sse der Leber waren gelb. Tiedemann und Gmelin best\u00e4tigen Brodie\u2019s Erfah-","page":554},{"file":"p0555.txt","language":"de","ocr_de":"5. Ver\u00e4nderungen der Speisen im Darmkanal. Diinndarmverdauung. 555\nrun\", dass die Verdauung im Magen nach Unterbindung des Ductus clioledochus fortdauere. Auch die Contenta des D\u00fcnndarms waren nicht wesentlich von den gew\u00f6hnlichen verschieden; Eiweissstoff war in grosser Menge vorhanden. Es fand sich die durch Chlor sich r\u00f6tbende Materie; dagegen war die Erkennung des etwa vorhandenen K\u00e4sestoffs, so wie der durcli salzsaures Zinn f\u00e4llbaren Materie verhindert. Die Contenta des Dickdarms rochen in allen F\u00e4llen viel \u00fcbeler und fauliger als sonst (nach Leuret und Lassaigne rochen sie fade), die Excremente waren weiss. (Von gleichen St\u00fccken Milz, wovon das eine mit Ochsengalle, das andere mit gleichviel Wasser von mir infundirt wurde, faulte das letztere etwas schneller.) Der Ductus thoracicus enthielt hei Hunden mit unterbundenem Gallengange, die n\u00fcchtern get\u00f6dtet wurden, eine liehe durchscheinende, gelb gef\u00e4rbte, bald wenig, bald vollst\u00e4ndig gerinnende Fl\u00fcssigkeit. Bei Hunden, die nach dieser Operation gef\u00fcttert worden, kam in den Saugadern des D\u00fcnndarms eine helle durchsichtige, nicht weisse Fl\u00fcssigkeit vor, wie hei Hunden, die unter gleichen Umst\u00e4nden nicht gef\u00fcttert wurden, w\u00e4hrend die Fl\u00fcssigkeit des D\u00fcnndarms bei Hunden mit nicht unterbundenem Gallengange weisslich ist. Der Inhalt des Ductus thoracicus gerinnt sowohl nach jener Operation, als ohne dieselbe, und es bildet sich im ersten Falle ein noch gr\u00f6sserer und mehr ger\u00f6theter Kuchen, als heim Hunde, dem der Gallengang nicht unterbunden worden ist. Das Serum des ersten war tr\u00fcb, das des letzten weisslich. Der Chylus in dem Ductus thoracicus war gew\u00f6hnlich nach dieser Operation r\u00f6ther als sonst. Die Beschaffenheit des Chylus im Ductus thoracicus beweist indess hier nicht viel, da auch die von anderen Theilen kommende Lymphe gerinnt, und hei hungernden Thieren sehr lange immer noch Lymphe im Ductus thoracicus enthalten ist, wie Collard de MartigNy gezeigt hat, wie denn auch die Lymph-gef\u00e4sse des Darms hei hungernden Thieren Lymphe f\u00fchren. Es bleibt immer sehr w ichtig, dass der Chylus im gef\u00fctterten Hunde mit unterbundenem Gallengang durchsichtig ist, w\u00e4hrend er heim Hunde im naturgem\u00e4ssen Zustande weiss ist. Tiedemann und GmeliN legen zwar auf diesen Umstand nicht viel Gewicht, indem sic die Bildung von Chylus auch ohne Galle f\u00fcr erwiesen halten. Denn, sagen sie, es seyr bekannt, dass die weisse, milchige Farbe von Fetttheilchen im Chylus abh\u00e4nge. Indessen verdient doch dieser Unterschied noch fernere Ber\u00fccksichtigung, und der Antheil der Galle an der fernem Ausbildung des Chylus scheint durch jene Versuche nicht geradezu widerlegt zu werden. Tiedemann und Gmelin f\u00fchren weiter an, dass die Hunde lange nach jener Operation noch gelebt hatten (3\u20147 Tage), in einem Fall, wo trotz der Wiederherstellung des Ganges die Gelbsucht blich, 26 Tage bis zurT\u00f6dtung. Indessen leben Hunde ja selbst ohne alle Nahrungsmittel gegen 36 Tage,\nLehret und Lassaigne, welche ebenfalls behaupten, dass nach Unterbindung des Ductus clioledochus noch die Verdauung und Bildung des Chylus fortdaure, f\u00fchren an, dass die Galle die Ei genschaft habe, das Fett aufzul\u00f6sen, dasselbe zu zersetzen und","page":555},{"file":"p0556.txt","language":"de","ocr_de":"556 JJ. Buch. Organ. chem.Vrocesse. IV. Abschnitt. Verdauung.\ndamit eine Art von Seife zu bilden, und hierdurch die Verdauung des Fettes zu bewirken. Nach Tiedemanh\u2019s und Gmelin\u2019s Versuchen (1. 78. 2. 263.) ist die Galle da gegen nicht im Stande, die kleinste Menge Fett aufzul\u00f6sen, und sie kann deshalb bloss auf mechanische Weise durch Suspension des Fettes in Partikeln, zu dessen Vertheilung und Resorption beitragen. Die Galle scheint als Reiz f\u00fcr die peristaltischen Rewegungen des Darms n\u00f6thig zu seyn; denn hei verhindertem Ausflusse derselben findet Verstopfung statt.\nDas Gemisch von Chymus, Schleim, Galle und pankreatischem Safte nimmt an Consistenz im untern Theil des D\u00fcnndarms zu und wird dunkler gef\u00e4rbt. Die fl\u00fcssigen Theile desselben werden von den Lymphgef\u00e4ssnetzen der Darmw\u00e4nde aufgenommen. Alles Festere, der Darmschleim, die H\u00fclsen, die Holzfasern, der Hornstoff und diejenigen Stoffe der Galle, welche excrementiell sind, als Schleim, F\u00e4rbestoff, Fett und Harz, bilden im Endtheil des D\u00fcnndarms den Anfang der Excremente, aus welchen jedoch im Dickdarm auch noch fl\u00fcssige Bestandteile aufgesogen werden. IiedemajN\u2019N und Gmelin halten den sauren abgesonderten Saft des Blinddarms f\u00fcr ein ferneres L\u00f6sungsmittel von Thierstoff. Bei den pflanzenfressenden Thieren mit vorzugsweise grossem Blindd\u00e4rme scheint besonders hierauf gerechnet zu seyn, und es ist sehr wahrscheinlich, dass beim Pferd, wo die Nahrungsstoffe in einem weit weniger aufgel\u00f6sten Zustande den Pylorus passi-ren, auch in dem Ungeheuren Dickdarm der Verdauungsprocess Fortdauern muss. Schultz folgt Tiedemann und Gmelin in der Annahme einer erneuerten Verdauung im Blinddarm wegen der sich dort vorfindenden S\u00e4ure, nimmt aber auch einen gewissen Antagonismus der Magenverdauung und Blinddarmverdauung an; bei den Wiederk\u00e4uern falle die erstere in die Tageszeit, die letztere in die Nachtzeit, und die erstere beginne dann, wenn die letztere aufh\u00f6re. In diesem Fall m\u00fcsste eine Mahlzeit innerhalb 24 Stunden regelm\u00e4ssig den ganzen Darm durchlaufen haben; dies ist aber nicht regelm\u00e4ssig der Fall. In Tiedem ann\u2019s Versuchen an Hunden, denen der Ductus clioledochus unterbunden worden, zeigten sich die Excremente erst 2 Tage nach der Operation weiss; die Wiederk\u00e4uer behalten zumal \"den Wanst ganze Tage voll Futter. Schultz nimmt ferner an, dass bei der'Dickdarmverdauung der Dickdarm geschlossen sey, und dass w\u00e4hrend der Chymification und S\u00e4urebildung im Dickdarm keine Galle in denselben fliesse, sondern im untern Theile des D\u00fcnndarms sich anh\u00e4ufe, und nach beendigter Chymification erst in das Coecuui eintrete, um den Chymus zu neutra\u00fcsiren.\nW\u00e4hrend der Verdauung entwickelt sich, ausser der verschluckten, im Magen sich zum Theil in Kohlens\u00e4ure verwandelnden Luft, im Verlauf des ganzen Darmkanals Gas. Seine Beschaffenheit h\u00e4ngt eines Theils von den Speisen, andern Tlieils aber von dem Zustande der Verdauungsorgane ah. In Affectionen des Nervensystems ist diese Entwickelung oft sehr reichlich, es ist zuweilen geruchlos, riecht meistens nach Schwefelwasserstoffgas und ist oft entz\u00fcndlich. Es kann Wasserstoffgas, Kohlenwasserstoffgas, Schwefelwasserstoffgas","page":556},{"file":"p0557.txt","language":"de","ocr_de":"6. Von der Chylificatiun.\n557\nseyn. Nach den Beobachtungen, welche Magendie und Chevreui. von diesen Gasen im Darmkanal von Hingerichteten machten, bestanden sie in 3 F\u00e4llen im D\u00fcnnd\u00e4rme aus:\nKohlens\u00e4uregas ....\t24,39\t40,00\t25,00\nWasserstoffgas ....\t55,53\t51,15\t8,40\nStickgas\t\t20,08\t8,85\t66,60\n\tim Dickdarm,\t\tRectum.\nKohlens\u00e4uregas .\t.\t.\t.\t43,50\t70,00\t42,86\nKohlenwasserstoff^. u. Spuren\t\t\t\nvon Schwefelwasserstoffgas\t5,47\t\t\nWasserstoffgas und Kohlen-\t\t\t\nwasserstoffgas ....\t\t11,60\t\nreines Kohlenwasserstoffgas\t\t\t. 11,18\nStickstoffgas\t\t51,03\t18,40\t45,96\nThierchem. 254. Nach seiner Analyse der Zusammenh\u00e4nge\nsiehe Berz\u00c4lius |\tgenden Ex-\ncremente vorn Menschen bestanden dieselben\naus Wasser..................................75,3\n(Galle..............0,94\nEiweiss ....\t0.91\neigener ExtractivstofF 2,7 f\nSalze..............1,24\nextrahirter unl\u00f6slicher R\u00fcckstand von den Speisen im Darmkanal hinzugekommene unl\u00f6sliche Stoffe,\nSchleim, Gallenharz, Fett, eigene thierische Materie\nim Wasser l\u00f6slich\n5,7\n7,0\n14,0 102,0\nIn der Cloake der V\u00f6gel und Amphibien kommen Harn und Excrcinente zusammen.\nVI. Capitel. Von der Chylif'ication.\nDie verdauten Theile des Chymus werden w\u00e4hrend des Durchgangs durch den ganzen Darmkanal von den lymphatischen Gelassen aufgesogen. Wie die Resorption in allen lymphatischen Gelassen, sowohl denen des Darmkanals als denen anderer Theile, geschieht, ist in dem I. Buch, 3. Abschnitt vom Lymphsystem auseinandergesetzt worden. An den Zotten, in welchen die Lympli-gef\u00e4ssnetze der Tunica villosa zum Theil entspringen, erkennt man keine mit dem Mikroskop deutlich sichtbare. Oeffnungen auf ihrer Oberfl\u00e4che, daher k\u00f6nnen auch alle leicht sichtbaren Theilchen des Chymus nicht in die Anf\u00e4nge der Lyrophgef\u00e4sse aufgenommen werden, sondern nur das Aufgel\u00f6ste kann leicht durch die unsichtbaren Poren der zartesten Lymphgef\u00e4sse in dieselben ein-dringen. Wo die K\u00fcgelchen des Chylus sich bilden, ob aus den aufgel\u00f6sten Theilen des Chylus innerhalb der Anf\u00e4nge der Lymph-gef\u00e4sse des Darms, wo man den Chylus schon tr\u00fcb und weiss und K\u00fcgelchen enthaltend antrifft, oder ob sic sich durch eine Abstossung von Theilchen der Lymphgef\u00e4sse bilden, wie Doelun-ger annimmt, ist nicht gewiss; doch ist letztere Annahme un-","page":557},{"file":"p0558.txt","language":"de","ocr_de":"558 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nwahrscheinlich, da die weisse Farbe des Chylus nach der Natur der Nahrungsmittel variirt, und im geraden Verh\u00e4ltnisse mit der Menge des genossenen Fettes zunehnien soll. Eine schon p. 260. an-gef\u00fchrte Beobachtung von dem zuweilen ganz weissen Serum des Blutes hei jungen K\u00e4tzchen, die noch an der Mutter saugen, k\u00f6nnte es wahrscheinlich machen, dass hier doch K\u00fcgelchen der Milch in die Lymphgef\u00e4sse eindringen. Indessen ist jene Erscheinung hei jungen K\u00e4tzchen nicht constant, und k\u00f6nnte auch eins mit derselben, zuweilen hei Erwachsenen vorkommenden Erscheinung seyn, wenn der Chylus im Blute noch nicht verarbeitet ist, oder der Chylus viele Fetttheilchen enthalten hatte. Vergl. p. 260. und p. 154. Unsichtbare Poren m\u00fcssen offenbar in den W\u00e4nden der Lympbgef\u00e4ssanf\u00e4nge vorhanden seyn, weil sie Aufgel\u00f6stes aufnehmen; aber jedenfalls k\u00f6nnen diese Poren, selbst wenn sie K\u00fcgelchen hindurchlassen, nicht wohl gr\u00f6sser als die Chylusk\u00fc-gelchen selbst seyn, die nach Pr\u00e9vost und Dumas yTjnr Par. Zoll Durchmesser haben, und nach mir in der Mehrzahl (Kalb, Ziege, Hund) i bis 4 Mal so gross sind als die Blutk\u00f6rperchen eines S\u00e4ugethiers. Denn waren jene Poren gr\u00f6sser, so w\u00fcrden auch gr\u00f6ssere Theilchen des Chymus in die Lymphgef\u00e4sse \u00fcbergehen. Diese linden sich aber darin nicht vor; nur einmal, n\u00e4mlich beim Kaninchen, sah ich die wenigsten der Chylusk\u00fcgelchen gr\u00f6sser als die Blutk\u00f6rperchen, und nur einmal fand ich sie gleich den Blutk\u00f6rperchen, wie bei der Katze, die meisten kleiner. Indessen k\u00f6nnen jene gr\u00f6sseren K\u00f6rperchen des Kaninchens wohl kaum durch die W\u00e4nde der Darmzotten eingedrungen seyn, weil man so grosse Oeffnungen an ihnen m\u00fcsste erkennen k\u00f6nnen. Die zwischen den Zotten deutlich sichtbaren, zahlreichen Oeffnungen, welche gegen 12mal gr\u00f6sser sind als die Blutk\u00f6rperchen, sind blosse Crypten (LiEBESKUEnn\u2019sche Dr\u00fcsen) und scheinen mit der Ilesorption nicht in Beziehung zu stehen.\nChylus.\n. jDer Chylus ist die vom Darmkanal w\u00e4hrend der Verdauung in die Lymphgef\u00e4sse aufgenommene Materie, welche sich von der ausser der Verdauungszeit in diesen Gelassen enthaltenen Lymphe, und der Lymphe anderer Theile durch ihre weisse Farbe unterscheidet. Obgleich der Chylus hei den V\u00f6geln in der Regel nicht weiss, sondern klar ist, und [bei den pflanzenfressenden Thieren meist ebenfalls nicht so tr\u00fcb ist, so ist er doch bei den \u00efleisehfressern (selbst hei den Pflanzenfressern, so lange sie jung noch von Milch leben) immer mehr oder weniger tr\u00fcb und weisslich. Die Farbe r\u00fchrt von K\u00fcgelchen her, deren Gr\u00f6sse ich oben angegeben habe. R\u00f6thlich ist der Chylus nur ausnahmsweise und in seltenen F\u00e4llen, wie z. B. im Ductus thoraei-cus der Pferde; ich habe ihn bei den \\on mir untersuchten Rhieren (Kalb, Ziege, Hund, Katze, Kaninchen), auch im Ductus thoracicus nie anders als weisslich gesehen. Der Chylus reagirt alkalisch, seinen Geruch haben Einige mit dem des m\u00e4nnlichen Samens verglichen.\nDer Chylus gerinnt freiwillig, einige Zeit nachdem er die Gebisse verlassen hat. Reuss und Emmert, so wie Tiedemahm und","page":558},{"file":"p0559.txt","language":"de","ocr_de":"559\n6. Von der Chylification. Cliylus.\nGmeltn, haben gefunden, dass diese Gerinnbarkeit zunimmt, je \u201cweiter der Chylus im lymphatischen System fortschreitet; so dass Chylus aus den Lymphgef\u00e0ssen des Darmkanals nicht gerinnt, selbst dann selten gerinnt, wenn er durch die Mesenterialdr\u00fcsen durchgegangen ist. Bei dem Gerinnen (10 Minuten, nachdem er aus dem Gelass genommen ist, wie hei der Lymphe) sondert sich der Chylus des Ductus thoracicus in Coagula und Serum. Das Geronnene ist der Faserstoff des Chylus, vermengt mit einem Anthed der K\u00fcgelchen des Chylus. Das fl\u00fcssige Serum ist eine Aufl\u00f6sung von Eiweiss, worin ein Theil der K\u00fcgelchen des Chylus suspendirt bleibt. Zugleich sondert sich auf der Oberfl\u00e4che des Chylus eine rahmartige Masse ah, welche aus Fettk\u00fcgelchen besteht. Wach der Coagulation wird das Coagulum vom Chylus des Ductus thoracicus in freier Luft h\u00e4ufig auffallend r\u00f6ther, als der Chylus vorher war. Emmert fand hei Vergleichung des Chylus der Lymphgef\u00e4sse aus der Cysterna chyli, aus dem mitt-lern Theil und obern Theil des Ductus thoracicus des Pferdes, dass die Einwirkung der Luft den milchweissen Chylus der Lymphgef\u00e4sse nur wenig ver\u00e4nderte, w\u00e4hrend der Cysternenchylus etwas r\u00f6tblich wurde; letzterer coagulirte auch zum kleinern Theil. Der Chylus aus dem obern Theil des Ductus thoracicus erhielt an der Luft eine der Farbe des arteri\u00f6sen Blutes ziemlich nahe kommende Farbe, auch trennte er sich in Serum und eine Art von Blutkuchen, welcher fester und gr\u00f6sser als in dem andern Chylus war. Das Serum von dem Chylus der Cysterne und der grossen Milcligef\u00e4ssst\u00e4mme war dicklicher, tr\u00fcbe und enthielt eine Menge weissgelber K\u00fcgelchen. Das Serum vom Chylus des Brustganges -war klar und zeigte dem blossen Auge keine K\u00fcgelchen. In Emmert\u2019s Versuchen enthielt der Chylus aus dem mittlern Theil des Ductus thoracicus etwas mehr thierischen Stoff, als der aus dem obern Theil, wahrscheinlich, weil letzterer ausser dem Chylus eine relativ gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t der viel d\u00fcnneren Lymphe aus den \u00fcbrigen Lymphge-f\u00e4ssen des K\u00f6rpers aufgenommen hat. Emmert in Scherer\u2019s Tour\u00ab. der Chemie,. 5. p. 164.691. Vergl. Reil\u2019s Arch. 8.146. Ma GEND1E Sagt, wenn der Chylus von Nahrungsstoffen herr\u00fchrt, welche kein oder wenig Fett enthalten, so ist der Chylus weniger weiss, sondern mehr opalartig; er trennt sich in Coagulum und Serum, und auf seiner Oberfl\u00e4che sondert sich wenig oder keine rahmartige Materie ab. K\u00f6mmt der Chylus aber von animalischen oder vegetabilischen, fetten Substanzen, so ist der Chylus weiss, und theilt sich in dreierlei Bestandlheile, in Coagulum vom Faserstoff, in Serum und in eine rahmartige Schicht auf der Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit, welche die fettigen Bestandtheile enth\u00e4lt. Nach Mar-cet {medico-chirurg. transact. 1815. Meck. Arch. 2. 26S.) geht \u00fcer Chylus von Pflanzenkost auch langsamer in F\u00e4ulniss \u00fcber, als der von thierisclier Kost, und enth\u00e4lt mehr Kohle; ersterer soll immer milchig seyn und mehr Rahm absetzen, letzterer mehr durchsichtig seyn und keinen Rahm absetzen.\nTiedemann und Gmelin haben durch die grosse Anzahl ih-\u2022rer Versuche \u00fcber den Chylus, durch die Genauigkeit und xe gleichzeitige anatomisch-physiologische und chemische L'm-","page":559},{"file":"p0560.txt","language":"de","ocr_de":"560 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt, Verdauung.\nsicht ihrer Versuche das entschiedenste Uebergewicht. Siehe B. 2. p. 66 \u2014 95. Diese Naturforscher sagen, alle ihre Versuche beweisen auf das Bestimmteste, dass die weisse Tr\u00fcbung des Chy-lus von einem fein zertheilten, darin schwebenden Fette herr\u00fchrt. Beim Gerinnen des Chylus trete es dem geringem Theil nach in die Placenta, dem grossem Theil nach bleibe es im Serum vertheilt, aus dem es sich zuweilen nach oben gleich einem Rahm erhebe. Tiedemann und Gmelin haben aus Chylusplacenta \u00f6fter ein gelblichbraunes Fett durch kochenden Weingeist ausgezogen. Beim Sch\u00fctteln des milchiehen Serums mit weingeistfreiem Aether erfolgte allm\u00e4hlige Kl\u00e4rung des Serums, und beim Abdampfen des Aethers erhielten sie um so mehr Fett (Gemenge von Elain und Stearin), theils in \u00f6liger, theils in talgartiger Form, je mehr das Serum getr\u00fcbt gewesen war. Tiedemann und Gmelin schliessen daraus, was auch durch die Resultate verschiedener F\u00fctterung best\u00e4tigt wird, dass das in dem thierischen K\u00f6rper enthaltene Fett aus den Speisen in denselben \u00fcbergehe, und dass es (wenigstens im Chylus) nicht in einem aufl\u00f6slichen Zustande, sondern nur fein zertheilt vorhanden sey. Schafe mit Gras oder Stroh gef\u00fcttert, lieferten einen w'enig getr\u00fcbten, fast klaren Chylus. Sehr gering war auch die Tr\u00fcbung bei den mit fl\u00fcssigem Eiweiss, mit Faserstoff, Leim, K\u00e4se, St\u00e4rkemehl, Kleber gef\u00fctterten Hunden, und dem mit St\u00e4rkemehl gef\u00fctterten Pferde. Massig tr\u00fcb war der Chylus des mit Hafer gef\u00fctterten Schafes. Starke milchige Tr\u00fcbung zeigte sich dagegen hei Hunden nach dem Genuss von geronnenem Eiweiss, Milch, Knochen, Rindfleisch, bei Pferden nach Hafer. Am st\u00e4rksten getr\u00fcbt war der Chylus des mit Butter gef\u00fctterten Hundes. Nach Unterbindung des Gallenganges zeigte sich der Chylus weniger milchig als sonst. Vielleicht r\u00fchrt diess nach Tiedemann und Gmelin daher, dass die Galle das Verm\u00f6gen hat, das Fett der Speisen mit der w\u00e4ssrigen Fl\u00fcssigkeit in einer sehr zarten Suspension mikroskopischer Tar-tikelchen zu vertheilen.\nEine reine Aufl\u00f6sung von Thierstoff, in welcher keine anderen als Fettk\u00fcgelchen schweben, scheint \u00fcbrigens der Chylus nicht zu seyn. Als ich milchiges Serum vom Chylus der Katze in einem Uhrglas mit weingeistfreiem Aether versetzte, schien sich zwar anfangs allm\u00e4hlig das Serum etwas aufzukl\u00e4ren; aber es blieb doch, selbst nach langer Fortsetzung des Versuchs unter immer neuem Zugiessen von Aether, unten ein tr\u00fcbes Wesen zur\u00fcck, und als ich dieses unter dem Mikroskop untersuchte, bemerkte ich darin ganz unver\u00e4nderte K\u00fcgelchen. Ich f\u00fctterte einen Flund mit Brot, Milch und etwas Butter, und t\u00f6dtete ihn 5 Stunden darauf. Der Chylus des Ductus thoracicus wie der Lymphgef\u00e4sse war weiss; diesen Chylus untersuchte ich tropfenweise unter dem Mikroskop. Hier sah ich, dass er viele an Gr\u00f6sse sehr ungleiche Oelk\u00fcgelchen enthielt, welche ganz durchscheinend waren. Der weit gr\u00f6ssere Theil der Chyluskvigelchen w'ar aber ganz anderer Art, n\u00e4mlich weisslich und nicht durchscheinend, sehr klein und ohngef\u00e4hr bis f so gross als die Blutk\u00f6rperchen dieses Hundes, wie ich fr\u00fcher auch um Kalbe diesen Unterschied","page":560},{"file":"p0561.txt","language":"de","ocr_de":"6. Von der Chylification. Chylus.\n561\nbemerkt hatte. Die kleinen K\u00fcgelchen sind in ungeheurer Menge vorhanden und sind offenbar die Ursache der weissen Farbe; ihre Gestalt ist nicht so regelmassig wie die der Blutk\u00f6rperchen. Fettk\u00fcgelchen sind diess wohl nicht; sie sind kleiner als die von mir und Dr. Nasse in der Lymphe des Menschen gefundenen K\u00fcgelchen. Ich habe auch die Gerinnung des Chylus unter dem Mikroskop an grossen Tropfen beobachtet, die ich mit etwas Wasser vermischte, um die K\u00fcgelchen mehr von einander zu entfernen und zu sehen, oh das Gerinnsel durch blosse Aggregation der K\u00fcgelchen entsteht, oder durch Gerinnung eines vorher aufgel\u00f6sten Stoffes, welcher heim Gerinnen die K\u00fcgelchen in sich aufnimmt. Die \u00fcberaus zarten H\u00e4utchen, welche entstanden, bestanden nicht bloss aus aggregirten K\u00fcgelchen, sondern es war noch ein durchsichtiger Stoff dazwischen, welcher die K\u00fcgelchen zusammen verband, auch wenn sie nicht dicht aneinander lagen. Es ist also gerade so, wie hei der Lymphe und dem Blute. Auf den auf einer Glasplatte ausgebreiteten Chylustropfen entstanden aber nicht bloss H\u00e4utchen, welche die schwebenden K\u00fcgelchen verbanden, sondern auch an einzelnen Stellen kleine Fettinsel-chen, welche fast ganz durchsichtig waren, und wovon ich nicht weiss, ob sie durch das Aneinanderf\u00fcgen und Erkalten der Oel-k\u00fcgelchen entstehen. Die mikroskopischen Untersuchungen \u00fcber den Chylus sind noch in der Kindheit. Vor allem w\u00e4re das Ver-h\u00e4ltniss der kleinen Chylusk\u00fcgelchen zu den Blutk\u00f6rperchen aus-zumitteln, ob die Blutk\u00f6rperchen aus den Chylusk\u00fcgelchen entstehen, ob die von mir im Blute der Fr\u00f6sche und V\u00f6gel, von Home im Blute des Menschen beschriebenen kleineren K\u00fcgelchen Chylusk\u00fcgelchen sind. Dann w\u00e4re sehr w\u00fcnschenswerth, zu wissen, ob die Chylusk\u00fcgelchen bei den Thieren, welche elliptische und grosse Blutk\u00f6rperchen haben, wie Amphibien und V\u00f6gel, im Ductus thoracicus vielleicht auch schon elliptisch sind, oder nicht, um zu erfahren, wo die Form der Blutk\u00f6rperchen entsteht. Diess liesse sich nur bei gr\u00f6sseren Amphibien, wo der Ductus thoracicus leichter zu finden ist, oder bei Fischen ermitteln. Rudolphi f\u00fchrt zwar aus Leuret und Lassaigne an, dass die Chvlusk\u00fcgel-chen der V\u00f6gel rund seyen, w\u00e4hrend doch ihre Blutk\u00f6rperchen oval sind. Indess sprechen Leuret und Lassaigne hier nicht von Chylusk\u00fcgelchen, sondern Chymusk\u00fcgelchen aus dem Darm der V\u00f6gel.\nTiedemann undGM\u00c9LiN haben weitere, sehr ausgebreitete Untersuchungen \u00fcber die Ver\u00e4nderungen des Chylus nach den Nahrungsmitteln angestellt. Nach ihnen ist der Chylus r\u00f6ther bei den Pferden als bei den Hunden, bei diesen r\u00f6ther als bei den Schafen. Bei dem Hunde r\u00f6tbete sich die Placenta des Chylus lebhafter nach der F\u00fctterung mit fl\u00fcssigem Eiweiss, Butter, Milch, Knochen, und mit Fleisch, Brot und Milch. Der Chylus war weiss und die Placenta wenig roth nach F\u00fctterung mit Faserstoff, Leim, Kasematte, St\u00e4rkemehl und Butter, und mit Kleber. Nach der F\u00fctterung mit Eiweiss zeigte weder der ganze Chylus noch die Placenta eine rothe F\u00e4rbung, wie ich auch beim Hunde nach F\u00fctterung mit Brot, Milch und Butter bemerkte. Bei den im n\u00fcchternen Zu-","page":561},{"file":"p0562.txt","language":"de","ocr_de":"562 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nst\u00e4nde get\u00f6dteten Hunden, so wie bei den Hunden, welche St\u00e4rkemehl, Milch, rohes oder gekochtes Rindfleisch, Rindfleisch und Semmel, fl\u00fcssiges Eiweiss und Spelzbrot, und hei den Ratzen, die Brot und Milch, oder gekochtes Rindfleisch erhalten hatten, war der Chylus ebenfalls nicht roth (Tiedemann und Gmelin), Pferde im n\u00fcchternen Zustande hatten eine mehr dunkelrothe Fl\u00fcssigkeit des Ductus thoracicus, als diejenigen, welche Hafer genossen. Der Chylus der Schafe, die nur wenig Heu oder Stroh erhalten hatten, gab ein r\u00f6thiichweisses Coagulum, der Chylus der mit Hafer gef\u00fctterten ein weisses. Aus den letzten Erfahrungen schliessen Tiedemann und Gmelin, dass der Chylus um so weniger rothen F\u00e4rbestoff enth\u00e4lt, je besser die Thiere gef\u00fcttert worden sind, und dass das Blutroth sich nicht unmittelbar mittelst der Verdauung erzeugt; die namentlich von der Milz kommende r\u00f6thliche Lymphe, welche Hewson, Tiedemann und Gmelin und Fohmann beobachtet, und die auch ich hei Ochsen theilweise gesehen habe, wird um so mehr in dem Chylus bemerkbar seyn, je weniger Nahrungsstoffe vom Darmkanal aus er enth\u00e4lt.\nDer Chylus eines mit Hafer gef\u00fctterten Pferdes, ans den Saugadern erhalten, ehe sie durch eine Dr\u00fcsenreihe gegangen waren, war weiss, r\u00f6thete sich nicht an der Luft und gab auch eine weisse Placenta. Der Chylus aus den Saugadern des Mesenteriums, welche durch Dr\u00fcsen gegangen waren, und der Chylus des Ductus thoracicus zeigten sich hellroth, die Lymphe aus den Saugadern des Dickdarms war blassgelb und lieferte ein weisses Coagulum; die der Saugadern des Beckens war roth, und gab noch ein dunkleres Coagulum als der Chylus des Ductus tho-racicus. Tiedemann und Gmelin schliessen aus diesen mit Emmery\u2019s Erfahrungen \u00fcbereinstimmenden Resultaten, dass der rotlie Stoff dem Chylus erst durch die Mesenterialdr\u00fcsen und durch die Lymphe der anderen Lymphdr\u00fcsen, so wie durch die Lymphe der Milz aus dem Blute mitgetheilt wird, welches die Capil-largef\u00e4sse dieser Theile durchstr\u00f6mt. Was die Lymphe der Milz betrifft, so hat zuerst Hewson {Op. posth. cd. Lugd. Hat au. 1785.) gefunden, dass dieselbe r\u00f6thlich wie verd\u00fcnnter rother Wein ist und rothe K\u00fcgelchen enth\u00e4lt. Tiedemann und CveliN haben diescFarhe bei gef\u00fctterten wie n\u00fcchternen Thieren gesehen. Fohmann (Saugadersfst. der Fische, p. 45.) hat es hei Vivisectionen der Rochen gesehen und behauptet, in der Verdauungszeit sey die Lymphe der Milz hei diesen Thieren r\u00f6thlicher, nach l\u00e4ngerer Abstinenz von Nahrungsstoffen werde sie indess auch r\u00f6thlicher, eben so wie die Lymphe der Leber. Rudolmii sagt, die Lympbgef\u00e4sse der Milz seyen in der Regel so weiss als die der Leber und anderer Organe , und f\u00fchren auch an anderen Organen mitunter eine blutige Fl\u00fcssigkeit. Hier muss ich jedoch bemerken, dass die Lvinphe anderer Organe als des Darms nie weiss ist, und dass ich in einigen F\u00e4llen, wo icli im Schlachthause gleich nach dem Tode die Milzlymphe der Ochsen untersuchte, sie in einigen dickeren Lymphgef\u00e4ssen wie verd\u00fcnnten rothen Wein sah. Seiler sah sie bei Pferden einige","page":562},{"file":"p0563.txt","language":"de","ocr_de":"563\n6. Von der\u2022 Chylification. Chylus.\nMal in einzelnen Lymph gelassen der Milz r\u00f6thlich, bei den meisten Pferden farblos, bei Rindern, Eseln, Schafen, Schweinen, Hunden niemals gef\u00e4rbt.\nUeber das Verh\u00e4ltnis des Faserstoffs zum Semm des Chylus haben Iiedemann und Gmelin folgende Resultate erhalten. Der Chylus der Pferde gerann am st\u00e4rksten; er enthielt in 100 Theilen 1,06 \u2014 5,65 frischePlacenta, und 0,19 \u20141,75 trocknen Faserstoff. Der Chylus der Hunde gerann schw\u00e4cher; die Menge des Gerinnsels betrug in 100 Theilen 1,36 \u2014 5,75, und des trocknen Gerinnsels 0,17 \u2014 0.56. Der Chylus der Schafe war am wenigsten gerinnbar; 100 Theile enthielten 2,56\u20144,75 frischen, und 0,24 \u2014 0,82 trocknen Kuchen. Das Contentum des Ductus thoracicus von n\u00fcchternen Thieren gerann vollst\u00e4ndiger, und enthielt mehr frischen und trocknen Kuchen als der Chylus von gef\u00fctterten Thieren; er betrug getrocknet bei n\u00fcchternen Pferden 1,00 \u20141,75, jener der gef\u00fctterten Pferde 0,19\u20140,78 Proc. des Chylus. Hieraus schliessen Tiedemann und Gmelin, dass der Faserstoff des Chylus nicht von den Nahrungsmitteln, sondern von der Lymphe herr\u00fchrt und seinen Ursprung dem Elut verdankt, worin sie dessen Erzeugung annehmen; sie glauben nicht, dass aus den Nahrungsstoffen selbst in den Chylificationswegen Faserstoff gebildet werde. Wenn man diess-zugiebt, so muss man auch annehmen, dass die blasse Lymphe der nicht chylusf\u00fchrenden Lymph-gef\u00e4sse, wenn sie wirklich beim Weiterfortschreiten an Faserstoff zunimmt, keine Umwandlung ihres Eivveisses in Faserstoff erf\u00e4hrt, sondern nur durch Zumischung von aufgel\u00f6stem Faserstoff des Elutes auf dem Wege ihres Fortganges gerinnbarer wird. Indessen ist diese Meinung \u00fcber die materielle Zumischung von Faserstoff zum Chylus in den Chylificationswegen jetzt eben so wenig zu beweisen, als die entgegengesetzte Ansicht, dass der Eiweissstolf des Chylus seihst zum Theil in Faserstoff umgewandelt wird. Um hier\u00fcber ins Reine zu kommen, w\u00e4re eine noch gr\u00f6ssere Reihe von Beobachtungen noting \u00fcber die Menge der festen Theile, besonders des Eiw'eisses, die sich im Serum des Chylus aufgel\u00f6st finden in verschiedenen Theilen des Lymphsystems. Wenn z. B. das Serum nach Abscheidung des Faserstoffs vom Chylus des Ductus thoracicus weniger Eiweiss enthielte, als das Serum von der Lymphe der Extremit\u00e4ten und der Chylus der Saugadern des Darms, und wrenn diess constant w\u00e4re, so w\u00e4re es ausgemacht, dass Eiweiss in dem lymphatischen System in Faserstoff umgewandelt w\u00fcrde, indem dann die Menge des Eiweisses abnimmt, w\u00e4hrend die des Faserstoffs zunimmt. Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Versuche haben hierin, wie unten ersehen wird, keine constanten, sondern vielmehr widersprechende Resultate gehabt.\nAus beiden Hypothesen l\u00e4sst sich die Zunahme des Faserstoffgehaltes im Chylus bis zum Ductus thoracicus erkl\u00e4ren. Ueber die letzte schon von Emmert beobachtete Thatsache haben Tiedemann und Gmelin noch folgende Erfahrungen gemacht. Bei einem mit Hafer gef\u00fctterten Pferde gerann der Chylus der Saugadern vor dem Durchgang durch Dr\u00fcsen nicht. 100 Theile Chylus von Saugadern, der durch Mesenterialdr\u00fcsen hindurchgegan-","page":563},{"file":"p0564.txt","language":"de","ocr_de":"564 II. Buch. Organ, ehern. Processe. / V. Abschnitt. Verdauung.\ngen, gaben 0,37 trockne Placenta, der Chylus des Ductus tliora-cicus 0,19, die Lympbe des Beckens 0,13. Bei dem n\u00fcchternen Pferde enthielt die Lymphe des Ductus thoracicus 0,42, die des Plexus lumbalis 0,25 trockne Placenta. Das Contentum des Ductus thoracicus, in welchem Chylus der Darmsaugadern und Lymphe von den \u00fcbrigen Theilen des K\u00f6rpers Zusammenkommen, stand in Hinsicht des Gehaltes an trocknem Faserstoff in der Mitte zwischen dem Chylus der Chylusf\u00fchrenden Saugadern, und der Lymphe der Saugadern des Beckens.\nDie Menge der festen im Serum aufgel\u00f6sten Stoffe wechselte in Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Versuchen von 2,4 \u2014 8,7 Proc. Bei dem mit Hafer gef\u00fctterten Pferde erhielten Tiedemann und Gmelin 4,9 Proc. feste Theile des Serums vom Chylus der Saugadern des Gekr\u00f6ses, 3,04 von dem des Ductus thoracicus, 3,1 Proc. aus dem Serum der Lymphe des Beckens; das Serum der Lymphe aus den Saugadern des Dickdarms enthielt gegen 4 Proc. Bei dem n\u00fcchternen Pferde dagegen enthielt das Serum von der Lymphe des Ductus thoracicus 4,7, von der Lymphe des Plexus lumbalis nur 3,7 Proc. feste Theile. Im Serum des Chylus waren enthalten Eiweissstoff, eine im Wasser und nicht im Weingeist l\u00f6sliche Materie, dem Speichelstoff verwandt, ferner im Wasser und Weingeist l\u00f6sliche Materie, Osmazom, essigsaures Natron, kohlensaures Natron, phosphorsaures Natron, schwefelsaures Natron, Kochsalz (die gr\u00f6sste Menge), kohlensaurer und phos-phosphorsaurer Kalk. Hieraus geht hervor, dass dieselben Salze, welche im Darmkanal sich befinden, auch im Chylus Vorkommen. Bei n\u00fcchternen Thieren enthielt das trockne Serum mehr Ei-weiss und speichelstoffartige Materie, dagegen weniger osmazom-artige Materie, und weniger Fett als das Serum gef\u00fctterter\nThiere.\nAnalyse des Ghylusserum des Pferdes von Gmelin.\nBraunes Fett................................................15,47\nGelbes Fett..................................................6,35\nOsmazom, essigsanres Natron und Kochsalz in Octacdern krystallisirt, wahrscheinlich in Folge einer thierischen\nMaterie..................................................16,02\nIm Wasserl\u00f6sliche, im Alcohol unl\u00f6sliche, extractartige Materie mit kohlens.\tund\tsehr\twenig phosphors. Natron .\t2,76\nEiweiss.....................................................55,25\nKohlensaurer und etwas phosphorsaurer Kalk, beim Verbrennen des Eiweisses\terhalten\t.\t 2,76\n98,61\nVon den Nahrungsstoffen der Thiere Hessen sich in der Regel keine unver\u00e4nderten Spuren mehr im Chylus erkennen, nur dass nach dem Genuss der Butter der Chylus \u00fcberaus reich an Fett war, und nach dem Genuss von St\u00e4rkemehl im Chylus eines Hundes sich Zucker zeigte.\nDie Ver\u00e4nderungen des Chylus im lymphatischen Systeme, m\u00f6gen sie nun in der Beimischung von Materie, oder in der Umwandlung des Chylus selbst liegen, geschehen offenbar von den","page":564},{"file":"p0565.txt","language":"de","ocr_de":"6. Von der Chylification. Chylus.\n565\nWanden der Lymphgef\u00e4sse in und ausserhalb der Lymphdr\u00fcsen; dass in den letztem auch der Einfluss der W\u00e4nde der Lymph-gef\u00e4ssnetze die Hauptsache ist, beweisen die V\u00f6gel, Amphibien und Fische, welche keine Mesenterialdriisen besitzen. Man muss sich daher auch die Mesenterialdr\u00fcsen selbst nur als aus denLymph-gef\u00e4ssnetzen der eintretenden und austretenden Lymphgefasse zusammengesetzt denken, worin der Contact des Inhaltes mit den Gef\u00e4ssen durch Fl\u00e4chenvermehrung vervielf\u00e4ltigt ist. Da diese Lymphgef\u00e4ssnetze, wie Injectionen von Quecksilber zeigen, nicht sehr klein sind, so m\u00fcssen die Lymphgef\u00e4sse in jenen Netzen ihre W\u00e4nde behalten, und diese W\u00e4nde m\u00fcssen wie in den einfachen Lymphgefassen von den sehr feinen Capillargelassnetzen durchzogen seyn, so dass das Blut nur mittelbar durch die Capillargef\u00e4ssnetze in den W\u00e4nden der Lymphgef\u00e4sse mit dem Chylus der Lymphdr\u00fcsen in Ber\u00fchrung k\u00f6mmt, wobei allerdings aufgel\u00f6ste Tbeile des Blutes, vielleicht der Faserstoff, durchdringen k\u00f6nnen, vielleicht auch F\u00e4rbestoff des Blutes, der sonst an den Blutk\u00f6rnchen haftet, in den Zustand der Aufl\u00f6sung tritt und in den Chylus \u00fcbergeht. Blutk\u00f6rperchen selbst k\u00f6nnen hierbei nicht in den Chylus \u00fcbergeben. Ueber die sehr zweifelhafte Aufnahme von Chylus in feinen Venen der Lymphdr\u00fcsen, so wie \u00fcber den problematischen Zusammenhang von Venen und Lymphgef\u00e4ssen siehe oben p. 268.\nWas die Aehnlichkeit und den Unterschied von Chylus und Lymphe betrifft, so stimmen beide darin \u00fcberein, dass sie K\u00fcgelchen enthalten, allein die der Lymphe sind \u00fcberaus sparsam, die K\u00fcgelchen des Chylus machen diese weisslich, die Lymphe ist klar und meistens farblos; sie stimmen ferner \u00fcberein, dass sie Faserstoff aufgel\u00f6st enthalten, doch scheint letzterer in geringer Quantit\u00e4t in der Lymphe enthalten; denn in Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Beobachtungen von einem mit Hafer gef\u00fctterten Pferde gaben 100 Theile Chylus aus den Saugadern des Mesenterium 0,37 trockne Placenta, die Lymphe des Beckens nur 0,13. Dieser Unterschied kann indess auch scheinbar seyn und von der grossen Menge der im Chylus enthaltenen und vom Coagulum des baserstofls zum Theii mit eingeschlossenen K\u00fcgelchen herr\u00fchren. Lymphe und Chylus unterscheiden sich aber auch sehr durch den Gehalt von Fett in dem letztem, welches in der Lymphe nicht bemerkt wird, ein Unterschied, welcher verursacht, dass der Chylus ausser dem Gerinnsel, auch eine rahmartige Masse an der Oberfl\u00e4che h\u00e4ufig absetzt. Die Salze des Chylus und der Lymphe scheinen ohngef\u00e4hr dieselben, auch die Lymphe enth\u00e4lt sehr viel Kochsalz, und reagirt alkalisch. Dass die h\u00e4ufig r\u00f6thliche Farbe des Chylus vom F\u00e4rbestoff des Blutes herr\u00fchrt, wird durch Tiedemam\u2019s und Gmelin\u2019s Versuche bewiesen, welche gezeigt haben, dass diess B.oth von Hydrothions\u00e4ure gr\u00fcn gef\u00e4rbt wird. Dass dieses Blutroth aus den Nahrungsmitteln ausgebildet werde, ist gar nicht wahrscheinlich, weil auch besonders die Lymphe der Milz oft r\u00f6thlich ist. Eine andere Frage ist, ob das Blutroth des Chylus und der Milzlymphe den K\u00fcgelchen derselben anhaftet, wie das Blutroth den Blutk\u00f6rperchen, oder ob","page":565},{"file":"p0566.txt","language":"de","ocr_de":"566 II. Buch. Organ, ehem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nes aufgel\u00f6st ist. In Tiedemann\u2019s und Gmelin\u2019s Versuchen war niclit allein die Placenta von r\u00f6tblichem Chvlus r\u00f6thlich, sondern h\u00e4ufig auch das Serum noch r\u00f6thlich ; indess ist das Serum von Chylus selten klar und enth\u00e4lt immer nocli K\u00fcgelchen, und Em-mert will sogar nach Auswaschen des r\u00f6thlichen Chyluskuchens in dem Wasser rotlie K\u00fcgelchen bemerkt haben. Hewson sah in der rotlien Milzlymphe rothe K\u00f6rperchen. Schultz (Syst. d. Circulation) und Gurlt (vergl. Physiol, d. Ilauss\u00e4ugethiere) fanden im Chylus ausser den Chylusk\u00fcgelchen auch einzelne Blutk\u00f6rperchen und schliessen daraus, dass die r\u00f6thliche Farbe des Chylus von ihnen herr\u00fchre und dass sich solche K\u00f6rperchen schon im Chylus zu bilden beginnen. Vom Blut unterscheidet sich der Chylus, wie er sich im Ductus thoracicus befindet:\n1.\tDurch die Unaufl\u00f6slichkeit der Chylusk\u00fcgelchen im Wasser, w\u00e4hrend die Blutk\u00f6rperchen bis auf ihren unl\u00f6slichen Kern im Wasser sich leicht aull\u00f6sen.\n2.\tDurch den Mangel der Substanz des Blutrothes. (Nicht constant.)\n3.\tDurch die Form der K\u00fcgelchen und ihre Gr\u00f6sse.\n4.\tDer Chylus reagirt zwar alkalisch, wie Emmert, Vauoue-lin und Brande fanden, aber nach Tiedemann und Gmelin schw\u00e4cher als Blut, und zuweilen gar nicht.\n5.\tDie Quantit\u00e4t der festen Stoffe ist im Chylus geringer als im Blute. 1000 Theile Chylus enthalten nach Vauquelin nur 50\u201490 Theile l\u00fcste Substanz, w\u00e4hrend nach Pr\u00e9vost und Dumas 1000 Theile Blut 216 und nach Lecanu 185 feste trockne Theile enthalten. Nach Rieuss und Emmert enthielten 1000 Blutserum 225, dagegen 1000 Chylusserum nur 50 feste Theile.\n\u20226. Im Serum des Chylus sind nach Tiedemann und Gmelin bei den Schafen, Hunden, Pferden 2,4 \u2014 8,7 Proc. feste Theile enthalten, nach Pr\u00e9vost und Dumas im Serum des Blutes dieser Thiere aber 7,4 bis 9,9 feste Theile.\n7.\tDie Quantit\u00e4t des Faserstoffs ist im Chylus ausserordentlich viel geringer. 100 Theile Chylus von Pferden, Hunden, Schafen enthielten nach Tiedemann und Gmelin 0,17\u20141,75 trocknen Faserstoff. In Reuss\u2019s und Emmert\u2019s Versuchen (Scherer\u2019s Journal 5. 164.) enthielten 1000 Theile Blut vom Pferde 75 (nassen?) Faserstoff, 1000 Theile Chylus nur 10.\n8.\tDer Faserstoff des Chylus scheint auch in seiner Ausbildung einigermassen von dem Faserstoff des Blutes verschieden und dem Eiweiss n\u00e4her zu stehen; denn nach Brande l\u00f6st Essigs\u00e4ure von dem Chyluskuchen (so wie von Eiweiss) nur einen kleinen Theil auf, da hingegen der Faserstoff' sonst ziemlich aufl\u00f6slich ist in Essigs\u00e4ure.\n9.\tIm Chylus ist viel freies Fett enthalten, welches den Rahm auf der Oberfl\u00e4che bildet. Blut enth\u00e4lt kein freies, sondern gebundenes Fett, was auch ausserdem im Chyluskuchen enthalten ist.\n10.\tDer Chylus enth\u00e4lt Eisen gleich dem Blute, und bringt diesen Stoff aus den Nahrungsmitteln ins Blut. Aber das Eisen scheint in dem Chylus lockerer von anderen Theilen gebunden zu seyn, und l\u00e4sst sich daraus viel leichter durch Reagentien","page":566},{"file":"p0567.txt","language":"de","ocr_de":"6. Con derChylificat ion. City lus.\t567\nerweisen, als im Blut. Die salpetersaure Aufl\u00f6sung des r\u00f6thlichen Faserstoff# vom Chylus wird nacli Emmebt von Gall\u00e4pfeltinctur schwarz, und giebt mit blausaurem Kali einen berlinerblauen Bodensatz. Der ausgewaschene Kuchen, von Salpeters\u00e4ure aufgel\u00f6st, wurde von Kalil\u00f6sung br\u00e4unlich und gab beim Aufgiessen von blau-sanremKali und Salzs\u00e4ure ein berlinerblauesPr\u00e4cipitat, auch das zuin Auswaschen des Kuchens gebrauchte Wasser, welches im Bodensatz kleine rothe K\u00f6rperchen zeigte (?), zeigte eine Beaction dieser Materie auf phosphorsaures Eisen. Auch das Serum des Chylus reagirte auf Eisen selbst dann noch, wenn es von Eiweiss befreit worden; Beil\u2019s Arch. 8. p. 167. Das Eisen scheint im Chylus lockerer gebunden als im Blute, weil es sich schon durch Salpeters\u00e4ure auszieben l\u00e4sst, und mit Gall\u00e4pfeltinctur einen schwarzen, mit blausaurem Kali einen blauen Niederschlag giebt. Dagegen vermutbet Emmert, dass das Eisen, welches sich in den Nahrungsstoffen des D\u00fcnndarms vorfindet, einen h\u00f6heren Grad von Oxydation besitze, weil die Fl\u00fcssigkeit aus dem D\u00fcnndarm der Pferde sauer ist, weil die filtrirte Fl\u00fcssigkeit aus dem Darm des Pferdes, der mit verdauten Speisen angef\u00fcllt war, mit Gall\u00e4pfeltinctur und blausaurem Kali gleich nach der Vermischung einen schwarzen und blauen Niederschlag gab, w\u00e4hrend der Chylus nur sehr langsam die Farbever\u00e4nderung zeigte.\nNach der Unterbindung des Ductus thoracicus folgt der Tod in derBegel unvermeidlich, nach Duverney in 15, nach A. Cooper in 9\u201410 Tagen, nach Dupuytren\u2019s Versuchen an Pferden in 5\u20146 Tagen; zuweilen unterliegen die Thiere nicht, wenn noch mehrere Verbindungen des untern Theils des Ductus thoracicus mit dem obern Theil desselben stattfinden, auch wohl wenn, wiePANizzA bei Schweinen, und Wutzer mit mir einmal beim Menschen sah, Verbindungen mit der Vena azygos stattfinden, oder wenn 2 Ductus thoracici vorhanden sind (V\u00f6gel, Schildkr\u00f6ten).\nSchriften \u00fcber den Chylus: Werner de modo quo chymus in chylum mutatur. T\u00fcLingae, 1800. Horkel\u2019s Archiv Jiir die thie-rische Chemie. T. 1. lieft 2. Emmert und Beuss, Scherer\u2019s Journal 5. p. 154. 691. Emmert, Reil\u2019s Archiv 8. p. 145. Marcet medico-chirurg. transact. 1815. 6. 618. Meck. Arch. 2. 268. Brande philos. transact. 1812. Meck.. Arch. 2. 278. Prout Annals of philos. 13. p. 12. 263. Meck. Arch. 6. 78. Ant. Mueller dissert, exp. circa chylum. Heidelb. 1819. Tiedemann und Gme-lin a. a. O. 2. 66.\nCI I. Capitel. Von der Function der Milz, der Nebennieren, der Schilddr\u00fcse und der Thymusdr\u00fcse.\nDie hier genannten Dr\u00fcsen ohne Ausf\u00fchrungsgiinge{p. 433.) haben mit einander gemein, dass sie dem durch sie str\u00f6menden Blute irgend eine materielle Ver\u00e4nderung mittheilen, oder dass die von ihnen abstammende Lymphe eine besondere Rolle in der Chylifica-tion und Blutbildung spielt. Denn das Venenblut, das von ihnen\nH\u00fcllet*\u00ab Physiologie. 1.\t37","page":567},{"file":"p0568.txt","language":"de","ocr_de":"568 II. Buch. Organ, ehern. Proresse. IV. Abschnitt. Verdauung.\nkommt, und die von ihnen kommende Lymphe sind die einzigen von ihnen ausgef\u00fchrten und in die allgemeine Oekonomie zur\u00fcck-fliessenden Stoffe.\nA. Von der Milz.\n1. Bau der Milz. (Mueller im Archie der A not. und Physiol. 1834. 1.)\nDie Milz k\u00f6mmt nur hei den Wirbelthieren vor, sie ist hier fast durchaus best\u00e4ndig. Nach Rathke und Meckel sollte sie hei den Cyclostomen (Petromyzon, Ammocoeles) fehlen. Mayer (Fro-riep\u2019s Notizen 737.) h\u00e4lt ein dr\u00fcsiges Organ an der Cardia von Petromyzon marinus f\u00fcr die Milz. Bei Myxine fehlt die Milz nach Retzius wirklich, was ich von diesem Thiere wie von dem verwandten Bdellostoma best\u00e4tigen kann. Sonst ist die Milz allgemein. Sie fehlt weder beim Cham\u00e4leon, wo sie Treviranus vermisst hat, noch hei den Schlangen, wo sie meist Meckel \u00fcbersah, hei den letzteren liegt sie, nach Retzius und Mayer in der N\u00e4he des Pankreas. Bei den Cetaceen ist die Milz in mehrere Milzen zerfallen. Die Milz liegt heim Menschen und den\u00bbS\u00e4ugethieren in demjenigen, doppeltbl\u00e4ttrigen Theile des Peritoneums, der von der vordem und hintern Fl\u00e4che des Magens zur grossen Curvatur desselben hingehend zwischen der grossen Curvatur, dem Zwerchfell und dem Colon transversum ausgedehnt ist; vom Magen ah bis zum Colon transversum Netz, Netzbeutel genannt wird. Da dieser Theil des Peritoneums heim Embryo vor dem 4. Monat mit dem Colon noch nicht verwachsen ist, sondern in der hintern Wand der Bauchh\u00f6hle in das Peritoneum sich inserirt, oder darin fortsetzt, so ist dieser, anfangs von der grossen Curvatur zur hintern Wand der Bauchh\u00f6hle sich erstreckende, und anfangs noch nicht herabh\u00e4ngende Theil des Bauchfells fr\u00fchzeitig ein wahres Mygengekr\u00f6se (Meso-gastrium). Siehe oben p. 492. Die Milz, welche zwischen den zwei Bl\u00e4ttern dieses Theils liegt, ist also urspr\u00fcnglich im Magengekr\u00f6se enthalten, gleich wie die Lymphdr\u00fcsen im Mesenterium enthalten sind. Betrachtet man nun das ganze Gekr\u00f6se als von der hinteren Mittellinie ausgehend, w'ie denn auch das Magengekr\u00f6se anfangs von der hintern Mittellinie zur grossen Curvatur gelangt, so ist also, genau genommen, die Milz nicht ein Organ der linken H\u00e4lfte des K\u00f6rpers, sondern der Mittellinie zwischen den beiden Bl\u00e4ttern des Mesogastriums, in der Gef\u00e4ssschicht sich erzeugend. Erst _allm\u00e4hlig, da die Insertion des Mesogastriums in die hintere Bauchwand sich nach links wendet, k\u00f6mmt auch die Milz nach links. Die Milz ist also kein Organ der linken Seite, der das Paarige der rechten Seite fehlt, eben so wie auch die Leber urspr\u00fcnglich nicht vorzugsweise der rechten Seite, sondern mit gleichen Hallten der Mittellinie angeh\u00f6rt.\nDie Milz ist von einer festen fibr\u00f6sen Haut \u00fcberzogen, welche viele balkenartige Forts\u00e4tze durch das Innere der Milz ausschickt, durch welche das zarte, pulp\u00f6se, rothe Gewebe der Milz suspendirt ist. Innerhalb dieses rothen Gewebes kommen bei","page":568},{"file":"p0569.txt","language":"de","ocr_de":"7. Function der Dr\u00fcsen ohne Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge. Milz. 56.9\nmehreren Thieren weissliche, runde, mit blossen Augen sichtbare K\u00f6rperchen vor, welche von Malpighi zuerst entdeckt worden. Beim Menschen hat man sie bald angenommen, bald gel\u00e4ugnet (Rudolphi).\nDiese K\u00f6rperchen sind nach Dupuytken und Assolant in der Milz des Menschen graulich, sehr weich und nicht hohl, und haben einen Durchmesser von ^ his 1 Par. Linie. Sie sollen so weich seyn, dass sie heim Aufheben mit dem Messer zerfliessen. Nach Meckel sind es rundliche, weissliche, h\u00f6chst wahrscheinlich hohle, oder wenigstens sehr weiche K\u00f6rperchen von ~ bis 1 Linie Durchmesser, sehr gef\u00e4ssreich. Dergleichen vreiche, heim Druck leicht zerfliessende K\u00f6rperchen sieht man allerdings zuweilen hei dem Hunde, der Katze und in sehr seltenen F\u00e4llen deutlich heim Menschen. Sie sind es, w\u2019elche nach Home, Heusinger und Meckel, hei Thieren, nach eingenommenem Getr\u00e4nk, betr\u00e4chtlich anschwellen sollen, was ich bezweifle. Etwas durchaus Verschiedenes sind die von Malpighi urspr\u00fcnglich gemeinten K\u00f6rperchen der Milz einiger Pflanzenfresser. Ueber die Beschaffenheit der unbestimmten, weissen weichen P\u00fcnktchen in der Milz einiger S\u00e4ugetliiere habe ich nichts herausbringen k\u00f6nnen; aber die traubenf\u00f6rmigen K\u00f6rperchen in der Milz des Rindes, des Schafes und des Schweins k\u00f6nnen sehr gut in Hinsicht ihres Zusammenhanges und ihrer Beschaffenheit untersucht .werden. Folgendes ist dasjenige, was ich dar\u00fcber gefunden habe.\nIn der Milz mehrerer pflanzenfressenden Thiere (des Rindes, des Schafes, des Schweins) giebt es gewisse runde, weisse K\u00f6rperchen von der Gr\u00f6sse von -i bis -i Millimeter; diese K\u00f6rperchen sind ziemlich hart, und weit entfernt, heim Druck zu zerfliessen. Rudolphi (Grundriss der Physiologie. Band II. Abtheilung 2. p. 175.), welcher die MALPiGHi\u2019schen K\u00f6rperchen nur in der Milz von S\u00e4ugethieren annimmt, sagt, dass sie herausgehoben zusammenfallen oder zerfliessen. Diess kann sicherlich nicht von den weissen K\u00f6rperchen, welche hier beschrieben werden, gelten, da diese bestimmt umschriebenen und fast durchg\u00e4ngig gleich grossen Theilchen ganz consistente und dem Druck einigermassen widerstehende, beim sanften Zerreiben der Milz meist unzerst\u00f6rbare Bildungen sind. Man sieht sie bald an der Milz des Schweines, Schafes, Rindes, auf Durchschnitten der Milz, oder noch besser, wenn man die Milz zerreisst, auf den Rissfl\u00e4chen, oder wenn man die Milz dieser Thiere einige Zeit maceriren l\u00e4sst; dann n\u00e4mlich erweicht sieb die pulp\u00f6se Substanz der Milz ganz und wird schw\u00e4rzlich, w\u00e4hrend die weissen K\u00f6rperchen viel l\u00e4nger ungef\u00e4rbt, n\u00e4mlich weissgrau und unaufgel\u00f6st sich erhalten. Sind zerrissene St\u00fccke der Milz einige Zeit macerirt worden, so erkennt man auch deutlich den Zusammenhang der K\u00f6rperchen; man sieht, dass sie unter einander durch F\u00e4den verbunden sind, und man kann ganze B\u00fcschel derselben aus der halbrnacerirten Milz des Schweines und Schafes absondern. Bei Untersuchung der frischen Milz dieser Thiere ist es viel schwerer, den Zusammenhang dieser K\u00f6rperchen zu erkennen; nur mit grosser Ge-","page":569},{"file":"p0570.txt","language":"de","ocr_de":"570\t11. Buch. Organ. rhem.Vruresse. I V. Abschnitt. Verdauung.\nlia I cl I assen sich B\u00fcschel zusammenh\u00e4ngender K\u00f6rper rein hernus-pnipariren, indem man unter der Loupe mit Nadel und Pincette arbeitet. Heusikcer (Ueber den Bau und die Verrichtung der Milz. Thiomnlle, 1S17\u00bb) bemerkt, wenn man ein St\u00fcck Milz, worin sich, weisse K\u00f6rperchen befinden, im Wasser einige Zeit zwischen den Fingern reibe, so k\u00f6nne man sie in kleinen H\u00e4utchen absondern, so dass sie nun traubenartig Zusammenh\u00e4ngen und an kleinen Stielehen befestigt scheinen. Diess ist ganz richtig, kann aber bloss von den hier gemeinten weissen K\u00f6rperchen des Schweines, Schafes, Rindes gelten.\nDiese K\u00f6rperchen sind rundlich, zuweilen auch oval, fast durchg\u00e4ngig gleich gross; sie variiren heim Sei)wein und .Schaf von -I bis \u2018 Millimeter Durchmesser, heim Rind sind sie ein wenig gr\u00f6sser. Am leichtesten ist es, sie in der Milz der Schweine und Schafe zu untersuchen; ich kann mir es nur durch einen Gcd\u00e4chtnissfehler erkl\u00e4ren, dass Rudot.pih diese K\u00f6rperchen heim Schweine ganz l\u00e4ugnet, da sie doch bei keinem Thierc leichter zu sehen, leichter zu untersuchen sind.\nRei n\u00e4herer Untersuchung sieht man nun, dass keines dieser K\u00f6rperchen isolirt ist; immer wird man jedes K\u00f6rperchen nach einer oder nach beiden Seiten hin in Forts\u00e4tze auslaufen sehen. Zuweilen, aber seiten, sind sie unter einander eine Strecke wie Kn\u00f6tchen einer Schnur verbunden, w\u00e4hrend die einzelnen Kn\u00f6tchen wieder feine W\u00fcrzelchen ausschicken ; meistens sitzen sie kurz gestielt an weniger dicken F\u00e4den, welche Aeste von anderen F\u00e4den sind, oder, was am h\u00e4utigsten ist, sic sitzen an der Seite von \u00e4stigen F\u00e4den mit schm\u00e4lerer oder breiterer Basis ungestielt auf. Die F\u00e4den, welche sie verbinden, werden allm\u00e4hlig d\u00fcnner in der Richtung der Verzweigung und gehen offenbar von gr\u00f6sseren Str\u00e4ngen aus. Die st\u00e4rkeren Aeste, woran sie sitzen, zeigen auf dem Durchschnitte ein Lumen, wie sich bei mikroskopischer Untersuchung erweist. Was aber am meisten Interesse erregt, ist, dass man die Aeste, woran die K\u00f6rperchen sitzen, nacli ihren St\u00e4mmchen hin verfolgen kann und dass man bei Verfolgung dieser St\u00e4mmchen zuletzt offenbar auf die St\u00e4mme der Blutgef\u00e4sse der Milz gelangt.\nAls ich so weit in der Untersuchung der Milz heim Schweine gelangt war, w\u00fcnschte ich vorz\u00fcglich zu wissen, ob die K\u00f6rperchen der Milz an den Venenzweigen oder den Arterienzweigen sitzen. Durch feine Injectionen \u00fcberzeugt man sich, dass sie an den Arterienzweigen h\u00e4ngen und dass sie namentlich mit den Scheiden der Arterien, welche diesen Gef\u00e4ssen in der Milz eigen sind, verbunden sind. Sie erscheinen als Ausw\u00fcchse dieser Scheide, obgleich ich damit nicht sagen will, dass sie in Hinsicht des Gewebes damit identisch seien. Die zartesten Zvveigelchen der Arterien Jileiben \u00fcbrigens diesen K\u00f6rperchen in so weit fremd, als sie sich gr\u00f6sstcntheils in dem pulp\u00f6sen Gewebe der Milz verbreiten; bei leinen injectionen sieht man die arteri\u00f6sen Ge-f\u00e4sschen mehr oberfl\u00e4chlich durch die W\u00e4nde der K\u00f6rperchen durchtreten, als auf ihnen sich verbreiten.","page":570},{"file":"p0571.txt","language":"de","ocr_de":"7. Function der Dr\u00fcsen ohne Ausjiihrungsg\u00e4nge. Milz. 571\nDie K\u00f6rperchen haben einen Inhalt. Die darin enthaltene fl\u00fcssige, weisse, breiige Materie besteht gr\u00f6sstentheils aus fast lauter gleich grossen K\u00f6rperchen, welche ungef\u00e4hr so gross wie Blutk\u00f6rperchen, aber nicht wie Blutk\u00f6rperchen platt, sondern unregelm\u00e4ssig kugelf\u00f6rmig sind. Diese K\u00f6rperchen sehen unter dem Mikroskop gerade so aus und sind eben so gross wie die K\u00f6rnchen, welche die rothe Substanz der Milz an,machen.\nDie rothe pulp\u00f6se Substanz-bestellt aus lauter rothbraunen K\u00f6rnchen, so gross wie Blutk\u00f6rperchen, von diesen aber verschieden dadurch, dass sie nicht platt, sondern unregelm\u00e4ssig kugelig sind. Diese K\u00f6rnchen lassen sich sehr leicht von einander abl\u00f6sen. ln der durch ihre Aggregation gebildeten pulp\u00f6sen Masse der Milz verbreiten sich die b\u00fcschelf\u00f6rmig ver\u00e4stelten feinsten Arterien, bis in die ven\u00f6sen, vielfach unter einander anastomosirenden Kan\u00e4le, in welche von da das Blut gelangt, ehe es von jedem Theile der Milz in das Yenenst\u00fcmmchen desselben \u00fcbergeht. Diese ziemlich starken anastomosirenden Anf\u00e4nge der Venen scheinen \u00e4usserst zarte Wandungen zu haben. Betrachtet man ein St\u00fcckchen der Pulpa der Milz genauer, so sieht man, dass diese Pulpa wie durchl\u00f6chert ist, und dass sie gleichsam ein Netz von lothen Balken bildet, deren Durchmesser st\u00e4rker ist, als die zwischen ihnen sich findenden Zwischenr\u00e4ume und Kan\u00e4le. Diese ven\u00f6sen Kan\u00e4le sind es, welche beim Aufblasen der Milz von den Venen aus, jener Substanz ein zelliges Ansehn geben. Inji-cirt man Wachsmasse durch die Venen, so erh\u00e4lt die Milz das Ansehn der Corpora cavernosa penis. Zellen sind hier nicht vorhanden. Die zarte, rothe, von ven\u00f6sen Kan\u00e4len unter den mannigfaltigsten Richtungen durchschnittene und durchl\u00f6cherte Substanz der Milz ist so weich und zerst\u00f6rbar, dass die einzelnen Theile dieser Substanz einer Suspension bed\u00fcrfen, und diese wird dadurch ausgef\u00fchrt, dass die weiche Substanz von dem fibr\u00f6sen Balkengewebe, welches von der \u00e4usseren Haut der Milz ausgeht, in den mannichfaltigsten Richtungen durchsetzt wird. Die weissen K\u00f6rnchen verhalten sich zu der rothen Substanz so, dass sie von ihr\tumgeben\tsind, und\tnicht\tso, wie Malpighi annahm, in\tZellen\tder Milz\tliegen. Feine,\tweisse W\u00fcrzelchen gehen von\tden\nweissen K\u00f6rnchen in die rothe Substanz \u00fcber, und enthalten zum Iheil deutlich Arterienzweigelchen.\nBeim Menschen sind die MALPiGHi\u2019schen K\u00f6rperchen sehr schwer zu beobachten.\tNach\tder Maceration einer Milz habe\tich\nsie\tneuerlich\tgesehen.\tWas\tman daf\u00fcr aus Durchschnitten\tder\nMilz genommen, jene zuweilen sichtbaren, zuweilen unsichtbaren graulichen weichen Puncte, ist davon verschieden und viel gr\u00f6sser als jene K\u00f6rperchen. Die MALPiGin\u2019schen K\u00f6rperchen sind niemals weich und nicht beim Druck zerfliesslich, vielmehr von solcher Festigkeit, dass sie durch Maceration schwer zerst\u00f6rt werden.\n2. Function der Milz.\nDas Einzige, was man \\on der Bedeutung der Milz kennt, ist, dass sie keine grosse Bedeutung in der thieriseben Oekono-","page":571},{"file":"p0572.txt","language":"de","ocr_de":"572 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nrnie li\u00e2t, \u2019indem sie nach \u00fcbereinstimmenden Erfahrungen vieler Beobachter ohne irgend eine erhebliche Folge exstirpirt werden kann. Wach dieser Exstirpation hat Dupuytren hei Hunden gr\u00f6ssere Gefr\u00e4ssigkeit bemerkt, Mayer (med. Chirurg. Zeit. 1815. 3. Bd. 189.) Vergr\u00f6sserung der Lymphdr\u00fcsen, was wenigstens nicht constant ist. Auch die von Einigen behauptete vermehrte Harnabsonderung nach Exstirpation der Milz ist nach Tiedemann und Gmelin keine wesentliche und constante Erscheinung. Eben so wenig beobachteten sie Erscheinungen von schlechter Verdauung, wie Mead und Mayer; sie fanden auch keine Ver\u00e4nderung in der Galle, und cs ist also unrichtig, wenn Mehrere diese sehr bitter und dunkelgef\u00e4rbt gefunden haben wollten. Siehe Tiedemann und Gmelin \u00fcber die W>ege, etc. p. 105.\nDie Widerlegung der Hypothesen \u00fcber die Function wird uns nicht lange besch\u00e4ftigen, da sie zum Theil auf ganz unrichtigen Voraussetzungen beruhen, die anderen sich aber weder beweisen noch widerlegen lassen.\nWiderlegen lassen sich alle Hypothesen, welche die Milz als in einem wesentlichen Verh\u00e4ltniss zur Leber stehend betrachten. Doelltnger betrachtet die Milz als das Product einer symmetrischen Bildung, die Milz sey gleichsam die unausgebildete rechte Leber. Die Leber ist indess anfangs ganz symmetrisch und steht in gar keiner Beziehung zur Milz, und die Milz ist selbst symmetrisch, indem sie in der GelVissschiclit der Gekr\u00f6shl\u00e4tter, n\u00e4mlich im Magengekr\u00f6se, sich bildet, wie fr\u00fcher bemerkt wurde. Auch auf den Umstand, dass die Milzvene zur Pfortader geht, und auf die Hypothese, dass die Milz das Blut zur Gallenahsonderung vorbereite, ist kein Werth zu legen; denn die Beziehung zur Pfortader hat sie mit dem ganzen chylopoetischen System und bei den niedern Wirbelthieren sogar mit den unteren Extremit\u00e4ten, hei den Fischen mit den Genitalien und der Schwimmblase gemein. Vergl. oben p. 172. Einige sprechen ohne allen Beweis von Desoxydation des Blutes in der Milz. Andere lassen durch die Milz die Absonderung des Magensaftes gef\u00f6rdert werden, weil sie bei angef\u00fclltem Magen weniger Blut aufnehme (?), wieder Andere, wie Lieutaud, Moreschi, sehen die Milz als einen Blutbeh\u00e4lter f\u00fcr den Magen an, indem entweder durch den Druck des angef\u00fcllten Magens weniger Blut der Milz aus der Arterie zufliessen soll, was f\u00fcr die Thiere nicht passt, wo die Milz nicht am Magen liegt, oder indem der verdauende Magen mehr Blut anziehe. Aehnlich ist die Hypothese von Dobson [Bond. med. phys. Journ. Ort. 1820. Froriep\u2019s JSot. (i!5.). Nach ihm soll die Milz zur Zeit, wo der Process der Bildung des Chymus zu Ende \u2022ist, anschwellen, n\u00e4mlich 5 Stunden nach der Mahlzeit habe die Milz das Maximum ihres Volumens erreicht; 12 Stunden nach dem F\u00fcttern sey die Milz klein und enthalte wenig Blut. Da nun nach einer Mahlzeit eine gr\u00f6ssere Quantit\u00e4t Blut im Organismus sich befinde als zu irgend einer andern Zeit, und da die Blutgef\u00e4sse diese Vermehrung ohne Nachtheil nicht aufnehmen k\u00f6nnen, so sev die Milz ein Beh\u00e4lter f\u00fcr diesen Uebersc'nuss.","page":572},{"file":"p0573.txt","language":"de","ocr_de":"7. Function der Dr\u00fcsen ohne Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge. Milz. 573\nNachdem aber die Absonderung dieses Maximum der Blutmasse wieder vermindert babe, nehme auch das Volumen der Milz wieder ab. Die Pr\u00e4missen scheinen mir nicht erwiesen.\nDobson will ferner die Versuche von Magendie best\u00e4tigt haben, nach welchen das Volumen der Milz durch Injection von Fl\u00fcssigkeiten in die Venen vermehrt werden soll. Die Annahmen von Defermon (.Nouo. biblioth.m\u00e9d. Mars 1824. Froriep\u2019s ISot. 148.), dass das Volumen bei dem Gen\u00fcsse verschiedener Sto\u00dfe sich ver\u00e4ndere, sich unter dem Einfl\u00fcsse des Strychnins, Ramphers, essigsauren Morphiums vermindere, scheinen mir eben so wenig erwiesen. Home glaubte einst aus der unenviesenen Annahme, dass die Milz nach Genuss von Getr\u00e4nken anschwelle, die Fl\u00fcssigkeiten sollten auf unbekannten Wegen aus dem Magen zur Milz, und von da zur Harnblase gebracht werden, was er sp\u00e4ter zur\u00fcckgenommen. Philos, transact. 1811.\nDie Function der Milz beruht wahrscheinlich entweder in einer unbekannten Ver\u00e4nderung des durch ihr Gewehe durchgehenden Blutes, wodurch sie zur Blutbildung beitr\u00e4gt, oder sie sondert eine eigenth\u00fcmliche Lymphe ab, welche zur Chylifica-tion beitr\u00e4gt, indem die Lymphe zur \u00fcbrigen Lymphe ergossen wird. Nur die Venen oder die Lymphgef\u00e4sse k\u00f6nnen die durch die Milz ver\u00e4nderte thierische Materie ausf\u00fchren; Letzteres ist die Hypothese von Tiedemann. Welche von beiden Ansichten richtig, ist unbekannt, und worin jene Ver\u00e4nderung der thieri-sehen Materie besteht, noch weniger bekannt.\nDas Blut der Milzvene ist nach Tiedemann und Gmelin von anderem Venenblute nicht verschieden, wenn diess gleich von \u00e4lteren Beobachtern und seihst in neuerer Zeit von Autenrieth {Physiol. 2. 77.) behauptet worden. Tiedemann und Gmelin sahen es wie anderes Blut gerinnen. Versuche, \u00fcber die Wege etc. p. 70. Dagegen fand Schultz (Rust\u2019s Magazin 1835. 325.) das Blut der Pfortader schw\u00e4rzer als anderes Venenblut und am dunkelsten im n\u00fcchternen Zustande der Thiere. Neutralsalze und atmosph\u00e4rische Luft f\u00e4rbten es nicht heller roth, sein Coagulum ist weniger fest und es enth\u00e4lt weniger Fasersto\u00df' und Eiweiss, dagegen mehr Fett.\nHewson hatte die Ansicht aufgestellt, dass die Milz, wie die lymphatischen Dr\u00fcsen und die Thymusdr\u00fcse, bestimmt sey, aus dem arteriellen Blute einen Saft abzusondern, welcher, der Lymphe beigemischt, die Blutk\u00f6rperchen ausbilde. Hewson opus post.h. sift: rubrarum sanguinis particularum thymi et liems descriptio. 1786. Diess kann wohl nicht richtig seyn, da die Blutk\u00f6rperchen sich eben so gut nach Exstirpation der Milz ausbilden. Hewson, Tiedemann und Fohmann sahen die Milzlymphe r\u00f6thlich; diess ist indess keine constante Erscheinung. Seiler sah wohl einige mit r\u00f6thlicher Lymphe gef\u00fcllte Lymphgef\u00e4sse auf der Oberfl\u00e4che der Milz von Pferden, und ich sah wiederholt einige wenige der vielen grossen Lymphgef\u00e4sse auf der Oberfl\u00e4che der Milz des Ochsen eine blassrothe Fl\u00fcssigkeit f\u00fchren. Aber Seiler sah jene F\u00e4rbung bei den meisten Pferden nicht, und bei den Eseln, Rin-","page":573},{"file":"p0574.txt","language":"de","ocr_de":"574 JI. Buch. (Jesuit, ehern. Processe. IP. Abschnitt. Verdauung.\ndem, Schafen, Schweinen und Hunden niemals. Anat. physio/. Jieal- TVorterhuch. 5. 330. Vergl. Jaeckel, Meckei.\u2019s Archiv. 6. oSl. Mehreres \u00fcber die alteren Ansichten siehe hei Seiler a. a. O. und Hecsikger (eher den Ihm und die Verrichtung der Mtlz, Thionville, 1S4 7. Mayer hat beobachtet, dass die Milz sich bei wiederkauenden Thieren nach der Exstirpation wiedererzeuge, indem sich n\u00e4mlich an der Stelle der Exstirpation ein K\u00f6rper von der Gr\u00f6sse einer Lymphdr\u00fcse nach einigen Jahren wiederlinde; diess w\u00e4re ein sehr interessantes Factum, wenn es sich strict beweisen Hesse; diess ist aber kaum m\u00f6glich, da die Thiere zuweilen kleine Nebenmilzen besitzen, auch ein Rest der Dr\u00fcse zur\u00fcckgeblieben sein konnte. Zum Bcweiss. dass etwas Milzsubstanz sey, w\u00fcrde die Darlegung der oben beschriebenen B\u00fcndelehen von weissen K\u00f6rperchen, die in der Milz mehrerer Wiederk\u00e4uer vorhanden, und leicht pr\u00e4parirt werden k\u00f6nnen, dienen k\u00f6nnen.\nDie anatomisch-physiologischen Untersuchungen \u00fcber die Milz von Giesker. Z\u00fcrich 1835. 8. enthalten ausser der ausf\u00fchrlichen Zusammenstellung der Angaben der \u00e4lteren und neueren Schriftsteller eigenth\u00fcmliche Beobachtungen \u00fcber den Bau der Milz beim Menschen und insbesondere auch \u00fcber die Milzk\u00f6rperchen desselben.\n1).\t\\ on (1 c ii N f h e n ii irren.\n1. Bau der Nebennieren (nach eigenen Untersuchungen).\nDie Nebennieren kommen bei dem Menschen, den S\u00e4ugethie-ren, V\u00f6geln und spurweise bei den beschuppten Amphibien und den Haifischen und Piochen vor. Retzius bat sie bei den Schlangen und Plagiostornen beschrieben. Nagel (Mueller\u2019s Arch. 1836. p. 365.) beobachtete Spuren derselben bei den Crocodilen, Schildkr\u00f6ten, Schlangen. Derselbe h\u00e4lt mit Retzius beim Frosch nicht die bettk\u00f6rper f\u00fcr die Nebennieren, sondern einen Streifen k\u00f6r-niger gelber Substanz an der vordem Fl\u00e4che der Nieren. Die Nebennieren bestehen aus einer gelben Rindensuhstanz, die aus senkrechten Fasern besteht, und aus einer dunklen schwammigen Marksubstanz. Wenn sieb eine Art H\u00f6hle im Innern der Nebenniere vorfindet, so ist dies immer die Nebennierenvene. In der Rindensubstanz haben die kleinsten Arterien und Venen eine ganz eigenth\u00fcmliche Disposition. Sie haben n\u00e4mlich die Form gerader, paralleler, gleich dicker, sehr enger R\u00f6hrchen, welche alle den n\u00e4mlichen Durchmesser haben, und in der sch\u00f6nsten Regelm\u00e4ssigkeit dicht flehen einander von der Oberfl\u00e4che senkrecht nach innen gehen, und fast so eng wie die gew\u00f6hnlichen Capil-largef\u00e4ssnetze sind. Sowohl hei Injection der Arterie, als der Venen, erhalt man dieselben senkrechten Gelasse mit sehr l\u00e4nglichen Maschen injicirt. An der \u00e4ussern Oberfl\u00e4che der Nebennieren liegt ein gew\u00f6hnliches Capillargef\u00e4ssnetz, dessen R\u00f6hrchen kaum merklich enger sind, als die der Corticalsulistanz. Alle senkrechten Venenzweigelchen ergiessen sich in das Venengewebe der","page":574},{"file":"p0575.txt","language":"de","ocr_de":"7. Fund ion der Dr\u00fcsen ohne Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge, Thymusdr\u00fcse. 575\nMarksubstanz. Die Medullarsubstanz der Nebennieren ist sehr schwammig und bestellt gr\u00f6sstentheils aus einem Venengewebe, welches in die Zweige der Vena suprarenalis \u00fcbergebt, die im Innern des Organes ziemlich w-eit ist. Durch die Vena suprarenalis kann man daher jenes ganze schwammige Gewebe aufblasen. Dieser Bau, den man durch feine Injectioncn sehr gut darstellen kann, ist beim Ochsen, Kalb, Schaf, Schwein derselbe wie beim Menschen, indem die Nebennieren sich nur durch die \u00e4ussere Form und Oberfl\u00e4che unterscheiden. Siehe Nagel a. a. O. Ob das Blut w\u00e4hrend des Durchgangs durch das beschriebene Ge-i\u00e4ssgewebe der Rinde eine eigent\u00fcmliche Ver\u00e4nderung erleidet, und als ver\u00e4ndertes Blut durch die Vena suprarenalis zum \u00fcbrigen Venenblut gelangt? Die Vena suprarenalis m\u00fcsste man beim lebenden Thiere unterbinden, was auf der linken Seite angeht, und die Feuchtigkeit im Innern der Vene und Nebenniere untersuchen. Dass die Nebennieren bei den kopflosen Missgeburten vorzugsweise vor anderen Organen fehlen sollen, ist wohl nicht begr\u00fcndet.\n2. Fundion unbekannt.\nBeim Embryo des Menschen sind sie nach Meckel\u2019s und meinen Untersuchungen anfangs gr\u00f6sser als die Nieren, und bedecken selbst die Nieren, wie z. B. bei einem 1 Zoll langen Embryo. Erst bei 10\u201412 Wochen alten Embryonen sind die Nieren den Nebennieren an Gr\u00f6sse gleich ; dagegen sind nach meinen Beobachtungen die Nebennieren der S\u00e4ugethierembryonen zu keiner Zeit gr\u00f6sser als die Nieren. Mit den Harnwerkzeugen stehen diese Organe wohl in keiner Beziehung. Bei der Lagever\u00e4nderung der linken Niere auf die rechte Seite sah ich die Nebenniere an der gew\u00f6hnlichen Stelle; eben so bei der Atrophie der linken Niere unver\u00e4ndert.\nG. Von der Schilddr\u00fcse.\n1.\tBau der Schilddr\u00fcse.\nIn der Schilddr\u00fcse scheinen sehr kleine Zellen enthalten zu seyn, deren Zusammenhang gleich wie der eigentliche Bau der Schilddr\u00fcse unbekannt ist. Im Kropf schwellen diese Zellen an und enthalten eine durchscheinende Materie, welche leicht fest wird.\n2.\tFundion der Schilddr\u00fcse unbekannt.\nD. Von der Thymusdr\u00fcse.\n1. Fern der 1 hymusdriise (nach Astley Coopep. the anatomy oj the Thymus gland. Lond. 1832.)\nDie Thymusdr\u00fcse ist verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig beim F\u00f6tus am \"rossten; nach der Geburt w\u00e4chst sie noch und bleibt gross im ersten Jahr, hernach vermindert sie sich allm\u00e4hlig, bis sie zur Zeit der Pubert\u00e4t ganz geschwunden ist. Die Thymus des Kalbes bestellt aus gr\u00f6sseren und kleineren Lappen. Jeder Lappen wird durch zahlreiche absondernde Zellen und durch gr\u00f6ssere Hohlen","page":575},{"file":"p0576.txt","language":"de","ocr_de":"576 II. Buch. Organ, ehern. Processe. 1V. Abschnitt. Verdauung.\noder Beli\u00e4lter gebildet. Beim Menschen sind die gr\u00f6ssten Lo-buli nicht gr\u00f6sser als eine Erbse. Bei genauerer Untersuchung sieht man nach Cooper, dass die Lobuli, wenn sie aus einander entwickelt werden, zu Kr\u00e4nzen vereinigt sind, die wie Halsb\u00e4nder als gr\u00f6ssere und kleinere Perlen erscheinen. Um die innere Structur zu beobachten, muss man eine leichte, oberfl\u00e4chliche Schicht von einem oder von mehreren Lappen zugleich wegnehmen, man sieht dann eine Menge kleiner H\u00f6hlen, diese H\u00f6hlen enthalten zum Theil eine reichliche weisse Fl\u00fcssigkeit der Dr\u00fcse. Aus diesen H\u00f6hlen gelangt die Fl\u00fcssigkeit in einen gemeinsamen Beh\u00e4lter, und der letztere bildet einen gemeinsamen und verbindenden Raum zwischen den verschiedenen Lappen, und ist von einer zarten Haut ausgekleidet. Auf der innern Fl\u00e4che des Beh\u00e4lters bemerkt man kleine Oeffnungen, welche in taschenf\u00f6rmige Erweiterungen f\u00fchren, und durch diese Erweiterungen f\u00fchren die H\u00f6hlen der Lappen zum gemeinsamen Beh\u00e4lter. Diese Oeffnungen sind jedoch nicht so zahlreich als die Lappen, weil jede Tasche mit mehr als einem Lappen zusammenh\u00e4ngt. Das Wesentliche des Baues besteht also darin, dass die kleinen Zellen oder H\u00f6hlen in der Substanz der L\u00e4ppchen zuletzt zu einer taschenf\u00f6rmigen Erweiterung an der Basis jedes Hauptlappens f\u00fchren, und dass diese taschenf\u00f6rmige Erweiterung durch eine kleine Oeffnung wieder mit dem gemeinsamen Beh\u00e4lter in Verbindung steht.- Nach Cooper sitzt heim Kalbsf\u00f6tus an jedem Horn der Thymus ein grosser Lymphgang, der mit einer Injection leicht angef\u00fcllt werden kann, und an der Verbindungsstelle der beiden Jugularvenen in die Vena cava super, sich endigt. Indessen ist die Verbindung der Lvmphgef\u00e4sse mit den H\u00f6hlungen der Dr\u00fcse nicht erwiesen. Die Fl\u00fcssigkeit der Thymus ist weisslich und enth\u00e4lt weisse mikroskopische Partikeln, gerinnt von Alkohol, Minerals\u00e4uren und Hitze. Liquor kali cau-stici verwandelt sie in einen l\u00e4denziehenden Stoff. 100 Theile enthalten 16 festen Stoff. Die Analyse auf die n\u00e4heren thieri-schen Bestandtheile ist noch unvollkommen. Die Salze sind salzsaures und phosphorsaures Kali und phosphorsaures Natron; eine Spur von Phosphors\u00e4ure. Faserstoff scheint dieser Stoff nicht zu enthalten, und dadurch unterscheidet er sich von der Lymphe und dem Chylus.\n2. Fuuction.\nNach Cooper\u2019s anatomischen Resultaten zu schliessen, wird aus der Thymus ein eigenth\u00fcmlicher eiweissreicher Stoff durch die Lympbgef\u00e4sse in die Venen ausgef\u00fchrt; \u00fcber die Art, wie diess Organ zur Blutbildung des F\u00f6tus und Kindes beitr\u00e4gt, scheint es ganz unfruchtbar; Hypothesen aufzustellen.\nTysow [Load, med, surg. Journal. Jan. 1833. Froriep\u2019s iSot. 807.) stellt die Hypothese auf, dass die Thymus beim Foetus das Blut von den Lungen ableite, welches nach der Geburt den Lungen zugewendet werde. Jede Hypothese ist unzureichend, welche die Function der Thymus als eines Theils des F\u00f6tus, und nicht als eines Theils auch des kindlichen Alters betrachtet.","page":576},{"file":"p0577.txt","language":"de","ocr_de":"577\n8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe.\nVIII. Capitel. Von der Ausscheidung der zersetzten Stoffe.\nDas Leben ist mit einer best\u00e4ndigen Zersetzung der organischen Materie verbunden, deren Ursachen in dem allgemeinen Theil dieses Handbuchs p. 35. und 357. untersucht worden. Zur Aeusserung des Lehens ist die Einwirkung \u00e4usserer Reize noth-wendig. Diese reizen mit Ver\u00e4nderung der materiellen Zusammensetzung, und es entstehen bei der Erzeugung edlerer Verbindungen nothwendig immer Ausscheidungen von unbrauchbaren Bestandtheilen der zersetzten Verbindungen. Aber auch die Umwandlung der Nahrungsstoffe in Blut macht die best\u00e4ndige Ausscheidung von unbrauchbaren Bestandtheilen nothwendig. Die Apparate, wodurch diese Zersetzungsproducte nicht gebildet, sondern nur ausgeschieden werden, sind die \u00e4ussere Haut und die Nieren. Die Natur dieser Ausscheidungen soll hier untersucht werden. Die organischen Bedingungen aller Secretionen und Ex-crelionen sind in dem Abschnitte von der Absonderung p. 424. zergliedert worden.\nJohn Dalton (Edinburgh new philosophical Journal. Noo. 1832. Januar 1833.) stellte an sich selbst eine Reihe von Experimenten \u00fcber die Quantit\u00e4t der von einer gesunden Person genommenen Nahrungsmittel in Vergleich mit den verschiedenen Excretionen an. Die erste Reihe derselben dauerte 14 Tage, wobei im Durchschnitt t\u00e4glich 91 Unzen oder beinahe 6 Pfund avoir du pois an festen und fl\u00fcssigen Stoffen verzehrt wurden. Der Totalbetrag des in 14 Tagen ausgeleerten Harns betrug 680 Unzen, der der Faeces 68 Unzen. Auf den Tag kamen im Durchschnitt 48^ Unzen Harn und 5 Unzen Faeces, zusammen 53^-Unzen. Da nun t\u00e4glich 91 Unzen verzehrt wurden, so musste bei gleichbleibendem Gewicht des K\u00f6rpers die Ausd\u00fcnstung der Haut und Lungen 37^ Unzen betragen. Diese erste Reibe der Versuche war im M\u00e4rz angestellt: die zweite fiel in den Juni, die dritte in den September. Im Sommer wurden 1 Unzen an festen Stoffen weniger, dagegen 3 Unzen an fl\u00fcssigen Stoffen mehr ausgeleert. Durch die Ausd\u00fcnstung gingen 44 Unzen, oder 6 Unzen, mehr als im Fr\u00fchling, fort; im Herbst wurde die H\u00e4lfte der t\u00e4glichen Gonsumtion durch die Ausd\u00fcnstung ausgeschieden. Dalton berechnet, dass er t\u00e4glich etwa 11 ~ Unze Kohlenstoff in den Nahrungsmitteln zu sich nahm. Das Carbon von dem Urin rechnete er I^Proc.; diess giebt auf 48| Unzen Urin t\u00e4glich 0,5 bis 0,6 Unzen Kohlenstoff. Hundert Tbeile Faeces haben -\u00ae- Wasser, der Rest enth\u00e4lt nicht mehr als 10 Tbeile Kohlenstoff. Diess betr\u00e4gt in 5 Unzen Faeces Unze Carbon, also werden 10J Unzen Kohlenstoff durch die Perspiration fortgeschafft. Nach fr\u00fcheren Untersuchungen (Manchester memoirs, hew series. Vol. 2. p. 27.) brachte Dalton durch das Athmen in 24 Stunden 2,8 Pfund Troy Kohlens\u00e4uregas hervor. Diess betr\u00e4gt gegen 0,78 Pfund f'/oy Kohlenstoff oder 0,642 Pfund avoir du pois oder lOj Unzen avoir du pois. Die w\u00e4ssrige Perspiration der Lungen","page":577},{"file":"p0578.txt","language":"de","ocr_de":"578 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. \u00c2hschrdtt. Verdauung.\nbetr\u00e4gt h\u00f6chstens 1,55 Pfund Troy = 1,275 Pfund avoir du pois = 20^ Unzen avoir du pois. F\u00fcgt man dazu 10\u2019- Unzen Kohlenstoff, so li\u00e2t man 30f Unzen f\u00fcr das in einem Tage aus den Lungen ausgeathmete Wasser nebst Kohlenstoff, und zieht man diese von 37| ab, so bleiben f\u00fcr die unmerkliche Ausd\u00fcnstung aus der Haut 6| Unzen t\u00e4glich, welche aus circa fjt Unzen Wasser und ~ Unze Kohlenstoff bestehen werden. Daher w\u00fcrde man durch das Athemholen f\u00fcnfmal mehr Substanz als durch die ganze K\u00f6rperoberfl\u00e4che verlieren.\nIn den 6 Pfund Nahrungsstoffen, die man t\u00e4glich zu sich nimmt, rechnet Dalton gegen 1 Pfund Kohlenstoff und Stickstoff zusammengenommen; das Uebrige ist gr\u00f6sstentheils Wasser.\nDie Ausscheidung fremdartiger, in den Kreislauf aufgenommener Stoffe geschieht nicht durch alle Oberfl\u00e4chen zu gleicher Zeit und gleich stark. Es zeigt sich vielmehr, dass eins oder das andere der Ausscheidungsorgane eine gr\u00f6ssere Anziehung gegen gewisse fremdartige Stoffe \u00e4ussert, und dieselben leichter ausscheidet als andere. So haben Magendie (bulletin de la soci\u00e9t\u00e9 philom. 1811.) und Tiedemann (Zeiischr. f\u00fcr Physiol. S. 2.) gezeigt, dass Alkohol, Kampher, Terpentingeist, Moschus, Schwefelkohlenstoff, Phosphor durch die Lungen nus dem thierischen K\u00f6rper ausgeschieden werden. Nach Injection einer Aufl\u00f6sung von Phosphor in die Venen eines Thiers, stossen die Lungen Wolken von weissen D\u00e4mpfen aus, welche im Dunkeln leuchten. Dagegen werden salinische Stoffe und manche F\u00e4rbestoffe leichter durch die Harnabsonderung, ver\u00e4ndert oder unver\u00e4ndert, ausgestossen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass diejenigen Stoffe, welche durch ein Ausscheidungsorgan in der Regel ausgeschieden werden, auch leicht Reize seiner Th\u00e4tigkeit seyn k\u00f6nnen, und es l\u00e4sst sich aus dieser Bemerkung die harntreibende Wirkung der Neutralsalze aus dem Umstande herleiten, dass diese Salze eben durch die Nieren meist unver\u00e4ndert wieder ausgeschieden werden.\nWoehler (Tiedemann\u2019s Zeitschrift. I. Bd.) hat ausgedehnte Untersuchungen \u00fcber den Uebergang fremdartiger, in den Organismus aufgenommener Stoffe in den Harn angestellt, welche im Artikel von dem Harn ausf\u00fchrlicher initgetheilt werden.\nI. Hautausd\u00fcnstung und S c h w e i s s.\nDie \u00e4ussere Haut ist der Sitz einer zweifachen Absonderung, von Fettabsonderung und von Ausd\u00fcnstung; erslere findet in den Folliculis sebaceis der Haut statt, sie ist noch nicht untersucht. Beim F\u00f6tus bildet sie einen salbenartigen Ueberzug der Haut, Vernix caseosa, und besteht nach Frommherz und Gtjgert aus einem innigen Gemenge von einem dem Gallenfette \u00e4hnlichen Fett und Eiweiss, welches letztere indess vom Liquor amnii herr\u00fchren kann.\nDie Quellen der w\u00e4ssrigen, dunstf\u00f6rmigen Absonderung sind die Haut und die Lungen. Bei st\u00e4rkerer Bewegung und gr\u00f6sserer \u00e4usserer W\u00e4rme, und in verschiedenen Krankheiten, auch","page":578},{"file":"p0579.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Hautausd\u00fcnstung. 579\nwenn die Ausd\u00fcnstung durch WachstafFet oder Pflaster verhindert wird, sammelt sich das Ausgeschiedene in Tropfen, der Schweiss. Die Quellen des Schweisses sind die \u00fcber die ganze Haut zerstreuten, kleinen, spiralf\u00f6rmigen Balge, die Schweisska-n\u00e4lchen, welche Purkinje und Breschet entdeckt haben. Siehe oben p. 432.\nNach Sanctorius m\u00fchevollen Untersuchungen, wodurch er durch sinnreiche Versuche auf der Wage die Menge der aus-diinstenden Materien zu bestimmen sucht, haben in neuerer Zeit besonders Lavoisier und Seguin genauere Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand angestellt. Mcm. de l\u2019acad. des sc. 1790. Ann. de chim. T. 90. Meckel\u2019s Archiv. 3. 599. Hiernach ist der Verlust bei einer Person'durch Haut- und Lungenausd\u00fcnstung in einer Minute 17\u201418 Gr. im Durchschnitt; 11 Gr. im Minimum, 32 Gr. im Maximum bei ruhendem Zustande. Um die Wirkung der Haut-und Lungenausd\u00fcnstung abgesondert kennen zu lernen, bediente sich Seguin eines mit elastischem Harze \u00fcberzogenen Taffetkleides, das keine Luft durchliess, oben offen war, und f\u00fcr den Mund eine von Rupfer umgebene M\u00fcndung hatte. Dieses Kleid wurde, nachdem es von Seguin angezogen worden, oben durch ein starkes Band verschlossen, dann die Rupferm\u00fcndung um den Mund geklebt und befestigt. So setzte sich Secuin auf die Wage, wurde gewogen, blieb mehrere Stunden ruhig und wurde wieder gewogen. Der Unterschied zwischen beiden W\u00e4gungen gab den in dieser Zeit durch die Lungenausd\u00fcnstung erlittenen Verlust. Hierauf verliess er die H\u00fclle, liess sich sogleich wieder w\u00e4gen, und nach einer bestimmten Zeit von neuem w\u00e4gen. Der Unterschied der letzten W\u00e4gungen gab den durch Lungenausd\u00fcnstung und Hautausd\u00fcnstung zugleich erlittenen Verlust. Die Subtraction der Lungenausd\u00fcnstung von der gesammten Ausd\u00fcnstung gab das Quantum der Hautausd\u00fcnstung. Die Resultate dieser lange Zeit mit grosser Genauigkeit fortgesetzten Versuche ergaben:\n1) Wie verschieden auch die Menge der genossenen Nahrung seyn mag, in 24 Stunden kommt ein Mensch im ruhigen Zustande ohngef\u00e4hr auf dasselbe Gewicht zur\u00fcck, so dass 2) wenn unter sonst gleichen Umst\u00e4nden die Menge der Speisen variirt, oder bei gleicher Speisenmenge die der Ausd\u00fcnstung abweicht, so wird die Menge der Excremente so vermehrt oder vermindert, dass doch um dieselbe Zeit dasselbe Gewicht wieder eingetreten ist, also bei gesunder Verdauung die verschiedenen Functionen sich unterst\u00fctzen und vertreten. 3) Bei schlechter Verdauung wird die Ausd\u00fcnstung vermindert. 4) Bei guter Verdauung hat die Menge der Speisen keinen grossen Einfluss auf die Ausd\u00fcnstung. 5) Unmittelbar nach dem Essen wurde am wenigsten ausged\u00fcnstet. 6) Aber der durch die Ausd\u00fcnstung verursachte Gewichtsverlust war w\u00e4hrend der Verdauung am gr\u00f6ssten. 7) Der gr\u00f6sste Gewichtsverlust durch Ausd\u00fcnstung ist in 24 Stunden 5 Pfund, der geringste 1 Pfund 11 Unzen 4 Drachmen. 8) Die Hautausd\u00fcnstung h\u00e4ngt theils von der Beschaffenheit der Luft, theils des K\u00f6rpers ah. 9) Das Mittel des Gewichtsverlustes durch Ausd\u00fcnstung","page":579},{"file":"p0580.txt","language":"de","ocr_de":"580 IL Buch. Organ, ehern. Prncesse. III. Ahschn. Absonderung.\nist 18 Gr. in der Minute, wovon 11 auf die Hautausd\u00fcnstung, 7 auf die Lungenausd\u00fcnstung kommen.\nDie Ausd\u00fcnstungsmaterie enth\u00e4lt verdunstbare Theile, wie Kohlens\u00e4ure, Wasser und andere Theile, die sich auf der Haut absetzen und mit der Hautsalbe den Schmutz bilden. Nach Tiienard enth\u00e4lt die Hautausd\u00fcnstungsfl\u00fcssigkeit, welche er in einem vorher mit destillirtem Wasser ausgewaschenen, flanell-nen Hemde sammelte, Kochsalz, Essigs\u00e4ure, etwas phosphorsaures Natron1, Spuren von phosphorsaurem Kalk und Eisenoxyd nebst (einer thierischen Materie. Schweiss, der in Tropfen von der Stirn gelaufen war, enthielt Milchs\u00e4ure und im Alkohol l\u00f6slichen Stoff (Osmazom) und eine kleine Menge im Alkohol unl\u00f6slichen Stoff, sehr viel Kochsalz, Chlorammonium. Anselmino sammelte die fl\u00fcssige Ausd\u00fcnstungsmaterie seines in einen Glass-cylinder eingepassten Arms, indem er die Oeffnung um den Arm mit Wachstaffet zuband, w\u00e4hrend der Arm nirgends das Glas ber\u00fchrte. Der Dunst sammelte sich auf den W\u00e4nden des Glases und wurde tropfbar; die Fl\u00fcssigkeit enthielt essigsaures Ammoniak und Kohlens\u00e4ure. Kohlens\u00e4ureaushauchung hatten fr\u00fcher auch Abernetiiy und Mackenzie beobachtet, w\u00e4hrend sie in den Versuchen von Priestley, Fourcroy, Gordon nicht stattfand (Meckel\u2019s Archiv. 3. 608.). Collard de Martigny (Ma-gendie\u2019s Journal. 10. 162.) hat gefunden, dass die von der Haut ausgehauchte Luft Kohlens\u00e4ure und Stickgas in sehr variablem Verh\u00e4ltnisse enth\u00e4lt. Diese Ausbauchung ist nicht best\u00e4ndig vorhanden, sie ist copi\u00f6s nach Anstrengungen und dem Essen. Zuweilen war das Gas bloss Stickgas, was mit den Erfahrungen von Ingeniiouss, Trousset und Barruel \u00fcbereinstimmt. Zuweilen war es fast blosses Kohlens\u00e4uregas, was an die Beobachtungen von Milly, Cruikshank, J\u00fcrine, Abernetiiy, Mackenzie erinnert. Collard will nach reichlicher Fleischnahrung mehr Stickstoff-, nach vegetabilischer Nahrung mehr Kohlens\u00e4ureaushauchung bemerkt haben. Collard hat das sich von der Haut entwickelnde Gas unter einem oben verstopften und innerlich mit ausgekochtem Wasser gef\u00fcllten Trichter gesammelt, und sehliesst hieraus, dass das Kohlens\u00e4uregas der Hautausd\u00fcnstung als solches aus dem K\u00f6rper ausgeschieden werde, da es auch ohne Ber\u00fchrung mit der atmosph\u00e4rischen Luft austrete.\nDie Trockenheit der Luft vermehrt die Ausd\u00fcnstung, wiewohl durch diese letztere Abk\u00fchlung hervorgebracht wird; allein eine grosse Erh\u00f6hung der \u00e4ussern W\u00e4rme giebt ein umgekehrtes Resultat. Edwards de l\u2019'influence des agens physif/ues sur la vie. Pans 1824. Froriep\u2019s Not. 150. 151. Die Transspiration ist reichlicher bei bewegter Luft und bei niederm Luftdruck. Edwards unterscheidet bei der Transspiration dasjenige, was der physicalischen Evaporation zuk\u00f6mmt und auch am todten K\u00f6rper in denselben Umst\u00e4nden erfolgen w\u00fcrde, und das, was dem Lebensact der Haut zuk\u00f6mmt; letzteres soll nur i der Totalsumme ausmachen, wo die Temperatur der Atmosph\u00e4re nicht.\u00fcber 20\u00b0 ist. Das Product der physikalischen Ausd\u00fcnstung ist fast reines Wasser, das der organischen f\u00fchrt thierische Bestandteile. Die","page":580},{"file":"p0581.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Hautausd\u00fcnstung. 581\nphysikalische Ausd\u00fcnstung wird unterdr\u00fcckt, wenn die Luft mit Feuchtigkeit ges\u00e4ttigt ist, und die organische Ausd\u00fcnstung wird aufgehoben, w'enn das Individuum erk\u00e4ltet wird. Die Trans-spiration durch die Lunge soll nur durch physikalische Ausd\u00fcnstung statt finden, diese Evaporation kann durch eine mit Feuchtigkeit ges\u00e4ttigte Luft, deren Temperatur eben so hoch oder h\u00f6her ist als die des K\u00f6rpers, vermindert werden. Erw\u00e4rmung und Erk\u00e4ltung steht mit der Ausd\u00fcnstung in so inniger Beziehung, dass auch hier\u00fcber das Wichtigste aus Edwards Untersuchungen angef\u00fchrt werden muss. Bei gleicher Temperatur theilt [tropfbares Wasser leichter W\u00e4rme mit als Wasserdunst, dieser leichter als Wassergas, dieses mehr als trockene Luft; man vertr\u00e4gt daher hei gleicher Temperatur die letztere l\u00e4nger. Feuchte, warme Luft erhitzt uns mehr, weil sie mehr W\u00e4rme mittheilt als trok-kene, und weil die physikalische Ausd\u00fcnstung in letzterer st\u00e4rker ist. Bei gleicher, ja selbst bei geringerer Temperatur erregt warme, mit Wassergas und besonders mit Wasserdampf ges\u00e4ttigte Luft eine st\u00e4rkere Transspiration, als trockene Luft. Ist die Temperatur der Luft geringer als die des K\u00f6rpers, so entzieht die trockene Luft uns weniger W\u00e4rme, als feuchte Luft, sie hat hei gleicher Temperatur eine weniger erk\u00e4ltende Wirkung, weil feuchte Luft besser die W\u00e4rme leitet als trockene Luft.\nAnselmino hat den Schweiss untersucht. Tiedemann\u2019s Zeitschrift. 2. 321. Nach dieser Analyse enthalten 100 Theile eingetrockneten Schweisses:\nin Wasser und Alkohol unl\u00f6slich (meist Kalksalze) ....\t2\nin Wasser, nicht in Alkohol l\u00f6slicher Thierstoff (der nach Berzelius\u2019s Ansicht ohne hinreichenden Grund von Ansei-miko f\u00fcr Speichelstoff erkl\u00e4rt wird) und schwefelsaure Salze 21 in w\u00e4ssrigem Alkohol l\u00f6slich: Kochsalz und Osmazom ...\t48\nin wasserfreiem Alkohol l\u00f6slich: Osmazom, Milchs\u00e4ure und milchsaure Salze (von Anselmi.no f\u00fcr Essigs\u00e4ure und essigsaure Salze genommen).......................................29\n100\nBerzelius vermisst in diesem Resultate den im Schweiss vorhandenen Salmiak und das milchsaure Ammonium. In der Asche des getrockneten Schweisses fand Anselmino kohlensaures, schwefelsaures, phosphorsaures Natron, und etwas Kali riebst Kochsalz, phosphorsauren und kohlensauren Kalk mit Spuren von Eisenoxyd. In dem Schweiss der Pferde, welcher bekanntlich ein weisses Pulver absetzt, fand Ahselmino den Harnstoff nicht, den Fourcroy darin gefunden hatte. An mehreren Theilen des K\u00f6rpers ist der Schweiss eigenth\u00fcmlieh, was indess auch von dem Secret der Folliculi sebacei herr\u00fchren kann. So ist der Schweiss der Achselh\u00f6hlen ammoniakalisch und der der Genitalien enth\u00e4lt Butters\u00e4ure; endlich riecht die Ausd\u00fcnstung mancher Thiere und Menschen eigenth\u00fcmlieh, bei Thieren haben indess solche Ger\u00fc-che h\u00e4ufig in besonderen Dr\u00fcsen z. B. am After, ihren Grund.\nDer Zweck der Hautausd\u00fcnstung wird aus der Analyse nicht k|ar, denn die im Schweiss vorkommenden Stoffe kommen auch","page":581},{"file":"p0582.txt","language":"de","ocr_de":"582 IL Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nin dem Harn vor. Da indess die Hautausd\u00fcnstung, wie aus Se-guik\u2019s Versuchen hervorgeht, in dem innigsten Wechselverh\u00e4ltnisse mit den Ingestis und den anderen Excretionen stellt, so l\u00e4sst sich wohl einigermassen hegreilen, wie die pl\u00f6tzliche Unterbrechung derselben so grosse St\u00f6rungen in der thierischen Oekono-mie hervorbringt, weil sie auf den S\u00e4ftezustand und das Gleichgewicht der Verkeilung der S\u00e4fte im ganzen K\u00f6rper zur\u00fcckwirkt. Wie die Hautausd\u00fcnstung uns gegen h\u00f6here W\u00e4rmegrade sch\u00fctzt, ist fr\u00fcher auseinandergesetzt worden. Siehe p. 76. Dass bei der Hautausd\u00fcnstung nicht bloss von dem Blute verdunstet, was verdunsten kann, sondern dass Ausd\u00fcnstung und Schweiss wahre Secretionen sind, beweisen die Krankheiten, in denen diese Absonderungen, trotz einer hohen Temperatur der Haut, zuweilen ganz aufgehoben sind, wie in manchen fieberhaften Krankheiten, in welchen der Einfluss der Nerven auf das Hautorgan beschr\u00e4nkt ist. So steht auch die Hautaussonderung in dem engsten Verh\u00e4ltnisse mit der Harnabsonderung. Es scheint zwar vorz\u00fcglich das durch die Hautausd\u00fcnstung entfernt zu werden, w'as bei der Temperatur des K\u00f6rpers Gasgestalt annehmen kann, w\u00e4hrend durch den Urin die mehr tropfbarfl\u00fcssigen Excreta entfernt werden. Aber diese Secretionen stehen auch in einer Wechselwirkung. Bei einem profusen Harnflusse, wie im Diabetes, ist die Haut trocken. In den heissen Jahreszeiten und Climaten wird weniger durch den Harn und mehr durch die Haut ausgef\u00fchrt, im Winter und in kalten Gegenden ist es umgekehrt, und dasselbe Wechselver-b\u00e4ltniss zeigt sich in den Krankheiten. Aber nicht bloss durch den Antagonismus der Secretionen (p. 470.), sondern noch durch viele andere, theils in der Haut selbst, theils in ihrer Wechselwirkung mit anderen Organen liegende Ursachen wird die Hautabsonderung ver\u00e4ndert. In Beziehung auf den Zustand der Haut selbst ist zu bemerken, dass gelinde Hautreize, auf die Haut selbst, wie warme B\u00e4der, applicirt oder von dem Blute aus wirkend (Diaphoretica), die Hautabsonderung vermehren. Befindet sich aber die Haut im Zustande einer zu grossen Reizung, so wird sie roth und heiss und perspirirt nicht, und im Zustande der Entz\u00fcndung sondert sie, wie in der Regel entz\u00fcndete Theile, gar nicht ab; daher bewirken ausgebreitete Hautentz\u00fcndungen durch St\u00f6rung des Gleichgewichts der Vertheilung der S\u00e4fte leicht antagonistische, krankhafte Th\u00e4tigkeiten, wie Entz\u00fcndung der Schleimh\u00e4ute. So hat man bei ausgedehnten Verbrennungen Entz\u00fcndung der Darmsehleimhaut, der Lungenschleimhaut entstehen gesehen, und bei den exanthematischen Hautentz\u00fcndungen von Ausscheidung einer krankhaften Materie durch die Haut w\u00e4chst die Bef\u00fcrchtung innerer Entz\u00fcndungen nicht allein in dem Maasse, als die Ausscheidung der im Blute vorhandenen krankhaften Materie durch die Haut verhindert wird, sondern auch in dem Maasse der Heftigkeit der Hautentz\u00fcndung, und in dem Maasse, als dadurch die Function der Haut aufgehoben wird.\nDie Th\u00e4tigkeit der Haut h\u00e4ngt hinwieder sehr von dem Zustande des Nervensystems und des Gef\u00e4sssystems ab.","page":582},{"file":"p0583.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonderung. 583\nIn fieberhaften Affectionen wird in dem Maasse die Absonderung der Haut und der Schleimh\u00e4ute vermindert, als der Einfluss des Nervensystems auf die peripherischen Theile gehemmt ist. In anderen, nicht fieberhaften Zust\u00e4nden dagegen bewirkt eine pl\u00f6tzliche Entziehung des Nerveneinflusses, wie in der Ohnmacht, in deprimirenden Leidenschaften, eine profuse Absonderung eines kalten Schweisses. Die Bedingungen dieser grossen Ver\u00e4nderlichkeit der Hautabsonderung unter verschiedenen Umst\u00e4nden sind noch nicht geh\u00f6rig physiologisch zergliedert.\nII. Harnabso nclcrn u g.\nDurch die Harnabsonderung werden theils zersetzte und unbrauchbare Thierstoffe, wie Harnstoff und Harns\u00e4ure, die wesentlichsten Bestandtheile des Harns und die f\u00fcr die thierische Oe-conomie \u00fcberfl\u00fcssigen Salze, theils die zuf\u00e4llig in den Kreislauf gelangten fremdartigen Substanzen im ver\u00e4nderten oder unver\u00e4nderten Zustande ausgeschieden\nDie Ausscheidung des Harns ist in der Thierwelt sehr verbreitet, selbst die Insecten sondern in den sogenannten Gallengefassen (besser Vasa Malpigbiana) Harns\u00e4ure ab. Vergl. p. 515. Man hat zwar in ganzen Insecten schon Harns\u00e4ure gefunden, wie Robiquet in den Canthariden (arm. de chim. 76.), und daraus geschlossen, dass die Harns\u00e4ure allgemeiner in dem Insectenk\u00f6rper verbreitet sey. Aber bei der Untersuchung ganzer Insecten musste man nothwendig die Harns\u00e4ure jener Gef\u00e4sse mit erhalten. Auch bei den Mollusken k\u00f6mmt die Harnabsonderung vor, bei den Schnecken in dem sogenannten Succus calcareus (forgane de la viscosit\u00e9 Cuvier.), dessen Ausf\u00fchrungsgang neben dem Mastdarm hergehend, sich dicht an dem After ausm\u00fcndet. Jacobson hat in jenem Organe Harns\u00e4ure gefunden. Meckel\u2019s Archiv 6. 370.\nDer Harn. (Nach Berzelius, Woehler und Liebig.)\nDer Harn des Menschen ist klar, bernsteingelb und aromatisch riechend; er schmeckt salzig bitter und reagirt stark saue'. Der Harn der Rinder, Pferde, Kaninchen und mehrerer anderer pflanzenfressender S\u00e4ugethiere ist alkalisch und bei einigen nur ginz frisch sauer. Der Harn der pflanzenfressenden S\u00e4ugethiere ist tauber und oft fadenziehend, und zersetzt sich nicht so schnell w^ der der Fleischfresser. Das specif. Gewicht des Harns des Menseln va-riirt zwischen 1,005 bis 1,030. In Krankheiten namentlipi in der Harnruhr, steigt es zuweilen bis 1,050. Zuweilen tr\u00fcbt siebder Harn beim Erkalten und setzt dann einen grauen oder bla?srot,en Niederschlag ab, der sich beim Erw\u00e4rmen wieder aufl\u00f6st. Nach einigen Tagen riecht der Harn ammoniakalisch und reagir\u2019^kalisch, und bedeckt sich mit einer weissen schleimigen Haut. al der sich, wie auf der innern Seite des Gef\u00e4sses, kleine wasse Krystalle von phosphorsaurer Ammoniaktalkerde zeigen. R.IlzELIus Thierchemie, p. 322.\nMuller\u2019s Physiologie,\t38","page":583},{"file":"p0584.txt","language":"de","ocr_de":"584 II. Buch. Organ, ehern. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nI. IVesentliche Best and! heile des Harns.\nAusser dem Schleim der Harnwege, der im Harn seilen sichtbar ist, enth\u00e4lt der Harn wesentlich nach Berzelius Analyse:\nWasser............................ 933,00\nHarnstoff..........................30,10\nfreie Milchs\u00e4ure..................y\nmilchsaures Ammoniak .\t.\t. (\t) 7 44\nOsmazom in Alkohol l\u00f6slich\t. 1\t\u2019\nExtractivstoff in Wasser l\u00f6slich . j\nHarns\u00e4ure.......................... 1,00\nBlasenschleim .......................... 0,32\nschwefelsaures Eali .................... 3,71\n\u2014\t\u2014 Natron.................... 3,16\nphosphorsaures Natron.............. 2,94\nzweifach phosphorsaures\tAmmoniak\t.\t1,65\nChlornatrium....................\t.\t4,45\nChlorammonium ....\t.\t.\t.\t.\t1,50\nphosphorsaure Kalkerde\tund Talkerde\t1,00\nKieselerde......................... 0,03\n1000,00\n1. Harnstoff. Urea. Von Cruikshank. im Harn entdeckt. Man erh\u00e4lt ihn, indem man den behutsam zur Honigdicke abgedampften Harn mit 4 Weingeist auszieht, und den Weingeist verdunstet, und reinigt ihn durch wiederholtes Aufl\u00f6sen in Wasser oder Weingeist und Krystallisiren. Heber andere Methoden siehe Gmelin Chemie. 4. 1014. Berzelius 1. c. p. 349. Die Krystalle des Harnstoffs sind feine seidengl\u00e4nzende Nadeln, oder lange, schmale, vierseitige Prismen, oder, im unreinen Zustande, Bl\u00e4tter, rein farblos, unrein gelb und, braun; er ist ohne Geruch und von k\u00fchlendem, salpeter\u00e4hnlichem Geschmack; er reagirt weder sauer noch alkalisch, in feuchter und warmer Luft zeriliesst er. Bei 4-15\u00b0 Cent, bedarf der Harnstoff weniger als sein gleiches Gewicht Wasser zur Aufl\u00f6sung, von kochendem Wasser wird er in allen Verh\u00e4ltnissen icl\u00f6st; er l\u00f6st sich in 5 kaltem Weingeist; von Gerbestoff wird ei nicht gef\u00e4llt. Bis zu 120\u00b0 Cent, erhitzt, schmilzt er ohne Zersetzung, noch mehr erhitzt ger\u00e4th er ins Kochen, und es subli-mir, sich kohlensaures Ammoniak, die schmelzende Masse wird nachund nach breiartig, und bei vorsichtig geleiteter Hitze bleibt zuletz, ein grauweisses Pulver \u00fcbrig, welches Cyans\u00e4ure ist, die sich ai\u00e7b ]je; trockener Destillation der Harns\u00e4ure sublimirt. Der Harnstot geht mit S\u00e4ure und Basen Verbindungen ein, ohne sie zu neutralisiun- Merkw\u00fcrdig ist, dass Salmiak hei Gegenwart von Harnstoff als seiner w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sung statt in Octaedern in W\u00fcrfeln, uni Kochsalz statt in W\u00fcrfeln in Octaedern krystalli-sirt. Salpeters\u201elre f\u00e4llt den Harnstoff aus concentrirter, w\u00e4ssriger L\u00f6sung, als Veijt!u]ung, Her Harnstoff enth\u00e4lt mehr Stickstoff als irgend ein thierscLes Product; er besteht nach Prout aus: St-kstoff. .\t46,65\nKohonstoft . 19,97","page":584},{"file":"p0585.txt","language":"de","ocr_de":"S. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonderung. 585\nWasserstoff .\t6,65\nSauerstoff .\t\"26,65\nWoehler hat entdeekt, dass man den Harnstoff k\u00fcnstlich zusamrnensetzen kann, wenn man frisch gef\u00e4lltes cyanichtsaures Silberoxyd mit einer Aufl\u00f6sung von Chlorammonium \u00fcbergiesst. Hierbei verwandelt sich das Silbersalz in Chlorsilber, und statt des cyanichtsauren Ammoniaks, welches sich bilden sollte, entsteht Harnstoff. Auch entsteht er, wenn man Cyanichtsaures Bleioxyd mit caustischem Ammoniak behandelt; die so erhaltene Aufl\u00f6sung enth\u00e4lt vor dem Abdampfen noch cyanichtsaures Ammoniak und keinen Harnstoff, und erst nach dem Verdunsten der Aufl\u00f6sung verwandelt sich das Salz in Harnstoff. Woehler hat ferner gefunden, dass sich Ammoniakgas und cyanichtsaurer Dampf zu einer weissen, wolligen, fein krystallinischen Materie condensiren, welche cyanichtsaures Ammoniak ist, die sich aber heim Schmelzen, Kochen oder freiwilligen Verdunsten ihrer Aufl\u00f6sung in Harnstoff verwandelt. So bildet sich auch zuerst cyanichtsaures Ammoniak und aus diesem Harnstoff, wenn man cyanichte S\u00e4ure mit Wasser oder mit fl\u00fcssigem Ammoniak behandelt. Endlich entsteht Harnstoff, wenn man Cyangas in Wasser leitet und dieses sich damit zersetzt. Woehler in Berzelius Thierchemie, p. 356.\nPr\u00e9vost und Dumas haben die wichtige Entdeckung gemacht, dass sich der Harnstoff im Blute vorfindet nach der Exstirpation beider Nieren, so dass diese Materie im gesunden Blute eben darum nicht gefunden wird, weil sie best\u00e4ndig daraus abgeschieden wird. Nach Exstirpation beider Nieren treten die Zuf\u00e4lle am 3. Tage ein, n\u00e4mlich braune, reichliche und sehr fl\u00fcssige Stuhlg\u00e4nge und Erbrechen, Fieber mit erh\u00f6hter Temperatur bis 43\u00b0 Cent., zuweilen Sinken bis 33\u00b0. Der Puls wird klein, h\u00e4ufig und steigt bis 200; das Athmen h\u00e4ufig, kurz, zuletzt schwer. Am 5\u20149. Tag erfolgte der Tod. Man findet Ergiessung eines hellen Serums in den Hirnh\u00f6hlen, die Bronchien voll Schleim, die Leber entz\u00fcndet, die Gallenblase voll, den Darm voll fl\u00fcssigen, durch Galle gef\u00e4rbten Kothes, die Harnblase sehr zusammengezogen. Das Blut der operirteu Thiere (Hunde, Katzen, Kaninchen) war w\u00e4ssriger und enthielt Harnstoff, der durch Alkohol ausgezogen wurde. 5 Unzen Blut eines Hundes, der nur 2 Tage ohne Nieren lebte, gaben \u00fcber 20 Gran Harnstoff, 2 Unzen Katzenblut 10 Gran. Bibi, univers. 18. 208. Meckel\u2019s Archiv. 8. 325. Vau-quehn und Segalas haben diese Entdeckung best\u00e4tigt. Magendie, Journal der Physiol. 2. 354. Meckel\u2019s Archiv. 8. 22.9. Das Blut wurde getrocknet, der B\u00fcckstand ausgewaschen, das Wasser abgedunstet, der BRckstand mit Alkohol versetzt und diese neue Aufl\u00f6sung wieder abgedunstet. Hierbei ist jedoch die Vorsicht n\u00f6tliig, das Wasser in der K\u00e4lte und in dem durch die Schwefels\u00e4ure bewirkten leeren Raum verdunsten zu lassen. So erhielten sie aus dem Blute eines Hundes, dem 60 Stunden nach der Operation die Ader ge\u00f6ffnet wurde, -^-g Harnstoff. Diese wichtigen Thatsachen, die auch Mitscherlich mit Gmelin und Tiedemann (dessen Zeitschr. VA.) best\u00e4tigt hat, beweisen, dass die Ablagerung urin\u00f6ser Fl\u00fcssigkeiten in\n38*","page":585},{"file":"p0586.txt","language":"de","ocr_de":"586\t11. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nverschiedenen Organen nach aufgehobener Function der Nieren nicht immer eine Folge von in den Harnwegen aufgesogenem Harn ist. Vergl. Nysten recherches de Chimie et de physiol, pa-thol. Paris, 1811. p. 263. Meckel\u2019s Archie. 2. 678. Wo der Harnstoff gebildet wird, und von welchem Organ aus er im Blute sich verbreitet, ist unbekannt. Man kann jetzt nur die frage aufwerfen, ob er sich vielleicht in den Lungen bei der durch das Afhmen stattfindenden chemischen Ver\u00e4nderung des Blutes, und bei der Bildung edlerer Verbindungen erzeugt. Er kann aber auch in anderen Theilen hei Ausbildung der S\u00e4fte aus der genommenen Nahrung entstehen. Es w\u00e4re sehr wichtig, zu wissen, 'ob der Harnstoff nur aus zersetztem, schon vorher ausgebildetem Thierstoffe entsteht, und sich also auch bei hungernden Thieren erzeugt, oder oh er sich aus den Nahrungsstoffen als ein unbrauchbares Product des Verdauungsprocesses erzeugt. Tiedemann und Gmelin haben beobachtet, dass in einem ihrer Versuche mit dem Chylus das dem Osmazorn des Chylus beige-mischte Kochsalz statt in W\u00fcrfeln in Octaedern anschoss, w\u00e4hrend das Kochsalz in anderen F\u00e4llen w\u00fcrflig war. Hierbei k\u00f6nnte an den Harnstoff gedacht werden, 1. c. p. 2. p. 91. Um diess auszumittcln, m\u00fcsste man Thiere hungern lassen, dann die Nieren exstirpiren und das Blut auf Harnstoff untersuchen. Bei V\u00f6geln, die Tiedemann und Gmelin mit stickstofffreien Substanzen f\u00fctterten, nahm die Quantit\u00e4t des weissen Harns ab. a. a. O. 2. p.233. Es scheint indess Harnstoff auch ohne alle Nahrung im Blut sich durch Zersetzung von Thierstoll zu bilden; denn Lassaignk hat im Harn eines Verr\u00fcckten, der 18 Tage hungerte, die Be-standtheile des gesunden Harns gefunden. Journ. de chim. med. 1. 272. Der Harnstoff fehlt im Harn in mehreren Krankheiten, wie in Nervenzuf\u00e4llen, wo der Harn w\u00e4ssrig wird. Es fehlen dann die organischen \u00fftoffe und nur die Salze sind vorhanden. Im Diabetes mellitus enth\u00e4lt der Harn statt Harnstoff Traubenzucker, und jener kommt in dem Maasse wieder, als der Zuckergehalt des Harns sich vermindert. Hier wird der so stickstoffreiche Harnstoff durch eine Materie ersetzt, welche gar keinen Stickstoff enth\u00e4lt. Harnzucker besteht aus 3.9,.99 Kohlenstoff, 6,66 Wasserstoff und 53,33 Sauerstoff. Prout. Beim Diabetes insipidus, wo der Harn keinen Zucker enth\u00e4lt, ist der Harnstoff duich eine andere Materie ersetzt, die, gr\u00f6sstentheils durch Alkohol ausziehbar mit Osmazorn \u00fcbereink\u00f6mmt. In der allgemeinen Wassersucht des Zellgewebes, die man Anasarca nennt, enth\u00e4lt der Harn in dem Maasse Eiweissstoff und gerinnt \u00fcber dem Feuer, als Harnstoff darin fehlt. Namentlich wird der Harn eiweisshaltig hei der Bauchwassersucht bei der BiuGnT\u2019schen Degeneration der Nieren. Dagegen hat Marchand Harnstoff schon mehrmal in hydro-pischen Fl\u00fcssigkeiten gefunden. Muell. Arch. 1837. 440. Eiweissgehalt des Harns mit vermindertem Harnstoffgehalt hat man auch in der chronischen Leberentz\u00fcndung mit fortdauernder Verdauungsunordnung (Rose und Henry, Meckel\u2019s Archio. 2. 642.) so wie gegen das Ende aller abzehrenden Krankheiten bemerkt.\n2. Harns\u00e4ure. Acidum uriatm. Man gewinnt die Harns\u00e4ure","page":586},{"file":"p0587.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausccheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonderung, 587\naus dem Bodensatz des menschlichen Harns oder dem Harn der V\u00f6gel und Schlangen durch Aufl\u00f6sung des abgedampften Harns in erw\u00e4rmtem w\u00e4ssrigem Kali, uud schl\u00e4gt aus dem Filtrat die Harns\u00e4ure durch Salzs\u00e4ure nieder. (Gmelin Chemie. 4. 839.) Die Harns\u00e4ure bildet weisse, wenn unrein, gelbliche oder br\u00e4unliche, perlgl\u00e4nzende, feine Schuppen, sie ist gesehmack- und- geruchlos und r\u00f6thet feuchtes Lackmuspapier, sie braucht nach Prout mehr als ihr zehntausendfaches Gewicht kalten Wassers zur Aufl\u00f6sung, aber etwas weniger kochendes, ln Alkohol und Aether ist die Harns\u00e4ure unl\u00f6slich. Bei der trocknen Destillation wird sie zersetzt, es sub\u00fcmirt sich zuerst kohlensaures Ammoniak, darauf viel Cvan-wasserstoffs\u00e4ure und braunes Brand\u00f6l, und zuletzt sublimirt sich eine krystallinische Masse, Woehler\u2019s Cyans\u00e4ure. Zugleich enth\u00e4lt aber auch das Sublimat eine Menge Harnstoff, wie Woehler entdeckt hat. (Poggend. Ann. 15. 529. Berzel. Thierchemie p. 328.)\nist nach Prout\u2019s 2 Analysen:\nDie Zusammensetzung der Harns\u00e4ure Stickstoff\u2019 .\nKohlenstoff Wasserstoff Sauerstoff .\nDer warme Harn sich in einem\nsp\u00e4ter\n31,12\n39,87\n2,22\n26,77\ngleichen\nfr\u00fcher 40,25 34,25 2,75 -\t22,75\nenth\u00e4lt weit mehr Harns\u00e4ure aufgel\u00f6st, als Volum kochend heissen Wassers aufl\u00f6sen kann, was Prout bestimmt hat, die Harns\u00e4ure als harnsaures Ammoniak im Harn anzunehmen. Gleichwohl ist die aus erkaltendem Harn niederfallende Harns\u00e4ure freie S\u00e4ure. Nach Duvernoy {Untersuchungen \u00fcber den mensch. Urin. Stuftg. 1835. 8.) wird die Harns\u00e4ure durch den F\u00e4rbestoff des Harns im warmen Zustande aufgel\u00f6st erhalten. Der Niederschlag der Harns\u00e4ure aus dem erkaltenden Harn ist anfangs pulverig und grau, wird aber nach und nach rosenroth und krystallisirt beim Trocknen. Die r\u00f6th-liche oder ziegelmehlfarbige F\u00e4rbung der Harns\u00e4ure r\u00fchrt von der grossem Menge des mit der S\u00e4ure verbundenen F\u00e4rbestoffs her, bei intermittirenden Fiebern nimmt dieser rohe F\u00e4rbestoff der sich niederschlagenden Harns\u00e4ure zu. Es ist nach Berzelius noch sehr zweifelhaft, ob die rothe Farbe im Bodensatz der fie berhaften Harnarten, wie Prout meint, von eingemengtem purpursauren Ammoniak herr\u00fchrt (Purpurs\u00e4ure, wird durch Behandlung von Harns\u00e4ure mit Salpeters\u00e4ure k\u00fcnstlich erzeugt). Zwischen dem rohen und absetzenden kritischen Harn fand Duvernoy keinen wesentlichen Unterschied. Beide zeigen vermehrte S\u00e4ure-reaction, r\u00f6there F\u00e4rbung und grossem Harns\u00e4uregehalt. Der kritische Harn unterscheidet sich uur, dass er mehr Harns\u00e4ure enth\u00e4lt und sie leichter absetzt. Siehe \u00fcber alles dies Berzelius Thierchemie. 335. und Duvernoy a. a. O.\nLiebig und Woehler haben entdeckt, dass der Harnstoff in der Harns\u00e4ure in einer eigenen Verbindung praeexistirt, dass wenigstens Harnstoff nebst mehreren Producten aus der Harns\u00e4ure ausgeschieden werden kann. Poggend. Ann. 41. 561. Sie machten den Versuch, die von ihnen in der Harns\u00e4ure supponirte Verbindung durch Einwirkuiig einer oxydirenden Substanz zu zersetzen. Harns\u00e4ure mit Wasser zu d\u00fcnnem Brei anger\u00fchrt","page":587},{"file":"p0588.txt","language":"de","ocr_de":"588 II. Buch. Organ, client. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nwurde bis fast zum Sieden erhitzt, dann Bleisuperoxyd zugesetzt, worauf sich Kohlens\u00e4ure entwickelt. Aus der filtrirten farblosen Fl\u00fcssigkeit setzten sich heim Erkalten farblose oder gelbliche gl\u00e4nzendharte Crystalle ah. Es ist Allantoiss\u00e4ure, diese Substanz, welche man in der Allantoisfl\u00fcssigkeit der Wiederk\u00e4uer findet. Wurde die abgegossene Fl\u00fcssigkeit eingedampft und erkaltet, so schossen Crystalle von Harnstoff an. Das Bleisuperoxyd selbst ist in eine jweisse Masse ver\u00e4ndert worden und diese besteht: aus oxalsaurem Bleioxyd. Die Producte dieser Zersetzung sind also Allantoiss\u00e4ure, oder richtiger, da diese keine S\u00e4ure ist, Allantoin, Harnstoff, Oxals\u00e4ure und Kohlens\u00e4ure. Allantoin besteht aus: Kohlenstoff .\t.\t.\t30,66\tAtome\t4\nStickstoff .\t.\t.\t35,50\t-\t4\nWasserstoff\t.\t.\t3,75\t-\t6\nSauerstoff .\t.\t.\t30,08\t-\t3\nEine Verbindung, die sich auch als zusammengesetzt aus 4 Atomen Cyan mit 3 Atomen Wasser ansehen l\u00e4sst. Um oxalsau-ros Ammoniak zu werden, fehlen ihr die Elemente von 3 Atomen Wasser. Alkalien und Schwefels\u00e4ure verwandeln das Allantoin in oxalsaures Ammoniak. Nimmt man mit Liebig und Woehler an, dass unter den Zersetzungsproducten der Harns\u00e4ure der Harnstoff schon vorgebildet sei und zieht man\nvon\t\u00ef\tAtom Harns\u00e4ure\t=\tC 10\tN 8\tH\t8\t0 6\tab\n1\tAtom Harnstoff\t\u2014\tC 2\tN 4\tH\t8\t0\nso bleiben\tC8\tN 4\t0\t4\nDies sind aber die Elemente\tvon 4\tAtom Cyan und 4 Atom\nKohlenoxyd. Hiernach stellen sich Liebig und Woehler die Harns\u00e4ure als eine Verbindung von Harnstoff mit einem aus Cyan und Kohlenoxyd zusammengesetzten K\u00f6rper vor, der durch Bleisuperoxyd zerst\u00f6rt und in Oxals\u00e4ure und Allantoin umgewandelt wird.\nDer Harn derThiere ist von dem des Mensehen h\u00e4ufig durch das Verh\u00e4ltniss von Harnstoff' und Harns\u00e4ure verschieden. Der Harn der fleischfressenden S\u00e4ugethiere enth\u00e4lt Harnstoff und Harns\u00e4ure. Nach Vauquelin und Boisdet (Froriep\u2019s Notizen Nr. 272.) sollte er keine Harns\u00e4ure enthalten, allein Hieros ymi hat sie im Harn von Thieren des Katzengeschlechts gefunden. In 100 Thei-len Harn waren 13,220 Harnstoff mit Osmazom und freier Milchs\u00e4ure und 0,022 Harns\u00e4ure enthalten. Jahrb. der Chemie u. Phys. 1829. 3. 322. Der Harn der pflanzenfressenden S\u00e4ugethiere enth\u00e4lt Harnstoff, aber keine Harns\u00e4ure, an deren Stelle bei den grasfressenden Thieren Harnbenzoes\u00e4ure in harnbenzoesauren Salzen vorkommt. Der Harn der V\u00f6gel enth\u00e4lt sehr viel Harns\u00e4ure, die als zweifach harnsaures Ammoniak vorhanden ist; der Harn der fleischfressenden V\u00f6gel enth\u00e4lt nach Coindet Harnstoff, allein dieser fehlt in dem Harn der pflanzenfressenden V\u00f6gel, welcher saures harnsaures Ammoniak enth\u00e4lt. Im Harn des Strausses betr\u00e4gt die Harns\u00e4ure seines Gewichts. Bekanntlich ist der Vogelharn eine weisse, breiartige Fl\u00fcssigkeit, welche Farbe von dem harnsauren Ammonium herr\u00fchrt. Auch der Harn der Schlangen und Eidechsen ist weiss und der der Schlangen sogar bald nach der Ausleerung erdig-hart; er enth\u00e4lt harnsaure Salze, von Kali,","page":588},{"file":"p0589.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonderung. 589\nNatron und Ammoniak und etwas phosphorsauren Kalk, aber keine Spur von Harnstoff, den Scholz (Froriep\u2019s Notizen 13. 119.) auch nicht im Harn der Eidechse fand. Dagegen scheint der Harn der nackten Amphibien und Schildkr\u00f6ten ganz verschieden. Nach J. Davy\u2019s Untersuchung des Kr\u00f6ten- und Froschharns enth\u00e4lt dieser sehr w\u00e4ssrige Harn Kochsalz, Harnstoff und ein wenig phosphorsauren Kalk aufgel\u00f6st. Nach der Untersuchung einer bedeutenden Menge gelbbraunen Harns, der sich in der Blase einer grossen Testudo nigra (von den Gallopagos-Inseln lebend von Meyen mitgebracht) fand, durch Magnus und mich, enthielt dieser Schildkr\u00f6tenharn keine Spur von Harns\u00e4ure, dagegen 0,1 Proc. Harnstoff und einen braunen, in Wasser und Weingeist, Kali und Salzs\u00e4ure l\u00f6slichen F\u00e4rbestoff. Aus dieser Betrachtung ergiebt sich, dass die Bestandteile Harnstoff und Harns\u00e4ure, wovon der erstere 46, die letztere 40 Proc. Stickstoff enthalten, nicht constant nach der Nahrung der Thiere im Harn variiren. Nur zeigt sich hei den pflanzenfressenden S\u00e4ugethieren statt der Harns\u00e4ure die Harnbenzoes\u00e4ure, welche nur 7 Proc. Stickstoff enth\u00e4lt. Auch will Ghevbeul hei Hunden gefunden haben, dass hei anhaltender Pflanzenkost der Harn derselben dem der Herbivoren \u00e4hnlich werde, indem er keine Spur von Harns\u00e4ure und phosphorsaurem Kalk zeigte. Huenefeld physiol. Chemie. 1. 150. Unter den Krankheiten des Menschen ist es besonders die Gicht, wobei der Harn, gew\u00f6hnlich saurer und mehr Sedimente bildend, mehr Harns\u00e4ure enth\u00e4lt, wie denn auch die in den Gelenken der Gichtkranken entstehenden Knoten harnsaures Natron mit etwas harnsaurem Kalk sind. Bei dem die Gichtparoxysinen begleitenden Fieberzustande nimmt die S\u00e4ure des Harns, wie in andern F\u00e4llen, ab. Bebzelius Thierchemie. 380. Vergl. Nysten I. c. Auch der Schweiss der Gichtischen und Steinkranken enth\u00e4lt vielleicht Harns\u00e4ure.\nAlle diese Umst\u00e4nde machen es sehr wahrscheinlich, dass die Quelle der Harns\u00e4urebildung viel tiefer als an dem Ort ihrer Ausscheidung liegt, und dass sie in dem innigsten Verh\u00e4ltniss mit der Art des zugef\u00fchrten Nahrungsmaterials und der Blutbereitung stellt, wie sie sich denn auch im Harn, hei Pflanzennahrung, vermindert.\nIn der zuckrigen Harnruhr enth\u00e4lt der Harn, nach Woeuleb, zwar Harns\u00e4ure (Berzel. Jahresb. 6. 283., nach Wittstock scheint auch Harnbenzoes\u00e4ure darin zu seyn, wie bei den pflanzenfressenden S\u00e4ugethieren) aber dieser Harn enth\u00e4lt keinen Harnstoff, sondern statt dessen im Diabetes mellitus Harnzucker (stickstofffrei) und im Diabetes insipidus eine osmazomartige Materie.\nProut hat \u00fcber die elementare Zusammensetzung von Harnstoff, Harnzucker und Harns\u00e4ure folgende Verh\u00e4ltnisse mitgetheilt. Ann. de chim. phys. 10. 369. Meckel\u2019s Archiv. 4, 140.\nBestandteile\tHarnstoff\tHarnzucker\tHarns\u00e4ure\nWasserstoff . . .\t6,65\t6,66\t2,75\nKohlenstoff . . .\t19,97\t39,99\t34,25\nSauerstoff .\t26,65\t53,33\t22,75\nStickstoff\t46,65\t\t40,25","page":589},{"file":"p0590.txt","language":"de","ocr_de":"590 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nNack dieser Aufstellung enthielte der Zucker bei gleicher Quantit\u00e4t Wasserstoff doppelt so viel Kohlenstoff und Sauerstoff, als der Harnstoff, aber keinen Stickstoff.\n3.\tIm H arn der jungen Kinder (?) und der grasfressenden Thiere findet sich auch Ilarnhenzoes\u00e4ure, Urobenzoicum, als harnbenzoesaures Natron. Diese S\u00e4ure wird aus dem Harn jener Thiere nach dem Abdampfen durch Vermischen mit Salzs\u00e4ure gef\u00e4llt; sie bildet lange, durchsichtige, 4seitige Prismen, hat keinen oder nur schwach bittern Geschmack, r\u00f6thet feuchtes Lackmuspapier. Nach Liebig ist diese S\u00e4ure eine eigenthiimliche S\u00e4ure, und nicht bloss eine Verbindung von Benzoes\u00e4ure und thierischer Materie. Da sie bei der Zersetzung Ammoniak entwickelt, so geh\u00f6rt sie unter die stickstoffhaltigen Materien, Gmelin hat sie als Modification der Benzoes\u00e4ure noch unter den stickstofffreien aufgef\u00fchrt. Die Harnbenzoes\u00e4ure ist in kaltem Wasser schwer l\u00f6slich, mehr l\u00f6slich in kochend heissem Wasser; Alkohol l\u00f6st weit mehr auf, weniger Aether. Sic besteht nach Liebig aus Kohlenstoff 63,032, Wasserstoff 5,000, Stickstoff 7,337, Sauerstoff 24,631.\n4.\tMilchs\u00e4ure. Nach Berzelius ist die Milchs\u00e4ure ein allgemeines Product der freiwilligen Zerst\u00f6rung thierischer Stoffe innerhalb des K\u00f6rpers; sie bildet sich in grosser Menge in den Muskeln, wird vom Blut und dessen Alkali ges\u00e4ttigt, und in den Nieren des Menschen und der Thiere mit saurem Harn abgeschieden. Von ihr r\u00fchrt haupts\u00e4chlich die saure Beschaffenheit des Harns her, obgleich derselbe auch saures phosphorsaures Ammoniak und sauren phosphorsauren Kalk enth\u00e4lt. Berzelius Thierchemie. 338.\n5.\tSalze. Im menschlichen Harne kommen schwefelsaure und phosphorsaure Salze vor. Berzelius vermuthet, dass die S\u00e4uren in diesen Salzen durch die chemische Wirkung in den Nieren entstehen, weil in den \u00fcbrigen Fl\u00fcssigkeiten des K\u00f6rpers nur Spuren von schwefelsauren und sehr wenig phosphorsaure Vorkommen, w\u00e4hrend der Harn sehr viel von beiden enth\u00e4lt; jenes folgt jedoch nicht nothweudig aus diesem. Berzelius vermuthet, dass der im Faserstoff, Eiweiss etc. befindliche Schwefel in den Nieren in Schwefels\u00e4ure verwandelt werde, w\u00e4hrend sich die \u00fcbrigen Bestandtheile zu Ammoniak, Harnstoff etc. verbinden; dasselbe vermuthet er von dem Phosphor mehrerer festen Theile. Jm Harn der grasfressenden Thiere fehlen die phosphorsauren Salze, und statt ihrer sind kohlensaure. Kohlens\u00e4uregas ist nicht best\u00e4ndig im Menschenharn aufgel\u00f6st, wie Berzelius und Woeu-lkr\u2019s Versuche beweisen. Die Kiesels\u00e4ure des Harns scheint vom Trinkwasser herzur\u00fchren. Die in den Salzen des Harns enthaltenen Basen sind Kali; Natron, Ammoniak, Kalkerde, Talkerde. Die Salze sind Chlorkalium, Chlorammonium, phosphorsaurer Kalk (im Harn sauer, in den Knochen basisch), und eine geringe Menge Fluorcalcium, lieber Alles diess, so wie \u00fcber die zweifelhaften Bestandtheile des Harns, den in wasserfreiem Alkohol l\u00f6slichen Extractivstoff des Harns siehe Berzelius Thierchemie, woraus hier ein kurzer Auszug gegeben ist. lieber die Varia-tion der Menge der testen Theile des Urins nach der Nahrung,","page":590},{"file":"p0591.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonderung. 591\nohne R\u00fccksicht auf die qualitativen Bestandteile, hat Chossat eine sehr detaillirte Arbeit (Magendie\u2019s Journal 5. 65 \u2014 \u2018225.) geliefert, die keines Auszuges f\u00e4hig ist. Yergl. \u00fcber den Harn und die Harnbildung die in Meckel\u2019s ylrchiv 2. 629 \u2014 704. gesammelten Aufsatze. Prout, Meckel\u2019s Archiv 4. 140.\nNysten (I. c. und Meckel\u2019s Archiv. 2. 648.) hat den Harn nach der Verdauung, Urina chyli, mit dem wasserhellen und geschmacklosen Getr\u00e4nksharn Urina polus, verglichen. Letzterer enthielt 13 Mal weniger Harnstoff als der Verdauungsharn, 4 Mal weniger schwefelsaures, salzsaures, phosphorsaures Natron und Ammonium, 16 Mal weniger Harns\u00e4ure. Entz\u00fcndungsharn (Peritonitis) enthielt 3mal mehr Harnstoff als Verdauungsharn, mehr aufl\u00f6sliche Salze und viel Eiweiss, das im gesunden Harn nicht vorkommt. Im Froststadium eines Fiebers ist die Hautausd\u00fcnstung vermindert und der Harn w\u00e4ssriger, weniger, wie Berzelius glaubt, weil das Wasser, was mit der Hautausd\u00fcnstung sonst weggeht, nun mit dem Harn weggeht, denn es wird zur Zeit des Frostes wenig Harn abgesondert. Bei der weitern Entwickelung des Fiebers im Stadium der Hitze wird der Harn dunkler, und nun f\u00e4ngt er an von Quecksilberchlorid gef\u00e4llt zu werden, welches keinen Niederschlag bewirkt, so lange der Harn seine S\u00e4urereaction beh\u00e4lt. Je mehr sich der Zustand verschlimmert, um so ges\u00e4ttigter wird der Harn, und er f\u00e4ngt nun an von Alaun und zuletzt auch von Salpeters\u00e4ure gef\u00e4llt zu werden, was einen zunehmenden Eiweissgehalt anzeigt. Berzelius Thierehemie. 378. Wenn das Fieber vergeht, so stellt sich auf einmal die freie S\u00e4ure im Harn wieder her, und beim Erkalten setzt er Sediment ab, was man herk\u00f6mmlicher Weise Crisis durch den Harn nennt. (Doch fand Duvernoy den Fieberharn immer sauer.) Berzelius bemerkt, dass das Sediment keine ausgeleerten Krankheitsstoffe enth\u00e4lt, es ist nur etwas mehr als gew\u00f6hnlich von dem rothen F\u00e4rbestoff) und zuweilen etwas Salpeters\u00e4ure in unbekannter Verbindung. Bei Fiebern mit regelm\u00e4ssigen Paroxysmen bietet der Harn in jedem Paroxysmus diese 3 Zust\u00e4nde nach einander dar.\nII. Zuf\u00e4llige Bestandtheile des Harns.\nWoehler hat eine Reihe sorgf\u00e4ltiger Versuche \u00fcber den Uebergang von Substanzen aus dem Darmkanal in den Harn angestellt. Tiedemann\u2019s Zeitschrift. I. Bd. Die Resultate dieser Versuche sind folgende.\n1.\tMaterien, welche sich nicht im Harn wiederfinden lassen: Eisen, Blei, Weingeist, Schwefel\u00e4ther, Kainpher, Dippels\u00f6l, Moschus und die Farbestoffe von Cochenille, Lackmus, Saftgr\u00fcn und Alcanna. Auch die Kohlens\u00e4ure findet sich nach dem Genuss kohlens\u00e4urehaltiger Fl\u00fcssigkeiten nicht reichlicher im Harn.\n2.\tMaterien, die im ver\u00e4nderten, zersetzten Zustande im Harn Vorkommen : blausaures Eisenoxydkali in blausaures Eisenoxydulkali verwandelt, die Verbindungen des Kali und Natron mit Weingeist-, Citronen-, Aepfel- und Essigs\u00e4ure in kohlensaure Alkalien verwandelt; das hydrothionsaure Kali in schwefelsaures Kali gr\u00f6sstenlbeils verwandelt; Schwefel geht als Schwefels\u00e4ure und Hydrolhionss\u00e4ure in den Harn \u00fcber, Jod als hydriodsaures","page":591},{"file":"p0592.txt","language":"de","ocr_de":"592 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nSalz, Klees\u00e4ure, Weins\u00e4ure, Galluss\u00e4ure, Bernsteins\u00e4ure, Benzoes\u00e4ure mit Alkali verbunden; daher Sauren gegen Harnsteine gegeben auch fruchtlos seyn m\u00fcssen.\n3. Unver\u00e4ndert gehen in den Harn \u00fcber: kohlensaures, chlorsaures, salpetersaures und scbwefelblausaures Kali, hydrothionsau-res Kali (gr\u00f6sstentheils zersetzt), blausaures Eisenoxydulkali, Borax, salzsaurer Baryt, Kieselerdekali, -weinsaures Nickeloxydkali, viele F\u00e4rbestoffe, wie die von l\u00f6slichem (schwefelsaurem) Indigo, Gummigutt, Rhabarber, Krapp, Cainpechenholz, rothen R\u00fcben, Heidelbeeren, Maulbeeren, Kirschen, viele Riechstoffe, zum Theil ver\u00e4ndert, Terpenthin\u00f6l (nach Veilchen riechend), das Riechende von Wachholder, Baldrian, Asa foetida, Knoblauch, Bibergeil, Saffran, Opium, das bet\u00e4ubende Princip des Kaintschadalischen Fliegenschwamms, und im krankhaften Zustande auch fettes Oel. In den Harn kommen \u00fcbrigens nur aufgel\u00f6ste und keine k\u00f6rnige Stoffe \u00fcber. Ueber die unerwiesene Annahme von metastatischem Eiter im Blut und im Harn, siehe oben p. 273.\nDie Stoffe, welche nicht in den Harn \u00fcbergehen, werden entweder durch andere Wege, wie die Ausd\u00fcnstung, ausgeschieden, als der Kampher, oder werden schon im Darmkanal in einen unaufl\u00f6slichen Zustand versetzt.\nWoehler macht auch darauf aufmerksam, dass die Salze, welche durch den Urin ausgeleert werden, meist auch die Urinabsonderung bef\u00f6rdern. In Hinsicht anderer, sogenannter harntreibender Mittel macht er die gewiss von den A er/.ten zu beherzigende Bemerkung, dass manche derselben, wie die Digitalis, mit Unrecht in diesem Rufe stehen; denn diese wirkt nach Woehler, indem sie die Ursache der Wassersucht bebt, worauf das Wasser von selbst auf seinem gew\u00f6hnlichen Wege abgeschieden wird; so dass in diesem Sinne auch die China, bei Wassers\u00fcchten, die auf Wechselfieber folgen, angewandt, ein sogenanntes Diureticum w\u00e4re.\nNach den Untersuchungen von Woeheer ergiebt sich, dass die Nieren nicht bloss die Bestimmung haben, Harnstoff und Harns\u00e4ure abzuscheiden, sondern dass auch alle aufl\u00f6slichen, nicht fl\u00fcchtigen und nicht innerhalb des thierisehen K\u00f6rpers zersetzten Stoffe, besonders aber auch das \u00fcberfl\u00fcssige Wasser, durch sie ausgeschieden werden. Ist die Wasserausscheidung in den Nieren durch Wasserabsetzung in anderen Theilen, wie in der Wassersucht, verhindert, so wird der Harn eine ges\u00e4ttigtere Farbe von seinem gew\u00f6hnlichen Farbestoff annehmen, ohne dass diess etwas mehr, als Ausscheidung von weniger Wasser anzeigt.\nDie kohlensauren Alkalien machen den Harn alkalisch, l\u00f6sen die Harns\u00e4ure; ihre Darreichung ist ein ziemlich sicheres Mittel zur Bek\u00e4mpfung der harnsauren Diathese; da nun die Pflanzens\u00e4uren und pflanzensauren Alkalien bei dem Durchgang durch tliie-rische K\u00f6rper in den Harn in kohlensaure Alkalien verwandelt werden, so sind auch sie mit Erfolg bei der harnsauren Diathese des Harns anwendbar. Docli ist diese Di\u00e4t nur beim Harngries und kleinen Steinchen wohl anwendbar; denn wenn grosse Steine in der Blase sind, so werden durch einen alkalischen","page":592},{"file":"p0593.txt","language":"de","ocr_de":"8. Ausscheidung der zersetzten Stoffe. Harnabsonaerung. 593\nHarn die erdigen, phosphorsanren Salze im Harn unaufl\u00f6slich gemacht, und es k\u00f6nnen sich neue Niederschl\u00e4ge aus diesen Salzen um den Harnstein bilden. Woehler a. a. O. p. 317.\nDie Abscheidung des \u00fcberfl\u00fcssigen Wassers im Blute scheint ausserordentlich schnell zu geschehen und fast in dem Maass, als das Blut w\u00e4ssrige Fl\u00fcssigkeiten an einer andern Stelle aufnimmt. Das in den Magen gekommene Getr\u00e4nk wird gr\u00f6sstentheils im Magen schon aufgesogen und gelangt nicht einmal in Masse in den D\u00fcnndarm. Eben so schnell wird das gleichm\u00e4ssige Verh\u00e4ltniss der Zusammensetzung des Blutes durch die Ausscheidung des Wassers durch den Harn wieder hergestellt.\nlieber die Zeit des Uehergangs aufgel\u00f6ster Stoffe aus dem Darmkanal ins Blut und in den Harn siehe oben p. 246. Nach W-sthumb geht hlausaures Kali schon innerhalb 2\u201410 Minuten in den Harn \u00fcber. Stehbebger hat bei einem Knaben mit Inversio ve-\n\u00fcber die Zeit dieses Ueberganges mit angestellt. Tiedemahn\u2019s Zeitschrift. 2. 47.\nsicae urinariae Versuche verschiedenen Substanzen F\u00e4rberr\u00f6tbe zeigte sich Indigo.................\nnach\nRhabarber\t....................\nGalluss\u00e4ure...................................\nCarnpeschenholzabkochung......................\nf\u00e4rbendes Pnncip der Heidelbeeren ....\n\u2014\t\u2014 der schwarzen Kirschen .\nadstringirendes Princip der Herba uvae ursi .\nPulpa Cassiae fistulae........................\nblausaures Eisenoxydulkali....................\nRoob Sainbuci.................................\nBei allen aus dem Darmkanai in den Darm Substanzen war ein Wendepunkt in ihrer Ausscheidung mit dem Urin zu bemerken. Dieser trat ein: mit F\u00e4rberr\u00f6tbe.....................\n\u2014\tschwarzen Kirschen .\n\u2014\tlndigotinctur ....\n15 Min.\n\u2014\t15\t\u2014\n\u2014\t20\t\u2014\n\u2014\t20\t\u2014\n.\t\u2014\t25\t\u2014\n\u2014\t30\t\u2014\n\u2014\t45\t-\n\u2014\t45\t\u2014\n.\t\u2014\t55\t\u2014\n.\t\u2014\t60\t\u2014\n\u2014\t75\t\u2014\n\u00fcbergegangenen\n\u00b1X\nx4\nDas\n\u2014 Carnpeschenholzabkochung \u2014 Rhabarbertinctur .\n\u2014 Herba uvae ursi ....\t\u2014\t1^\t\u2014\n\u2014 Heidelbeeren ....\n\u2014 Galluss\u00e4ure..............\n\u2014 Pulna Cassiae fistulae\ng\u00e4nzliche Verschwinden der Substanzen im Harn trat ein: bei blausaurem Eisenoxydulkali nach\nnach 1 Stunde.\n-\tH -\n\u2014\tn \u2014\n\u2014 2-1-\u2014\t4\n3| Stunden.\n\u2014 Indigo\t\t- 4*\n\u2014 Rhabarber\t\t- 6i\n\u2014 Carnpeschenholzabkochung\t- 6f\n\u2014 Herba uvae ursi ....\t- n\n\u2014 Heidelbeeren\t\t- 8f\n\u2014 F\u00e4rber\u00f6the\t\t\u2014\t9\n\u2014 Galluss\u00e4ure\t\t\u2014 11\n\u2014 Pulpa Cassiae fistulae\n24\t\u2014\nDer Harn sammelt sich in der Urinblase, deren Sphincter,","page":593},{"file":"p0594.txt","language":"de","ocr_de":"594 II. Buch. Organ, chem. Processe. IV. Abschnitt. Verdauung.\nwie der Sphincter ani in der Regel geschlossen ist. Wenn die Quantit\u00e4t des Harnes gr\u00f6sser geworden ist, wird die Wirkung des Sphincters geschw\u00e4cht; es entstehen Zusammenziehungen des Grundes der Blase. Wir k\u00f6nnen indess durch die Wirkung des Musculns pubo-urethralis, und vielleicht auch durch willk\u00fchrlich verst\u00e4rkte Zusammenziehung des Sphincters den Ilarn zur\u00fcckhalten. Bei der willk\u00fchrlichen Entleerung des Harnes wird dieser unter Mitwirkung des Zwerchfelles und der Bauchmuskeln, welche die Bauchh\u00f6hle verengen, ausgetrieben. Die Contraction der Urinblase ist zwar nicht best\u00e4ndig dem Willen unterworfen; aber bei der allm\u00e4hlig verst\u00e4rkten Reizung der Blase, verm\u00f6ge des angesammelten Harnes, scheinen wir einigen willk\u00fchrlichen Einfluss auf ihre Zusammenziehung zu erhalten. \u2014 Erection und Harnlassen schliessen sich aus. Bei der L\u00e4hmung des untern Theiles des R\u00fcckenmarkes entsteht Incontinentia urinae.","page":594},{"file":"p0595.txt","language":"de","ocr_de":"s p e c i e 11\ne n\nDrift\nPhysiologie\ns Mi u c h.\nPhysik der Nerven","page":595},{"file":"p0596.txt","language":"de","ocr_de":"/. Abschnitt. Von den Eigenschaften der Nerven im Allgemeinen.\nI.\tVom Bau der Nerven.\nII.\tVon der Reizbarkeit der Nerven.\nIII.\tVon dem wirksamen Princip der Nerven.\nII.\tAbschnitt. Von den Empfindungsnerven, Bewegungs-,\nnerven und organischen Nerven.\nI.\tVon den sensitiven und motorischen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven.\nII.\tVon den sensitiven und motorischen Eigenschaften der Gehirnnerven.\nIII.\tVon den Eigenschaften des Nervus sympathicus.\nIII.\tAbschnitt. Von der Mechanik des Nervenprincips.\nI.\tMechanik der motorischen Nerven.\nII.\tMechanik der sensibeln Nerven.\nIII.\tVon der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen.\nIV.\tVon den Gesetzen der Wirkung und Leitung in dem Nervus sympathicus.\nV.\tVon den Sympathien.\nIV.\tAbschnitt. Von den Eigent\u00fcmlichkeiten der ein-\nzelnen Nerven.\n1.\tVon den Sinnesnerven.\nII.\tVom Nervus trigeminus.\nIII.\tVom Nervus oculomotorius, trochlearis und abducens.\nIV.\tVom Nervus facialis.\nV.\tVom Nervus glossopharyngeus.\nVI.\tVom Nervus vagus.\nVII.\tVom Nervus accessorius.\nVIII.\tVom Nervus hypoglossus.\nV.\tAbschnitt. Von den Central-thei leri des Nervensystems.\nI.\tVon den Centraltheilen des Nervensystems im Allgemeinen.\nII.\tVom R\u00fcckenmark.\nIII.\tVom Gehirn.","page":596},{"file":"p0597.txt","language":"de","ocr_de":"I) or s p c c i c I I e n Physiologie Drittes Bue h.\nPhysik der Nerven.\n]. Abschnitt. Von den Eigenschaften der Nerven irn Allgemeinen.\nI. Capitel. Vom Bau der Nerven.\nA. Von den H.iuptformen des Nervensystems.\n(Nach J. Mueller Nov. act. nat. cur. T.XIV. und Meckel\u2019s Archiv. 1828.)\nIn der Thierwelt zeigen sich haupts\u00e4chlich zwei Formen des Nervensystems, die der Wirhelthiere und die der Wirbellosen. Bei den ersteren ist das Gehirn undurchbohrt und l\u00e4uft in das R\u00fcckenmark aus ; bei den letzteren stellt das Gehirn immer einen Nervenring dar, durch welchen der Schlund durchgeht, und welcher \u00fcber dem Schlunde zum Gehirne anschwillt, aber auch unter dem Schlunde eine Anschwellung zeigt, von welcher der \u00fcbrige Theil des Nervensystems ausgeht, der entweder in einzelnen Nerven besteht, oder, wie bei den Ringelw\u00fcrmern, In-secten, Crustaceen und Spinnen, einen am Bauche, unter dem Darm verlaufenden, von Stelle zu Stelle in Knoten anschwellenden Strang darstellt. Die Frage, in welcher Art das Nervensystem der Wirbellosen dem der Wirhelthiere zu vergleichen sey, hat schon lange die Anatomen und Physiologen besch\u00e4ftigt. So haben Acrermann, Reil, Bichat in dem Gangliensystem der Wirbellosen eine Analogie mit dem Nervus sympathicus der Wirhelthiere erkennen wollen, und nach vielfachen hier\u00fcber gef\u00fchrten Verhandlungen haben abermals in der neuesten Zeit Serres und Desmouliks diese Analogie zwischen dem Nervus sympathicus der Wirhelthiere und dem Gangliensystem der Wirbellosen anfgestellt. Andrerseits haben Scarpa, Bl\u00fcmenbach, Cuvier,","page":597},{"file":"p0598.txt","language":"de","ocr_de":"598 III. Buch. Nervenphysik. I'Abschn, Eigenschaft end. N. im Allgem.\nGall, J. F. Meckel, jene Analogie mit besseren Gr\u00fcnden verworfen, und die meisten dieser Anatomen haben das Bauchmark der Gliederthiere ohne Weiteres dem R\u00fcckenmark der Wirbeltiere gleichgestellt. Meckel und Pu. von Walther \u00e4usserten sich sofort bestimmter dahin, dass die Fortsetzung des Hirns in den Rumpf hei den Wirbellosen als Vereinigung des sp\u00e4ter getrennten Nervensystems, des R\u00fcckenmarkes und des Nervus sympathicus der Fmgeweide zu betrachten sey, so tlass das Nervensystem der Wirbellosen, seiner Bedeutung nach beide Functionen enthaltend, hei den Mollusken sich mehr zu dem Typus des sympathischen Nerven, hei den Gliederthieren mehr zu dem Typus des R\u00fcckenmarkes hinneige.\nTreviranus und E. H. Weber endlich glaubten die Knoten der Ganglienkette der Gliederthiere nur als Knoten der R\u00fcckenmarksnerven anerkennen zu m\u00fcssen, so dass diese verbunden und verwachsen seven, die verbindenden Sti\u00e4nge aber lediglich als die ersten Rudimente des R\u00fcckenmarks der Wirbelthiere erscheinen.\nDiese Streitfrage wird nun entschieden dadurch, dass bei den meisten Gliederthieren, namentlich bei allen Insecten, ausser dem Bauchmarke oder der Ganglienkette der Bauchseite, ein zweites Nervensystem, welches lediglich den Eingeweiden bestimmt ist, vorkommt, und dass dieses Nervensystem, ebenfalls aus einer Reihe von feinen und kleineren Ganglien bestehend, auf dem Darmkanal und besonders auf dem Magen seine gr\u00f6sste Entwik-kelnng durch feine Geflechte erreicht, mit dem Gehirn aber durch Wurzeln zusammenh\u00e4ngt.\nSchon Meckel und Treviranus batten gelegentlich auf eine Analogie zwischen dem von Lyonet und Swammerdam beschriebenen, auf der Speiser\u00f6hre verlaufenden, unpaarigen Nervus recurrens und dem Nervus sympathicus hingewiesen. Doch ist dieser von Lyonet beschriebene Nerve nur die einfachste und un-ausgebildetste Form eines eigenth\u00fcmlichen Nervensystems, dessen entwickelte Formen ich fast bei allen Ordnungen der Insecten untersucht habe. In seinen ausgebildeten Formen entspringt dieses Nervensystem mit feinen Wurzeln vom Gehirn, und verl\u00e4uft, auf den R\u00fccken der Speiser\u00f6hre sich begebend, zwischen dieser und dem Herzen zum Magen, wo es ein besonderes Geflecht bildet, das von einein ziemlich starken Ganglion entspringt. Bei diesen entwickelten Formen ist der Magen- oder Centraltheil dieses Nervensystems immer st\u00e4rker als sein oberer Tlieil, der von kleineren Anschwellungen aus mit dem Gehirne zusammenh\u00e4ngt. Uebrigens zeigt der \u00fcber dem Darmkanal verlaufende Stamm manche Verschiedenheiten, er verl\u00e4uft bald einfach und unpaarig zum Magen, wo er sein Kn\u00f6tchen und Geflecht bildet, wie bei Dysticus u. A. ; bald sind zwei St\u00e4mmchen vorhanden, wie z. B. bei Gryllotalpa. Diese beiden Nerven schwellen hier an dem Muskelmagen zu Kn\u00f6tchen an. Bei dem von mir, in den iVoo. act. T. XIV., beschriebenen Exemplar vereinigten sich die beiden Str\u00e4nge in ein Kn\u00f6tchen, sp\u00e4ter sah ich beide Nerven mehrmals ganz getrennt und jeden sein Kn\u00f6tchen bilden. Die erstere Variet\u00e4t sab ich nicht wieder. Durch Brandt\u2019s Unter-","page":598},{"file":"p0599.txt","language":"de","ocr_de":"1. Vom Hau der Nerven. Hauptformen des Nervensystems. 5.99\nsucliungen ist die Kenntniss der Eingeweidenerven der Insecten, Crustaceen, Mollusken und Ringelw\u00fcrmer sehr erweitert worden. Derselbe hat gezeigt, dass es zwei Systeme von Eingeweidenerven bei den Insecten giebt, wovon das eine paarig, das andere unpaarig ist. Beide stehen mit dem Hirn in Verbindung. Das paarige bildet Kn\u00f6tchen auf der Speiser\u00f6hre, zuweilen auch jeder-seits aut dem Magen, das unpaarige ist oft wenig entwickelt, wenn es das paarige ist, und umgekehrt. Ist das unpaarige stark entwickelt, so bildet es einen unpaaren Knoten auf dem Magen. Mem. de l\u2019acad. de Petersb. 3. Ami. d. sc. nat. 5. 81.\nSpuren des Nervensystems finden sich nach Ehrenrerg\u2019s Entdeckungen schon bei den Infusorien, wenigstens den R\u00e4derthie-ren. Vergl. oben p. 43. Unter den bekannteren Formen des Nervensystems der niederen Thiere kann man folgende Typen unterscheiden.\nI. Typus der Radiarien.\nStrahlig peripherische Gliederung, gleiche Theile in derPeripherie eines Centrums.\nDie Urform des Nervensystems ist der Ring, dasjenige, was wir bei den wirbellosen Thieren den Schlundring nennen. In seiner einfachsten Form erscheint er bei den Radiarien; er ist noch ohne Ganglien, oline Fortsetzung zu einem Markstrange. Gem\u00e4ss der strahligen Eintheilung und Zusammensetzung des Thiers ist auch die Verbreitung seiner Nerven\u00e4ste angeordnet. So wenig das Thier in einen gegliederten Leib sich fortsetzt, so wenig kann hier eine Fortsetzung des Schlundrings in einen Markstrang auftreten. Wiederholung derselben thierischen Theile in der Peripherie des Kreises ist hier die Urform des Thieres; unter diesen Bedingungen sind alle Nerven des Schlundrings gleich, keiner ist vorzugsweise Markstrang, kein Theil des Schlundrings vorzugsweise Hirn. Alle die strahligen Aeste eines Nerven-kreises, wovon keiner die Priorit\u00e4t hat, sind zusammen dasjenige, was bei den h\u00f6heren Thieren die Fortsetzung des Schlundring? in den Markstrang ist.\nII. Typus der Eingeweideth iere, Mollusken.\nUntergang der Gliederung in einen muskul\u00f6sen Eingeweidesaclt.\nIn der Abtheilung der Weichthiere oder Eingeweide-hiere erleidet diese Urbildung Ver\u00e4nderungen, welche nur den Ver\u00e4nderungen der gesammten Organisation entsprechen. Die-\u2019ymme-trie des strahligen Typus hat aufgeh\u00f6rt, und der Mangel der den \u00fcbrigen Wirbellosen eigenth\u00fcmlichen Gliederung ist einer ihrer wesentlichsten Charactere. Das Weichthier ist nur ein Con-volut von Eingeweiden, so viel ihrer noting sind zum Bestehen einer thierischen Individualit\u00e4t, deren sensible Functionen meist auf ein unbeholfenes Tasten und F\u00fchlen, und eme tr\u00e4ge Ortsbewegung hinauslaufen.\nDer Schlundring erscheint auch hierals Urform, seine gleichen, strahligen Nerven f\u00fcr gleiche, pe-pberische Theile hat er mit diesen abgelegt. Es giebt Sinnes'erven; Eingeweidenerven Muller\u2019s Physiologie, 1,\t39","page":599},{"file":"p0600.txt","language":"de","ocr_de":"600 III.Buch. Nervenphysik. I.Abschn. Eigenschaften d.N.im Allgem.\nund Muskelnerven und da die Eingeweide ohne svmmetrische Lage und Folge zusammengehalten sind, auch eine successive Reihe ortsbewegender Glieder Fehlt? so bedarf es keines gegliederten Nervensystems.\nAlle Ausbildung des Nervensystems erscheint hier in der Entwickelung des Schlundringes und seiner Nerven zu Ganglien, welche die Centra f\u00fcr die Ausstrahlung des Nervenmarkes werden. Die Stufen der Ausbildung sind in dieser Sph\u00e4re folgende:\n1.\tObere und untere Anschwellung des Schlundringes (Gaste-ropoden); seitliche Ganglien am Schlundring mit zerstreuten Anschwellungen der von diesen ausgehenden Nerven (Acephalen).\n2.\tDer Schlundring als massive Hirnmasse, Cephalopoden.\n]U. Typus der Gliederthiere.\nSuccession \u00e4hnlicher oder gleicher Glieder, mit \u00e4hnlichem oder gleichem ln-halte. L\u00e4ngcngliederung.\nln der \u00c4htheilung der Gliederthiere ist die Wiederholung gleicher oder \u00e4hnlicher Theile in der L\u00e4ngenrichtung der Grund-character. Das Thier besteht aus einer successiven Gliederung \u00e4hnlicher oder gleicher Ringe, welche ebenfalls \u00e4hnliche oder gleiche Theile des Gef\u00e4sssystems, der Eingeweide enthalten. Die Eingeweide sind nicht mehr als ein Convolut durch einen muskul\u00f6sen Sack verbunden, sie erstrecken sich vorzugsweise in einer Dimension, der L\u00e4nge, der muskul\u00f6se Sack ist in eine grosse Menge einzelner Muskeln f\u00fcr die articulirten Theile zerfallen. Unter diesen Bedingungen m\u00fcssen sich der Schlundring und seine Knoten wiederholen, als Bauchstrang und Markknoten des gegliederten Leibes. Es geh\u00f6ren hieher die Anneliden, Insecten, Spinnen, Crustaceen.\nBei allen Insecten, Spinnen, Crustaceen und Anneliden scheint \u00fcbrigens das Gehirn ohne Ausnahme \u00fcber dem Schlunde zu liegen *) Bei den Insecten tritt ausserdem deutlicher schon das besondere Nervensystem der Eingeweide auf dem R\u00fccken des Darmkanals auf, das auf dem Magen seine gr\u00f6sste Entvvicke-hng erreicht, und mit dem Gehirne und Bauchmarke durch Wurzeln zusammen h\u00e4ngt.\nIn der Metamorphose der Larve zur Chrysalide und zum vollkommenen Insect schliessen sich mehrere Knoten zusam-rnen, einzelne Knoten verschwinden, andere verschmelzen, nach den Bed\u00fcrfnissen h\u00f6her entwickelter Theile. S. oben p. 377.\n\u00aeei einzelnen Insecten sind alle Knoten und Schlingen des Bauchmaekes zu einem soliden Markstrange vereinigt, von dem alle Nerve, des gegliederten Leibes strahlig ausgehen, und der durch len n0ch offenen Schlundring mit dem Hirngan-\n) Beim Scorpion tl.;u Jer Schlumt auch durch den Schlundring; aber er untere oder .,,tcre \u2019Ihcil des Gehirns ist gr\u00f6sser als der vordere, was mich fr\u00fcher zu jei. unrichtigen Ansicht leitete, dass das Gehirn nn-ter dtui Schlunde liwe. Auch bei den Phasmen ist diess, wo ich es im Jahre 1826 zu seh^ glaubte, nicht, sondern nach neuerer Untersuchung wie bei allen Vierten.","page":600},{"file":"p0601.txt","language":"de","ocr_de":"I. Vom Bau tier Nerven, feinerer Bau der Nerven.\n601\nglion verbunden ist. So bei dem Nashornk\u00e4fer,- selbst im Larvenzustande.\nHier siebt man die Strangbildung mit den Knoten in einen einfachen Strang \u00fcbergehen und es scheint das Gehirn mit dem R\u00fcckenmarke in der That morphologisch nicht so sehr von dem Nervensystem der Wirbellosen verschieden. Es bleibt nur jene den Wirbellosen eigenth\u00fcmliche Bildung, dass der Schlundring der Speiser\u00f6hre zum Durchg\u00e4nge dient. Andrerseits sehen wir, dass bei niederen Wirbelthieren an den Ursprungsstellen (betr\u00e4chtlicher Nervenrnassen aus dem R\u00fcckenmarke die Knotenbildung an diesem wieder erscheint, wovon die mehrfachen Ganglien am Halsmarke derTriglen ein Beispiel geben, wie denn auch die Anschwellungen am Urspr\u00fcnge der Arm- und Schenkelnerven bei den Schildkr\u00f6ten, bei den V\u00f6geln und S\u00e4uge-thieren hieher geh\u00f6ren.\nAuch auf die Gleichstellung des Nervensystems der Mollusken mit dem sympathischen Nerven der Wirbellhiere k\u00f6nnen wir keinen Werth legen. Der Mangel der Ganglienkette bei diesen Thieren ist eine Folge der Abwesenheit des gegliederten Rumpfes. Die Vereinigung dieser Ganglien in eine Kette ist etwas Zuf\u00e4lliges, d. h. nicht im Nervensystem selbst wesentlich Gelegenes, nur von der Gliederung Abh\u00e4ngiges. So kann in der Classe der Gliederthiere, bei dem Untergange oder dem Zur\u00fccktreten der gegliederten Bildung, die Ganglienkette durch zerstreute Ganglien der Hirnnerven, in der Art wie bei den Mollusken, ersetzt werden, wie diess bei den Phalangien der Fall ist. Die Ganglien der Mollusken sind daher zum Theil Ganglien der Eingeweidenerven, den Bildungsprocessen bestimmt, andern Theils sind die Hirnnerven und ihre Ganglien, welche in den Bewegungsorganen, wie im Mantel (Sepien), sich verbreiten und der willk\u00fchrlichen Bestimmung f\u00e4llig sind, durchaus dasselbe, was bei den Glie-derthieren die Muskelnerven der Ganglienkette, und ganz von aller Gleichstellung mit Eingeweidenerven auszuschliessen.\nb. Von dem feinem Ban der Nerven.\nPrimitivfasern der Nerven. Die Nerven bestehen aus kleineren und gr\u00f6sseren, parallel neben einander liegenden B\u00fcndeln, welche ein h\u00e4utiges Neurilem besitzen, in der L\u00e4nge eines Stranges zuweilen von Stelle zu Stelle Zusammenh\u00e4ngen, w\u00e4hrend die im Innern dieser B\u00fcndel liegenden Primitivfasern der Nerven nur parallel aneinanderliegen und sich nicht mit einander verbinden, sondern selbst da, wo die B\u00fcndel zu anastomosiren scheinen, nur aus einem B\u00fcndel in das andere \u00fcbergehen, um sich anderen Fasern anzulegen. Die Primitivfasern der Nerven sind sich bei verschiedenen Thieren sehr \u00e4hnlich an Form und St\u00e4rke; bei keinem Thiere bestehen sie aus aggregirten K\u00fcgelchen, sondern immer stellen sie einfache F\u00e4den dar. Nach lVRAysE betragen die Primitivf\u00e4scrn der Nerven des Menschen 4J(I\u2014 ;\u201e Par. Lin., nach R. Wagner , die des Frosches nach Demselben y\u00ffy. Indess der Durchmesser dieser Fasern ist aussei ordentlich ver-\n.'{.<) *","page":601},{"file":"p0602.txt","language":"de","ocr_de":"602 III. Buch. Neroenphysik. I. Abschn. Eigenschaftend. N.im Allgem.\nschieden und oft sind sie sehr viel feiner, besonders die grauen organischen Fasern. Die Capillargef\u00e4sse verbreiten sich nicht mehr auf den Primilivfasern der Nerven, denn sie sind selbst st\u00e4rker als diese, und sie gehen mit ihren Netzen nur zwischen diesen Elementarf\u00e4den hin.\nFontana scheint der erste gewesen zu seyn, welcher eine .-ranz richtige Vorstellung von dem feinem Bau dieser Primitivfasern hatte. Fontana \u00fcber das Viperngift. Berlin 1787. 369. Er unterschied an den Primitivfasern eine \u00e4ussere R\u00f6hre und einen festen Inhalt der R\u00f6hre, die R\u00f6hre ist hei starken Vergr\u00f6sserun-gen runzelig, der darin liegende Faden ist glatt, homogen. Es gelang ihm an einzelnen Cylindern die R\u00f6hre von dem festen Inhalte abzusondern, p. 369. heisst es: \u201eDie Nerven oder ihre Enden waren im Wasser und ich schob die Spitze der Nadel l\u00e4ngs dem Nerven hinunter, urn die Cylinder zu zerreissen, oder sie einigermassen von den Ungleichheiten zu befreien, von denen die Rede ist; und in der That gelang es mir endlich einen zu zu sehen, welcher die Gestalt hat, die man in der Fig. 6. sieht. Ungef\u00e4hr die H\u00e4lfte dieses Cylinders bestand aus einem durchsichtigen und gleichf\u00f6rmigen Faden und die andere H\u00e4lfte war fast doppelt so dick, nicht so durchsichtig, ungleich, h\u00f6ckerig. Ich vermutlieie jetzt, dass der urspr\u00fcngliche Nervencylinder aus einem durchsichtigen Cylinder best\u00e4nde, der kleiner, gleichf\u00f6rmiger und mit einer andern Substanz vielleicht von zellenh\u00e4utiger Natur bedeckt w\u00e4re. Die Beobachtungen, die ich seit der Zeit machte, best\u00e4tigten mich immer mehr in dieser Hypothese, welche endlich eine ausgemachte Wahrheit wurde. Ich habe in vielen F\u00e4llen diese beiden Theile gesehen, welche den urspr\u00fcnglichen Nervencylinder ausmachen. Der eine ist ganz ausw\u00e4rts ungleich und h\u00f6ckerig; der andere ist ein Cylinder, der aus einer beson-dern, durchsichtigen, homogenen Haut gebildet zu seyn scheint, welche mit einer gallertartigen Feuchtigkeit, die eine gewisse Consistenz hat, angef\u00fcllt ist.\u201d Fontana stellt dann die urspr\u00fcnglichen Cylinder in Abbildungen dar, wo sie stellenweise von der R\u00f6hre noch bedeckt, stellenweise von der R\u00f6hre unbedeckt sind. Mit diesen Beobachtungen von Fontana stimmen die neueren von Reuak. ganz \u00fcberein, welcher selbst zuerst auf diese Stelle von Fontana aufmerksam macht. Er sah den Inhalt der Nervenr\u00f6hren als einen wenig schm\u00e4lern ganz soliden Faden oder als ein plattes blasses Band, das sich von der leicht runzelnden R\u00f6hre in grossen Strecken durch Druck isoliren l\u00e4sst. Es ist ihm nicht gelungert, eine feine faserige Structur an diesem Band zu erkennen; gleichwohl zersplittert es zuweilen. Mueli.. Archiv. 1837. p. 1b . Bei der grossen St\u00e4rke der sogenannten Primitivfasern der Nerven gegen die viel feinem Elementartheile der Muskeln, des Zellgewebes u. a. Gewebe ist es noch zweifelhaft, ob man den in der primitiven Nervenr\u00f6hre enthaltenen Faden f\u00fcr das feinste Element der Nerven halten kann. Schwann sah in Fasern von der Dicke der Primitivfasern im Mesenttrium des Frosches noch viel feinere Fasern und sie aus jenen hervorgehen. Treviranus sah in manchen Nervenr\u00f6hren der L\u00e4nge nach Streifen herablaufen, er sah","page":602},{"file":"p0603.txt","language":"de","ocr_de":"1. Vom Bau der Nerven. Feinerer Bau der Nerven. 603\nsogar deutlich kleinere Elementarcylinder in den sogenannten Primitivfasern, erstere von 0,0013 Milk, letztere von 0,0053 in einem Spinalnerven der Karausche. Beim Kaninchen waren die Elementarcylinder 0,0016, die sie einschliessenden starkem Cylinder oder sogenannten Primitivfasern 0,0099.\nHirnfasern. Forer a va hatte zwar R\u00f6hren im Gehirn erkannt, die mit einer gallertartigen Feuchtigkeit gef\u00fcllt seien, p. 373. aber seine Vorstellung von darm\u00e4hnlichen Windungen dieser Can\u00e4le ist ganz unrichtig. Auf diese Biegungen hat er zu viel Gewicht gelegt; denn die Primitivfasern des Gehirns und R\u00fcckenmarks oder die primitiven R\u00f6hren desselben laufen mehren-tlieils ziemlich gerade und die Biegungen entstehen k\u00fcnstlich durch die Vorbereitung zur Untersuchung. Dagegen hat Ehrenberg das Verdienst, den r\u00f6hrigen Bau der Hirnfasern und ihre Anordnung im Gehirn und R\u00fcckenmark sehr genau beschrieben zu haben. Die r\u00f6hrigen Fasern verlaufen meist gerade und anastomosiren nicht. Nur sehr selten sah man Theilungen (wie zuweilen im R\u00fcckenmark). Doch mag es auch im Gehirn \u00f6fter Vorkommen, da sich die Masse des Stammtheils der Fasern von der Medulla oblongata bis zum Stabkranz offenbar vermehrt. Ueber den Inhalt der zarth\u00e4utigen R\u00f6hren war man bisher noch nicht ganz im Klaren. Sein Ansehen erscheint mehr gallertartig als fest, einigen erschien er sogar von \u00f6liger Con-sistenz. Nach Remar ist der Inhalt dieser R\u00f6hren, wie in den Nerven ein Faden, aber wie die R\u00f6hre selbst von sehr viel zarterer Beschaffenheit als in den Nerven. Die primitiven |Fa-sern oder R\u00f6hren des Gehirns und R\u00fcckenmarks und diejenigen des Sehnerven, Riechnerven und Geruchsnerven haben eine Eigent\u00fcmlichkeit vor den Primitivfasern anderer Nerven voraus, welche von Ehrenberg entdeckt wurde. Poggend. Ann. XXVIII. lift. 3. Ahhandl. d. K. Akademie d. Wissensch. zu Berlin aus d. J. 1834. Berlin 1836. p. 605. Sie erscheinen n\u00e4mlich bei der leichtesten Compression stellenweise angeschwollen und die Zwischenstellen verd\u00fcnnt, daher perlschnurartig. Fasern oder R\u00f6hren von dieser Beschaffenheit nennt man varic\u00f6s. Ehrenberg sah solche varicose Fasern nur im Gehirn und R\u00fcckenmark, in den h\u00f6heren Sinnesnerven und zum Theil im Nervus sympathicus; die st\u00e4rkeren cylindrischen Fasern, an welchen auch die Wand der R\u00f6hre deutlicher ist, sah Ehrenberg in den \u00fcbrigen Nerven; der Nervus sympathicus zeigte varicose und cylindrische Fasern zugleich. Es schien anfangs, dass sich nach dieser Verschiedenheit die Nerven w\u00fcrden eintheilen lassen. Allerdings zeigt die Neigung der R\u00f6hren Varicosit\u00e4ten zu bilden etwas Eigent\u00fcmliches an. Aber sie h\u00e4ngt, wie es scheint, bloss von der grossem Zartheit der W\u00e4nde der R\u00f6hren ab. Auch sind die Primitivfasern im Gehirn, R\u00fcckenmark und den h\u00f6heren Sinnesnerven, ohne Druck untersucht, gleichf\u00f6rmig und ohne Varicosit\u00e4ten und die Fasern der \u00fcbrigen Nerven zeigen hinwieder zuweilen beim Druck Varicosit\u00e4ten. Trevirantjs fand im frischen Zustande \u00fcberall, im Gehirn wie in den Nerven meist gerade, nicht angeschwollene Fasern. Beitr\u00e4ge zur Aufkl\u00e4rung des organischen Le-","page":603},{"file":"p0604.txt","language":"de","ocr_de":"604 III. Buch. Nervenphysik. I. Ahschn. Eigenschaften d. N. im Allgem.\nlens. Bremen II. Volkmann sah die varic\u00f6sen Fasern in den Sinnesnerven nicht constant. Neue Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Gesichtssinnes. Lapz. 1836. Auch Beobachtungen von Lauth und Remak (Muell. yJrch. 1836. 145.) Hessen erkennen, dass eine Ordnung der Nerven nach der varic\u00f6sen oder cylindrischen Beschaffenheit der Fasern nicht wohl m\u00f6glich sei, indem einzelne varicose Fasern bald h\u00e4ufiger, bald seltener in den verschiedensten Nerven wahrgenommen wurden. Eine und dieselbe Faser zeigte zuweilen stellenweise das varicose Ansehen und die Nervenfasern junger Thiere sind im Allgemeinen mehr zu dieser Erscheinung geneigt. Zufolge der Beobachtungen von Treviranus, Valentin, Weber sind die Fasern des Gehirns, R\u00fcckenmarks, der Sinnesnerven und aller Nerven im ganz frischen Zustande ganz gleichf\u00f6rmig und, ohne Anschwellungen, aber man erzeugt sie durch Druck. So leicht man varicose Fasern im Gehirn und R\u00fcckenmark sieht, so ist es mir doch auch oft gelungen, Lamellen mit so gcrinaer Quetschung abzuschneiden, dass die Fasern noch ganz gleichf\u00f6rmig und nicht varic\u00f6s waren und so sah ich sie auch gleich Anderen im Sehnerven und in der Nervenhaut. Mir schien die Quetschung gerade dann am gr\u00f6ssten und nachtheiligsten zu seyn, wenn man zu feine Bl\u00e4ttchen von der weichen Substanz des Gehirns abzuschneiden sucht. In der Valvula cerebolli hat man die sch\u00f6ne Gelegenheit ohne Schnitt in einer nat\u00fcrlichen d\u00fcnnen Platte von Gehirnsubstanz die Fasern zu untersuchen. So untersuchte sie Weber. Indessen bleibt es ein charakteristisches Merkmal der Hirnfasern und Fasern der Sinnesnerven, dass sie so leicht diese Form annehmen. Denn diese Eigenschaft theilen sie mit keinem andern Gewebe und sie kann hei ihrer Definition nicht ausser Acht gelassen werden. Wovon diese von Ehrenberg erkannte Eigenschaft abhange, ist noch nicht ganz klar. Das sehr dehnbare und elastische R\u00fcckenmark von Petromyzon fand ich in der Structur sehr abweichend. Es lasst sich leicht in Baden reissen. Es besteht grossenlheils aus band-artig ganz platten d\u00fcnnen F\u00e4den, deren Breite der Breite der Primitivlasern der Nerven des Ochsen gleicht. Ausser diesen sind noch feinere und andere viel feinere Fasern vorhanden.\nIPeisse und grime B\u00e4ndel in den Nerven. Est ist bekannt, dass die B\u00fcndel der Nervenfasern im Nervus sympathicus meist ein graues Ansehen haben, w\u00e4hrend diejenigen der Cerebrospinalnerven weiss sind. Aber auch die Cerebrospinalnerven enthalten einzelne graue B\u00fcndelchen unter den \u00fcbrigen weissen B\u00fcndelehen, wie man am Nervus Trigeminus der grossen Thiere, z. B. des Ochsen und des Pferdes sehr gut sieht. Diese grauen B\u00fcndelchen kommen vom N. sympathicus her und gehen in peripherischer Richtung aul den Cerebrospinalnerven fort, wie auf dem zweiten Ast des Trigeminus vom Nervus vidianus her, auf dem dritten Ast des Trigeminus vom Ganglion oticum her. Man kann es ebenso leicht an den Sacralnerven sehen, welche vom Sympathicus ein feines B\u00fcndelchen erhalten. Die Cerebrospinalnerven enthalten also weisse ihnen eigenth\u00fcmliche Fasern weiche von den vordem und hintern Wurzeln der Hirn- und R\u00fccken-","page":604},{"file":"p0605.txt","language":"de","ocr_de":"1. Bau der Nerven. ! einereStruvtur der Nerven. Primitivjasern. 605\nmarksnerven kommen und der Bewegung und Empfindung vorstehen, und ausser den weissen Fasern auch wenigere graue, welche vom Sympathicus oder organischen Nervensystem herr\u00fchren und wahrscheinlich den organischen Wirkungen der Nerven vorstehen. Diese Zusammensetzung, welche bereits in der vorigen Auflage dieses Werks aus den Beobachtungen von Retzius und mir f\u00fcr die Cerebrospinalnerven p. 651. erwiesen war, wurde ebendaselbst auch f\u00fcr den Nervus sympathicus wahrscheinlich gemacht, welcher mit beiden Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven zusammenh\u00e4ngt und von dort motorische und sensorielle Fasern empf\u00e4ngt, w\u00e4hrend die Ganglienbildung und das \u00fcberwiegend graue Ansehen diesem Nerven eigenthiimlich ist. Doch ist der Sympathicus an verschiedenen Stellen je nach seiner Zusammensetzung hinwieder sehr verschieden. Der Grenzstrang des Sympathicus und mehrere von ihm abgegebene Nerven sind noch etwas weisslich, gegen die von den grossen Ganglien kommenden F\u00e4den, wie ich bereits in der vorigen Auflage dieses Werks p. 651. bemerkt. Dagegen ist der carotische Theil des Sympathicus vorzugsweise grau, nur aus grauen F\u00e4den besteht zum Beispiel der an den Nervus abducens sich anschliessende Theil des Sympathicus. Auch die vom Ganglion oticum auf den Nervus bucci-natorius des Kalbes \u00fcbergebenden F\u00e4den sind ganz grau; der Nervus tensoris tympani weisslich. Remak hat an vielen Stellen des Sympathicus weisse und graue B\u00fcndel neben einander beobachtet, wovon die w'eissen wahrscheinlich als sensoriell und motorisch von den Cerebrospinalnerven in den Sympathicus eingemischt werden, die grauen aber den organischen Functionen wahrscheinlich bestimmt sind. Die graue Farbe der organischen Nerven r\u00fchrt von ihren Fasern selbst her, welche sich nach Remak\u2019s Beobachtungen durch ihreStruclur von den weissen unterscheiden. Die weissen Fasern sind nicht allein viel st\u00e4rker, bei ihnen ist auch immer der Gegensatz der R\u00fchre und des Inhaltes deutlich, die grauen Fasern sind viel feiner, auffallend durchsichtig und man unterscheidet einen Gegensatz von R\u00f6hre und Inhalt nicht, vielmehr ist ihr Ansehen homogen. Ihre Oberfl\u00e4che ist hier und da mit ganz kleinen zerstreuten K\u00f6rnchen besetzt. Diese haben Aehnlichkeit mit den K\u00f6rnchen, womit die Zweigelchen der feinsten Gef\u00e4sse (z. B. im Gehirn) besetzt sind. Die hinteren sensoriellen und vorderen motorischen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven zeigen nach einer gemeinschaftlichen Beobachtung von Ehrenbehc und mir keine Unterschiede der Structur.\nPerlauf und Mischung der Fasern in den Nerven. Von ausserordentlicher Wichtigkeit ist die Kenntniss des Verlaufs der Pri-mitivfasern in den Nerven; denn so unentbehrlich auch die genaue Kenntniss der Verzweigung der NeFven ist, so handelt es sich zuletzt in der Physik der Nerven nur um die Frage, wo (fitT Prinjitivfasern, die in einem B\u00fcndel enthalten sind, entspringen, und wo sich ihre Enden befinden, und es ist wenigstens f\u00fcr viele Fragen der Physik der Nerven gleichg\u00fcltig, in vvelches B\u00fcndel diese Fasern hineintreten oder wie bald sie daraus hervortreten,","page":605},{"file":"p0606.txt","language":"de","ocr_de":"606 III. Buch. Ncrvenphysik. I.Alsclm. Eigenschaft en d.N.im Allgem.\nda sie, wie man bald sehen wird, von Anfang an darin selbstst\u00e4ndig und isolirt sind.\nDie erste und wichtigste Frage ist, ob, da die Nerven sich vielfach unter sich, und selbst die B\u00fcndel eines Nerven von Stelle zu Stelle Zusammenh\u00e4ngen, dasselbe von den in diesen Fasern enthaltenen Primitivfasern gilt. Verbinden sich die Primitivfasern unter sich niemals, so steht das Hirnende einer Primitivfaser immer auch nur mit einem einzigen peripherischen Ende im Zusammenhang, und dem peripherischen Ende entspricht nur eine einzige Stelle im Gehirn oder R\u00fcckenmark, und so viele Millionen Primitivfasern zu peripherischen Theilen hingehen, so viele peripherische Punkte des K\u00f6rpers sind im Gehirn repr\u00e4sentirt. Wenn aber die Primitivfasern theils in den B\u00fcndeln der Nerven, theils in den Anastomosen und Plexus Zusammenh\u00e4ngen, und nicht bloss juxtaponirt sind: so repr\u00e4sentirt das Hirnende einer Primitivfaser sehr viele peripherische Punkte, und zwar alle Punkte, deren Fasern unterwegs in einander fliessen. Da nun die Nerven \u00fcberall sich scheinbar verbinden, so w\u00fcrde, wenn sich auch die Primitivfasern verb\u00e4nden, fast so gut wie kein einziger Punkt des K\u00f6rpers im Gehirn isolirt und einzeln repr\u00e4sentirt werden, und die Reizung einer Primitivfaser in einem Punkte der Haut w\u00fcrde sich auf alle Verbindungen fortpflanzen m\u00fcssen, d. h. es w\u00fcrde nicht die Empfindung eines Punktes im Gehirn entstehen k\u00f6nnen. Denn die Empfindung eines Punktes im Gehirn b\u00e4ngt offenbar davon ab, dass da, wo das Bewusstseyn statt findet, auch nur durch Eine Faser und an Einem Ort ein Eindruck geschieht. Man sieht leicht ein, dass, wenn die Anastomosen der Nerven f\u00fcr die Leitung des Nervenprincips dieselbe Bedeutung h\u00e4tten, als die Anastomosen der Gef\u00e4sse, gar keine \u00f6rtliche Nervenwirkung vom Gehirn auf die peripherischen Theile, und von den peripherischen Theilen nach dem Gehirn stattlinden k\u00f6nnte. Die ganze M\u00f6glichkeit einer exacten Physik der Nerven h\u00e4ngt davon ab, ob die Primitivfasern dererven in den Anastomosen der B\u00fcndel oder Scheiden sich wirklich oder nicht verbinden. Schon Fontana und sp\u00e4ter Pr\u00e9vost und Dumas haben die Beobachtung gemacht, dass die Primitivfasern der Nerven sich in dem B\u00fcndel nicht mit einander verbinden, sondern nur neben einander fortgehen. Zu dieser Zeit hat man schwerlich schon eine Ahnung von der Wichtigkeit dieser Beobachtung f\u00fcr die Physik der Nerven gehabt. Vor einigen Jahren, zur selben Zeit, als ich meine Versuche \u00fcber die motorischen und sensi-beln Wurzeln der Nerven bekannt machte, besch\u00e4ftigte ich mich mit der Untersuchung jener Frage. Nat\u00fcrlich l\u00e4sst sich immer nur eine Strecke unter dem Mikroskop untersuchen. Durch Fortr\u00fccken von Stelle zu Stelle kann man aber eine gr\u00f6ssere Gewissheit erhalten, ob solche Verbindungen statthaben oder nicht. Nun ist es mir nie gelungen, bei Beobachtung der auseinandergespreizten Primitivfasern eines Ncrvenb\u00fcndelchens auf einem schwarzen Bl\u00e4ttchen unter dem einfachen Mikroskop solche Verbindungen zu sehen; immer liefen diese Fasern nebeneinander, \u00fcbereinander weg, und auch da, wo sich zwei B\u00fcndelchen ver-","page":606},{"file":"p0607.txt","language":"de","ocr_de":"1. Bau der Nerven. FeinereStructur d. Nerven. Primitivfasern. 607\nbanden, habe ich keine wirkliche Vereinigung der Fasern, sondern ganz deutlich eine ganz einfache Juxtaposition derselben sehen k\u00f6nnen. Man kann dieses Verhalten eigentlich schon aus der \u00e4ussern Beschaffenheit der Nerven vor und nach einer solchen Vereinigung erkennen. Wenn sich die Primitivfasern bei solchen Vereinigungen verbanden, also verschm\u00f6lzen und also an Zahl geringer w\u00fcrden, so m\u00fcsste das B\u00fcndel, welches aus der Vereinigung zweier hervorgeht, halb so d\u00fcnn seyn wie beide zusammen; es ist aber in diesen F\u00e4llen immer grade so dick wie beide B\u00fcndel zusammen (mit einziger Ausnahme des N. sympathies.) Bilden Nerven einen Plexus, so geht aus dem Plexus, trotz aller Kreuzung der Fasern, doch wieder so viel Nerven-masse hervor, als hereingetreten ist. Eben so verh\u00e4lt es sich hei der Verzweigung der Nerven. Ein Nerve, der einen Zweig ab-giebt, wird gerade so viel nach der Abgabe des Zweiges d\u00fcnner, als Nervenfasern von dem Stamm in den Zweig abgewichen sind; und man kann mit H\u00fclfe der feineren Zergliederung leicht sehen, dass bei der Abgabe eines Zweiges nicht etwa jede Faser selbst sich in 2 Theile theile, wovon der eine in dem Nerven bleibt, der andere in den Zweig \u00fcbergeht, sondern dass durch die Verzweigung nur die Vertheilung der im Stamm schon vorhandenen Nervenfasern abge\u00e4ndert wird; deswegen k\u00f6nnen auch in einem Stamm gar verschiedene Fasern zusammenliegen, empfindliche und motorische, und oft liegen Nerven\u00e4ste in dem ganzen Stamm schon vorgebildet da, welche mit den \u00fcbrigen Thei-len des Stamms weder eine Verbindung eingehen, noch Aelin-lichkeit der Eigenschaften damit besitzen. So z. B. betrachtet man den N. mylohyoideus, einen Muskelnerven, nur ganz roh als einen Ast des N. alveolaris inferior, eines Gef\u00fchlsnerven, denn diese beiden Nerven haben gar nichts mit einander gemein, als dass sie beisammen liegen ; und so ist es sehr oft. Man sieht, hieraus auch ein, dass Identit\u00e4t der Eigenschaften der B\u00fcndel in der Natur eines Nervenstammes gar nicht liegt, sondern dass er eher, namentlich in einiger Enfernung von seinem Ursprung vom Gehirn, eine sehr mannichfaltige Juxtaposition von ganz verschiedenen B\u00fcndeln seyn kann, je nachdem sich verschiedene B\u00fcndel, die zugleich einem Gliede bestimmt sind, an ihn gelegentlich an-schliessen.\nMit der eben hier er\u00f6rterten Ansicht von dem Verlauf der Primitivfasern vom Gehirn bis zu den peripherischen Thei-len steht eine Vorstellung im Widerspruch, dass n\u00e4mlich die Nerven bei ihrem Verlauf an Masse zunehmen sollen; diess ist aber ein Missverst\u00e4ndnis, welches von Soemmerimg herr\u00fchrt. Allerdings ist ein Nerve d\u00fcnner, so lange er noch innerhalb der Dura mater liegt, so lange er noch kein Neurilem besitzt. Nachher bleibt er sich gleich, so lange er keine Aeste abgiebt. Die Neste zusammengenommen sind jedesmal gleich demjStamm; wenn sich etwa ein kleiner Unterschied zeigt, so k\u00f6mmt er davon her, dass an den Zweigen zusammen mehr Neurilem vorhanden ist, als an dem Stamme.\nWas eben von den Nerven bei ihrer Verzweigung be-","page":607},{"file":"p0608.txt","language":"de","ocr_de":"608 III. Buch. Nervenphysik. I. Ahschn. Eigenschaften d. N.im Allgem.\nmerkt ist, gilt auch von dein Plexus zweier verschiedener Nerven. Ich habe mit aller M\u00fche vor einigen Jahren die Verbindungen des N. facialis mit dem N. infraorbitalis im Gesicht des Kaninchens und Schafes zergliedert, und mich durch genaue graphische Aufnahme des Verlaufs der Primitivfasern beider Nerven \u00fcberzeugt, dass sich die Fasern bloss aneinander legen, in neuen B\u00fcndeln sich vertheilen. Von diesen Principien betrachtet, muss man sich also die Primitivfasern aller Cerebro-Spinalnerven vom Ursprung bis zum Ende isolirt denken, und als Strahlen von der Achse des Nervensystems ansehen. Genau genommen gehen auch diese Strahlen beinahe in einer Linie je-derseits vom R\u00fcckenmark aus, nur von Stelle zu Stelle wird bloss eine Summe dieser in einer fast zusammenh\u00e4ngenden Linie entspringenden Fasern in ein B\u00fcndel zusammengefasst, wie es n\u00e4mlich f\u00fcr die Verfheilung derselben an ihre peripherischen Stellen am becpiernsten ist.\nDiese Ergebnisse eigener Beobachtung habe ich seit Jahren in meinen Vorlesungen vorgetragen; im Jahre 1830 hatte ich Gelegenheit, sie Herrn Professor Schroeder van der Kolk in Utrecht m\u00fcndlich mitzutheilen, indem ich denselben aulforderte, diese Beobachtungen zu pr\u00fcfen, jetzt haben diese Ansichten, die mit denen von Fontana und Pr\u00e9vost und Dumas \u00fcbereinstimmen, durch das Gewicht derselben Beobachtungen von Seiten meines ber\u00fchmten Collegen Ehrenberg in mir noch mehr sich befestigt. Ausf\u00fchrlich hat \u00fcber diesen Gegenstand gehandelt Kronenberg plcxuum nervorum structura et virtutes. Berol. 1836. Das hier Erw\u00e4hnte gilt \u00fcbrigens bloss von den weissen Fasern der Cerebrospinalnerven und des Sympathicus. Denn von den grauen Fasern ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie (wenigstens durch die Ganglien) untereinander Zusammenh\u00e4ngen.\nEndigung der Nerven. Ueber die Endigungen der Nerven haben Treviranus, Gottsche, Valentin, Emmert, Buriiacu d. j\u00fcngere und Schwann gearbeitet. Die Hauptfrage ist hier, ob die Nervenfasern sich unter einander verbinden oder isolirt endigen. Entweder biegt eine Nervenfaser regelm\u00e4ssig in eine zweite r\u00fcck-laufende um, so dass immer zwei schlingenf\u00f6rmig verbunden sind, \u00abder die Fasern verbinden sich zuletzt zu einem Netzwerk nach Art der Blutgef\u00e4sse, oder die Fasern endigen s\u00e4mmtlich isolirt und ohne Verbindungen. Das erste Verhalten fanden Pr\u00e9vost, Dumas, Valentin, Emmert an den Muskelnerven, Brf.sciiet, Valentin, Burdach an den sensoriellen Nerven; das ziveite Verhalten beobachtete Schwann im Mesenterium des Frosches und der Feuerkr\u00f6te und im Schw\u00e4nze der Kr\u00f6tenlarven, das dritte Verhalten entdeckte Treviranus, im Auge und Ohr und dasselbe ist von Gottsciif. best\u00e4tigt.\nEs scheint, dass Pr\u00e9vost und Dumas die Primitivfasern selbst in den Muskeln nicht untersucht haben. Dagegen beobachteten Valentin und Emmert das schlingenf\u00f6rmige Umbiegen einer Faser in eine zweite r\u00fccklaufende in den Muskeln. Valentin No\u00bb. act. nat. cur. XVIII. />. 1. 51. Emmert \u00fcber die Endigungsweise der Nerven in den Muskeln. Bern 1836. 4. Dasselbe Verhalten","page":608},{"file":"p0609.txt","language":"de","ocr_de":"1. Bau der Nerven. Feinere Structur d. Nerven. Primitivfasern, 609\nist von Valentin auch in der Iris und irn Ciliarbande, in der Flasche der Schnecke der V\u00f6gel, in den Geh\u00f6rbl\u00e4ttern oder Runzeln der Vogelschnecke, in den Ampullen, im Zahns\u00e4ckchen, in der Haut des Frosches beobachtet worden. Breschet sah dies Verhalten in der Schnecke und in den Ampullen und hei seinen fr\u00fcheren Beobachtungen \u00fcber die Hauptpapillen. Die sehlingen-f\u00f6rmigen Umbiegungen zweier Fasern in einander sah auch Burdach d. j\u00fcngere in der Haut des Frosches und er sah die Schlingen auch zwischen den Fasern verschiedener Zweige gebildet. Beitrag zur mikroskop. Anatomie der Nerven. K\u00f6nigsb. 1837.\nEs ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die starken sogenannten Primitivfasern der Nerven seihst entweder umbiegend oder isolirt die letzten Endigungen in Theilen bilden, deren Primitivfasern seihst viel feiner sind als die sogenannten Primitivfaseru der Nerven. Schwann sah viel feinere Elemente an der peripherischen Endigung der Nerven zum Vorschein kommen. Schon im Mesenterium der Fr\u00f6sche hatte derselbe aus den sogenannten Primitivfasern der Nerven sehr viel feinere Fasern hervorgehen gesehen, welche hie und da kleine Kn\u00f6tchen bildeten, von welchen mehrere Aestchen abgingen. Bei weiteren Untersuchungen \u00fcber die Endigung der Nerven im Schw\u00e4nze der Kr\u00f6tenlarven hat sich diess Verhalten ganz so best\u00e4tigt. Die Nervenfasern, welche hier durch Spaltung von Fasern von der Dicke der gew\u00f6hnlichen Primitivfasern zum Vorschein kommen, sind ganz ausserordentlich fein, und besitzen nicht mehr die dunkle r\u00f6hrige H\u00fclle, welche die gew\u00f6hnlichen Primitivfasern umgiebt. Die kleinen Kn\u00f6tchen zeigen sich als ziemlich constante Erscheinung. Die feinem Fasern, welche aus den sogenannten Primitivfasern hervorgehen, geben hier und da wieder noch feinere Fasern ab, die schon vorgebildet waren und es scheint, dass die feinsten F\u00e4serchen, welche theils von andern Fasern, theils von den mikroskopischen Kn\u00f6tchen nach mehreren Seiten abgegeben werden, zuletzt ein zusammenh\u00e4ngendes Netzwerk bilden.\nIn der Nervenhaut des Auges und im Ohr endigen die Nervenfasern isolirt und ohne Verbindungen. Fontana kannte bereits die Nervenfaserschicht der retina und die darauf liegende innere sogenannte K\u00f6rnerschicht. Diese Haut besitzt auch eine \u00e4ussere K\u00f6rnerschicht, welche aus pflasterartig zusammengesetzten K\u00f6rnern besteht. Die Nervenfasern liegen also in der mitt-lern Schicht. Treviranus (a. a. O.) hat entdeckt, dass die Fasern dieser Schicht an einer gewissen Stelle ihres Verlaufs von der horizontalen Richtung abbiegen und sich nach der inwendigen Seite der Netzhaut wenden. Gleich nach der Umbiegung geht der Cylinder durch die Oeffnungen eines Gef\u00e4ssnetzes, welches von den Centralvenen des Sehnerven entspringt. Bevor er zur inwendigen Seite der retina gelangt, dringt er durch ein zweites Gef\u00e4ssnetz, das von den Zweigen der Centralarterie gebildet wird. Nach dem Durchgang durch das letztere wird er von einem scheidenf\u00f6rmigen Fortsatze des Gef\u00e4ssblattes der Netzhaut aufgenommen und von diesem bedeckt, endigt er sich hinter dem Glask\u00f6rper in der Form einer Papille. Der Querdurchmesser des Ner-","page":609},{"file":"p0610.txt","language":"de","ocr_de":"610 III. Buch. Nervenphysik. I. Abschn. Eigenschaften d. N. ini Allgem.\nvencylinders der retina war licirn Igel 0,001 Mill., bei Kaninchen die Papillen 0,003, bei V\u00f6geln 0,002\u20140,004, beim Frosch batten die Cylinder 0,0044, die Papillen 0,0066. letztere bei der Karausche 0,0039\u20140,004. Die K\u00f6rperchen, welche Treviranus f\u00fcr Umbiegungen der Nervenfasern h\u00e4lt, sind kurze Cylinder, welche sehr leicht von der darunter liegenden Schiebt abbrechen. Sie sind an ganz frischen Augen von Thieren leicht zu beobachten und von Gottsche, Ehrenberg, Volkmann, Weber sowohl, als auch von mir selbst wiedergesehen. Ob aber jeder K\u00f6rper das Ende nur einer Faser ist, oder ob mehrere auf einer Faser aufsitzen, ist noch nicht hinreichend klar. Einige Stunden nach dem Tode lassen sich diese K\u00f6rperchen schon nicht mehr untersuchen ; man sieht an ihrer Stelle nur K\u00f6rner, welche die fr\u00fchere unrichtige Ansicht von einer innern K\u00f6rnerschicht der retina erzeugt haben. Die Papillen der stabf\u00f6rmigen K\u00f6rper scheinen nur bei den Fischen deutlich zu seyn und sind hier von Gottsche beschrieben. Gottsche in Pfaff\u2019s M\u00e4theilungen aus dem Gebiete der Medicin, Chirurgie und Pharmacie. 1836. Heft 3.4. Heft 5.6. Vergl. \u00fcber die Beobachtungen von Anderen den Jahresbericht. Archiv 1837.\nTreviranus fand die Papillarendignng der Nervenf\u00e4den nicht bloss in der Netzhaut, sondern auch an dem H\u00f6rnerven und Piiech-nerven. Die Papillen sind hier mehr fadenf\u00f6rmig. Die Papillen des H\u00f6rnerven sah er auf dem Spiralblatte der Schnecke bei jungen M\u00e4usen. Der kn\u00f6cherne Theil ist mit gedr\u00e4ngt an einander liegenden fadenf\u00f6rmigen Papillen ganz bedeckt. Zum h\u00e4utigen Saum der Platte gehen die Nervencylinder unter der Oberfl\u00e4che der Haut mehr vereinzelt und dringen, nachdem sie in den Kan\u00e4len, worin sie enthalten sind, spiralf\u00f6rmige Windungen gemacht haben, \u00e4usserlich aus kleinen Oellnungen als K\u00fcgelchen von 0,0016\u20140,0033 Mill, hervor. Die Cylinder des H\u00f6rnerven selbst hatten dieselbe Dicke. Beim Fuchs fand Treviranus, dass die Nerven der Bogeng\u00e4nge bei ihrem Eintritt in die Ampullen dieser Can\u00e4le sich auf beiden Seiten der Ampulle in eine Platte ausdehnen, worin ihre Cylinder sich in feinere Cylinder aufl\u00f6sen und woraus diese zu neuen st\u00e4rkeren Cylindern vereinigt wieder hervortreten. Gottsche fand die letzten Enden der Nerven der Schnecke beim Hasen und Kaninchen und die Endigungen des H\u00f6rnerven bei den Fischen auch kolbig. Ich sehe auf der Spiralplatte der Vogelschnecke, die Windischmann beschrieben auch isolirte Fasern ohne Verbindung. Die Hauptmasse des Scbnecken-nerven trifft hier auf den einen Band des Schneckenknorpels und spreitzt sich hier sehr regelm\u00e4ssig an der Substanz des Knorpels aus. So weit dieses geschieht, kommen sehr viel feinere Fasern vom Knorpel her, und setzen dicht und parallel nebeneinander durch den grossem Theil der Breite des h\u00f6chst zarten Spiralbl\u00e4ttchens.\nDie Endigung der Hirnfasern ist von Valentin untersucht worden. Die ins R\u00fcckenmark eintretenden Primitivfasern der Nerven endigen nicht im R\u00fcckenmark, sondern setzen sich nach dem Hirn hin fort. Die am Ende des R\u00fcckenmarkes eintretenden Fasern verlaufen nach vorn, die seitlich von den h\u00f6heren","page":610},{"file":"p0611.txt","language":"de","ocr_de":"1. Bau der Nerven. Feinere Slructur der Nerven. Ganglien. 611\nNerven kommenden Fasern dagegen geben zuerst transversal nach innen bis zur grauen Substanz oder bis in deren N\u00e4he, dann setzen sie sich ebenfalls in longitudinelier Richtung gegen das Gehirn fort. In der rein weissen Substanz liegen diese Fasern nebeneinander, wo aber die graue und weisse Substanz einander ber\u00fchren, nehmen sie die hernach zu erw\u00e4hnenden Kugeln der grauen Substanz zwischen sich und strahlen zuletzt in die Rindensubstanz. Hier bilden sie bogenf\u00f6rmige Umbiegungen einer Faser in eine andere. Man sieht diese am deutlichsten, wo die weisse und graur\u00f6thliche Substanz sich mit einander verbinden oder in der gelben Substanz an der Peripherie der Hemisph\u00e4ren des grossen und kleinen Gehirns.\nGraue Substanz des Gehirns, R\u00fcckenmarks und der Ganglien. Im Innern der Ganglien der Wirbellosen (Blutegel, Wegschnecke) beobachtete Ehrenberg Keulenk\u00f6rper. Im Innern der Ganglien des Blutegels bilden diese Keulen 8 B\u00fcndel, von denen je zwei in die vier Schenkel des Ganglions' durch lange cylindrische R\u00f6hren austreten. Diese Keulen enthalten in ihrem angeschwollenen Theile einen Kern, beim Blutegel ausser diesem noch mehrere kleine K\u00fcgelchen (nach der Abbildung). Aehnliche K\u00f6rper hat Valentin in den Ganglien des Bauchstranges des Blutegels beschrieben. Er sah Kugeln, die wie die Ganglienkugeln der h\u00f6heren Thiere, einen Kern besitzen. In diesem Kern liegt an einer Stelle dicht an der Oberfl\u00e4che ein r\u00f6thliches gr\u00f6sseres und bisweilen mehrere kleinere K\u00f6rperchen. Purkinje beobachtete \u00e4hnliche geschw\u00e4nzte K\u00f6rper in der gelben Masse zwischen Rinden- und Marksubstanz des kleinen Gehirns. Diese K\u00f6rper haben einen hellen Kern und einen diesem entsprechenden kleinen nucleus auf der Oberfl\u00e4che. Sie stehen reihenweise nebeneinander, ihre abgerundeten Enden nach innen gegen die weisse Substanz, ihre schwanzf\u00f6rmigen Verl\u00e4ngerungen dagegen nach aussen gegen die Rindensubstanz hin richtend. Ich vergleiche damit gewisse keulenf\u00f6rmige, einen Kern enthaltende K\u00f6rper, die ich in der medulla oblongata der Cyclostomen (Petromyzon in Weingeist) gefunden. Sie waren aber hier eigenth\u00fcmlich gebildet. Denn ihr dickeres Ende war selten rundlich, meist zackig; es lief an den meisten in mehrere, bald 2, bald 3 oder 4 Zacken aus, deren Stellung zu einander und Form sehr variirte. Muell. Arch. 1837. XVII.\nDie Elemente der Ganglien in den Nerven der h\u00f6heren Thiere und des Menschen bestehen nach Valentin\u2019s Beobachtungen aus ziemlich grossen Kugeln, welche sich von den genannten Keulenk\u00f6rpern nur durch ihre mehr rundliche Gestalt unterscheiden, sonst aber auch einen Kern und in der Circumferenz desselben einen zweiten kleineren Kern, oft auch Pigmentflecke auf ihrer Oberfl\u00e4che enthalten. Ein oder mehrere Faserb\u00fcndel, welche in das Ganglion eintreten, bilden innerhalb desselben Plexus durch Vertheilung der Fasern in anderer Ordnung und treten wieder aus, ausserdem umspinnen einzelne Primitivfasern oder B\u00fcndel von Fasern von allen Seiten die Ganglienkugeln in darm\u00e4hnlichen Windungen. Die umspinnenden Fasern gehen von den Fasern","page":611},{"file":"p0612.txt","language":"de","ocr_de":"612 III. Buch. Nervenphysik. I. Abschn. Eigenschaft en d. A. im Allg cm.\ndes Stammes ab und kebren dabin zur\u00fcck. So verhalten sich in der That die Ganglienkngeln im Allgemeinen, wie man leicht constatiren kann.\nIm Gehirn und R\u00fcckenmark ist die graue Substanz nach Valentin ganz aus denselben Kugeln, wie die Ganglien der Wirbeltbiere gebildet. Die feink\u00f6rnige Beschaffenheit entstellt erst durch die Zertr\u00fcmmerung der weichen Kugeln. Der einzige Unterschied zwischen den Kugeln der grauen Substanz des Gehirns und den Ganglienkugeln ist, dass das sie umkleidende Zellgewebe viel zarter ist. Die weisse Substanz des Gehirns enthalt nach Valentin keinerlei Kugeln oder K\u00fcgelchen. Diese entstehen nur durch die Zerst\u00f6rung der Fasern. Von der Einlagerung der grauen Kugelmasse h\u00e4ngt es ab, in wde weit Theile des Gehirns von der Farbe der weissen oder faserigen Substanz abweichen; wo die Zahl der Primitivfasern \u00fcberwiegt, wird die Masse mehr weiss-lich grau, wo diess weniger der Fall ist, graur\u00f6thlich ; die dunklern Hirnfarben entstehen durch Pigment deposita auf den Kugeln.\nIm R\u00fcckenmark giebt es zweierlei graue Substanzen, wie Rolando entdeckt hat. Die gew\u00f6hnlich so genannte graue Substanz im R\u00fcckenmark nennt Rolando substantia cinerea spongiosa vascularis. An der hintern Seite der hintern H\u00f6rner dieser Substanz liegt eine Leiste ganz grauer Substanz, substantia cinerea gelatinosa von Rolando. Saggio supra la ocra struttura del cervelle). Edit. 2. T. 2. Torino 1828. T ah. 3. Fig. 2. 3. sp. Die erstere enth\u00e4lt nach Remak die grossen oben beschriebenen Ganglienkugeln und viele Fasern, die letztere dagegen enth\u00e4lt K\u00f6rperchen, welche den Blutk\u00f6rperchen des Frosches \u00e4hnlich sind. Dieselbe Structur hat die Fortsetzung der substantia cinerea gelatinosa in der medulla oblongata, wo sie zu Tage k\u00f6mmt. Auch an einigen Stellen des grossen Gehirns beobachte Remak diese Structur.\nEine wichtige Frage ist, ob die grossen Kugeln der grauen Substanz im Gehirn und in den Ganglien ohne weitere Verbindungen sind. Gewisse Zacken, die man hie und da von diesen Kugeln unter gl\u00fccklichen Umst\u00e4nden ausgehen sieht, machen eine Verbindung der Kugeln unter sich oder mit Fasern wahrscheinlich. Ich habe zuerst solche Zacken an den keulenf\u00f6rmigen K\u00f6rpern in der medulla oblongata der Petromyzon gesehen. Remak sah sie bald darauf auch an den Kugeln der grauen Substanz des Gehirns und an den Ganghenkugeln. Er sah nicht nur F\u00e4den, [welche von der Oberfl\u00e4che einer Ganglienkugel abgehen; es gelang ihm, sie zuweilen auf eine L\u00e4nge zu isoliren, welche diejenige der Kugel mehrfach oder vielfach \u00fcbertrifft. Dergleichen F\u00e4den der Ganglienkugeln haben einige Aehnlichkeit mit den feinen grauen F\u00e4den, welche Remak im Gangliennerven beobachtet bat, und wenn letztere, welche die grauen B\u00fcndel des Sym-pathicus bilden, organische Fasern sind, so wird es einigermassen wahrscheinlieh oder wenigstens vermutlilich, dass die grauen Fasern der organischen Nerven daraus entspringen.\nVertheilung der weissen uud grauen Fasersysteme in den Ce-rehrospinalnerven und im Nervus sympathicus. Vorher schon wur-","page":612},{"file":"p0613.txt","language":"de","ocr_de":"1. Bau der Nerven. Feinere Structur der Nerven. Ganglien. 613\nden die Thatsaclien erw\u00e4hnt, aus welchen hervorgeht, dass in den Cerebrospinalnerven ausser der Hauptmasse der sensoriellen und motorischen weissen Fasern, welche von den hintern und vordem Wurzeln des gemischten Nerven entspringen, auch sparsamere \u00abraue organische B\u00fcndel enthalten sind. Auch wurde angef\u00fchrt, dass der Nervus svmpathicus nicht bloss graue organische, sondern auch einzelne weisse B\u00fcndel enth\u00e4lt, und zuletzt wurde als wahrscheinlich hervorgehoben, dass die grauen Fasern von besonderer Structur von den Ganglienkugeln entspringen, welche im Nervus sympathicus so h\u00e4ufig in dessen Ganglien sind, in den Cerebrospinalnerven aber seltener Vorkommen, wo der Nervus sympathicus sich st\u00e4rker einmischt, wie am Knie des Facialis, am zweiten und dritten Ast des Trigeminus. Man sieht jetzt, dass der Sympathicus sich nur relativ von den anderen Nerven unterscheidet. Die gemischten Hirn- und R\u00fcckenmarksnerven enthal-sen viel sensorielle und motorische Faserb\u00fcndel und wenig graue B\u00fcndelcben, welche letztere zur Bildung von Ganglien geneigt sind, der Sympathicus enth\u00e4lt weniger sensorielle und motorische Elemente, die er von den hinteren und vorderen Wurzeln der Nerven hat, dagegen enth\u00e4lt er viele graue organische Fasern, gem\u00e4ss seiner Verbreitung in Theilen, welche vorzugsweise der chemischen Ver\u00e4nderung der S\u00e4fte dienen. Daher sind die Ganglien in diesem Nerven so h\u00e4ufig, w\u00e4hrend sie an den Cerebrospinalnerven (ausser den regelm\u00e4ssigen Ganglien der hintern Wurzeln) selten und eben nur da Vorkommen, wo eine lebhafte Einmischung der grauen organischen B\u00fcndel vom Sympathicus in die Cerehrospinalnerven geschieht.\nEintheilung der Ganglien. Die Ganglien der Nerven lassen sich in 3 Classen bringen.\nI. Ganglien der hinteren TNurzeln der R\u00fcckenmarks- und Gehirnnerven, Ganglion der grossen Portion des Nervus trigeminus, Ganglion Aervi vagi, Ganglion jugulare superius Nervi glossopharyngei.\nDie hier aufgef\u00fchrten Ganglien haben mit einander gemein, dass sie einem Gef\u00fchlsnerven geh\u00f6ren; es wird aus den sp\u00e4teren Untersuchungen sich ergehen, dass die hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven nur sensibel, nicht motorisch sind. Unter den Ganglien der R\u00fcckenmarksnerven zeigt das Ganglion des ersten R\u00fcckenmarksnerven zuweilen, das der beiden letztem immer Anomalien in Hinsicht seiner Lage. Das erstere liegt zuweilen noch innerhalb der Dura mater. Mayer Nov. act. not. cur. U. XVI. Die beiden letzten, sehr zarten R\u00fcckenmarksnerven haben ihre Ganglien nach Schlemm\u2019s Entdeckung immer noch innerhalb der Dura mater. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie, 1834. I. In dem Verh\u00e4ltnis, wie die hintere Wurzel zur vorderen Wurzel der R\u00fcckenmarksnerven, steht aber auch die Portio major nervi trigemini, die in das Ganglion Gas-seri anschwillt, zur Portio minor, die an dem Ganglion vorbeigeht. Goerres (Exposition der Physiologie. Coblenz 1805. 328.) \u25a0verglich zuerst den N. vagus und accessorius der hintern und vordem Wurzel eines R\u00fcckenmarksnerven. Jedenfalls muss <!as Ganglion nervi vagi im Foramen jugulare als Ganglion ei-","page":613},{"file":"p0614.txt","language":"de","ocr_de":"614 III. Buch. Ketvenphysik. I.Ahschn. Eigenschaftend. N.im Allgem.\nn\u00e9s Empfmdangsnerven angesehen werden, wenn auch hei einigen Thieren mehrere Fasern des Vagus an diesem Knoten Vorbeigehen. Santorini beobachtete in einigen Fallen eine hintere Wurzel des Nervus hypoglossus (ohne Ganglion) und Mayer (a. a. O.) hat die Entdeckung gemacht, dass hei mehreren S\u00e4ugethieren (Ochse, Hund, Schwein) eine \u00fcberaus feine hintere Wurzel des N. hypoglossus vorhanden ist, welche von der hintern Flache der Medulla oblongata entspringt, \u00fcber den N. accessorius weggeht und ein deutliches Ganglion \u00fcber dieser Stelle bildet, ohne mit dem N. accessorius zusammenzuh\u00e4ngen. Aus diesem Ganglion geht ein dickerer Nervenf\u00e4den hervor, welcher durch eine Oeffnung in dem ersten Zahn des Ligamentum denticulatum hindurchgeht (oder, wie wir es neulich sahen, \u00fcber dem ersten Zahn des Lig. denticulatum weggeht), um sich zur bekannten Wurzel des N. hvpoglossus zu begeben. Diese hintere Wurzel und das Ganglion li\u00e2t Mayer bis jetzt nur einmal beim Menschen gefunden.\nAn diese Beobachtung schliesst sich eine von mir beim Menschen gemachte Beobachtung an. (Medizin. {Vereins-) Zeitung. Berlin, 18-13. Kr. 52.) Ich habe n\u00e4mlich an der Wurzel des N. glossopharyngeus des Menschen (ausser dem Ganglion petrosum am untern Ende des Foramen lacerum), ein ganz kleines Ganglion beobachtet, welches an der hintern \u00e4ussern Seite der Wurzel dieses Nerven, am obern, der Cavitas cranii zugewandten Anfang des Foramen lacerum liegt. Man sieht dieses Kn\u00f6tchen von 1 Millimeter L\u00e4nge erst, wenn man die Dura mater an der Durchgangs\u00f6tFnung weggenommen und den hintern Piaud des Felsenbeins abgemeisselt hat. Es geh\u00f6rt nicht der ganzen Wurzel an, sondern einem B\u00fcndelchen von einigen F\u00e4den derselben, welches, nachdem es durch das Ganglion gegangen, st\u00e4rker geworden scheint, \u00fcbrigens aber keinen, von den \u00fcbrigen Wurzelf\u00e4den des N. glossopharyngeus verschiedenen Ursprung hat. Ehrenritter hatte dieses Kn\u00f6tchen zuerst entdeckt. (Sa/zh. med. Zeit. 1790. B. 4. p. 319.); aber er hat das n\u00e4here Verh\u00e4ltnis zu den Wurzelf\u00e4den des Glossopharyngeus nicht gekannt, und ich zeigte, dass die Wurzelf\u00e4den des Nerven, die einen mit Ganglion, die andern ohne Ganglion sich wie die Wurzeln des N. trigeminus verhalten, und dass der Nerve wie der trigeminus ein gemischter nach Analogie der R\u00fcckenmarksnerven ist.\nDas seit \u00e4lterer Zeit schon bekannte Ganglion petrosum N. glossopharyngei scheint die Bedeutung der Ganglien der Empfindungsnerven nicht zu haben und mehr mit denjenigen Anschwellungen \u00fcberein zu stimmen, welche zuweilen entstehen, wenn Aeste des N. sympathicus sich mit anderen Nerven verbinden, wie z. B. die geringe Anschwellung des N. facialis am Knie desselben hierher geh\u00f6rt, wo er den Ramus petrosus superficialis N. vidiani aufnimmt, ln der That verbindet sich das Ganglion petrosum mit einem aufsteigenden Aste des Ganglion cervicale supremum, und durch den Ramus tympanicus Ganglii petrosi mit dem Ramus carotico-tympanicus N. sympathici.\nDie Structur dieser Ganglien ist von derjenigen der Gan\u00bb","page":614},{"file":"p0615.txt","language":"de","ocr_de":"I. Vom Bau der Nerven. Feinere Structur der Nerven. Ganglien. 615\nglien des Nervus sympathicus nicht wesentlich verschieden; aber inan sieht hier deutlicher den unver\u00e4nderten Durchgang der pinself\u00f6rmig zwischen die Kugeln der Ganglienmasse eintretenden Fasern. Die eigentliche Bedeutung der Ganglien der Empfindungswurzeln ist noch nicht bekannt. Vielleicht sind von dort die organischen Fasern des Sympathicus abzuleiten, welche diese Knoten dann mit den hinteren Str\u00e4ngen des R\u00fcckenmarks in Verbindung setzen w\u00fcrden. Die sensoriellen und motorischen weis-sen Fasern des Sympathicus stehen mit der vordem und hintern Wurzel der R\u00fcckenmarksnerven in Verbindung. Es fragt sich demnach, ob die hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven sowohl die sensoriellen als die organischen Fasern mit dem R\u00fcckenmark verbinden. Eine Hauptquelle der organischen Fasern scheint \u00fcbrigens in den Ganglien des Sympathicus seihst zu liegen. Der Grenzstrang des Sympathicus ist verb\u00e4ltnissm\u00e4ssig viel weisser als die von den grossen Unterleibsganglien ausgehenden B\u00fcndel. Die Frage, ob sich in den Ganglien der hinteren Wurzeln und im Ganglion Gasseri die Zahl der Fibern vermehre, l\u00e4sst sich mit den bisherigen Gr\u00fcnden nicht beantworten. Allerdings gehen die weissen Fasern nur in anderer Ordnung durch. Aber von den Ganglienkugeln k\u00f6nnen graue Fasern entspringen, wie man in der That weiss, dass vom Ganglion Gasseri graue B\u00fcndel auf die Aeste des trigeminus mit fortgehen. Vergl. Wutzer's treffliche Schrift de gang/iorum fabrica. Berol. 1817.\nII. Ganglien des Nervus sympathicus.\nDas Verhalten der Nervenfasern in diesen Knoten ist so schwer zu enth\u00fcllen, dass wir davon noch gar keine sichere Kenntniss haben. Hier wie \u00fcberall k\u00f6mmt es in letzter Instanz auf die Hauptfrage an, ob die Prirnitivfaseru sich wirklich verschmelzen, oder auch bloss juxtaponiren, und theilweise kreuzen mit andern, oder oh die Primitivfasern nur in der peripherischen Richtung sich theilen, um sich darin zu multiplici-ren. Wenn irgendwo eine Multiplication der Fasern in den Ganglien anzunehmen ist, so ist es gewiss am ehesten in den Ganglien des N. sympathicus, wenigstens scheinen die in den Unterleihsgeflechten sich entwickelnden Primitivfasern, die nun sich peripherisch verbreiten, schwer auf die Wurzeln des N. sympathicus von den R\u00fcckenmarksnerven sich zu reduciren. Aber diese Multiplication wird, wenn sie stattfindet,, nur aut die feinen organischen grauen Fasern zu beziehen seyn. Denn man weiss, dass sich die gew\u00f6hnlichen Primitivfasern in den Ganglien des Sympathicus wie in den Ganglien der hinteren Wurzeln verhalten. Die Ganglien des N. sympathicus bilden wieder zwei Reihen. Die erste umfasst die Grenzknoten, welche da liegen, wo die Wurzeln des N. sympathicus von den Cerebral- und Spinalnerven kommen, sich zum Grenzstrang verbinden. In diese Reihe geh\u00f6ren alle Ganglia cervicalia, intercostalia, lumbalia, sa-cralia des Nervus sympathicus. In die zweite Reihe der Ganglien des Nervus sympathicus geh\u00f6ren die Centralknoten oder Geflechtknoten, plexusartigcn Knoten in den Geflechten des Unterleibes.\nIH iil 1 e r\u2019s Physiologie. I.\t40","page":615},{"file":"p0616.txt","language":"de","ocr_de":"616 III. Buch. Nervenphysik. l.Abschn. Eigenschaften d. N.im Allgcm.\nIII. Ganglien an den Cerebrospinalnerven, \u00abv sich dieselben mit Zweigen des Nervus sympathicus verbinden.\nHierher -geh\u00f6ren das Ganglion petrosum N. glossopharyngei die Intumescentia gangliiformis am Knie des N. facialis, das Ganglion sphenopalaiinum am zweiten Aste des N. trigeminus, das Ganglion ciliare, vielleicht auch oticurn und noch einige andere. Nicht \u00fcberall, wo F\u00e4den des N. sympathicus mit F\u00e4den der Cerebralnerven zusammenstossen, entstehen Ganglien an den letztem; diess ist vielmehr nur ein seltener Fall, denn hei der grossen Anzahl der Urspr\u00fcnge des N. sympathicus von Cerehralund Spinalnerven befinden sich doch an der Abgangsstelle dieser F\u00e4den von den Cerebral- und Spinalnerven in der Regel keine Knoten. Wie k\u00f6mmt es aber, dass in den oben erw\u00e4hnten F\u00e4llen bei dem Zusammenkommen von F\u00e4den des N. sympathicus mit Cerebralnerven gangli\u00f6se Anschwellungen an den letzteren entstehen? Diess scheint mir daher zu r\u00fchren, dass in jenen F\u00e4llen an der Stelle, wo die gangli\u00f6se Anschwellung liegt, nicht Zweige der Cerebralnerven vorn Gehirn ab zum N. sympathicus, sondern vom N. sympathicus an die Cerebralnerven stossen, welche F\u00e4den nicht bloss der Richtung zum Gehirn am Cerebralnerven, sondern in peripherischer Richtung an diesem forlgehen. W\u00e4re diese Bemerkung durchgreifend, so h\u00e4tte man, wenn ein Cerebralnerve nicht an seiner Wurzel, sonder n in seinem weitern Verlaufe bei Verbindung mit dem N. sympathicus eine Airschwellung zeigte, an dieser Anschwellung ein Kennzeichen, dass die an die Cerebralnerven tretenden F\u00e4den des N. sympathicus keine Wurzeln des letztem, sondern Beimengungen des N. sympathicus zum Cerebralnerven sind. So ist das Ganglion ciliare eine Vermengung von F\u00e4den des N. trigeminus (Radix longa a N. nasali), des N. oculomotorius (Radix brevis a N. oculomotorio), und des N. sympathicus, eine Vermengung, welche zum Zweck hat, nicht neue Wurzeln des N. sympathicus zu geben, sondern F\u00e4den des N. sympathicus mit den sensibeln F\u00e4den vom 1. Act des N. trigeminus und den motorischen F\u00e4den vom N. oculomotorius in die Ciliarnerven zu bringen. Eben so verh\u00e4lt es sich mit dem Ganglion sphenopalatiuum am zweiten Aste des N. trigeminus, welches, da der N. sympathicus durch F\u00e4den vom Ganglion otieum aus nach Bendz schon mit dem Stamm des IV. trigeminus im Ganglion Gasseri Verbindungen eingeht, nicht bloss Wurzeln des V. sympathicus abzugehen, sondern F\u00e4den vom N. sympathicus zur peripherischen Verbreitung mit dem zweiten Aste des N. trigeminus aufzunehmen scheint. In der That hat Rktzius diese F\u00e4den des N. sympathicus, welche vom Ganglion sphenopalatiuum aus in den zweiten Ast des N. trigeminus peripherisch fortlaufen, beim Pferde deutlich gesehen und beschrieben. Isis. 1827. Dasselbe sah ich beim Ochsen. Das Ganglion petrosum N. glossopharyngei ist, wie ich oben zu zeigen gesucht habe, nicht das gew\u00f6hnliche Ganglion eines Empfindungsnerven, da das h\u00f6her am N. glossopharyn-geus liegende, von mir beobachtete Ganglion jugulare die Bedeutung eines solchen hat, sondern entsteht durch die Verbindungen von mehreren Zweigen des N. sympathicus mit dem N. glosso-","page":616},{"file":"p0617.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. IVirkung der Reize.\n617\npbaryngeus. Bis jetzt l\u00e4sst sich die fragliche Ansicht noch nicht ganz durchf\u00fchren, sondern nur als einen Anhaltpunkt zu einer k\u00fcnftigen Entscheidung der Frage gebrauchen, welche von den vielen Verbindungen des N. sympathicus als Wurzeln desselben, und welche als peripherische Zweige desselben, als Abgabe an die Cerebralnerven zu betrachten sind.\nSollte es sich best\u00e4tigen, dass die bei den Verbindungen von Zweigen des N, sympathicus mit Zweigen der Cerebralnerven zuweilen vorkommenden Ganglien an blossen Verbindungsstellen und nicht an Ursprungsstellen des N. sympathicus liegen, so w\u00fcrde diese dritte Art von Knoten noch keine besondere Classe bilden, sondern nur in den Bereich des N. sympathicus geh\u00f6ren, und unter die zweite Art der Knoten zu subsumiren seyn : dann w\u00fcrde man dreierlei Knoten des N. sympathicus besitzen.\n1.\tDie Centralknotcn, Geflechtknoten oder plexusartigen Knoten in den Geflechten des Unterleibes.\n2.\tDie Knoten des Grenzstranges, welche jedesmal an den Verbindungsstellen der verschiedenen Wurzeln des N. sympathicus liegen.\n\u20223. Die Verbindungsknoten des N. sympathicus an Verbindungsstellen desselben mit Zweigen von Cerebralnerven, welche die letzteren und nicht den N. sympathicus modificiren.\nII. Capitel. Von der Reizbarkeit der Nerven.\nIm Anf\u00e4nge dieser Schrift sind die Gesetze der thierischen Reizbarkeit im Allgemeinen untersucht worden. Siehe oben p. 51.\nDiese Eigenth\u00fcmlichkeit der organischen K\u00f6rper ist auch den Nerven eigen, und die allgemeinen und verschiedenen Kr\u00e4fte der Nerven kommen \u00fcberall durch Reize zur Erscheinung. Die Aufgabe des Physiologen ist aber, nicht allein die Gesetze dieser allgemeinen Eigenschaft zu ergr\u00fcnden, womit sich Bnowr; und seine Nachfol ger leider allein besch\u00e4ftigt haben; sondern die eigen-thiimlichen Kr\u00e4fte, welche gereizt werden k\u00f6nnen, selbst zu untersuchen, und hier hat sich der Physiologie ein ganz grosses und neues Feld der Empirie er\u00f6ffnet. Um die Kr\u00e4fte der Nerven kennen zu lernen, m\u00fcssen die Wirkungen aller m\u00f6glichen Reize auf dieselben studirt werden. Auf diese Art erwirbt die Physiologie eine \u00e4hnliche empirische Zuverl\u00e4ssigkeit, als die Physik und Chemie der unorganischen K\u00f6rper. Die Reagentien erzeugen \u2022n den chemischen Wirkungen nur Producte, Combinatiorien, Trennungen; in den organischen K\u00f6rpern und insbesondere auf die Nerven angewandt, bringen sie, so verschieden sie auch seyn m\u00f6gen, nur Erscheinungen der vorhandenen Kr\u00e4fte und Ver\u00e4nderungen dieser Kr\u00e4fte hervor, und es wird sich zeigen, dass alle Einfl\u00fcsse, welche auf die Nerven wirken, entweder reizen oder die Reizbarkeit selbst ver\u00e4ndern; im ersten Falle wirken alle Reize, so verschieden sie sind, auf dieselbe Art, und die verschiedensten Ursachen haben gleiche Wirkung, weil das, worauf sie Wirken, nur einerlei reizbare Kraft besitzt, und weil die\n10 *","page":617},{"file":"p0618.txt","language":"de","ocr_de":"618 111.Huch. Nervenphysik. I. Ahschn. Eigenschaft end. N. irn AUgem.\nverschiedensten Dinge nur in der gleichen Eigenschaft als Reize ein wirken.\nf. Ueber die Wirkung der Reize auf die Nerven.\nAlle Reize, sowohl die inneren organischen als die unorganischen, wie die chemischen, mechanischen, caustischen, elektrischgalvanischen, bewirken, auf empfindliche Theile und empfindliche Nerven angewandt, Empfindungen, so lange die Nerven mit dem R\u00fcckenmarke und Gehirn in unversehrter Verbindung stehen. Alle diese verschiedenen Reize verhalten sich darin gleich; in einem gewissen Grade angewandt, bewirken sie nur Erscheinungen der Empfindung, im hohem Grade angewandt, bewirken sie Ver\u00e4nderungen der Empfindungskraft selbst. Alle Reize, sowohl die inneren organischen als die unorganischen, wie die chemischen, mechanischen, caustischen, elektrisch-galvanischen, bewirken, auf Mnskelnerven oder Muskeln selbst applicirt, Zusammenziehung der Muskeln, in welche sich der gereizte Nerve verbreitet, und diese erfolgt, wenn der Reiz auf einen Nerven applicirt wird, der mit dem Gehirn zusammenhangt, sowohl, als wenn derselbe schon vom Gehirne oder R\u00fcckenmark getrennt ist. Die Nerven haben daher durch ihre Reizbarkeit die Eigenschaft, Zuckungen zu erregen in den Muskeln, worin sie sich verbreiten; sie thun diess, so lange jene leben und nach dem Tode ihre eigene Reizbarkeit dauert. Zu den Zusammenziehungen der Muskeln von Application der Reize auf die Nerven selbst ist es noting, dass das gereizte Nervenst\u00fcck bis zum Muskel unversehrt ist, wenn auch die Verbindung dieses Nerven mit dem Gehirn oder R\u00fcckenmarke aufgehoben ist. Anderseits bewirken alle Reize in einem ganzen oder verst\u00fcmmelten Nerven Empfindung, so lange noch das gereizte St\u00fcck des Nerven eine unversehrte Verbindung mit dem R\u00fcckenmarke oder Gehirn hat.\n1. Mechanische Heize.\nJede Art mechanischen Reizes, Zerrung, Druck, Stechen, bewirkt in den Empfmdungsnerven unter den schon erw\u00e4hnten Bedingungen Empfindungen, so lange die Nervenkraft nicht durch die Heftigkeit der Einfl\u00fcsse (Druck) selbst aufgehoben wird. Die Empfindung erfolgt, wenn man die Nervenenden oder die Aeste, oder den verk\u00fcrzten Stamm mechanisch irritirt, so lange die Verbindung mit dem R\u00fcckenmarke und Gehirn stattfindet. In den Gef\u00fchlsnerven des Rumpfes und ihren Theilen bewirken mechanische Reize nur Empfindungen des Gef\u00fchls, n\u00e4mlich Schmerz, Tastgef\u00fchl, in dem Gesichtsnerven und der Markhaut dagegen nach Magendie\u2019s Beobachtung kein Schmerzgef\u00fchl, sondern wie Jeder weiss Lichtempfindung, wie beiin Druck und Schlag auf das Auge. In den Geh\u00f6rnerven bewirkt der mechanische Eindruck, wie das Zittern der schallleitenden Medien und die mechanische Ersch\u00fctterung des Eopfes und Ohrs beim langen Fahren Tonempfindung ; dagegen scheint dieser Nerve kein Schmerzgef\u00fchl zu haben.","page":618},{"file":"p0619.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. Wirkung der Reize.\n619\nEben so wenn man einen Muskelnerven mit der Nadel zerrt, sticht, quetscht, anzieht und dehnt, erfolgt jedesmal Zusammenziehung des Muskels, und zwar so heftig, als irgend ein galvanischer oder elektrischer Reiz Muskularcontraction bewirken kann. Der mit den Muskeln zusammenh\u00e4ngende Theil des Nerven beh\u00e4lt diese Kraft, so sehr man ihn auch verk\u00fcrzt; dagegen erfolgen niemals Zuckungen, wenn man das andere Ende der durchschnittenen Nerven, welches mit dem R\u00fcckenmarke und Gehirn zusammenh\u00e4ngt, mechanisch irritirt.\nDie Bewegungen, welche von den mit Cerebral- und Spinalnerven versehenen Muskeln abh\u00e4ngen, sind auf den mechanischen Reiz dieser Muskeln oder ihrer Nerven bloss Zuckungen, die so lange dauern, als der Reiz dauert; in den Muskeln dagegen, welche vom Nervus sympathicus abh\u00e4ngen, wie am Magen, Darm, Uterus, Ductus choledoclms, Ureter, Harnblase, sind die Bewegungen, die auf mechanischen Reiz der Muskelfasern erfolgen, keine Zuckungen, sondern anhaltend, und dauern sehr viel l\u00e4nger als der Reiz dauert. Das Herz reagirt auch viel l\u00e4nger als der Reiz dauert, und der Rythmus der Schl\u00e4ge ver\u00e4ndert sich auf lange Zeit, wenn man das Herz nur vor\u00fcbergehend mechanisch reizt. Es ist daher eine empirisch festgestellte Eigenschaft der dem N. sympathicus unterworfenen Muskeln, dass die Reaction viel l\u00e4nger als der Reiz dauert, w\u00e4hrend in den animalischen Muskeln die Reaction grade so lange als der Reiz dauert, und oft schon aufh\u00f6rt, wenn der Reiz noch anh\u00e4lt.\nWenn mechanische Reize sehr heftig wirken, so dass die zarte Substanz der Primitivfasern leidet, so wird die F\u00e4higkeit der Nerven, Empfindungen zu erregen, dadurch aufgehoben, sobald die leidende Stelle zwischen dem Gehirn und dem Reiz ist; auch wird ein Muskelnerve unf\u00e4hig durch jede Art von Reizung Bewegungen zu veranlassen, sobald der Nerve zwischen der Stelle der Reizung und dem Muskel gedr\u00fcckt, gequetscht wird, und es ist eben so gut, als ob der Nerve durchschnitten w\u00fcrde. Die Empfindungskraft des Nerven wird daher durch jede mechanische Zerst\u00f6rung des Nerven zwischen Gehirn und Reizung, die motorische durch jede mechanische Zerst\u00f6rung zwischen Reizung und Muskel unterbrochen. Allein die mechanische Zerst\u00f6rung durch Druck l\u00e4hmt nur \u00f6rtlich die Kraft der Nerven, und ein Nerve hat Empfindung noch an jeder andern Stelle zwischen der Quetschung und Gehirn, und erregt Bewegungen bei Reizung jeder andern Stelle des Nerven zwischen der Quetschung und dem Muskel. Wenn man aber einen Muskelnerven in seiner ganzen L\u00e4nge ausdehnt, so verliert dieser Nerve oft seine Reizbarkeit in seiner ganzen L\u00e4nge, und selbst der Muskel hat zuweilen seine Contractionskraft auf jede Art der Reize verloren.\n2. Temperatur.\nDie W\u00e4rme und die K\u00e4lte erregen auch Empfindungen und\nMuscularcontractionen.\nWenn man einen Muskelnerven oder den Muskel selbst brennt, so erfolgen Contractionen desselben; diese sind ausserordentlich heftig, wenn man den Nerven durch die Flamme eines","page":619},{"file":"p0620.txt","language":"de","ocr_de":"620 III. huch. JScrvenphysik. 1. Abschi. Eigenschaftend. N.im Allgem.\nLichtes brennt, cliess habe ich sowohl hei Fr\u00f6schen als Kaninchen gesehen; kleine W\u00e4rmegrade, wie z. B. ein erw\u00e4rmtes St\u00fcck Eisen, wirken auf die Muskelnerven nicht so heftig, dass Muscu-larcontraction erfolgt.\nDass die K\u00e4lte eben so wirkt, zeigt bereits die \u00e4ltere Beobachtung, dass sogleich heftige Contractionen in einem Muskel erfolgen, wenn man kaltes Wasser in die Arterie des Muskels einspritzt; auch kaltes Wasser auf die Oberfl\u00e4che eines Muskels gegossen, erregt Contraction. Von dieser Wirkung hat man auch bereits Anwendung in der practischen Medizin gemacht, indem man hei Atonie des Uterus und Geb\u00e4rmutterblutfl\u00fcssen nach der Geburt kaltes Wasser in die Gef\u00e4sse der noch anh\u00e4ngenden Placenta cinspritzt. So erfolgen auch consensuelle Zusammenziehungen der Iris, wenn man kaltes Wasser in die Nase schl\u00fcrft. Grosse K\u00e4lte- und W\u00e4rmegrade zerst\u00f6ren \u00fcbrigens, m\u00f6gen sie schnell oder allm\u00e4h\u00fcg wirken, die Nervenkraft, und es erfolgt Tod oder Scheintod. Sehr allm\u00e4blige Zunahme der W\u00e4rme und K\u00e4lte kann die Reizbarkeit latent machen, so dass Winterschlaf und Sommerschlaf hei gewissen Thieren erfolgt. Siehe oben p. 90.\nDie rein \u00f6rtliche Zerst\u00f6rung der Nervenkraft durch K\u00e4lte und W\u00e4rme wirkt, wie die rein \u00f6rtliche Zerst\u00f6rung derselben, durch mechanische Ursachen. Ein \u00fcberaus heftiger Grad von k\u00fcnstlicher K\u00e4lte zerst\u00f6rt, eben so wie die Hitze, die Empfindlings- und Bewegungskraft in den entsprechenden Theilen. Allein alle andere Stellen der Nerven behalten ihre Reizbarkeit , und der am Ende verbrannte Muskelnerve bewirkt Zuckungen, wenn er zwischen der verbrannten Stelle und dem Muskel gereizt wird, wie ich mich an Fr\u00f6schen und Kaninchen \u00fcberzeugte.\n\u20223. Chemische heize.\nAlle chemischen Pieize wirken auf die Empfindungskraft der Nerven, so lange diese noch mit dem Gehirn und R\u00fcckenmarke unversehrt in Verbindung stehen. Die Alkalien bewirken auch Zuckungen, wenn sie auf die Nerven applicirt werden ; viele andere Reagentien, besonders die S\u00e4uren und die Metallsalze, bewirken dagegen, auf die Nerven applicirt, keine Spur einer Zuk-kun\", sondern nur dann, wenn sie auf die Muskeln seihst angewandt wdrden, so z. B. die mineralischen S\u00e4uren, Schwefels\u00e4ure, Salpeters\u00e4ure, Salzs\u00e4ure, Sublimat, salzsaures Antimonium, auch Alkohol. Alle diese Mittel zerst\u00f6ren sogleich [im concentrirten Zustande die Kr\u00e4fte der Nerven, und machen sie unf\u00e4hig von anderen Reizen irritirt zu werden, hinter der Stelle, wo die Ber\u00fchrung mit den Reagentien statlfindet; dagegen behalten die Nerven ihre motorische Kraft zwischen der chemischen Zerst\u00f6rung und dem Muskel. Alle die genannten Mittel zerst\u00f6ren auch das Muskelfleisch, bewirken aber im Moment des Contactes Zuckungen, die heim Alkohol am schw\u00e4chsten sind, die ich aber doch einigemal hei Kaninchen beobachtet habe. Dagegen bewirken Alkalien oft die heftigsten Zuckungen, sobald sie auf die Nerven applicirt werden, oft viel heftigere als der","page":620},{"file":"p0621.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. Elektrische Reize.\n(521\nGalvanismus eines einfachen Plattenpaars. Bei der Application von Kali causticum auf einen Nerven sah ich wie v. Humboldt die heftigsten, anhaltenden Zuckungen in allen Muskeln entstehen, die von diesem Nerven Aeste erhalten. A. v. Humboldt hat das Zittern 40\u201450 Secunden beobachtet. Derselbe beobachtete auch, dass die Zuckungen erfolgen, wenn vorher um den Nerven eine oder mehrere Ligaturen gelegt worden. A. von Humboldt Versuche \u00fcber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. Posen, 1797. II. Rd. p. 363. Hier geschah die Fortleitung des Alkali\u2019s durch die Ligaturen. Durch die S\u00e4uren sah Humboldt keine Zuckungen entstehen; die einzigen Substanzen, welche auf die Nerven applicirt nach Humboldt Zuckungen erregen, sind Kali, Natron, Ammonium, (Opium?), salzsaure Schwererde, oxydir-ter Arsenik, Brechweinstein, (Alkohol, oxygenirte Salzs\u00e4ure?) Von beiden letzteren habe ich keine Zuckungen gesehen, wenn sie auf den Nieren allein applicirt wurden, auch nicht von Opium, wenn cs rein, als w\u00e4ssrige Aufl\u00f6sung, applicirt wird. A. v. Humboldt hat die Tinctur angewandt, bei welcher vielleicht der Weingeist wirkte, obgleich auch in einem Versuche von mir Opiumtinctur unwirksam war. Auch durch das Blut bewirken reizende Mittel Nervenreizung. Man weiss, dass Brechmittel, ins Blut eingespritzt, eben so wirken, w'ie wenn sie in den Darmkanal gelangen, so erregen Brechweinstein und salzsaure Schwererde, bloss in Wunden gestrichen, Erbrechen. Scskel nordisches Archiv 2. St. 1. p. 137. Magendie sur le vomissement. p. 16. 30. Bbodie philos, transact. 1812.\n4. Elektrische Reize (nach J. Mueller in dem encyclop. IViir-terh. der medic. IVissenschaften).\nD ie Elektricit\u00e4t bewirkt in den Nerven dieselben Pieactionen, wie die mechanischen und chemischen Reize. Durch mechanische Zerrung derNerven erh\u00e4lt man die Empfindung eines Schlages indem Nerven, wie man beim Anstossen an den N. ulnaris erf\u00e4hrt; dasselbe f\u00fchlt man hei einer elektrischen Entladung durch einen Nerven. Man darf diese Empfindung nur als Gef\u00fchl betrachten, und nicht die Ursache, die Elektricit\u00e4t, mit der Reaction des Nerven verwechseln. Die Empfindung des Schlags ist nicht die Action der Elektricit\u00e4t, sondern die Action des Nerven, welcher bei jeder heftigen Ver\u00e4nderung in dem Zustand seiner kleinsten Theile diese Empfindung hat, mag diese nur durch thicrische Reize oder durch mechanische Einfl\u00fcsse, oder durch Elektricit\u00e4t erzeugt seyn. D ie Entdeckung der galvanischen Elektricit\u00e4t im Jahre 1790 hat Gelegenheit gegeben, durch Application des elektrischen Reizes auf einzelne Nerven die Reizbarkeit derselben mehr zu pr\u00fcfen, obgleich man in diesem wichtigen Agens nicht ein den Nerven \u00e4hnlich wirkendes Fluidum, sondern nur einen neuen Reiz zu der Zahl der bekannten Reize der Nerven kennen gelernt hat. Heterogene Metalle und viele andere heterogene, selbst thierische Substanzen geratheu bei der Ber\u00fchrung in elektrische Spannung, die, wenn eine Leitung durch einen leitungs-iahigen K\u00f6rper zwischen den beiden Elektromotoren stattfindet, d. h. wenn die Kette geschlossen wird, sich ausgleicht und die","page":621},{"file":"p0622.txt","language":"de","ocr_de":"622 III.Buch. Nervenphysik, I.Abschn. Eigenschaften d.N.im Allgem.\ngew\u00f6hnlichen, der Elektricit\u00e4t eigenen Erscheinungen -bewirkt, wenn sich ein Reagens f\u00fcr die Elektricit\u00e4t in der kettenartigen Verbindung lindet. Wird ein Froschschenkel oder irgend ein anderer muskul\u00f6ser Theil eines Frosches oder frisch get\u00f6dteten anderen Thieres von dem Rumpfe abgel\u00f6st, die Muskeln von den h\u00e4utigen Theilen befreit und der Nerve frei herauspr\u00e4parirt, so dass er durch seine Aeste mit den Muskeln noch organisch zusammenh\u00e4ngt, der so pr\u00e4parirte Schenkel auf eine isoiirende Glasplatte gelegt und zwei heterogene Metallplatten, z. B. Zink und Kupfer, unter sich und zugleich mit dem Muskel und Nerven in Ber\u00fchrung gebracht, so ei'folgt im Moment der Schliessung, oft auch bei der Trennung dieser Kette eine Zuckung des Muskels. Diese erfolgt auch, wenn beide Metalle unter sich in Contact stehend den Nerven zugleich ber\u00fchren, oder wenn beide den Muskel allein ber\u00fchren. Auf diese Art angestellt, gelingt der galvanische Versuch jedesmal. Viele andere Modifications! \u2022 desselben unter einfacheren Bedingungen, deren Kenntniss wir den grossen Verdiensten Aldini\u2019s, Pfaff\u2019s, Ritter\u2019s, vor Allen Alex, von Humboldt's verdanken, gelingen aber nur bei grosser Reizbarkeit der Fr\u00f6sche vor der Begattungszeit, in der kaltem Jahreszeit nach dein Winterschlaf, nicht im Sommer, wohl aber nach meinen Beobachtungen wieder im Herbst, wenn die Witterung wieder k\u00e4lter zu werden beginnt. Diese einfacheren Versuche sind gerade f\u00fcr die Theorie der Erscheinungen die wichtigsten. Es sind folgende:\n1) Versuche ohne Ketten. Bei einer grossen Reizbarkeit der Fr\u00f6sche ist es nach Alex, von Humboldt\u2019s Entdeckung hinreichend, dass zwei heterogene oder seihst zwei homogene Metall-st\u00fccke sich ber\u00fchren, von denen eines allein den Nerven ber\u00fchrt, ein Fall, wo gar keine Kette gebildet wird; ja es erfolgen in seltenen F\u00e4llen hei einer sehr grossen Reizbarkeit des Froschschenkels selbst Zuckungen, wenn bloss der Nerve mit einem einzigen homogenen Metalle ber\u00fchrt wird \u2014 ein Fall, der zwar ungemein selten sich ereignet, den ich aber selbst schon beobachtet habe. Pfaff (Geiiler\u2019s physikal. TV \u00f6rterbuch. IV. 2. p. 709.) sah hei sehr reizbaren Individuen Zuckungen, wenn er bloss mit dem abgeschnittenen Ende des Nerven die Oberfl\u00e4che von Quecksilber herr\u00fchrte. Ich sah das Ph\u00e4nomen mehrmals, wenn ich mit der Spitze einer Scheere, die ich in der Hand hielt, oder mit einer Zinkplatte, die also an beiden Enden verschieden erw\u00e4rmt waren, den Nerven ber\u00fchrte. Man kann diesen Erfolg theils durch die Annahme eines geringen chemischen Unterschiedes in dem scheinbar homogenen Metalle, theils durch die Annahme eines W\u00e4rmeunterschiedes in demselben auf den Erfolg heterogener Metalle redlichen, da es nach den neueren Entdeckungen bekannt ist, dass seihst ein homogenes Metall durch die geringsten chemischen Unterschiede, oder durch verschiedene Erw\u00e4rmung an seinen Enden in elektrische Spannung ger\u00e4th. L\u00e4sst man den Nerven auf ein Metall herabfallen, so erleichtert diess die eieklrische Erregung, vielleicht mehr durch die Schnelligkeit der Mittheilung als durch die Ersch\u00fctterung, Die letztere ist","page":622},{"file":"p0623.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. Elektrische Reize.\t623\nohnehin-nicht die Ursache der Erscheinung, da das Herabfallen des Nerven auf Glas und Stein ohne Erfolg ist, wie die Versuche von Humboldt, Ritter und Pfaff lehren.\n2) Versuche mit kettenartiger Verbindung. Auch die Versuche mit der Kette sind bei sehr grosser Reizbarkeit bedeutender Vereinfachung f\u00e4hig, wobei jedoch bemerkt werden muss, dass diese einfachen Versuche nur in k\u00e4lterer Jahreszeit, Winter, Fr\u00fchling und Herbst, gelingen. So erfolgen in seltenen F\u00e4llen, wie von Humboldt entdeckt hat, Zuckungen, wenn die Glieder der Kette bloss thierische Theile sind, oder wenn sie thierische Theile und ein einfaches Metall sind, indem die heterogenen Metalle durch heterogene thierische Theile ersetzt werden.\na.\tIndem ein einziges Metall und Nerve und Muskel des Froschschenkels die Kette bilden. Dieser Fall ist mir im Fr\u00fchling vorder Begatlungszeit der Fr\u00f6sche und im Sp\u00e4therbst sehr oft und leicht gelungen. Legte ich den Nerven des Schenkels auf eine Zinkplatte und verband Nerven und Schenkelmuskeln durch eben diese Zinkplatte, indem ich die Zinkplatte den Schenkelmuskeln n\u00e4herte, so entstand oft eine Zuckung. Noch leichter gelang dieser Versuch, wenn die Zinkplatte, worauf der Nerve des Schenkels lag und der Muskel durch ein St\u00fcck von einem Frosche verbunden wurden; oder man nimmt in eine Hand eine Zinkplatte, ber\u00fchrt mit dieser den Nerven und, indem man mit seinem eigenen K\u00f6rper die Kette schliesst, mit der andern Hand den Froschschenkel.\nb.\tIndem der Schenkelnerve und seine Schenkelmuskeln mittelst feuchter thierischer Theile verbunden werden. Bei sehr reizbaren Froschschenkeln kann man Zuckungen erregen, wenn man zwischen dem herauspr\u00e4parirten Nerven und seinem Muskel ein getrenntes St\u00fcck Muskelfleisch, das an einem isolirenden Griff von Siegellack befestigt ist, einschiebt und beide ber\u00fchrt, wie Alex, von Humboldt entdeckte und ich mehrmals wieder sah. Complicirter ist der von mir angestellte Versuch, dass man zwischen dem Nerven des pr\u00e4parirten Froschschenkels und dem Unterschenkel die Kette schliesst mittelst beider H\u00e4nde durch seinen eigenen K\u00f6rper, oder durch einen oder zwei lebende Fr\u00f6sche, oder durch einen oder zwei todte Fr\u00f6sche, oder durch St\u00fccke eines Frosches. St\u00fccke von einem todten faulenden Frosche sind selbst zur Schliessung der Kette bei hinreichender Reizbarkeit hinreichend; man erlangt denselben Erfolg, wenn man, wie ich that, den Schenkelnerven, der am Unterschenkel heraush\u00e4ngt, in ein Sch\u00e4lchen mit Blut oder Wasser (gleichviel) legt, und das Wasser und die Oberschenkelmuskeln mit einem St\u00fcck frischen oder faulen Muskelfleisches verbindet.\nc.\tAuch wenn nicht die Muskeln des Froschschenkels, sondern nur ihr Nerve sich in der Kette befindet, kann durch einen blossen thierischen Bogen Zuckung bewirkt werden, wie von Humboldt zeigte. Er ber\u00fchrte den Cruralnerven (N. ischiadicus) mit seiner einen Hand und mit einem St\u00fcckchen Muskelfleisch, welches er in der andern Hand hielt, denselben Nerven, worauf","page":623},{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"624 III. Buch. Nervenphrsik. I.Abschn. Eigenschaft end. N. im Allgem\nZuckung entstand. Wurde statt des Muskelfleisches ein St\u00fcck Elfenbein genommen, so blieben die Zuckungen aus.\nd. In den seltensten Fallen erfolgen selbst kleine Zuckungen, wenn der Nerve gegen den organisch mit ihm verbundenen Muskel umgebogen und der letzte mit dem Nerven ber\u00fchrt wird.\nDie ersten Ph\u00e4nomene dieser Art bat von Humboldt gesehen. A. von Humboldt zog einem Frosch die Haut ab und pr\u00e4\u2014 parirte ihn so, dass der Rumpf mit den Schenkeln nur durch die entbl\u00f6ssten ischiadischen Nerven zusammenhing. Es entstanden heftige Zuckungen, als er das Muskelfleisch der Lende leise gegen den ischiadischen Nerven zur\u00fcckbeugte, [lieber die gereizte Muskel- und Nervenfaser. I. 32.) Um diesen Versuch richtig zu verstehen, muss man wissen, dass von Humboldt unter Froseh-lcnden immer das Schenkelfleisch, unter Ischiadnerv die St\u00e4mme der Nerven f\u00fcr die unteren Extremit\u00e4ten \u00fcber dem Becken, unter Cruralnerven dagegen den Hauptnerven f\u00fcr die untern Extremit\u00e4ten (N. ischiadicus) am Schenkel selbst versteht. (Am angef\u00fchrten Ort p. 35. Note.) A. von Humboldt\u2019s Versuch bestand also darin, dass er zwischen dem Becken und dem Ende des R\u00fcckenmarks alle Theile ausser den Nerven wegnahm, so dass der Rumpf mit den untern Extremit\u00e4ten nur durch die St\u00e4mme der Ner ven f\u00fcr dieselben zusammenhing, und dass von Humboldt nun das Muskelfleisch des Schenkels gegen jene St\u00e4mme der Nerven nach vorw\u00e4rts umbeugte. Schon Volta hatte hei einem \u00e4hnlichen Versuche von Galvani eingeworfen, dass die erfolgende Zuckung bloss von der Zerrung des Nerven abh\u00e4nge, also nicht unter die galvanischen Ph\u00e4nomene geh\u00f6re. Nach meiner Beobachtung ist diess auch in diesem HuMBOLDT\u2019schen Versuche der Fall: die Zuckung erfolgte \u00f6fters schon lange, ehe der entbl\u00f6sste Schenkel die St\u00e4mme der Spinalnerven ber\u00fchrte. Diese Zerrung des Nerven ist auch nicht wohl zu vermeiden, da der N. ischiadicus sich um den hintern Theil des untern Beckenendes herumschl\u00e4gt, um zum Schenkel zu gelangen. Der Nerve wird, beim Umheugen des Schenkels nach vorn gegen den Rumpf, an dieser Stelle gezerrt oder gedehnt; hei der Zerrung oder Dehnung eines Nerven erfolgen aber immer Zuckungen. Derselbe Einwurf trifft ilen von Galvani angestellten Versuch, wo, wenn ein Frosch abgezogen, ausgeweidet und so pr\u00e4parirt wurde, dass hei fast ganz weggeschnittenem untern Theile des R\u00fcckgrats (Steiss-bein) die Schenkel nur durch die genannten Nervenst\u00e4mme mit dem Rumpfe zusammenhingen, heftige Zuckungen am ganzen Frosch entstanden, sobald die Wadenmuskeln des Frosches gegen die Schultern zur\u00fcckgehogen wurden, ln diesem Falle wurde das ganze R\u00fcckenmark gezerrt; indessen l\u00e4sst sich der Versuch doch auch so anstellen, dass diese Einw\u00fcrfe wegfallen. Nie wollte es zwar von Humboldt gelingen, Zuckungen zu erhalten, wenn er nach Abtrennung des Nerven vom Rumpfe den Schenkel gegen den Nerven und diesen gegen jenen bog; auch sah er keine Zuckungen, wenn er ohne die Muskeln zu ber\u00fchren, mit einem abgeschnittenen Nervenst\u00fcck einen Bogen bildend, den Nerven des Muskels an zwei Punkten ber\u00fchrte. Dagegen ist dieser vor-","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. Elektrische Reize.\n625\nletzte Versuch Pfaff sehr h\u00e4ufig gelungen, besonders wenn der Schenkelnerve in einer etwas grossem Strecke mit der Haut des Schenkels, nicht aber, wenn er mit den Muskeln unmittelbar in Ber\u00fchrung gebracht wurde. Gerade auf diese Art ist der Versuch auch mir gelungen. Ich bewirkte (im Fr\u00fchling, vor der Begattung der Fr\u00f6sche) an einem blossen Unterschenkel mit heraush\u00e4ngendem Stamm der Schenkelnerven Zuckungen, indem ich den Nerven mit einem isolirenden St\u00e4bchen dem Unterschenkel n\u00e4herte und mit dem Nerven die nasse Oberhaut des Unterschenkels ber\u00fchrte; auch erfolgte eine Zuckung, als ich den Nerven vom Unterschenkel wieder abzog {Physiologie I. p. 68.). In diesem Falle bestand die Kette aus heterogenen Substanzen, n\u00e4mlich aus Nerve, Muskel und Haut. Zwei von diesen kann man als Elektromotoren, den dritten als Leiter betrachten. Es entsteht ein elektrischer Strom und die Nervenkraft des Nerven ist das Reagens oder das Elektrometer, indem sie in Folge des elektrischen Stromes gereizt Zuckung erregt. Wird dagegen der Nerve des Schenkels einfach gegen den von der Haut entbl\u00f6ssten Muskel umgebogen, so sind nur zwei Substanzen vorhanden, wovon die eine die andere an zwei Stellen ber\u00fchrt, aber die kettenartige Verbindung zwischen beiden Substanzen durch einen dritten K\u00f6rper fehlt. Als allgemeine Bedingung zur Entstehung von Zuckungen aus galvanischen Ursachen kann man folgende ansehen: Zur Erregung von Zuckungen bei der Kette sind drei Substanzen n\u00f6thig, zwei Elektromotoren und ein Leiter, der sie kettenartig verbindet. Diese Elektromotoren k\u00f6nnen auch belebte und unbelebte thierische heterogene Theile seyn, Nerve und Muskel, Muskel und Haut u. s. w. Leiter kann auch ein dritter thierisclier Theil seyn, der mit einem der thierischen Elektromotoren homogen seyn kann; ein St\u00fcck eines Nerven und die organisch verbundenen Muskeln und Nerven bilden schon eine Kette, aber die organisch verbundenen Muskeln und Nerven allein sind ohne einen dritten ihnen homogenen oder heterogenen K\u00f6rper nicht zur Kette hinreichend. Ein Nerve gegen den Muskel umgebogen, giebt keine Zuckung, wohl aber, wenn er \u00fcber die noch vorhandene \u00e4ussere Haut umgebogen wird; steht aber der dritte K\u00f6rper mit dem Muskel und Nerven, wenn gleich einem von beiden homogen, nicht in organischer Verbindung, ist er vielmehr ein getrenntes St\u00fcck, so kann er als Glied der Kette wirken, wie z. B. Zuckungen entstehen, wenn man durch den Bogen von einem abgetrennten Nervenst\u00fccke, oder durch einen Bogen von einem St\u00fcck Muskelfleisch, die organisch verbundenen Muskel und Nerven zugleich ber\u00fchrt.\nSind die Elektromotoren blosse Metalle, so sind die orga-nich verbundenen Nerve und Muskel Leiter und Elektrometer zugleich; Leiter, we:l Nerve und Muskel nass sind, Elektrometer, weil die Nervenkraft in Folge des Reizes des elektrischen Fluidums Zuckung erregt. Sie sind hier aut gleiche Art das Elektrometer, w'ie unter \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden ein nicht thierisches Elektrometer, z. B. ein magnetischer Multiplikator. Es k\u00f6nnen aber die Elektromotoren auch thierische Theile seihst seyn. So k\u00f6nnen","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626 III. Buch. Nervenphysik. I.Abschn. Eigenschaften cl. N. im Allgem.\ndie organisch verbundenen i\\Terve und Muskel als heterogene Substanzen so gut wie zwei heterogene todte tbierische Theile Elektromotoren seyn; insofern sie aber lebend sind, sind sie auch zugleich das Elektrometer durch die Reizung der Nervenkraft in Folge der elektromotorischen Erregung.\nBei den Zuckungen, die ohne Kette durch blosse Application von einem zweier heterogener sich ber\u00fchrender Metalle, oder durch Application eines einzigen Metalles auf den Nerven entstehen, muss man den Nerven als blosses Elektrometer betrachten, das die in den heterogenen Metallen oder selbst in einem homogenen Metalle (durch Thermoelektricit\u00e4t) entstandene elektrische Spannung anzeigt.\nNachdem nun die allgemeinen und einfachsten Bedingungen, unter welchen durch Galvanismus Muskelcontractionen entstehen, auseinandergesetzt worden, muss jetzt von dem Verhalten der thieriscben Theile bei der Schliessung, Oeffnung und w\u00e4hrend des Geschlossenseyns der Kette gehandelt werden. Wird das positive Metall als Nervenarmatur, das negative als Muskelarmatur benutzt, so erfolgen die Zuckungen meist im Augenblicke der Schliessung der Kette, aber keine oder wenigstens weit schw\u00e4chere bei der Trennung derselben. So verh\u00e4lt es sich auch, wenn das positive Metall mit dem Centralende des Nerven, das negative .Metall mit einem den Muskeln n\u00e4hern Theile des Nerven verbunden wird. Indessen giebt es mannichfache Zust\u00e4nde der Erregung, in welchen diese Erscheinungen Ab\u00e4nderungen erleiden; im ersten, wenn die thieriscben Theile noch den h\u00f6chsten Grad der Erregbarkeit besitzen, erfolgt die Schliessungszuk-kung bei der negativen Bewaffnung des Nerven, und nur diese allein, die Trennungszuckung dagegen bei der positiven Bewaffnung des Nerven; im zweiten Zustande der Erregbarkeit, der allm\u00e4blig aus dem ersten sich entwickelt und im Verlust der Erregbarkeit zuletzt endigt, erregt die negative Bewaffnung des Nerven oder des Centralendes des Nerven die Trennungszuckung, die positive Bewaffnung die Schliessungszuckung, die Mittelstufe sey die, wo Trennungs- und Schliessungszuckung bei jeder Bewaffnung des Nerven gleich ist. Nach Pfaff\u2019s Untersuchungen h\u00e4ngt das Verhalten indess sehr von den vorher schon angestell-ten Versuchen ab; bleibt z. B. die Kette bei negativer Bewaffnung des Nerven eine Zeitlang geschlossen, so kehrt sich das Verh\u00e4ltniss nicht um. Gehler\u2019s Physik. W\u00e4rt erb. IV. P. II. p. 721. Ueber diesen Gegenstand haben in neuerer Zeit wieder Mabianini und Nobili Untersuchungen angestellt. Der von Ritter angenommene Gegensatz der Flexoren und Extensoren in Hinsicht der Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr den galvanischen Reiz hat sich nicht best\u00e4tigt.\nIn der geschlossenen Kette halten sich die Muskeln ruhig, und es wird nur ihre Erregbarkeit ver\u00e4ndert. Nach Pfaff\u2019s Erfahrung wirken die geschlossenen Ketten nach Verschiedenheit der Vertheilung der Metalle an die Muskeln und Nerven entweder deprimirend oder exaltirend. Befindet sich ein Froschpr\u00e4pa-rat in einer Kette, worin das positive Metall (Zink) die Nerven-","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit der Nerven. Elektrische Reize.\n627\narmatur bildet, so vermindert sich die Reizbarkeit schneller als an einem andern Froschschenkel ausser der Kette, und nach Pfaff kann man meist selbst die kr\u00e4ftigste Reizbarkeit durch Verweilen des Froschschenkels binnen einer Viertelstunde in einer solchen Kette so weit vermindern, dass er auf die st\u00e4rksten Reize nicht mehr reagirt. Ganz anders soll die Kette wirken, wenn das negative Metall, Kupfer, an dem Nerven applicirt war; nach einiger Zeit soll nun der h\u00f6chste Grad der Reizbarkeit eingetreten seyn, so dass im Augenblick der Oeffnung die Muskeln zuweilen in den st\u00e4rksten Tetanus gerathen.\nDass die Nerven bei der Erregung durch galvanisches Fluidum keine blossen Leiter der Elektricit\u00e4t sind, gebt daraus hervor, dass, wenn man die beiden Armaturen an dem Nerven selbst applicirt, und also einen queren galvanischen Strom durch die Dicke des Nerven verursacht, der Nerve zwar die Zuckung bewirkt, dass aber ein gequetschter oder unterbundener Nerve, \u00fcber der verletzten Stelle arrnirt, nicht mehr durch die verletzte Stelle hindurch wirkt. Alan sieht also, dass ein gequetschter oder durch einen nassen Faden unterbundener Nerve kein Leiter des wirksamen Princips der Nerven mehr ist. Dennoch ist er aber noch ein eben so guter Eleklricit\u00e4tsleiler, wie vorher; denn wird der Nerve \u00fcber und unter der Ligatur armirt, so geht der elektrische Strom durch die Unterbindungsstelle durch, und das Nervenprincip in dem zwischen Ligatur und Muskel befindlichen Nervenst\u00fcck bewirkt nun die Zuckung, weil es von dem elektrischen Strome angeregt wird, oder sich in der Kette befindet. Ein merkw\u00fcrdiger Umstand ist der von Humboldt beobachtete, dass, wenn man durch Armirung eines Muskels und seines vorher unterbundenen Nervens \u00fcber der Unterbindungsstelle Zuckungen erregen will, von der Unterbindungsstelle des Nerven bis zu seinem Eintritt in den Muskel durchaus noch ein St\u00fcck freiliegenden Nervens seyn muss. Denn unterbindet man den Nerven gleich bei seinem Eintritt in den Muskel, und armirt den Muskel und Nerven \u00fcber der Unterbindung, so erfolgt keine Zuckung. Diese letztere erfolgt aber, wenn man den Nerven jetzt eine Strecke aus dem Muskel berauspr\u00e4parirt; auch h\u00f6rt die Zuckung auf, wenn zwischen Unterbindung und Muskel zwar ein St\u00fcck Nerve frei liegt, dieses St\u00fcck aber mit Muskelfleisch, nassem Schwamm oder iVJetall umgeben wird. Es scheint also, dass in dieser.-. Falle der Nerve zwischen der Unterbindung und dem Muskel isolirt seyn muss.\nDie Zuckungen sind bei allen Froschschenkelversuchen um so st\u00e4rker, je l\u00e4nger das zu einem Muskel hingehende Nervenst\u00fcck ist. Pfaff. Die Wirkungen erfolgen ferner immer in der Richtung der Verzweigungen der Nerven, und man kann durch einen Nerven, welcher allein armirt wird, mit der einfachen Kette keine Zuckungen in Muskeln erregen, welche h\u00f6her vom Stamme des Nerven ab Aeste erhalten. Dagegen zucken bei der Armirung eines Nervenstammes immer alle Muskeln, welche von dem Stamme aus nach abw\u00e4rts Zweige erhalten. Bei der Armirung eines Stammes armirt man nothwendig alle schon in ihm vorge-","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628 III. Buch. Neroenphysik. I.Ahschn. Eigenschaft end. IS'. im Allgem.\nbildeten Fasern, die in die Zweige \u00fcbergelien. Da die in dem Stamm enthaltenen Primitivfasern seiner Zweige in dem Stamme nicht anastomosiren, so kann die Reizung eines Zweiges auch nicht auf die h\u00f6her abgebenden Muskelzweige zur\u00fcckwirken. Vielleicht h\u00e4ngt indess die Wirkung dpr Nerven in der Richtung ihrer Verzweigung auch davon ah, dass die Muskelnerven das Nervenprineip oder die Bewegung desselben bloss in der centri-frugalen Richtung fortpflanzen. Die St\u00e4rke der Zuckung eines Muskels h\u00e4ngt \u00fcbrigens immer davon ah , wie viele Nervenfasern desselben in der Rette liegen; daher ist die Zuckung am geringsten, wenn bloss der Muskel in der Kette liegt, und es zuckt dann auch nur derjenige Theil des Muskels, dessen Nervenzweige dem Strome ausgesetzt sind.\nJede Ver\u00e4nderung in der Statik des elektrischen Fluidums scheint \u00fcbrigens Ursache zur Erregung des Princips der Nerven zu werden. Denn nach Maeiantni l\u00e4sst sich nicht allein durch Oeffnung und Schliessung der Rette Zuckung erregen, sondern auch durch partielle Ablenkung des Stromes aus dem Froscli-schenkel, und nach Erman entstehen hei geschlossener Rette neue Contractionen, wenn der Nerve s0 gegen sich zur\u00fcckgebogen wird, dass er sich in neuen Punkten seiner continuirfichen Strecke ber\u00fchrt.\nBei dem Absterben der Erregbarkeit in den vom Ganzen getrennten Theilen haben Ritter u. A. beobachtet, dass dieses Ah-sterben nicht an allen Stellen der Nerven zugleich, sondern vom Ilirnende nach dem peripherischen Ende erfolgt.\nEinige von mir im Jahre 1831 gemachte Beobachtungen haben den galvanischen Versuchen an Fr\u00f6schen ein neues Feld er\u00f6ffnet (Froriep\u2019s Kot. 646. 647.). Es hat sich n\u00e4mlich hierdurch gezeigt, dass es gewisse zu Muskeln hingehende Nerven giebt, durch welche man vermittelst Armatur der Nerven seihst keine Zuckungen in den Muskeln erregen kann. Hierher geh\u00f6ren die hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven, welche l\u00fcr einen massigen galvanischen Reiz ganz unempfindlich sind, w\u00e4hrend die vorderen Wurzeln derselben f\u00fcr den galvanischen Reiz eine ausserordentliche Empfindlichkeit besitzen, und hei unmittelbarer Armatur derselben die heftigsten Zuckungen der Muskeln, zu welchen diese Nerven hingehen, bewirken. Bei diesen Versuchen \u00f6ffnet man das R\u00fcckgrat der Fr\u00f6sche in seiner unteren H\u00e4lfte, legt das R\u00fcckenmark bloss, hebt eine der hinteren Wurzeln'der Nerven f\u00fcr die unteren Extremit\u00e4ten mit einer Nadel sanft auf, und schneidet sie mit einer feinen Seheere dicht am R\u00fcckenmark ab. Man legt dann die abgetrennte Wurzel auf ein ganz kleines Glaspl\u00e4ttchen zur Isolation, und armirt das Ende dieser Wurzel mit einer Zink- und Rupferplatte, die man kettenartig verbindet; es entstehen dann niemals Zuckungen, wohl aber, wenn man denselben Versuch mit den vorderen Wurzeln macht. Man kann sogar eine kleine galvanische S\u00e4ule auf das Ende der hintern Wurzel wirken lassen, ohne dass Zuckungen entstehen. Nat\u00fcrlicher kV eise dai t diese nicht zu stark seyn, wie in den ziemlich ungeschickt angestellten Versuchen von Seubkrt, sonst springt","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"029\n2. Reizbarkeit der Nerven. Elektrische Reize.\ndas galvanische Fluidum auf die vordere Wurzel, als einen feuchten Leiter, \u00fcber, mit welchem die hintere verbunden ist, und es k\u00f6nnen Zuckungen erfolgen. Ich habe auch gezeigt, dass unter den 3 Zungennerven der Nervus lingualis hei der blossen Armatur des Nerven keine Zuckungen der Zunge bewirkt, w\u00e4hrend dieser Versuch, an dem N. hypoglossus angestellt, jedesmal Zuk-kungen bewirkt. Diese letzteren Versuche sind an S\u00e4ugethieren angestellt. Aus anderen Versuchen weiss man, dass diejenigen Nerven, die bei der blossen Armatur derselben keine Zuckungen der Muskeln verursachen, Empfindungsnerven sind. Sonst k\u00f6nnen diese Nerven nat\u00fcrlich auch als Leiter des galvanischen Fluidums wirken, wie jeder andere feuchte thierische Theil. So zum Beispiel erfolgen Zuckungen, wenn man einerseits den N. lingualis und andrerseits die Zunge armirt, oder wenn man die Armatur auf die hintere Wurzel eines R\u00fcckenmarksnerven und auf die Muskeln anwendet, wobei der Nerve bloss Conductor ist, und nicht als lebendiger Theil wirkt. Es geht aus diesen Versuchen das merkw\u00fcrdige Resultat hervor, dass gewisse, mit Muskelnerven zusammenh\u00e4ngende Nerven hei der galvanischen Erregung doch nicht durch das Nervenprincip auf die Muskeln wirken, was man auf zweierlei Art erkl\u00e4ren kann, weil entweder bloss die motorischen Nerven die lebendige F\u00e4higkeit haben, die Muskeln zu erregen, oder weil vielleicht die motorischen Nerven nur centrifugale Wirkungen des Nervenprincips nach den Muskeln, die sensibeln Nerven nur centripetale Wir-kungen gegen Gehirn und R\u00fcckenmark zulassen.\nWas die Wirkung des Galvanismus auf die Sinnesorgane be-triflt, so hat sich gezeigt, dass das elektrische Fluidum in allen Sinnesorganen verschiedene Empfindungen hervorruft, und zwar in jedem Sinnesorgane die diesem eigent\u00fcmliche specifische Empfindung. Bekannt ist der eigent\u00fcmliche Geschmack hei der Bewaffnung der Zunge. So entsteht, wenn Zink an die Spitze der Zunge, Silber an den hintern Theil derselben applicirt wird, ein s\u00e4uerlicher Geschmack, welcher bei der Umkehrung der Metalle scharf oder laugenhaft erscheint. Diese Erscheinung l\u00e4sst sich selbst hei der Anwendung nur eines Metalles und eines feuchten Erregers bewirken, wie in folgendem von Volta angegebenen Versuche.\nMan f\u00fclle einen zinnernen Becher mit Seifenwasser, Kalkmilch oder besser mit massig stalker Lauge, fasse den Becher mit einer oder beiden H\u00e4nden, die man mit blossem Wasser feucht gemacht hat, und bringe die Spitze der Zunge mit der Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung, so entsteht im Augenblicke des Contacts die Empfindung von einem s\u00e4uern Geschmack (Gehler\u2019s Physik. W\u00e4rt erb. IV. 2. /;. 736.).\nPfaff bemerkt hierbei, dass dieser Versuch zu beweisen scheine, dass nicht die durch Zersetzung des Kochsalzes des Speichels an dem positiven Metalle entbundene S\u00e4ure, und das an dem negativen Pole freigewordene Alkali den Geschmack hei den galvanischen Versuchen verursache. In der That h\u00e4tte er in gegenw\u00e4rtigem Versuche hei Ber\u00fchrung der Zunge durch eine lau-","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630 111.Buch. \u00ceServmphysik. I.Abschn. Eigenschajt end.JS.im Allgem.\ngenhafte Fl\u00fcssigkeit unm\u00f6glich sauer seyn k\u00f6nnen. Ueberliaupt wird dieser Geschmack vom Galvanismus wohl richtiger, wie aller Geschmack, von der specilischen Reaction der Geschmacks-nerven abgeleitet, so dass ein Geschmack nur ein subjectiver Zustand des Gescbmacksnerven, nicht aber etwas Aeusseres ist.\nEigenth\u00fcmlicbe Ger\u00fcche von Anwendung des Galvanismus auf das Geruchsorgan sind bis jetzt noch wenig bemerkt worden; doch bat RirTER Ger\u00fcche beobachtet; auch weiss man, dass die Reibungselektri cit\u00e2t den Geruch von Phosphor hervorruft. Ritter Beitr\u00fcge zur n\u00e4hern Kenntniss des Galvanismus, p. 160.\nln dem Auge erregt dagegen der Galvanismus die speci-fische Empfindung des Sehnerven, die Lichtempfindung, wenn man n\u00e4mlich einen leichten galvanischen Strom durch das Auge leitet, vermittelst Application der beiden Metalle auf feuchte Theile, welche das Auge begrenzen. Wie die Empfindungen von Farben im Auge hervorgerufen werden, haben Ritter und Purkinje gezeigt. Es sind heutzutage die Zeiten nicht mehr, in welchen man diese Lichterscheinung im Auge als eine Entwickelung von Lichtmaterie ansah. ln diesem Fall m\u00fcsste das hierbei entwickelte Licht die F\u00e4higkeit zu beleuchten haben, und man m\u00fcsste im Dunkeln dabei sehen k\u00f6nnen; diess ist aber nicht der Fall. Die Lichtempfindung ist hier vielmehr die gew\u00f6hnliche Reaction des Sehnerven*, welcher gegen alle Reize, mechanische sowohl als elektrische, Licht als einen Zustand seiner selbst empfindet, der bloss subjectiv und die Qualit\u00e4t der Empfindung ist, gleichwie Wollust und Schmerz Qualit\u00e4ten oder Zust\u00e4nde anderer Nerven, n\u00e4mlich der Gef\u00fchlsnerven sind, w\u00e4hrend der Sehnerve bloss der Empfindung von Licht und Farben, nach Ma-gendie aber nicht der Empfindung des Schmerzes f\u00e4hig ist. Diese Ansicht von der Natur jener Licllterscheinungen, welche nach den einflussreichen Versuchen von Purkinje \u00fcber das subjective Sehen, und nach unseren eigenen zahlreichen Erfahrungen in diesem Felde unausweichlich ist, sehen wir auch von Physikern des ersten Ranges vorgetragen. So erkl\u00e4rt n\u00e4mlich Pf a ff die erw\u00e4hnte Erscheinung, indem: \u201e\u00fcberhaupt Reize von der verschiedensten Art, namentlich mancherlei mechanische, die auf das Auge einwirken, in dem Sehnerven die specifische Empfindung, durch welche er reagirt, Lichterscheinungen unter mancherlei Gestalten, als Blitze u. s. w., hervorbringen.\u201c Gleichwie die Elektrici-t\u00e4t im Auge einen Zustand des Sehnerven als Lichtempfindung bewirkt, so bewirkt sie in dem Geh\u00f6rnerven einen Zustand als Ton-empfindung. Volta empfand, als sich seine Ohren in der Kette einer S\u00e4ule von 40 Plattenpaaren befanden, im Augenblick der Schliessung eine Ersch\u00fctterung im Kopfe, und einige Augenblicke nachher ein Zischen und stossweises Ger\u00e4usch, wie wenn eine z\u00e4he Materie kochte, welches die ganze Zeit der Schliessung der Kette fortdauerte. Philos, transact. 1800. p. 127. Ritter empfand bei der Schliessung der Kette, wenn beide Ohren sich darin befanden, einen Ton wie G der eingestrichenen Octave oder g~; befand sich nur ein Ohr in der Kette, so war vorn positiven Pol aus der Ton tiefer als g, am negativen aber h\u00f6-","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"631\n2. Reizbarkeit der Nerven. Ver\u00e4nderung derselben.\nher. Heber die Wirkungen der Elektricit\u00e4t auf die Absonderungen siehe oben p. 466.\n1[. Uebcr die Ver\u00e4nderung der Reizbarkeit durch die Reize.\nBisher haben wir bloss die Erscheinungen der Kr\u00e4fte untersucht, welche durch die Anwendung der Heize entstehen. Jetzt weiden wir die Ver\u00e4nderungen der Kr\u00e4fte selbst betrachten. Alle reizenden Einfl\u00fcsse, welche in den Nerven durch Ver\u00e4nderung der Materie Erscheinungen ihrer Kr\u00e4fte hervorrufcn, k\u00f6nnen auch die Reizbarkeit selbst ver\u00e4ndern. Bei jeder Reaction findet ein Aufwand der vorhandenen Kr\u00e4fte statt, insofern sie durch Ver\u00e4nderung der Materie bewirkt wird, je l\u00e4nger die Reizung dauert, um so gr\u00f6sser ist diese Ver\u00e4nderung. In dem gesunden Leben ist die Erregung nie so gross, dass durch gewaltsame Ver\u00e4nderung der Materie die F\u00e4higkeit zu Lebens\u00e4usserungen auf eine empfindliche Art verletzt wird. Die best\u00e4ndige Wiedererzeugung, die Ausgleichung der materiellen Ver\u00e4nderungen durch die w\u00e4hrend der Ern\u00e4hrung fortgesetzte Wiedererzeugung, gleicht die t\u00e4glichen Ver\u00e4nderungen aus. Wenn aber die Reizung st\u00e4rker wird, so reicht die Wiedererzeugung nicht so bald hin, um diesen Verlust zu ersetzen, und die Reizung kann so stark seyn, dass sie die Summe der vorhandenen Kr\u00e4fte ersch\u00f6pft. Diese Verh\u00e4ltnisse, welche wir in dei Aus\u00fcbung der Muskelbewegung, des Geschlechtstriebs, der Geistesfunctionen t\u00e4glich kennen lernen, finden auch bei der unmittelbaren Anwendung der Reize auf die Nerven statt. Wenn man einen Nerven lange galvanisirt, so werden die Reactionen immer schw\u00e4cher und zuletzt Null, und es bedarf einiger Zeit, ehe wieder Reaction erfolgt, wenn sich n\u00e4mlich die Nervenkraft (durch den Contact mit dem Blut) wieder eiholt hat. Es ist eben so mit den Empfindungen. Je l\u00e4nger man ein farbiges Bild ansieht, um so schmutziger wird es und es verschwindet zuletzt in Grau, je mehr die vom Licht gereizte Stelle an Reactionskraft verliert; diese Stelle siebt zuletzt ^ai nicht mehr. ln allen diesen F\u00e4llen wird die Reizbarkeit urch die Pieizung ersch\u00f6pft, und nicht durch die eigenth\u00fcmli-che V\\ irkung der Einfl \u00fcsse. Die Reizbarkeit kann aber auch, was Brown nicht glaubte, was aber von der Theorie des Con-rastimulo besonders anerkannt worden ist, durch Einfl\u00fcsse un-mittelbar ohne Reizung sogleich ersch\u00f6pft [werden, wenn eine remdurtige Potenz sich unmittelbar auf Kosten der organischen ombinationen geltend macht und den Nerven mit der Nerven-raft vernichtet, So wirkt die Elektricit\u00e4t im h\u00f6chsten Grade \u00fces EfTects im Blitz, eben so der Druck, die Zerquetschung des erven und seiner Primitivfasern, ferner die Behandlung der Nerven mit chemischen Agentien, welche die organische Combination des Nerven aufheben, und zersetzen, wie die minerali-e\u00fcen Sauren, die Metallsalze, Alkohol im concentrirten Zustande.\n\u2022 wirkt diese fremdartige Gewalt auf alle Nerven zugleich, Wie die Elektricit\u00e4t in dem Blitze, oder eine sehr starke Batterie,\n0 ei wird ein Nerve in seiner ganzen L\u00e4nge ausgedehnt, so wird\nM N 11 ev \u2019 s l>hysJolo<ji/L\t, *","page":631},{"file":"p0632.txt","language":"de","ocr_de":"632 III. Buch. Nervenphysik. I. Abschn. higensr haften (1. A.trn Ailgem.\ndie Reizbarkeit in dem ganzen Nerven oder im ganzen Organismus aufgehoben; wirkt sie nur aut einer Stelle des Nerven, wie Cau-slica, Druck, Quetschung, so wird auch nur diese Stelle gelahmt, und die zwischen der Quetschung und dem Muskel befindlichen Theile des Nerven haben ihre motorischen Kr\u00e4fte behalten.\nDie W\u00e4rme und die K\u00e4lte, welche ui einer gewissen St\u00e4rke und einer gewissen Zeit Stimulantien sind, werden deprimirend, sobald sie sehr lange im starkem Grad angewandt werden.\nDie K\u00e4lte, welche so gut wie die W\u00e4rme Entz\u00fcndung und Brand erregen kann, macht die Glieder taub oder empfindungs-und bewegungslos; diese Wirkung kann \u00f6rtlich und allgemein seyn: die W\u00e4rme scheint \u00f6rtlich ohne Entz\u00fcndung und Brand zu erregen, nicht die Glieder taub zu machen; allein die allgemeine anhaltende Wirkung der W\u00e4rme ist auch Schw\u00e4che der Nervenf'unctionen.\nBei einigen Einfl\u00fcssen geht vorder Zerst\u00f6rung noch eine kurze Irritation vorher, wie beim Quetschen der Nerven, bei der Behandlung derselben mit Alkali. Dieselben Reizuugserscheinungen beobachtet man noch deutlicher bei einem grossen Theil der Narcotica, deren Hauptwirkung scheint, die Mischung der Nerven zu ver\u00e4ndern und in h\u00f6herem Grad der Wirkung, die Nervenkraft aufzuheben.\nEine ganze Abtheilung von Stoffen besitzt im aufgel\u00f6sten Zustande einen gewissen Einfluss auf die Kr\u00e4fte der Nerven und zerst\u00f6rt dieselben, ohne class diese Stoffe sich auf sehr eigenth\u00fcmliche Art gegen andere chemische Reagentien verhalten, ohne dass sie caustisch sind, und die organischen Verbindungen im Allgemeinen aufl\u00f6sen. Diess sind die Alte-rantia nervina, die man Narcotica nennt. Alle diese Mittel alte-riren die materielle Zusammensetzung der Nerven. Einige sind in kleinen Gaben reizend und weniger deprimirend, wie Opium, Nux vomica, alle in grossen Gaben sogleich deprimirend durch Alteration. Dass diess durch eine unseren Sinnen und der chemischen Probe entgehende Umwandlung der Nervenmaterie geschieht, ist wahrscheinlich und anzunehmen nothwendig; allein diese Umwandlung zeigt sich uns nur an dem Verluste der Nerven-kr\u00e4fte, und der durch Narcotica get\u00f6dtete Nerve verh\u00e4lt sich dem \u00e4ussern Anschein nach ganz so wie der gesunde Nerve, wenigstens wenn man reine Narcotica in w\u00e4ssrigen Aufl\u00f6sungen, zum Beispiel w\u00e4ssrige Aufl\u00f6sung von Opium, anwendet.\nEhe wir nun aber die Wirkung der narcotischen Stoffe auf die Nerven n\u00e4her untersuchen, wollen wir erw\u00e4gen, ob es nicht auch Stoffe giebt, welche die Reizbarkeit der Nerven erh\u00f6hen.\n/. Inie.grirende Reize.\nNach fr\u00fcheren Versuchen war es sehr wahrscheinlich, dass es viele Stoffe giebt, welche die Reizbarkeit der Nerven erh\u00f6hen, und die Heilkunde erwartete von diesen Versuchen einen grossen Erfolg. A. v. Humboldt \u00fcber die gereizte Muskel- und \u00ceServenjaser. Allein die st\u00e4rkere Wirkung der galvanischen Action nach Befeuchtung der Nerven mit Arjua oxymunatica und alkalischen Solutionen beweist noch nicht, dass die Reizbarkeit der Nerven durch jene Fl\u00fcssigkeit erh\u00f6ht werde, sondern be-","page":632},{"file":"p0633.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizbarkeit d. Nerven. Ver\u00e4nderung ders. Alterantia nervina. 633\nweist nur, dass die galvanische Action starker ist. Audi hat Pfaff, nord. Archiv. Bd. 1. p. 17. durch Versuche erwiesen, dass die rnehrsten jener Stoffe nicht durch Erh\u00f6hung der Reizbarkeit wirken, sondern insofern sie als Glieder der galvanischen Kette den galvanischen Reiz selbst vermehren, und die galvanische Action hei derselben Starke der Reizbarkeit erh\u00f6hen; jene Fl\u00fcssigkeiten wirken daher nur immer st\u00e4rker als das Wasser, welches zur galvanischen Action als Leiter n\u00f6thig ist. Die Heilkunde hat auch ihre Hoffnungen auf Mittel, welche die Kraft der Nerven verst\u00e4rken, ganz aufgegeben, und diese Mittel leisten das, was sie sollen, nur in den Lehrb\u00fcchern der Materia medica.\nMittel, welche reizen giebt es allerdings genug, wie Kam-pher, die Ammoniakalien, die Elektricit\u00e4t, und diese Mittel sind vortrefflich, wo die nicht ersch\u00f6pften, sondern bloss geschw\u00e4chten Nervenkr\u00e4fte des Reizes bed\u00fcrfen. Sie reizen, sie verursachen eine Nervenaufregung, aber sie vermehren nicht die St\u00e4rke der Reizbarkeit. Die Nervenkraft nimmt nur zu durch dieselben Processe, wodurch sie best\u00e4ndig wiedererzeugt wird, n\u00e4mlich die best\u00e4ndige Reproduction aller Theile aus dem Ganzen, und des Ganzen durch die Assimilation. F\u00fcr einen geschw\u00e4chten Theil des Nervensystems sind gelinde Reize daher nicht darum n\u00fctzlich, weil sie die Reizbarkeit erh\u00f6hen, denn das thun sie nicht, sondern weil ein gereizter Theil mehr die Erg\u00e4nzung des Ganzen anspricht, und daher vorzugsweise wiedererzeugt und erg\u00e4nzt wird. So stelle ich mir die n\u00fctzliche Wirkung der Reize in den Nervenkrankheiten vor, und hier ist wieder am meisten auf die W\u00e4rme oder das Feuer zu halten, denn die W\u00e4rme ist die Ursache, dass zuerst die Erzeugung der Theile aus der vorhandenen Kraft des Ganzen beginnt; daher ist auch das Feuer oder eine recht anhaltende, langsam abbrennende Moxa, oder besser das lange andauernde N\u00e4hern einer brennenden Kerze an den leidenden Theil ohne Branderzeugung das allein bew\u00e4hrteste und wirklich h\u00fclfreiche Mittel in den anfangenden L\u00e4hmungen, Neuralgien, Tabes dorsalis u. s. w.\nII. Alterirende Reize.\nHieher geh\u00f6ren die Narcotics, welche, indem sie reizen, zugleich die Nervenmaterie zu zersetzen scheinen. Insofern diese Mittel die materielle Zusammensetzung der Nerven alteriren, bedient sich die Arzneikunde derselben in kleinen Gaben zuweilen mit Erfolg in L\u00e4hmungen, um feinere materielle Ver\u00e4nderungen der Nerven auszugleichen, oder nach einer solchen Umstimmung der Natur selbst Gelegenheit zur Einleitung der Heilung zu gehen. In st\u00e4rkerem Grade angewandt, wirken die Alterantia nervina seu Narcotica sogleich zersetzend.\nDie Ver\u00e4nderung der Nerven bei unmittelbarer Application des Giftes auf dieselben tritt ohne Zeichen von Reizung, ohne Zuckung allm\u00e4hlig bis zur Paralyse ein. A. v. Humboldt beobachtete, dass auch das Opium, n\u00e4mlich Opiumtinctur, Zuckungen errege. Ich selbst habe nie, weder bei der Anwendung des Opiums in w\u00e4ssriger Aufl\u00f6sung, noch des Strychnins, noch des spiritu\u00f6sen Extrades von Nux vomica auf\n41 *","page":633},{"file":"p0634.txt","language":"de","ocr_de":"634 III. Buch. JServenphysik. I.Alschn. Eigenschaft end. N. im Allgem.\ndie entbl\u00f6ssten Nerven eines Kaninchens, der Fr\u00f6sche und der Kr\u00f6ten Zuckungen entstehen sehen, und glaube nicht, dass jemals ein Narcoticum, unmittelbar auf einen Nerven angewandt, eine Zuckung errege, wenn es nicht durch das R\u00fcckenmark und Gehirn auf die Nerven wirkt. Strychnin erregt nicht einmal Zuckungen, wenn es gepulvert auf das nasse R\u00fcckenmark eines Frosches angewandt wird, sondern nur wenn es in die Blutmasse gelangt, und durch das ver\u00e4nderte Flut auf das R\u00fcckenmark, und letzteres wieder auf die Nerven wirkt. 1st daher ein Thier durch Opium, Strychnin vergiftet, so h\u00f6ren die Zuckungen einer Extremit\u00e4t auf, sobald ihre Nerven durchschnitten werden, und vernichtet man einen Theil von dem R\u00fcckenmark eines Thiers, ehe man es durch Upas tieute oder Angustura vergiftet, so werden alle diejenigen Theile, die von dem vernichteten Theile des R\u00fcckenmarks ihre Nerven empfangen, von Zuckungen befreit. Hieraus geht wohl unwiderleglich hervor, dass die Narcotiea nicht durch sich selbst und auf die Nerven selbst wirkend Zuckungen erregen, sondern durch Vermittelung des R\u00fcckenmarks und Gehirns.\nEine ganz andere Frage ist, oh narkotische Gifte nicht durch sich seihst und auf die Nerven wirkend die Reizbarkeit der Nerven ersch\u00f6pfen k\u00f6nnen, auf analoge Art wie chemische Reizmittel die Pieizbarkeit der Nerven zerst\u00f6ren. Diese Frage haben die Schriftsteller nicht von der vorhergehenden getrennt, und man hat Unrecht gethan, wenn man hei de gleich beantwortete. Die gew\u00f6hnlichste Wirkungsart der narkotischen Gifte, wenn sie die Empfindungskraft und Bewegkraft der Nerven l\u00e4hmen, ist, dass sie ins Blut aufgenommen werden, vom Blut aus in den Capillar-gef\u00e4ssen auf das Gehirn, R\u00fcckenmark und die Nerven wirken. Die zweite Wirkungsart, welche langsamer geschieht und vielmehr isolirt wirkt, ist, dass sie die Nervenkraft \u00f6rtlich zerst\u00f6ren.\n1. Wirkungsart der narkotischen Gifte durch das Blut.\nEs wurde sonst h\u00e4ufig angenommen, dass die allgemeinen Erscheinungen hei \u00f6rtlichen narkotischen Vergiftungen durch Fortpflanzung des Zustandes durch die Nerven entstehen. ln diesem Sinne haben selbst neuerlich, wo man hier\u00fcber besser belehrt war, Dupuy und Brache*, behauptet, dass man Thiere durch in den Magen gebrachte Gifte nicht vergiften k\u00f6nne, wenn man vorher den N. vagus auf beid en Seiten durchschnitten habe. Diess ist jedoch eine grundlose Behauptung, denn wir haben in den vielen Versuchen, w'elche IIe 1T Wernsciieidt unter meiner Leitung \u00fcber diesen Gegenstand a^istellte, durchaus keinen Unterschied der Zeit in dem Eintreten der Vergiftungszuf\u00e4lle gesehen, mochten die Nerven vorher durchschnitten seyn oder nicht. Es ist jetzt erwiesen, dass die Verg*|[junySzuf;l|le durch Aufnahme des Giftes in das Blut durch Jmb ibition entstehen. Ueber die Schnelligkeit dieses Ueberganges sJche oben p 244. Die ersten Beweise l\u00fcr diese Theorie der Vergiftungen hat Fontana geliefert. Fontana hat Versuche mit Vipern-, Tikunas-, Kirschlor'beer-\ng\u00fct und Opium angestellt. Das IResullat aller seiner Versuche \u25a0 \u25a0 -, tlass diese und \u00e4hnliche Gifte n ur indem sic in die Bl ulmasse","page":634},{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reizhark. d. N. Ver\u00e4nderung ders. Wirkungsart d.narkot. Gifte. 635\ngelangen, ihre allgemeinen Wirkungen liervorbringen, dass sie aber auf die Nerven nur einen \u00f6rtlichen Einfluss haben. Fontana, Ahhandl. \u00fcber das Viperngift etc. aus d. Franzos. Berlin, 1787. Brodie durchschnitt in der Achselh\u00f6hle eines Kaninchens alle Nerven der Vorderbeine, und streute Woraragift in eine Wunde am Fusse; die Wirkung des Giftes erfolgte dennoch. Er unterband das Hinterbein eines Kaninchens, die Hauptnerven ausgenommen, mit einer starken Ligatur, und streute Worara in eine Wunde am Bein; die Wirkung blich aber ganz aus, bis er die Ligatur l\u00f6ste, und sogleich erfolgte die Vergiftung. Philos. Irans. 1811. p. 178. 1812. p. 107. Wedemeyer fand durch Versuche mit Blaus\u00e4ure, die so heftig wirkte, dass sie in\u2019s Auge und mehrere Stellen des K\u00f6rpers gebracht, innerhalb einer Secunde t\u00f6d-tete, dass sie unmittelbar auf die Nerven angewendet, gar keine pl\u00f6tzliche Wirkung hervorbrachte. Physiol. Untersuchungen \u00fcber das Nervensystem u. die Respiration. Hannover, 1817.p. 234. Vrgl. Emmert, Tiibing. Bl\u00e4tter. 1811. 2. IId. p. 88. Salzb. medic. Zeitung. 1813. 3. Bd, p. 62. Meckel\u2019s Archiv 1. 176. Schnell Diss. sisf. historian oeneni upas antiar. Tubing. 1815. Emmert amputirte an Thieren die Extremit\u00e4ten, so dass sie nur mit dem \u00fcbrigen K\u00f6rper durch die Nerven in Verbindung standen, das in den Fuss eingebrachte Gift \u00e4usserte keine Wirkung. Ebenso wendete er das Gift unmittelbar auf die Nervenst\u00e4mme an, auch hier blieb die Wirkung aus. C. Vibobg {Act, reg. soc. med. Hajn. 1821. p. 240.) hat fast eine Drachme coneentrirter Blaus\u00e4ure unmittelbar auf das durch Trepanation entbl\u00f6sste Gehirn eines Pferdes gebracht, ohne irgend eine Wirkung des Giftes zu sp\u00fcren. Siehe Lund Vivisectionen p. 1G3.104. H UBBARD (.Philadelph. Journal. Aug. 1822.) hat zwar hei Anwendung der Blaus\u00e4ure auf die Nerven sehr schnelle Wirkung gesehen, gesteht aber seihst, dass wenn er den Nerven isol\u00eerte durch eine untergelegte Karte, durchaus keine Wirkung erfolgt sey. Die oben p. 238. angef\u00fchrten Versuche von Magendie, Delille und Emmert beweisen auch, dass die Aufnahme des Giftes in die Blutmasse durch Resorption und Tr\u00e4nkung ausserordentlich schnell ist, und Emmert hat gezeigt, dass die Unterbindung der Aorta die Wirkung des in die Venen eingehrachten Giftes hemmt. Emmert fand die schnellste Wirkung der Angu-stura, der Upas antiar, der Blaus\u00e4ure 2 \u2014 5 Secunden. Uelrer die Schwierigkeiten der Erkl\u00e4rung einer so schnellen Wirkung, siehe oben p. 245.\nVor Kurzem habe ich selbst einige Versuche \u00fcber die Wirkung der Gifte auf die Nerven angestellt; ich habe hei Kr\u00f6ten den Schenkelnerven blossgelegt, und alles Schenkelileisch abpr\u00e4-parirt, so dass der Unterschenkel mit dem Oberschenkel nur durch den Nerven und den Knochen mit dem Rumpf in Verbindung stand. Bei diesen Kr\u00f6ten habe ich die pr\u00e4parirten Schenkel in eine Aufl\u00f6sung von essigsaurem Morphium und in concentrirte Aufl\u00f6sung von Opium getaucht, und lange in dieser Stellung erhalten. Bei diesen Thieren fand durchaus keine Narcotisation am Rumpfe statt, selbst viele Stunden nachher waren sic noch von ganz unversehrter Empfindung und Bewegung.","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636 III. Buch. Nervenphysik. I.Ahschn. Eigenschaft end. N.im Allgem.\nAus allen diesen Versuchen geht hervor, dass die schnelle allgemeine Wirkung der \u00f6rtlichen Vergiftung nicht durch die Nerven, sondern durch das hint geschieht, und vom Blute wieder auf alle Theile wirkt. Allein es l\u00e4sst sich auch beweisen, dass die allgemeine Wirkung der Gifte erst wieder vorzugsweise durch die Centralorgane des Nervensystems bedingt ist, welche das vergiftete Blut narkotisirt. Denn\n1.\tnach einem durch Vergiftung herbeigef\u00fchrten Tod \u00e4us-sern die Nerven und Muskeln noch eine geraume Zeit hindurch lleizharkeit.\n2.\tWird einem Thiere, nachdem man die nach einer Extremit\u00e4t f\u00fchrende Arterie unterbunden hat, ein Gift beigebracht, welches Zuckungen erregt, so bemerkt man, dass diese Operation jenen Theil vor Theilnahme an der allgemeinen Wirkung des Giftes nicht sichert. L\u00fcnd Vivis. p. 10.9. Dass das Herz nicht durch L\u00e4hmung desselben, die Wilson hei Behandlung mit Tabacks-infusion und Tinct. Opii bei Fr\u00f6schen sah, die Ursache der allgemeinen Wirkung des Giftes ist, beweist, wie Lund bemerkt, der Umstand, dass Fr\u00f6sche die Ausschneidung des Herzens viele Stunden \u00fcberleben. Auch die Lungen sind nicht die Ursache, denn k\u00fcnstliche Respiration vermag die Thiere nicht zu retten. Man muss daher aunehmen, dass das Gehirn und R\u00fck-kenmark auf dem Wege der Circulation durch das Schlangengift und alle starke Narcotica zuerst und also die Hauptquellen des Nerven-lebens angegriffen werden. Durchschneidet man bei einem Thiere, das durch Opium, Strvchnin, Upas, Angustura vergiftet ist, die Nerven einer Extremit\u00e4t, so h\u00f6ren die Zuckungen derselben auf; eben so nach Vernichtung eines Theils vom R\u00fcckenmark die Zuckungen derjenigen Theile, deren Nerven von der vernichteten Stelle abgehen. Das Opium und das Schlangengift scheinen Gehirn und R\u00fcckenmark in gleichem Grade zu afficiren; Strychnin und die verwandten Gifte, Angustura, wirken in noch h\u00f6herem Grade auf das R\u00fcckenmark; denn Starrkrampf und L\u00e4hmung sind die Hauptsvmptome, und diese dauern noch fort nach der Durehschneidung des R\u00fcckenmarks, in den unter dem Schnitte gelegenen Theilen, wie Bacher gezeigt hat, w\u00e4hrend doch die Kr\u00e4mpfe sonst durch Zerschneidung der Nerven auf h\u00f6ren. Auch bleiben die Zuckungen im ganzen K\u00f6rper hei der Vergiftung mit Angustura, wenn das Gehirn abgeschnitten wird; am Kopfe \u00e4us-sern sich die Zuckungen in den Ohren. Ich habe einen Versuch hei Fr\u00f6schen angcstelit, der wiederholt dieselben Resultate giebt und sehr instruetiv ist. An einem Beine durchschnitt ich alle Gelasse und Muskeln des Oberschenkels, pr\u00e4parirte sie am Oberschenkel ah, liess aber den Nerven unversehrt. Nun vergiftete ich den Frosch mit Nux vomica. In dem gesunden Bein war die Reizbarkeit viel schneller erloschen, bald trat die gew\u00f6hnliche Folge der narkotischen Vergiftung bei Fr\u00f6schen ein, dass, wenn man sie auch nur leise ber\u00fchrt, doch der ganze Frosch zuckt. Nachdem alle diese Zuckungen am ganzen Frosch aufgeh\u00f6rt, zuckten immer noch die Wadcnmuskeln des pr\u00e4parir-ten Beins, sobald ich den Frosch an irgend einer Stelle des K\u00f6r-","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"2. Reilbark. d. N. Ver\u00e4nderung ders. Wirkungsart d.narkut. Gifte. 637\npers ber\u00fchrte; dasjenige Bein, welches kein Blut mehr erhielt, behielt also seine Reizbarkeit f\u00fcr die vom R\u00fcckenmark ausgehenden Reize viel l\u00e4nger als das andere Bein, dessen Nerven und Muskeln durch das Blut dem Gifte selbst ausgesetzt wurden. Man geht also zu weit, wenn man behauptet, die G\u00fcte wirken nur auf die Centraltheile; sie wirken auch durch den Kreislauf auf die Nerven selbst. Die Vergiftungszuf\u00e4lle vom R\u00fcckenmark aus sind erst Zuckungen, dann L\u00e4hmung; die Vergiftungszuf\u00e4lle der Nerven selbst sind keine Zuckungen, sondern Vernichtung der Reizbarkeit. Ein Bein vom Frosche, das vor der Vergiftung so pr\u00e4parirt worden, erh\u00e4lt auch-seine Reizbarkeit l\u00e4nger als das andere, dem das Gift durch den Kreislauf zugef\u00fchrt werden kann. Vergl. Lund Vivis. 112. B\u00e4cker commentatio ad t/uaest. physiol. Traject. ad Rhen. 1830. Vergl. Stannius in Muell. Arch. 1837. 223.\n2. Oertliche Wirkung der narkotischen Gijte auj die Nerven.\nSo gewiss es ist, dass die allgemeinen Wirkungen der \u00f6rtlichen Vergiftung durch das Blut bedingt sind, so wenig l\u00e4sst sich die \u00f6rtliche Vergiftung der Nerven selbst l\u00e4ugnen, und diess ist gerade, der Punkt, \u00fcber den fast alle neuere Experimentatoren hinweggegangen sind.-\nAl. v. Humboldt, Wilson, Brodie haben gezeigt, dass Opi-umtinctur und Tabacksinfusum die Kraft des Herzens l\u00e4hmen. Humboldt sah die Herzschl\u00e4ge zuerst sehr schnell werden und dann ganz aufh\u00f6ren, wobei die Vermehrung der Schl\u00e4ge vielleicht auf Rechnung der Tinctur k\u00f6mmt.\nDie offenbarste \u00f6rtliche Nervenl\u00e4hmung durch ein narkotisches Gift ist die Erweiterung der Pupille und L\u00e4hmung der Iris durch Application eines Tropfens einer Aufl\u00f6sung des Belladonria-extractes. Hier dringt das narkotische Gift durch Tr\u00e4nkung bis zu den Ciliarnerven, die sich in der Iris verbreiten und zur Iris selbst. Dass die Wirkung rein \u00f6rtlich ist, dass die Aufnahme ins Blut auch nicht den geringsten Antlieil hat, sieht man daran, dass die Iris des gesunden Auges nicht zugleich erweitert wird. Bekannt sind aber auch die \u00f6rtlichen narkotischen Wirkungen des Opiums, des Morphiums bei Einreibungen, wo man starke Localwirkung ohne auffallend allgemeine Wirkung erzeugen will. Ehen so die \u00f6rtlichen L\u00e4hmungen von Bleivergiftung an den H\u00e4nden. Um diese \u00f6rtliche Wirkung ausser Zweifel zu setzen, pr\u00e4pa-rirte ich bei einem Frosche den Schenkelnerven weit heraus, und legte ihn in eine Aufl\u00f6sung von essigsaurem Morphium, nach einiger Zeit hat das Ende des Nerven ganz seine Irritationst\u00e4hig-keit verloren. Dasselbe erfolgte, wenn ich Muskeln in Opiumaufl\u00f6sung tauchte, wie auch A. v. Humboldt bereits gezeigt hatte. Bei Kr\u00f6ten, an denen die Nerven so pr\u00e4parirt waren, dass die Unterschenkel nur durch den Schenkelnerven mit dem Rumpfe zusammenhingen, tauchte ich diesen Unterschenkel mit dem Schenkelnerven in eine starke w\u00e4ssrige Aufl\u00f6sung von Opium; nach kurzer Zeit war alle Irritationsf\u00e4higkeit an Nerven und Muskeln f\u00fcr den galvanischen und mechanischen Reiz verloren.\nAus allen diesen Beobachtungen ist die \u00f6rtliche Wirkung der narkotischen Gifte auf die Nerven unzweifelhaft. Wir m\u00fcs-","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"638 III. Buch. Nervenphysik. 1. Abschn. Eigenschaftend,N. im Allgem.\nsen jetzt zu bestimmen suchen, ob sieb diese Art der Vergiftung weiter verbreitet als \u00fcber die unmittelbar, afficirten Verven und Muskeln. leb babe directe Versuche angestellt, welche beweisen, dass die \u00f6rtliche Narcotisation der ganz entbl\u00f6ssten und frei pr\u00e4parirten Nerven niclit schnell sich verbreitet, sondern auf den Ort der Narcotisation beschr\u00e4nkt bleibt.\n1.\tF\u00fcrs Erste werden die Unterschenkelmuskeln und ihre Nerven nicht mit narkotisirt, wenn der Hauptschenkelnerve selbst durch Eintauchen in essigsaures Morphin oder Opiumaufl\u00f6sung narkotisirt war. Der mechanische und galvanische Reiz bewirkt dann an dem obern Ende des Nerven keine Zuckungen der Muskeln mehr, wohl aber, wenn sie auf die unteren Theile des Nerven und die Unterschenkelmuskeln applicirt wurden. Die narkotische IVirkung wirkt also vom Biervenstamm nicht auf die Aeste.\n2.\tDie narkotische Wirkung auf einer Stelle des Nerven wirkt auch nicht r\u00fcckw\u00e4rts auf das Gehirn. Ich habe schon die hierher geh\u00f6rigen Versuche von Kr\u00f6ten erw\u00e4hnt, deren Schenkel-nerven ich durch Narcotisation alle Reizbarkeit genommen hatte, ohne dass diess auf die \u00fcbrigen Theile des Rumpfes zur\u00fcckwirkte. Dass aber allm\u00e4ldig eine R\u00fcckwirkung erfolge, machen andere Beobachtungen wahrscheinlich; denn durch jede \u00f6rtliche Ersch\u00f6pfung der Nervenkraft durch Entz\u00fcndung, Brand entsteht allm\u00e4ldig Ersch\u00f6pfung der allgemeinen Nervenkr\u00e4fte. Hier lernen wir nun einen wichtigen Unterschied in der Wirkung der Einfl\u00fcsse auf das Nervensystem kennen. Denn\na.\tdie Reize, welche Nervenerscheinungen bewirken durch Reizen der Nervenkraft, wirken augenblicklich in der ganzen L\u00e4nge der Nerven durch alle Fasern, die irgendwo gereizt worden sind. Die Zuckung erfolgt auf der Stelle in der Entfernung an den entsprechenden Muskeln, wenn die Nervenfaser irgendwo in ihrer L\u00e4nge vom Stamme bis zum Muskel gereizt wird, und eben so schnell erfolgt die Empfindung.\nb.\tDie Einfl\u00fcsse, welche die Summe der vorhandenen Kraft ver\u00e4ndern, n\u00e4mlich ersch\u00f6pfen, wirken nicht von dem \u00f6rtlichen Theile schnell und unmittelbar auch in der Richtung der Nervenfasern, sondern allm\u00e4blig, indem sich die Kr\u00e4fte der gesunden und kranken Theile der Nerven in Gleichgewicht setzen, und der \u00f6rtliche Zustand allgemeine Symptome erregt.\nSo bewirkt die Erblindung eines Auges zuletzt allm\u00e4ldig Atrophie des Sehnerven, welche eben so nach Atrophie eines Thalamus n. optici erfolgt. So schreitet die Tabes dorsalis von unten nach oben fort. So entsteht nach heftiger Verletzung einzelner Nerven Ver\u00e4nderung des ganzen R\u00fcckenmarkes, Tetanus.\nIII. Ueber die Abh\u00e4ngigkeit der Nerven vom Gehirn und ft ii <; k c n m a rk e.\nIn wiefern zur Erhaltung der Reizbarkeit der Nerven ihre dauernde Communication mit dem Gehirn und R\u00fcckenmarke noth-wendig sey, und ob die Muskeln ohne die Communication ihrer","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"3. Reizbark. d. Nerven. Abh\u00e4ngigk. ders. v. Gehirn u. R\u00fcckenmark. 639\nNerven mit den Centraltheilen des Nervensystems ihre Reizbarkeit zu erhalten verm\u00f6gen, diese Frage konnte man sich bisher nicht mit Sicherheit beantworten, ja sie ist kaum einige Mal ber\u00fchrt worden. Man weiss zwar, dass die Nerven nach der Durchschneidung noch eine Zeitlang in dem dem Gehirneinfluss entzogenen St\u00fccke ihre Reizbarkeit behalten, d. h. f\u00e4hig sind, auf Reize, die auf sie angewandt werden, Zuckungen der Muskeln zu bewirken; allein eine ganz andere Frage ist, ob die Nerven f\u00e4hig sind, die Reizbarkeit f\u00fcr immer unabh\u00e4ngig vom Gehirn zu behalten. Nysten hatte behauptet, dass die Muskeln von kurze Zeit nach einem apoplektischen Anfalle Verstorbenen trotz der Hirnl\u00e4hmung auf galvanischen Reiz sich zusammenz\u00f6gen. Nysten recherches de physiol, et de chirn. pathol. Ich hatte jedoch gute Gr\u00fcnde, zu glauben, dass die Nerven nur kurz nachher noch ihre Kraft bes\u00e4ssen, diese aber nach einem l\u00e4ngeren Zeitr\u00e4ume vollkommen untergehe, so dass es scheinen sollte, als k\u00e4men den Nerven nur unter dem steten und unversehrten Einfl\u00fcsse des Gehirns eigenth\u00fcmlicbe Kr\u00e4fte zu. Denn einmal hatte ich bei Versuchen \u00fcber Wiedererzeugung des Nervengewebes an einem Kaninchen die Beobachtung gemacht, dass der untere Theil des N. ischiadicus, den ich einige Monate vorher durchschnitten hatte, fast alle Kraft, auf Reize zu reagiren, verloren hatte und Fowler halte schon eine \u00e4hnliche Beobachtung gemacht. Ueber diesen Gegenstand habe ich hernach mit Dr. Sticker neue Versuche angestellt, welche jene Vermuthung vollkommen best\u00e4tigt haben. Siehe Sticker in Mueller\u2019s Archiv Jiir Anal, und Physiol. R. 1. Um die Regeneration der Nerven zu verh\u00fcten, und das untere Nervenst\u00fcck sicherer dem Einfl\u00fcsse der Centraltheile des Nervensystems zu entziehen, wurde den Thieren ein ganzes St\u00fcck aus dem N. ischiadicus ausgeschnitten. Obgleich die Versuche nur an mehreren Thieren, n\u00e4mlich zwei Kaninchen und einem Hund angestellt wrnrden, so haben sie doch so \u00fcbereinstimmende Resultate geliefert, dass man auf diese Versuche hauen konnte.\nZwei Monate und drei Wochen nach der Durchschneidung des N. ischiadicus geschah der Versuch an dem ersten Kaninchen. Sobald der Nerve in seinem Verlaufe zwischen dem Muse., biceps und semitendinosus blossgelegt war, zeigte sich wider Erwarten und zu grossem Leidwesen, dass die Continuit\u00e4t der Nerven sich wieder hergestelll hatte. Der Nerve wurde sofort von neuem unterhalb der Narbe durchschnitten (wobei, was merkw\u00fcrdig ist, zwar nicht die mindesten Zuckungen wahrgenommen wurden, das Thier aber laut aufschrie), und der untere Theil desselben durch Galvanismus in der Form eines einfachen Plattenpaares, dann auch durch Einschneiden und gewaltsame Zerrung auf die verschiedenartigste Weise gereizt; allein es trat keine Spur von Zuckung ein.\nVergleichungsweise wurden darauf die Versuche auf der andern Seite wiederholt. Bei. der Durchschneidung des Nerven \u00e4usserte das Thier den lebhaftesten Schmerz und es entstanden sehr heftige Zuckungen, und nach der Durchschneidurig erreg-len selbst ganz geringe Irritationen, sey es, dass sie auf den Ner-","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"640 III. Buch. Nervenphysik. I. Ahschn. Eigenschaften J. N. im Allgem.\nven allein \u2014 es ist hier immer der untere Theil des durchschnittenen Nerven gemeint \u2014 oder bloss auf die Muskeln angewendet wurden, die kr\u00e4ftigsten Zuckungen, und selbst nach dem Tode boten sich dieselben Erscheinungen noch dar.\nBei dem Hunde waren zwei Monate und vierzehn Tage nach der Durchschneidung des Nerven verflossen; auch hier hatten sich die Enden wieder verbunden. Die Untersuchung geschah ganz auf dieselbe Weise wie hei dem Kaninchen, und ergab auch f\u00fcr den Nerven ganz dasselbe Resultat, d, i. alle Re-actionsfahigkeit desselben war erloschen; indessen zeigten die Muskeln immer noch eine leise Spur von Zusammenziehung, wenn man die Reize auf sie seihst applicirte; allein gleich nach dem Tode war auch diese v\u00f6llig verschwunden, w\u00e4hrend in dem Unterschenkel der andern Seite noch die kr\u00e4ftigsten Zuckungen hervorgerufen werden konnten.\nF\u00fcnf Wochen nach Durchschneidung des Nerven wurde das zweite Kaninchen vorgenommen, und nach einem so kurzen Zeitr\u00e4ume musste man auf diese Untersuchung sehr gespannt seyn. Hier fehlte die Zwischensubstanz zwischen den Enden des durchschnittenen Nerven; beide waren etwas angeschwollen und hingen mit dem anliegenden Zellgewebe zusammen. Es war jedoch hier ein St\u00fcck von etwa 8 Linien ausgeschnitten worden, w\u00e4hrend bei den anderen Versuchen dasselbe nur ungef\u00e4hr 4 Linien betragen h\u00e4tte. Auf keine Weise, weder auf mechanische, noch chemische \u2014 durch Kali causticum \u2014 noch auch durch Galvanismus war es m\u00f6glich, durch die Nerven Zusammenziehung der Muskeln zu erzeugen; eben so wenig gelang es hei diesem sonst sehr lebenskr\u00e4ftigen Kaninchen, auch durch directe Insultation der Muskeln Zuckungen hervorzubringen Auf der linken Seile ergaben sich, wie diess nat\u00fcrlich, sowohl vor als nach dem Tode die schon oben angef\u00fchrten Erscheinungen.\nDie gegenw\u00e4rtigen Versuche erw\u2019eisen jedenfalls, dass die Kr\u00e4fte der Nerven, die Muskeln zu Bewegungen zu veranlassen, so wie die Reizbarkeit der Muskeln selbst, nach g\u00e4nzlicher Aufhebung der Communication der Nerven mit den Centraltheilen allm\u00e4blig verloren gehen. Sie w\u00fcrden indess noch ein entscheidenderes Resultat geliefert haben, wenn man zur Pr\u00fcfung der Reizbarkeit der Nerven und Muskeln nicht bloss ein einfaches Plattenpaar, sondern eine kleine galvanische S\u00e4ule angewendet h\u00e4tte. Nur dadurch h\u00e4tte sich mit Bestimmtheit unterscheiden lassen, oh alle Kraft in den Muskeln in zweien der F\u00e4lle erloschen war. Indessen beweisen die Versuche schon deutlich genug, dass die Reizbarkeit der genannten Tbeile sich nach unterbrochener Communication der Nerven mit den Centraltheilen nicht erh\u00e4lt. Man kann aus diesen Versuchen auch schliessen, dass, wenn nach Durchschneidung eines Nerven sich hierauf wieder die Reizbarkeit des untern Nervenst\u00fccks und der Muskeln hergestellt hat. der Nerve auch mit Herstellung der Leitungskraft in der Narbe vollkommen verheilt war, und dass, wenn die Reizbarkeit sich nicht erh\u00e4lt, auch keine vollkommene Verheilung und Reproduction des Nerven stattgefunden haben kann.","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom wirksamen Princip der Nerven.\n641\nIII. Capitel. Von dem wirksamen Princip der Nerven. (Nach J. Mueller im Encyclop. W\u00f6rterbuch der med. Wissenschaften.')\nDie Alten hatten weder von der Natur noch von den Gesetzen der Wirkung des Nervenprincips bestimmte Vorstellungen. Das wirksame Princip in den Nerven nannten sie Nervengeister; sie Hessen sie von dem Gehirn ausgehen und die anatomische Verbreitung verfolgend, die organisirten Theile beseelen. Nachdem man die Wirkungen und Leitungsgesetze der Elektricit\u00e4t durch Reibung n\u00e4her untersucht, fanden sich viele Aerzte in ihren Vorstellungen von der Action der Nerven durch Vergleichung der Nerven mit elektrischen Apparaten erleichtert. Aber erst durch die Entdeckung des Galvanismus ist man auf eine exacte Untersuchung dieser und \u00e4hnlicher Hypothesen gef\u00fchrt worden.\nNach der Entdeckung des Galvanismus waren viele Naturforscher geneigt, die Ursache der galvanischen Erscheinungen in einer bisher unbekannten thierischen Kraft zu suchen, wie z. B. Aldim, Gaivani, vos Humboldt, Fowler und Andere. Pfaff, Volta, A. Monro dagegen erkl\u00e4rten sich f\u00fcr eine von der Mitwirkung der thierischen Organe ganz unabh\u00e4ngige, nur durch die Wechselwirkung der Metalle und Feuchtigkeit erregte Eleetricit\u00e4t. Volta aber bewies die elektrische Natur des hierbei wirkenden Agens zur Evidenz, und als endlich die galvanischen Erscheinungen an anderen K\u00f6rpern ausser Mitwirkung thierischer Theile bekannt wurden, war an der Richtigkeit derVoL-TA\u2019sehen Ansicht kein Zweifel mehr. Auch A. Monro war schon fr\u00fche durch seine Versuche zu der richtigen Ansicht gekommen, dass das galvanische Fluidum, welches die Nerven erregt, elektrisch sey, dass dasselbe von der Nervenkraft ganz verschieden sey, und dass es als ein blosser Reiz f\u00fcr die Nervenkraft wirke, so dass die Nervenkraft die Zuckungen hervorbringe. (A. Monro\u2019s und R. Fowler\u2019s /.Ibhandlungen \u00fcber thierische Elektricit\u00e4t. Lpzg. 179G.) A. v. Humboldt hatte aus mehreren Versuchen den Schluss gezogen, dass die Nerven eine sensible Atmosph\u00e4re um sich besitzen, weil n\u00e4mlich das galvanische Agens den Zwischenraum zweier durch einen Schnitt getrennter Nervenst\u00fccke, die sich nicht ber\u00fchren, \u00fcberspringt. Jetzt weiss man, dass dieser Zwischenraum bloss durch einen Leiter von Wasserdampf ausgef\u00fcllt wird, und was man damals f\u00fcr die sensible Atmosph\u00e4re der Nerven halten konnte, kann heutzutage nur als Leitungsfahigkeit der Elektricit\u00e4t vermittelst gasf\u00f6rmiger Ausd\u00fcnstungen betrachtet werden. Gerade hier zeigen sich Eleetricit\u00e4t und Nervenkraft als durchaus verschieden; denn die Nervenkraft wirkt durch einen unterbundenen oder durchschnittenen Nervenast nicht mehr Hindurch, wohl aber sind durchschnittene oder unterbundene Nerven, wenn die Stelle zwischen zw\u2019ei Armaturen liegt, der Leitung des elektrischen Fluidums so gut f\u00e4hig, wie vorher.\nSo gewiss es nun ist, dass der Galvanismus nicht thierisehe","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642 III. Buch. Nervenphysik. I.Abschn. Eigenschaft en d. N. im Allgem.\nElektricit\u00e4t ist, so haben doch manche Aerzte und selbst grosse Physiker nicht aufgeh\u00f6rt, an eine gewisse Aehnlichkcit der Elektricit\u00e4t und Nervenkraft zu glauben, die sicli bei n\u00e4herer Untersuchung als die gr\u00f6sste Verschiedenheit zeigt. Unter andern haben einige Versuche von Ure und Wilson Missverst\u00e4ndnisse erzeugt. Ure machte galvanische Versuche an dem K\u00f6rper eines Gehenkten eine Stunde nach dem Tode. Die Medulla ob-lon gata wurde blossgelegt und ein metallischer Leiter damit in Ber\u00fchrung gesetzt, wahrend ein anderer Leiter mit dem IN. ischiadicus in Ber\u00fchrung gebracht wurde. Diese Leiter wurden mit einer S\u00e4ule von 270 Plattenpaaren verbunden, worauf alle Muskeln des Rumpfes wie bei einem heftigen Schauder in Bewegung geriethen. Als die Kette zwischen dem N. phrenicus und dem Zwerchfell geschlossen wurde, zog sich das Zwerchfell bei jeder Schliessung zusammen, und als man mit dem Leiter aut dem Polst\u00fcck bin und her strich, entstanden eine Menge St\u00f6sse, wie bei einem schweren Athmen; durch die Zusammenziehung des Zwerchfells und die Remission in dieser Bewegung hob und senkte sich der Bauch abwechselnd, wie wenn das Leben zur\u00fcckkehrte. Als nun ferner die Gesichtsmuskeln in den Kreis der Kette gezogen wurden, entstanden fast leidenschaftlich aussehende und schaudererregende Bewegungen der Gesichtsmuskeln. Diese Versuche haben nichts Ausgezeichnetes vor dem gew\u00f6hnlichsten galvanischen Experiment, ausser dass sie an einem Menschen gemacht wurden; da die Ursache der bewegten Gesichtsz\u00fcge die Zusammenziehung der Gesichtsmuskeln ist, so muss die k\u00fcnstliche Erregung dieser Muskeln, die man eben so gut durch mechanische Reizung ihrer Nerven in Bewegung setzen kann, eine Art von Grimassen hervorbringen. Eben so wenig ist das scheinbare Athmen bei periodischer Schliessung der Kette, wenn der Zwerchfellnerve in der Kette liegt, auffallend. Man hat ferner viel zu viel aus Wilson Philip\u2019s Versuchen geschlossen. Dieser hat behauptet, ein durch die Enden des durchschnittenen N. vagus zum Magen eines lebenden S\u00e4ugethiers geleiteter galvanischer Strom k\u00f6nne auf \u00e4hnliche Weise die Verdauung bef\u00f6rdern, als die Magennerven selbst. Wenn diess richtig w\u00e4re, so w\u00e4re es kein Beweis f\u00fcr die Aehnlichkeit des Nervenprincips und der Elektricit\u00e4t; denn das vom Gehirn abgewendete St\u00fcck eines durchschnittenen Nerven beh\u00e4lt noch einige Zeit die F\u00e4higkeit, auf Reizung in einigem Grade seine gew\u00f6hnlichen Functionen auszu\u00fcben. Ferner haben Wiederholungen der Versuche von Philip nicht durchaus dasselbe Piesultat gehabt; wir haben sie mit Dr. D ieckhoff an einer ganzen Reihe von Thieren wiederholt und gar keinen Unterschied bei Thieren mit durchschnittenem Vagus, mit und ohne Anwendung der Elektricit\u00e4t, bemerkt. Siehe das Weitere oben p. 549.\nWenn in den Nerven Elektricit\u00e4t wirkte, so k\u00f6nnte sie, da das Neurilem feucht ist und die umliegenden Theile auch feucht sind, nicht auf die Nerven beschr\u00e4nkt bleiben. Man hat auch hypothetisch eine isolirende Eigenschaft der Nerven angenommen. Fechner vergleicht die Nervenfaden mit von Seide \u00fcber-","page":642},{"file":"p0643.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom wirksamen Principd.JSero. Vergleichung mit d.Elektricit. 643\nsponnenen Leitungsdr\u00e4hten. (Biot Experimental-Physik. Bd. III.) Allein eben das JNeurilern ist ein vortrefflicher Leiter des Galvanismus, und die Nerven sind, wie sp\u00e4ter gezeigt werden wird, nicht einmal bessere Leiter der Elektricitat als andere nasse thie-rische Theile; denn der galvanische Strom folgt nicht nothwen-dig der Verzweigung der Nerven, sondern nur das Nervenprin-cip folgt dieser Verzweigung. Der galvanische Strom springt aber eben so leicht auf nahe thierische Theile \u00fcber, wenn diese ihm einen kurzem Weg von Nerven zum andern Pol darbieten. Auch l\u00e4sst sich die Leitung des Nervenprincips durch eine Ligatur in dem Nerven aulheben, welche T\u00fcr den galvanischen Strom ein trefflicher Leiter bleibt.\nMan erkennt die Elektricitat an den K\u00f6rpern, welche sie isoliren und welche sie leiten; diess sind die einzigen und sicheren Merkmale derselben. Gerade in dieser Hinsicht zeigt sich das Nervenprincip verschieden, und es kann daher keine Elektricitat seyn. Es lassen sich aber auch noch andere Beweise aus den schon ber\u00fchrten Eigenschaften der Nervenkraft auff\u00fchren:\n1)\tWenn man einen Nerven mit beiden Polen armirt, oder einen galvanischen Strom durch die Dicke des Nerven gehen l\u00e4sst, so zuckt sein Muskel, nicht weil der Galvanismus bis zum Muskel wirkt, sondern weil durch den queren Strom durch die Dicke des Nerven die motorische Kraft des Nerven erregt wird, welche nur nach der Richtung der Verzweigung wirkt, gerade so, wie wenn man durch Brennen, mechanische Zerrung oder durch Kali causticum auf den Nerven wirkt und dadurch Zuk-hung erregt.\n2)\tWenn man aber nicht den Nerven selbst durch beide Pole, sondern mit dem einen Pol den Muskel, mit dem andern den Nerven armirt, so entsteht nicht bloss ein galvanischer Strom durch die Dicke des Nerven, sondern zwischen beiden Polen von dem Nerven bis zum Muskel, und es ist gerade so gut, als wenn der Muskel selbst galvanisirt w\u00fcrde. In diesem Falle reizt man die Nervenkraft in jedem Punkte des Nerven bis zum Muskel.\n3)\tDaher entstehen auch keine Zuckungen, wenn ein gequetschter oder unterbundener Nerve \u00fcber der gequetschten oder unterbundenen Stelle mit beiden Polen armirt wird. Hier gebt zwar der Galvanismus durch die Dicke des Nerven, wie im ersten Falle, aber die Nervenkraft wirkt nicht mehr durch die gequetschte oder unterbundene Stelle hindurch.\n4)\tDennoch ist der gequetschte und unterbundene Nerve vollkommen leitungsf\u00e4hig f\u00fcr den Galvanismus, und sobald nur die Armaturen \u00fcber und unter der verletzten Stelle angebracht werden, geht der galvanische Strom durch diese Stelle hindurch und es erfolgt eine Zuckung, weil der noch gesunde Nerve zwischen Muskel und der verletzten Stelle erregt wird.\n5)\tDie Nerven bleiben auch im g\u00e4nzlich mortificirten Zustande, wie alle nassen thierischen Theile, Leiter des Galvanismus, w\u00e4hrend sie die F\u00e4higkeit, Contractionen der Muskeln zu verursachen, verloren haben.\n6)\tEndlich zeigen meine eigenen und Sticker's Versuche,","page":643},{"file":"p0644.txt","language":"de","ocr_de":"644 III. Buch. Nervenphysik. I. Abschn. Eigenschaften d. N. im Allgem.\ndass, wenn der lebendige Einfluss der Nerven auf die Muskeln lange Zeit aufgehoben ist, der galvanische Reiz der einfachen Kette seihst nicht mehr auf die Muskeln wirkt und keine Zuk-kungen mehr in ihnen erregt, wie wir hei S\u00e4ugethieren gesehen haben, denen mehrere Monate vorher die Nerven so durchschnitten waren, dass sie nicht vollst\u00e4ndig an einander heilen konnten. (Sticker in Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. 11. Physiol. 1834.)\nDurch die Entdeckung des Elektro-Magnetismus hat man die feinsten galvanometrischen Instrumente kennen gelernt. Va-vasseur und Beraudi (Anna/i unioersali di med. Maggio 1829. Froriep\u2019s Not. Nr. 538.) wollen die Beobachtung gemacht haben, dass Nadeln, welche man in die Nerven eines lebenden Thieres sticht, magnetisch werden und Eisenfeile anziehen. Nach Durchschneidung des R\u00fcckenmarks sollte sich die magnetische Kraft der in die Nerven eingestochenen Nadeln nicht entwickeln, wohl aber nach Einathmen von SauerstolFgas. Die Sehnerven sollen die eingestochenen Nadeln nicht magnetisch machen, auch nicht nach dem Einathmen von Sauerstoffgas. Nach Durchschneidung und Unterbindung der Nerven sollen die eingestochenen Nadeln auch nicht magnetisch werden; jedoch soll sich hei einer Entfernung von 4 Linien zwischen den St\u00fccken des durchschnittenen Nerven eine schwache Wirkung auf die Nadeln gezeigt haben. Ich habe es mich nicht verdriessen lassen, diese Versuche an einem Kaninchen zu wiederholen, und habe auch nicht eine Spur von magnetischer Eigenschaft an den eingestochenen Nadeln bemerken k\u00f6nnen.\nDavid machte in einer Inauguralthese, Paris 1830, Versuche bekannt, nach welchen Leitungsdr\u00e4hte, in einen entbl\u00f6ssten Nerven eingestochen, auf das Galvanometer wirken sollen, n\u00e4mlich in dem Moment, wenn sich das Thier gerade bewege. Werde die Nadel in einen von dem R\u00fcckenmarke abgeschnittenen Nerven eingestochen, so zeige das Galvanometer, wenn die Conductoren mit der Nadel in Verbindung gebracht werden, keine Bewegung, w\u00e4hrend in allen mit dem Nervencentrum zusammenh\u00e4ngenden Nerven der Versuch gelinge. Diese Versuche sind mir nicht gelungen, und ich halte sie i\u00fcr T\u00e4uschung. Eben so wenig li\u00e2t Person mit einem sehr empfindlichen Galvanometer Elektricit\u00e4t in den Nerven entdecken k\u00f6nnen. Pr\u00e9vost und Dumas (Journal de Physiol. Toni. III.) haben eine Theorie der Muskelbewegung aus elektrischen Ursachen aufgestellt. Die Erkl\u00e4rung, welche sie von der Zusammenziehung der Muskeln gehen, gr\u00fcndet sich auf die Voraussetzung, dass die ejuer \u00fcber die Muskelb\u00fcndel verlaufenden Nervenfasern sich anziehen und dadurch die Muskelbiin-del verk\u00fcrzen \u2014 eine Hypothese, welche dadurch sehr unwahrscheinlich wird, dass die unz\u00e4hligen Muskelfasern dabei als ganz gleichg\u00fcltig angenommen werden. Dass die Elektricit\u00e4t die gegenseitige Anziehung der Nerven in den Muskeln bewirken soll, ist eine zweite Hypothese. Um elektrische Str\u00f6mungen in den Nerven durch das Galvanometer nachzuweisen, ist es nicht zul\u00e4ssig, dass man die Dr\u00e4hte des Galvanometers auf Nerven und Muskeln zugleich anwende; denn da eine Kette von heterogenen","page":644},{"file":"p0645.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vorn wirksamen Princip d. Nero. Vergleichung mit d. Elektricit. 645\nlljierischen Substanzen, wie Nerv und Muskel, und von Metall schon Elektricit\u00e4t erzeugt, so w\u00fcrde man bei jenem Versuch mit dem Galvanometer nicht die in dem JNerven wirkende, sondern die durch die Rette erst erzeugte Elektricit\u00e4t pr\u00fcfen. Damit man also bei Verbindung des Galvanometer mit Nerv und Muskel nicht erst Elektricit\u00e4t erzeuge, muss man die Leitungsdr\u00e4hte des Galvanometers auf einen Nerven allein anwenden und beobachten, ob ein Nerv, der mit dem Gehirn in Verbindung steht, bei den willk\u00fchrlichen Bewegungen Schwankungen der Magnetnadel bewirke, darin k\u00f6nnte man \u00fcberzeugt seyn, dass die vom Gehirn aus erfolgende Innervation eine elektrische Str\u00f6mung sey. Allein Pr\u00e9vost und Dumas gestehen hier, dass man unter diesen Umst\u00e4nden nie eine Ablenkung der Nadel,beobachte. Die Verfasser haben bei gesunden Tliieren den N. vagus, und den Plexus ischiadicus bei einem Thiere in tetanischem Zustande galvanometrisch untersucht, allein sie haben weder beim Verbinden der Dr\u00e4hte mit verschiedenen Theilen des unverletzten Nerven, noch beim Verbinden mit beiden St\u00fccken eines durchschnittenen Nerven eine Spur von Elektricit\u00e4t durch Schwankung der Nadel des Galvanometers beobachtet. Eben so wenig zeigte eine, an einem Seidenwurm-Spinnfaden aufgeh\u00e4ngte Nadel eine Spur von Declination, wenn man sie in die N\u00e4he des in Action begriffenen Muskels und Nervens brachte; dass diess sich so verhalt, kann ich nach meinen eigenen Versuchen best\u00e4tigen. Um diese Unempfindlichkeit des\u2018Galvanometers gegen die Nerven zu erkl\u00e4ren, und diesen Haupteinwurf gegen ihre Hypothese zu beseitigen, nehmen Pr\u00e9vost und Dumas wieder an, dass der galvanische Strom in den Nerven doppelt sey, dass sich beide Str\u00f6me neutraleren, so dass alle Wirkung auf die Magnetnadel aufgehoben werde. Pr\u00e9vost und Dumas vergleichen diese beiden hypothetischen Str\u00f6me mit den elektrischen Str\u00f6men, welche in entgegengesetzter Richtung die Arme des Galvanometers durchlaufen, und sich im Multiplikator des Galvanometers oder in den Windungen der Leitungsdrahte begegnen. Die Magnetnadel soll hierbei dem Muskel gleichen, welcher eben so wie die Magnetnadel die Wirkung der entgegengesetzten Str\u00f6me erf\u00e4hrt. Allein bei den Wirkungen der entgegengesetzten Str\u00f6me reagirt das Galvanometer, warum reagirt es nicht bei den hypothetisch vorausgesetzten doppelten Str\u00f6mungen in den Nerven? Ein merkw\u00fcrdiger Versuch ist derjenige dieser ber\u00fchmten Gelehrten, die mechanische, chemische, caustische Reizung der Nerven auf eine elektriche zur\u00fcckzuf\u00fchren. Da nun gerade ein Hauptbeweis gegen das elektrische Agens in den Nerven in dem Umstande liegt, dass alle Reize, nicht bloss elektrische, auf die Nerven wirken, so m\u00fcssen wir diesem Theil der Arbeit jener Gelehrten eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Pr\u00e9vost und Dumas wollen zeigen, dass das Feuer, indem es, auf die Nerven wirkend, Zuckungen erregt, diess durch Elektricit\u00e4t thue. Sie bringen zwei gleiche Platindr\u00e4hte an die Enden der Conductoren des Galvanometers, und stecken den einen der Platindr\u00e4hte in die Muskeln des Frosches, mit dem andern, welcher rothgl\u00fchend gemacht worden, beruh-","page":645},{"file":"p0646.txt","language":"de","ocr_de":"646 III. Buch. Nervenphysik. I.Abschn. Eigenschaften d.N. im Allgem.\nren sie die Nerven; es entstellen Zuckungen, aller aucli eine Ablenkung der Nadel des Galvanometers. Der Versuch beweist durchaus nicht, was er soll; denn homogene Metallst\u00fccke, wovon das eine erhitzt ist, erzeugen f\u00fcr sich schon, so wie heterogene Metalle, Elektricit\u00e4t, es m\u00fcssen also Zuckungen und zugleich eine Abweichung der Magnetnadel stattlinden.\nDie Verfasser wollen ferner zeigen, dass chemische Reize, welche auf die Nerven wirken, diess durch Elektricit\u00e4tsentwicke-lung thun. Sie bringen an dem einen der Dr\u00e4hte des Galvanometers ein mit salzsaurem Antimon oder mit Salpeters\u00e4ure befeuchtetes St\u00fcck Platina an, und befestigen an den andern Draht ein Fragment von Nerve, oder Muskel, oder Gehirn. Bei jeder Schliessung der Kette lenkt die Nadel ab; diess beweist noch weniger, denn hier sind die allgemeinen Bedingungen der Elektri-cit\u00e4tserregung durch Heterogenit\u00e4t vorhanden. Von derselben Art ist der folgende Versuch: sie befestigen an beide Conducto-ren des Galvanometers gleiche Platten von Platina, an eine derselben ein St\u00fcck frisches Muskelileisch von einigen Unzen von einem leuc..\u201e-jn Tliiere, und tauchen beide Conductoren in Blut oder in eine leichte Salzl\u00f6sung, worauf eine Ablenkung der Nadel erfolgt.\nDie neuesten Versuche mit Anwendung des Galvanometers sind die von Person. {Sur thypoth\u00e8se des courans electrics dans les nerfs. Journal de Physiol. Turn. A. 1830.) Alle Versuche von Person, mit einem \u00e4usserst empfindlichen Galvanometer elektrische Str\u00f6mungen in den Nerven zu entdecken, waren, eben so wie bei Pr\u00e9vost und Dumas , vergeblich. Person brachte bei Kaninchen und jungen Katzen die Conductoren des Galvanometers in Verbindung mit dem vordem und hintern Theile des R\u00fcckenmarks; er brachte sie ins Innere mehrerer dicker Nerven. Er wiederholte diese Versuche, nachdem er in den Unterleib Tinctura nucis vomicae eingespritzt, um die dadurch entstehenden Zuckungen galvanometrisch zu beobachten. Aehnliche Versuche wurden bei Aalen und Fr\u00f6schen gemacht; nie hat Person eine sichere Spur von Elektricil\u00e4t entdeckt. Der Verfasser erz\u00e4hlt hierbei eine Beobachtung, ' welche beweist, wie viel Misstrauen man gegen zuf\u00e4llige Umst\u00e4nde bei solcher Art der Untersuchungen hegen muss. Eines Tages brachte Person einen Tropfen Wasser auf Zink, um sich zu \u00fcberzeugen, dass das Galvanometer empfindlich sey, er ber\u00fchrte nun mit den Armen des Galvanometers das Wasser und das Zink, und beobachtete Diviationen der Magnetnadel, darauf brachte er bei einem jungen 11 unde die Platindr\u00e4hte des Galvanometers in Contact mit dem R\u00fcckenmark, und sah auch eine Deviation von 30 bis 40 Centimetern; allein diese Abweichung kehrte sich um, als der Contact umgekehrt stattfand, was den Verdacht einer elektrochemischen Action an einem der Dr\u00e4hte erregte. Diess war auch der Fall, denn als Person die Drahte in Blut brachte, oder in Wasser, indem er mit einem der Dr\u00e4hte Zink ber\u00fchrte, entstand ein galvanischer Strom, bis das St\u00fcckchen Zink oxydirt war. Man k\u00f6nnte den Beobachtungen mit dem Galvanometer den Vorwurf","page":646},{"file":"p0647.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom wirksamen Principd. Nerv. Vergleichung mit d. E/ektricit\u00e4t. C47\nmachen, dass diess Instrument nur andauernde Str\u00f6mungen an-zeige, die Muskelcontractionen dagegen abwechselnde Zusammenziehungen seyen. In der That, wenn Person einen der Dr\u00e4hte des Galvanometers mit dem Conductor einer elektrischen Maschine, den andern mit dem Boden in Verbindung brachte, entstand eine regelm\u00e4ssige Ablenkung (\u00e0 chaque tour du plateau), nicht aber, wenn der Strom in eine Reihe von tunken verwandelt wurde. Hiernach wiederholte Person mehrere seiner Beobachtungen mit einem Instrument, welches f\u00fcr successive Str\u00f6mungen (c\u00f6urans instantan\u00e9s) empfindlich war; allein Person konnte auch mit diesem Instrument bei Muskelcontractionen keine Ablenkung entdecken.\nEndlich bemerkt Person, dass, um Muskelcontractionen zu erzeugen, es gar nicht n\u00f6thig sey, dass ein galvanischer Strom die ganze L\u00e4nge der Nerven durchlaufe. Derselbe Erfolg tritt ein, so klein auch die Stelle am Nerven ist, durch welche der Strom von einem zum andern Pol geht. Wenn man einen Nerven zerrt, quetscht, brennt, so zuckt sein Muskel; eine Ligatur unter der Stelle hebt alle Wirkung auf. Es : ist gerade so, w enn man einen Nerven mit beiden Polen arrnirt und den Strom durch die Dicke des Nerven gehen l\u00e4sst. Man nimmt hier zwar an, dass der galvanische Strom eine Ablenkung nach der ganzen L\u00e4nge des Nerven erleide, weil die Nerven so vorz\u00fcgliche Leiter der Elektricit\u00e4t seyn sollen. Indessen zeigt Person sehr gut, was ich selbst auch sehr oft beobachtet habe, dass die Nerven nicht besser das galvanische Fluidum leiten als die Muskeln und andere nasse thierische Theile; dass ihre Leitungskraft sich nicht \u00e4ndert, wenn man sie mechanisch zerst\u00f6rt, und dass das Neuri-lem unf\u00e4hig ist, die galvanischen Str\u00f6me zu isoliren. In der That gebt ein galvanischer Strom, der in einen Nerven geleitet wird, sogleich in Muskeln und fibr\u00f6se Theile \u00fcber, sobald mese ihm einen k\u00fcrzern Weg darbieten. Man muss hieraus mit Person, so wie aus dem ganzen Gange der bisherigen Verhandlung, schlossen, dass ein Bewegungsnerve w\u00e4hrend des Lebens und der Dauer seiner Reizbarkeit in einem solchen Zustande ist, dass Allies, w'as pl\u00f6tzlich den relativen Zustand seiner Molek\u00fcle ver\u00e4ndert, eine Contraction des Muskels am entfernten Ende erregt, und dass elektrische, chemische und mechanische Reize hierbei sich gleich verhalten.\nDie mit dem Galvanometer angestellten Versuche zur Pr\u00fcfung der Elektricit\u00e4t der Nerven, so gewiss sie keinen Beweis f\u00fcr die Elektricit\u00e4t derselben liefern, k\u00f6nnen eben so wenig streng beweisen, dass keine Elektricit\u00e4t in den Nerven entwickelt werde ; denn diese Instrumente sind zu unvollkommen. Sie wirken meist nicht mehr, wenn wirkliche Elektricit\u00e4t durch ein Metallplattenpaar entwickelt\u2019wird, sobald einer der Conductoren des Galvanometers nicht das Metall selbst ber\u00fchrt, sondern nur durch Vermittelung eines Wassertropfens oder St\u00fcckchen Muskelfleisches damit in Verbindung steht. Hieraus sieht, man deutlich genug, dass, wenn auch Elektricit\u00e4t in den Nerven wirkte, sie durch das Galvanometer nicht leicht angezeigt w\u00fcrde. Dagegen ist der Nerve M\u00fcller\u2019s Physiologie. 1.\t42","page":647},{"file":"p0648.txt","language":"de","ocr_de":"648 III. Buch. \u00c4'crvcnphysik, I.Abs\u00e7hn. Eigenschaften <1. IV. im Allgem.\nnines Frosclisclienkcls ein viel feineres Elektronieter, welches in-tless keine Wirkung zeigt, wenn der Nerve eines abgeschnitte-nen Froschschenkcls mit einem andern gereizten Nerven im Contact steht.\nEinige haben sich hei der Hypothese von der Wirkung der Elektricit\u00e4t in den Nerven auf die elektrischen Fische gest\u00fctzt, aber gerade die Existenz dieser einer galvanischen Siiule \u00e4hnlich gehanten Organe, welche hei Torpedo aus Saulchen von \u00fcber einander geschichteten d\u00fcnnen Platten und einer dazwischen befindlichen verschiedenen Materie bestehen, ist der Hypothese von der Elektricit\u00e4t in den Nerven durchaus nicht g\u00fcnstig. Denn nur da findet hei Thicren eine elektrische Wirkung statt, wo besondere Organe daf\u00fcr vorhanden sind; w\u00e4re aber Elektricit\u00e4t das Agens der Nerven, so brauchte es hei den Fischen keiner hesondern thierisch - galvanischen Apparate, sondein blosser Conductoren. Man erz\u00e4hlt zwar h\u00e4ufig wieder, dass Cotugno heim Secircn einer lebendigen Maus, als der Schwanz der Maus gegen seine Hand schlug, einen heftigen Stoss empfand; diess geh\u00f6rt aber nicht hierher. Denn wenn man Thiere, wie M\u00e4use, Fr\u00f6sche, Spinnen, gegen welche man eine Aversion leicht hat, schon mit einiger Aufregung in den H\u00e4nden h\u00e4lt, so k\u00f6nnen durch eine leichte Veranlassung, durch Erschrecken, auch Ner-vensymptome entstehen; diess hat nichts mit einer elektrischen Nerven Wirkung gemein. Die Empfindung 'ejncs Schlags wie hei Anwendung der Elektricit\u00e4t ist ein Ph\u00e4nomen, welches in den Nerven auch hei jeder heftigen Reizung entsteht, z. B. wenn man erschrickt, oder wenn man den N. ulnaris zerrt. Der Schlag von der Elektricit\u00e4t ist auch kein elektrischer Schlag, sondern eine Empfindung durch Elektricit\u00e4t veranlasst, wie sie auch durch mechanische Einwirkung verursacht werden kann. K\u00e4stner berichtet, dass er beim Schreiben \u00f6fter kleine St\u00f6sse in den Fingern empfinde. Vorjahren, als ich von einer nerv\u00f6sen Reizbarkeit befallen war, hatte ich diess Symptom sehr oft, sobald ich die Hand und die Finger zu sehr anstrengte.\nFasst man nun alles bisher Verhandelte zusammen, so cr-gieht sich als Resultat:\n1) Dass in den Nerven bei den Lebensactionen keine nachweisbaren elektrischen Str\u00f6mungen slattfinden. 2) Dass die elektrische Kraft von der Innervation ganz verschieden ist. 3) Elektrische Str\u00f6mung in den Nerven ist also eben sowohl ein symbolischer Ausdruck, als wenn man die Wirkung der Nervenkraft mit. dem Lichte, dem Magnetismus vergleicht. Ueber die Natur des Nervenprincips ist man eben so ungewiss, wie \u00fcber das Licht und die Elektricit\u00e4t; die Eigenschaften des Nervenprincips kennt man fast eben so gut, wie die Eigenschaften des Lichtes und anderer impondcrabler Agentien. So verschieden diese Kr\u00e4fte sind, so wiederholt sich doch hier die Frage, oh ihre Wirkungen durch ortsver\u00e4ndernde Str\u00f6mungen einer imponderablen Materie entstehen, oder ob sie durch mechanischen Impuls, n\u00e4mlich durch Undulationen eines Fluidums, wie nach der Undulatioostheorie bei dem Licht angenommen wird, erfolgen; welche Annahme in","page":648},{"file":"p0649.txt","language":"de","ocr_de":"II. Abschn. Von den Empfindungsnerven u. Bewegungsnerven. 649\nHinsicht des Nervenprincips hier die richtige sey, ist vor der Hand f\u00fcr das Studium der Mechanik des Nervensystems gleichg\u00fcltig, gleichwie die Gesetze der Mechanik des Lichtes durch die Annahme der einen oder der andern dieser Theorien nicht abge\u00e4ndert werden k\u00f6nnen.\nII. Abschnitt. Von den Empfindungsnerven,\nBewegungsnerven und organischen Nerven.\nI. Capiiel. Von den sensitiven und motorischen Wurzeln der R\u00fcckenmarks nerven.\n(Nach J. Mueller, Froriep\u2019s Not. No. (i 16. 617. Annales des sciences\nnaturelles. 1831.)\nDie Thatsache, dass dieselben Nerven am Rumpfe der Empfindung und der Bewegung zugleich vorstehen, und dass die eine dieser Functionen in einem Nerven zuweilen durch L\u00e4hmung aufgehoben wird, w\u00e4hrend die andere fortdauert, ist eines der wichtigsten Probleme der Physiologie. Charles Belt, hatte zuerst den ingeni\u00f6sen Gedanken, dass die hinteren, mit einem Ganglion versehenen Wurzeln der Spinalnerven der Empfindung allein , die vorderen Wurzeln der Bewegung vorstehen, und dass die Primitivf\u00e4den dieser Wurzeln nach der Vereinigung zu einem Nervenstamm f\u00fcr das Bed\u00fcrfnis der Haut und der Muskeln gemischt werden. Diese Idee hatte er in einer nur f\u00fcr den Kreis seiner Freunde bestimmten Abhandlung, an idea oj a new anatomy of the brain submitted for the observation oj the authors friends, 1811 entwickelt. Eilf Jahre sp\u00e4ter trat Herr Magendie mit derselben Theorie auf. Allein Herr Magendie hat das Verdienst, diesen Gegenstand hinsichts der R\u00fcckenmarksnerven in die Experimentalphysiologie eingef\u00fchrt zu haben. Magendie behauptete aus seinen Versuchen, dass nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln nur die Empfindung, nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln die Bewegung in den entsprechenden Theilen aufh\u00f6re. Magendie\u2019s Resultate waren nur approximativ. Nach ihm sollten die hinteren Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks und die hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven vorzugsweise der Empfindung, die vorderen vorzugsweise der Bewegung vorstehen, obgleich nicht ganz ohne Empfindung seyn. So fand er auch, dass die Application des Galvanismus auf die vom R\u00fcckenmark abgeschnittenen hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven auch noch, aber nur schwache, Contractionen der Muskeln errege, w\u00e4hrend dieser Reiz auf die vorderen Wurzeln angewandt, heftige Zu-saminenziehungen bewirke. ./. de physiol. 2. 276. Vergl. Desmoulins et Magendie Anatomie et physiologie des syst\u00e8mes nerveux. Bans, 1825. p. 777. Diese Versuche sind bei h\u00f6heren Thieren die\n12 *","page":649},{"file":"p0650.txt","language":"de","ocr_de":"650 III. Buch. Nervenphysik. II. Absckn. Eppfindungs-u. Bewegungsnerv.\ngrausamsten, welche man erdenken kann. Die ungeheure Verwundung zur Er\u00f6ffnung des Riickgraths in einer so grossen Strecke, um die Wurzeln aller Nerven, die zu den hinteren Extremit\u00e4ten gehen, zu durchs\u00e7hneiden, ist an sich schon schnell ieb.ensg'e-f\u00e4hrlich, mit enormer Blutung verbunden, und der Tod des Thie-res erfolgt unausbleiblich in kurzer Zeit, ehe man zu \u00fcberzeugenden Resultaten gelangt ist. Welch grosses Erstaunen daher auch Bell\u2019s Theorem wiederum in den Versuchen von Magendie billig erregte, so blieb doch die geh\u00f6rige Best\u00e4tigung dieser Versuche aus. Nur B\u00e9clard hat, aber auf eine zu oberfl\u00e4chliche und ungen\u00fcgende Art, diese wichtige Frage bejahend entschieden, indem er sagt: Les experiences de Mr. Cu. Bell, Celles de Mr. Magendie et les miennes propres ont clairement d\u00e9montr\u00e9, que la racine post\u00e9rieure des nerfs spinaux est Censoriale et la racine ant\u00e9rieure motrice. El\u00e9m. d\u2019anat. g\u00eaner. Paris 1823. p. 668. Fodera\u2019s Versuche waren mit so widersprechenden Symptomen begleitet, dass es unbegreiflich ist, wie er seine Versuche f\u00fcr eine Best\u00e4tigung von Magendie\u2019s Beobachtungen ausgeben konnte. Bellingeri erhielt ganz verschiedene Resultate, und schloss aus seinen Versuchen, dass die innere graue Substanz des R\u00fcckenmarks der Empfindung, die weisse faserige der Bewegung vorstehe, dass die vorderen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks und die vorderen Wurzeln der Flexion, die hinteren der Extension der Muskeln bestimmt seyen. In Deutschland sind diese Versuche mit Sorgfalt an vielen Thieren von Sciioeps wiederholt worden. S. Mechel's Archiv f\u00fcr Anat. und Physiol. 1827. Allein die Resultate sind ganz zweifelhaft und schwankend ausgefallen. Auch ich hatte schon im Jahre 1824 diesen Versuch ohne Resultat bei meinem Aufenthalte zu Berlin vorgenommen. Neuerdings besch\u00e4ftigt mit Untersuchungen \u00fcber das Nervensystem, trieb mich die Begierde nach Wahrheit an, eine Reihe neuer Versuche nach einem ver\u00e4nderten Plane an Kaninchen anzustellen. Denn dass die bisherige Art der Versuche tr\u00fcgerisch ist, beweist der Umstand, dass viele Tliiere, vorz\u00fcglich Kaninchen, durch die ersten Handgriffe des Experiments erschreckt und eingesch\u00fcchtert, ohne dass man bedeutende Verletzungen irgend einer Art vorgenommen hat, selbst bei den heftigsten Hautreizen, nicht einmal beim Zerquetschen und Zerschneiden der Haut irgend eine Schmerzens\u00e4usserung von sich geben. Wie kann man daher in der kurzen Zeit, wo ein Thier nach der Oeffnung des R\u00fcckgrats noch lebt, zuverl\u00e4ssig entscheiden, ob das Thier noch Empfindung hat oder nicht?\nIch wusste, das die geringste Zerrung eines angespannten Muskelnerven mit einer Nadel Zuckungen in den entsprechenden Muskeln erregt. Sind nun die hinteren Wurzeln der Spinalnerven bloss empfindend und nicht bewegend, so m\u00fcssen sie heim Zerren mit der Nadel keine Zuckungen, die vorderen Wurzeln aber beim Zerren wirkliches Zucken bewirken ; um die kleinsten Zuckungen zu bemerken, legte ich die Muskeln der hinteren Extremit\u00e4ten bloss. Diese mehrfach wiederholten Experimente blieben, wenn man gewissenhaft seyn wollte, ohne Resultat, weil","page":650},{"file":"p0651.txt","language":"de","ocr_de":"1. Sensitive und motorische Wurzeln der Spinalnerven. 651\nft *\ndurch die mit der Oeffnung des R\u00fcckgrats verbundenen Ersch\u00fctterungen schon kleine Erzitterungen in den Muskeln eingetreten waren, welche alles fernere Experimentiren unzuverl\u00e4ssig machten. Nach so vielen vergeblichen Bem\u00fchungen, um das absolute Resultat zu erhalten, von welchem Herr Magendie spricht, fing ich an zu zweifeln. Ich verzweifelte an einem entscheidenden und zuverl\u00e4ssige!! Resultate aller solcher Versuche. Haben doch Desmoulins und Magendie selbst nur gesagt, dass in dem einen Falle fast, alle Empfindung, in dem andern Fall fast alle Bewegung aufh\u00f6re. In einem absoluten Resultate kann von einem halben Erfolge, von keinem fast keine Rede seyn. Ich sagte zu mir selbst: Das Theorem von Bell ist \u00fcberaus ingeni\u00f6s, allein es ist nicht bewiesen, Magendie hat es auch nicht gen\u00fcgend bewiesen, und es kann vielleicht bei h\u00f6heren Tbieren nie gen\u00fcgend bewiesen werden. Dieser Meinung, dass der geh\u00f6rige Beweis fehle, war auch E. H. Weber (erster Band seiner vort.reifli-chen Ausgabe von Hildebrandt\u2019s Anatomie. Braunschweig 1830. S. 2830. Zu einem guten physiologischen Experiment geh\u00f6rt, dass es gleich einem guten physikalischen Versuche an jedem Ort, zu jeder Zeit, unter denselben Bedingungen dieselben sicheren und unzweideutigen Ph\u00e4nomene darbiete, dass es sich immer best\u00e4tige. Diess kann man von den bisherigen Versuchen zum Beweis des BELL\u2019schen Lehrsatzes nicht sagen. Denn die Verletzung, die Entkr\u00e4ftung ist so gross, dass die Wahrscheinlichkeit des Irrthums gr\u00f6sser ist als die Wahrscheinlichkeit des Resultats. Ein Fehler, an dem so viele physiologische Experimente leiden.\nSollten aber nicht Experimente f\u00fcr oder gegen den BELL\u2019schen Lehrsatz gefunden werden k\u00f6nnen, welche eben so zuverl\u00e4ssig sind, als die physiologischen Experimente von Haller, I'ontana, Galvani, A. v. Humboldt?\nIch kam endlich auf den gl\u00fccklichen Gedanken, Fr\u00f6sche zu den fraglichen Versuchen nach meiner eben erw\u00e4hnten Methode anzuwenden, Thiere, welche ein sehr z\u00e4hes Leben haben, die Oeffnung des R\u00fcckgrats lange \u00fcberlebe,n, deren Nerven die l\u00e4ngste Zeit sensibel bleiben, und bei denen die dicken Wurzeln der Nerven f\u00fcr die hinteren Extremit\u00e4ten eine sehr grosse Strecke im Kan\u00e4le des R\u00fcckgrats getrennt verlaufen, ehe sie sich vereinigen. Diese Versuche sind mit dem gl\u00e4nzendsten Erfolge gekr\u00f6nt worden; sie sind so leiebt, so sicher, so entscheidend, dass sich jeder nunmehr schnell von einer der allerwichtigsten Wahrheiten der Physiologie \u00fcberzeugen kann. Die Ph\u00e4nomene sind so constant und \u00fcberraschend, dass diese Versuche an Einfachheit und Gewissheit des Erfolgs dem besten physikalischen Experi-mentum crucis an die Seite treten d\u00fcrfen.\nZur Oeffnung des R\u00fcckgrats bediene ich mich einer an der Seite und an der Spitze scharf schneidenden Knochenzange. Diese Operation ist in einigen Minuten ohne alle Verletzung des R\u00fcckenmarks vollbracht. Die Fr\u00f6sche sind darauf ganz munter und h\u00fcpfen wie vorher herum. Man sieht nach Oeffnung es R\u00fcckgrats und der H\u00e4ute sogleich die dicken hinteren Wui-","page":651},{"file":"p0652.txt","language":"de","ocr_de":"652 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindungs- u. Bewegungsnerv.\nzeln der Nerven f\u00fcr die unteren Extremit\u00e4ten. Man hebe die Wurzeln vorsichtig mit einer Staarnadel auf, ohne etwas von den vorderen Wurzeln mit zu fassen, und schneide sie an der Insertion am R\u00fcckenmarke ab. Nun fasst man das abgeschnittene Ende mit der Pincette und zerrt die Wurzel selbst wiederholt mit der Spitze der Staarnadel. Man wird sich hei jedem Versuch dieser Art, auch wenn man ihn Unz\u00e4hlige Mal an einer Menge von Fr\u00f6schen wiederholt, \u00fcberzeugen, dass auf die mechanische Reizung der hinteren Wurzeln niemals auch nur die entfernteste Spur einer Zuckung in den hinteren Extremit\u00e4ten erfolgt. Dasselbe kann man an den sehr dicken hinteren Wurzeln der Nerven f\u00fcr die vorderen Extremit\u00e4ten mit demselben Erfolge wiederholen.\nNun hebe man eine der vorderen eben so dicken Wurzeln der Nerven f\u00fcr die Hinterbeine mit der Nadel aus dem Kanal des R\u00fcckgrats hervor. Schon hei der leisesten Ber\u00fchrung dieser Wurzeln erfolgen sogleich die allerlebhaftesten Zuckungen in der ganzen hintern Extremit\u00e4t. Man schneide auch diese Wurzeln vom R\u00fcckenmark dicht ab, fasse das abgeschnittene Ende mit der Pincette und zerre die angespannte Wurzel mit der Nadelspitze. Bei jeder Reizung erfolgen die lebhaftesten Zuckungen.\nDurch Wiederholung dieser Versuche an einer grossen Zahl von Fr\u00f6schen kann man sich \u00fcberzeugen, dass es durchaus unm\u00f6glich ist, durch die hinteren Wurzeln der Spinalnerven hei Fr\u00f6schen Zuckungen zu bewirken, dass dagegen die geringsten Reize auf die vorderen Wurzeln sogleich das Spiel der heftigsten Zuckungen bewirken.\nSo lange beiderlei Wurzeln noch mit dem R\u00fcckenmark verbunden sind, kann man durch zerrendes Aufheben der hinteren Wurzeln und die dadurch bewirkte Zerrung am R.\u00fcckenmark seihst auch Zuckungen in den Hinterbeinen bewirken. Diese entstehen aber nicht durch die hinteren Wurzeln selbst, sondern durch das zugleich gezerrte R\u00fcckenmark, dessen Reizung durch die vorderen oder motorischen Wurzeln auf die Muskeln wirkt. Wenn daher vorher die vorderen Wurzeln durchschnitten worden, so kann die Zerrung des R\u00fcckenmarks oder der hinteren, noch mit dem R\u00fcckenmark zusammenh\u00e4ngenden Wurzeln auf keine Art die geringste Spur einer Zuckung erregen.\nEben so entscheidend sind die Versuche mit Anwendung des Galvanismus durch einfache Zink- und lvupferplatten.\nDie Reizung der abgeschnittcnen vorderen Wurzeln durch den Galvanismus bewirkt sogleich die heftigsten Zuckungen ; die galvanische Reizung der hinteren Wurzeln bewirkt niemals eine Spur von Zuckung. Dieses Resultat ist \u00e4usserst merkw\u00fcrdig und war mir ganz unerwartet: denn ich hatte mir gedacht, dass, wenn auch die hinteren Wurzeln bloss empfindend sind, sie doch f\u00e4hig w\u00e4ren, das galvanische Fluidum bis zu den Muskeln zu leiten, und es ist sogar unvermeidlich, dass hei heftigem galvanischen Reize einer sehr starken S\u00e4ule das galvanische Fluidum durch die hinteren Wurzeln so gut, wie durch jede thierische Substanz geleitet wird (so wie es in Magendie\u2019s Versuchen erging). Allein es ist ganz gewiss, dass der galvanische Reiz eines Plattenpaares","page":652},{"file":"p0653.txt","language":"de","ocr_de":"1. Sensitive und motorische Wurzeln der Spinalnerven. 653\ndurch die hinteren Wurzeln nicht auf die Muskeln wirkt, durch die vorderen Wurzeln sogteieh Zuckungen erregt, dass der mechanische Reiz einer Nadel bei den st\u00e4rksten Zerrungen niemals eine Spur von Zuckungen durch die hinteren Wurzeln hervorruft, w\u00e4hrend die geringste Zerrung an den vorderen Wurzeln sogleich lebhafte Zuckungen bedingt. Bei der Anwendung des Galvanismus auf die hinteren Wurzeln muss man sich sehr h\u00fcten, dass die Platten irgendwo andere Theile ber\u00fchren.\nDie Art, wie Bell und Magendie den BELi.\u2019schcn Lehrsatz zu beweisen suchten, l\u00e4sst sich auch mit dem sichersten Erfolge bei Fr\u00f6schen anwenden. Durchschneidet man bei demselben Frosch auf der linken Seite alle 3 hinteren Wurzeln, auf der rechten Seite alle 3 vorderen Wurzeln der Nerven f\u00fcr die Hinterbeine, so ist an dem linken Bein die Empfindung, an dem rechten Bein die Bewegung gel\u00e4hmt. Schneidet man dann am rechten Bein, welches noch Empfindung, aber keine Bewegung hat, den Fuss ab, so zeigt der Frosch den gr\u00f6ssten Schmerz in allen Theil\u00f6n des K\u00f6rpers durch Bewegungen, aber das rechte Bein selbst, an dem er doch den Schmerz f\u00fchlt, kann er nicht im geringsten bewegen. Schneidet man dagegen am linken Bein, welches keiue Empfindung aber noch Bewegung hat, den Fuss ab, so f\u00fchlt es der Frosch gar nicht. Dieser Versuch ist wohl der \u00fcberraschendste von allen, und giebt entscheidende Resultate, nicht halben Erfolg, weil man beim Frosch gewiss ist, die Wurzeln der Nerven des Hinterbeins s\u00e4mmtlich zu durchscbneiden, indem es nur sehr wenige, aber dicke Wurzeln sind.\nDiess sind die Versuche, welche keinen Zweifel mehr an der Wahrheit des BELi.\u2019schen Lehrsatzes \u00fcbrig lassen.\nIch bemerke noch, dass c}as Abschneiden der hinteren Wurzeln vom R\u00fcckenmark oft ganz deutlich mit Schmerzens\u00e4usserun-gen am Vordertheil des Rumpfs verbunden ist.\nBei den Versuchen, wovon bisher die Rede gewesen, wird der galvanische Reiz nur auf die Wurzeln, die vorher dicht am R\u00fcckenmark abgesehnitten worden, angebracht, indem man beide Pole auf das Wurzelende wirken l\u00e4sst, und also einen galvanischen Strom durch die Dicke der Nervenwurzel erregt. Nun ist es bekannt, dass die Rumpfnerven, die aus der Verbindung der beiden Wurzeln entstehen, Zuckungen erregen, sowohl wenn sie selbst galvanisch irritirt werden, als wenn der eine Pol auf den Nerven, der andere Pol auf den Muskel wirkt, indem im ersfe-ren Falle der galvanische Strom nur quer durch die Dicke der Nerven, im letzten Falle vom Nerven bis zum Muskel in der gau-zen L\u00e4nge des Nerven durchgeht.\nIch w\u00fcnschte jetzt zu wissen, und jeder wird die Frage stellen, ob die hintere Wurzel, indem sie unf\u00e4hig ist, hei der unmittelbaren Reizung Zuckungen zu erregen, zugleich unf\u00e4hig ist, das galvanische Fluidum zu den Muskeln zu leiten, wenn die hinteren Wurzeln mit dem einen Pol, die Muskeln mit dem andern Pol in Verbindung gebracht werden. Hierdurch entstand eine Reihe interessanter Experimente, welche eben so constante Resultate gaben, wie die fr\u00fcher mitgetheillen Beobachtungen und","page":653},{"file":"p0654.txt","language":"de","ocr_de":"654 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindlings- u. Bewegungsnerv.\nwelche seitdem sehr oft wiederholt worden sind. S\u00e4mmtliclie Versuche wurden an Fr\u00f6schen angestellt. Die Wurzeln wurden immer nach der schon beschriebenen Weise vorsichtig und sanft mit der Nadel aufgehoben, und dicht am R\u00fcckenmark.abgeschnitten, so dass sie nur mit ihren Rumpfnerven in Verbindung standen. Zur Isolation wurde immer eine Glasplatte untergeschoben und der ganze Frosch auf ein St\u00fcck Glas gelegt. Folgendes sind die constanten Resultate:\n1)\tWenn man die hinteren Wurzeln der Spinalnerven allein mit beiden Polen eines einfachen Plattenpaares in Verbindung bringt, so entsteht niemals die geringste Spur einer Zuckung.\n2)\tWenn man dagegen die hinteren Wurzeln mit dem einen Pol, einen Muskel der unteren Extremit\u00e4ten mit dem andern Pol armirt, und also einen galvanischen Strom von der Wurzel bis zu dem Muskel leitet, so entstehen Zuckungen, und zwar bloss in den innerhalb des galvanischen Wirkungskreises gelegenen Muskeln.\n3)\tDie vorderen Wurzeln bewirten, sowohl unmittelbar mit beiden Polen vereinigt, als mittelbar, indem der andere Pol auf die Muskeln wirkt, Zuckungen in allen Muskeln der Extremit\u00e4t, nicht bloss in dem galvanischen Wirkungskreise, sondern bis zu den Zehen herab.\n4)\tDasselbe erfolgt, wenn man die hinteren Wurzeln mit dem einen Pol, die vorderen Wurzeln mit dem andern Pol in Verbindung bringt.\nDiese Versuche beweisen so b\u00fcndig, als ein Schluss seyn kann, unumst\u00f6sslieb:\ne. Da ss die hinteren Wurzeln der Spinalnerven zwar nicht isoliren, sondern wie alle thierische Theile im nassen Zustande den galvanischen Strom passiv von einem zum andern Pole leiten.\nb.\tDass sie aber keine motorischen Kr\u00e4fte oder Bewegungskr\u00e4fte haben, und durch sich selbst keinen Muskel zur Bewegung bestimmen k\u00f6nnen.\nc.\tDass dagegen die vorderen Wurzeln nicht allein den aal-vanischen Strom wie alle tliierischen Theile leiten, sondern dass sie auch, ohne dass ein galvanischer Strom durch sie auf die Muskeln geleitet wird, bei jeder unmittelbaren Reizung durch mechanische oder galvanische Reize eine motorische, nicht galvanische Kraft in der Richtung der Nervenverzweigung ausiihen.\nIch werde nun zeigen, dass ein Nerv die eigene motorische Kraft verlieren kann, wenn er die F\u00e4higkeit, den galvanischen Strom auf die Muskeln zu leiten, noch beh\u00e4lt. Man quetsche einen Muskelnerven mit der Pincette, mechanischer und galvanischer Reiz \u00fcber der gequetschten Stelle wirken nicht mehr'; vvohi aber, wenn der mechanische und galvanische Reiz unter der gequetschten Stelle zwischen dieser und dem Muskel appli-cirt wird. Dennoch ist ein gequetschter Nerv f\u00e4hig, den galvanischen Strom zu den Muskeln zu leiten, und es entstehen Zuk-kungen, wenn der eine Pol auf das Ende des gequetschten Nerven, der andere Pol auf den Muskel wirkt. Die gequetschte Stelle ist also Icitungsf\u00e4hig.","page":654},{"file":"p0655.txt","language":"de","ocr_de":"1. Sensitive und motorische Wurzeln der Spinalnerven. ,, 655\nDa nun endlich der geringste mechanische Reiz mit del' Nadel oder einem nicht metallischen K\u00f6rper, einem zugespjtzte.\u00f6 Federkiel, dieselben Wirkungen auf die Muskelnerven und di\u00df vorderen Wurzeln der Spinalnerven hervorbringt, wie der un' mittelbare galvanische Reiz in einem transversalen Strom durch die Dicke des Nerven, n\u00e4mlich Zuckungen in dem ganzen Glieds so folgt:\na.\tDass der unmittelbare galvanische Reiz beider Pole auf die vorderen Wurzeln nicht anders als der mechanische Reiz wirkt; dass der Galvanismus hierbei nicht als Galvanismus dic n\u00e4chste Ursache der Muskelcontraction ist, sondern dass der 'galvanische Reiz, eben so wie der mechanische, nur die motori' sehen oder tonischen Kr\u00e4fte der tonischen Nerven zur Aeusse< rung erregt.\nb.\tDass die galvanische Kraft von der motorischen oder toni' sehen Kraft oder Spannkraft der Nerven verschieden ist, und sich zu dieser nur als heftiger Reiz verh\u00e4lt.\nc.\tEs folgt ferner, dass es Nerven giebt, welche keine motorischen oder tonischen Kr\u00e4fte besitzen, welche durch sich selbst niemals Zuckungen erregen k\u00f6nnen, m\u00f6gen sie mechanisch oder' galvanisch gereizt seyn, und welche den galvanischen Strom, nur' passiv leiten; dass es dagegen motorische oder tonische Nerven giebt, welche bei jeder .unmittelbaren Reizung ihre tonische Kraft in der Spannung der Muskeln \u00e4ussern, eine Spannkraft, welche immer in der Richtung der Verzweigung, niemals r\u00fcckw\u00e4rts wirkt. Denn es geh\u00f6rt nicht liieher, wenn galvanische Str\u00f6met auf andere Aeste durch nasse Theile \u00fcbergeleitet werden.\nd.\tDass endlich die vorderen Wurzeln der Spinalnerven tonisch, die hinteren nicht tonisch sind.\nUm den mitgefheilten neuen Erfahrungen noch ein gr\u00f6sseres Interesse zu geben, beschloss ich die galvanische S\u00e4ule statt des einfachen Plattenpaares anzuwenden. Ich errichtete eine voltai-sche S\u00e4ule von 34 Plattenpaaren, die Platten von etwas mehr als 4 Quadratzoll. Auch diese Versuche wurden an mehreren Fr\u00f6schen wiederholt, und folgende constante Resultate gefunden.\n1)\tDie hinteren Wurzeln der Spinalnerven f\u00fcr die unterer* Extremit\u00e4ten wurden vom R\u00fcckenmark abgeschnitten, das Ende? dieser Wurzeln auf ein Glast\u00e4felchen aufgelegt, und mit beider* Polen der voltaischen S\u00e4ule in Verbindung gebracht. Nie zeigte sich auch nur eine Spur einer Zuckung. Ich wiederhole hier die Vorsichtsmaassregel, ja keine Fasern der vorderen Wurzeln mit zu fassen.\n2)\tDie vorderen Wurzeln erregten unter denselben Umst\u00e4nden die heftigsten Zuckungen in der ganzen Extremit\u00e4t.\n3)\tBrachten wir die hintere Wurzel mit dem einen Pol, die Muskeln des Oberschenkels mit dem andern Pol in Verbindung, so entstanden Zuckungen am ganzen Beine,' vorz\u00fcglich aber innerhalb des galvanischen Wirkungskreises.\n4)\tDie vorderen Wurzeln mit dem einen Pol, die Muskeln mit dem andern Pol armirt, bewirkten noch viel st\u00e4rkere Zuk-kungen.","page":655},{"file":"p0656.txt","language":"de","ocr_de":"056 III. Buch. Nervcnphfsik. II. Abschn. Empfindlings- u. Bewegungsnerv.\nIch w\u00fcnschte nun zu wissen, oh die Wurzeln der letzten Spinalnerven, wenn sie in einiger Entfernung vom R\u00fcckenmark abgeschnitten werden, und wenn die noch am R\u00fcckenmark ansitzenden Anf\u00e4nge der Wurzeln armirt werden, Zuckungen in den vorderen Theilen durch Vermittelung des R\u00fcckenmarks zu erregen im Stande sind. Die Resultate waren constant, aber unerwartet.\nWeder die vorderen noch die hinteren Wurzeln bewirken, wenn sie allein einfach armirt werden, in r\u00fcckw\u00e4rts gehender Bewegung, Zuckungen an den vorderen Theilen des Rumpfs, z. B. am Kopf. Es scheint also, dass die Fasern der Nerven im R\u00fcckenmark nicht communiciren. Es entstanden aber Zuckungen, wenn die Wurzeln mit dem einen Pol, die entbl\u00f6ssten vorderen Theile des K\u00f6rpers mit dem andern Pole armirt wurden, was wieder durch die Leitung des galvanischen Strems auf ferne motorische Nerven geschieht.\nEndlich l\u00f6ste ich bei einem Frosch alle Wurzeln der Nerven am gr\u00f6ssten Theile des R\u00fcckenmarks von hinten bis in die Gegend der Arme dicht am R\u00fcckenmark ab, so dass der hintere Theil des R\u00fcckenmarks frei emporgehoben und ein Glast\u00e4felchen untergeschoben werden konnte. Das R\u00fcckenmarksende, mit beiden Polen verbunden, erregte Zuckungen in allen Theilen, welche noch mit dem R\u00fcckenmark in Verbindung standen. Aus diesen letzten Versuchen folgt, dass das R\u00fcckenmark nicht bloss das Ensemble der Rumpfnerven ist, wie ich vermuthet hatte, sondern dass es zwar einige Dinge mit'den Nerven gemein hat, in einigen aber noch von ihnen verschieden ist. Denn die Wurzeln der Spinalnerven bewirken, unmittelbar gereizt, in r\u00fcckw\u00e4rts gehender Bewegung in den vorderen Theilen keine Zuckungen, wohl aber das R\u00fcckenmarksende.\nDie vorz\u00fcglichsten der hier beschriebenen Versuche, n\u00e4mlich die mit dem mechanischen Reiz mul mit dem einfachen Plattcn-paar, habe ich nun schon alle Jahre wiederholt, und sie haben mir immer dieselben unzweideutigen Resultate gegeben. So mache ich sie nicht allein regelm\u00e4ssig in den Vorlesungen \u00fcber die Physiologie, sondern habe sie auch in Paris vor den Herren A. v. Humboldt, Dutrochet, Valenciennes, Laurillakd, und ein andermal vor Herrn Cuvier, eben st\u00bb in Heidelberg hei Herrn Tiedemann, in Bonn mit den Herren Weber und Wutzeh, ebendaselbst mit Herrn Professor Retzius aus Stockholm wiederholt, der sie wieder mit gleichem Erfolg dort wiederholte. Gleichen Erfolg hatte die Wiederholung der Versuche durch Herrn Thomson in Edinburg, durch Herrn Sunnius in Berlin (Heckrr\u2019s Ann. Dec. 1832.). Die Versuche mit dem mechanischen Reiz haben Seubert {de funct. rad. ant. et post. nerv. spin. Carlsruhae 1833), und van Deen {de differentia et mm inter nerv\u00f6s vitae animalis et organicae. Lugd. Bat. 1834.) mit Erfolg wiederholt. Die galvanischen Versuche mit der S\u00e4ule and Seubert nicht vollkommen gelungen. Statt zuerst mit einen Platten paare zu experimeu Liren, hat Seubert, gleichsam um cs recht gut zu machen, mit 50 Platten paaren operirt. Nun ist ei aber bekannt, dass man, uns","page":656},{"file":"p0657.txt","language":"de","ocr_de":"1. Sensitive und motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 657\nlocale Wirkungen zu erzeugen, bei Thieren nur mit ganz schwachen Apparaten experimentiren darf, indem man bei einiger St\u00e4rke des Apparats uicht mehr sicher ist, ob man bloss den durch die Pole ber\u00fchrten Theil galvanisirt, oder ob das durch olle nassen Theile leitungsf\u00e4hige galvanische Fluidum auf andere Theile \u00fcberspringt. Es ist daher kein Wunder, wenn SeuberT in einigen F\u00e4llen beim Galvanisiren der hinteren Wurzeln der Fr\u00f6sche durch eine S\u00e4ule von 50 Plattenpaaren doch Zuckungen entstehen sah; h\u00e4tte er noch mehr Plattenpaare angewandt, so h\u00e4tte er eben so gut Convulsionen des ganzen Frosches erzeugen k\u00f6nnen. Diese Betrachtung dr\u00e4ngt sich sogleich bei einiger Kenntniss der Wirkungsart und Leitung des galvanischen Fluidums auf. H\u00e4tte derselbe mit einem einfachen Plattenpaare operirt, so w\u00fcrde er den unab\u00e4nderlichen Erfolg gesehen haben, wie ich ihn jetzt schon so ausserordentlich h\u00e4ufig und nie mit irgend einer Aenderung gesehen habe. Nachdem nun Dr. Seu-bert mit dem einfachen Plattenpaare diesen Erfolg gesehen, h\u00e4tte er zwei, dann drei, dann vier, dann f\u00fcnf u. s. w. Plattenpaare nehmen, m\u00fcssen, bis er eine H\u00f6he von 10\u2014 20 \u2014 30 Paaren erreicht h\u00e4tte; er w\u00fcrde dann die Grenze kennen gelernt haben, bis zu welcher er bei seiner S\u00e4ule gehen durfte. Panizza\u2019s Versuche an Fr\u00f6schen und B\u00f6cken mittelst Durchschneidung der Wurzeln best\u00e4tigen ebenfalls die Bichtigkeit der BELi/schen Entdeckung. Ricerche sperimentali sopra i nervi Pavia. 4.\nSo definitiv nun die Verschiedenheit der vorderen und hinteren Wurzeln in Hinsicht der sensibeln und motorischen Eigenschaften erwiesen ist, so wenig ist dieser Unterschied in Hinsicht der vorderen und hinteren Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarks erwiesen. Ich habe diess schon in meinem franz\u00f6sischen Memoire in den Annales des scienc. natur. 1831. bemerkt. Nach Seubert\u2019s Versuchen scheint die vordere Gegend des R\u00fcckenmarks vorz\u00fcglich, aber nicht allein, der Bewegung vorzustehen; die hintere vorzugsweise, aber nicht allein, der Empfindung. Die pathologischen F\u00e4lle, die man in Seubert\u2019s Schrift zusammengestellt findet, enthalten auch keine vollen Beweise jener Behauptung. Uebrigens ist es kaum m\u00f6glich, \u00fcber diese Frage genaue Versuche an Thieren anzustellen, indem man bei der Intention, auf die hinteren Str\u00e4nge durch Schnitt zu wirken, ohne es zu wollen, durch Druck auf die vorderen wirkt.\nII. Capitel. Von den sensitiven und motorischen Eigenschaften der Gehirnnerven.\nOhne hier schon in das Detail der Physiologie der einzelnen Gehirnnerven einzugehen, untersuchen wir dieselben hier in Hinsicht ihrer Uebereinstimmung oder Verschiedenheit im Vergleich mit den R\u00fcckenmarksnerven. Die Gehirnnerven k\u00f6nnen in folgende Classen gebracht werden.\n1) Reine Sinnesnerven, die Nerven der h\u00f6heren Sinne, Nervus olfactorius, opticus, acusticus.","page":657},{"file":"p0658.txt","language":"de","ocr_de":"658 III. Buch. Nervenphysik. II. Alschn. Empfindlings- u. Bewegungsnerv.\n2)\tGemischte Nerven mit doppelten Wurzeln. Nervus trigeminus, Nervus glossopharyngeus (siehe oben p. 614.), Nervus vagus cum accessorio, bei mehreren S\u00e4ugethieren auch Nervus hypo-jjlossus (siehe oben p. 614.)\n3)\tVorzugsweise motorische Nerven mit einfacher Wurzel, welche entweder an sich motorisch, durch Verbindung mit sensitiven Nerven Empfindungslasern erhalten, oder wenn sie schon sensorielle Fasern in ihren Wurzeln enthalten, sich nicht aut die doppelwurzeligen R\u00fcckenmarksnerven reduciren lassen. Nervus oculomotorius, trochlearis, abducens, facialis.\nUnter diesen Nerven verdienen vorz\u00fcglich die beiden letzten Classen eine besondere Betrachtung.\nGemischte Hirnnerven mit doppelten Wurzeln.\nNervus trigeminus.\nDieser Nerve hat bekanntlich zwei Wurzeln, Portio major, welche in das Ganglion Gasseri anschwillt, und Portio minor ohne Ganglion; letztere geht an dem Ganglion vorbei zum dritten Ast. Die aus der gangli\u00f6sen Portio major oder dem Ganglion Gasseri hervorgehenden Aeste des N. trigeminus, Ramus primus et secundus, sind wahrscheinlich bloss sensibel. Der dritte Ast des N. trigeminus, rvelcher zum Theil aus der nicht gangli\u00f6sen Portio minor entspringt, Und aus dem Ganglion Gasseri oder der Portio major sich verst\u00e4rkt, ist motorisch und sensibel. Betrachten wir zuerst die Eigenschaften des ersten Astes, Ramus ophthalmicus. Von seinen Zweigen beurkundet sich der N. nasoci-liaris durch seine vorzugsweise Verbreitung in der Nase und am innern Augenwinkel, in der Conjunctiva und dem Saccus lacry-malis als sensibler Nerv. Der N. frontalis k\u00f6nnte dagegen f\u00fcr motorisch gehalten werden, weil er sich nicht allein in der Stirnhaut und der Haut des obern Augenliedes, sondern auch mit kleinen Zweigen in dem Musculus orbicularis palpebrarum, frontalis und corrugator supercilii verbreiten soll. Allein in denselben Muskeln verbreiten sich auch Zweige des N. facialis, und Ch. Bell hat wahrscheinlich gemacht, dass der N. frontalis nur sensibel ist, und der N. facialis die motorischen Zweige f\u00fcr jene Theile abgiebt. Bell durchschnitt bei einem Mann, der an Gesichtsschmerz litt, den N: frontalis. Diese Durchschneidung war sehr schmerzhaft. Dagegen wurde bei einem anderen Kranken der Musculus corrugator supercilii gel\u00e4hmt durch eiterige Zerst\u00f6rung des obern Astes vom N. facialis bei einem Geschw\u00fcr vor dem \u00e4ussern Ohr. Neuerlich berichtet Bell, dass er zwei oder drei F\u00e4lle von Krankheit des N. ophthalmicus beobachtet habe, wobei g\u00e4nzliche Unempfindlichkeit des Auges, der Augenlieder ohne Verlust des Gesichts stattfand. Magen die\u2019s Journal. T. X. p. 9.\nDer zweite Ast des N. trigeminus ist auch ganz sensibel, und enth\u00e4lt, wie sich sicher beweisen l\u00e4sst, durchaus keine motorischen Fasern. Mehrere Zweige desselben zeigen sich als sensibel durch ihre Verbreitung in nicht muskul\u00f6se Theile, wie der","page":658},{"file":"p0659.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 659\nN. dentalis anterior (Ast des N. infraorbitalis) und posterior, N. vidianus, N. nasales, palatini, nasopalatinus Scarpae. Dass der'N. subcutaneus malae und infraorbitalis auch sensibel sind( geht aus ihrer vorzugsweisen Verbreitung in der Haut hervor; und dass der N. infraorbitalis, der sich vielfach mit dem N. facialis verflechtet und selbst mehr durch als in die Gesiehtsmuskeln verbreitet, keine motorischen Fasern enth\u00e4lt, kann sicher bewiesen werden. C. Bell exposition du syst. nat. des nerfs. 1825. Bell in Meckel\u2019s Archiv. Bd. VIII. p. 401. Magendie Journal. Tom. II. p. 66. C. Bell physiol, und pathol. Untersuchungen des Nervensystems, \u00fcbers, von Romberg. Bed. 1832. Eschricht de functionibus nervorum faciei et olfactus organi. Ilafti. 1825. Ger. Backer commentatio ad quaestion\u00e9m physiologicam a facilitate medica. acad. Rhenotraject. a. 1828 proposita. Traject. ad Rhenum 1830.\nBell durchschnitt bei Thieren den N. infraorbitalis auf der linken Seite, den N. facialis auf der rechten Seite des Gesichts; hierauf folgte complete Unempfindlichkeit der linken Seite, L\u00e4hmung der Bewegung auf der rechten Seite. Die Durchschneidung des N. facialis erregte Zuckungen der Gesichtsmuskeln, die des N. infraorbitalis nicht. Bell durchschnitt bei einem Esel den N. infraorbitalis, bei einem andern Esel den Nervus facialis. Hier blieb die Sensibilit\u00e4t und verschwand die Muskelkraft; dort umgekehrt. Beim Esel brachte die mechanische Reizung des N. infraorbitalis heftige Schmerzen, aber keine Zuckungen hervor. Diese Versuche sind von Schoeps (Meckel\u2019s Archiv 1827. p. 409.) und mir (Froriep\u2019s Not. Nr. 647.) best\u00e4tigt worden. Bell hat einen pathologischen Fall beobachtet, wo ein Mann nach einer Verletzung des N. infraorbitalis die Empfindung in der Oberlippe verlor, ohne Verlust der Bewegung (Magendie Journal de Physiol. Tom. X. p. 8.). Bell hat sich indessen darin geirrt, wenn er glaubte, dass der N. infraorbitalis doch noch zur Bewegung der Oberlippe beim Ergreifen des Futters diene. Nach der Durch-schneidung des N. infraorbitalis auf beiden Seiten wollte Bell bemerkt haben, dass der Esel das Futter nicht mehr mit den Lippen fasste, sondern bloss die Lippen auf den Boden dr\u00fcckte, um mit der Zunge das Futter zu lassen. Auch bemerkten Bell und Schoeps, dass nach der Durchschneidung des N. facialis auf einer Seite die Lippen doch noch auf beiden Seiten ihre Beweglichkeit beim Ergreifen des Futters ge\u00e4ussert haben. Diess hat zuerst Mayo berichtigt. Anatom, and physiolog. comment. Bond. 1822. p. 107. Mayo durchschnitt den Ramus infraorbitalis, worauf das Thier das Futter nicht mehr mit der Lippe ergriff, und sich der Lippe nur beschwerlich beim Kauen bediente; aber es konnte die Lippe \u00f6ffnen, was Bell gel\u00e4ugnet hatte. Diese Ph\u00e4nomene glaubt Mayo mit Recht aus dem V erlust des Gef\u00fchls in den Lippen zu erkl\u00e4ren, denn das Thier f\u00fchlte das Futter nicht mehr, wenn es auch dasselbe ergreifen konnte. Dass aber die Bewegung der Lippen von dem N. facialis abh\u00e4ngt, hat Mayo ausser Zweifel gesetzt. Denn nach dem Durchschneiden des N. facialis auf beiden Seiten erfolgte zugleich L\u00e4hmung aller Gesichtsmuskeln, auch der Lippen. Die Bewegung der Lippen auf","page":659},{"file":"p0660.txt","language":"de","ocr_de":"(660 III. Buch. Neroenphysik. II. Ahschn. Empfindlings- u. Bewegungsnerv.\nbeiden Seiten, wenn die Durchschneidung des N. facialis bloss einerseits \u00abtattgefunden li\u00e2t, erkl\u00e4rt Backer mit Recht aus dem passiven Mitbewegen der gel\u00e4hmten Seite bei dem Zusammen-zielien des Muse, orbicularis oris.\nMeine eigenen Versuche \u00fcber den N. infraorbitalis an Kaninchen sind folgende: Der N. infraorbitalis erregt, wenn man ihn auch noch so sehr mit einer Nadel reizt und zerrt, oder mit der Pincette quetscht, niemals eine Spur von Zuckung in den Muskeln der Schnauze. Ich schnitt den Nerven dicht an der Austrittsstelle durch, wobei das Thier ein sehr kl\u00e4gliches Geschrei und ungeheure Schmerzens\u00e4usserungen erhob. Das Ende des Nerven wurde mit beiden Metallplatten in Verbindung gebracht, nachdem der Nerv auf eine Glasplatte aufgelegt worden. Wir sahen keine Spur von Zuckungen in den entbl\u00f6ssten Muskeln der Schnauze. Wohl aber entstanden Zuckungen, als der N. infraorbitalis mit der einen Platte, die Muskeln mit der andern Platte armirt wurden, weil in diesem Falle ein galvanischer Strom bis zu den Muskeln der Schnauze entstand und dort Zuk-kung erregte, an der der Nerv durch seine Kr\u00e4fte keinen Antheil hatte. Als wir darauf auf das isolirte Ende des Nervus infraorbitalis beide Pole einer galvanischen S\u00e4ule von 65 Plattenpaaren wirken Hessen, zeigten sich hei Ber\u00fchrung an einzelnen Stellen des sehr breiten Nerven keine Zuckungen in den Muskeln der Schnauze, wohl aber bei der Ber\u00fchrung an anderen Stellen kleine Zuckungen, was uns unerwartet war und was man nur aus zwei Gr\u00fcnden erkl\u00e4ren kann: 1. daraus, dass sich Aeste des Nervus facialis sogleich an den Nervus infraorbitalis an der Austrittsstelle anschliessen, und 2. daraus, dass bei einer starken galvanischen S\u00e4ule das galvanische Fluidum nicht allein wie gew\u00f6hnlich den k\u00fcrzesten Weg von einem zum andern Pol nimmt, sondern durch alle Leiter auch in Abwegen sich verbreitet. So erregt ein gequetschter Muskelnerv, \u00fcber der gequetschten Stelle galvanisirt, keine Zuckungen mehr, weil die motorische Kraft unterbrochen ist; allein der Galvanismus wirkt hindurch auf das untere noch gesunde St\u00fcck, wenn man eine sehr kr\u00e4ftige S\u00e4ule von 80 \u2014100 Plattenpaaren, und beide Pole \u00fcber der gequetschten Stelle anwendet.\nEs ist also aus den Versuchen von Bell, Scboeps, Mayo und meinen eigenen Beobachtungen bewiesen, dass alle Zweige des Ramus primus und secundus nervi trigemini, welche von der gangli\u00f6sen Wurzel ausgehen, sensibel und nicht motorisch sind.\nDer dritte Ast des N. trigeminus, welcher aus der Portio minor oder kleinen Wurzel und aus einem Theil der Portio major zusammengesetzt wird, ist offenbar motorisch und sensibel wie die Spinalnerven, nachdem sie aus einer gangli\u00f6sen sensibeln, und einer nicht gangli\u00f6sen motorischen Wurzel zusammengesetzt sind. Diess geht aus dessen Verbreitung hervor. Vergleicht man nun den N. trigeminus mit den Spinalnerven, so gleicht er ihnen auffallend in den beiden Wurzeln, beide haben eine gau-gli\u00f6se sensible und eine einfache motorische Wurzel; allein sie gleichen sich nicht mehr, sobald die Wurzeln zusammengetre- /","page":660},{"file":"p0661.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 661\nlen sind. Denn in den Spinalnerven vermischen sich die Primitivf\u00e4den der sensiblen und der motorischen Wurzeln zu neuen Ordnungen von Nerve\u00bb, .welche motorische und sensible Fasern enthalten. Beim JV. trigeminus dagegen bleibt der gr\u00f6sste Theil der sensiblen Portio major selbstst\u00e4ndig, und der Ramus primus et secundus trigemini sind nur sensibel; nur der dritte Ast gleicht den Spinalnerven, indem er aus der Verbindung der motorischen Portio minor und eines Theils der sensiblen Portio major entsteht.\nDer N. massetericus, temporalis profundus, buccinatorius, die Rami pterygoidei, JV. mylohyoideus die Nerven des levator und tensor veli palatini und der Nerve des tensor tympani, welche unmittelbar oder mittelbar aus dem dritten Ast entspringen, sind offenbar motorische Nerven. Dass sie aber auch sensible Fasern enthalten, sieht man an den Zweigen, welche der N. massetericus dem Kinnhackengelenk giebt. Der untere hintere Theil des dritten Astes vom Nervus trigeminus enth\u00e4lt dagegen nur sensible Fasern. Der Nervus auricularis seu temporalis superficialis ist kein Muskelnerve, er verbindet sich mit dem Nervus facialis, sowohl mit dem Stamme als seinen Zweigen, und ertheilt diesem Nerven zum Theil die Sensibilit\u00e4t, die er ausser seiner motorischen Kraft besitzt. Der Ramus auricularis verbreitet sich bloss in empfindlichen Theilen, im \u00e4ussern Geh\u00f6rgang, \u00e4ussern Ohr, in der Haut des Kopfes.\nDer N. alveolaris inferior giebt den N. mylohyoideus nicht ah, sondern wie Bell bemerkt, haben der N. alveolaris und mylohyoideus gar keine Gemeinschaft, indem sie auf eine Strecke bloss parallel neben einander liegen bis zum Foramen alveolare. Der Stamm des Nerven ist aber offenbar nur sensibel durch die Zahnnerven und den Ramus mentalis. Dass letzterer Empfin-dungsnerve ist, beweist ein von Bell beobachteter Fall. Bei dem Ausreissen eines Zahnes wurde der N. mentalis mit verletzt und die Unterlippe empfindungslos (Magendie Journal. T. X. p. 8.). Dass der N. lingualis keine motorische Kraft besitzt, sondern Empfindungsnerve der Zunge ist, obgleich er sich auch in dem Zungenfleisch verbreitet, l\u00e4sst sich ganz evident beweisen.\nSchon Desmoulins bemerkt, dass, wenn man an einem Hunde den N. lingualis zerrt, das Thier schreit, aber die Zunge unbeweglich bleibt, dass, wenn man diesen Nerven nach dem Tode galvanisirt, die Zunge sich nicht bewegt. Ich habe diese Versuche hei Kaninchen w\u00e4hrend des Lebens angestellt. Der (vorher durchschnittene) N. lingualis bewirkt keine Spur einer Zuk-kung, wenn sein peripherisches Ende mit der Nadel gezerrt wird, und selbst dann nicht, wenn die beiden Pole einer galvanischen S\u00e4ule von 65 Plattenpaaren auf ihn wirken. Wenn man aber einen Pol auf die Zunge, den andern auf den N. lingualis appli-cirt, so entstehen Zuckungen, weil der Nerve hier bloss ein feuchter thierischer Leiter des galvanischen Fluidums bis zu den Muskeln der Zunge ist. Feobiep\u2019s Not. 647. Auch Magendie hat nach Durchschneidung des N. lingualis Empfindungslosigkeit der Zunge ohne Verlust der Bewegung bemerkt. Ich habe mich '\u2018\"ich \u00fcberzeugt, dass der N. lingualis Schmerz empfindet ; dass","page":661},{"file":"p0662.txt","language":"de","ocr_de":"662 III. Buch. Nervenphysik. II. Abschn. Empfindungs-u. Bewegungsnerv.\ner auch Nerv des Geschmackes ist, wird sp\u00e4ter erwiesen. Aus allem bisher Angef\u00fchrten geht hervor, dass der N. trigeminus durch seine grosse Wurzel der Empfindungsnerve des ganzen Vorder- und vordem Seitentheils des Kopfes (mit Ausschluss der eigentlichen Sinnesfunctionen des Geruchs, Gesichts, Geh\u00f6rs), und dass er durch die Portio minor der motorische Nerve f\u00fcr alle Masticationsmuskeln ist. Daher h\u00f6ren nach der Durchschneidung des Stammes dieses Nerven in denVersuchen von Magendie alle diese Bewegungen und alle Gef\u00fchlsernpfindungen am ganzen Kopf, Auge, Nase, Zunge auf, wie denn auch in Krankheiten des Stammes vom N. trigeminus oder seiner Wurzeln, derselbe Erfolg von Bell, Magendie, Serres beobachtet wurde. Nach der Durchschheidung dieses Nerven innerhalb des Sch\u00e4dels, die Magendie bei Kaninchen machte, und die Eschricht wiederholte, war die Empfindung an der ganzen Seite des Kopfes gel\u00e4hmt. Die Nasenschleimhaut wie die Conjunctiva war unempfindlich, und Stiche und chemische Reize, wie Ammoniakfl\u00fcssigkeit, brachten keine Schmerzen mehr hervor. Das Auge war trocken, die Iris zusammengezogen, das Nicken des Augenliedes hatte auf der kranken Seite aufgeh\u00f6rt. Am folgenden Tage war das unverletzte Auge vom Reiz des Ammoniak entz\u00fcndet, das gel\u00e4hmte Auge nicht, und die Unempfindlichkeit hatte also die Ausbildung der Entz\u00fcndung verh\u00fctet. In anderen Versuchen bewirkte die Durchschneidung des N. trigeminus nach mehreren Tagen Entz\u00fcndung der Conjunctiva, Absonderung eiteriger Materie von den Augenliedern, im Auge selbst Iritis und Psendomembranen, zuletzt zeigte sich Vereiterung des Auges. Das Zahnfleisch verdirbt und lockert sich auf, die Zunge wird auf der Seite der Verletzung weiss, und ihr Epithelium verdickt sich.\nDie Gef\u00fchlsempfindung am Auge, z. B. in der Conjunctiva, ist wohl zu unterscheiden von den Gesichtsempfindlingen, eben so wie die Gef\u00fchlsempfindung in der Nase, die sich durch Gef\u00fchl von W\u00e4rme, K\u00e4lte, Trockenheit, Kitzel, Jucken, Schmerz \u00e4ussert, wohl von dem Geruch zu unterscheiden ist. Die Gesichtsempfindung hat in dem Auge nur durch den N. opticus statt, die\" Gef\u00fchlsempfindungen nur durch die Zweige des N. trigeminus'; die Geruchsempfindung in der Nase hat eben so nur durch den Nerv, olfactories, die Gefuhlsempfindung nur durch die N. nasales vom N. trigeminus statt.\nNervus gl\u00f6ssopharyngeus.\nAus den oben p. 614. angef\u00fchrten Beobachtungen \u00fcber ein an einem Theil der Wurzelf\u00e4den des N. gl\u00f6ssopharyngeus befindliches Kn\u00f6tchen \u00fcber dem Ganglion petrosum, geht hervor, dass auch dieser Nerve unter die gemischten geh\u00f6rt. Ich zeigte, dass sich die Wurzel dieses Nerven ganz wie die des trigeminus verh\u00e4lt, indem ein Theil davon in das Ganglion jugulare superius N. glossopharyngei anschwillt, w\u00e4hrend ein anderer Theil der Wurzel an dem Ganglion vorbeigeht. Damit stimmt auch seine Verbreitung \u00fcberein. Denn er versieht theils den hintern Theil der Zungenschleimhaut, theils die Schlundmuskeln (namentlich den Muse, stylopharyngeus), und dass er motorische Kraft he-","page":662},{"file":"p0663.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 663\nsitzt, hat schon Mayo beobachtet, und ich sah bei einem Kaninchen noch nach dem Tode durch Galvanisiren dieses Nerven Zuckungen am Schlunde entstehen. Vergl. Mayo, Magendie J. d. physiol. 3. 355.\nNervus vagus cum accessor io lEillisii.\nDer N. vagus schwillt in seinem ganzen Stamme innerhalb des Foramen lacerum in ein Ganglion an; er verh\u00e4lt sich also hier wie eine blosse Empfindungswurzel; da er nun gleich nach dem Durchtritt durch das Foramen lacerum einen Theil des Nervus accessorius in sich aufnimmt, so liegt es bei dem jetzigen Zustande der Wissenschaft sehr nahe, anzunehmen, dass der N. vagus durch die Aufnahme eines Theiis des N. accessorius seine motorischen Fasern f\u00fcr den Ramus pharyngeus und die N. la-ryngei erh\u00e4lt. Aber schon vor der Entdeckung von den Eigenschaften der Wurzeln der Spinalnerven, n\u00e4mlich 1805 stellte Goerres den Vergleich der Wurzeln des vagus und accessorius mit den beiden Wurzeln eines Spinalnerven auf. Goerres Exposition der Physiologie. Coblenz 1805. p. 328. Diese Idee wurde auch in neuerer Zeit von Arnold und Scarpa ausgesprochen, der vagus einer hintern, der accessorius einer vordem \\Vurzel verglichen und Bischoff hat sie in seiner sch\u00e4tzbaren Schrift (nervi accessorii lEdlisii anatomi\u00fc et physiologic/., ILeidelb. 1832.) weiter ausgef\u00fchrt und mit neuen und wichtigen Gr\u00fcnden unterst\u00fctzt. Die Gr\u00fcnde, die man daf\u00fcr anf\u00fchren kann, sind folgende: Der N. accessorius theilt sich unterhalb des Ganglion nervi vagi in einen \u00e4ussern, dem Muse, sternocleido-mastoideus und cucut-laris bestimmten Ast, und in einen innern, mit dem N. vagus zusammenfliessenden Ast. Aus dem Zusammenfluss des N. vagus und accessorius entsteht der Ramus pharyngeus nervi vagi, aber ein Theil des N. accessorius setzt sich tiefer im N. vagus verflochten fort, und Bischoff vermuthet, dass von diesem Antheil auch die N. laryngei, namentlich der Laryngeus inferior, ihre motorischen Fasern haben. (Bendz hat Fasern des accessorius bis in beide Nervi laryngei verfolgt.) Bei den V\u00f6geln und Amphibien ist der N. accessorius auch noch vorhanden. Bojanus hatte ihn von der Schildkr\u00f6te, Serres von den V\u00f6geln beschrieben ; Bischoff hat ihn bei mehreren V\u00f6geln und Amphibien ausf\u00fchrlicher als einer seiner Vorg\u00e4nger untersucht. Er entspringt bei den V\u00f6geln nicht zwischen den hinteren und vordeien Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven, sondern \u00fcber den hinteren Wurzeln aus den hinteren R\u00fcckenmarksstr\u00e4ngen, und reicht bis zum dritten Cervicalnerven. Aufw\u00e4rts schliesst sich der Nerve dem N. vagus an, und schwillt mit den Wurzeln des N. vagus in das Ganglion nervi vagi an, so dass hier der Nerve ganz in den N. vagus \u00fcbergeht, der dann wieder einen Zweig f\u00fcr die Halsmuskeln abmebt welcher dem \u00e4ussern Ast des N. accessorius des Menschen entspricht; auch bei den Amphibien geht der N. accessorius ganz in den N. vagus \u00fcber. Zu diesen anatomischen Gr\u00fcnden Von Bischoff k\u00f6nnte man noch hinzuf\u00fcgen, dass der gr\u00f6sste Theil des N. vagus offenbar sensoriell ist, und die auf dem Magen sich verbreitenden Aeste bloss empfindlich seyn k\u00f6nnt oiler\u2019s Physiologie, 1.\t43","page":663},{"file":"p0664.txt","language":"de","ocr_de":"664 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindimgs- u. Bewegungsnerv.\nuen, indem es nicht m\u00f6glich ist, durch Reizung des ]V. vagus am Halse der Thiere Bewegungen des Magens hervorzurufen. Unter den directen Experimenten von Bischoff f\u00fcr seine Ansicht ist nur eines von der Art, dass sich einigermassen zuverl\u00e4ssige Schl\u00fcsse daraus ziehen lassen. Er nahm bei einer Ziege einen Theil des Hinterhauptbeines weg, und durchschnitt alle Wurzeln des JV. accessorius innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle auf beiden Seiten. Schon beim Durchschneiden der Wurzeln auf einer Seite bemerkte er, dass die, Stimme des best\u00e4ndig heulenden Thieres heiser wurde, und dass die Rauhigkeit der Stimme immer mehr zunahm, je mehr Wurzeln er auch auf der linken Seite durchschnitt. Aach Durchschneidung aller Wurzeln h\u00f6rte die Stimme ganz auf; hircus omnem vocern amisit et summissum quendam ac raucissimum tantummodo emisit sonum, qui neutiquam vox ap-pellari pohut. Diese letzte Bemerkung ist aber kein absoluter Beweis f\u00fcr die Hypothese. Diese Experimente m\u00fcssen leider wiederholt werden, um \u00fcber den interessanten Gegenstand ins Klare zu kommen. Ausserdem muss ebenfalls die von mir bei den R\u00fcckenmarksnerven angewandte Methode des mechanischen und galvanischen Reizes auf die Wurzeln hier versucht werden, um zu sehen, ob bei einem frisch gel\u00f6dteten Thier der mechanische und galvanische Reiz, auf den JV. accessorius in der Sch\u00e4delh\u00f6hle noch applicirt, Zuckung des Schlundes verursacht, und ob der N. vagus unter denselben Umst\u00e4nden nicht auch Zuckungen des Schlundes verursacht. Ich habe selbst einmal den Versuch auf diese Art angestellt. Um so schnell wie m\u00f6glich zu diesen Wurzeln zu kommen, wurde an einem grossen lebenden Hunde, dem man vorher den Schlund blossgelegt hatte, der Sch\u00e4del aufges\u00e4gt, auch der Bogen des ersten Halswirbels mit einer Knochenzange weggebrochen, darauf das kleine Gehirn abgetragen, bis man die Wurzeln des IV. vagus und accessorius vor sich hatte; diese wurden von der Medulla oblongata abgeschnitten, und nun wurde die Wurzel des 3V. vagus sowohl mechanisch, als mit einem einfachen galvanischen Plattenpaar gereizt. Bei der mechanischen und galvanischen Reizung des JV. vagus entstand ganz deutlich eine Zusammenziehur.g im Schlunde. Dieser Versuch spricht gegen die Theorie, indess bin ich selbst wieder misstrauisch dagegen geworden. Denn es k\u00f6mmt darauf an, dass man bei dem Reizen der Wurzel des JV. vagus mit der gr\u00f6ssten Vorsicht alle Wurzelf\u00e4den des JV. glossopharyngeus ausschliesst. Indessen l\u00e4sst sich bei Wiederholung dieser Versuche nach der von mir angegebenen Methode bald die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Hypothese entscheiden. So Vieles f\u00fcr diese Ansicht aus den vorher angef\u00fchrten sch\u00e4tzbaren Beobachtungen von Bischoff auch spricht, so darf man doch einige anatomische Gr\u00fcnde dagegen sich nicht verschweigen. Der erste ist der Ursprung des JV. accessorius mehr aus dem hintern als vordem Theiie des R\u00fcckenmarks, namentlich ganz bei V\u00f6geln und Amphibien. Doch w\u00fcrde diess kein vollg\u00fcltiger Einwurf seyn, da, was von den Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven gilt, von den R\u00fcckenmarksstr\u00e4ngen durchaus nicht ausgemacht ist, \u00fcberdiess der JV. accessorius dent-","page":664},{"file":"p0665.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 665\nlicher Muskelnerve ist. Ein anderer wichtigerer Einwurf gegen jene Theorie liegt in der \u00f6fter stattfindenden Beziehung des N. accessorius zu den hinteren Wurzeln der Halsnerven. Mayer sah einmal ein kleines Ganglion an einem Faden der hinteren Wurzel des zweiten und des dritten Halsnerven, welches sich durch einen Faden mit dem N. accessorius verband. Mayer sah auch zuweilen die hintere Wurzel des ersten Halsnerven mit dem N. accessorius in Verbindung. Act. not. cur. Vol. XVI. p. 2. Interessant ist besonders der von mir beobachtete Fall, wo der N. accessorius ganz allein die hintere Wurzel des ersten Halsnerven abgab, und sich an der Abgangsstelle dieser Wurzel an der letztem ein Kn\u00f6tchen zeigte. Mueller's Archiv fur Anal, und Physiol. 1834. p. 12. und 1837. p. 279. Am N. accessorius sah Hyrtl auch \u00f6fter dann ein Kn\u00f6tchen, wenn dieser Nerve die hintere Wurzel des ersten Halsnerven nicht aufnimmt; es lag dann immer am Eintritt der art. vertebralis in die Sch\u00e4delh\u00f6hle; auch hat Remak neulich in einem einzigen Fall ein Kn\u00f6tchen am N. accessorius bei seinem Durchtritt durch das Foramen la-cerum beobachtet und mir gezeigt. Derselbe sah einen Theil der Fasern des Vagus an seinem Ganglion beim Kaninchen Vorbeigehen. Dass der N. accessorius immer sensorielle Elemente enthalte, behaupte ich nicht, sondern lasse es ungewiss. In jedem Fall aber, wo der accessorius ein n\u00e0h\u00e8res Verh\u00e4ltniss zur hintern Wurzel des ersten oder irgend eines andern Spinalnerven eingeht, muss man eine solche Einmischung vermuthen, wie ich sie in dem oben erw\u00e4hnten Fall speciell anatomisch nachgewiesen habe, und es wird in demselben Grade die Idee von Monro wahrscheinlich, dass die Verbindung des N. accessorius mit der hintern Wurzel des ersten und zweiten Halsnerven diesem Nerven ein Aequivalent f\u00fcr eine hintere Wurzel sei. Monro Bemerkungen \u00fcber die Siructur und die Verrichtungen des Nervensystems. Leipz. 1787. Unsere Ansicht von beiden Nerven ist diese: Der Nervus vagus entspricht gr\u00f6sstentheils der hintern Wurzel eines Spinalnerven; dass er ihr in allen F\u00e4llen ganz entspreche, l\u00e4sst sich nicht sicher behaupten, da ein schon angef\u00fchrter Versuch daf\u00fcr spricht, dass die Wurzel des vagus auch motorische Elemente enthalten kann und bei einigen Thieren ziemlich starke Fascikel von Fasern seiner Wurzel am Wurzelganglion des vagus Vorbeigehen. Leicht kann das Verh\u00e4ltniss umgekehrt wie beim hypoglossus seyn, der nur gr\u00f6sstentheils ein motorischer Nerve ist. Der Nervus accessorius ist wahrscheinlich gr\u00f6sstentheils motorischer Nerve und entspricht anatomisch mehr einer ganglienlosen vordem Wurzel eines Spinalnerven, enth\u00e4lt aber offenbar in vielen F\u00e4llen sensorielle Fasern (vielleicht immer) durch sich selbst oder durch die Verbindung mit der hintern Wurzel des 1. und 2. Halsnerven. Vergl. Bendz de connexu inter va-gum et accessorium. Havniae. 4. Mueller\u2019s Arch. 1837. Jahresh. XXIII.\nNervus hypoglossus.\nBeim Ochsen und einigen anderen S\u00e4ugethieren, wo die von Mayer entdeckte kleine hintere gangli\u00f6se Wurzel des N. hypoglossus vork\u00f6mmt, geh\u00f6rt auch dieser unter die. gemischten\n43*","page":665},{"file":"p0666.txt","language":"de","ocr_de":"666 III. Buch. Nervenphysik. II. Abschn. Empfindlings ii. Bewegungsnerv.\nNerven mit doppelten Wurzeln, obgleich er beim Menschen seinen Wurzeln nach meist nur motorisch ist, und erst auf dem Wege seiner Verbreitung durch Verbindungen sensible Faden aufnimmt. Bedenkt man nun, dass die gew\u00f6hnlichen Wurzeln dieses Nerven in einer Reihe mit den vorderen Wurzeln der Riickenmarksnerven entspringen, dass er bei einigen S\u00e4ugethieren eine hintere Wurzel hat, dass die hintere Wurzel des auf ihn folgenden ersten Halsnerven zuweilen fehlt, und dieser dann ausnahmsweise dem N. bypoglossus gleicht, w\u00e4hrend sich der N. hypogtossus des Ochsen dem gew\u00f6hnlichen Verhalten des ersten Halsnerven ausnahmsweise n\u00e4hert, so ist es unzweifelhaft, dass der N. hypoglos-sus trotz seinem Durchgang durch eine im Sch\u00e4del selbst gelegene Oelfnung doch gleichsam als der erste Spinalnerve zu betrachten ist, der nur noch mehr als der erste Halsnerve und die untersten Spinalnerven von den \u00fcbrigen Spinalnerven abweicht.\nHaupts\u00e4chlich ist dieser Nerve motorisch, wie aus Magen-jjie\u2019s , Mayo\u2019s und meinen Versuchen an Kaninchen hervorgeht. Froriep\u2019s Not. 647. Wenn man n\u00e4mlich den N. hypogtossus zerrt, (juetscht oder mit einem einfachen Plattenpaar galvanisirt, entstehen die heftigsten Zuckungen in der ganzen Zunge bis an die Spitze. Die Section des N. bypoglossus an einem lebenden Thiere paralysirt die Bewegungen der Zunge. Dieser Nerve ist also die Ursache der Schlingbewegungen der Zunge und der articulirten Sprachbewegungen, so weit sie von der Zunge abh\u00e4ngen. Seine Wirksamkeit dehnt sich aber nicht bloss auf die Zunge aus, er ist auch der Nerve der grossen Kehlkopfmuskeln.\nDass der N. bypoglossus auch Sensibilit\u00e4t besitzt, behaupten Desmoulins, Magendie und Mayo, indem er gezerrt bei Hunden und Katzen Schmerz verursache. Bei Hunden kann diess von der hier vorhandenen kleinen hintern Wurzel desselben herr\u00fchren. Bei der Katze hat Mayer diese hintere Wurzel nicht gefunden; hier kann die Sensibilit\u00e4t desselben von Empfindungsfasern herr\u00fchren, die er von anderen Nerven auf seinem Verlaufe aufnimmt, wohin die Verbindungen desselben mit dem Ganglion im Stamme des Nervus vagus und mit den ersten Halsnerven zu rechnen sind.\nVorzugsweise motorische Empfindungsfasern durch aufnehmen, oder zugleich g a n g ! i \u00f6 s c n\nNerven, welche auf ihrem Wege Verbindungen mit anderen Nerven Empfindungsfasern in ihrer nicht Wurzel enthalten.\nAugenmuskelnerven. _ZV. oculomotorius, irochlearis, abducens.\nDie Augenmuskelnerven haben zugleich einige Empfindung, wie sie den Muskeln \u00fcberhaupt eigen ist. In anderen Muskeln kann die Empfindung von dem Antheil sensorieller Fasern der hintern Wurzeln abgeleitet werden, welche zugleich zu den Muskeln hingehen. Bei den Augenmuskeln f\u00e4llt indess diese Erkl\u00e4rung weg. Jedermann ist bekannt, dass heftige Bewegungen in den Augenmuskeln rnit dem Gef\u00fchl einer unangenehmen Span-","page":666},{"file":"p0667.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. (>\u201867\nnang in denselben begleitet sind. R\u00fchren diese Emplindungen von einigen sensoriellen Fasern her, welche die motorischen einfachen und ganglienlosen Wurzeln der Augenmuskeln zugleich enthalten, oder werden ihnen diese Empfindungsfasern auf ihrem Wege erst zugemischt? Schon \u00f6fter und auch von mir wurde eine Verbindung des Nervus trochlearis mit dem ersten Ast des trigeminus beobachtet. Ich sah heim Kalb ein Zweigelchen vom I. Ast des Trigeminus auf den Stamm des Oc\u00fclomotorius \u00fcbergehen. Ungewiss ist, ob aus der sensoriellen langen Wurzel des ganglion ciliare a nervo nasali Empfindungsfasern nicht bloss auf die Ciliarnerven, sondern auch auf die kurze Wurzel und auch so auf den oculomotorius \u00fcbergehen. Zum Nervus abducens w\u00fcrde man jedenfalls keine Empfindungsfasern, aus anderen Nerven ableiten k\u00f6nnen. Unter diesen Umst\u00e4nden muss es unentschieden bleiben, woher diese Nerven diejenigen Fasern haben, wodurch sie zugleich empfindlich sind.\nNervus facialis.\nDer N. facialis ist der eigentliche Bewegungsnerve aller Gesichtsmuskeln (mit Ausnahme der Kaumuskeln), des Muse, occipitalis, der Ohrmuskeln, des Muse, stylohoideus, des hinteren Bauches vom Muse, digastricus maxillae inf. (der vordere Bauch wird vom N. mylohoideus aus dem dritten Ast des N. trigeminus versehen), und des platysma myoides. Bei den V\u00f6geln scheint er sich bloss im Muse, styloglossus und Hautmuskel des Halses zu verbreiten. Nach der Durchschneidung des N. facialis bei Thieren sind die Gesichtsmuskeln sammt und sonders gel\u00e4hmt. Die Augenbraunen werden nicht mehr erhoben, die Augen nicht mehr geschlossen, die Ohrmuskeln sind gel\u00e4hmt, die Schnauze h\u00e4ngt unbeweglich etc. Diese Versuche sind von Bell, Mayo, Schoeps, Backer, von mir und Andern angestellt worden. Backer bemerkte nach Vergiftung mit Nux vomica, dass nach Durchschneidung des N. facialis sogleich die Gesichtsmuskeln ruhig wurden, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen Muskeln ihre Kr\u00e4mpfe fortsetzten. Die Versuche, welche ich \u00fcber die Kr\u00e4fte dieses Nerven angestellt habe, sind in Fp.oriep\u2019s Notizen, 648. erz\u00e4hlt. Wenn ich den Nervus facialis mit der Nadel reizte oder mit der Pincette quetschte, so entstanden die lebhaftesten Zuckungen in den Muskeln des Gesichts, je nach den verschiedenen Aesten, welche gereizt wurden, in der Schnauze, in den Augenliedern. Dasselbe erfolgt, wenn man mit einem einfachen Plattenpaar den Nerv, facialis galvanisirt. Der Nerv, facialis ist also motorischer Nerv aller Gesichtsmuskeln; pathologische, von Bell beobachtete F\u00e4lle best\u00e4tigen diess. Ein Mann erhielt einen Pistolenschuss, die Kugel drang in das Ohr und verletzte den N. facialis an seinem, Urspr\u00fcnge. Es erfolgte Verlust der Bewegung des Gesichts derselben Seite, ohne Verlust der Empfindung. Der zweite Fall betrifft einen Mann, der durch das Horn eines Ochsen an dem Austritte des N. facialis verletzt wurde. Die ganze Seite des Gesichts ist unbeweglich, die Augenlieder dieser Seite bleiben offen, der Mundwinkel verzogen, der Nasenfl\u00fcgel beim tiefen Ath-","page":667},{"file":"p0668.txt","language":"de","ocr_de":"668 III. Buch. Nervenphysik. II. Abschn. Empfindungs- u. Bewegungsnerv.\nmen unbeweglich, die Gesichtsmuskeln sind auf dieser Seite endlich atrophisch geworden. Die Sensibilit\u00e4t fehlt hei diesem Manne in den gel\u00e4hmten Theilen nicht. Der N. facialis wurde hei der Exstirpation einer Geschwulst vor dem Ohre getheilt. Derselbe Erfolg. Bell in Magendie\u2019s Journal. T. X. p. 7.\nBell hatte geglaubt, verschiedene Muskeln des Gesichts, z. B. der Lippen, der Schnauze, k\u00f6nnten in Hinsicht der physio-gnomischen Bewegungen gel\u00e4hmt seyn, w\u00e4hrend die Rauhewegungen dieser Muskeln fort dauern, und umgekehrt, und leitete diess davon ab, dass diese Muskeln Aeste vom N infraorbitalis und vom facialis erhielten. Der N. infraorbitalis hat indess keine Spur von motorischer Kraft, und die Muskeln sind nach L\u00e4hmung des N. facialis f\u00fcr jede Art der Bewegung gel\u00e4hmt, ausser den eigentlichen Kaumuskeln, die aber dem N. facialis \u00fcberhaupt nicht unterworfen sind, sondern von der motorischen Portio minor des N. trigeminus abh\u00e4ngen.\nBisher haben wir den N. facialis als motorischen Nerven betrachtet, als welchen ihn Bell ansah, so dass er diesen Nerven f\u00fcr allein motorisch und nicht f\u00fcr sensibel hielt. Er ist aber bei seiner Bewegungskraft zugleich sehr sensibel.\nSchoeps sah die Section des N. facialis beim Kaninchen schmerzlos, bei der Katze aber sehr schmerzhaft. Allein hier muss sich Schoeps geirrt haben, denn die Durchschneidung des N. facialis ist nach meinen Versuchen an Kaninchen \u00fcberaus schmerzhaft, so dass die Thiere sehr schreien, wenn der Nerve durchschnitten wird. Auch Magendie fand die Section des N. facialis mehr oder minder schmerzhaft. Mayo bemerkte eine geringe Sensibilit\u00e4t am N. facialis des Esels, eine sehr ausgezeichnete dagegen beim Pferd. Hund, Katze. Auch B\u00e4cker fand die Section bei Katzen durchaus schmerzhaft. I. c. p. 64. Eben so Eschricht. Ob nun aber die sensiblen Fasern des N. facialis ihm seihst von seinem Ursprung an eigenth\u00fcmlich, oder oh er sie von seinen zahlreichen Verbindungen mit dem N. trigeminus (n\u00e4mlich mit dem N. temporalis superficialis, subcutaneus malae, infraorbitalis, mentalis) her hat, ist eine andere Frage. Diese Frage hatte Eschricht zum Vortheil der letztem Ansicht entschieden. Eschricht durchschnitt den N. trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle; der N. facialis war hierauf noch schmerzhaft. In einem zweiten Versuche durchschnitt er den linken N. trigeminus; der N. facialis hatte keine Empfindung mehr, w\u00e4hrend er auf der gesunden Seite noch Empfindung hatte. In eitlem dritten Versuche durchschnitt Eschricht den N. trigeminus sinister, und bemerkte am vorderen Theil des N. facialis sinister keine Empfindung, wohl aber am hinteren Theil des N. facialis unter dem \u00e4ussern Geh\u00f6rgange. Hieraus und aus einem \u00e4hnlichen Versuch schloss Eschricht, dass der N. facialis nach Durchschneidung des N. trigeminus in seinem vordem Theile unempfindlich werde, in seinem hintern Theile aber die Empfindung behalte. Dass die Verbindung mehrerer Zweige des N. facialis mit Zweigen des N. infraorbitalis nicht dem N. facialis die Empfindung nach r\u00fcckw\u00e4rts mittheile, beweist ein ganz guter einfacher Versuch beim","page":668},{"file":"p0669.txt","language":"de","ocr_de":"2. Sensitive u. motorische Eigenschaften der Gehirnnerven. 669\nHunde von Gaedechens, der nach Durchschneidung der Aeste des N. facialis, die sich mit dem N. infraorbitalis verbinden, diesen noch ganz empfindlich fand. Derselbe durchschnitt ferner heim Hunde einen ansehnlichen Ast des N. facialis, der sich mit dem N. infraorbitalis verband; dieser Ast war an dem St\u00fcck, welches vom N. facialis getrennt war, unempfindlich, hatte also seine Empfindung nicht vom N. infraorbitalis, mit dem er noch zusammenhing, sondern vom N. facialis selbst, oder von Verbindungen des N. facialis mit Aesten des N. trigeminus, die viel weiter nach hinten liegen, wie z. B. vom N. temporalis superficialis, der sich mit dem N. facialis schon vor und unter dem \u00e4ussern Ohr verbindet.\nSo viel ist aus den Versuchen von Esciiricht gewiss, dass der N. facialis nicht alle Empfind\u00fcngsfasern vom N. trigeminus hat. Diess haben Einige dadurch zu erkl\u00e4ren gesucht, dass der N. facialis selbst durch verschiedene Wurzeln zweierlei Fasern enthalte und unter die gemischten Nerven geh\u00f6re. Mail hat die Portio intermedia Wrishergi an der .Wurzel des N. facialis in diesem Sinne betrachtet, und die Anschwellung am Knie des N. facialis f\u00fcr ein Ganglion eines Empfindungsnerven angesehen. Gaedechens nervi facialisphysiologia et pathologia. Heidelb. 1832. Indessen die Anschwellung des Nervus facialis am Knie desselben wird an der Zutrittsstelle von Zweigen, die mit dem N. sympa-thicus Zusammenh\u00e4ngen, auf \u00e4hnliche Weise wie das Ganglion sphenopalatinum am zweiten Ast des trigeminus gebildet. Zum Knie des Facialis treten der N. petrosus superficialis major, minor und der von Bidder entdeckte petrosus superficialis tertius. Siehe Mueller\u2019s Archiv. 1837. Jahresbericht XXVI. Die blosse Existenz der portio intermedia Wrisbergi beweist noch nicht eine sensorielle besondere Wurzel, dazu geh\u00f6rt nothwendig ein Knoten an diesem Theile der Wurzel: denn wollte man jedes Wurzelb\u00fcndel eines Nerven f\u00fcr eine Wurzel eigener Art halten, so w\u00fcrde man dem N. accessorius mehrere, sogar viele Functionen, dem N. hypoglossus in vielen F\u00e4llen zwei, dem N. oifacto-fius drei Functionen zutheilen m\u00fcssen.\nWir werden daher darauf angewiesen, anzunehmen, dass der N. facialis entweder an seinem Urspr\u00fcnge noch durchaus einfach und bloss motorisch ist, oder dass er sensible F\u00e4den schon vom Gehirn an enth\u00e4lt, ohne eine besondere sensible Wurzel zu haben. Die letztere Annahme ist nicht nothwendig. Es l\u00e4sst sich sogar mit Bestimmtheit die Quelle anzeigen, woher der Rest von Empfindlichkeit kommt, welchen der N. facialis unter dem \u00e4ussern Geh\u00f6rgang noch hat, selbst dann, wenn der N. trigeminus im Stamme durchschnitten worden ist. Diess ist n\u00e4mlich eine Verbindung eines Zweiges des N. vagus mit dem Stamme des N. facialis im Fallopischen Kanal, eine Verbindung, die beim Menschen sowohl als bei Thieren vork\u00f6mmt. Diese merkw\u00fcrdige Zusammensetzung des N. facialis, welche Alles vollkommen erkl\u00e4rt, ist zuerst beim Menschen von Comparetti (de aure interna. Patavii 1789. p. 109. 133.) entdeckt und auch von Cuvier beim Kalb beschrieben worden Vagi. Anal., \u00fcbers, von Meckel. 2. p. 227.","page":669},{"file":"p0670.txt","language":"de","ocr_de":"670 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindlings- u. Bewegungsnerv.\nDer N. vagus giebt n\u00e4mlich unter spitzem Winkel einen starken Ast durch einen besonderen Ivnochenkanal zum N. facialis; dieser Ast geht mit einem Zweig geradezu in den N. facialis \u00fcber; mit der Fortsetzung des Astes verbreitet er sich am \u00e4ussern Ohr. Dieser Nerve, den wir beim Ivalb sowohl als beim Menschen gesehen haben, ist offenbar die Hauptursache der Empfindlichkeit des N. facialis.\nIII. Capitel. Von den sensitiven und motorischen Eigenschaften des Ganglien nerv en.\n1) Der Gangliennerve hat Empfindung. Einige Beobachter haben diesem Nerven die F\u00e4higkeit, Empfindungseindr\u00fccke zu leiten, abgesprochen. Bichat hat das Ganglion coeliacum des Hundes mechanisch und chemisch gereizt, ohne Schmerz zu erregen. Dup\u00fcy schnitt den Thieren das Ganglion cervicale infe-rius, ohne dass sie Schmerz empfanden, aus. Auch Wutzer konnte an den Lendenknoten eines Hundes keinen Schmerz erregen. De gangl. fahrica. Berol. 1S17. Damit stimmen auch die Beobachtungen von Magendie und Lobstein \u00fcberein. Dagegen hat Floubens bei solchen Versuchen immer mehr oder weniger deutliche Zeichen des Schmerzes beobachtet. Versuche Hier das Nervensystem, p. 181. Br\u00e4chet sah bei seinen Versuchen bald Schmerzens\u00e4usserungen, bald nicht. Recherches sur les fonctions du syst, nerveux ganglionaire. Farts 1830. p. 307. Auch Mayer hat beobachtet, dass beim Durchschneiden des Ganglion cervicale supremum, so wie bei Beizung des Plexus solaris, die Thiere deutliche Schmerzens\u00e4usserungen von sich gaben. Act. mit. cur. XVl. p. 2. Diesen letzteren Naturforschern muss ich nach meinen Beobachtungen durchaus beistimmen. Ich sah nicht allein mehrmals bei mechanischer und chemischer R.eizung des Ganglion coeliacum bei Kaninchen deutliche Zeichen des Schmerzes, sondern habe auch bei den mit Dr. Peipers angestellten, p. 468. erw\u00e4hnten Versuchen beim Unterbinden der Nierennerven immer ganz deutliche Zeichen eines lebhaften Schmerzes beobachtet. Deutlicher noch als Versuche beweisen die krankhaften schmerzhaften Empfindungen in den allein vom Gangliennerven versehenen f\u00fcr die Empfindlichkeit dieses Nerven. Ich muss E. H. Weber vollkommen beistimmen, wenn er sagt: ich meines Theils halte die allt\u00e4glichen Beobachtungen \u00fcber die Schmerzen in diesen Theilen, welche unempfindlich seyn sollen, f\u00fcr beachtens-werther als jene Experimente. Hildebrandt\u2019s Anatomie. 3. 355. Gleichwohl sind die Empfindungen in den vom Gangliennerven versehenen Theilen ungleich schw\u00e4cher und dunkler als in allen anderen Theilen; denn wir empfinden selten die sehr kalt oder heiss genossenen Speisen im\u00bbMagen, oder eben so wenig bringen heftige Reize der \u00e4ussern Haut, wie Senf, Meerrettig etc., in diesen Theilen Empfindungen hervor, und nur sehr heftige Eindr\u00fccke k\u00f6nnen die ganze Empfindungskraft dieser Theile so stark, nie in anderen Organen aufregen, was man durch die REiGsche","page":670},{"file":"p0671.txt","language":"de","ocr_de":"3. Sensorielle und motorische Eigenschaften des Gangliennerven. 671\nHypothese erkl\u00e4rt hat, dass die Ganglien die Natur eines Halbleiters haben, gew\u00f6hnlich die Leitung schw\u00e4cherer Eindr\u00fccke verhindern, und nur bei grosser Intensit\u00e4t der Reizung die Leitung zulassen. Obgleich diese Ansicht sich nicht streng beweisen l\u00e4sst, so scheint doch eine Beobachtung von Br\u00e4chet (a. a. O. p. 307.) daf\u00fcr zu sprechen. Br\u00e4chet will n\u00e4mlich an einem lebenden Schaf die Ganglia thoracica des Gangliennerven gereizt haben. Er durchschnitt die Rippenknorpel der rechten Seite, ziemlich nahe am Brustbein, hielt die Lunge gegen das Sternum und erkannte nun die Ganglia fhoracica des Gangliennerven zu den Seiten der Wirbels\u00e4ule. Br\u00e4chet beobachtete keine Schmerzens-zeichen, wenn er die Ganglien oder den Grenzstrang zwischen diesen Ganglien stach; als er aber einen Ramus communicans des Gangliennerven mit einem Spinalnerven reizte, entstanden deutliche Schmerzenszeichen, was er in wiederholten Versuchen wiedersah. Auch beobachtete derselbe, dass Ganglien, welche anfangs unempfindlich schienen, durch \u00f6ftere Reizung empfindlich wurden.\n2) Der Gangliennerve besitzt motorischen, aber univillk\u00fchrlichen Einfluss auf die von ihm versehenen Theile. Da di\u00e7 Zusammenziehungskraft der Muskeln, wie aus meinen und Sticker\u2019s Versuchen hervorgeht, von ihrer Wechselwirkung mit den Nerven abh\u00e4ngt, einige Zeit nach der Durchschneidung ihrer Nerven, wenn diese unverheilt sind, so gut wie die Nervenreizbarkeit vergeht, so folgt, dass auch die Zusammenziehungen der unwillk\u00fcrlichen Muskeln unter der Herrschaft der Nerven stehen m\u00fcssen, und nicht wie Haller glaubte, ihnen als Muskel selbst eigen sind. Wir besitzen auch einige directe Beweise vom motorischen Einfluss des Gangliennerven auf die Muskeln. A. v. Humboldt hat durch Galvanisiren der N. cardiaci bei S\u00e4ugethieren Bewegungen des Herzens hervorgerufen. Da diese Versuche noch mit dem einfachen galvanischen Reize angestellt waren, so haben dieselben allerdings einen hohen Wertb. Auch Burdach sah Verst\u00e4rkung des'Herzschlages eines get\u00f6dteten Kaninchens, als er das Halsst\u00fcck des Gangliennerven oder das untere Halsganglion armirte. Physiol. 4. 464. Ebenderselbe hat bei einem get\u00f6dteten Kaninchen durch Betupfen des Gangliennerven mit causti-, schem Kali oder \u00e4tzendem Ammonium den Herzschlag wieder beschleunigt, was mir nicht gelingen wollte. Wutzer sab, als er das zweite Ganglion lumbare, das durch untergelegtes Glas iso-lirt war, durch die Pole einer S\u00e4ule armirte, alle Theile des Unterleibes und selbst die Schenkelmuskeln dieser Seite in Zittern gerathen (a. a. O. p. 127.), und ich selbst sah, als ich den N. splanchnicus eines Kaninchens durchschnitt, das peripherische, mit dem Darmkanal verbundene St\u00fcck auf einer Glasplatte iso-lirte, und mit einer S\u00e4ule von 65 Plattenpaaren armirte, die peristaltischen Bewegungen des ganzen Darms lebhafter werden, und als sie schon aufgeh\u00f6rt hatten, sich wieder erneuern. Die letzten Versuche von Wutzer und mir beweisen eigentlich nicht viel und sind fehlerhaft, weil die galvanische Action zu stark war; hi diesem Falle kann das galvanische Fluidum durch einen Ner-","page":671},{"file":"p0672.txt","language":"de","ocr_de":"672 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindungs-u. Bewegungsnerv;\nven als durch einen blossen nassen Leiter bis zu dem beweglichen Theile, dem Darm, fortgepflanzt werden, und es ist eben so gut, als wenn man den Darm selbst galvanisirt batte. In Wut-zer\u2019s Fall sprang sogar das galvanische Fluidum, nicht das Ner-venprincip, auf die Schenkelnerven oder den Plexus lumbalis und sacralis \u00fcber. Einen sicheren Beweis f\u00fcr den motorischen Einfluss des Gangliennerven liefert ein von mir \u00f6fter mit gleichem Erfolg angestellter Versuch am Ganglion coeliacum des Kaninchens. Wurde die Bauchh\u00f6hle eines Kaninchens ge\u00f6ffnet, worauf die Bewegungen des Darms an der Luft sehr lebhaft werden, so wartete man so lange, bis diese Bewegungen wieder ganz nachgelassen oder aufgeh\u00f6rt haben. Dann wurde das Ganglion coeliacum mit Kali causticum betupft, und sogleich wurden die peristaltischen Bewegungen des Darms wieder ausserordentlich lebhaft.\nEs entsteht nun die Frage,' ob in dem Gangliennerven nur einerlei Art F\u00e4den enthalten sind, und ob diese zur Ern\u00e4hrung, Empfindung und Bewegung gleich tauglich sind, indem sie Empfindungsactionen erregen, insofern sie auf das Gehirn wirken, Ern\u00e4hrungsactionen und Bewegungsactionen, insofern sie in peripherischer Bichtung th\u00e4tig sind. Diess ist an sich schon unwahrscheinlich. Es w\u00fcrde dann n\u00e4mlich jede Reizung der Absonderung im Darmkanal auch mit vermehrter Bewegung, jede vermehrte Bewegung mit vermehrter Absonderung verbunden seyn. Es wird daraus schon vorl\u00e4ufig wahrscheinlich, dass auch im Gangliennerven Empfindungs- und Bewegungsfasern enthalten sind, ja dass er sogar noch eine dritte Art, n\u00e4mlich organische Fasern zur Regulirung der chemischen Processe enth\u00e4lt. Um diese Frage genauer zu beantworten, m\u00fcssen wir den Zusammenhang des Gangliennerven mit den Empfindungs- und Bewegungsnerven genauer erw\u00e4gen.\nEs ist eine alte Streitfrage, oh die Verbindungen des Gangliennerven mit den St\u00e4mmen der Cerebral- und Spinalnerven als Wurzeln als Verbindungs\u00e4ste des Gangliennerven zu betrachten sind. Die mikroskopische Analyse dieser Verbindungen entscheidet, dass viele derselben Wurzeln aus den Cerebrospinalnerven in den Gangliennerven leiten, dass andere hingegen Elemente des Gangliennerven in die Cerebrospinalnerven leiten. So wird sich hernach zeigen, dass der carotische Theil des Ganglien grossentheils nicht bloss Wurzel des Gangliennerven ist, vielmehr grossentheils Elemente des Gangliennerven in Hirnnerven. zu peripherischer Verbreitung einmischt. Der an den 1. und 2. Ast des trigeminus und an den Nervus abducens sich anschliessende Theil der carotischen Str\u00e4nge giebt diesen Nerven graue B\u00fcndel zu peripherischer Verbreitung ab, und diese grauen B\u00fcndel sind keine Wurzeln. Dagegen empf\u00e4ngt der Gangliennerve von einem Theil der Iljrnnerven und namentlich von den gemischten Hirnnerven und von allen Spinalnerven wahre Wurzeln, welche aus den Wurzelf\u00e4den dieser Nerven abgehen und zu peripherischer Verbreitung im Gangliennerven weiter gehen. Das Verh\u00e4ltnis* zu den Hirnnerven ist sehr verwickelt, einfach","page":672},{"file":"p0673.txt","language":"de","ocr_de":"3. Sensorielle und motorische Eigenschaften des Gangliennerven. 6'73\nund leicht zu ermitteln bei den Spinalnerven. Aus der Untersuchung der letztem erh\u00e4lt man die Principien f\u00fcr die Untersuchung der Verbindungen mit dem Hirnnerven. Leicht also sieht man an jedem Thier, dass von den Wurzeln jedes Spinalnerven sich ein Theil abl\u00f6st um in die Gangliennerven einzutreten. Diess ist der ramus communicans. Seine Fasern gehen gr\u00f6ssten-theils vom Spinalnerven ab und zu dem Gangliennerven.\nNun fragt sich, oh der Gangliennerve durch seine Wurzeln zugleich motorische und sensible F\u00e4den vom R\u00fcckenmark und Gehirn erhalte. Nach Scarpa\u2019s und Wutzer\u2019s fr\u00fcheren Untersuchungen h\u00e4ngt der Gangliennerve mit jeder der beiden Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven zusammen, und erhielte also sowohl motorische als sensible Fasern, wie er nach den von ihm beherrschte:' Functionen der Eingeweide haben muss. Die Empfindlichkeit ist zwar in den vom Gangliennerven versehenen Organen nicht sehr stark, aber entschieden vorhanden, nur dunkel und in Hinsicht des Ortes nicht deutlich und umschrieben, kann aber in Krankheiten eben so lebhaft und bestimmt werden, als in allen anderen Theilen. Die vom Gangliennerven versehenen Eingeweide sind \u00fcbrigens nur unwillk\u00fchrlich beweglich. Dieser letztere Umstand hat Scarpa in der neuern Zeit verleitet, dem Gangliennerven allen motorischen Einfluss abzusprechen, und die Ursache der Bewegungen der unwillk\u00fchrlich beweglichen Theile, allein in diesen Theilen selbst zu suchen. Diese Ansicht gr\u00fcndete sich besonders auch auf neue Beobachtungen von ihm \u00fcber den Ursprung des Gangliennerven, welchen er bloss von den hinteren Wurzeln der Pi\u00fcckenmarksnerven ableitet. Scarpa de gangliis nervorum deque essentia nervi sympathici, ann. univ. de medicina. 1831. Dieser grosse Anatom hat ein Beispiel gegeben, wie man im Alter nicht gegen die Fortschritte der Wissenschaft eingenommen seyn sollte (Einige antiquiren sich schon vor dem Alter); Scarpa hat gerade in seiner letzten Schrift den lebendigsten Antheil an der grossen Umgestaltung der Nervenphysiologie gezeigt; aber in Hinsicht jener Behauptung von dem Ursprung der R\u00fcckenmarksnerven hatte ihn die Sch\u00e4rfe seiner Sinne verlassen. Untersuchungen von mir (Meckel\u2019s Archiv. 1832. p. 85.), Retzius (ebend. p. 260.), Mayer (Eiov. act. XVI. p. 2.) und Wui-zer (Mueller\u2019s Archiv, 1834. p. 305.) haben n\u00e4mlich erwiesen, dass die fr\u00fchere Darstellung von Wutzer \u00fcber den Ursprung des Gangliennerven von beiderlei Wurzeln der R.\u00fcckenmarksner-ven die ganz richtige war. Mayer hat sogar die dem Gangliennerven angeh\u00f6renden Fasern an den W urzeln der R\u00fcckenmarksnerven bis zum R\u00fcckenmark selbst verfolgt. Dieser Nerve enth\u00e4lt also motorische und sensible Fasern. Die mikroskopische Untersuchung dieser Wurzelf\u00e4den des Gangliennerven von den Spinalnerven zeigt, dass sie \u00e4hnliche r\u00f6hrige Fasern, wie die Spinalnerven seihst enthalten. Diese R\u00f6hrenfasern sind zwar feiner und bleiben es in ihrem ganzen Verlauf im Gangliennerven; aber R\u00f6hre und Inhalt der Fasern ist hier so deutlich als in den Spinalnerven selbst., Sie sind zarter und deswegen bilden sich durch Druck und Dehnung leichter als an","page":673},{"file":"p0674.txt","language":"de","ocr_de":"674 III. Buch. Nervenphysik. II. Ahschn. Empfindlings- u. Bewegungsneri\u2019.\nden R\u00f6hren der Spinalnerven die Yaricosit\u00e4ten aus. Im unversehrten Zustande sind sie niemals varic\u00f6s. In diesen Pune-ten unterscheidet sich daher der Gangliennerve nicht wesentlich von andern Nerven, auch hleiben die r\u00f6hrigen Fasern im Verlauf des Gangliennerven eben so getrennt und ohne Ana-stomosen wie in den \u00fcbrigen Nerven. Das Eigent\u00fcmliche am Gnngliennerven erscheint nur in der Art, wie er seine Wurzelfaden sammelt und wieder zu peripherischer Verbreitung abgiebt. Die von den Wurzeln kommenden Faden laufen n\u00e4mlich eine Strecke im Grenzstrang des jGangliennerven fort und gehen dann erst von ihm ab. Dadurch entsteht ein scheinbar zusammenh\u00e4ngender Strang vom Ganglion cervicale supre-inum bis zum Ganglion coccygeum. Ich sage scheinbar zusammenh\u00e4ngender Strang; denn dass die vom Ganglion cervicale Supremum kommenden Fasern bis zum Ende des Grenzstranges fortlaufen sollten, ist eine durch keinerlei Thatsachen gerechtfertigte Vorstellung. Die Fasern, welche zuerst in den Grenzstrang treten, gehen auch zuerst wieder von ihm ab, dann die folgenden und so weiter, zuerst die Nervi cardiaci, dann die Nervi splanchnici, dann die renales, dann die aortici, u. s. w. Diess Entspringen und Ahgeben l\u00e4sst sich mit dem Verhalten des Mus-culus sacrolumbaris an den Rippen vergleichen, welcher an der inneren Seite Urspr\u00fcnge sammelt, welche in den Muskel sich einweben, w\u00e4hrend auf der anderen Seite Fascikel abgegeben werden. Aber diese Eigenth\u00fcmlichkeit des Gangliennerven ist auch nur scheinbar. Denn viele andere Nerven verhalten sich eben so, die Spinalnerven bilden scheinbare Verbindungsbogen und grosse Strecken hinab zusammenh\u00e4ngende Str\u00e4nge durch diese Rogen, welche bald abgeben, was sie vorher erhalten. Eben so ist es mit dem ramus descentlens hypoglossi, zu dem die oberen Spinalnerven beitragen. Gleichen hierin die Spinalnerven dem Gangliennerven ann\u00e4herungsweise, so k\u00f6mmt es hinwieder vor, dass der Gangliennerve keinen ganz zusammenh\u00e4ngenden Grenzstrang bildet, dass n\u00e4mlich die Verbindungen zwischen den Wurzelstr\u00e4ngen hier und da fehlen oder ausserordentlich d\u00fcnn sind, wie es bei den Schlangen vork\u00f6mmt.\nDa der Gangliennerve regelm\u00e4ssig Fascikel motorischer und sensorieller F\u00e4den von den Spinalnerven als seine Wurzeln motorischen und sensoriellen Antheils aufnimmt, so wird ein \u00e4hnliches Verhalten zu denjenigen Hirnnerven auch wahrscheinlich, welche den Spinalnerven analog, d. h. doppeltwurzelig sind, ln der That, der N. hypoglossus, vagus, glossopharyngeus geben Wurzeln in das Ganglion cervicale supremum und sofort in den Strang des Gangliennerven ab. Indessen wird hier nicht behauptet, dass alle Fasern dieser Str\u00e4nge motorisch und sensoriell sind, was sich vielmehr nicht so verh\u00e4lt. Der Gangliennerve nimmt also auch Wurzeln sensorieller und motorischer Art aus jenen Hirnnerven auf. Ehen so ist es mit dem grossen spinalartigen Nerven des Kopfes, dem trigeminus. Der ramus vidianus profundus ist wenigstens zum Theil Wurzel des Gan-","page":674},{"file":"p0675.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organisches Fasersystem.\t675\ngliennerven, wie sich im folgenden Capitel deutlicher zeigen wird.\nIV. Capitel. Vom grauen oder organischen Fasersystem und den Eigenschaften dieser Fasern.\nDie Ansichten der \u00e4lteren physiologischen Schulen \u00fcber die Eigenschaften des Gangliennerven sind bei dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaft wenig belehrend. Dass dieser Nerve dem vegetativen System der Eingeweide bestimmt sey, w\u00e4hrend die Cerebrospinalnerven das animalische System versehen, dass er die Bestimmung habe, die Nerven unter einander zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden, dass er die Ursache der Sympathien sey, ist Alles wenig befriedigend. Die wichtigen Arbeiten von Ch. Bell \u00fcber die sensoriellen und motorischen Nervenwurzeln haben uns in Hinsicht des Gangliennerven im Dunkeln gelassen, Hessen aber den Einsichtigen wohl erkennen, dass die Ansichten \u00fcber den Gangliennerven einer g\u00e4nzlichen Reform bed\u00fcrfen. Die Thatsachen und Ideen dazu sind erst in der neuesten Zeit an die Hand gegeben worden. Als den ersten Schritt von thats\u00e4chlicher Seite betrachte ich Retzius im Jahre 1827 bekannt gemachte Beobachtungen \u00fcber das Fortlaufen grauer Nervenf\u00e4den unter den weissen im Nervus trigeminus, grauer F\u00e4den, welche von gewissen Ganglien sowohl in peripherischer Richtung in die Aeste, als in centraler Richtung gegen das Ganglion Gasseri fortschreiten. Retzius zog selbst aus diesen wichtigen Thatsachen keine physiologischen Schlussfolgen, und sie blieben auch anderweitig bis zum Jahre 1834 unbenutzt. Unterdess erschienen die Untersuchungen \u00fcber die Reflexion von Marshall Hall und mir; obgleich diese Ph\u00e4nomene haupts\u00e4chlich nur an den Cerebrospinalnerven erl\u00e4utert wurden, so sprach ich doch sogleich mich in der ersten Auflage der ersten Abtheilung dieses Werkes. 1833. 335. dar\u00fcber aus, dass die Sympathieen grossen-theils durch die Reflexion und nicht durch den Sympathicus zu erkl\u00e4ren seien, und dass die sympathischen Nerven nicht anders wie die Cerebrospinalnerven, dabei Empfind\u00fcngsreize auf das R\u00fcckenmark leiten, von wo die Reflexion ausgeht. Im Jahre 1834 erschien eine bestimmtere Darlegung der Principien, nach welchen der Gangliennerve und seine Verbindungen mit anderen Nerven zu betrachten sind, sowohl von van Deen (diss. de differentia et neocu inter nerv\u00f6s vitae animalis et organicae. Lugd. Bat. 1834.) als von mir (in der zweiten Abtheilung der Physiologie p. 646\u2014652. u. 780.). van Deen l\u00e4ugnete auch die Erkl\u00e4rung der Sympathieen durch den sogenannten Sympathicus, wie es schon fr\u00fcher oft geschehen, und suchte es wahrscheinlich zu machen, dass die Verbindungen des Gangliennerven mit den Cerebrospinalnerven bestimmt seien, diesen ausser ihren sensitiv motorischen Eigenschaften vegetativen Einfluss vom Gangliennerven aus zu ertheilen, dass hinwieder der Gangliennerve durch die Ver-","page":675},{"file":"p0676.txt","language":"de","ocr_de":"676 III. Buch. IServenphysik. II. Abschn. Empfindungs-u. Bewegungsnerv.\nbindung mit den Cerebrospinalnerven motorischen Einfluss erhalte und dass ihm hierdurch auch die F\u00e4higkeit ertheilt werde, unter gewissen Umst\u00e4nden selbst zu empfinden, van Deen kannte die von Retzius beobachteten Thatsachen nicht; auch spricht sich derselbe nicht dar\u00fcber aus, wie sich der Gangliennerve bei diesen Verbindungen verhalte, oh er bloss durch seine Ganglien in ein n\u00e4heres Verh\u00e4ltniss zu den Cerebrospinalnerven tritt oder sich isolii't in den Cerebrospinalnerven fortsetzt. Gest\u00fctzt auf die Beobachtungen von Retzius und meine eigenen \u00fcber das Fortlaufen von grauen organischen F\u00e4den in den Cerebralnerven in peripherischer Richtung, auf die Thatsacbe des isoiirten Fortlaufens der Primitivfasern in den Nerven, auf den Ursprung des Gangliennerven von den motorischen und sensoriellen Wurzeln der Spinalnerven und auf die Thatsachen in Hinsicht der Reflexion sprach ich mich a. a. O. bestimmter dahin aus, dass die gew\u00f6hnlichen Ansichten \u00fcber den Zweck jener Verbindungen nicht bloss unrichtig sind, sondern dass der Gangliennerve so gut wie Cerebrospinalnerven zusammengesetzt sey, dass er motorische, sensorielle und organische Fasern enthalte, wovon nur die letzteren den vegetativen Processen bestimmt seven und ein n\u00e4heres Verh\u00e4ltniss zu den Ganglien haben, dass dieselbe Zusammensetzung aus isoiirten motorischen, sensoriellen und organischen Fasern den Cerebrospinalnerven zukomme, welche jede zu ihrer Bestimmung isolirt und ohne Verschmelzung fortlaufen, so dass der Gangliennerve sich nur durch die gr\u00f6ssere Menge der organischen Fasern, und deswegen durch seine graue Farbe auszeichnet, w\u00e4hrend sie in den Cerebrospinalnerven seltener als graue B\u00fcndel zwischen der Hauptmasse der weissen B\u00fcndel erscheinen. Indessen sey auch der Gangliennerve nicht \u00fcberall gleich grau, sondern im Grenzstrange noch etwas weisslich, in den zu den vegetativen Eingeweiden gehenden Zweigen der Abdominal-gangtien aber vorzugsweise grau. A. a. O. p. 651. So viel zur Geschichte dieses Gegenstandes bis zu dem gegenw\u00e4rtigen Zeitpunkt. Durch Remak ist dieser Gegenstand jetzt zu einem viel grossem Grad von Sicherheit gelangt.\n1. Graue oder organische F\u00e4den in dem Cerebrospinalnerven.\nDie hieher geh\u00f6rigen Thatsachen, welche bereits in der ersten Auflage dieses Werkes angef\u00fchrt wurden, sind folgende.\nMan wird unwillk\u00fchrlich zu jener Ansicht hingetrieben, wenn man die merkw\u00fcrdigen und nicht genug zu beachtenden Beobachtungen von Retzius (Isis 1827. 9.97.) \u00fcber die im N. trigeminus des Pferdes, namentlich im zweiten Ast vom Ganglion spheno-palatinum aus enthaltenen grauen sympathischen Fasern kennt, graue Fasern, welche sich ganz deutlich unterscheiden lassen, graue Kn\u00f6tchen innerhalb des Nervenstammes bilden, und sich sowohl \u00fcber den zweiten Ast hin und in demselben bis in die Nervi nasales und die Nasenschleimhaut, als auch nach aufw\u00e4rts bis in die Orbita und zum Ganglion ciliare verfolgen lassen. Ich habe die von Retzius beobachteten gangli\u00f6sen Nerven beim Ochsen aufgesucht, wo sie leicht zu finden sind und auf der innern","page":676},{"file":"p0677.txt","language":"de","ocr_de":"677\n4. Organisches Fasersystem. Cerebrospinalnerven.\nSeite des zweiten Astes mehrere kleine Ganglien bilden, die mit dem Ganglion sphenopalatinurn und dem N, Vidianus Zusammenh\u00e4ngen, und zu den zur Nase und zum Gaumen gehenden Nerven vorz\u00fcglich geh\u00f6ren. Beim Ochsen giebt der Ramus profundus nervi vidiani, deutlich vom N. sympafhicus kommend, sowohl Fasern zum Ganglion sphenopalatinurn, als viele fortlaufende Zweige in die Nasen- und Gaumennerven selbst, und hier kann man deutlich sehen, dass dieser Nerve mit einem Theil seiner Fasern nicht vom N. trigeminus entspringt, sondern zum Theil vom Gangliennerven k\u00f6mmt und sich mit seinen Fasern in peripherischer Verbreitung den Zweigen des zweiten Astes anschliesst. Beim Ochsen sieht man auch leicht, dass sich auch organische Fasern in den ersten AsL des N trigeminus einmischen, n\u00e4mlich von demjenigen Theile des Gangliennerven, der sich mit dem N. abducens verbindet. Auch finden sich kleine Ganglien am Anf\u00e4nge des ersten Astes des trigeminus, die zu dem Geflecht geh\u00f6ren, welches sich dem abducens und ersten Ast des trigeminus mitgetheilt li\u00e2t. Graue F\u00e4den gehen auch r\u00fcckw\u00e4rts zum Ganglion Gasseri. Varrentrapp (obs. anat. de parle cephalica n. sym-pathici. Franco/. 1831.) sah ebenfalls beim Menschen F\u00e4dchen aus dem plexus cavernosus zum ersten Aste des trigeminus treten. Ferner schickt der Gangliennerve beim Kalb, wie ich sah, schon in der Sch\u00e4delh\u00f6hle ein ganz dickes Fascikel organischer Fasern unterhalb des Ganglion Gasseri in den zweiten Ast. Der Ramus buccinatorius vom dritten Ast des N. trigeminus erh\u00e4lt beim Ochsen ein ganzes Fascikel grauer organischer Fasern vom Ganglion oticum und diese grauen B\u00fcndel gehen zu peripherischer Verbreitung weit \u00fcber den Nerven hin. An den Ciliarnerven vom Ganglion ciliaie hat man weiter ein Beispiel von Association von sensitiven Fasern des N. trigeminus (radix longa a nervo nasali), von motorischen Fasern (radix brevis a nervo oculomotorio) und von organischen Fasern des Gangliennerven. Zu dem Zweck der Einmischung scheint sich ferner der Gangliennerve mit dem Glossopharyngeus am Ganglion petrosum, mit dein Facialis an der intumescentia N. facialis zu verbinden. Vom Knie des Facialis und von seiner Anschwellung wird dieser Nerve st\u00e4rker durch B\u00fcndel-chen, welche er von den Nervi petrosi |superliciales erhalten, uud dieser Zuwachs geht zum Theil deutlich in peripherischer Richtung am Facialis fort. Ferner hat Giltay {de nervo sympathico diss. Lugd'. 1834.) mehrere Thatsachen bekannt gemacht, in welchen sich die organischen F\u00e4den neben den Cerebral- und Spinalnerven, getrennt hingehend in die Organe beobachten liessen. Giltay hat bei mehreren Fischen von der Pars cephalica nervi sympa-thici, welche von dem N. trigeminus ausser dem Cranium entspringt, und r\u00fcckw\u00e4rts unter dem N. glossopharyngeus und vagus hingeht, sympathische, deutlich zu unterscheidende F\u00e4den zu dem N. glossopharyngeus, und mit diesem zur ersten Kieme, und, eben so einen besondern Faden mit dem N. vagus in die Kiemen treten gesehen, wo dieselben von den Aesten der Cerebrospinalnerven getrennt, bloss neben diesen liegend sie begleiten. Diess hat er deutlich an Fischen der Gattungen Acanthurus, Platyce-","page":677},{"file":"p0678.txt","language":"de","ocr_de":"678 TU. Buch. JServenphysik. II. Abschn.Empfindungs-u. Bewegungsnerv.\nphalus, Holocentrus, undeutlich auch hei Pleuronectes Platessa gesehen und abgebildet. Diese Aeste sind wohl von denjenigen Aesten des Gangliennerven zu unterscheiden, welche sich mit dem N. glossopharvngeus und mit dem Ganglion n. vagi, gleichsam als Wurzeln des Gangliennerven verbinden.\nEin \u00e4hnliches Verhallen zu R\u00fcckenmarksnerven hat Giltay ebenfalls in einigen F\u00e4llen beobachtet. Bei Bufo asper sah er den Gangliennerven in der Mitte des K\u00f6rpers des zweiten Wirbels unter der Anhangsplatte der Schulter einen Ast in die Muskeln (?) abgegeben, der sich in zwei Aeste spaltete, wovon der eine riicklaufend an den N. spinalis (1. dorsi) gegen den Wirbel hingeht, sich also wie eine Wurzel verh\u00e4lt, w\u00e4hrend der andere mit dem N. spinalis fortgeht, um sich in der vordem Extremit\u00e4t zu verzweigen. Bei Calotes gutturosa sah Giltay einen Zweig des Gangliennerven, der sich mit der Arteria subclavia und den Nerven der vorderen Extremit\u00e4ten in diesen verbreitete. Eben so sah er bei Iguana delicatissima einen Ast des Gangliennerven den ersten Nerven der vorderen Extremit\u00e4ten begleiten. Aus allen diesen Thatsachen schloss ich, dass in den Cerebrospinalnerven dreierlei Fasern unterschieden werden m\u00fcssen, sensitive und motorische, welche beide weiss sind und von den Wurzeln des Cerebrospinalnerven kommen, und graue organische, welche von den Ganglien des Gangliennerven kommen.\nDurch die Beobachtungen vonREMAii haben wir jetzt das eigen-th\u00fcmliche mikroskopische Verhalten der grauen Nervenfasern kennen gelernt. Sie sind durchaus von den r\u00fchrigen loder [sensitiven und motorischen Fasern verschieden. Erstens sind sie viel feiner; dann l\u00e4sst sich an ihnen durchaus kein Unterschied von R\u00f6hre und Inhalt erkennen; ferner sind sie so blass und durchsichtig, dass man ihre Begrenzung nur bei starker Beschattung sieht; endlich sind sie ganz charakteristisch seitlich liier und da mit rundlichen oder ovalen kleinen K\u00f6rperchen besetzt. Remak hat diese Fasern an vielen Stellen in den grauen Biindelchen des Sympathicus gefunden und eben solche Fasern seltener in vielen Cerebrospinalnerven gesehen. Man muss zu diesen Beobachtungen starke Vergr\u00f6sserung und starke Beschattung anwenden. Um sich von der Existenz dieses eigen-thiimlichen Fasersystems zu \u00fcberzeugen, ist es noting, diese Fasern zuerst in einem durch und durch grauen Nerven zu studi-ren. Hier sind sie entweder gar nicht oder nur mit \u00e4usserst wenigen r\u00f6hrigen Fasern vermengt. Ich \u00fcberzeugte mich von der Richtigkeit der Beobachtung an dem carotischen Theile des Gangliennerven, welcher vorzugsweise und ganz grau ist. Man suche den zum Nervus abducens und ersten Ast des trigeminus gehenden dicken grauen'Nerven beim Kalbe auf. Er liegt dicht unter dem N. abducens im rete mirabile, nahe der innern Seite des Ganglion Gasseri. Hier steigt er herauf und schliesst sich mit einem starken B\u00fcndel an den ersten Ast des trigeminus an, so wie dieser aus dem Ganglion Gasseri herauskommt, mit einem kleineren Fascikel l\u00e4uft er mit dem abducens fort, ein starkes Fascikel geht auf den zweiten Ast des trigeminus. Der graue","page":678},{"file":"p0679.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organisches Fasersystem. Cerehrospinalncrven.\n671)\nStamm, aus welchem diese starken B\u00fcndel kommen, ist gegen eine Linie dick. Da diess nun offenbar durch und durch graue Nervenmasse ist, so lernt man hier am besten den Typus der grauen organischen Fasern mikroskopisch kennen. Er ist ganz so wie oben beschrieben worden. Ich fand fast nur organische Fasern darin. Man sieht aber auch einige, aber ganz ausserordentlich seltene r\u00f6hrige Fasern darin; nur zuweilen sieht man \u00fcber ein ganzes Fascikel von organischen Fasern unter dem Mikroskop eine vereinzelte r\u00f6hrige Faser hinlaufen, und man erkennt noch mehr den deutlichen Unterschied.\nAus solchen Fasern bestehen nun alle vorher beschriebenen grauen B\u00fcndel, welche sich peripherisch \u00fcber den ersten und zweiten Ast des trigeminus und auf den Nervus abducens ausbreiten. Sie finden sich ebenfalls in dem vom Ganglion oticum oder plexus ganglioformis Santorini auf den dritten Ast, namentlich den N. buccinalorius \u00fcbergehenden grauen B\u00fcndeln. An anderen Stellen des Cerebrospinalsystems hat man nicht solche sch\u00f6ne Gelegenheit, sich in der ersten Beobachtung der organischen Fasern zu \u00fcben, und es geh\u00f6rt eine grosse Uebung dazu, sie wiederzuerkennen, wo sie in geringerer Menge zwischen vorwiegenden r\u00f6hrigen Fasern Vorkommen. Remail fand einzelne B\u00fcndelchen in den meisten Cerebrospinalnerven, die er untersuchte. An der Verbindung des Grtnzstranges des Gangliennerven mit den Spinalnerven, durch der Ramus communicans fand er sie wieder, sie gehen vom Ganglion des Gangliennerven auf den Intercostalnerven, w\u00e4hrend der gr\u00f6ssere Theil des Ramus communicans aus r\u00f6hrigen Fasern besteht, welche aus den Wurzeln des Spinalnerven in den Gangliennerven treten. Es findet also ein gegenseitiger Austausch statt.\nIn dem Unterschied der sensitiv-motorischen und der organischen Fasern hat man nun ein treffliches Mittel in jedem Nerven, der den Gangliennerven mit einem Cerebrospinalnerven verbindet, mittelst des Mikroskops zu erkennen, was beiden Systemen angeh\u00f6rt. Manches, was man f\u00fcr bloss sympathisch gehaltec, giebt sich nun sicher als theilweise cerebro-spinal zu erkennen.\nSo wie die vom Ganglion oticum des Kalles auf den N. buccinatorius \u00fcbergehenden Fasern grau sind, so sind die von diesem Knoten nach hinten abgehenden Nerven, der N. tensoris tvmpani und der N. petrosus superficialis minor (zur Jacobson\u2019 sehen Anastomose) mehr weisslich als grau und der erstere sogar ganz weiss. Schlemm hatte schon gezeigt, dass der N. tensoris tympani vom dritten Ast des trigeminus, n\u00e4mlich vom Ramus pterygoideus entspringt, und ich hatte es wahrscheinlich gemacht, dass er Fasern vom Ganglion mitnehme. Damit stimmt die mikroskopische Untersuchung, die ich beim Kalue anstellfe, \u00a7anz \u00fcberein. Fast die ganze Masse dieses weissen Nerven besteht aus R\u00f6hrenfasern, und kaum gelang es mir, auch einige organische zu erkennen. Der Nervus petrosus superficialis minor bestand aus einem grossem weissen und einem davon leicht zu trennenden grauen B\u00fcndel, welches letztere in der Trommelh\u00f6hle \"ngelangt, ein ganz kleines spindelf\u00f6rmiges Kn\u00f6tchen bildete, von\nM h \u00eele r\u2019s Physiologie. I-\t41","page":679},{"file":"p0680.txt","language":"de","ocr_de":"680 III. Buch. Nervenphfsik. II. Abschn. Empfindungs- u. Bewegungsnerv.\nder Art, wie man sie sonst bei feineren Untersuchungen organischer Nerven findet. Hierauf lief der graue Faden mit dem weissen weiter. Der weisse Theil des N. petrosus superficialis minor bestand gr\u00f6sstentheils aus R\u00f6hrenfasern, der graue Theil ganz aus organischen Fasern.\nDer Nervus petrosus superficialis major, zwischen Ganglion sphenopalatinum und facialis, enth\u00e4lt viele R\u00f6hrenfasern, auch einzelne graue organische Fasern. Die von den Nervi petrosi an den Facialis gehenden grauen Fasern bilden dort am Knie desselben ein Kn\u00f6tchen, von welchem aus graue Fasern auf den peripherischen Theil des facialis fortgehen, Von diesem Theil des facialis erh\u00e4lt bekanntlich auch der acustieus einen Faden.\nDie JACoiisos\u2019sche Anastomose in der Trommelh\u00f6hle beim Menschen mikroskopisch untersucht, enth\u00e4lt R\u00f6hrenfasern und sehr viele organische Fasern.\nDer Ramus petrosus profundus ist ganz grau und enth\u00e4lt gr\u00f6sstentheils die eigenth\u00fcmlichen grauen Fasern. Diese herrschen \u00fcberhaupt im [ganzen carotischen Theil des Gangliennerven vor, obgleich auch weniger zahlreiche r\u00f6hrige Fasern darin Vorkommen.\n2. Graue oder organische F\u00e4den in dem Gangliennerven.\nDass es auch in dem Gangliennerven zweierlei Fasersysteme, sensitiv-motorische und grate gebe, konnte in der ersten Auflage dieses Werkes nur wahrscheinlich gemacht, aber nicht sicher bewiesen werden. Vorl\u00e4ufig wurde darauf hingewiesen, dass der Grenzstrang des Gangliennerven noch etwas weisslich sey und jedenfalls nicht so grau sey als die grauen F\u00e4den der Abdominalganglien. Auch wurde vorl\u00e4ufig als wahrscheinlich ausgesprochen, dass die Knoten dem organischen Theil des Gangliennerven vorzugsweise angeh\u00f6ren, a. a. O. p. 651. 652. Remak konnte an vielen Stellen des Gangliennerven hei feinerer Untersuchung schon \u00e4usserlich griue und weisse Riindel unterscheiden; die mikroskopische Untersuchung zeigte dann jedesmal r\u00f6hrige Fasern in den einen und die von ihm als eigenth\u00fcmlich erkannten organischen Fasern in den andern. Derselbe hat es auch durch lange und mit grosser Aasdauer fortgesetzte Untersuchung sehr wahrscheinlich gemicht, dass die organischen Fasern von den Ganglienkugeln urd ihren Schw\u00e4nzen entspringen und spricht es als von ihm beobachtete Thatsache aus, indem sehr oft von ihm die von dort entspringenden F\u00e4den auch mit solchen K\u00f6rnchen besetzt gefunden wurden, wie sie den organischen Fasern eigen sind. Die r\u00fchriger Fasern des Gangliennerven haben kein n\u00e4heres Verh\u00e4ltmss au den Ganglienkugeln und gehen nur zwischen ihnen durch. Diese Art von Fasern k\u00f6nnen keine Multiplication in den Ganglien erfahren und verhalten sich im ganzen Gangliensystem wie in den Cerebrospinalnerven. Die organischen Fasern hingegen k\u00f6nnen sich in den Centralmassen der Ganglien, wenn sie von den Schw\u00e4nzen der Ganglienkugeln entspringen, vermehren; und damit stimmt der in peripherischer Richtung zunehmende Aulheil der grauen Masse im Ganghensystem, w\u00e4hrend der Grenzstrang noch mehr weisslich ist. Die Ganglien m\u00fcssen","page":680},{"file":"p0681.txt","language":"de","ocr_de":"4. Organisches Fasersystem. Ganglienneroe.\t681\ndaher in der That, als Centralorgane, Hirne, f\u00fcr das organische Fasersystem betrachtet werden, w\u00e4hrend der sensitiv-motorische Theil des Gangliennerven aus dem Gehirn und R\u00fcckenmark abgeleitet ist. Von ihnen aus gehen auch die organischen B\u00fcndel f\u00fcr die Cerebrospinalnerven ab, so ist das Ganglion cervicale supremum der Ausstrahlungspunkt f\u00fcr organische B\u00fcndel auf die Hirnnerven, welche hie und da wieder secund\u00e4re Ganglien bilden.\nDass \u00fcbrigens die organischen Fasern, wenn sie auch nicht im Gehirn und R\u00fcckenmark entspringen, doch mit ihm zugleich von den Wurzeln des Grenzstrangs aus Zusammenh\u00e4ngen, um ihren Einfluss zu erfahren, wird aus RemaiCs Beobachtungen wahrscheinlich, dem es mehrmals gelang, organische Fasern sowohl in den Wurzeln der Spinalnerven \u00fcberhaupt, als auch in dem Ramus communicans derselben mit den Ganglien des Grenzstranges neben den r\u00fchrigen Fasern zu beobachten. Das Verh\u00e4ltnis der Ganglien der hintern Wurzeln zum organischen Fasersystem ist noch nicht klar. Nach ihrer Aehnlichkeit im Bau mit den \u00fcbrigen Ganglien kann vermuthet werden, dass sie auch organischen Fasern zum Ursprung dienen. Indess wird daraus ihr regelm\u00e4ssiges Erscheinen an den hintern Wurzeln nicht einleuchtend. Wenn die Ganglien einen isolirenden Einfluss auf die durch sie durchgehenden Fasern als Conductoren h\u00e4tten, wie \u00f6fter vermuthet wurde, so k\u00f6nnten die Ganglien der hinteren Wurzeln die Heftigkeit der Impression von Empfindungen auf das R\u00fcckenmark mildern und dadurch verh\u00fcten, dass vom R\u00fcckenmark aus Reflexbewegungen entstehen, welche nur dann staltfinden, wenn die Empfindung einen gewissen Grad der Heftigkeit erh\u00e4lt. Diess w\u00fcrde mit der Dunkelheit der Empfindung im Gangliennerven stimmen, dessen Ganglien h\u00e4ufiger sind. Allein diese ganze Ansicht beruht auf einer unerwiesenen Hypothese.\n3. Wirkungen des organischen Fasersystems.\nIn Hinsicht der Wirkungen und Kr\u00e4fte der grauen organischen Fasern lassen sich zwei Meinungen aufstellen, die wir hier pr\u00fcfen wollen. Entweder bestimmen sie und die Ganglienkugeln die unwillk\u00fchrlichen Bewegungen, oder sie beherrschen die Ern\u00e4hrung, Absonderung und \u00fcberhaupt die chemischen Processe. F\u00fcr erstere Meinung liesse sich anf\u00fchren, dass das Ganglion coe-liacum nach meinen Versuchen offenbar Einfluss auf die Bewegung des Darms hat, indem es mit Kali causticum betupft, die Bewegungen des Darms sogleich verst\u00e4rkt und beschleunigt. Indess erhielt ich eine \u00e4hnliche Verst\u00e4rkung durch Galvanisiren des N. splanchnicus vor dem Eintritt in das Ganglion. Dann aber ist es wohl m\u00f6glich, dass die Ganglien Einfluss auf die durch sie durchgehenden motorischen Fasern haben, w\u00e4hrend die Ganglienkugeln zugleich in n\u00e4herem Zusammenh\u00e4nge mit einer andern Classe, den organischen Fasern stehen. Das n\u00e4here Verh\u00e4ltnis der Ganglien zu den grauen Fasern wird aber schon daraus wahrscheinlich, dass an B\u00fcndelchen, welche ganz grau sind, kleine Ganglien am leichtesten Vorkommen, wie man sie so leicht an den grauen B\u00fcndelchen wahrnimmt, welche sich in den ersten und zweiten Ast des trigeminus beim Kalb begeben. Die Wir-\n44 *","page":681},{"file":"p0682.txt","language":"de","ocr_de":"682 TIL Buch. Nervenphysik. IL Alschn. Empftndungs-u. Bewegungsnerv.\nkling der Ganglienkugeln und organischen Fasern wird also wahrscheinlich homolog seien. Dass es eigene Fasern f\u00fcr die vegetativen Processe gieht, die von den sensitiven und motorischen Fasern der Eingeweide verschieden sind, wird schon a priori zu Folge der Existenz von sensitiven und motorischen Fasern wahrscheinlich. Die Nerven haben den gr\u00f6ssten Einfluss auf die Secretionen, w\u00e4ren nun nur einerlei Nerven f\u00fcr die Bewegungen und vegetativen Processe bestimmt, so m\u00fcsste eine von den Nerven aus vermehrte Secretion immer auch mit Spasmus, dieser immer auch mit vermehrter Secretion verbunden seyn. Beide Erscheinungen sind aber oft so isolirt, als es L\u00e4hmungen der Empfindung ohne L\u00e4hmung der Bewegung, letztere ohne erstere gieht. Bedenkt man nun ferner, dass die grauen Fasern so h\u00e4ufig dem N. trigeminus, abducens, facialis sich mittheilen, dass sie sich am trigeminus deutlich in peripherischer Richtung gegen die Mundschleimhaut und Nasenschleimhaut verfolgen lassen, dass die Trommelh\u00f6hle ein zum grossen Theil organisches Geflecht f\u00fcr die Schleimhaut besitzt, und dass in den Schleimh\u00e4uten keine unwillk\u00fchrlichcn Bewegunsen Vorkommen, dass die dem zweiten Ast des trigeminus und dem abducens eingemischten B\u00fcndel zu keinen unwillk\u00fchrlichen Bewegungen dienen, so wird die zweite Voraussetzung viel wahrscheinlicher, dass die organischen Fasern in den Cerebrospinalnerven und im Gangliennerven zu der Beherrschung der organischen Processe der Ern\u00e4hrung und Absonderung dienen. Diese Ansicht erh\u00e4lt dadurch eine grosse St\u00fctze, dass die motorischen Wurzeln der Spinalnerven seihst schon motorische F\u00e4den r\u00f6hriger Art in den sympathicus abgeben, von welchen die unwillk\u00fchrlichen Bewegungen abh\u00e4ngen m\u00fcssen. \"Wenn diess richtig ist, so m\u00fcssen die motorischen Fasern des Herzens haupts\u00e4chlich r\u00f6hrige seyn und nicht vorzugsweise die von Bemak beobachteten Eigenschaften der grauen F\u00e4den besitzen. So ist es aber auch. Man untersuche die Ilerznervcn des Kalbes und man wird darin eine grosse Menge r\u00f6hriger Fasern finden, die sich von den Fasern der willk\u00fchrlichen Muskeln nur durch einen feinem Durchmesser unterscheiden. Vergleicht man ferner die Herznerven mit den splanchnischen Nerven, von welchen die Eingeweide mit absondernder Findigkeit abh\u00e4ngig sind, so f\u00e4llt es auf, wie vorwaltend bei den letztem die Ganglienbildung ist. Die Herznerven bilden keine Centralknoten, die splanch-nischen Nerven schwellen in das grosse Ganglion coeliacum an. Eben so auffallend ist der Unterschied zwischen dem Herzen und den von Plexus hypogastricus abh\u00e4ngigen Geschlechlstheilen.\nMit dieser Ansicht stimmt \u00fcberein, dass die Nierennerven, welche die Nierengef\u00e4sse begleiten, im bei weitem gr\u00f6ssten Theil aus organischen Fasern bestehen. Grau sind auch die von mir beschriebenen organischen Nerven, welche an der Wurzel der Corpora cavernosa ins Innere derselben eintreten und der Erection bestimmt sind. Siehe J. Muellee \u00fcber die organischen Nerven der erectiicn m\u00e4nnlichen Geschlechtsorgane. Aldi. d. Akad. d. IVissensch. zu Berlin aus d. Jahr 1835.\nIn manchen F\u00e4llen scheinen die organischen Fasern nur in","page":682},{"file":"p0683.txt","language":"de","ocr_de":"5. Nervensystem der Wirbellosen.\n683\ndie Cerebrospinalnerven eingewebt zu seyn. Hieraus w\u00fcrde sich begreifen lassen, warum die Cyclostomen (Petromyzon sowohl als die Myxinoiden) keinen eigenen Gangliennerven besitzen. Dagegen gebt der aus beiden vagi gebildete Nervus intestinalis der Myxinoiden an der Insertionsstelle des Mesenteriums bis zum After. Hieher geh\u00f6rt auch das Factum, dass die Milchdr\u00fcse des Menschen keine besondern organischen Nerven erh\u00e4lt, welche ich vergebens aufsuchte. Die Nerven der Dr\u00fcsensubstanz der mamma kommen in der That nur vom 3. und 4. Intercostalnerven. Jahresbericht. Archiv. 1837. XXVII.\nV. Capitel. Vorn Nervensystem der Wirbellosen.\nDie Entdeckungen \u00fcber die Verschiedenheit der sensitiven und motorischen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven und Gehirnnerven f\u00fchrten in neuerer Zeit, auch zu lichtvollen Ideen \u00fcber die Zusammensetzung des Nervensystems bei den Wirbellosen. (Hatten gleich Trevjranus und meine Arbeiten \u00fcber den Scorpion einen dritten Strang am Nervensystem bei dieser Arachnide kennen gelehrt, so war ich doch weit entfernt, die Wichtigkeit dieser That-sache einzusehen. Grant und Newport haben in dieses Gebiet der vergleichenden Anatomie das Licht physiologischer Ideen gebracht. Prof. Grant erkl\u00e4rte den obern Strang des Nervensystems der Arachniden, welcher keinen Antheil an der Ganglienbildung nimmt, f\u00fcr den motorischen, die unteren oder gangh\u00f6sen Str\u00e4nge f\u00fcr die sensoriellen, die von den untern Str\u00e4ngen entspringenden Nerven f\u00fcr sensoriell, die vom obern Strang entspringenden f\u00fcr motorisch und dehnte diese Ansicht \u00fcberhaupt auf die Articulata aus. The Lancet. London 1834. July. Ueber diesen Gegenstand hat ferner eine ausgezeichnete Arbeit von Newport viel Licht verbreitet. Philosoph. Transact. 1834. p. 2. Der Bauchstrang der Insecten und Crustaceen ist aus einem vordem und hintern Paar von Str\u00e4ngen zusammengesetzt. Das obere Paar nimmt keinen Antheil an den Ganglien des Bauchstfanges, die dem untern Paar allein angeh\u00f6ren. Der Analogie nach sind die ganglientosen Str\u00e4nge die motorischen, die gangli\u00f6sen die sensoriellen; aber das Yerb\u00e4llniss der Lage ist umgekehrt, als bei den Wirbelthieren, wo die gangli\u00f6sen oder sensoriellen Wurzeln die hintern sind. Treviranus und E. H. Weber hatten die Vermu-thuug aufgestellt, dass die Ganglien des Bauchstranges der Arti-eulaten den Ganglien der Spinalnerven (den Ganglien der sensitiven Wurzeln) entsprechen. Die gemischten Nerven des Bauchstranges entstehen nach Newport\u2019s Untersuchungen bei Astacus marinus durch Wurzeln, die tlieils den Ganglien, theils den oberen ganglienlosen Str\u00e4ngen angeh\u00f6ren. Bei diesen Thieren sah Newport auch Nerven, welche bloss von den oberen Str\u00e4ngen und nicht von den Ganglien entspringen und bloss zu Muskeln hiugehen, also jedenfalls motorisch sind.\nNach einer gef\u00e4lligen .Mittheilung von Prof. Sharpev, die ich wegen ihrer Wichtigkeit hier benutze, haben die Armuerven der","page":683},{"file":"p0684.txt","language":"de","ocr_de":"684 III. Buch. Nervenphysik. II. Abschn. Empfindungs- u. Bewegungsnerv.\nCepbalopoden (Octopus) eine ganz \u00e4hnliche Structur wie der Bauchstrang der Articulaten. Sie bestehen aus 2 Paar Str\u00e4ngen, wovon das eine Paar von Stelle zu Stelle gangli\u00f6se Anschwellungen bildet, das andere Paar an der Ganglienbildung keinen Antheil nimmt. Die Lage der Anschwellungen entspricht den Saugn\u00e4pfen der Arme.\nUeber das Eingeweidenervensystem der Insecten und \u00fcber Brandt\u2019s Untersuchungen \u00fcber diesen Gegenstand siehe Muell. Archiv. 1836. Jahresbericht C. Zu ihm geh\u00f6ren 3 Str\u00e4nge, welche Kn\u00f6tchen auf der Speiser\u00f6hre und dem Magen bilden und wovon oft die seitlichen, oft der mittlere weniger entwickelt sind. Sie verbreiten ihre Aeste am Mund, Schlund und Magen, und vorzugsweise an unwillkiibrlich beweglichen Theilen. Der untere Theil des Darms erh\u00e4lt seine Nerven nicht daher. Aus der peripherischen Ganglienbildung und der Verbreitung an un-willk\u00fchrlich beweglichen Theilen folgt, dass diess System mehr dem Gangliennerven der Wirbelthiere als dem Vagus gleicht; die dem Vagus entsprechenden Fasern m\u00f6gen indess auch darin enthalten seyn. Aus den \u00fcber die Zusammensetzung des Gangliennerven der Wirbelthiere gegebenen Principien stellt sich \u00fcbrigens die Vergleichung der Nerven zu den Eingeweiden jetzt ganz anders. Organische Fasern k\u00f6nnen vielen und verschiedenen Nerven eingemischt seyn. Als Nerven von gemischter Bedeutung, wahrscheinlich auch organische Elemente enthaltend, betrachte ich das von Newport sehr genau beschriebene System der Nervi transversi der Insecten. Der ihnen zum Ursprung dienende Strang vereinigt sie zu einem besondern System und setzt sich \u00fcber die Ganglien und den Bauchstrang in der Mittellinie fort. Diese Nerven sind den Athemmuskeln und Tracheen vorz\u00fcglich bestimmt. Da diess System mit den animalischen Nerven zusammenb\u00e4ngt, so bleibt es ungewiss, woher die Nerven zu den Muskeln kommen. Wenn die von den Wirbelthieren gewonnenen Principien hier auch Anwendung finden k\u00f6nnen, so l\u00e4sst sich vermuthen, dass die Verbindungen dieses Systems mit den animalischen Nerven zugleich bestimmt sind, jenen organische Fasern oder wenigstens Fasern seiner Art einzumischen. Siehe Newport a. a. O. und Archiv. 1835. 82.","page":684},{"file":"p0685.txt","language":"de","ocr_de":"Schnelligkeit der Nervenwirkung.\n685\nIII. Abschnitt. Von der Mechanik des Nervenprincips #).\n(Nach eigenen Untersuchungen.)\nUnter Mechanik des Nervenprincips versteht man hier dasselbe, was unter Mechanik des Lichts in der Physik verstanden wird, n\u00e4mlich die Ges\u00e7tze, nach welchen die Leitung der Wirkung in den Nerven erfolgt, oder die Lehre von der Bewegung des Nervenprincips. Ob bei der Wirkung der Nerven von einer Stelle zur andern mit unmessbarer Geschwindigkeit eine imponderable Materie den Nerven durchstr\u00f6me, und in dem abgeschnittenen Nerven selbst durch Reiz entladen den Nerven durchstr\u00f6me\u2019, oder ob die Wirkung des Nervenprincips bloss eine vom Gehirn oder durch einen Reiz im Nerven erregte Oscillation, Schwingung des schon darin vorhandenen imponderabeln Nervenprincips ist, ist jetzt noch ungewiss, und eben so wenig ganz bestimmt zu beantworten als dieselbe Frage von dem Lichte, ob n\u00e4mlich die Emanations- oder Undulationstheo-rie richtig sey. Die Gewissheit dar\u00fcber ist vor der Hand f\u00fcr das Studium der Mechanik des Nervenprincips eben so wenig n\u00f6thig, als die Erkenntniss der Mechanik des Lichtes bei der Reflexion, Refraction u. s. w. von der Entscheidung der Richtigkeit einer jener beiden Theorien abh\u00e4ngig war. Wir werden \u00fcbrigens diese Frage im vierten Capitel dieses Abschnittes untersuchen.\nBei der Vergleichung 'der verschiedenen Theile des Nervensystems zeigen sich Conductoren und Motoren des Nervenprincips. Die Conductoren sind die Nerven, die Motoren die Centralorgane. Die Nerven zeigen sich indess nicht als blosse Conductoren, sie sind vom Gehirn getrennt, in der ersten Zeit immer noch Motoren und Conductoren zugleich, indem Reize auf sie angewandt sie zur Bewegung der Muskeln anregen; allm\u00e4hlig aber verlieren sie, vom Gehirn getrennt, die F\u00e4higkeit, Motoren sowohl als Conductoren des Nervenprincips zu seyn. Stellt man sich den Nerven als Conductor vor, so kann man sich die Leitung auch wieder wie die Wirkung des Nervenprincips doppelt denken. Entweder wird das imponderable Fluidum der Nerven in einer gewissen Richtung durch den Conductor als ein Strom geleitet, oder es wird die Oscillation dieses Fluidums nur in den Nervenfasern angeregt. Die Schnelligkeit der Nervenwirkung ist entweder die Schnelligkeit der Leitung des imponderabeln Nerven-fluidums vom Gehirn zu den peripherischen Theilen und umgekehrt, oder die Schnelligkeit, mit der eine vom Gehirn oder einer beliebigen Stelle des Nerven ausgehende Schwingung bis zu seinem peripherischen Ende und umgekehrt sich verbreitet. Welche von beiden Vorstellungen die richtige ist, ist f\u00fcr die Frage von Schnelligkeit der Nervenwirkung auch wieder gleichg\u00fcltig.\n*) Dieser Abschnitt erscheint mit wenigen Ver\u00e4nderungen Uen Auflage von 1834.\nwie in der er-","page":685},{"file":"p0686.txt","language":"de","ocr_de":"686 111. li ach. Neroenphysik. III. Ahschn. Mechanikd.Nervenprincipi.\nAlle Versuche, die Schnelligkeit dieser Wirkung zu messen, beruhen auf keiner erfahrungsm\u00e4ssigen sichern Basis. Hai.ler schrieb dem Nervensafte eine Geschwindigkeit von 9000 Fuss in der Minute; Sauvages von 32400, ein Anderer von 57600 Millionen Fuss in der Secunde zu. (Haller Eiern. IV. p. 372.) Zur Zeit, als das galvanische Agens noch mit dem Agens der Nerven f\u00fcr identisch gehalten wurde, berechnete man aus der Schnelligkeit der elektrischen Leitung die Schnelligkeit des Nerven-princips. Wir werden wohl auch nie die Mittel gewinnen, die Geschwindigkeit der Nervenwirkung zu ermitteln, da uns die Vergleichung ungeheurer Entfernungen fehlt, aus der die Schnelligkeit einer dem Nerven in dieser Hinsicht analogen Wirkung des Lichtes berechnet werden kann. Neuerdings ist man auf eine Verschiedenheit der Beobachtung kleinster Zeitlheile durch den Geh\u00f6rsinn und Baumtheile durch den Gesichtssinn von Seiten der Astronomen aufmerksam geworden, welche Einigen wahrscheinlich machen k\u00f6nnte, dass die Schnelligkeit der Nervenwirkung zwischen verschiedenen Thellen des Nerven-svstems und seihst bei verschiedenen Individuen verschieden ist. Das Detail dieser Beobachtung ist von Herrn Nicolai, Director der Mannheimer Sternwarte, und durch Herrn Professor Thevirahus bei der Versammlung der Naturforscher zu Heidelberg mitgetheilt worden. Es ist zu wichtig, als dass ich es nicht ganz erw\u00e4hnen sollte.\n,,Ein sehr grosser Tlieil der astronomischen Beobachtungen besteht darin, dass man an einer Secundenuhr die Momente beobachtet, wenn ein Stern, verm\u00f6ge der scheinbaren t\u00e4glichen Umdrehung der Himmelskugel um ihre Achse, vor den Mikrometerf\u00e4den eines feststehenden Fernrohrs vor\u00fcbergeht. Der Raum, den ein Stern w\u00e4hrend einer ganzen Secunde im Fernrohr durchl\u00e4uft, ist, zumal wenn dasselbe stark vergr\u00f6ssert, so bedeutend, dass man das Moment des Vor\u00fcberganges des Sterns vor dem Mikrometerl\u00e4den nicht etwa auf eine halbe oder drittel Secunde, sondern bei einiger Uebung und bei g\u00fcnstigem Zustande der Luft selbst bis auf y(y Secunde anzugeben vermag. Zu diesen Beobachtungen werden mithin zu gleicher Zeit zwei Sinne in Requisition gesetzt, das Gesicht und das Geh\u00f6r. W\u00e4hrend man mit dem Auge das stetige Fortr\u00fccken des Sterns im Fernrohr verfolgt, bemerkt das Ohr die einzelnen Secundenschl\u00e4ge der nebenstehenden Pendeluhr. Zum Behuf der oben angezeigten genauen Taxation des wirklichen Vor\u00fcberganges des Sterns vordem Mikrometerf\u00e4den bemerkt man sich, wenn der Stern bereits nahe an den Faden ger\u00fcckt ist, diejenige Entfernung, die er bei einem gewissen Secundenscblag noch diesseits vom Faden hat, und eben so diejenige, die bei dem n\u00e4chst folgenden Secunden-schlag bereits jenseits des Fadens stattfindet. Aus der Vergleichung der Gr\u00f6sse dieser beiderseitigen Abst\u00e4nde l\u00e4sst sich sodann mit grosser Sch\u00e4rfe das wahre Moment des Vor\u00fcberganges des Sterns vor dem Faden , oder der jedesmalige Bruchtheil der Secunde, in welchem der Stern\u00fcbergang erfolgt ist, angeben. Bereits vor einigen Jahren bemerkte der ber\u00fchmte Director der K\u00f6-","page":686},{"file":"p0687.txt","language":"de","ocr_de":"687\nSchnelligkeit der J\\ er Genwirkung,\nnigsberger Sternwarte, Herr Professor Bess\u00e8l, dass er das Moment des Appulses eines Sterns an die F\u00e4den des Fernrohrs merklich anders angab, als seine Mitbeobachter. Die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand verdoppelte sich also, und es wurde zum Zweck einer n\u00e4hern Untersuchung desselben eine eigene Reihe von Beobachtungen angestellt. Der Erfolg war aber, dass Bessel immer andere Momente angab, als seine Mitbeobachter, und diese wieder unter sich mehr oder weniger von einander dilferirten, w\u00e4hrend die Resultate eines jeden einzelnen Beobachters ganz vortrefflich harmonirten. Auch ich, sagt Nicolai, habe bis jetzt zwei Mal Gelegenheit gehabt, hier\u00fcber Untersuchungen anzustellen. Im Fr\u00fchling 1827 hatte ich das Vergn\u00fcgen eines Besuchs von Herrn Professor Knorre, Director der Kaiserlichen Sternwarte zu Nicolajef. Sein Aufenthalt in Mannheim wurde sogleich benutzt, um gemeinschaftliche Beobachtungen anzustellen. Es ergab sich aus der Vergleichung unserer Resultate mit grosser Sch\u00e4rfe, dass Herr Knorre um die betr\u00e4chtliche Gr\u00f6sse einer halben Secunde die wahren Beobachtungsmomente sp\u00e4ter angab als ich. Vor wenigen Wochen habe ich diesen interessanten Versuch mit einem andern geschickten Beobachter, dem durch mehrere astronomische und mathematische Arbeiten bereits auf das r\u00fchmlichste bekannten Herrn Thomas Clausen aus D\u00e4nemark wiederholt. Es fand sich, dass dieser um -j Secunde die Beobachtungsmomente sp\u00e4ter angab als ich. Bei anderen Beobachtern sind diese Unterschiede noch viel gr\u00f6sser so steigt z. B. die Differenz der Angaben zwischen den Professoren Bessel und Knorre bis auf die enorme Gr\u00f6sse von einer ganzen Secunde, um welche dieser die Momente sp\u00e4ter angiebt als jener. Ueberhaupt sind bisher \u00fcber diese Merkw\u00fcrdigkeit von mehreren Beobachtern, so viele sichere Proben angestellt worden, dass das Factum selbst \u00fcber allen etwanigen Zweifel weit erhaben ist.\u201c Isis 1880. p. 678.\nNicolai behauptet, dass diese merkw\u00fcrdige Erscheinung nicht anders als durch eine Verschiedenheit in der Schnelligkeit der Wirkung vom Auge zum Bewusstseyn und vom Ohr zum Be-wusstseyn erkl\u00e4rt werden k\u00f6nne. Nimmt man n\u00e4mlich an, dass bei vereinigter und auf denselben Gegenstand gerichteter Th\u00e4-tigkeit dieser beiden Sinne ein solches Individuum fr\u00fcher sieht als es h\u00f6rt, dass dagegen bei einem andern Individuum beide Reflexe in einem minderen Grade verschieden, oder zu gleicher Zeit, oder selbst in umgekehrtem Sinne, d. h. das Sehen sp\u00e4ter als das H\u00f6ren erfolgen, so erkl\u00e4rt sich die Erscheinung vollkommen und ungezwungen. Es w\u00fcrde aber daraus die wichtige Folgerung hervorgehen, dass die Wechselwirkung zwischen Sinnesorganen und dem Bewusstseyn nicht v\u00f6llig momentan ist. Aus diesen Erscheinungen liesse sich hoffen, dein Problem von der Schnelligkeit der Nervenwirkung n\u00e4her zu kommen, wenn nicht noch eine ganz andere Erkl\u00e4rung derselben m\u00f6glich und sogar wahrscheinlicher w\u2019\u00e4re. Es ist bekannt, dass das Bewusstseyn nicht leicht zweierlei Empfindungen mit gleicher Intensit\u00e4t der Aufmerksamkeit haben kann, und dass das Bewusstseyn, wenn","page":687},{"file":"p0688.txt","language":"de","ocr_de":"688 III. Buch. Nervenphysik. III. Abschn. Mechanik d. Nervenprincips.\nmehrere Empfindungen zu gleicher Zeit stattfinden, entweder nur einer oder abwechselnd verschiedenen die Aufmerksamkeit zuwendet. Wenn daher zu gleicher Zeit etwas geh\u00f6rt und mit dem Gesicht observirt werden soll, so ist es unvermeidlich, dass nicht zuerst geh\u00f6rt und dann gesehen wird. DerZeitunterschied zwischen zweierlei bewussten Empfindungen ist aber bei verschiedenen Menschen verschieden, wie denn Manche viel zu gleicher Zeit empfinden und merken, Andere aber hierzu eine merkliche Zeit n\u00f6thig haben.\nDie Zeit, in welcher eine Empfindung von den ausseren Theilen auf Gehirn und R\u00fcckenmark, und die R\u00fcckwirkung auf die \u00e4usseren Theile durch Zuckungen erfolgt, ist auch unendlich klein und unmessbar. Wenn man Fr\u00f6sche mit Opium oder Nux vomica vergiftet, so werden sie zuerst so ungeheuer sensibel, dass die geringste Reriihrung der Haut eine Zuckung am ganzen Rumpfe erregt. Hier erfolgt die Wirkung von der Haut zuerst auf das R\u00fcckenmark, und vom R\u00fcckenmark auf alle Muskeln. Dennoch ist es mir unm\u00f6glich gewesen, den geringsten Zeitunterschied zwischen der Rer\u00fchrung und den Zuckungen zu bemerken.\n1. Capitel. Mechanik der motorischen Nerven.\nI. Von den Gesetzen der Leitung des N erv enp rin cip s in den Bewegungsnerven.\nI. Die motorische Kraft wirkt in den Nerven nur in der Richtung der zu den Muskeln hingehenden Primitivjasern, oder in der Richtung der Verzweigung des Nerven und niemals r\u00fcckw\u00e4rts. Es ist eine allgemein bekannte Erfahrung, dass, wenn man einen Muskelnerven reizt, die Zuckung in keinem andern Muskel ein-tritt, als in welchem sich der Nerve verzweigt. Pieizt man einen Nervenstamm caustisch, mechanisch, elektrisch oder durch unmittelbare Anwendung beider galvanischen Pole auf den Nerven, so zucken die Muskeln aller Nervenzweige des gereizten Stammes, und niemals ein anderer Muskel. Man kann daher auch niemals durch unmittelbare oaustische, mechanische oder galvanische Reizung eines Nerven durch beide Pole Zuckungen in Muskeln erregen, welche von Nervenzweigen abh\u00e4ngig sind, die \u00fcber der gereizten Stelle vom Stamme abgehen. Nie erfolgt eine Spur einer Zuckung in den Muskeln des Oberschenkels, wenn man den untern Theil des ischiadicus reizt, wo er die Aeste f\u00fcr die Oberschenkel schon abgegeben hat. Es ist daher eine sichere Thatsache, dass die motorische Kraft der Nerven nur in der Richtung der Nervenzweige, niemals r\u00fcckw\u00e4rts wirkt. Man kann zwar auch Zuckungen in allen Muskeln erregen, die in dem galvanischen Strome, oder deren Nerven in dem galvanischen Strome liegen, wenn man den einen galvanischen Pol auf den Nerven am untern Theile des K\u00f6rpers, den andern Pol auf Muskeln der obern Theile applicirt, und dann zucken auch die Muskeln der obern Theile; allein diese Anwendungsart des Galvanismus ist,","page":688},{"file":"p0689.txt","language":"de","ocr_de":"1. Mechanik der motorischen Nerven. Gesetze der Leitung. 689\nwie ich schon \u00f6fters bemerkte, durchaus verschieden von der unmittelbaren Reizung der Nerven durch beide Pole. Im letzten Falle wird nur der Nerve und seine motorische Kraft gereizt durch Anwendung eines galvanischen Stromes durch die Dicke des Nerven, und der Erfolg ist durchaus eben so, als wenn man den Nerven mechanisch reizt; im ersten Falle dagegen, wo viele andere Theile, Nerven und Muskeln in dem galvanischen Strome zwischen beiden Polen liegen, wird jeder Muskel und jeder Nervenzweig an seinem Orte von dem galvanischen Strome gereizt, und alle Muskeln zucken, die in dem galvanischen Strome liegen; auch m\u00fcssen die Muskeln zucken, die zwar nicht im galvanischen Strome liegen, deren Nervenstamme aber dem galvanischen Strome ausgesetzt sind. Es wiederholt sich also auch nur wieder diese constante Erfahrungstatsache, dass ein unmittelbar auf jede Art gereizter Muskelnerve mit motorischer Kraft nur auf die Muskeln seiner Nerven\u00e4ste wirkt, niemals aber auf die Nervenzweige zur\u00fcckwirkt, die oberhalb der gereizten Stelle vom Nervenstamm abgehen.\nII. Die zweite Thatsache ist, dass die mechanische oder galvanische Reizung eines Theiles eines Nervenstammes nicht die motorische Kraft des ganzen Stammes, sondern nur die des isolirt gereizten Theils in Anspruch nimmt, so dass nicht alle Muskeln zuk-ken, welche von dem Stamme Zweige erhalten, sondern nur diejenigen, welche von dem gereizten Theile eines Nervenstammes aus Zweige erhalten. Diese Versuche kann man, um an gr\u00f6sseren Nervenst\u00e4mmen zu operiren, an Kaninchen machen. Man legt den N. ischiadicus gerade an seinem Austritte aus dem Becken bloss. Man kann dort leicht verschiedene Abtheilungen desselben mit der Nadel isolirt reizen, Abtheilungen, welche sp\u00e4ter erst aus dem Stamme sich als Aeste entwickeln. Man wird sich \u00fcberzeugen, dass immer nur diejenigen Muskeln zucken, in welche sich der gereizte Theil des Nervenstammes verzweigt, nicht aber andere Muskeln des Ober- oder Unterschenkels. Um die kleinsten Zuckungen der Muskeln zu seheu, muss man vorher die Haut vom ganzen Bein bis zum Fuss an dem lebenden Thiere abziehen. Als ich den Nerv, ischiadicus, ehe er sich in den Nervus pero-naeus und tibialis tbeilte, in mehrere B\u00fcndel trennte und jedes dieser B\u00fcndel isolirt reizte, sah ich bei dem einen B\u00fcndel eine Zuckung in anderen Muskeln am Unterschenkel, als beim Reizen anderer B\u00fcndel, und so bewegten sich denn bald die Wadenmuskeln , bald streckten, bald beugten sich die Zehen. Ja ich konnte Zuckungen in verschiedenen Stellen der Wadenmuskeln bemerken, wenn ich den N. peronaeus in verschiedene B\u00fcndel abtheilte, und jedes dieser B\u00fcndel mit der Nadel reizte. Dasselbe sieht man bei galvanischen Versuchen mit unmittelbarer Reizung einzelner k\u00fcnstlich abgesonderter B\u00fcndel des Nervus ischiadicus beim Frosch.\nMan pr\u00e4parire sorgf\u00e4ltig ohne Zerrung eines Nerven beim Frosch ein Faserb\u00fcndelchen des ganzen Schenkelnerven ab, und galvanisire es durch Anwendung beider Pole und der Kette auf dieses B\u00fcndeichen. Obgleich diess gegen die Schenkelmuskeln","page":689},{"file":"p0690.txt","language":"de","ocr_de":"t>S)0 III. Buch. JSeruenphysik. IlI.Abschn. Mechanik d.Neruenprincips.\nzu noeli in den ganzen Stamm zu den \u00fcbrigen Nervenfasern des ganzen Stammes tritt, so zucken doch nicht alle Muskeln des Schenkels, sondern es entsteht eine ganz geringe Zuckung an einer einzelnen Stelle der Wadenmuskeln, Zehenbeuger, Zehenstrecker, Fussmuskeln, welche wahrscheinlich von der Fortsetzung jener Fasern im Stamme versehen wird.\nWird hingegen in dem vorher beschriebenen Versuche die Armatur nicht allein an dem Nervenf\u00e4serchen seihst, sondern die eine Platte an dem F\u00e4serchen, die andere an dem dickem Theil des Nerven angelegt, so zuckt allerdings die ganze Extremit\u00e4t (A. v. Humboldt a. a. O. I. p. 212.); da indess in diesem Falle das galvanische Fluidum nicht auf das F\u00e4serchen isolirt bleibt, sondern auf den Stamm des Nerven geleitet wird, so ist es gerade so gut, als ob der ganze Stamm des Nerven unmittelbar mit beiden Platten armirt worden w\u00e4re.\nIII. Ein Riickenmarksnerve, der in einen Plexus tritt und zur Bildung eines grossen Nervenstammes mit anderen Riickenmarksnerueii beitr\u00e4gt, theilt seine motorische Kraft nicht dem ganzen Stamme mit, sondern den Fasern, in welche er sich com Stamme bis in die Zweige fortsetzt. Versuche von van Deen, von mir und von KhonEnberg zeigen diess.\nBeim Frosch kann man die Spinalnerven einzeln reizen, welche zur Bildung des N. ischiadicus zusammentreten, ehe sie sich vereinigt haben. Der Nervus inguinalis h\u00e4ngt durch ein sehr kurzes Verbindungsst\u00fcck mit dem zweiten Nerven zusammen, so dass das Verbindungsst\u00fcck meist vom zweiten kommend sich an den ersten anschliesst, sodann von diesem an den zweiten geht. Ferner verbindet sich der ganze zweite Nerve der Extremit\u00e4t mit dem ganzen dritten Nerven; aus dieser Verbindung entsteht der N. ischiadicus, der sich sowohl an der Haut lies Oberschenkels, Unterschenkels und Fusses, wie in den Muskeln dieser Thcile verzweigt. Man reizt die Nerven einzeln entweder mechanisch mit der Nadel, oder galvanisch, indem man beide Pole auf den Nerven wirken und einen galvanischen Strom durch die Dicke des Nerven geben l\u00e4sst, wobei man jeden Nerven, der zum Plexus beitr\u00e4gt, von den \u00fcbrigen auf einer Glasplatte isolirt. Man wird hierbei linden, dass beim Reizen der einzelnen Nerven, die zum N. ischiadicus zusammentreten, nicht gleiche Zuckungen in den Hinterbeinen erfolgen. sondern verschiedene, hei dem einen Nerven am Oberschenkel, bei dem andern am Unterschenkel oder am Fuss. Unter den drei Nerven, welche den Plexus der hinteren Extremit\u00e4t bilden, bewirkt der erste, gereizt, Zuckungen an der innern Seite des Oberschenkels, der zweite, der mit dem dritten den N. ischiadicus bildet, allein gereizt, Zuckungen der Muskeln des Oberschenkels und Unterschenkels, aber nicht des Fusses (die indess in massigem Grade von Kronenberg beobachtet wurde); der dritte Bewegungen des Oberschenkels, Unterschenkels und Fusses. Van Deen\u2019s Versuche sind auf andere Weise angestellt. Er durchschnitt jeden der in Jen Plexus tretenden Nerven einzeln, und fand, dass trotz der Verbindung dieser Nerven untereinander, doch verschiedene Muskeln gel\u00e4hmt","page":690},{"file":"p0691.txt","language":"de","ocr_de":"4. Mechanik der motorischen Nerven. Gesetze der Leitung. 691\nwurden. Nach Durchschneidung des N. inguirjalis f\u00fchrte der Frosch noch alle Bewegungen mit den Beinen aus, mit Ausnahme der Anziehung des Oberschenkels zu dem Bauche. Nach Durch-schneidung des zweiten Nerven vor dem Plexus h\u00f6rte alle Bewe-gung der Muskeln des Oberschenkels und Unterschenkels auf, w\u00e4hrend die Bewegung am Fusse noch unversehrt blieb. Wurde der Verbindungszweig des N. inguinalis mit dem zweiten Nerven durchschnitten, so konnte der Frosch nicht mehr das Bein zum Unterleib anziehen; nach der Durchschneidung des N. inguinalis unter dieser Verbindung wurde dasselbe beobachtet. Wurde der N. ischiadicus von seinen beiden Wurzeln aus eingeschnitten oder der L\u00e4nge nach getheilt, so war die Folge dieselbe, als w\u00e4re der ganze Stamm des N. ischiadicus durchschnitten worden, woraus van Deen schliesst, dass innerhalb der Verbindung beider Nerven eine Kreuzung der Nervenfasern beider Nerven statt-linde; denn es waren sowohl der Oberschenkel als Unterschenkel und Fuss gel\u00e4hmt. Nach Durchschneidung des dritten Nerven, der die zweite Wurzel des N. ischiadicus bildet, war der Fuss (und Unterschenkel grossentheils) gel\u00e4hmt. Durch Durchschneidung des zweiten Nerven oder der ersten Wurzel des N. ischia-diens h\u00f6rte die Flexion und Extension des Oberschenkels auf, w\u00e4hrend die Bewegung am Fusse und untern Theile des Unterschenkels fortdauerte. Die Versuche von Kbonenberg weichen im Einzelnen etwas ab, f\u00fchren aber zu demselben Resultate. Ehen so dessen Versuche an den Nerven, welche den plexus brachiatis zusammensetzen. Plexuum nervorum structura et virtutes. Berol. 483G. Dass im Verlauf eines Nerven keine Mittheilung aus einer Faser in die andere stattlinde und dass die im Verlauf eines Nerven best\u00e4ndige Plexusbildung keine Ursache zur Mittheilung wird, beweist der Verf. durch einen sehr guten Versuch. Er schnitt den Nerven eines Frosches auf einer Seite bis fast zum Bande durch. Etwas davon entfernt schnitt er den Nerven noch einmal, aber auf der entgegengesetzten Seite bis fast zum Rande durch. Durch Reizung des Raumes \u00fcber dem ersten Schnitt war es nun nicht m\u00f6glich, das unter\u2019 dem zweiten Schnitte liegende St\u00fcck der Muskeln und Nerven in Tb\u00e4tigkeit zu setzen. Der Zwmck des Plexus der Nerven scheint in Beziehung auf die motorischen Nerven zu seyn, jedem Muskel Fasern von verschiedenen Stellen des Gehirns und R\u00fcckenmarks zuzuf\u00fchren. Diess wird z. B. durch den plexus brachialis erreicht, wie die genauere Zergliederung desselben zeigt. Dann m\u00f6gen die Plexus auch zur Mischung sensorieller und motorischer Fasern je nach dem Bed\u00fcrfnis der Theile bestimmt seyn.\nIn den vorhergehenden Erfahrungsgesetzen ist bewiesen, dass die B\u00fcndel der Primitivfasern, die in einen Stamm treten, in den St\u00e4mmen isolirt ihre Kr\u00e4fte \u00e4ussern, ohne die \u00fcbrigen Primitiverem zu erregen. Aber selbst einzelne Theile eines Muskels k\u00f6nnen sich isolirt zusammenziehen, wie die einzelnen Portionen der Flexores communes und des Extensor communis digitorum Ur die einzelnen Finger. Der Musculus m\u00e9dius hat ganz verschiedene Wirkungen, je nachdem sich sein vorderer oder hin-","page":691},{"file":"p0692.txt","language":"de","ocr_de":"692 III. Buch. Nervenphrsik. III. Abschn. Mechanik d.Nervenprincips.\nterer Theil zusammenzieht. Ersterer rollt den Oberschenkel nach einw\u00e4rts, letzterer nach ausw\u00e4rts. Die einzelnen Tbeile des Sphincter palpebrarum und des Sphincter oris k\u00f6nnen isolirt wirken. Diess muss von der Wirkung verschiedener Nervenfasern abh\u00e4ngen.\nUebereinstimmende allt\u00e4gliche Erfahrungen sind, dass obgleich dieselben Nerven oft Aeste an vielerlei Muskeln geben, der Hirneinfluss sich doch auf die Aeste oder einzelnen B\u00fcndel eines Stammes, die zu den Muskeln gehen, isoliren kann. Oft isolirt sich der Nerveneinfluss vom Gehirn aus, z. B. in Krankheiten desselben auf die kleinsten Muskelparthien, welche dann beben. Da aber alle Primitivfasern anatomisch geschieden sind, so folgt aus der Verbindung dieser anatomischen und physiologischen Thatsachen, dass alle Primitivfasern in den St\u00e4mmen und Aesten in ihren motorischen Kr\u00e4ften isolirt sind. Zur Zeit, als man das bei den galvanischen Versuchen an Thieren beobachtete Princip, damals thierische Elektricit\u00e4t genannt, noch f\u00fcr die Ursache der Nervenkraft hielt, musste man annehmen, dass diese in Distanz wirke. Alex. v. Humboldt und Reil haben die galvanischen Erscheinungen, wie sie durch Metallreiz an Thieren hervorgerufen werden, zu der Idee von der sensibeln Atmosph\u00e4re der Nerven benutzt. A. v. Humboldt hat zuerst die Entdeckung gemacht, dass heterogene Metalle schon galvanisch reizen, wenn eins derselben in einer Entfernung von \\ Linien dem Muskel oder dem Nerven nahe kommt. Derselbe hat aber auch gefunden, dass die Leitung des galvanischen Stromes unter diesen Umst\u00e4nden von einem unmerklichen Verdampfen von Fl\u00fcssigkeiten abh\u00e4ngt, dass sie sogleich aufh\u00f6rt, sobald keine unmerkliche Verdunstung stattfinden kann, und dass der Stimulus um so heftiger wirkt, je leichter und schneller das angewandte Fluidum verdampft, dass mit dem Anhauchen trockner Metallplatten, welche keine Reaction mehr hervorbringen, die galvanische Reizung sogleich erfolgt.\nII, Ueber die associirteii Bewegungen oder Mitbewegungen.\nUnter Mitbewegungen versiehe ich diejenigen Bewegungen der Muskeln, welche mit intendirten willk\u00fcbrlichen Bewegungen gegen den Willen zugleich erfolgen. In fr\u00fcheren Zeiten wurden mehrere dieser Erscheinungen mit vielen anderen nicht hieher geh\u00f6renden associirte Bewegungen genannt. Wir meinen hier nur diejenigen Bewegungen, die durch Bewegungen hervorgerufen werden. Im gesunden Zustande sind diese Bewegungen schon sehr h\u00e4ufig, wir wollen die Muskeln des \u00e4ussern Ohres bewegen, aber wir bewegen bei dieser Intention auch den Musculus epi-cranius und mehrere Gesichtsmuskeln mit. Wir wollen die Nasenfl\u00fcgel heben und senken, aber wir runzeln zugleich, ohne dass wir es wollen, die Augenbraunen. Ueberhaupt k\u00f6nnen die wenigsten Menschen die Bewegungen einzelner Gesichtsmuskeln isoliren ; sie k\u00f6nnen vielmehr die einzelnen Gesichtsmuskeln nur bewegen, wenn sie in einer Gruppe von anderen Gesichtsmus-","page":692},{"file":"p0693.txt","language":"de","ocr_de":"1. Mechanik der motorischen Nerven. Mitbewegungen, 6\u201893\nkein mitspielen. Die Dammmuskeln, Musc, sphincter ani, levator ani, transversus perinaei, bulbo-cavernosus, ischio-cavernosus, pubo-urethralis werden fast immer zusammen bewegt, wenn der Wille auch nur einen einzigen iutendirt. Am auffallendsten zeigt sich diese Association bei der Bewegung der Iris. Wir sind n\u00e4mlich nicht im Stande, die Augen durch den Muse. rect. int. nach innen zu kehren, ohne zugleich die Iris mitzubewegen und zusammenzuziehen. Auch kann das Auge nicht nach Innen und aufw\u00e4rts gewandt werden (Muse, oblirj. inf.), ohne dass die Iris enge wird. Die Bewegung dieser Muskeln und der Iris h\u00e4ngt von Aesten desselben Nerven ab, n\u00e4mlich des N. oculomotorius, \u25a0welcher die kurze oder motorische Wurzel des Ganglion ciliare abgiebt. Es springt daher bei der Intention des Willens auf den N. oculomotorius, und zwar auf die jene Muskeln versehenden Primitivfasern, das Nervenprincip immer auch etwas auf einen andern Theil der Primitivfasern des N. oculomotorius, denjenigen, welcher sich in die kurze Wurzel des Ganglion ciliare fortsetzt, \u00fcber. In allen \u00fcbrigen Muskeln zeigt sich ganz etwas Aehnliches. Den meisten Menschen ist es schwer, die einzelnen B\u00e4uche des Muse, extensor communis digitorum willk\u00fchrlich in Th\u00e4tigkeit zu setzen und die einzelnen Finger z. B., den 3. und 4., die keine besonderen Strecker haben, allein zu erheben; bei Anstrengungen gar wirken viele Muskeln durch Association mit, ohne dass diese Bewegungen irgend einen Zweck haben; der Angestrengte bewegt seine Gesichtsmuskeln, als wenn er mit denselben zum Heben der Last beitragen k\u00f6nnte; bei jedem angestrengten Athmen und bei geschw\u00e4chten Menschen wirken die Gesichtsmuskeln zum Athmen unwillk\u00fchrlich mit, ohne dass die Zusammenziehung dieser Muskeln, ausser dem Heben der Nasenfl\u00fcgel irgend etwas zum Athmen beitragen k\u00f6nnte. Es sind dieser Erscheinungen so viele, und sie treten so h\u00e4ufig und allt\u00e4glich ein, dass diese wenigen Beispiele eines immer in derselben Weise sich wiederholenden Ph\u00e4nomens gen\u00fcgen k\u00f6nnen. Doch muss ich eine Thatsache noch besonders hervorheben, weil sie uns die ausgebildetste Tendenz zur Mitbewegung zwischen gleichen Theilen der rechten und linken Seite zeigt. Diess ist die will-k\u00fchrliche Bewegung der Iris. Die Bewegung der Iris ist immer gleichzeitig in beiden Augen, sowohl die durch den \u00e4ussern Reiz hervorgerufene als die von innen intendirte, und die Bewegung erfolgt immer auf durchaus gleiche Art, mag der Reiz von innen oder aussen auch nur auf ein Auge wirken. 1st nur ein Auge ge\u00f6ffnet, so ist die Weite der Pupille bei dem auf Ein Auge stattfindenden Lichteindrucke gr\u00f6sser, als wenn beide Augen bei gleichem Lichteindruck offen sind. Ist der Lichteindrucke auf beide Augen verschieden, so ist gleichwohl die Gr\u00f6sse der Pupille auf beiden Augen gleich, und entspricht dem Mittel aus beiden Licht-emdr\u00fccken. So verh\u00e4lt es sich aber auch bei von innen inten-dirten Bewegungen der Iris. Wir k\u00f6nnen die Iris immer willk\u00fchrlich bewegen durch Association, wie ich schon anf\u00fchrte, n\u00e4mlich durch Bewegung des Auges nach innen, oder nach innen und oben; aber das Merkw\u00fcrdigste hierbei ist, dass die Iris","page":693},{"file":"p0694.txt","language":"de","ocr_de":"694 III. Buch. Nereenphysik. III. Abschn. Mechanik d. Nereenprincips.\nbeider Augen sich verengt, wenn nur Ein Auge ganz nach innen gestellt wird, das andere aber seine gerade Stellung beh\u00e4lt. Ich besitze das Verm\u00f6gen, die Iris durch Einw\u00e4rtswenden der Augen zu verengern, was jeder Mensch bat, in einem ganz ausserordentlichen Grade. Schliesse ich Ein Auge A und sehe mit dem andern B gerade aus und unverwandt, so bewege ich die Iris des unverwandten Auges B ganz nach Willk\u00fchr, je nachdem ich das bedeckte Auge A einw\u00e4rts oder ausw\u00e4rts drehe. Hier ist die Ursaohe der wunderbaren Bewegung verdeckt, und die Bewegung erscheint'um so auffallender, als das Auge, worauf die verborgene Ursache mitwirkt, ganz unverwandt ist. Sogleich wird aber dem Beschauer die Ursache offenbar, sobald ich das Auge B \u00f6ffne, wo man dann sieht, dass ich, sobald ich die Iris in dem unverwandten Auge B verengern will, das Auge A nach innen steile. Offenbar muss nun im Gehirn eine durch die Lagerung der Fasern bedingte Intention seyn zur Association der Wirkungen in den Primitivfasern der N. \u00f6culomotorii, welche in die kurze Wurzel des Ganglion ciliare gehen. Ein interessantes, nach unseren Principien leicht erkl\u00e4rbares Factum ist die Verengerung der Iris beider Augen im Schlafe. Diess ist auch eine Mitbewegung, deren Ursache die Stellung der Augen nach innen und oben im Schlafe ist, wo mit der Th\u00e4tigkeit des entsprechenden Zweigs des Oculomotorius auch die Mitreizung der zum Ganglion ciliare gehenden Fasern des Oculomotorius vom Gehirn aus erfolgt. Ausser der Iris haben noch viele andere Muskeln beider Seiten die Tendenz zur Association ihrer Bewegungen vom Gehirn aus. So sind die Augenmuskeln zur Mitbewegung geneigt, denn es ist unm\u00f6glich, das eine Auge abw\u00e4rts, das andere aufw\u00e4rts, oder beide zugleich nach ausw\u00e4rts zu stellen. Immer bewegt sich das eine Auge unwillk\u00fchrlich nach einw\u00e4rts, wenn das andere nach ausw'\u00e4rts gedreht wird. Ausf\u00fchrlicher werden wir davon im zweiten Bande dieses Werkes in der Lehre von den Bewegungen handeln. Es geh\u00f6rt Uebung dazu, ein Auge allein offen zu halten, also bloss den Musculus levator palpebrae superioris einer Seite durch den Nervus oculomotorius zu bewegen. Wenige Menschen k\u00f6nnen die Gesichtsmuskeln der einen Seite durch den N. facialis anders wirken lassen als auf der andern Seite. Ich vermag die Ohrmaskein zu bewegen, selbst die kleineren, wenigstens ganz deutlich den Muse, an titra gi eus ; aber wenn ich diess an einem Ohre thun will, geschieht es immer zugleich an dem andern Ohre. Ich weiss nicht, ob ein Mensch den Muse, stylohyoideus einer Seite allein bewegen kann. Selbst am Rumpfe zeigt sich eine \u00e4hnliche Tendenz zur gleichzeitigen Bewegung derselben Muskeln, aber viel geringer; die Bauchmuskeln und Dammmuskeln, das Zwerchfell wirken last immer von beiden Seiten zugleich, und selbst die Nerven und Muskeln der Extremit\u00e4ten, wenn sie auch in dieser Hinsicht freier sind, entziehen sich doch dem allgemeinen Gesetze nicht ganz; wenigstens ist es bekanntlich schwer, entgegengesetzte ro-tirende Bewegungen einer gewissen Richtung z. 13. um eine gemeinschaftliche Querachse, mit beiden oberen oder beiden unte-","page":694},{"file":"p0695.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Gesetze, der Leitung. 695\nren Extremit\u00e4ten zu vollziehen, w\u00e4hrend gleichartige Bewegungen mit beiden Extremit\u00e4ten zugleich sehr erleichtert sind.\nDie Theorie aller dieser Erscheinungen ist offenbar. Da die Primitivfasern aller willk\u00fcbrlichen Nerven im Gehirn zuletzt sammt und sonders explicirt werden, um dem Einfluss des Willens unterworfen zu werden, so kann man sich die neben einander inr Gehirn zum Vorschein kommenden Anf\u00e4nge aller Nervenfasern willk\u00fchrlicher Nerven gleichsam wie die Tasten eines Claviers vorstelien, welche der Gedanke spielt oder anschl\u00e4gt, indem er die Str\u00f6mung oder Schwingung des Nervenprincips in einer gewissen Anzahl Primitivfasern, und dadurch Bewegung veranlasst. Am Ursprung dieser Fasern muss aber die Leitung der Hirnsubstanz die gleichzeitige Affektion nahe liegender Primitivfasern erleichtern, so dass es der Intention des Willens schwer wird, sich auf einzelne Primitivfasern zu beschr\u00e4nken. Diese F\u00e4higkeit der Isolation wird aber durch Uebung erlangt, das heisst, je \u00f6fter eine gewisse Zahl Primitivfasern der Intention des Willens ausgesetzt wird, um so mehr erhalten sie die Neigung, der Intention allein, ohne die nebenliegenden Primitiv fasern, zu gehorchen, um so mehr bilden sich gewisse Wege der leichtern Leitung aus. Wir sehen in gewissen K\u00fcnsten diese F\u00e4higkeit der Isolation auf den h\u00f6chsten Grad der Ausbildung gebracht, wie heim Spielen musikalischer Instrumente, besonders heim Clavier-spielen.\nAlle Mitbewegungen haben ihren Ursprung im Gehirn selbst, durch eine Communication der Primitivfasern in einem motorischen Nerven k\u00f6nnen sie nicht erkl\u00e4rt werden, weil die Primi-tivfasern nicht communiciren, und weil die Reizung eines Thei-les von einem grossen Nervenstamm niemals auf die \u00fcbrigen Theile des Nervenstammes, sondern nur auf die Fortsetzung der Fasern des gereizten Theiles vom Stamme wirkt. Siehe oben p. 6S9.\nDurch, den N. sympathicus k\u00f6nnen die Mitbewegungen auch nicht erkl\u00e4rt werden, weil dieser auch keine Verbindungen der einzelnen Theile eines motorischen Nerven unterh\u00e4lt, auch nicht die symmetrischen Nerven Leider Seiten, sondern nur das Gehirn und R\u00fcckenmark diese verbindet.\nII. Capitel. Mechanik der Empfindungsnerven.\nI. Von den Gesetzen der Leitung in den sensibeln Nerven.\nUm Empfindung zu haben, muss ein Nerve noch mit dem Organe des Bewusstseyns, mit dem Gehirn unmittelbar oder mittelbar durch das R\u00fcckenmark Zusammenh\u00e4ngen. Betrachten wir jetzt auch hier das Verh\u00e4ltniss der Nerven\u00e4ste zu den Nerveu-st\u00e4mmen.\nI. Wenn ein Nervenstamm gereizt ist, so haben alle The\u00fce, welche Zweige von dem Stamme erhalten, Empfindung der Reizung, und es ist eben so gut, als wenn alle letzten Zeste desselben gereizt M \u00fc 11 e r\u2019s Physiologie. 1.\t45","page":695},{"file":"p0696.txt","language":"de","ocr_de":"696 III. Buch. Neroenphysik. lll.Abschn. Mechanik d. A ervenprincips.\nwerden. Reizt man einen Zweig eines Nervenstammes, so ist die Empfindling des Reizes auf den Tiieil beschr\u00e4nkt, zu welchem dieser Zweig hingeht. Reizt man den Stamm aller Zweige, so ist die Empfindung auf alle Theile ausgedehnt, zu welchen Zweige dieses Stammes hingehen. Diese Versuche kann man begreiflich nur an sich selbst anstellen, sie liefern aber eben so sichere Resultate, wie die Versuche \u00fcber Bewegung hei Thieren. Wenn man den N. eubitalis absichtlich \u00fcber der innern Seite des Eli-' bogens oder \u00fcber dem Condylus internus zerrt oder quetscht, indem man mit den Fingern den N. eubitalis hin und her schiebt und dr\u00fcckt, so hat man die Empfindung von Prickeln und Nadelstichen, oder von einem Stoss in allen Theilen, in welchen sich der N. eubitalis endlich verzweigt, namentlich in der Fl\u00e4che und auf dem R\u00fccken der Hand, in dem 4. und 5. Finger. Dr\u00fcckt man st\u00e4rker, so hat man auch Empfindungen im Vorderarme. Durch starkes Auf- und Abw\u00e4rtsstreichen mit dem Daumen an der innern Fl\u00e4che des Oberarms und durch Druck in die Tiefe am obersten innern Theile des Arms trifft man leicht den Nervus radialis, medianus, und man hat \u00e4hnliche Empfindungen in den Theilen, wo sie sich verbreiten. Dr\u00fcckt man einen grossen Nervenstamm f\u00fcr ein ganzes Glied, z. B. den Nervus ischiadicus, so hat man die bekannte Empfindung von Prickeln, Nadelstichen und Einschlafen im ganzen Beine, und leicht kann man es durch eine besondere Lage des Oberschenkels heim Sitzen so einrichten, dass der N. ischiadicus hei seinem Austritt schon gedr\u00fcckt wird. Auf diese Art kann man nach und nach die Stellen finden, wo man durch mechanische, ganz unsch\u00e4dliche Reize an vielen auch kleinen Nerven \u00e4hnliche Versuche an seinem eigenen K\u00f6rper anstellen kann, wie sonst \u00fcber Bewegungen an Thieren angestellt werden. Man wird sich dabei immer \u00fcberzeugen, dass hei Reizung eines Stammes jedesmal die Empfindung in den \u00e4usseren Theilen aller seiner Aeste stattfindet, gerade so wie bei Reizung eines Muskelnervenstammes die Bewegungen in den Muskeln aller seiner Aeste stattfinden. Es ist also hier gerade so wie hei der motorischen Kraft, nur dass diese noch auf die Muskeln durch Reizung des Nerven wirken kann, wenn der Nerve schon nicht mehr mit dem Gehirn zusammenh\u00e4ngt, die Empfindung aber nur stattfindet, wenn die Reizung der Nerven noch zu dem Gehirn gelangt.\nII. Die Reizung eines Nervenzweiges ist mit Empfindung begleitet, die auf die Verbreitung dieses Zweiges beschr\u00e4nkt ist, und (wenigstens in der Regel) nicht mit Empfindung in den Nervenzwei-gen, die h\u00f6her com IS1 erpenstamme oder von demselben Plexus abgehen Die Thatsachen, welche hierher geh\u00f6ren, sind zu bekannt, als dass ich sie einzeln auff\u00fchren m\u00fcsste. Die Reizung der Haut wird in der Regel nur da empfunden, wo sie stattfindet. Niemals wirkt diese Reizung auf den Plexus brachialis und die \u00fcbrigen Nerven desselben zur\u00fcck. Dass ein Empfinduugsnerve, der mit einem andern empfindlichen Cerebrospinalnerven anastomo-sirt, nicht die Empfindungen auf den Stamm des zweiten Nerven \u00fcbertr\u00e4gt, dass die Anastomose vielmehr nur ein Apparat zur","page":696},{"file":"p0697.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Gesetze der Leitung. 697\nweitern peripherischen Vertheilung der Primitivfasern ist, geht aus den p. 669. angef\u00fchrten Versuchen von Gaedechens am N. facialis und infraorbitalis hervor; denn bei den Anastomosen zwischen Aesten beider Nerven geht nichts vom N. infraorbitalis auf den Stamm des N. facialis, oder von N. facialis auf den N. infraorbitalis zur\u00fcck, sondern von beiden Nerven gehen die Fasern aus der scheinbaren Anastomose nur peripherisch weiter. Als Gaedechens einen Zweig des N. facialis zum N. infraorbitalis durchschnitt und das dahingehende St\u00fcck des N. facialis reizte, entstanden keine Empfindungen, es ging also vom N. facialis von dort aus nichts durch den N. infraorbitalis zum Gehirn zur\u00fcck. Ehen so wenig wird man an einem vom Stamme des N. infraorbitalis abgetrennten, noch mit dem N. facialis zusammenh\u00e4ngenden St\u00fcck des N. infraorbitalis Schmerzen erregen k\u00f6nnen. Es ist also gerade so wie'mit der motorischen Kraft, welche nach Reizung eines Nervenzweigs niemals Zuckungen durch Nervenzweige, die h\u00f6her aus dem Stamme entspringen, zur\u00fcckwirkend erzeugt. Unter gewissen Bedingungen k\u00f6nnen indess auch von einem einzelnen Nerven aus sehr ausgebreitete Empfindungserscheinungen entstehen. Diese Ph\u00e4nomene sind indess nur durch Mitwirkung der Centralorgane, des Gehirns und R\u00fcckenmarks und nicht durch Wechselwirkung der Nerven selbst zu erkl\u00e4ren, wie sp\u00e4ter gezeigt werden wird.\nIII. Erh\u00e4lt ein Theil durch eine Nervenanastomose verschiedene Nerven gleicher Art, so kann nach der L\u00e4hmung des einen der andere Nerve nicht die Empfindung des ganzen Theilcs unterhalten, vielmehr entspricht der Umfang der noch empfindlichen Stellen der Zahl der noch unversehrten Primitivfasern. Anastomosiren zwei Nerven mit einander, so kann die eine Wurzel der Anastomose nicht die andere ersetzen, so wie die Arterien durch Anastomose einander ersetzen, sondern \u00fcberall, wo zwei Cerebrospinalnerven sich aneinander legen, um einen dickem Stamm zu bilden, werden durch die L\u00e4hmung der einen Wurzel dieses Stammes auch alle Primitivfasern gel\u00e4hmt, die von diesem W\u00fcrzelchen in den Stamm treten, und es bleiben nur diejenigen Fasern des Stammes \u00fcbrig, die von der noch nicht gel\u00e4hmten Wurzel kommen. Auf diese Art kann nach der Durchschneidung des N. ulnaris, welcher den 5. und 4. Finger, zum Theil auch 3. Finger versieht, dieser nicht durch die Communication dieses Nerven mit dem N. medianus und radialis ersetzt werden, sondern die Durchschneidung des N. ulnaris l\u00e4hmt die Empfindung in diesen beiden Fingern, wie bekannt ist. Bleibt noch eine geringe Spur von Empfindlichkeit an der Aussenseite des 4. Fingers zur\u00fcck, so muss sie von den Primitivfasern herr\u00fchren, die vom N, medianus sich zum Ramus volaris des N. ulnaris gesellen. Die geringe Empfindlichkeit, die im Gliede von einem der Nerven zur\u00fcckbleibt, kann also immer aus nicht eommunicirenden und nur scheinbar anastomotischen Fasern anderer Nerven erkl\u00e4rt werden. Diese Facta w\u2019erden vollkommen durch die Geschichte der \u00f6rtlichen L\u00e4hmungen erl\u00e4utert. In einem Falle, in welchem Earle {Med. Chirurg, transact. Vol, VII.) einen Theil des Ulnarnerven hinter dem Condylus int. ossis hu-nieri ausschnitt, konnte der kleine Finger noch f\u00fcnf Jahre nach\n45*","page":697},{"file":"p0698.txt","language":"de","ocr_de":"698 III. Buch. Neroenphysik. III. Absehn. Mechanik d.Nervenprincips.\nder Operation nicht gebraucht werden, und batte nur unvollkommene Empfindungen. Swan bemerkt hierbei mit Recht, wenn die vermeinte Communication auch nur in einem geringen Grade vorhanden w\u00e4re, w\u00fcrden dann nicht die Anastomosen, welche zwischen dem Tlieil des Ulnarnerven, der unterhalb der Trennung liegt, und dem Nervus mediauus und radialis stattfinden, eine hinl\u00e4ngliche Verbindung jen'es Theiles mit dem Gehirn unterhalten haben, wenn jenes Fortleiten des Nerveneinflusses so leicht w\u00e4re? a. a. O. p. 68. Swan erz\u00e4hlt p. 69. einen andern Fall, wo nach einer Schnittwunde am Vorderarm, drei Zoll vom Handgelenk, wobei der N. radialis und medianus durchschnitten worden zu seyn schienen, im Daumen und den beiden n\u00e4chsten Fingern, so wie in den Theilen der Hand, welche diesen entsprechen, auf dem R\u00fccken und in der Fl\u00e4che das Gef\u00fchl verloren war, dagegen in dem 4. und 5. Finger und in den Theilen der Hand, in welchen sich der N. ulnaris vertheilt, das Gef\u00fchl erhalten war.\nWenn daher Nerven vielfache Anastomosen zu bilden scheinen, und in den B\u00fcndeln desselben Stammes oft von Zoll zu Zoll Anastomosen ihrer Scheiden eingehen, w\u00e4hrend die Primitivfasern parallel fortgehen, so hat die Natur nichts den Anastomosen der Gef\u00e4sse Gleiches gebildet, sondern vorgesehen, dass dieselben Theile Primitivfasern von verschiedenen Nerven aus erhalten. Diese Anordnung war darum um so n\u00fctzlicher, als sonst durch Verletzung eines Nerven die Verbindung eines Theiles mit dem Gehirn ganz aufgehoben w\u00e4re.\nIV. Verschiedene Theile, in der Dicke eines Empfindungsnerven gereizt, bewirken dieselben Empfindungen, ovie wenn verschiedene Endzweige dieser Theile des Stammes gereizt werden. Beweis. Wenn man den N. cubitalis auf die schon beschriebene Art an sich selbst mechanisch reizt, besonders indem man ihn mit den Fingern dr\u00fcckend hin und her schiebt, so hat man die Empfindung von Prickeln, Nadelstechen in der Hohlhand, im R\u00fccken der Hand und am 4. und 5. Finger. Aber je nachdem man gerade dr\u00fcckt, tritt das Prickeln bald am 4., bald am 5. Finger, bald in der Hohlhand, bald auf dem R\u00fccken der Hand ein, und in der Hohlhand wie auf dem R\u00fccken derselben wechselt auch der Ort des prickelnden Punktes, je nachdem sich der Druck am N. cubitalis \u00e4ndert, also verschiedene Fasern dieses Nerven oder Faserb\u00fcndel mehr gedr\u00fcckt werden als andere. So wird man es auch finden bei Reizung der Nervenst\u00e4mme am Oberarm; allein beim N. cubitalis l\u00e4sst sich gerade am besten der Druck auf verschiedene Theile in der Dicke des Nerven isoliren, je nachdem man bald dr\u00fcckt, bald den Nerven in der Furche am Condylus internus bumeri am Ellbogen mit dem Finger der andern Hand hin und her schiebt. So habe ich auch durch heftigen Druck auf den N. infraorbitalis an der Austrittsstelle aus dem Foramen infraorbitale das Prickeln an der Wange und der Oberlippe an verschiedenen Stellen empfunden, je nachdem der Druck und das dr\u00fcckende Hin- und Herschieben wechselte. Die Application des Druckes auf den N. infraorbitalis ist \u00fcbrigens","page":698},{"file":"p0699.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Gesetze der Leitung. 699\nviel schwerer, weil man die Anstrittsstelle des Nerven durch Druck und die erfolgenden Gef\u00fchle erst bestimmt ausmitteln muss.\nIL Die Empfindungen der feinsten Nervenfasern, wie die der Nereenstiimme, sind isolirt und vermischen sich nicht mit einander von den \u00e4usseren Theilen bis zum Gehirn. Beweis. Dieser Schluss ergiebt sich aus den vorher rnitgetheilten \u2022 Tbatsachen und Gesetzen, Fr\u00fcher wurde bewiesen, dass alle Primitivfasern eines Nerven sich niemals verzweigen oder verbinden, weder im Stamme noch in den Anastomosera der Nerven, wo die Primitivfasern bloss aus einer Scheide in die andere Scheide \u00fcbergehen und neue Ordnungen bilden, indem sie sich nur parallel an andere Primitivfasern anlegen. Es wurde gezeigt, dass der Nervenstamm auf diese Art das Ensemble aller Primitivfasern ist, die sich aus seinen Aesten entwickeln, und dass also eine prastahilirte Harmonie der Fasern des Stammes mit den Elementen der feinsten Zweige existirt. Es wurde ferner bewiesen, dass die Stamme der Nerven dieselbe Empfindung haben als alle Zweige zusammen, dass ein Ast des Stammes hei dem Reiz keine Empfindung in anderen Aesten desselben Stammes erregt, dass ein Theil eines Stammes eben solche Empfindungen hat, als wenn einzelne Theile von den Zweigen des Stammes oder der Theile, wo sie hingehen, gereizt .werden. Fasst man diess Alles zusammen, so wird man den vorher aufgestellten Schlusssatz zugehen m\u00fcssen, obgleich er nur approximativ und nicht von jeder feinsten Primitivfaser erwiesen ist. E. II. Weber\u2019s sch\u00f6ne Versuche, nach welchen die Unterscheidungskralt f\u00fcr die Distanz zweier die Haut ber\u00fchrender K\u00f6rper in verschiedenen Theilen sehr verschieden ist, und nach welchen mehrere Theile des K\u00f6rpers, wie die Zungenspitze, die Distanz zweier K\u00f6rper schon auf \u2022\u00a7 Linie Entfernung, andere, wie die Mittellinie des R\u00fcckens, nur auf 30 Linien Entfernung unterscheiden, ist kein Einwurf wider jenen Satz; denn jene Unterscheidungskraft h\u00e4ngt wohl davon ab, wie viel oder wie wenig Primitivfasern sensibler Nerven zu einem gewissen Felde des Hautorganes hingehen.\nEs fragt sjth nun, wenn die Primitivfasern der Nerven, die' im Stamme vereinigt zusammenliegen, in den Aesten ausgebreitet werden, an verschiedenen Stellen ihrer L\u00e4nge gereizt sind, was f\u00fcr eine Empfindung sie haben, ob die Empfindung auch dann in Hinsicht des Ofts immer eine ist, oder oh die Empfindungen an verschiedenen Stellen in der L\u00e4nge der Primitiv fasern als verschiedene unterschieden werden. Kann ich es aus der Empfindung wissen, oh ein und dasselbe B\u00fcndel Primitivfasern an seinem Stamme, in den Aesten oder in der Haut, wo sie sich entwickelt haben, gereizt wird? Die Antwort ist zum Theil in den vorher rnitgetheilten Beobachtungen enthalten.\n1) Wenn der Stamm eines Nerven gereizt wird, so ist die Empfindung, als wenn alle die Primitivfasern gereizt w\u00fcrden, welche sich in die \u00e4usseren Theile begehen, und die Empfindung bat eben so gut scheinbar in den \u00e4usseren Theilen statt, als wenn diese selbst gereizt werden.","page":699},{"file":"p0700.txt","language":"de","ocr_de":"700 III. Buch. Neroenphfsik, III. /Ihsctm. Mechanik d. Nervenprincips,\n2)\tWenn verschiedene Primitivfasern in einem Nervenstamme gereizt werden* so ist die Empfindung, als wenn verschiedene Punkte an den \u00e4usseren Thcilen gereizt werden.\n3)\tDie Reizung jedes Astes ist mit Empfindung begleitet an den Theilen, zu welchen der Ast hingeht.\nEs scheint also gleich, wo die Primitivfasern gereizt werden: in den St\u00e4mmen selbst, wo sie noch neben einander liegen, in den Aesten, wo sie sich in B\u00fcndel abgetheilt haben, oder in den \u00e4ussersten Theilen, wo sie sich ganz vereinzeln. Wird die Haut gereizt durch Nadelstiche oder indem M\u00fccken dar\u00fcber laufen, sind also die Enden der Prirnitivfasern irritirt, so haben wir dort die Empfindung von Nadelstichen und M\u00fcckenlaufen; werden dagegen die Massen der Prirnitivfasern in einem kleinen Zweig am Finger gedr\u00fcckt, so entsteht die Empfindung von Nadelstichen und M\u00fcckenlaufen in der Haut der Finger; wird ein ganzer Stamm gedr\u00fcckt, so entsteht dieselbe Empfindung von Nadelstichen und M\u00fcckenlaufen in der Haut, wo die letzten Enden der Prirnitivfasern des Stammes hingehen. Ist der Druck auf den Stamm z. B. des Nervus cubitaiis oder eines anderen an der innern Seite des Oberarms pl\u00f6tzlich und stark, so ist die Empfindung wie von einem elektrischen Schlage in allen Fasern, in welchen sich der Stamm verbreitet; aber dieser Schlag f\u00fchlt sich scheinbar nicht da, wo der Nerve gedr\u00fcckt wird, sondern da, wo die Prirnitivfasern des Nervenstammes in der Haut der F. nger, der Hand, in den Muskeln des Vorderarms sich enden. Es geh\u00f6ren hielier auch die Ph\u00e4nomene bei der Durchschneidung der Nerven beim Menschen in Amputationen. Im Momente der Durchschneidung der Nerven werden die heftigsten Schmerzen scheinbar in dem zu ampulirenden Theile, worin sich die durchschnittenen Nerven verbreiten, empfunden. Diess ist etwas ganz. Constantes, wie mir auf meine Frage der erfahrungsreiche Dirigent der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses zu Hamburg Herr Dr. Fkicke versichert hat. Da jede Primitivfaser eines Nerven bei ihrer L\u00e4nge vom Gehirn, durch den Stamm des Nerven in die Acste, bis in die Haut nur in einem Punkte n\u00e4mlich am Ende mit dem Gehirn zusammen h\u00e4ngt., so scheint es ganz consequent, dass diese Primitivfasern unten in der Haut, in der Mitte oder im Stamme afficirt, dieselben Empfindungen haben sollen; denn alle Empfindungen, die in ihrer ganzen L\u00e4nge stattfinden, k\u00f6nnen sie doch nur in einem einzigen Punkte mit dem Gehirn oder dem Organe des Bewusstseyns in Verbindung bringen. Es scheinen daher alle Prirnitivfasern eines Nerven, m\u00f6gen sie lang oder kurz seyn, immer nur einen Punkt im Gehirn zu repr\u00e4sentiren , der immer dieselbe Empfindung zum Bewusstseyn bringt, mag die Faser in der Haut afficirt seyn oder im Stamme. Wir scheinen bei Reizung der Nervenfasern an verschiedenen Orten ihrer L\u00e4nge die Empfindungen immer in der Haut zu haben, weil sie in der Regel immer dann entsteht, wenn die Haut oder die H\u00e4utenden der Primitivfasern afficirt werden. So richtig diese Schl\u00fcsse ans den bisher angef\u00fchrten Beobachtungen sind, so ist diese Theorie der Empfindungen doch noch ziem-","page":700},{"file":"p0701.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Gesetze der Leitung. 701\nlieh weit von einem vollkommenen Beweise entfernt, wie sich aus Folgendem ergiebt.\nVI. Obgleich beim Druck auf einen Nervenstamm, die Empfindungen in den \u00e4usseren Theilen zu seyn scheinen, wird doch auch ein heftiger Druck des Stammes zugleich an der Druckstelle des Stammes empfunden. Diese Erfahrung macht man sonst nur selten, indem man sich an den Nervus ulnaris anst\u00f6sst. Man kann aber ohne gewaltsame Eingriffe auch Versuche dar\u00fcber an sich anstellen. Dr\u00fcckt man n\u00e4mlich den Nervus ulnaris \u00fcber dem Condylus internus humeri allm\u00e4hlig verst\u00e4rkt an den Knochen an, indem man ihn bei dem Druck zugleich fixirt und nicht verschiebt, so wird zwar der ganze Arm unter der Druckstelle, und zwar so weit sieb der Nervus ulnaris verzweigt, schmerzhaft, allein ein lebhafter, nicht bloss von der Empfindlichkeit der umliegenden Theile herr\u00fchrender Schmerz, der seinen Sitz im Stamme des Nervus ulnaris hat, f\u00fchlt sich auch an der Druckstelle. Diess d\u00fcrfte nach Analogie der vorhergehenden und noch sp\u00e4ter zu beschreibenden Erscheinungen nicht seyn, und es scheint, dass uns hier noch etwas R\u00fcthselhaftes, f\u00fcr die Theorie der Empfindungen Wichtiges verborgen ist. Man beobachtet etwas Aehnliches bei den Neuromen. D ic characteristischen Symptome dieser Geschw\u00fclste der Nerven sind zwar, dass die Schmerzen in allen Theilen, zu welchen der Nerve hingeht, z. B. bei einer Geschwulst des Nervus ulnaris am Oberarm, die Schmei'-zen in der Hand und am 4. und 5. Finger furchtbar heftig auf-treten, wie denn auch im Moment der Durehscbneidung des kranken Nerven \u00fcber der Geschwulst in jenen Theilen die furchtbarsten Schmerzen eintreten (von mir selbst bei einer vom Professor Wutzeh im chirurgischen Clinico gemachten Durchschneidung des Nervus ulnaris am Oberarm \u00fcber einem Neuroma desselben beobachtet). Vergl. Aronssohn observ. suites tumeurs d\u00e9velopp\u00e9es dans les nerfs. Strasb. 1822. p. 9. Allein auch das Neuroma selbst pflegt sehr schmerzhaft und empfindlich zu seyn. An diese Erfahrungen, dass ein Nervenstamm af-ficirt sowohl an den Theilen, zu welchen seine Zweige hingehen, als an sich selbst Empfindungen verursacht, schliesst sich eine \u00e4hnliche Erscheinung vom R\u00fcckenmark an, bei dessen Krankheiten die Schmerzen in der Reget in allen unter der afficirten Stelle liegenden peripherischen Theilen, allein zuweilen, obgleich selten, wie bei der Neuralgia dorsalis, auch in der Mittellinie des R\u00fcckens vorgefunden werden.\nLeider bat die aus\u00fcbende Chirurgie die herrliche Gelegenheit, Beobachtungen \u00fcber die Erscheinungen bei der Durchschneidung der Nerven anzustellen, bis jetzt so wenig benutzt. Bei einem so gewaltsamen Eingriff in die Organisation eines Menschen, wie die Amputation oder die Durehscbneidung eines Nerven, m\u00fcssten sich die wichtigsten physiologischen Fragen aufdr\u00e4ngen.\nAuch die Verbreitung der Schmerzen in den Neuralgien nach dem Verlauf der Nerven scheint der Tr\u00fcber angef\u00fchrten Theorie der Empfindungen zu widersprechen. Doch muss bemerkt wer-","page":701},{"file":"p0702.txt","language":"de","ocr_de":"702 III. Buch. Nervenphysik. III. Abschn. Mechanik d.Nervenprincips.\nden, dass die Verbreitung der Schmerzen in den Neuralgien keineswegs immer nach dem Verlauf der Nerven erfolgt. In mehreren F\u00e4llen von reinen Neuralgien, die ich in Berlin untersuchte, verliefen die Schmerzen durchaus nicht nach der anatomischen Verbreitung des Nerven; ich sah z. B. eine Neuralgie des Gesichts, die vom Scheitel anfangend durch die Orbita auf die Wange ging und dort endete. Bei einer andern Neuralgie konnte man den N. ulnaris, so gut als den N. radialis im Verdacht haben, und doch passte Beides nicht recht. Eben so sah ich eine Neuralgie am Schenkel, die der Arzt wohl gew\u00f6hnlich f\u00fcr Ischiadik, aber ein Anatom nicht daf\u00fcr halten w\u00fcrde. Dagegen sah ich auch wieder eine Neuralgie der N. facialis und lingualis, wo die Schmerzen, wenn auch nicht constant, doch \u00f6fter unter dem Ohr hervorzukommen und sich strahlenf\u00f6rmig im Gesicht zu verbreiten schienen. Bei demselben Manne ging der Schmerz oft gegen die anatomische Verbreitung, und warf sich oft vom Gesicht auf die Zunge. In diesem Falle bilden die Neuralgien aber einen Einwurf gegen die fr\u00fcher erw\u00e4hnte Theorie der Empfindungen. Wenn die oben erw\u00e4hnten Thatsachen gegen jene Theorie von der Mechanik der Empfindungen sprechen, so sind ihr die folgenden wieder g\u00fcnstig; hier fehlt uns ein Aufschluss, der diese Widerspr\u00fcche aufhellt.\nVII. W.enn die Empfindung in den \u00e4usseren Theilen durch Druck oder Durchschneiden vollkommen gelahmt ist, so kann der gereizte Stamm des Nerven noch Empfindungen haben, welche in den analogen \u00e4usseren Theilen zu seyn scheinen. Beweis. Es giebt bekanntlich L\u00e4hmungen, bei welchen die Glieder durchaus keine Empfindlichkeit f\u00fcr \u00e4ussere Reize haben, und wobei gleichwohl die heftigsten Schmerzen in dem f\u00fcr \u00e4ussere Reize unempfindlichen Theile stattfinden. Solche Glieder kann man stechen, anschneiden, stossen, ohne die geringste Empfindung, und dennoch sind die Schmerzen aus inneren Ursachen zuweilen stark. Bei dem bisherigen rohen Zustande der Nervenphysiologie waren diese F\u00e4lle ein Widerspruch, ein unaufl\u00f6sliches R\u00e4thsel. In Bonn habe ich einen solchen Fall bei einem gewissen Heiden r ei ca gesehen, der an den unteren Extremit\u00e4ten vollst\u00e4ndig, sowohl in Hinsicht der Empfindung als der Bewegung, gel\u00e4hmt ist. Von Zeit zu Zeit werden die Glieder von Zuckungen ergriffen, wobei heftige Schmerzen im ganzen Beine eintreten, aber die Empfindung f\u00fcr \u00e4ussere Reize nicht wiederkehrt. Wenn die \u00e4usser ren Theile der Nerven gel\u00e4hmt sind, so kann die Irritation der St\u00e4mme noch die heftigsten Schmerzen verursachen, welche in den \u00e4usseren Theilen zu seyn scheinen (Anaesthesia dolorosa). Man sieht leicht ein, dass die schmerzhaften L\u00e4hmungen der Empfindung vorz\u00fcglich solche seyn m\u00fcssen, wo die \u00e4usseren f heile der Nerven gel\u00e4hmt sind, die St\u00e4mme und Urspr\u00fcnge aber noch unversehrt, also in den rein \u00f6rtlichen L\u00e4hmungen der Nerven bei vollkommener Integrit\u00e4t des Gehirns und R\u00fcckenmarks, wie in den \u00f6rtlichen rheumatisch-gichtischen L\u00e4hmungen, in \u00f6rtlichen L\u00e4hmungen, die durch Druck auf die Nerven, durch gangli\u00f6se Anschwellungen der Nerven verursacht sind. Earle","page":702},{"file":"p0703.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindunzsnerven. Gesetze der Leitung. 703\nerz\u00e4hlt einen Fall (med. Chirurg, transact. 7. 173. Meckel\u2019s Archiv 3. 419.) von L\u00e4hmung des Armes durch emen Schl\u00fcsselbeinbruch. Die Finger und der ganze Arm waren empfindungslos gegen \u00e4ussere Eindr\u00fccke, dennoch empfand der Kranke bei jedem Versuch das Glied zu bewegen, bisweilen sogar bei voller Ruhe, heftige Schmerzen in den Fingerspitzen.\nHierher geh\u00f6rt auch die durch unz\u00e4hlige Erfahrungen best\u00e4tigte Thatsache, dass die D\u00fcrchschneidung der Nerven bei Neuralgien in der Reget nichts fruchtet, und dass die Schmerzen oft wiederkehren, obgleich die Nerven durchschnitten, ja st\u00fcckweise ausgeschnitten waren, so dass die Schmerzen in der Wange eben so heftig wurden als zuvor. In der That, wenn der Nervenstamm die Ursache der Neuralgie ist, kann die Durchschnei-dung des Stammes z. B. des Nervus facialis, infraorbitalis, durchaus nichts fruchten, denn der Stumpf des Stammes, der noch mit dem Gehirn in Verbindung steht und noch alle Primitivfasern enth\u00e4lt, die sich in der Haut entwickelten, hat, wie wir wissen, bei seinen Reizungen dieselben Empfindungen scheinbar in den \u00e4usseren Theilen, als wenn diese selbst afficirt sind. Nur selten fruchtet die Durchschneidung des Nerven und die Ausschneidung eines St\u00fcckes, und nat\u00fcrlich nur dann, wenn die Ursache der Neuralgie in den Aesten, nicht im Stamme war.\nMit der Durchschneidung eines Nerven h\u00f6rt daher nur die M\u00f6glichkeit aut, mit dem Hautende der Nervenfasern \u00e4ussere Eindr\u00fccke zu empfinden, weil der Eindruck nicht mehr zum Gehirn geleitet werden kann. Aber dieselben Empfindungen, die sonst aus \u00e4usseren Eindr\u00fccken entstehen, werden aus innerer Ursache erscheinen, wenn nur die Primitivfasern des Stammes mit dem Hirn- oder R\u00fcckenmark in Verbindung stehen.\nWenn ein Nerve zuf\u00e4llig z. B. am Finger durchschnitten wird, so tritt im Zeitr\u00e4ume der Wundentz\u00fcndung Schmerz in dem gel\u00e4hmten Theile des Fingers ein, w\u00e4hrend derselbe Theil gar kein Gef\u00fchl gegen \u00e4ussere Reize hat. Die Empfindung des Schmerzes vergeht wieder nach der Wundentz\u00fcndung, und nun ist der Theil wieder ganz empfindungslos. Von besonderem Interesse ist in dieser Hinsicht eine Beobachtung von Gruith-jisen an sich; die ich schon p. 411. ber\u00fchrt habe. Nach einer Verwundung am Daumen, welche den N. dorsalis radialis pollicis durebschnitt, wurde die Seite des Daumenr\u00fcckens bis unter den Nagel ganz unempfindlich. ZurZeit der Entz\u00fcndung wurde diese Hautstelle sehr schmerzhaft; diese Schmerzen verschwanden nach acht Tagen mit der Heilung, worauf der f\u00fcr \u00e4ussere Eindr\u00fccke unempfindliche Zustand allein \u00fcbrig blieb. Wenn Gruithuisen sp\u00e4ter auf die Narbe klopfte, hatte er die Empfindung von Priktein unter dem Nagel. Beitrage zur Physiognosie und Eautognosie.\nEverard Home erz\u00e4hlt in den Phil, transact, einen Fall von Gesichtsschmerz. In einem Falle, wo man die Durchschneidung des Nerven verrichtet, gelang die Vereinigung per primam inten-tionem nicht, und w\u00e4hrend der Zeit, dass die Wunde offen war, verursachte der entz\u00fcndliche Zustand des getrennten Nervenen-","page":703},{"file":"p0704.txt","language":"de","ocr_de":"704 III. Buch. Nervenphysik. IlI.Abschn. Mechanik d. Nervenprincips.\ndes dem Kranken Anf\u00e4lle, die denen glichen, welche er vor der Operation erlitten hatte. Als aber die Wunde vollst\u00e4ndig geheilt war, trat kein solcher Anfall wieder ein. J. Swan \u00fcber die Localkrankheiten der Nerven, \u00fcbers, von Francke. Leipzig\n1824. p. 78.\nDie Ph\u00e4nomene heim sogenannten Einschlafen der Glieder von Druck auf die Nerven sind auch Erl\u00e4uterungen davon. Der Druck auf die Nerven hebt die Leitung von den peripherischen Enden der Nerven auf; aber derselbe Druck aJhcirt auch den centralen Theil des Nerven, daher die Empfindung von Formicatio, Prik-keln, Stechen in dem Beine, welches gleichwohl seine Empfindlichkeit f\u00fcr \u00e4ussere Eindr\u00fccke verliert.\nH\u00e4ufig entsteht auch das Gef\u00fchl der Formicatio scheinbar in \u00e4usseren Theilen , wenn doch die Nervenurspr\u00fcnge vom R\u00fck-kenmark oder Gehirn, oder diese Theile selbst afficirt sind. Bei dem Gef\u00fchl von Formicatio in einem Gliede kann man noch gar nicht wissen, ob die Ursache in der Haut, im Nervenstamme oder am Urspr\u00fcnge der Fasern im R\u00fcckenmark ist. Oft ist die Ursache im R\u00fcckenmark. Das R\u00fcckenmark hat fast in allen seinen Krankheiten Formicatio, scheinbar in der Haut, zum Symptom, bei der R\u00fcckenmarksl\u00e4hmung ist die Formicatio oft in allen Theilen, welche unterhalb der Verletzung Nerven erhalten; bei der Tabes dorsalis ist die Formicatio nicht etwa in der Mittellinie, sondern am ganzen K\u00f6rper in der Haut, oder in dem untern Theile des K\u00f6rpers *).\nMan sieht aus dem eben Vorgetragenen , dass die Aura epi-leptica (auch eine Art Formicatio) vor dem Anf\u00e4lle in den \u00e4usseren Theilen, nur in den \u00e4usseren Theilen vorzukommen scheint, w\u00e4hrend ihre Ursache und ihr Sitz doch im Pi\u00fcekenmark oder Gehirn ist. Sie ist der erste Anklang der weiteren R\u00fcckenmarks-affectionen und Gehirnaffectionen, die im Verfolg des Anfalls auftre-ten. Wenn der epileptische Anfall zuweilen durch Zusammenschn\u00fcren des Gliedes \u00fcber der Aura epileptica aufgehoben wird, so geschieht diess wohl nicht, weil etwas Krankhaftes fortZuschreiten gehindert w\u00fcrde, sondern weil durch das Zusammenbinden em heftiger Eindruck auf das Sensorium erfolgt. Doch muss bemerkt werden, dass bei derjenigen Form der Epilepsie, welche durch Geschw\u00fclste von Nerven entsteht, durch die Ligatur eines Gliedes wirklich die Fortleitung der Reizung zum R\u00fcckenmark aufgehoben wird.\nLegt man sich um den Oberarm \u00fcber dem Ellbogengelenke ein Tourniquet an , so kann man alle Theile der Hand zum Gef\u00fchl des Einschlafens, zuletzt zu Empfindungslos'gkeit bringen. Zuerst entsteht Prickeln und Nadelstechen, dann allm\u00e4hlig Taub-seyn und das Gef\u00fchl von K\u00e4lte, zuletzt anfangende Empfindungslosigkeit f\u00fcr \u00e4ussere Reize. Wenn man nun die Nervenst\u00e4mme in der Achselh\u00f6hle und am Oberarm durch einen zerrenden Griff reizt,\n*) Ich weiss von keiner Beobachtung, dass Formicatio in Schleimh\u00e4uten auftr\u00e4te.","page":704},{"file":"p0705.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Gesetze der Leitung. 705\nso hat man eben so deutliche Empfindungen eines elektrischen Schlages in der Hand, als wenn die Nerven des Vorderarms und der Hand nieht eingeschlafen sind.\nVIII. iVenn das Glied, in welchem sich ein Nervenstamm verbreitet, durch Amputation entfernt, ist, so kann der Stamm der Nerven, weil er das Ensemble der verk\u00fcrzten Primitiv fasern noch enth\u00e4lt, Empfindungen haben, als w\u00e4re das amputirte Glied noch vorhanden. Di,,ss dauert durchs ganze Leben. Die Erfahrung, dass die Amputirten noch Empfindungen haben, als w\u00e4re das amputirte Glied noch vorhanden, ist allen Chirurgen bekannt; es ist niemals anders. Gew\u00f6hnlich sagt man, diese Sinnest\u00e4uschungen dauern einige Zeit fort, so lange als Amputirte im Gesicht des Chirurgen bis zur Heilung bleiben. Die Wahrheit; ist aber, dass diese Sinnest\u00e4uschung in den meisten F\u00e4llen immer bleibt, dass sie sich durchs ganze Leben mit gleicher Lebhaftigkeit erh\u00e4lt, wie man sich \u00fcberzeugen kann, wenn man irgend A mputirte lange Zeit nach der Amputation befragt. Zur Zeil der Entz\u00fcndung des Amputationsstumpfes und der Nervenst\u00e4mme, sind die Empfindungen am lebhaftesten, und die Kranken klagen dann \u00fcber sehr heftige Schmerzen in dem ganzen Gliede, welches sie verloren haben. Nach der Heilung bleiben die Empfindungen zur\u00fcck, die man \u00fcberhaupt von einem gesunden Gliede hat, und h\u00e4ufig bleibt durchs ganze Leben hindurch ein Gef\u00fchl von For-micatio, \u00f6fter von Schmerzen scheinbar in den \u00e4usseren Thei-len, welche nicht mehr da sind. Diese Empfindungen sind nicht unbestimmt, sondern der Kranke f\u00fchlt deutlich die Schmerzen, die Formicatio in den einzelnen Zehen, in der Fusssoble, am Fussriicken, in der Haut, etc. L\u00e4cherlich sind die idealistischen Erkl\u00e4rungen dieses wichtigen Ph\u00e4nomens aus der Imagination, etc. Die Physiologen haben es lange Zeit als eine Curiosit\u00e4t behandelt. Allein die Untersuchungen derjenigen Amputirten, die mir zugeschickt wurden und die ich auffinden konnte, haben mir erwiesen , dass das Gef\u00fchl sich in diesen F\u00e4llen nie ganz verlor. Die Amputirten werden zuletzt so sehr daran gew\u00f6hnt, dass sie gar nicht mehr darauf achten; allein sobald sie wieder darauf aufmerksam sind, ist das Gef\u00fchl sogleich vorhanden, und sie f\u00fchlen oft Zehen, Finger, Fusssoble, Hand ganz deutlich. Noch viel st\u00e4rker wird das Gef\u00fchl, wenn man ein Band oder Tourniquet um den Amputalionsstumpf legt, oder wenn man ihn so dr\u00fcckt, wie sonst geschieht, wenn das Einschlafen eines Gliedes erfolgt. Dann tritt sogleich Formicatio ein, das Gef\u00fchl von Ameisenlaufen erscheint in der Hand, im Fuss, in der ganzen Extremit\u00e4t, durchaus mit derselben Deutlichkeit, als wenn sie noch vorhanden w\u00e4ren. Die Amputirten haben daher nach der Operation auch dann am lebhaftesten wieder das Gef\u00fchl ihres verlornen Gliedes, wenn der Chirurg wegen anderweitiger Ursachen wieder das Tourniquet anlegt.\nHaben die Krankeu auch vor der Amputation an einem \u00f6rtlichen schmerzhaften Schaden gelitten, so wird doch nach der Amputation das ganze Bein schmerzhaft gef\u00fchlt, und das","page":705},{"file":"p0706.txt","language":"de","ocr_de":"706 III. Buch. Nervenphysik. lII.Abschn. Mechanik d.Nereenprincips.\nganze Bein schmerzt scheinbar, wenn der Nerve durchschnitten ist und der Amputationsstumpf sich entz\u00fcndet.\nIch rede nicht von den Tr\u00e4umen der Amputirten, von den lebhaften Empfindungen des ganzen scheinbaren Beins, wenn der Stumpf desselben durch die Lage gedr\u00fcckt wird, da die Empfindung gew\u00f6hnlich bei den Amputirten durchs ganze Leben bleibt.\nBeispiele.\n1)\tN. N. eine Frau, welche eine L\u00e4hmung der Empfindung am Arme hatte, bekam einen Bruch des kranken Arms, der darauf in Brand \u00fcberging und amputirt werden musste im Clin, chirurg. zu Bonn. Die Amputation war ohne Empfindung. Allein die Durchschneidung des Nerven musste die Ursache gewesen seyn, dass das Gef\u00fchl in dem Nervenstamme wieder erregt wurde. Schon in der Nacht klagte die Frau \u00fcber Schmerzen in den Fingern.\n2)\tJoh. Wolff, ein Schneidergeselle in Bonn, ist vor 12 Jahrein am ersten Drittheil des Oberschenkels wegen Caries im Clin, chirurg. amputirt worden. Er hatte sogleich noch das Gef\u00fchl, als w\u00e4re das Bein vorhanden, und klagte die folgenden Tage sehr \u00fcber Schmerzen im Beine bis in die Zehen. In denselben Tagen wurde ein Anderer am Arm amputirt, der auch darauf \u00fcber Schmerzen in der Hand und am ganzen Arme klagte. Diesen Joh. Wolff habe ich nach 12 Jahren untersucht. Er hat immer noch das Gef\u00fchl, als w\u00e4ren die Zehen und die Fussohle vorhanden, und zuweilen heftige Schmerzen in der Fusssohle, die er nicht mehr hat. Zuweilen schl\u00e4ft der Stumpf beim Liegen ein, und es tritt dann Formicatio in den Zehen ein, die auch sonst \u00f6fter vorhanden ist. Ich legte an den Amputationsstumpf des Oberschenkels ein Tourniquet an, so dass der Stumpf des N. ischiadicus gedr\u00fcckt wurde: sogleich sagte Wolff, dass ihm das Bein wie einschlafe, und er konnte ganz deutlich die Formicatio in den Zehen unterscheiden.\n3)\tN. N., Stud, chirurg., ein Jude, wurde wegen eines Gelenk\u00fcbels am Ellbogen im Oberarme amputirt. Er hatte, so lange er beobachtet wurde, nicht die Empfindung des verlornen Armes verloren.\n4)\tHerr Stud. Schmidts aus Aachen ist seit 13 Jahren am Oberarm amputirt; die Empfindungen in den Fingern haben nie aufgeh\u00f6rt. Herr Schmidts glaubt die Hand immer in einer gekr\u00fcmmten Stellung zu f\u00fchlen. Das scheinbare Prickeln der Finger ist vorhanden, vorz\u00fcglich wenn der Stumpf aufliegt und die St\u00e4mme der Armnerven gedr\u00fcckt werden. Ich legte einen Druck gegen die Nervenst\u00e4rnme des Amputationsstumpfes an, sogleich trat die Empfindung von Einschlafen scheinbar im ganzen Arme bis in die Finger ein.\n5)\tN. N., mein Commission\u00e4r zur Zeit meines Aufenhalts in Leyden, ist vor 12 Jahren am Oberarm amputirt worden. Er hat zuweilen Gef\u00fchle von Formicatio, wie in den Fingern, besonders wenn der Arm aufliegt.\n6)\tVir quidam in nosocornio judaico berolinensi, eui pes si-","page":706},{"file":"p0707.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik'der Empfindungsnerven. Gesetze der Leitung. 707\nnister, et alter, cui brachium sinistrum amputatum erat, dicebant ambo, alter post hebd. 14., alter 17.: se per operational nihil commodi nactos esse; alter querebatur de dolore vehementi pedis et alter brachii, cum tarnen non tarn male eos habuisset quam jn primis hebdomadibus post factam operationem et uterque non per hebdomades, sed per menses hosce, sensus liujus fallacis di-niinutionem habere fatebatur. Lemos dissert, inaug. </uae dolorem membri amputati. remanentem explicai. Hai. 1798. p. 33.\n7)\tNunc temporis etiam ibi versatur juvenis, cui ante novem menses brachium sinistrum demtum est. In hoc eadem sensatio sub quinto et sexto mense post operationem decessit, sed mense octavo aliquot dies, ubi vebementior esse coepit, ha huit, ut inter-diu tantum ope oculi et nocte ope maints alterius jacturae hujus se convincere posset. Ibid. p. 33. Der Verfasser dieser Dissertation erkl\u00e4rt das Factum ungen\u00fcgend aus der Association der beiden Extremit\u00e4ten, welche selbst erkl\u00e4rt werden sollte.\n8)\tEin Chausseegeldeinnehmer in der N\u00e4he von Halle, dem in den Freiheitskriegen der rechte Oberarm durch eine Kanonenkugel zerschmettert und dann amputirt wurde, hat noch jetzt (1833) bei Aenderungen in der Atmosph\u00e4re deutliche rheumatische Schmerzen im ganzen Arme, und f\u00fchlt dann das an 20 Jahre lang entfernte St\u00fcck desselben empfindlich gegen Luftzug. Dass nie die subjective physiologische Empfindung des abgesetzten Gliedtheils verloren wird, best\u00e4tigte auch er vollkommen.\n9)\tEin Mann, dem die Hand amputirt worden, hatte 7 Jahre nachher, bis zu seinem Tode noch Schmerzen in der Hand. Klein in Graefe u. Walther ./. /. Chirurgie. 3. 408.\nMan vergl. \u00fcber die Empfindungen der Amputirten Valentin in Heckkr\u2019s Annalen. 1836. B. 3. p. 291. Repert. f. Anal, u. Phys. 1836. p. 328.\nIX. Gleichwie sich die relative Lage der Primitivfascrn an ihren Urspr\u00fcngen und in den St\u00e4mmen nicht \u00e4ndert, wenn die relative Lage derselben an ihren peripherischen Enden sich ver\u00e4ndert, so richten sich auch die Ortsempfindungen der Pri.milivfasern nach der Ordnung ihres Stammtheils oder Ursprungs und nicht nach der ver\u00e4nderten relativen Lage ihres peripherischen Endes. Der Beweis davon liegt in den Erscheinungen, welche bei k\u00fcnstlicher Lagever\u00e4nderung der peripherischen Enden eintreten, wie z. B. bei der Transplantation von Hautlappen. Wird bei dem k\u00fcnstlichen Nasenersatz ein Hautlappen der Stirn an der Nasenwurzel umgekehrt und mit dem Nasenstumpf zusammengeheilt, so hat die augeheilte Nase, so lange die Br\u00fccke an der Nasenwurzel noch nicht durchs schnitten ist, dieselben Empfindungen, wie wenn die Stirnhaut sonst gereizt worden w\u00e4re, d. h. man empfindet die Ber\u00fchrung der neuen Nase an der Stirn. Diess ist eine bekannte chirurgische Erfahrung, welche zuerst Lisfranc machte. Diess dauert aber nat\u00fcrlich nur so lange, als die Communication der Nervenfasern an der Nasenwurzel zwischen der Stirn und der neuen Nase noch besteht. Nach dem Durchschneiden jener Stelle h\u00f6rt diese Versetzung der Empfindung auf; die neue Nase ist anfangs","page":707},{"file":"p0708.txt","language":"de","ocr_de":"708 III. Buch. Nervenphysik. III.Abschn. Mechanik d. IS ercenprincips.\nempfindungslos; sp\u00e4ter bildet sich die Empfindung wieder in derselben aus.\nEine zweite ganz \u00e4hnliche und auf dieselbe Art zu erkl\u00e4rende Erscheinung ist, dass, wenn man den Zeigefinger und Mittelfinger einer Hand kreuzweise \u00fcbereinander legt, und zwischen den zugewandten Seiten der gekreuzten Finger, die sonst die entgegengesetzten Seiten derselben waren, eine kleine Kugel, z. B. eine Erbse, hin und her rollt, man zwei Kugeln zu f\u00fchlen scheint. Bei dem Ber\u00fchren einer kleinen Kugel mit zwei nat\u00fcrlich nebeneinanderliegenden Fingern f\u00fchlt man eigentlich keine Kugel, sondern zwei Convexit\u00e4ten, welche die Vorstellung oder der Schluss zur Kugel erg\u00e4nzt, indem die Phantasie sich vorstellt, dass zwei nebeneinander liegende, mit ihren Convexit\u00e4ten von einander abgewandte Kugelsegmente zu einer Kugel geh\u00f6ren. Kreuzt man nun die Finger, und macht die beiden \u00e4usseren entgegengesetz-\n1}\nB\nten Seiten der zwei Finger zu inneren, einander zugewandten Seiten, so behalten die Empfindungen der Fasern ihre relative Lage, w'ie die Fasern zuletzt zum Gehirn kommen, und als wenn keine Kreuzung stattgefunden h\u00e4tte, d. h. die Empfindung eines nach aussen wirklich convexen Kugelsegmentes bei it, wird nach y auf die entgegengesetzte Seite trans-ponirt, eben so % nach y. Der Inhalt der Empfindungen bei x und y bleibt ganz unver\u00e4ndert, eben so der Inhalt der Empfindungen bei x und y', aber die Eindr\u00fccke sind nach der Transposition nicht mehr zwei von einander abgewandte, sondern zwei einander zugewandte Convexit\u00e4ten; diese muss die Vorstellung zu zwei Kugeln erg\u00e4nzen, da zwei einander zugewandte Convexit\u00e4ten nicht einer und derselben Kugel, wohl aber zwei Kugeln angeh\u00f6ren k\u00f6nnen. Diese Erkl\u00e4rung des Ph\u00e4nomens habe ich schon 18*26 in meiner Schrift: Physiologie des Gesichtssinnes. Lpzg. 1826. p. 84. gegeben, wo \u00fcberhaupt schon die ersten Elemente des mechanischen Theiles der Nervenphysik angedeutet wurden. Den Versuch finde ich schon bei Aristoteles. Aeistoteles \u00fcber den Traum. 2. cap.\nQ\n'ry\n(\nII. Ueber die Irradiation der Empfindungen oder die M i t e ni p f i n d u n g e n.\nZuweilen erregt eine Empfindung eine andere, oder die Em-pfindungen breiten sich krankhafterWeise weiter als die afficirten Theiie aus. Diese Erscheinungen, die ich M item pfindungen nenne, sind im gesunden Leben nicht selten. Man kann die Erregung des Kitzels in der Nase durch Sehen in helles Licht, auch die ausgedehnten Empfindungen von einer beschr\u00e4nkten, durch Kitzeln erregten Stelle, und die ausgedehnten Empfindungen von Reizung der \u00e4usseren Geschlechtstheile beim Coitus, die Empfindungen, welche ein in unserer N\u00e4he gefallener, erschreckender Schuss erregt, die rieselnden Empfindungen und Schauergef\u00fchle beim H\u00f6-","page":708},{"file":"p0709.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik der Empfindungsnerven. Irradiation, Mitempfindung. 709\nren gewisser T\u00f6ne, z. B. des gekratzten Glases, dieselben Empfindungen beim Beissen auf' sandige Substanzen hieher rechnen. Daneben geh\u00f6ren noch viel mehr pathologische Ph\u00e4nomene hieher, wie z. B. die Ausbreitung des Zahnwehes \u00fcber den Ort des Reizes auf das ganze Gesicht, die Ausbreitung der Schmerzen von einem afficirten Finger auf die Hand, den Arm, die anderen Finder, ohne dass man immer eine materielle Mittheilung der krankmachenden Ursache annehmen darf. Besonders ausgedehnt sind diese Irradiationen, wenn eine Nervengeschwulst heftige Empfindungen verursacht, und nun auch die uinherliegendcn Theile, ja selbst entfernte Theile zu schmerzen anl\u00e4ngen, wie man einen hieher geh\u00f6renden Fall in London med. Gazette 18d4, Broriep\u2019s Not. 888., erz\u00e4hlt findet, wo nach einer Amputation, durch eine am Knochen und der Narbe festgewachsene Geschwulst des N. iscbiadicus die Haut des ganzen Amputationsstumpfes, zuweilen auch entfernte Theile, wie die Bauchdecken,'sehr schmerzhaft wurden, ohne alle entz\u00fcndliche Symptome, Empfindungen, welche nach der zweiten Amputation ganz aufh\u00f6rten. Man braucht sich nur an einer Stelle der Haut heftig und etwas anhaltend zu verbrennen, um sich zu \u00fcberzeugen, dass hier Mitempfindungen in benachbarten Nervenfasern entstehen, auf welche sich die Krankheitsursache selbst nicht ausdehnt. F\u00fcr das gesunde Leben w\u00fcrden dergleichen Mitempfindungen sehr hinderlich seyn, daher sie die Natur durch Isolirung der einzelnen Fasern der Nerven verh\u00fctet hat; denn wenn die Fasern von zehn verschiedenen Stellen der Haut in eine irgendwo zusammenfl\u00f6ssen, ehe sie zum Gehirn kommen, so k\u00f6nnte das Gehirn auch nur eine einzige Empfindung von zehn verschiedenen Stellen der Haut und an einem Orte haben; und wenn die Primitivfasern der Nerven von einer Stelle mit den Primitivfasern von neun anderen Stellen zusammenfl\u00f6ssen, die getrennt zum Gehirn gelangen, so w\u00fcrden im Zustande der Gesundheit von der Erregung einer einzigen Stelle der Haut, zugleich noch neun andere Empfindungen von anderen Theilen mit zum Gehirn kommen m\u00fcssen. Diess geschieht nun im Zustande der Gesundheit in der Regel nicht, und es kann auch nicht geschehen, weil die Primitivfasern der Nerven auf ihrem Wege zum Gehirn isolirt bleiben. Wie ist nun aber jene ausnahmsweise stattfindende Mitempfindung zu erkl\u00e4ren? Da sich an jeder Stelle der Haut bloss durch die Heftigkeit einer Empfindung Mitempfindungen erregen lassen, so kann man jene Erscheinung nicht durch eine, in einigen Nerven ausnahmsweise stattfindende Verbindung der Primitivfasern erkl\u00e4ren. Die Erkl\u00e4rung muss vielmehr aut alle Empfindungsnerven passen. Eben so wenig l\u00e4sst sich die Irradiation der Empfindung bloss durch netzf\u00f6rmige Verbindung der Primitivfasern an ihren peripherischen Enden in der Haut erkl\u00e4ren. Denn die Irradiation k\u00f6mmt auch in der retina vor, wo jedenfalls eine solche Verbindung der Fasern nicht existirt. Man kann zwei Erkl\u00e4rungen der Erscheinung aufstellen.\n1) Man erkl\u00e4rt solche Mittheilung der Empfindung aus vor-","page":709},{"file":"p0710.txt","language":"de","ocr_de":"710 III. Buch. Nervenphfsik. III. Absehn. Mechanik d. Nervenprincips.\nausgesetzten Eigenschaften der Ganglien der Empfindungsnerven. Bekanntlich haben alle eigentlichen Gefiihlsnerven ein Ganglion an ihrer Wurzel. Reil [Archiv fiir Physiol. Bd. 7.) verglich die Ganglien des Nervus synipathicus mit Halbleitern, welche die zu schwachen Eindr\u00fccke im Nervus synipathicus nicht zum Gehirn leiteten, w\u00e4hrend sie, wie ein Halbleiter der Elektricit\u00e4t gr\u00f6ssere Mengen angeh\u00e4ufter Elektricit\u00e4t durchl\u00e4sst, auch sehr heftige Reizungen leiten sollten, und welche auch den Einfluss des Gehirns und R\u00fcckenmarks auf den N. synipathicus nur beschr\u00e4nkt zulassen sollten. Diese Hypothese k\u00f6nnte man nun auch auf die Ganglien der Empfindungsnerven anwenden; man k\u00f6nnte sagen, diese graue Masse, durch welche die Primitivfasern ohne Neuri-lem durchgehen, ist als Halbleiter nicht im Stande, eine schwache Reizung der einzelnen Primitivfasern in sich selbst fortzupflanzen und den anderen, durch das Ganglion durchgehenden Fasern mitzutheilen, daher geschieht bei schwachen Empfindungen die Leitung von einer Empfindungsfaser nicht durch die graue Masse nach den Seiten, sondern nur durch die Primitivfaser, welche das Ganglion durchzieht, durch. Werden aber Empfindungen sehr heftig, so wird der Halbleiter des Nervenfluidnms zum Leiter, und l\u00e4sst einen Theil jenes Princips auf die anderen, das Ganglion durchziehenden Primitivfasern \u00fcberspringen, wodurch eine Irradiation der Empfindung, eine Mitempfindung entsteht.\n2) Die zweite Erkl\u00e4rung der Mitempfindungen nimmt auf diese bloss vorausgesetzte und urierwiesene Eigenschaft der Ganglien der Empfindungsnerven keine R\u00fccksicht; sie leitet die Mitempfindung von Irradiation der Reizung im R\u00fcckenmark oder Gehirn seihst ah, auf \u00e4hnliche Art, wie hei den reflectirten Bewegungen von dem Empfindungseindruck im R\u00fcckenmark sich eine Irradiation bis zu den motorischen Nerven bildet (Cap. III.). Hier w\u00e4re nur der Unterschied, dass die Irradiation des urspr\u00fcnglichen Empfindungseindruckes im R\u00fcckenmark nicht zu motorischen Nerven, sondern zu den in der N\u00e4he entspringenden anderen Empfindungsfasern, oder wenigstens ausser den motorischen Nerven auch zu Empfindungsnerven gelangte. F\u00fcr die Richtigkeit dieser letztem Erkl\u00e4rung spricht die Analogie der Irradiation der Empfindungseindr\u00fccke im R\u00fcckenmark bis zu motorischen Nerven, und zugleich der Umstand, dass auch Empfindungsnerven ohne Ganglien, wie die Markhaut des N. opticus bei der Lichtempfindung, der Irradiation f\u00e4hig sind, also die erste Erkl\u00e4rung nicht ausreicht.\nWie soll man sich nun die secund\u00e4re Erregung der anderen Empfindungsfasern oder Empfindungsnerven vom Gehirn und R\u00fcckenmark aus denken? Durch Reflexion vom Gehirn und R\u00fcckenmark aus? Geht in diesen Nerven ein Strom vom Gehirnende oder R\u00fck-kenmarksende des Nerven bis zum peripherischen Ende des Nerven und wieder r\u00fcckw\u00e4rts, oder wird durch Reflexion, wenn kein Str\u00f6men, sondern Oscillation des Nervenprincips stattfindet, vom Gehirn aus ein zweiter Nerve in Oscillation gesetzt? H\u00f6chstwahrscheinlich findet jedenfalls eine Reflexion vom R\u00fcckenmark oder Gehirn auf einen Empfindungsnerven statt. Doch muss man bemerken, dass zu","page":710},{"file":"p0711.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik d.Empfindungsnerven. Vermischung f). Empfindungen, 711\ndieser Erkl\u00e4rung die Voraussetzung geh\u00f6rt, dass in den Empfindungsfasern die Str\u00f6mungen oder Schwingungen eben so gut r\u00fcckw\u00e4rts als vorw\u00e4rts stattfinden k\u00f6nnen. Oh diess m\u00f6glich ist, oder ob in den Empfindungsnerven bloss centripetale Bewegungen stattfinden k\u00f6nnen, ist noch unbekannt. Daher es interessant ist, auch eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr den Fall zu kennen, wenn keine centrifugate Bewegung in den Empfindungsnerven, sondern nur in den motorischen m\u00f6glich seyn sollte. Da es f\u00fcr eine Empfindung gleich scheint, ob das Ende oder die Mitte, oder der Ursprung einer Faser im Gehirn und R\u00fcckenmark afficirt wird, vielmehr in allen diesen F\u00e4llen die Empfindung nur eine und dieselbe ist, und in den \u00e4usseren Theilen, zu welchen der Nerve hingeht, angenommen wird, so kann durch blosse Irradiation eines Eindrucks von einem Empfindungsnerven in der Substanz des R\u00fcckenmarks und Gehirns selbst bis auf die Ursprungsstellen anderer Fasern, Ausbreitung der Empfindung entstehen. Wir wissen ja, dass hei AiFectionen des R\u00fcckenmarks die Empfindungen auch in den \u00e4usseren Theilen zu seyn scheinen, wie z. B. die Entz\u00fcndung des R\u00fcckenmarks mit den heftigsten Schmerzen in den Gliedern verbunden ist, w\u00e4hrend doch die Nerven dieser Theile vom R\u00fcckenmark aus nach aussen hin keine Empfindungen erregen k\u00f6nnen. Auch die Empfindung der Formicatio in der \u00e4usserp Haut ist oft nur eine im R\u00fcckenmark selbst ihre Ursache habende Empfindung; ja diese Empfindung, wenn sie nicht durch Druck auf die Nerven seihst verursacht wird, ist sogar ein fast constantes Symptom aller R\u00fcckenmarksaffectionen, m\u00f6gen sie vor\u00fcbergehend seyn, wie in der Epilepsie, oder dauernd wie bei Neuralgia dorsalis und Tabes dorsalis. Dieser Empfindungen imR\u00fcckenmark wird man sich auch nicht dort bewusst, wo man sich die Lage desselben vorstellt. Das Ameisenlaufen findet bei R\u00fcckenmarkskrankheiten nicht im Laufe des R\u00fcckgrats statt, sondern eben in allen Theilen, zu welchen der verletzte Theil des R\u00fcckenmarks Nerven schickt. Eben so mag es auch wohl mit der Irradiation der Empfindungen seyn.\n111. Uebcr -die Vermischung oder Coincidehz mehrerer E m p f i n d u Ti g e n.\nDie Sch\u00e4rfe und Deutlichkeit der Empfindungen scheint von der Zahl der Primitivfasern abzuh\u00e4ngen, welche sich in einem Theile verbreiten; je sparsamer diese Fasern aber einem Organe zugetheilt sind, um so eher wirken die Eindr\u00fccke auf mehrere naheliegende Theile nur auf eine einzige Primitivfaser, und um so leichter m\u00fcssen diese Eindr\u00fccke auf verschiedene Theile der Haut mit einander verwechselt werden. E. H. Weber hat sehr interessante Beobachtungen \u00fcber den Grad der Sch\u00e4rfe der Empfindungen, in Hinsicht der Unterscheidung der Distancen an den verschiedensten Theilen des K\u00f6rpers angestellt. Annotat., anal, et physiol, p. 44\u201481. Diese Versuche wurden so angestellt, dass die Haut bei verschlossenen Augen mit den Schenkeln eines Stangencirkels, dessen Enden mit Korkst\u00f6pseln versehen waren, ber\u00fchrt wurde. Weber suchte dann, hei welcher Entfernung\n.11 h 1 !r's Physiologie. I.\t4\u00f6","page":711},{"file":"p0712.txt","language":"de","ocr_de":"712 Ul. Buch. Nerecnphysik. III. Abschi. Mechanikd. Nervenprincips.\nder beiden Schenkel diese Entfernung bemerkt werden konnte. Bei diesen zahlreichen Versuchen haben sich folgende Resultate ergeben: Vor allen Theilen zeichnen sich die Enden des dritten Fingergliedes und die Zungenspitze durch die Deutlichkeit der Empfindungen aus; hier wurde n\u00e4mlich schon eine Entfernung der beiden Schenkel von ^ Linie bemerkt. Auf dem R\u00fccken der Zunge war schon eine Entfernung von 2 Linien n\u00f6tbig, wenn zwei und nicht eine Empfindung entstehen sollten. Mit den Fingerenden und der Zungenspitze bemerkte Weber leichter die Distanz in longitudinaler Richtung; auf dem R\u00fccken der Zunge, im Gesicht, am behaarten Theile des Kopfes, am Halse, am ganzen Arme und Fuss dagegen leichter bei transverseller Stellung der beiden Schenkel. Die folgende Tafel giebt die Feinheit des Gef\u00fchls in den verschiedenen Theilen nach den Distanzen der Schenkel an, welche n\u00f6tbig waren, dass zwei und nicht eine\nEmpfindung entstanden.\nZungenspitze............................................. \\\nVolarfl\u00e4che des 3. Fingergliedes.............................1\nrothe Oberfl\u00e4che der Lippen..................................2\nVolarfl\u00e4che des 2. Fingergliedes.............................2\nDorsalfl\u00e4che des 3. Fingergliedes............................3\nNasenspitze..................................................3\nVolarfl\u00e4che \u00fcber den Capitula oss. metacarpi.................3\nZungenr\u00fccken 1\" von der Spitze.....................:\t.\t4\nnicht rother Theil der Lippen................................4\nRand der Zunge 1\" von der Spitze.............................4\nMittelhand des Daumens.......................................4\nSpitze des grossen Zehen ................................... 5\nDorsalfl\u00e4che des 2. Fingergliedes........................... 5\nVolarfl\u00e4che der Hand.........................................5\nWangenhaut .\t 5\n\u00e4ussere Oberfl\u00e4che der Augenlieder...........................5\nSchleimhaut des harten Gaumens...............................6\nHaut \u00fcber dem vordem Theile des Jochbeins ....\t7\nPlantarfl\u00e4che des Mittelfusses des\tgrossen Zehen ....\t7\nDorsalfl\u00e4che des J. Fingergliedes............................7\nDorsalfl\u00e4che \u00fcber den Capitula oss. metacarpi ....\t8\nSchleimhaut am Zahnfleisch .\t  9\nHaut hinten \u00fcber dem Jochbein...............................10\nunterer Theil der Stirn.....................................10\nunterer Theil des Hinterhauptes.............................12\nHandi\u00fccken..................................................14\nHals unter dem Unterkiefer..................................15\nScheitel..................................................  15\nan der Kniescheibe..........................................16\nHaut \u00fcber dem Heiligenbein..................................18\nam\tAcromion...............................................18\nam\tGes\u00e4ss.................................................18\nam\tVorderarm..............................................18\nam\tUnterschenkel beim\tKnie\tund Fuss......................18\nam\tFussr\u00fccken\tbei den\tZehen\t.\t      18","page":712},{"file":"p0713.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik d.Empfindungsnerven. Vermischung d. Empfindung en. 713\nauf dem Brustbein.................................\t20\u201d\u2019\nam R\u00fcckgrat an den 5 obersten R\u00fcckenwirbeln ....\t24\nam R\u00fcckgrat beim Hinterhaupt.............................24\nam R\u00fcckgrat in der Lendengegend..........................24\nam R\u00fcckgrat in der Mitte des Halses .....................30\nam R\u00fcckgrat in der Mitte des R\u00fcckens.....................30\nin der Mitte des Arms....................................30\nin der Mitte des Schenkels...............................30\nAn den Theilen von sch\u00e4rferer Empfindung wurde die Distanz der Schenkel des Cirkels scheinbar gr\u00f6sser empfunden als an den Theilen mit unbestimmterem Gef\u00fchl. Wurde eine horizontale Linie um den Thorax eezotjen, und die Schenkel des Cirkels in dieser Linie aufgesetzt, so wurde die Distanz an zwei Stellen vorn und hinten, in der Mitte deutlicher empfunden. Wurde der Cirkel in der Gegend jener Linie parallel mit der L\u00e4ngenachse des K\u00f6rpers aufgesetzt, so zeigten sich vier Stellen von deutlicherer Empfindung, zwei in der vordem und hintern Mittellinie, zwei an den Seiten. Wurden in einer L\u00e4ngenlinie vom Kinn bis zur Schaam die transversell oder longitudinell gestellten Schenkel des Cirkels aufgesetzt, so war die Deutlichkeit der Empfindung am Kinn am st\u00e4rksten, am Halse schw\u00e4cher, am Brustbein wieder st\u00e4rker, am ohern Theil des Bauches wieder schw\u00e4cher, am Nabel wieder st\u00e4rker, in der Gegend der Symphyse der Sehaambeine wieder schw\u00e4cher. In der hintern Mittellinie war die deutlichste Empfindung unter dem Hinterhaupt und am Steiss. ln der Seitenl\u00e4ngslinie des Rumpfes war die Empfindung deutlicher unter der Achsel und in den Weichen.\nDie Deutlichkeit der Empfindung h\u00e4ngt nicht gerade von der Gegenwart und Zahl der Papillen ah. Denn die Brustwarzen hatten eine undeutliche Empfindung, und die Empfindung auf der Zunge war nur an der Spitze am deutlichsten; deshalb nimmt Weber an, dass der Unterschied von der Zahl, dem Laufe und der Endigung der Nervenf\u00e4den abh\u00e4nge. Ich theile ganz diese Ansicht und bemerke bloss, dass vielleicht auch die leichtere oder schwierigere Irradiation an verschiedenen Stellen des Gehirns und R\u00fcckenmarks einigen Anthcil an diesem Ph\u00e4nomen haben kann.\nDie feinste Empfindung der Distanzen findet auf der Mark-haut des Auges statt. F\u00fcr die Mechanik der Empfindungen ist es interessant, dass die Gr\u00f6sse der K\u00fcgelchen in der Markhaut mit der Gr\u00f6sse eines kleinsten empfindlichen Punktes auf derselben \u00fcbereinstimmt. E. H. Weber Anatomie. I. p. 165. Weber fand die K\u00fcgelchen der Netzhaut = t\u00f6V\u00f6 bis T\u00efW P- Zoll im Durchmesser; der kleinste Gesichtswinkel, unter welchem zwei Punkte unterschieden werden k\u00f6nnen, ist 40\u201d. Daraus berechnet Smith, dass ein kleinster empfindlicher Punkt der Markhaut des Auges -\u00e7\u00f4Vo Zoll betr\u00e4gt. Weber bemerkt hierbei, dass, wenn zweierlei Eindr\u00fccke auf einem solchen Punkte stattfinden, sie als ein einziaer empfunden w\u2019erden m\u00fcssen. Baumgaertner erkl\u00e4rt das Undeutliclwerden von Gegenst\u00e4nden, deren Ausdehnung unter 13 Secunden erscheint, aus der physiologischen Irradiation.\n46 *","page":713},{"file":"p0714.txt","language":"de","ocr_de":"714 III. Buch. Aerpcriphysik. III. /thsrhn. Mechanikd.Nervenprincips.\nZeitschrift f\u00fcr Physik und verwandte IVissen \u2018(haften. II. Ed. 3. Hft. p. 23G.\nEine sehr merkw\u00fcrdige Vermischung oder Identification der Empfindlingen findet in einem einzigen Falle bei den Empfindungen der gleichnamigen Nerven der rechten und linken Seite, n\u00e4mlich der beiden N. optici statt. Diess ist eine, im ganzen Organismus sonst nicht vorkomrnende Erscheinung, welche auch nur in besonderen Verh\u00e4ltnissen der Structur ihre LTrsnche haben kann. Die Empfindungen der gleichnamigen Gef\u00fchlsnerven der rechten und linken Seite werden im Bewusstsein sonst nie an einem Ort empfunden. Was die rechte Hand empfindet; wird nicht an demselben Orte empfunden, wie die Empfindungen der linken H and, sondern es werden die Eindr\u00fccke beiderlei Nerven im Bewusstsein nebeneinander, nicht ineinander gesetzt. Bei den Augen oder den Sehnerven tritt aber die Anomalie ein, dass gewisse Fasern des einen Sehnerven, mit gewissen Fasern des andern Sehnerven nur eine einzige gemeinsame Empfindung haben, wodurch das einfache Sehen mit zwei Augen bedingt wird. Es haben zwar Einige behauptet, dass wir wechselsweise immer nur mit einem Auge s\u00e4hen. Wer aber an der gleichzeitigen Th\u00e4tigkeit beider Augen zweifeln kann, hat nie die so h\u00e4ufig in demselben Gesichtsfelde vorkommenden Doppelbilder der Gegenst\u00e4nde beobachtet, wovon das eine dem einen, das andere dem andern Auge angeh\u00f6rt. Um sich davon zu \u00fcberzeugen, betrachte man zwei in einer geraden Linie in einiger Entfernung hintereinander stellende K\u00f6rper, z.B. Stecknadeln oder die hintereinander gehaltenen Finger. Fixirt man nun den n\u00e4hern Finger, indem beide Augenachsen darin Zusammenkommen, so sieht man den fernem Finger doppelt, fixirt man den fernem Finger, so sieht man den n\u00e4hern doppelt; durch Schliessen des einen Auges kann man sich bald \u00fcberzeugen, dass eines der Doppelbilder dem einen, das andere dem andern Auge angeh\u00f6rt.\nDass es in beiden Augen gewisse Theile der Markh\u00e4ute oder des Sehnerven giebt, welche identische Empfindungen haben, und andere, welche nicht identische Empfindungen haben, kann man auch durch einen sogenannten subjectiven Versuch beweisen; n\u00e4mlich durch Druck auf gewisse seitliche Steilen des geschlossenen Auges im Dunkeln, und die durch Druck der Markbaut entstehenden Lichtbilder. Diese Druckbilder erscheinen immer umgekehrt. Dr\u00fcckt man das Auge unten, so erscheint das Druckbild oben im Sehfelde des Auges, dr\u00fcckt man oben, so erscheint es unten; dr\u00fcckt man an der rechten Seite, so erscheint es links, und umgekehrt. Wenn man nun die linke Seite beider Augen dr\u00fcckt, so entsteht statt zwei Druckbilder nur eins, dagegen man beim Druck des einen Auges auf der linken, des andern auf der rechten Seite zwei einander entgegengesetzte Figuren sieht. Dr\u00fcckt man beide Augen oben, so erscheint nur ein Druckbild unten, dr\u00fcckt man beide unten, so erscheint nur ein Druckbild oben. Dr\u00fcckt man aber das eine Auge oben, das andere unten, so erscheinen zwei Bilder, das eine oben, das andere unten. Bei diesen Versuchen muss man nicht an dem vor-","page":714},{"file":"p0715.txt","language":"de","ocr_de":"2. Mechanik d. Empfindungsnerven. Vermischung d. Empfindungen. 715\ndern Umfange des Auges dr\u00fccken, weil dort keine Markhaut sich helindet, sondern man muss das Auge in der Tiefe dr\u00fccken. Diese Versuche beweisen schon die Identit\u00e4t der Empfindungen in gewissen Stellen der Netzh\u00e4ute beider Augen, die Differenz der Empfindungen an anderen Stellen; beide Markh\u00e4ute m\u00fcssen in der Empfindung gleichsam als ineinander liegend gedacht werden, so dass allePunkte der Markh\u00e4ute der beiden Augen, welche (dasAuge als Kugel gedacht) in gleichen L\u00e4nge- und Breilegraden liegen, f\u00fcr die Empfindung identisch sind, alle anderen Punkte der beiden Markh\u00e4ute sich gegeneinander als different verhalten, gerade so wie verschiedene Punkte der Markhaut eines einzigen Auges. Noch viel bestimmter l\u00e4sst sich diess durch sogenannte objective Versuche zeigen.\nln beistehender Figur sollen die Augen mit ihren Achsen den Punkt a fixiren; die Netzh\u00e4ute seyen in 10 Maasstheile getheilt, dann wird der Punkt a in denj Auge A hei 5, und\tA\tB\neben so in dem Auge B erscheinen;\nder Punkt h erscheint in beiden Augen gleich weit von 5 nach links entfernt hei 4. Also nimmt das Bild in beiden Augen die Maasstheile 4\u20145 ein; es wird einfach gesehen; diese Stellen sind identisch; denn 1 ist mit 1, 2 mit 2, 3 mit 3, 4 mit 4, 5 mit 5 identisch. F\u00e4llt aber das Bild nicht auf solche identische Stellen, so erscheint es doppelt, z. B.\nIn der zweiten Figur sollen die beiden Augen so gestellt seyn, dass sie den Punkt a fixiren ; ist diess ein Object, so wird es einfach gesehen. Alles, was vor oder hinter a liegt, erscheint dagegen in Doppelbildern. Z.B. h hinter dem Fixationspunkt a, wirft das Bild in dem Auge A auf 6, in dem Auge B auf 4, erscheint doppelt; von zwei hinter einander gehaltenen Fingern erscheint der hintere doppelt, wenn der vordere fixirt wird.\nDie Entfernung der Doppelbilder betr\u00e4gt die Distanz von.6\u20144 imVerh\u00e4lt-niss zum ganzen Sehfeld 1\u201410, lind der Ort ist 6 und 4. -Der Punkt c in beistehender Figur, welcher vor dem Fixationspunkt a liegt, wirft dagegen sein Bild in A auf 4, in ff auf 6; er wird doppelt gesehen, denn 4 ist nicht mit 6, sondern 4 mit 4, und 6 mit 6 identisch. So erscheint von zwei hinter einander gehaltenen Fingern der vordere doppelt, sobald der hintere fixirt wird. Man sieht also deutlich, dass beide Sph\u00e4ren der Augen, auf das feinste in Brei-ten- und L\u00e4ngengrade, Minuten, Secundcn eingelheilt, in allen","page":715},{"file":"p0716.txt","language":"de","ocr_de":"716 III. Buch, Nervenphysik. III. Alschn. Mechahikd.Nervenprincips.\ngleichnamigen Punkten identisch, in allen verschiedenen different sind, und dass sich die Entfernung der Doppelbilder jedesmal nach der Entfernung der afficirten Theile beider Netzh\u00e4ute, diese als auf einander liegend gedacht, bestimmen l\u00e4sst.\nDa die Sehnerven beider Seiten durch Einheit der Empfindung hei der Affection gewisser Theile von allen anderen Nerven abweichen, alle anderen Nerven aber durch den getrennten Verlauf der Primitivfasern iibereinstimmen, so muss man auf den Gedanken kommen, dass in den Sehnerven auch die Organisation der Primitivfasern verschieden seyn m\u00fcsse, und dass die Fasern beider Sehnerven, welche einfach sehen, auch nur in einem, statt in zweien Punkten mit dem Gehirn Zusammenh\u00e4ngen. Diess l\u00e4sst sich im Allgemeinen zwar von den einzelnen Fasern noch nicht, aber doch von den Faserbiindeln erweisen. Denn bekanntlich geht jede Sehnervenwurzel vom Chiasma nervorum opticorum nicht zu einem, sondern zu beiden Augen, indem die \u00e4usseren Fasern einer Sehnerven Wurzel am Chiasma zur \u00e4ussern Seite des Sehnerven ihrer Seite fortgehen, w\u00e4hrend die inneren Fasern kreuzend zur innern Seite des Sehnerven? der andern Seite, und so zum Auge fortgehen, so dass der \u00e4ussere Theil der Netzhaut des einen Auges, und der innere Theil der Netzhaut des andern Auges von der einen der beiden Sehnerven wurzeln gebildet werden, oder mit .andern Worten, dass die linken Theile der beiden Netzh\u00e4ute von den zwei Branchen der linken Sehnervenwurzel, die rechten Theile der beiden Netzh\u00e4ute von den zwei Branchen der rechten Sehnervenwurzel gebildet werden, was ganz mit den Facten \u00fcber das einfache Sehen \u00fcbereinstimmt. In Hinsiebt des Baues des Chiasma nervorum opticorum siehe J. Mueller vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes, p. .96. 117\u2014134. Diese Theorie des einfachen Sehens ist schon von Newton in den optischen Q\u00fc\u00e4stionen, neulich aber von W ollaston {arm. de chun. etphys. 1824. Sept.) vorgetragen worden. Allein die blosse Thei-lung einer Sehnervenwurzel in zwei Branchen f\u00fcr die identischen Theile beider Markh\u00e4ute erkl\u00e4rt die Erscheinung nicht vollst\u00e4ndig; denn der linke Theil der Netzhaut A von 1\u20145 ist nicht durchweg identisch mit dem linken Theil der Netzhaut B von 1\u20145, sondern gewisse Punckte des linken Theils beider Netzh\u00e4ute sind nur identisch, n\u00e4mlich die gleiche L\u00e4ngen- und Breitengrade in beiden Sph\u00e4ren einnehmen; 1 ist mit 1, 2 mit 2, 3 mit 3, 4 mit\n4\tu. s. w. identisch; 1 des einen Auges aber nicht identisch mit\n5\tdes andern Auges. Daher fordert die Theorie zur Erkl\u00e4rung des einfachen Sehens, dass nicht bloss eine Sehnervenwurzel sich in zwei Branchen theilt, sondern dass sich jede Primitivfaser einer Sehnervenwurzel im Chiasma in zwei Branchen f\u00fcr die beiden Sehnerven theilt, so dass die identischen Fasern beider Sehnerven nur in einem Punkt, n\u00e4mlich durch eine W^urzelfaser, mit dem Gehirn Zusammenh\u00e4ngen, und daher nur einen Eindruck trotz zwei Becipienten bilden. Siehe die Figur. Aber eine solche Theilung der Fasern findet im Chiasma nicht statt, und auch noch mehrere Data stimmen mit dieser Supposition nicht","page":716},{"file":"p0717.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen, 717\n\u00fcberein. Erstens m\u00fcsste die Sehnerven Wurzel noch einmal so d\u00fcnn als der Sehnerve seyn, und dann m\u00fcsste jeder Punkt der Netzhaut das Ende einer Faser des Sehnerven seyn. Wenn diess w\u00e4re, so m\u00fcssten im hintern Theil der Netzhaut noch alle Fasern zusammen liegen, die sich weiter vorn ausbreiten ; und es m\u00fcsste die Netzhaut von hinten nach vorn an Dicke abnehmen. Auch m\u00fcsste bei einer Verletzung der einen Seite des Gehirns immer die Hallte beider Augen gel\u00e4hmt seyn, dagegen darauf entweder Blindheit des einen oder des andern folgt und bei Thieren sogar jedesmal Blindheit des entgegengesetzten Auges eintrill.\nIII, Capital. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen.\nDie Bewegungen nach Empfindungen sind nicht bloss den \u00e4lteren Physiologen, sondern den Aerzten \u00fcberhaupt, zu allen Zeiten bekannt gewesen. Die meisten Physiologen leiteten sie nach Willis Vorgang von den Nervenverbindunge des Gangliennerven ab, welcher daher sogar den Namen Sympathicus behielt. Comparetti schrieb ein ganzes Werk zur Erkl\u00e4rung der krankhaften consensuellen Erscheinungen aus der Verbindung der Nerven. A. Comparetti occursus medici. Vendus 1780. Diese Erkl\u00e4rungen nahmen die meisten Physiologen an und auch in der neuesten Zeit wandte man die in der Anatomie der Nerven erweiterten Beobachtungen auf diese Weise an. Siehe Tiedemann Zeitschrift f\u00fcr Physiologie. I. 1825. Einige Physiologen waren dieser Erkl\u00e4rung schon in der altern Zeit abhold, wie Haller, Cullen, Whytt, Monrou. A. Cullen institutions of medecine. p. 1. Whytt \u00fcber die Sympathie und die Krankheiten der Nerven (in der deutschen \u00fcebersetzung von Whytt\u2019s summt liehen zur praktischen Arzneikunst geh\u00f6rigen Schriften p. 241.) Whytt an essay on the vital another involuntary motions of animals. Edinb. 1751. p. 248. Monro Bemerkungen \u00fcber die Structur und Verrichtungen des Nervensystems. Leipz. 1787. Whytt und Cullen erkl\u00e4rten die Erscheinungen durch Mitwirkung des Sensoriums und als durch Empfindlingen bedingt. Auf eine exactere Weise und empirisch sind die Bewegungen auf Empfindungen erst in der neuesten Zeit untersucht worden. Mehrere wichtige Beobachtungen, weiche der Erkl\u00e4rung der Bewegungen nach Empfindungen durch den Sympathicus ung\u00fcnstig sind, lieferte Mayo anatomical and physiological commentaries. London 1823. Man weiss, dass das Licht nur von der Retina aus die Iris bewegt. Diess hatte man zw'ar durch Verbindungen, welche zwischen dem N. opticus und sympathicus statt finden sollten, zu erkl\u00e4ren gesucht. Mayo\u2019s Versuche \u00fcber die Augennerven, n\u00e4mlich \u00fcber Bewegungen der Iris, die vom Nervus oculomotorius ausgef\u00fchrt werden, aber vom N. opticus (durch Zerrung desselben) erregt werden, lassen aber keine andere Erkl\u00e4rung als durch Vermittelung des Gehirns zu. Nach DurChschnei-dung des N. opticus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle einer Taube, konnte","page":717},{"file":"p0718.txt","language":"de","ocr_de":"718 III. Buch. Nervenphysik. lll.Abschn. Mechanik d. Nervenprincips.\nMayo durch Zerrung des Hirnencles des N. opticus noch eine Verengung der Pupille hervorbringen. Allgemeiner wurde das Prin-cip der Reflexion von den sensoriellen Nerven auf motorische durch Vermittelung der Centraltheile zur Erkl\u00e4rung aller Bewegungen, welche auf Empfindungen folgen, erst in der neuesten Zeit durch die Untersuchungen von Marshall Hall und mir, welche beide im Jahre 1833 ver\u00f6ffentlicht wurden, aufgefasst und durch neue Thatsachcn als Erkl\u00e4rurmssrund f\u00fcr eine grosse Anzahl von he-kannten , aber falsch erkl\u00e4rten Erscheinungen bewiesen *). Eine neuere Schrift von Marshall Hall enth\u00e4lt die Fortsetzung seiner Untersuchungen. Memoirs un the nervous system. London 1837. Die von uns Beiden beobachteten Tbatsachen, auf welche wir fussen, haben sehr viel Uebereiustimmendes, aber in der Erkl\u00e4rung der Erscheinungen weichen wir sehr ab. Mein Antheil an dieser Angelegenheit liefert Beweise f\u00fcr die \u00e4ltere Ansicht von der Vermittelung der Empfindungen und Bewegungen durch die Centralorgane und theilt diese Erkl\u00e4rung. Marshall Hall bringt hingegen in der letzten Schrift ein neues eigenth\u00fcmliches Priu-cip in die Erkl\u00e4rung, die dadurch ganz abweichend wird. Volkmann (Muell. Arch. 1838. 1.) th eilt mehrere wichtige neue Beobachtungen zur Lehre von der Reflexion mit, welche die Ansichten von Marshall Hall und mir im Allgemeinen best\u00e4tigen. Das Folgende enth\u00e4lt meine Ansicht des Gegenstandes nach der vorigen Auflage, auf welche ein Auszug der Arbeiten von Marshall Hall und eine Vercleichuna der abweichenden Ansichten foigt.\nWenn Empfindungen, welche durch \u00e4ussere Reize auf Empfindungsnerven hervorgebracht werden, Bewegungen in anderen Theilen hervorbringen, so geschieht diess niemals durch eine Wechselwirkung der sensibeln und motorischen Fasern eines Nerven selbst, sondern, indem die sensorielle Erregung auf das Gehirn und Rlik-kenmark, und von diesen zur\u00fcck auf motorische Fasern wirkt. Dieser f\u00fcr die Physiologie und Pathologie \u00e4usserst wichtige Satz bedarf eines strengen Beweises, der sehr gut empirisch gef\u00fchrt werden kann, und erkl\u00e4rt dann eine Menge physiologischer und pathologischer Erscheinuugeu.\nIch werde zuerst beweisen, dass die motorischen und sensibeln Fasern eines Nerven nach der Verbindung beider Wurzeln keine Verbindung mit einander eingehen, sondern getrennt bis\n'') Die Abhandlung von MARSHALL I\u00cfALL erschien ira zweiten Theil der Philosoph, transact, von 1833. Ich hatte meine Ansicht gelegentlich in der ersten Auflage der ersten Ahtheilung der Physiologie, welche nn rr\u00fchlinge 1833 erschien, in der Lehre von den Athembewegungcn p. 333. erl\u00e4utert und 1834 in der zweiten Ahtheilung der Physiologie ausf\u00fchrlich vorgetragen, nachdem die Abhandlung von Marshall Hall erschienen war. Marshall Hall hatte indess bereits im' Jahre 1832 in der Zoological Society \u00fcber den Gegenstand einen Vortrag gehalten und ist daher in der Priorit\u00e4t. Eine Mittheilung \u00fcber meine Ansicht der Sache und die Abweichung der scinigen gab mein verehrter\nCollege im Lund. w. Edinb. philos. Mag. . Vol. 10. No. 58.","page":718},{"file":"p0719.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 719\nza ihren respectiven Theilen verlaufen , und dass daher auch in den F\u00e4llen, wo die Nervensympathie nicht im Spiele ist, die sensorielle und motorische Faser eines Nerven selbst durchaus keine Wechselwirkung haben.\nDer Beweis dieses Satzes l\u00e4sst sich leicht auf folgende Art f\u00fchren: Reizt man einen gemischten Nerven, den man durchgeschnitten, an seinem centralen St\u00fccke, wodurch heftige Schmerzen entstehen, so kann das Thier zwar diese Schmerzen durch Bewegungen zur Flucht, Schreien u. s. w. ausdr\u00fccken, allein die mit dem gereizten Nervenstumpf zusammenh\u00e4ngenden Muskelnerven werden nicht zu Actionen veranlasst. Es entstehen keine Zuckungen in den Muskeln, die von dem Nervenstumpfe Aeste erhalten.\nMan kann diesen Satz auch folgendermaassen beweisen: Da die drei Nerven f\u00fcr die hintere Extremit\u00e4t beim Frosch einen Plexus bilden, der wieder zwei Nerven abgiebt (siehe oben p. 690.), so durchschneide man einen der letzten Nerven und isolire ihn von allen seinen Verbindungen mit Muskeln, und reize dann mechanisch das centrale St\u00fcck. Diese Zerrung bew\u2019irkt eine centripetale Erregung der sensoriellen Fasern dieses Nerven, allein die anderen Muskelnerven, die aus demselben Plexus hervor^ehen, erregen bei der Quetschung des isolirten Nerven keine Zuckung ihrer Muskeln. Dass ferner die bei narkotisirten Fr\u00f6schen und anderen Thieren auf jede Ber\u00fchrung eintretenden allgemeinen Zuckungen nur durch das R\u00fcckenmark und Gehirn selbst vermittelt werden, l\u00e4sst sich definitiv beweisen. Denn schneidet man ein Glied des narkotisirten Frosches ab, so bewirkt die Ber\u00fchrung derselben keine Zuckungen dieses Gliedes mehr. Noch instructiver sind diese Versuche beim Erdsalamander.\nDer gefleckte Erdsalamander beh\u00e4lt nach Durchschneidung des R\u00fcckenmarks\u00fcberaus lange diesogenannteEmpfindungskiaft inallen Theilen unter dem Schnitte, oder wenn man diess nicht Empfindungskraft nennen will, die F\u00e4higkeit, Empfindungseindr\u00fccke auf das R\u00fcckenmark zu verpflanzen und durch Zuckung zu reagiren. Selbst das Schwanzende ist noch empfindlich, ja diese Empfindlichkeit ist durch die Durchschneidung des R\u00fcckenmarks eben so erh\u00f6ht, als bei Fr\u00f6schen, welche vorher narkotisirt waren. Ber\u00fchrt man einen abgeschnittenen Theil des Rumpfes vom Erd-salamander nur ganz leise, so zieht er sich jedesmal zusammen; diess dauert noch Stunden lang. Allein diess interessante Ph\u00e4nomen zeigt sich nur dann, wenn in dem abgeschnittenen Theile noch R\u00fck-kenmark enthalten ist, nicht aber in den abgeschnittenen ganzen Gliedern, welche nichts vom R\u00fcckenmark enthalten. Diese interessanten Thatsachen beobachtete ich bereits vor mehreren Jahren, 1830, als ich mit Herrn Jordan Versuche \u00fcber das Gift der Hautdr\u00fcsen beim gefleckten Salamander anstellen wollte.\nEs geht hieraus hervor, dass die bei den Thieren auf Ber\u00fchrung einzelner Theile erfolgenden allgemeinen Zuckungen nicht durch Communication sensorieller und motorischer Fasern der Nerven geschehen, sondern dass das R\u00fcckenmark das Binde-","page":719},{"file":"p0720.txt","language":"de","ocr_de":"720 111. Buch. JServenphysik. 111. Ahschn. Mechanikd. JSereenprincips.\nglied zwischen der sensoriellen-centripetalen, und der allgemeinen motorischen-centrifugalen Erregung ist.\nBas Ph\u00e4nomen allgemeiner Zuckungen nach \u00f6rtlichen Empfindungen ist daher auch vom N. sympathicus unabh\u00e4ngig, und ist durch eine Irritation des R\u00fcckenmarks bedingt, wodurch jede ganz \u00f6rtliche, sensorielle-centripetale Erregung sich auf das ganze R\u00fcckenmark und Gehirn verpflanzt, und von dort aus nothwen-dig alle motorischen Fasern anregt. Jene Irritation wird aber durch folgende Ursachen erregt:\n1)\tBei manchen Thieren durch blosse Zerschneidung und Quetschung des R\u00fcckenmarks. So zucken die Schildkr\u00f6ten noch nach abgeschnittenem Kopf, so oft sie ber\u00fchrt werden ; so zucken ganz junge V\u00f6gel bei der Ber\u00fchrung im Moment nach der Decapitation. So zucken alle Theile des zerschnittenen Rumpfes heim Erdsalamander nach der Ber\u00fchrung.\n2)\tFerner wird das R\u00fcckenmark in diesem Grade irritirt durch das erste Stadium narkotischer Vergiftung hei den Fr\u00f6schen, auch hei den S\u00e4ugethieren, die nach Vergiftung mit Nux vomica sogleich zucken, wo und wie man sie anfasst. Diess Stadium der reizbaren Schw\u00e4che geht hei der Narcotisation fast immer dem Stadium der paralytischen Schw\u00e4che voraus.\n3)\tAuch andere Ursachen, w7elche das Gehirn und Pi\u00fccken-mark durch Reizung schw\u00e4chen, bewirken dasselbe Ph\u00e4nomen. Bei Menschen mit reizbarer Schw\u00e4che des Nervensystems bewirkt jede unvorhergesehene Empfindung, Schall, Ber\u00fchrung, mechanische Ersch\u00fctterung, ein allgemeines Zusammenfahren. So hei Menschen, die durch Reizung der Genitalien und dadurch des R\u00fcckenmarks oder durch andere Ursachen sich eine reizbare Schw'\u00e4che des R\u00fcckenmarks zugezogen haben. Man kann hiebei einen Blick auf das Wesen der Nervenirritation thun. Alle Nerven-reizung kann hintereinander drei Zust\u00e4nde bedingen. Zuerst Reizung, wobei die Kr\u00e4fte noch unversehrt scheinen; 2. in dem Maasse, als die Reizung wiederholt wird, reizbare Schw\u00e4che; 3. atonische Schw\u00e4che.\n4)\tEine \u00f6rtliche heftige Erregung eines Empfindungsnerven kann durch die Heftigkeit der centripetalen Erregung des Gehirns und R\u00fcckenmarks auch Zuckungen und Zittern veranlassen, wie nach einem heftigen \u00f6rtlichen Verbrennen, heim Zalinausreisscn etc.\n5)\tOcrtliche Reizungen der Nerven durch Entz\u00fcndung oder knotige Anschwellung bewirken auch \u00f6fter allgemeine Kr\u00e4mpfe, selbst Epilepsie.\n\u00f6) Die von der \u00f6rtlichen sensoriellen Erregung entstehende Irritation des R\u00fcckenmarks kann bei heftigen Verletzungen sostark sevn, dass die Zuckungen best\u00e4ndig sind und seihst ohne Ber\u00fchrung fort-dauern. Diese von heftigen \u00f6rtlichen Nervenverletzungen entstehende Irritation des R\u00fcckenmarks ist der Tetanustrauniaticus. Jede heftige Irritation des R\u00fcckenmarks \u00fcberhaupt ist Tetanus, sey sie durch narkotische Gifte oder \u00f6rtlich und mittelbar veranlasst. Ich habe hier gezeigt, wie die Entstehung des Tetanus traumaticus aus einfachen, empirisch feslgestellten Thatsaehen zu begreifen ist.","page":720},{"file":"p0721.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 721\n7) Auch die heftige Irritation der sympathischen Nerven des Darmkanals erregt durch R\u00fcckwirkung auf die Centraltheile se-cund\u00e4re allgemeine Kr\u00e4mpfe, und so sind die Kr\u00e4mpfe in der sporadischen Cholera zu erkl\u00e4ren; so die Zuckungen in Krankheiten der Eingeweide bei Kindern.\nDie bisherigen Betrachtungen f\u00fchren uns indess hier nur zun\u00e4chst zur Feststellung der Thatsache, dass, wo immer durch \u00f6rtliche Empfindung allgemeine Zuckungen entstehen, diess durch keine andere Verbindung sensorieller und motorischer Fasern geschieht als die des R\u00fcckenmarks. In sehr vielen F\u00e4llen entstehen aber nach \u00f6rtlicher Reizung der Nerven nicht allgemeine, sondern \u00f6rtliche Zuckungen, die indessen auch immer durch das R\u00fck-kenmark als Bindeglied der sensoriellen und motorischen Fasern erkl\u00e4rt werden m\u00fcssen. Die F\u00e4lle, welche sich hierbei aufstellen lassen, sind folgende:\n1) Am einfachsten ist der Fall, wenn die \u00f6rtliche sensorielle Reizung, auf das P,\u00fcckenmark oder Gehirn verpflanzt, bloss \u00f6rtliche Zuckungen erregt, und zwar in den nahe gelegenen Theilen, deren motorische Fasern in der N\u00e4he mit den sensoriellen vom R\u00fcckenmark abgehen. Hieher geh\u00f6ren die Kr\u00e4mpfe und das Zittern in Gliedern, welche sich heftig verbrennen etc. Gewisse, sehr reizbare Theile des Organismus, wie die Iris, ziehen sich \u00fcberaus leicht zusammen, wenn auch nur schwache Reize andere sensorielle Nerven erregen, und die Reizung der letzteren zum Gehirn, und vom letztem durch den N. oculomotorius auf die kurze Wurzel des Ganglion ciliare, die Ciliarnerven und die Iris verpflanzt wird. Man weiss schon lange, dass die Iris nicht reizbar f\u00fcr das Licht ist, dass das Licht nur durch Vermittelung des Sehnerven und Gehirns auf die Iris wirkt; denn diess er-giebt sich aus den Versuchen von Lambert, Fontana, Caldani. Lichtstrahlen durch einen kleinen Kegel von Papier, oder durch eine kleine Oeffnung in einem Papierblatt durch die Pupille einf\u00e4llend und also die Netzhaut treffend, bringen die Iris sogleich zur Bewegung, sind aber ohne Einfluss, wenn die Lichtstrahlen auf die Iris selbst einfallen. Ferner ist die Iris eines amaurotischen Auges unbeweglich, so lange das gesunde Auge geschlossen ist, zieht sich aber zusammen, wenn das Licht den Sehnerven des gesunden Auges anregt. Die Ausnahmen, in welchen die Iris der amaurotischen Augen noch Beweglichkeit besass (siehe Tiedemann in dessen Zeitschrift 1. p. 252.), m\u00f6gen wohl auf einer unvollkommenen Amaurose beruhen, oder wenn nur ein Auge amaurotisch war, so war die Ursache der Bewegung der Iris im amaurotischen Auge das Offenseyn des gesunden Auges. Die Beweglichkeit oder Unbeweglichkeit der Iris eines amaurotischen Auges kann und sollte nur untersucht werden, wenn das gesunde Auge geschlossen ist. Jede Beobachtung, in welcher diese Vorsichtsmaassregel nicht beobachtet worden, kann nicht entscheiden. van Deen (de differentia et nexu inter nerv\u00f6s vitae animahs et organicae. Lugd. Bat. 1834. 58.) sah, wenn er bei einem Kaninehen, dem er ein Hemisphaerium des Gehirns abgetragen and den Sehnerven dieser Seite durchschnitten, bei Anwendung","page":721},{"file":"p0722.txt","language":"de","ocr_de":"7'2'i I II. Buch. Nervenphjsik. lII.Abschn. Mechanik d.Nervenprincips.\neines Lichtes Zusammerfziehung der Iris und schliesst daraus, da ss der N. opticus keinen Einfluss auf die Iris habe. I)a aber van Deen das Licht vor beide Augen (ante oculos) brachte, so musste dasselbe erfolgen, wie wenn die Iris eines amaurotischen Auges durch den Lichteinfluss auf das gesunde Auge bewegt wird. Es kann aber auch die Empfindung im Gehirn aufgehoben sevn und ein Nerve doch noch der Reflexion f\u00e4hig seyn. Tiedemann\u2019s interessante Entdeckung, dass die Arteria centralis retinae von einem feinen Zweigelchen vom Ciliarknoten begleitet wird, kann auch nicht wohl zur Erkl\u00e4rung dienen. Denn alle Gef\u00e4sse werden von Nerven begleitet; diess Zweigelchen verbreitet sich aber mit der Arteria centralis retinae, und steht mit der Retina in keinem erwiesenen Zusammenh\u00e4nge. Diese R\u00fcckwirkung vom Gehirn auf die Iris geschieht durch den N. oculomotorius, welcher nach Mayo\u2019s Versuchen bei jeder Pieizung eine Zusammenziehung der Iris erregt. Magendie J. d. physiol. T. 3. 348. Wir wissen durch denselben Verl'., dass das Hirnende des durchschnittenen Sehnerven gereizt noch Contraction der Iris bedingt. In der Zusammenziehung der Iris zeigt sich also eine Art Statik der Erregung zwischen centripetaler sensorieller und centrifugaler motorischer Wirkung durch Vermittelung des Gehirns. Auch andere Nerven k\u00f6nnen diese Statik ver\u00e4ndern, wie die sensoriellen Aeste des N. trigeminus, so dass kaltes Wasser in die Nase geschl\u00fcrft die Iris verengt. Unter diese einfacheren F\u00e4lle der reflectirten Erregung geh\u00f6rt auch das Biinzen der Augenlieder von l\u00e4ngerem Lichteindruck, oder von einem starken Schall, oder von einem drohenden Gesichtseindruck.\nFerner geh\u00f6ren hieher die Zusammenziehungen aller Dammmuskeln, Muse, sphinct. ani, levator ani, hulho-cavernosus, ischio-cavernosus hei der Austreibung des Saamens, in Folge der Irritation der Gef\u00fchlsnerven des Penis; in diesen F\u00e4llen ist das R\u00fcckenmark das Bindeglied zwischen den Empfindungen und Bewegungen. Entbl\u00f6sste Muskeln, deren motorische Nerven durch Reizung der Muskeln selbst mitgereizt werden, bed\u00fcrfen zwar jener centripetalen und centrifugalen Wirkung nicht, um Zuk-kungen zu erregen. Allein die Muskeln, welche von empfindlichen H\u00e4uten \u00fcherkleidet werden und nicht der Reizung seihst blossliegen, m\u00fcssen die Reizung zur Bewegung erst durch sensorielle Erregung ihrer empfindlichen Decke, centripetale Wirkung dieser sensoriellen Nerven und centrifugale motorische Erregung vom Gehirn aus erfahren. So k\u00f6nnen die Zusammenziehungen der Stimmritze und Luftwege von irrespirablen sauren Gasarien nicht unmittelbar durch Reizung dieser Wege erfolgen, sondern durch centi'ijietale sensorielle und centrifugale motorische Erregung. Diess hat weitl\u00e4ufiger Biuchet bewiesen. Denn wenn man den N. vagus eines Tbieres auf beiden Seiten durchschneidet, so wirkt eine reizende chemische Substanz, die man in die Luftr\u00f6hre bringt, nicht mehr als R.eiz zum Husten. Der Husten von Reizen in den Luftwegen entsteht nur durch sensorielle centripetale und centrifugale motorische Erregung. Es ist eben\u2019 so mit der Zusammenziehung des Sphincter ani und Sphincter vesicae urinariae. Diese Muskeln k\u00f6nnen selbst nicht von den Reizen","page":722},{"file":"p0723.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 723\nder Excremente und des Harns zur Contraction gereizt werden, sondern diese Stoffe wirken auf die Empfindungsnerven der Schleimhaut, und erregen das R\u00fcckenmark, welches als best\u00e4ndig mit motorischer Nervenkraft geladen auf diese Muskeln zur\u00fcckwirkt; daher nach Verletzung des R\u00fcckenmarks auch die Zusammenziehung dieser Muskeln aufh\u00f6rt.\n2) Der zweite Fall ist, wo die sensorielle Erregung rein \u00f6rtlich beschr\u00e4nkt, die r\u00fcckwirkende vom Gehirn aus aber ausgebreiteter ist, wie schon aus jenen den Husten begleitenden Ph\u00e4nomenen hervorgeht, bei welchem nicht allein die N. vagi, sondern wegen der Brus#- und Bauchmuskeln, die N. spinales mitwirken. Eben so ist es mit einer Menge krampfhafter Athembewegungen dem Niesen, Schluchzen, Erbrechen etc., welche alle von Reizen innerhalb des Schleimhautsystems der Respirationsorgane und des Darmkanals entstehen, von Reizungen der Empfindungsnerven dieser Theile, die auf das Gehirn reflectirt werden, und dort die Quelle der respiratorischen Bewegungen in der Medulla oblongata in Th\u00e4tigkeit setzen. Schon oben wurde die merkw\u00fcrdige Eigenth\u00fcmlichkeit angef\u00fchrt, dass das System der Athemnerven durch locale Reize in allen Schleimh\u00e4uten in Th\u00e4tigkeit gesetzt werden kann. Vom Munde bis zum After, von der Nase bis in die Lungen sind die Schleimh\u00e4ute zu dieser Reflexion f\u00e4hig. Denn alle diese Bewegungen, Husten, Niesen, Erbrechen, krampfhaft, unwillk\u00fchrlicher Stuhlgang, unwillk\u00fchrliches, mit Zwang verbundenes Harnlassen entstehen von heftigen Reizen in den Schleimh\u00e4uten des Rachens, der Speiser\u00f6hre, des Magens, des Darms und in der Schleimhaut der Respirationswerkzeuge. Das Niesen erkl\u00e4rte man sonst als eine krampfhafte Affection des Zwerchfelles; indess hat das Niesen mit dem Zwerchfell offenbar gar nichts zu thun; denn das Niesen ist eine heftige Exspiration, das Zwerchfell aber ist kein Muse, exspiratorius, sondern das Gegentheil. Bei der unrichtigen Supposition, dass das Niesen durch das Zwerchfell erfolge, liess man die Reizung der Nasalnerven auf das Ganglion spheno-palatinum, den N. vidianus, sym-pathicus, die Halsnerven, den N. phrenicus, den Willisischen Beinerven und den N. facialis sich fortpflanzen. Hier f\u00e4llt nun offenbar der N. phrenicus ohnehin aus. Man suchte auch zu be>,i \u00bbeisen, dass das Niesen nicht von einer reflectirten Reizung vom Gehirne ausgehe, und berief sich darauf, dass ein Mensch ohne Geruchsinn doch von Tabak geniest habe. Warum sollte er es nicht, da bei dem Mangel der Geruchsnerven doch die gew\u00f6hnlichen Gef\u00fchlsnerven der Nase, N. nasales hier, wie \u00fcberhaupt bei dem gesunden Menschen, die Empfindungen des Kit-zels haben. Man zergliedere aber doch nur die Erkl\u00e4rung [ei-ner Sympathie durch den N. sympathicus durch die feinere Anatomie. Wie soll auch das Niesen durch eine Nervenverbindung erkl\u00e4rt werden? Erstens ist nicht entfernter Weise einzusehen, warum eine Reizung dieses Nervens von der Nase aus gerade diesen und nicht vielmehr vieles Andere, z. B. eine verst\u00e4rkte Bewegung des Darmkanals, hervorbringen soll. Dann reicht die Erkl\u00e4rung nicht aus, wreil keine Verbindung des N. sympathicus mit ei-","page":723},{"file":"p0724.txt","language":"de","ocr_de":"721 III. Buch. Neruenphysik. III. Ahschn. Mechanik d. Nervenprincips.\nnem anderen Nerven eine Verschmelzung der Fasern ist. Bei dem Niesen z. B. ist eine heftige Zusammenziehung aller Exspirationsmuskeln vorhanden; alle Primitivfasern der lntercostalner-ven, welche die Zusammenziehung der Brust und des Bauches Bewirken, m\u00fcssen dabei irritirt seyn. Wie sollten aber alle diese Fasern vom N. sympathicus irritirt werden k\u00f6nnen, der an jeden dieser Nerven ein Faserb\u00fcndelchen anschliesst, das, weit entfernt, seine Primitivfasern mit allen Primitivfasern eines Spinalnerven zu verschmelzen, sie nur mit diesen vom R\u00fcckenmark empf\u00e4ngt. Da nun Primitivfasern anderen Fasern, die neben ihnen liegen, zumal in einer motorischen Wurzel ohne Ganglion, nichts 'mittheilen k\u00f6nnen, so ist hier auch die sympathische Affection aller Primitivfasern eines Intercostalnerven durch den N. sympathicus eine reine Unm\u00f6glichkeit. Alle diese Sympathien des Niesens, Hustens, Erbrechens sind abgemacht, sobald man die reflectirende Eigenschaft des R\u00fcckenmarks und Gehirns kennt, und es liegt nichts Schwieriges mehr in der Erkl\u00e4rung, sobald man von der Thatsache ausgeht, dass alle respiratorischen Nerven, N. facialis, vagus, accessorius, phrenicus und die \u00fcbrigen Spinal-Athemnerven des Rumpfes durch ihren Ursprung von der Medulla oblongata, oder ihre Abh\u00e4ngigkeit von derselben, leicht zu convulsivischen Bewegungen in Muskeln erregt werden, durch alle Reize, die von den Empfindungsnerven der Schleimh\u00e4ute auf das R\u00fcckenmark oder die Medulla oblongata geleitet werden.\nBei jedem heftigen Reiz in den Ged\u00e4rmen, in den Urinwerkzeugen, in dem Uterus tritt leicht Zusammenziehung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln ein, wodurch die Bauchh\u00f6hle verkleinert und der Inhalt derselben, nach oben, wenn er im Magen enthalten ist (Erbrechen), oder nach unten durch den Mastdarm, durch die Harnwerkszeuge, durch die Genitalien\", wie bei der Geburt, ausgetrieben wird. Der Stuhlzwang ist dieselbe Erscheinung f\u00fcr die unteren Theile des Darmkanales, was das Erbrechen f\u00fcr die oberen. Bei dem Harnzwang finden sich dieselben Bewegungen in Leidenschaft, die Geburt nimmt dieselben Muskeln in Anspruch, welche beim Erbrechen den Mageninhalt nach oben auswerfen; auch die nach dem Tode noch erfolgende Geburt, gleich wie das feste Anlegen des Schlundes um einen in denselben gebrachten Finger bei einem gek\u00f6plten jungen Thiere, zeigen uns, von welchem wichtigen, mit dem Leben aufs innigste verkn\u00fcpften Einfl\u00fcsse diese F\u00e4higkeit des R\u00fcckenmarks ist, durch \u00f6rtliche Erregungen seiner Empfinduugsnerven zu motorischen Entladungen gereizt zu werden. Mag bei mehreren der hieher geh\u00f6rigen Reizungen, beim Erbrechen etc., der N. sympathicus irgend eine Rolle spielen, so ist es keine andere als diejenige, die Reizung, wie alle anderen Empfindungsnerven, aut das Sensorium zu reflecliren. Dass er aber diese Wirkung haben kann, l\u00e4sst sich durch einen Versuch zeigen : ich habe n\u00e4mlich beim Kaninchen durch Zerrung des N. splanchnicus in der Bauchh\u00f6hle, an der innern Seite der Nebenniere, mehrmals Zuckungen der Bauchmuskeln beobachtet, und habe diess Ph\u00e4nomen, obgleich mir der","page":724},{"file":"p0725.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 725\nVersuch heim Hunde nicht gelingen wollte, doch wiederholt hei Kaninchen gesehen.\n3)\tIn den unter 2. erw\u00e4hnten F\u00e4llen ist die reflectirte Bewegung, die auf Empfindung folgende Bewegung auf eine grosse Gruppe von Nerven ausgedehnt, auf die respiratorischen Nerven, und sie entsteht am leichtesten durch Reizung der Schleimh\u00e4ute; es kann jedoch hei h\u00f6herer Reizung die Ausdehnung der re-flectirten Bewegungen noch gr\u00f6sser w\u2019erden und fast alle Rumpfnerven afficiren, wenn sich die Irritation des R\u00fcckenmarks ausdehnt. Hieher sind die F\u00e4lle der sporadischen Cholera zu rechnen (die asiatische Cholera f\u00fchre ich w'egen der Dunkelheit der Krankheit nicht auf), wo hei grosser Heftigkeit auch Kr\u00e4mpfe am Rumpfe eintreten k\u00f6nnen.\n4)\tBei den reflectirten Bewegungen, die durch heftige Empfindungen der \u00e4usseren Hautnerven und nicht der Schleimhautnerven entstehen, wird die Gruppe der respiratorischen Bewegungen auch nicht in Mitleidenschaft gezogen, sondern es entstehen leichter Kr\u00e4mpfe der Muskeln des ganzen Rumpfnervensystems ohne krampfhafte Athembew'egungen. Der h\u00f6chste Grad ist der epileptische Krampf von \u00f6rtlicher NervenafFection und der Tetanus traumaticus von Verletzung eines Nerven.\nMarshall Hall unterscheidet vier Arten von Muskelzusammenziehung: 1. die willk\u00fchrliche, welche vom Gehirn, 2. die respiratorische, welche von der medulla oblongata, abzuh\u00e4ngen scheint, 3. die un willk\u00fchrliche, welche von den Nerven und Muskeln abh\u00e4ngt, und die unmittelbare Anwendung des Reizes auf die mit Nerven versehenen Muskeln oder ihre Nerven erfordert, und 4. die reflectirende, welche zum Theil fortdauert, nachdem die willk\u00fchrliche und respiratorische aufgeh\u00f6rt haben, und an die Medulla spinalis gebunden ist. Sie h\u00f6rt nach Entfernung des R\u00fcckenmarkes auf, wenngleich die Irritabilit\u00e4t sich nicht vermindert. Bei dieser vierten entspringt der motorische Reiz nicht in einem Centraltheil des Nervensystems, sondern in einiger Entfernung vom Centrum; sie ist weder willk\u00fchr\u00fcch, noch in ihrem Verlaufe direct, sondern vielmehr erregt durch eigenth\u00fcmliche Reize, die nicht unmittelbar auf die Muskelfaser und die motorischen Nerven einwirken, sondern auf h\u00e4utige Ausbreitungen, von denen der Reiz zum R\u00fcckenmark geleitet wird. Marshall Hall erl\u00e4utert die Wichtigkeit dieser reflectirenden Function des verl\u00e4ngerten Markes und R\u00fcckenmarkes durch einige Beispiele. Das Aufnehmen des Futters ist ein wilik\u00fchrlicher Act und kann nach Entfernung des Gehirns nicht mehr vollzogen werden; der Uebergang des Bissens \u00fcber die Glottis und durch den Pharynx h\u00e4ngt von der reflectirenden Function ab, und findet noch statt, wenn das Gehirn entfernt worden. Obgleich n\u00e4mlich die hierbei th\u00e4tigen Muskeln auch willk\u00fchr\u00fcch th\u00e4tig seyn k\u00f6nnen, so bewirkt doch die Gegenwart des Bissens im Schlunde eine Reihe von heftigen Bewegungen, die oben p. 495. Beschrieben worden und welche dadurch entstehen, dass der Reiz des Bissens auf die empfindliche Schleimhaut wirkt, und","page":725},{"file":"p0726.txt","language":"de","ocr_de":"726 III. Buch. Nervenphysik. III.Abschn. Mechanikd.Ncrvenprincips.\ndiese Empfindung die Medulla oblongata zur Entladung in die motorischen Nerven anregt. Den weitern Act der Deglutition in der Speiser\u00f6hre h\u00e4lt Marshall Hall f\u00fcr die Wirkung des unmittelbar auf die Muskelfiber des Oesophagus wirkenden Reizes und das Resultat der Irritabilit\u00e4t des letztem, welches sehr zweifelhaft erscheinen d\u00fcrfte. Selbst an gek\u00f6pften jungen Thic-ren kann man \u00fcbrigens, wie schon angef\u00fchrt, noch die durch mechanische Reizung des Schlundes erfolgende, reflectirte motorische Erregung beobachten. Marshall Hall zeigt nun den dauernden Einfluss dieser Function an den Sphincteren. Der Sphincter ani bleibt bei einer Schildkr\u00f6te nach der Enthauptung geschlossen, so lange der untere Theil der Medulla spinalis unverletzt ist, wird aber sogleich schlaff und \u00f6ffnet sich, wenn man das R\u00fcckenmark wegnimmt.\nMarshall Hall durchschnitt das R\u00fcckenmark bei einer lebhaften Coluber natrix zwischen dem 2. und 3. Wirbel. Die Bewegungen h\u00f6rten sogleich auf; so bleibt es auch, wenn das Thier nicht gereizt wird. Wird es aber gereizt, so bewegt sich das Thier eine Zeit lang, da bei jeder ver\u00e4nderten Lage neue Theile seiner Oberfl\u00e4che mit dem Boden in Ber\u00fchrung kommen. All\u2014 m\u00e4hlig k\u00f6mmt das Thier wieder zur Ruhe; aber die geringste Ber\u00fchrung erneuert dagegen die Bewegung.\nMarshall Hall zeiut recht sch\u00f6n das Verh\u00e4ltniss der will-\nu\t,\nk\u00fchrlichen, respiratorischen und reflectirten Bewegungen, indem er zugleich zu beweisen sucht, dass die nach Verlust des Gehirns stattfindenden reflectirten Bewegungen nicht von wahrer Empfindung, sondern nur von der bei den Empfindungen stattfindenden centripetalen Nervenwirkung\u2018abh\u00e4ngig sind. Empfindung, Wille, Bewegung seyen die drei Glieder der Rette, wenn eine Bewegung durch Schmerz herbeigef\u00fchrt wird; werde aber das mittlere dieser Glieder zerst\u00f6rt, so h\u00f6re die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten mit dem Bewusstseyn auf. Wir glauben auch, dass die nach Verlust des Gehirns stattfindenden reflectirten Bewegungen auf Hautreize keinen Beweis enthalten, dass die Hautreize noch wahre Empfindung im R\u00fcckenmark erregen k\u00f6nnen; es ist vielmehr die gew\u00f6hnlich auch bei den Empfindungen statt-findende centripetale Leitung des Nervenprincips, die aber hier nicht mehr Empfindung ist, weil sie nicht mehr zum Gehirn, zum Organ des Bewusstseyns geleitet wird. Auch w\u00e4hrend dem gesunden Leben erfolgen viele reflectirte Bewegungen durch Hautreize, welche nicht als wahre Empfindungen zum Bew\u2019usst-seyn kommen, aber doch heftige Eindr\u00fccke auf das R\u00fcckenmark erregen k\u00f6nnen, wie z. B. die dauernde Zusammenziehung der Sphincteren vom Reiz der Excremente und des Harns. Allein Marshall Hall geht doch zu weit, wenn er annimmt, dass bei dem gesunden Leben jede Bewegung auf wahre Empfindung vom Willen bedingt werde, und alle Erregungen der empfindlichen Theile bei den reflectirten Bewegungen ohne Empfindung seyen. Denn die reflectirten Bewegungen des Niesens, Hustens und viele andere erfolgen von wirklichen Empfindungen.\nDie reflectirten Bewegungen und die unvvillk\u00fchrlichen, nicht","page":726},{"file":"p0727.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 727'\nreflectirten Bewegungen sind nicht mit einander zu verwechseln. Wird die Stimmritze eines Thieres ber\u00fchrt, sagt Marshall Hall, so folgt eine Zusammenziehung; eben so, wenn das Herz ber\u00fchrt wird. Durci) Entfernung des Gehirns tritt keine Aenderung ein. Nimmt man aber die Medulla oblongata weg, so h\u00f6ren die Con-tractionen des Larynx auf Reize auf, w\u00e4hrend die des Herzens selbst nach Entfernung der Medulla spinalis fortdauern. Die Wirkung des Reizes auf das Herz ist eine unmittelbare (Irritabilit\u00e4t); ein auf den Larynx angebrachter Reiz muss dagegen zur Medulla oblongata fortgepflanzt werden und die Contraction erfolgt mittelbar von dieser aus. Bei einer Schlange trat nach Entfernung des Kopfes eine Bewegung des Larynx ein, welcher abw\u00e4rts gezogen und geschlossen wurde, sobald Marshall Hall eine Steile innerhalb der Z\u00e4hne des Unterkiefers oder die Nasenl\u00f6cher ber\u00fchrte. Diess fand nach Entfernung der Medulla oblongata nicht mehr statt. Marshall erw\u00e4hnt zuletzt, als zur reflectirenden Function geh\u00f6rend, das Blinzeln der Augenlieder, wenn dieselben ber\u00fchrt werden, die eigenth\u00fcrnlicbe Wirkung auf die Respiration durch Kitzeln, oder wenn kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt wird, das Niesen durch Reizen der Nasenschleimhaut, Husten, Erbrechen durch Reizen des Larynx oder Pharynx, Tenesmus durch Reizung des Mastdarms, und Strangurie durch Reizung der Blase.\nMan sieht, dass die Kr\u00e4mpfe in den Krankheiten eine sehr \\ verschiedene Quelle haben k\u00f6nnen. Es giebt n\u00e4mlich krampfhafte Affectionen, welche ihren Sitz in den motorischen Nerven seihst, oder ihre Ursache im Gehirn und R\u00fcckenmark haben; aber auch reflectirte Kr\u00e4mpfe, deren Ursache in Reizungen von Ernplindungsnerven liegt., wie die nach Intestinalreizungen, bei der Dentition, Odontalgic, und \u00fcberhaupt nach schmerzhaften Nervenleiden von organischen und nicht, organischen Fehlern, oft erfolgenden Kr\u00e4mpfe.\nDie bisher beschriebenen Ph\u00e4nomene haben zwar alle mit einander gemein, dass das R\u00fcckenmark das Bindeglied zwischen einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprin-cips ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege bezeichnen, welche bei den reflectirten Bewegungen von den Em-pfindungsnerven auf die motorischen Nerven im R\u00fcckenmark die Leitung bewirken. Die gew\u00f6hnlichste Art der reflectirten Bewegung ist, dass die Muskeln des Gliedes, an welchem man hef-tige Empfindungen erregt, bewegt werden, wie beim Verbrennen der Haut Zuckungen zun\u00e4chst in dem verbrannten Gliede, und iin Anf\u00e4nge der Narcotisation eines Thieres bei Empfindungsrei-zung der Haut am leichtesten auch die Muskeln des gereizten Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflectirte Bewegung der Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der Staub in der Conjunctiva blosse Empfindung erregend, das reflectirte Schliessen der Augenlieder hervorruft, und wie endlich die Picize des Urins und der Exeremente mittelbar auf die Bewegung der Sphincte-ren wirken. Sobald daher die Empfindungsbewegung das Pi\u00fck-Lenrnark erreicht bat, so geht, die Bewegung nicht auf das ganze\n\u00fc 11 cr\u2019s Physiologie. !\u2022\t\\","page":727},{"file":"p0728.txt","language":"de","ocr_de":"728 III. Buch. Rert\u2019enphvsik, III. Ahschn. Mechanikd. Ncrvenprincips,\nR\u00fcckenmark \u00fcber, sondern am leichtesten auf diejenigen motorischen Nerven, welche den n\u00e4chsten Ursprung an den gereizten sensibeln Nerven haben; oder mit anderen Worten, der leichteste Weg der Str\u00f6mung oder Schwingung ist von der hintern Wurzel eines Nerven oder seiner einzelnen Primitivfasern nach dessen vorderer Wurzel oder nach den vorderen Wurzeln mehrerer nahe gelegenen Nerven. Wir sehen daraus, dass das Prin-cip der Nerven hei diesen Str\u00f6mungen oder Schwingungen die k\u00fcrzesten Wege nimmt, um von Empfindungslosem durch das R\u00fcckenmark auf Bewegungsfasern zu wirken; gleichwie die Eiek-tricit\u00e4t auch den k\u00fcrzesten Weg von einem zum andern der gen\u00e4herten Poldr\u00e4tbe nimmt. Richtiger ausgedr\u00fcckt und in die Sprache der Nervenphysik \u00fcbersetzt, heisst diess jedoch so, dass hei heftiger Erregung der motorischen Eigenschaft des R\u00fcckenmarkes (lurch einen Empfindungsnerven zun\u00e4chst nur derjenige Theil des R\u00fcckenmarkes erregt wird, und wieder Zuckung erregt, welcher dem Empfindungsnerven den Ursprung giebt, und dass die Erregung anderer Tlieile des R\u00fcckenmarkes und der davon entspringenden motorischen Nerven in dem Maasse abnimmt, als sie sich von der durch den Empfindungsnerven erregten Stelle entfernen. Dasselbe gilt auch von den Hirnnerven. Die grossen Sinnesnerven sind vorz\u00fcglich geneigt, refleclirlc Bewegungen der motorischen Gehirnnerven zu verursachen, und namentlich der N. opticus und acusticus ; beide bewirken hei grellem Lichte, und starkem Schall eine retire!irte Erregung des N. facialis, und dadurch Schliessen oder Blinzeln der Augenlieder. Der N. opticus bewirkt hinwieder leicht die rellectirte Erregung des N. oculomotorius durch Bewegung der Iris, und erregt heim Sehen von intensivem Lieht eine rellectirte Affection des R. facialis mit anderen Nerven im Niesen. Aber auch der grosse Ge-f\u00fchlsnerve des Vorderhauptes und Gesichtes, die grosse Portion des N. trigeminus kann den N. oculomotorius und facialis durch Vermittelung des Gehirns erregen; so entsteht Zusammen/,ielmng der Iris von in die Nase eingezogenem kalten Wasser, und von Kitzel in der Nase entsteht Niesen und die damit verbundene Th\u00e4tigkeit des N. facialis hei Erregung der Gesichtsinuskeln. Kurzum wir sehen, dass von den motorischen Gehirnnerven die zum Ciliarknoten und also zu der Iris gehenden Th ei le des Nervus oculomotorius und der Nervus facialis am leichtesten durch Reflexion erregt werden, und dass sowohl Gesichts- als Gef\u00fchlsund Geh\u00f6reindr\u00fccke die erregende Ursache seyn k\u00f6nnen; daher zwischen den Urspr\u00fcngen des N. opticus, trigeminus und aeusli-cus, und den Ursprungsstellen jener motorischen Nerven im Gehirn eme durch, die erste Formation pr\u00e4stabilirte leichtere Leitung stattfinden muss. Diejenigen Empfindungsnerven und motorischen Nerven, deren Wechselwirkung durch das Gehirn und R\u00fcckenmark erleichtert ist, zeigen mit jenen Centrullheilen eine Art Statik, eines ver\u00e4ndert das andere, wie das Steigen einer YVaageschaale das Sinken der anderen bedingt, das Fallen des Fluidums in dem einen Schenkel einer zweischenkligen R\u00f6hre","page":728},{"file":"p0729.txt","language":"de","ocr_de":"3. Von der Reflexion in den Bewegungen nach Empfindungen. 729\ndas Steigen in dem andern bewirkt bis zur Herstellung des Gleichgewichtes. Ist auch ein Empfindungsnerve f\u00fcr gew\u00f6hnlich nicht im Stande, eine reflectirte Bewegung hervorzurufen, so tritt sie doch bei einiger Heftigkeit der Empfindung sogleich auf, und das R\u00fcckenmark und Gehirn reflectiren dann die von Seiten der Empfindungsnerven erhaltene Str\u00f6mung oder Schwingung in diejenigen motorischen Nerven, zu welchen die Leitung von jenen Empfindungsnerven durch die Fasern des Gehirns und B\u00fcckenmarkes am leichtesten ist.\nEine andere, sehr gew\u00f6hnliche Bahn der Leitung von Etn-pfindungsnerven zu motorischen Nerven durch Vermittelung, des R\u00fcckenmarks und der Medulla oblongata, ist die der Erregung des Schleimhaulsysterns und der secund\u00e4ren Affection der Respirationsmuskeln im Erbrechen, Stuhlzwang, Gebaren, Harnzwang, Husten, Niesen, Schluchzen etc. Ausser dem eben er\u00f6rterten statischen Gesetz, dass Nerven verwandten Ursprunges, oder von nicht allzu entferntem Urspr\u00fcnge zu den Erscheinungen der Reflexion sich eignen, ist das am h\u00e4ufigsten eintretende Gesetz der Nervenslatik, der Reflexion, das eben erw\u00e4hnte. Daher in der Medulla oblongata und dem R\u00fcckenmark, zwischen den Empfindungsnerven der Schleimh\u00e4ute (N. trigeminus - Nase; N. vagus\u2014 Luftr\u00f6hre, Lungen, Schlund, Speiser\u00f6hre, Magen; N. sympatbicus \u2014 Darmkanal, Uterus. Aeste des Sacralplexus und N. sympatbicus zur Urinblase und zum Mastdarm) und den motorischen Respirationsnerven (N. facialis, accessorius, N. spinales) eine leichtere Leitung pr\u00e4formirt seyn muss, w\u00e4hrend dagegen die zu den Extremit\u00e4ten gehenden N. spinales von dieser Harmonie ausgeschlossen sind.\nTritt aber eine gewisse Irritation des R\u00fcckenmarkes und Gehirns durch Narkosis oder andere Ursachen ein, so kann jede Empfindung eine Entladung des R\u00fcckenmarkes nach allen motorischen Nerven bewirken, auch zu denjenigen, welche sonst am schwersten mit afficirt werden, zu den motorischen Nerven der Extremit\u00e4ten. Ja Yolkmann (Muf.lt. .Arch. 1838. 15.) hat gezeigt, dass L\u00e4ngstheilung des R\u00fcckenmarks bei enthaupteten Fr\u00f6schen die Ausdehnung der Reflexbewegungen \u00fcber alle Muskeln beider K\u00f6rperh\u00e4lften nicht hindert, so lange nur irgend ein iheil des R\u00fcckenmarkes verbunden bleibt.\nEs entsteht zuletzt die Frage, in wie weit die Empfindung an den Reflexbewegungen als Empfindung Antbeil hat. Volkmann neigt sich zu der Ansicht von Wiiytt, welcher bewusste Empfindung und spontane zweckm\u00e4ssige Reaction bei den Bewegungen, die auf Empfindungen folgen, annahm. Dass diess in vielen F\u00e4llen so ist, scheint mir nicht zu bezweifeln, namentlich scheint es so bei den Reflexbewegungen zu seyn, welche bei unversehrtem Gehirn und R\u00fcckenmark erfolgen. Hieher geh\u00f6rt z. B. das Schliessen der Augenlieder beim heftigen Licbtreiz, die Bewegung der Athemmuskein bei Reizung der Schleimhaut des tractus respiratorius, intestinalis, urinariu's. Bedenkt man aber, dass alle St\u00fccke einer Salamandra maculata noch Reflexbewegun-\n47 *","page":729},{"file":"p0730.txt","language":"de","ocr_de":"730 III. Buch. Nert\u2019cnphysik. III. Alschn. Mechanik d.Nerpenprincips.\ngen zeigen, welche noch etwas vom R\u00fcckenmark enthalten, so l\u00e4sst sich diese Ansicht schwerlich als durchgreifend Festhalten. Auch gieht es Refle'ionserscheinungen an Organen, weiche dem Einfluss des Willens entzogen sind, wie am Darmkanal und Herzen. Endlich haben die allgemeinen reflectirten Zuckungen nach der Narcotisation nicht die geringste Aebnlichkeit mit einer spontanen Reaction. Nach meiner Meinung bewirkt eine Reizung eines sensoriellen Spinalnerven zun\u00e4chst eine centripetale Action des Nervenprincips zum R\u00fcckenmark. Kann diese noch zum Sensorium commune gelangen, so ist es eine bewusste Empfindung. Gelangt sie aber wegen Durchschneidung des R\u00fcckenmarks nicht zum Sensorium commune, so beh\u00e4lt sie doch ihre ganze Kraft als centripetale Action auf das R\u00fcckenmark. In beiden F\u00e4llen kann eine centripetale Action eines sensoriellen Nerven eine Reflexbewegung hervorbringen. Im ersten Falle wurde die centripetale Action zugleich Empfindung, im letztem Falle nicht, aber sie ist zur Reilexbewegung oder zur centrifugalen Reflexion hinreichend. Marshall Hall\u2019s Ansicht entfernt sich sowohl von derjenigen von Wiiytt, als von der mehligen und ist eigenth\u00fcmlich. Er beschr\u00e4nkt zuerst die Erscheinungen der Reflexion auf die blossen Spinalnerven und schliesst die Sinnesnerven des Gehirns aus. Nach ihm wird die Reflexion niemals durch eine Empfindung und selbst nicht einmal durch die sensoriellen Nerven vermittelt. Vielmehr nimmt Marshall Hall eigene Nerven oder Nervenfasern als exeito-motorische an, auch die centril\u00fcgale Action erfolgt hei der Reflexion nicht in den spontan-motorischen Nerven, sondern in eigenen Fasern, welche er reflecto-motorische nennt. Sensorielle und excito-motorische Fasern kommen von den bin-tern Wurzeln, spontan-motorische und reflecto-motorische von den vordem Wurzeln der Spinalnerven und Nerven der medulla oblongata; auch wird der N. vagus nicht als vorzugsweise sensorieller, sondern als excito-motorischer Nerve angesehen, weil seine Durchschneidung nach .Marshall Hall und Broughton nicht schmerzhaft ist, aber die Respirationsbewegungen ver\u00e4ndert. Diese Ansicht ist in Marsh all Hall\u2019s neuestem Werk \u00fcber das Nervensystem (Memoirs on the nervous system. London 1837. 4.) ausf\u00fchrlich entwickelt. Volkmann hat diese Lehre in seiner erw\u00e4hnten Abhandlung bestritten und unter anderem angef\u00fchrt, dass der N. vagus in der That auch schmerzhafter Empfindungen f\u00e4hig sev.\nEine Thatsache, auf welche Volkmann zuletzt aufmerksam macht und welche wir seihst oft beobachtet haben, ist die, dass ein grosser Unterschied in der F\u00e4higkeit Reflexionsbewegungen bervoizurufen, zwischen .den Nervenst\u00e4mmen und ihrer peripherischen Ausbreitung besteht. Kein Th eil erregt gereizt so leicht Reflexbewegung als die Haut, bei narkotisirten Thieren reicht oft die blosse leiseste Ber\u00fchrung hin sie stark hervorz.urufen, w\u00e4hrend die Reflexbewegungen, welche man bei Reizung der Ner* venst\u00e4inme seihst wahrnimmt, viel geringer sind.","page":730},{"file":"p0731.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. verschiedenen Action der sensibeln u. mut arischen Nerven. 731\niV.Capitel. Von d e r v er s ch i e d en e n A cti o n der sensibeln und motorischen Nerven.\nDie Erfahrung bat uns bis jetzt gelehrt, dass, wenn ein Punkt des Nerven gereizt wird, die Wirkung sich in der ganzen Lange der Fasern \u00e4ussert, und in den motorischen Nerven dort Bewegung erregt, wo die Fasern mit Muskeln Zusammenh\u00e4ngen, in den sensibeln Fasern Empfindung, wenn die Fasern noch-mit den Centraltheilen Zusammenh\u00e4ngen. Nun k\u00f6nnte es scheinen , dass sich der Effect der Nervenreizung von dem gereizten-Punkte auf gleiche Art nach dem peripherischen Ende des Ner-v(>n und nach dem Centralende desselben fortpflanze. Es fragt sich aber, ob diess wirklich geschieht, und ob die Fortpflanzung der Reizung nicht in einer gewissen Richtung allein geschieht, oh bei den sensibeln Fasern der Nerven die Wirkung nicht etwa bloss nach dem Gehirn, bei den motorischen Fasern bloss die umgekehrte Richtung nach den Muskeln stattfinde. Man nahm diess gew\u00f6hnlich an, so lange es nicht bekannt war, dass die sensibeln und motorischen Fasern verschieden sind. Jetzt wiederholt sich diese Frage wieder, und die L\u00f6sung dieses Problems ist von \u00e4nsserster Wichtigkeit f\u00fcr die Physik der Nerven. Es handelt sich also darum, zu wissen : ist die Kraft der motorischen Fasern Muskeln zur Zusammenziehung zu reizen, qualitativ von der Kraft der sensibeln Fasern verschieden, oder ist, was liier verschiedene Kr\u00e4fte genannt werden, bloss verschiedene Richtung der Nerven Wirkung, centrifugal in den motorischen Fasern, centripetal in den sensibeln.\nEs ist bekannt, dass die Wirkung bei den Muskelnerven immer nur in der Richtung der Nervenzweige erfolgt, und dass die Muskeln nicht zucken, welche Nerven\u00e4ste vom Stamme erhalten \u00fcber der Stelle tier Reizung, dass dagegen nach abw\u00e4rts die Wirkung sich auf all\u00e9 Muskelnerverven ausdehnt, die von dem Stamme unter der gereizten Stelle allgehen. Diese Thatsache scheint zu beweisen, dass die Nervenwirkung in den motorischen Nerven nur in centrifugaler Richtung erfolgt, vom Stamme nach den Aesten. Allein diess l\u00e4sst sich sehr wohl aus Thatsachen ganz anders erkl\u00e4ren. Die mikroskopische Anatomie der Nerven lehrt dass die Primitivfasern in den St\u00e4mmen sich nicht verbinden dass also der Nervenstamm nur das Ensemble aller unendlich vielen Primitivfasern ist, die aus dem Stamm mit den Aesten hervorgehen. Die Primitivfasern der Aeste, die in verschiedener H\u00f6he vom Stamme abgehen, h\u00e4ngen daher gar nicht im Stamme zusammen, die motorischen Fasern, laufen getrennt bis *nm R\u00fcckenmark oder Gehirn, und die Reizung eines Astes kann daher r\u00fcckw\u00e4rts, wenn eine R\u00fcckw\u00e4rtswirkung slaltfincfet, keine Theile des Stammes mit affieiren, sondern diese R\u00fcckw\u00e4rtswir-kung w\u00fcrde sich auf die Primitivfasern ds.s gereizten Astes beschr\u00e4nken, welche im Stamme ohne Verbindung bis zum Gehirn oder R\u00fcckenmark forllaufen. Wenn also auch ausser der Wirkung nach den Muskeln, eine Riickemuarksvvirkuug des in einem Punkte","page":731},{"file":"p0732.txt","language":"de","ocr_de":"732 III. Buch. Nervenphysik. IH. Abschn. Mechanik el. Nervenprincips.\ngereizten motorischen Nerven nach dem Gehirn lind Pi\u00fcckenmark stattf\u00e4nde, so k\u00f6nnten wir sie nicht an Zuckungen anderer Theile merken, weil die Fasern eines Stammes mit keinen Fasern h\u00f6herer A este Zusammenh\u00e4ngen. Diese R\u00fcckw\u00e4rtswirkung kann auch im R\u00fcckenmark isolirt bleiben, wenn die Fasern im R\u00fcckenmark sich nicht verbinden, sie kann auch keine Empfindung im Gehirn und R\u00fcckenmark erregen, wenn die Fasern der motorischen Nerven im Gehirn und R\u00fcckenmark isolirt sind und nicht mit sensibeln Fasern Zusammenh\u00e4ngen. Ehen so mit den an einem Punkte ihrer L\u00e4nge gereizten sensibeln Fasern. Die sensibeln Fasern bewirken nur Empfindungen, wenn sie mit dem unversehrten R\u00fcckenmark und Gehirn Zusammenh\u00e4ngen. Hieraus k\u00f6nnte man auf eine blosse centripetale Wirkung der sensibeln Nervenfasern schliessen, allein dieser Schluss ist eben so fehlerhaft, denn nur der centripetale Strom von jenem Punkte kann bewusst werden, weil nur er von dem Centralorgane empfunden wird, der entgegengesetzte Strom der sensibeln Fasern kann nicht bewusst werden, nenn er auch stattfindet.\nWenn es gewiss w\u00e4re, dass die Muskeln auch ohne die Nerven durch sich selbst Contractilit\u00e4t besitzen, und dass aller Nervenreiz nur wie andere Reize auf die Muskeln wirke, dass andere Reize nicht erst auf Nerven wirken m\u00fcssen, um Bewegungen hervorzurufen; wenn diess gewiss w\u00e4re, so Hesse sich weiter beweisen, dass die sensibeln Fasern nur centripetal nach dem Gehirn und nicht r\u00fcckw\u00e4rts wirken. Denn nach einer Beobachtung von mir sind die sensibeln Fasern in den Muskeln Zuckungen zu bewirken auch dann unf\u00e4hig, wenn sie sich wirklich in Muskeln verbreiten, wie der N. lingualis, der wenigstens mit dem Muskelnerven N. hypoglosses anastomosirt. Allein obige Voraussetzung ist falsch; die Muskeln besitzen ohne die Wechselwirkung mit den Nerven keine Contractilit\u00e4t; sie verlieren ihre Contra-ctionskraft .auf alle Reize, wenn ihre Nerven lange Zeit vom Gehirn getrennt waren; sie verlieren ihre Reizbarkeit in gleichem Grade, als die Reizbarkeit der Nerven erlischt, wie die Versuche von mir und Stickeb zeigen. Siche oben p. 639. In diesen Versuchen hatten die Muskeln, zu welchen ein durchschnittener Nerve hingeht, nach mehreren Monaten in zwei F\u00e4llen alle Reizbarkeit, und in einem Falle fast alle Reizbarkeit f\u00fcr den galvanischen und mechanischen Reiz, in gleichem Grade als die Nerven selbst verloren, so dass zu den Zusammenziehungen der Muskeln durchaus ihre Wechselwirkung mit den Nerven noting ist. Da nun die sensibeln Nerven auch dann, wenn sie sich in Muskeln (wie der N. lingualis in der Zunge) verbreiten, keinen Einfluss auf die Muskeln haben (siehe oben p. (\u00bb61.), so folgt ganz evident, dass die motorischen Nerven allein in jener Wechselwirkung mit den Muskeln stehen. Diess kann aber auch wieder eben so gut von einer eigenlhiimlichen, nur den motorischen Nerven eigenen Qualit\u00e4t herr\u00fchren, als von einer, nur den motorischen Nerven zukommenden ceutrifugalcn Richtung der Nerven-wirkung.\nGetrieben von dem Eifer, \u00fcber diesen \u00e4usserst wichtigen Punkt aut empirischem Wege ins Reine zu kommen, habe'ich in","page":732},{"file":"p0733.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. verschiedenen Action der sensibeln u. motorischen Nerven. 733\nden Wirkungen der narkotischen Gifte ein Mittel zur dereinsti-gen L\u00f6sung des Problems gefunden. Die Fr\u00f6sche werden n\u00e4mlich nach der Vergiftung mit Opium so \u00e4usserst reizbar im R\u00fck-kenmark, dass jede auch noch so geringe Ersch\u00fctterung, z. B. das leise Klopfen auf den Tisch, auf welchem der Frosch liegt, oder das Fallenlassen eines Fusses eine Zuckung um ganzen K\u00f6rper bewirkt. Nicht allein die Ersch\u00fctterung des R\u00fcckenmarkes seihst thut diess, sondern jauch eine ganz \u00f6rtliche Empfindung, die auf das R\u00fcckenmark verpflanzt wird. Wenn man den Frosch in diesem Zustande irgendwo sticht, ohne die geringste Ersch\u00fctterung, so zuckt er in allen Theilen seines K\u00f6rpers. Hiebei wirkt die peripherische Reizung eines Empfindungsnerven auf das ganze R\u00fcckenmark, und das R\u00fcckenmark auf alle Theile zur\u00fcck. Das R\u00fcckenmark ist hier, die Vermittelung, denn die ab-geschniltenen Theile oder Theile, deren Nerven durchschnitten sind, zucken dann nicht mehr bei der Ersch\u00fctterung. Diese That-saclie vorausgesetzt, wollte ich hei einem Frosch die hinteren oder sensibeln Wurzeln der Nerven f\u00fcr ein Hinterbein dtirch-sehrieiden, den Frosch vergiften, und dann sehen, oh die Nerven dieses Beins, welches noch durch die vorderen oder motorischen Wurzeln mit dem R\u00fcckenmark zusammenhangt, wenn sie gereizt werden, so gut wie die Empfindungsnerven diese Reizung auf das \u00e4usserst gereizte R\u00fcckenmark fortpflanzen k\u00f6nnen in centripetaier Bewegung, und oh also die Reizung eines Bewegungsnerven in einem empfindungslosen Bein r\u00fcckw\u00e4rts auch noch allgemeine Zuckungen in einem vergifteten Frosch bewirkt. Der Erfolg des wiederholten Versuchs ist dagegen. Diese Zuckungen erfolgen nicht, wenn die Reizung des Bewegungsnerven ganz ohne alle Ersch\u00fctterung des ganzen Frosches geschieht, z. B. durch Schneiden eines Nerven mit der Sc lie\u00df re; auch die mechanische Reizung des Nerven mit der Nadel und Pincette bringt dann keine allgemeinen Zuckungen am ganzen Frosch hervor, wenn nur keine Ersch\u00fctterung des Frosches dabei stattfindet. Um diese Versuche gut anzustellen, muss man erst das Gift bei-bringen, und wenn sich die erste Wirkung zeigt, wenn n\u00e4mlich der Frosch beim Klopfen auf den Tisch, worauf er liegt, zu zucken anlangt, schnell das R\u00fcckgrat \u00f6ffnen, und auf einer Seite alle drei hinteren Wurzeln der Nerven des einen Hinterbeines durchschneiden, w\u00e4hrend die andere Seite unversehrt bleibt; d arauf pr\u00e4parirt man eben so schnell den Schenkelnerven auf beiden Seiten heraus und schneidet ihn \u00fcber dem Knie ab, so dass er ata Oberschenkel heraush\u00e4ngt. So ist der Frosch zum Versuch pr\u00e4parirt. Bricht man aber vor dem Beibringen des Giftes das R\u00fcckgrat auf, so verliert er vor der Vergiftung so viel Blut, dass das Gift hernach nicht mehr recht resorbirt wird. Dieser Versuch ist \u00fcberhaupt schwer, und man muss ihn oft anstellen, bis man zu einem reinen Experiment kommt. Auch darf die Dosis des Giftes nicht zu stark seyn, damit die Paralyse nicht zu schnell eintritt. Am besten ist Opium ; Nux vomica macht zu schnell paralytisch. 1st nun der Frosch vergiftet, das R\u00fcckgrat aufgebrochen, sind die hinteren oder sensibeln Wurzeln der","page":733},{"file":"p0734.txt","language":"de","ocr_de":"734 III. Buch. Nervenphysik. III.Abschn. Mechanik d.Nervenprincips.\nNerven des Hinterbeins auf der einen Seite durchschnitten und der Schenkelnerve herauspr\u00e4parirt, so schneide man am Schen-kclnerven dieser Seite, der durch die Empfindungswurzeln nichts mehr zum R\u00fcckenmark leiten kann, ein St\u00fcckchen mit der Scheere bei Vermeidung aller Ersch\u00fctterung ah. Dabei wird keine Zuckung des ganzen Frosches eintreten. Schneidet man aber eben so an dem Schenkelnerven der andern Seite, dessen Empfindungswurzeln noch mit dem R\u00fcckenmark Zusammenh\u00e4ngen, ein St\u00fcckchen mit der Scheere ab, so entsteht jedesmal eine Zuckung des ganzen Frosches, zum Beweise, dass die motorischen Nerven oder vorderen Wurzeln allein keine Reizung r\u00fcckw\u00e4rts zum R\u00fcckenmark, welche die allgemeine Zuckung bewirkt, fortleiten k\u00f6nnen, und dass zu dieser R\u00fcckw\u00e4rtsleitung zum R\u00fck-kenmark nur die Empfindungsnerven f\u00e4hig sind. Bei diesen \u00e4usserst wichtigen Versuchen muss man heim Schneiden der Nerven alle, auch die geringste Ersch\u00fctterung vermeiden. Denn wenn man heim Schneiden des Schenkelnerven, dessen hintere Wurzeln resecirt sind, ungeschickt verfahrt, so dass sich die Ersch\u00fctterungmechanisch bis auf den Rumpf des Thieres fortpflanzt, so ruft das ersch\u00fctterte R\u00fcckenmark sogleich eine Zuckung hervor. Dass hier die Ersch\u00fctterung des R\u00fcckenmarks die Ursache ist, beweist der Umstand, dass seihst nach Durchschncidung des Nerven noch eine zerrende Ersch\u00fctterung am Bein, die dem Rumpfe mitgelheilt wird, allgemeine Zuckungen erregt. Ich habe noch folgenden zweiten Versuch zur L\u00f6sung des Problems ausgedacht, aber noch nicht angestellt.\nEs ist bekannt, dass die Iris in beiden Augen sich immer gleichzeitig bewegt, und dass der Reiz eines Auges hinreicht, um eine gleiche Ver\u00e4nderung in beiden Pupillen hervorzubringen. Es ist auch bekannt, dass das Licht nicht unmittelbar auf die Iris wirkt, sondern dass die gereizte Netzhaut auf das Gehirn wirkt, und die Zusammenziehung der Iris erst Folge der R\u00fcckwirkung vom Gehirn ist. Denn die f\u00fcr das Licht sonst unbewegliche Iris eines amaurotischen Auges wird noch bewegt, wenn das Liebt auf das gesunde Auge wirkt. Es ist auch bekannt, dass der N. oculomotorius Bewegungsnerve f\u00fcr die Iris ist, wie Mayo gezeigt hat. Es fragt sich nun: wenn man den N. oculomotorius eines Auges reizt, wirkt diese Reizung r\u00fcckw\u00e4rts, wie im Sehnerven, auf das Gehirn, und erfolgt eine Verengung der Iris im Auge der anderen Seite? Dieser Versuch beruht \u00fcbrigens auf der keineswegs wahrscheinlichen Voraussetzung, dass der N. oculomotorius keine Empfindungsfasern enth\u00e4lt.\nDer zweite Theil der Frage, ob die Nervenwirkung in den Empfindungsnerven nur centripetal, nicht auch r\u00fcckwirkend vom Gehirn und R\u00fcckenmark ist, liesse sich insofern auch f\u00fcr die blosse centripetale Wirkung entscheiden, als alle Empfindungen mit centripetalen Wirkungen verbunden sind. Es giebt aber auch Empfindungen, die sich vom R\u00fcckenmark bei Leidenschaften, Vorstellungen in der gauzen L\u00e4nge der Nerven bis zu den Zehen fortzupflanzen scheinen. Allein diese Hessen sich auch anders erkl\u00e4ren. Es wurde gezeigt, dass die Empfindungsfasern aller Theile","page":734},{"file":"p0735.txt","language":"de","ocr_de":"4. Von d. verschiedenen Arten der sensiheln u. motorischen Nerven, 735\neines Nerven im Stamme und in den Wurzeln enthalten sind, und dieser Stamm heim Druck dieselben Empfindungen bat, als die Aeste zusammen. Wenn also die Wurzeln der Nervenst\u00e4mme eines Gliedes durch centripetale Nervenvvirkung Eindruck auf das R\u00fcckenmark machen, so m\u00fcssen die Empfindungen in dem Gliede zu sevn scheinen. Wenn ferner durch eine Ursache pl\u00f6tzlich die Empfindungskraft im R\u00fcckenmark ver\u00e4ndert wird, durch Schreck, so machen die Fasern der Empfindungswurzeln einen anderen Eindruck als vorher, was als Empfindungen in den Glie-dern gef\u00fchlt werden muss.\nEine vom Gehirn aus centrifugal in einem entschiedenen Empfindungsnerven erfolgende Erregung ist scheinbar die des Nervus lacrymalis in gewissen Leidenschaften und Vorstellungen. W\u00e4re es gewiss, dass vom Nervus sympathicus keine Zweige mit dem Nervus lacrymalis, wie mit anderen Zweigen des Nervus trigeminus fortgehen, so w\u00e4re diess ein Reweis, dass auch die Empfindungsnerven Erregungen in jeder Richtung verbreiten. Es ist aber zu vermuthen, dass auch der N. lacrymalis graue Fasern erh\u00e4lt, da sie der ganze erste Ast bek\u00f6mmt, wie fr\u00fcher gezeigt worden.\nEben so d\u00fcrfte die Tbatsache zu erkl\u00e4ren seyn, dass noch andere Nerven, welche haupts\u00e4chlich der Empfindung dienen, einen offenbaren organischen Einfluss auf die Ern\u00e4hrung und Absonderung und selbst, auf Bewegung haben, wie der N. vagus. Der N. vagus wird, wie E. H. Weber (anat. nervi sympathie!) gezeigt hat, bei einigen Thieren zum grossen Theil selbst Vertreter des N. sympathicus, wie bei den Schlangen, wo er einen grossen Theil des Darmkanals versieht. Bei den Myxinoiden geht der vagus nach meinen Beobachtungen bis zum After und der sympathicus fehlt. Indem daher der N. sympathicus und der N. Vagus sich gleichsam gegenseitig vertreten und beschr\u00e4nken k\u00f6nnen, scheint der Beweis geliefert zu seyn, dass in einem Empfindungsnerven nicht bloss retrograde Str\u00f6mungen oder Schwingungen stattfinden k\u00f6nnen. Indess hat dieser Einwurf keinen grossen Werth ; denn die organischen Wirkungen des N. vagus r\u00fchren doch h\u00f6chst wahrscheinlich aus beigemischten organischen Fasern des N. sympathicus her, mit dem er sich so vielfach verbindet. Ueberhaupt enth\u00e4lt ein Nerve, der eine Strecke sich verbreitet, ganz andere Elemente, als bei seinem Urspr\u00fcnge; die Natur kann auf seinem Wege noch viele andere Fasern ganz anderer Ordnung zu ihm gesellen. Ein lebhaftes Beispiel, wie ein motorischer Nerve von organischen Fasern begleitet wird, und wie die organische Wirkung von der motorischen verschieden seyn muss, haben wir an dem N. buccinatorius* des Ocbsen, der ein B\u00fcschel grauer organischer Fasern vom Ganglion oticum aufnimmt, die mit ihm hingehen, um sich wahrscheinlich in der Mundschleimhaut und den Wangendr\u00fcsen zu verbreiten. Hier sehen wir, dass f\u00fcr die motorische Str\u00f6mung wie f\u00fcr die organische, verschiedene Leiter n\u00f6thig sind; denselben Beweis k\u00f6nnen tvir aber auch von den Empfindungsnerven f\u00fchren.\nDie Thalsache, dass die verschiedenen Sinnesnerven von demselben Reize qualitativ verschiedene Empfindungen haben, in-","page":735},{"file":"p0736.txt","language":"de","ocr_de":"736 III. Buch. Aervenphysik. HI.Abschn. Mechanik d. Nervenpriucips.\ndem mechanischer und galvanischer Reiz iin Sehnerven Licht, im Geh\u00f6rnerven Schall, im Gef\u00fchlsnerven Schmerz erregt, lasst sich weder zum Vorlheil der einen, noch der andern Hypothese anwenden. Denn sie ist erkl\u00e4rbar, sowohl dadurch, dass die Sinnesnerven sich durch ihre Kr\u00e4fte unterscheiden, als dass sie gleich sind und der Unterschied nach den Stellen des Gehirns entsteht, zu welchen sie hingehen. Doch ist es auffallend, dass manche Reize nur auf einzelne Nerven zu wirken im Stande sind. So wirkt das Lichtagens nur auf den Sehnerven lind als erw\u00e4rmend auf die Gef\u00fchlsnerven, nicht auf andere, und der Geruchsnerve scheint nicht durch andere Reize als Riechstoffe und Elektricit\u00e4t zu Ger\u00fcchen bestimmt zu werden.\nWie dem nun sey, es ist jedenfalls nicht sicher erwiesen, dass die sensibeln Fasern nur centripetale, die motorischen Fasern nur centrifugale Wirkungen haben. Ein Umstand besonders erregt zuletzt noch gr\u00f6sseres Bedenken. Es ist n\u00e4mlich oben p. 639. bewiesen worden, dass zur Erhaltung der Reizbarkeit der motorischen Nerven, ihre Verbindung mit den Centraltheilen noth-wendig ist; diess scheint f\u00fcr eine gleiche Abh\u00e4ngigkeit aller Nerven, auch der Empfindungsnerven, vom Gehirn und R\u00fcckenmark zu sprechen. In diesem Falle w\u00fcrden diese aber centrifugale Ausstrahlungen auf die Empfindungsnerven haben. Sp\u00e4tere, nach gl\u00fccklichen Ideen angeslellte Versuche oder neue Entdeckungen m\u00fcssen dar\u00fcber entscheiden, und wir d\u00fcrfen uns jetzt nur dar\u00fcber freuen, dass die Er\u00f6rterung dieser wichtigen Frage, von deren definitiver Entscheidung viele andere abh\u00e4ngen, durch die oben mitgetheilten Beobachtungen wenigstens schon in das Gebiet der empirischen Physiologie geh\u00f6rt.\nL\u00e4sst sich die erste Frage nicht sicher l\u00f6sen, so l\u00e4sst es sich noch weniger beweisen, dass centripetale und centrifugale Leiter einen continuirlichen Cirkel bilden., in welchem best\u00e4ndig das Nervenfluidum von den Centraltheilen nach den motorischen Nerven, von den peripherischen Enden der letzteren durch die sensibeln Nerven nach den Centraltheilen zur\u00fcck stattfindet. Wohl k\u00f6nnte man sich das Leben best\u00e4ndig mit einer Circulation des Nervenfluidums verbunden denken; diese w\u00fcrde nur so unmerklich seyn, dass davon nur das unmerkliche best\u00e4ndige Spiel der Muskellibern in der scheinbaren Ruhe, und das Gleichgewicht, welches sich die verschiedenen Muskeln halten, und wiederum das undeutliche Gef\u00fchl aller Theile in einem gesunden Menschen herr\u00fchre. Diese Hypothese von der Circulation des Nervenfluidums oder seiner Schwingungen in den beiden Classen der Leiter wird aber aus mehreren Gr\u00fcnden sehr unwahrscheinlich. Denn da viele Nerven bloss sensibel sind, so m\u00fcssten diese der Circulation entbehren, oder man m\u00fcsste wieder annehmen, dass in ihnen neben Empfindungsfasern auch eben so viele andere mit centrifugalen Wirkungen enthalten seyen, die nur deswegen keine Bewegungen hervorrufen, weil sie sich nicht in Muskeln endigen. Sieht man nun gar bloss auf die motorischen und sensibeln Nerven, welche durch Auastomosen der B\u00fcndel Zusammenh\u00e4ngen, wie z. B. N. facialis und\u2019 infraorbitalis, so k\u00f6nnen solche Anasto-","page":736},{"file":"p0737.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus.\t737\nrnosen noch weniger die Wege fdr einen Cirkel des Nervenflui-dutns darbieten. Denn erstens sind diese Anastomosen keine Verbindungen der Primitivfasern, und dann springt, wie Gaedechens Versuche zeigen, eine am N. facialis erregte Reizung nicht durch eine solche Anastomose auf den Stamm des N. infraorbitalis \u00fcber, indem das peripherische St\u00fcck des durchschnittenen N. facialis, das zu einer solchen Anastomose geh\u00f6rt, gereizt keine Schmerzen verursacht. Aus Allem diesem geht hervor, dass eine regel-massige Circulation des Nervenfluidums vom Gehirn und R\u00fcckenmark durch die Nerven, und zu jenen zur\u00fcck, sich nicht erweisen l\u00e4sst und f\u00fcr jetzt sehr unwahrscheinlich ist.\nV. Capital. Von den Gesetzen der Wirkung und Leitung in dem Nervus sympathicus.\nUnsere Kenntniss von der Mechanik des N. sympathicus ist noch \u00e4usserst unvollkommen ; kaum hat sich die Physiologie hier \u00fcber die Aufstellung einiger Hypothesen erhoben, welche sich s\u00e4mmtlich weder erweisen, noch entschieden widerlegen lassen. Der einzige Weg, hier ins Reine zu kommen, ist, die Thatsachen, welche wir von der Mechanik der Cerebrospinalnerven kennen, mit den Erscheinungen des N. sympathicus zu vergleichen und durch neue Beobachtungen zu untersuchen, in wie weit die Mechanik dieses Nerven von der der \u00fcbrigen Nerven abweicht. Es fragt sich also: sind die Wirkungen der Fasern des JV. sympathicus wie hei den Cerebrospinalnerven getrennt, oder k\u00f6nnen die einzelnen Fasern desselben durch ihre Wirkungen einander mittheilen, und ist vielleicht die Irradiation des motorischen Einflusses, und die Comcidenz der Empfindungen bei diesem Nerven das Normale? Sind die Ganglien Multiplicatoren des Nerveneinflusses und gleichsam kleine unabh\u00e4ngige Nervencentra, Radiationspunkte? Findet etwa in diesen Organen eine Reflexion des Nerveneinflusses in gewissen Richtungen statt? Sind die Ganglien die Ursachen, dass die Empfindungen undeutlich und vage werden, sind sie Organe der Irradiation oder der Vermischung der Empfindungen, oder sind sie Halbleiter, welche die Empfin-du ngseindr\u00fccke in ihrer Wirkung auf das Gehirn und das R\u00fck-kenmark hemmen, und den Einfluss des Willens auf die dern N. sympathicus unterworfenen Theile abhalten? Oder sind die Ganglien des N. sympathicus vielleicht mehr dem organischen Einfl\u00fcsse des sympathischen Nerven bestimmt, kleine Nervencentra, von welchen der Nerveneinfluss f\u00fcr die Beherrschung der chemisch-organischen Vorg\u00e4nge ausstrahlt? Findet in den organischen Nerven eine centripetale oder centrifugale, oder allseitige Wirkung von den gereizten Stellen aus statt? Alle diese Fragen lassen sich leider jetzt noch durchaus nicht bestimmt beantworten. Das einzige Sichere, w7as wir von den Wirkungen des N. sympathicus wissen, liegt zum Theil ausser der Beantwortung dieser Fragen, und namentlich k\u00f6nnen wir keine einzige der oben","page":737},{"file":"p0738.txt","language":"de","ocr_de":"738 III. Buch. Neroenphysik. III.Alschn. Mechanik d. Nervenprincips.\nber\u00fchrten Hypothesen von den Ganglien des N. sympathicus weder bestimmt widerlegen noch beweisen.\nDer Grenzstrang des N. sympathicus ist ohnstreitig f\u00fcr das ganze System des IS\u2019, sympathicus wichtig, insofern in diesem die Wurzelfaden von Gehirn- und R\u00fcckenmarksnerven zur weitern Ausstrahlung gesammelt werden, indessen scheinen die einzelnen Verbindungsf\u00e4den zwischen den Knoten nicht absolut zur Tlni-tigkeit des N. sympathicus noting zu sevn; wenigstens hat sich in v. Pom.mer\u2019s Versuchen an Thieren gezeigt, dass der N. sympathicus zwischen dem ersten und zweiten Halsganglion auf beiden Seiten durchschnitten seyn kann, ohne dass innerhalb 7\u20148 Wochen, wie lange die Thiere beobachtet wurden, irgend eine erhebliche Folge eingetreten w\u00e4re. v. Pommer, Beilr\u00fcge zur Natur_ und Heilkunde. Heilbronn 1831. Hieraus geht zugleich hervor dass der Kopftheil des N. sympathicus von dem Brustlheil ohne Nachtheil f\u00fcr das Leben isolirt seyn kann, indem der untere Halsknoten und der Brusttbeil des N. sympathicus das ihnen von den Centraltheilen des Nervensystems zustr\u00f6mende Nervenprincip mehr von den Spinalnerven, mit welchen sie in Verbindung stoben, als von den Cerebralnerven erhalten.\nI. Von den Wirlningen des N. sympathicus bei den un willkii hr liehen Bewegungen.\nI.\tAlle dem N. sympathicus unterworfenen Theile sind keiner willk\u00fchrlkhen Bewegung f\u00e4hig. Das Herz, der Darmkanal, die Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge der Dr\u00fcsen, der Uterus, die Samenbl\u00e4schen liefern hierzu die Beispiele. Es scheint sogar auf den ersten Blick, dass wenn ein Cerebrospinalnerve sich vielfach mit dem N. sympathicus verbindet, er seinen willk\u00fchrlichen Einfluss verliert, wie diess z. B. von dem untern Theile des Nervus vagus angef\u00fchrt werden k\u00f6nnte. Die Speiser\u00f6hre ist nur unwillk\u00fchrlich beweglich, obgleich der Schlund willk\u00fchrlich bewegt werden kann. Indess ist es zweifelhaft, ob die motorischen Nerven der Speiser\u00f6hre vom N. vagus selbst kommen. Die Urinblase erh\u00e4lt zweierlei Nerven, Zweige von den Sacralnerven und vom Plexus bypogastricus. Diess stimmt mit ihren Lebenseigenschaften. Der Einfluss der Willk\u00fchr auf dieses Organ ist sehr gering.\nAuf der andern Seite sind alle Muskeln, welche von Cerebrospinalnerven allein versehen werden, auch der willk\u00fchrlichen Bewegung f\u00e4hig. Die kleinen Muskeln des Ohres k\u00f6nnen wenigstens von einzelnen Menschen, wie von mir, willk\u00fchrlich bewegt werden. Der Musculus cremaster, ein Fortsatz des Muscu-lus obliquas internus und transversus, kann auch von Einigen willk\u00fchrlich bewegt werden, obgleich sehr Viele darauf keinen Einfluss haben.\nII.\tl)ie van dem N. sympathicus versehenen Theile bewegen sich in schw\u00e4cherem Grade noch fort, wenn sic aus ihren nat\u00fcrlichen Verbindungen mit dein \u00fcbrigen sympathischen System und aus dem ganzen Organismus entfernt, sind. Das Herz schl\u00e4gt, aus dem Organismus entlernt, noch lange Zeit fort, bei Amphibien stunden-","page":738},{"file":"p0739.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Unwillk\u00fcrliche Bewegungen. 739\nJang; der Darmkanal setzt ausgeschnitten seine peristaltischen Bewegungen fort. Man sah den ausgeschnittenen Eierleiter einer Schildkr\u00f6te seinen Inhalt noch nustreiben.\nIII. Daher haben alle vom IS. sympathicus versehenen beweglichen Theile eine gewisse Unabh\u00e4ngigkeit von dem Gehirn und R\u00fck-Jtcnmark. Wie weit diese geht, ist schon im I. Buch p. 193. untersucht worden. Als Hauptresultat k\u00f6nnen wir hier erw\u00e4hnen, dass nicht allein das Herz nach Zerst\u00f6rung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes noch lange schw'ach schlagt, sondern dass es auch constatirte Falle von Embryonen giebt, bei welchen sowohl das Gehirn als das R\u00fcckenmark wahrend des Lebens im Ei langsam zerst\u00f6rt worden sind. Siehe Eschkiciit \u00fcber Gesichtsverdoppelung mit Mangel von Gehirn und R\u00fcckenmark. Mueller\u2019s Archiv. 1834. p. 268. Vergl. oben p. 196.\nJ V. Gleichwohl sind die Centralorgane des Nervensystems eines activai Einflusses auf die sympathischen Nerven, und ihre motorische Kraft f\u00e4hig. Aus den Versuchen von Wilson und anderen, welche p. 195. angef\u00fchrt sind, ergiebt sich, dass die Bewegungen der vorn N. sympathicus versehenen Theile zwar nach pl\u00f6tzlicher Zerst\u00f6rung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes nicht sogleich aufh\u00f6ren, dass man aber doch bei unversehrtem Gehirn und R\u00fcckenmark durch Verletzung und Reizung derselben auf die Art und \u00abSchnelligkeit des Herzschlages einwirken kann; wie denn Wilson Philip durch Auftr\u00f6pfeln von Weingeist und Tabaksinfusum auf das Gehirn der Thiere die Bewegungen des Herzens beschleunigt haben will. S. oben p. 194. Viel augenscheinlicher ist die Wirkung der Leidenschaften.\nV. Nach den Versuchen von Philip haben auch nicht einzelne Theile des Gehirns und R\u00fcckenmarkes allein auf einzelne Theile des sympathischen Systems und der von ihm abh\u00e4ngigen Bewegungen, wie des Herzens, Einfluss, sondern das Gehirn und das ganze R\u00fcckenmark oder jede Strecke desselben k\u00f6nnen die Bewegungen des Herzens ver\u00e4ndern. Die Reizung gewisser Theile des R\u00fcckenmarkes bedingt zun\u00e4chst nur die Bewegungen gewisser willk\u00fchrlicher Muskeln, welche gerade dorther ihre Nerven erhalten; bei den unwillk\u00fchrlichen Bewegungen scheint aber jeder Theil des R\u00fcckenmarkes auf den Gangliennerven wirken zu' k\u00f6nnen. Die Erkl\u00e4rung dieses Unterschiedes, der \u00fcbrigens noch nicht hinl\u00e4nglich festgestellt ist, k\u00f6nnte eine doppelte seyn. Man kann n\u00e4mlich entweder das R\u00fcckenmark oder den Gangliennerven selbst als Ursache der Irradiation ansehen. Im ersten Falle bleiben die Fasern des Gangliennerven, welche zum Herzen gelangen, ohne Wechselwirkung mit den Nervenfasern anderer Theile und die Verbreitung der Irradiation findet im R\u00fcckenmark selbst statt, so dass von da aus die Nervenfasern verschiedener Theile bi Mitaffection gesetzt werden. Im zweiten Falle werden die Ganglien als Ursache der Wechselwirkung angesehen. Wir m\u00fcssen uns gestehen, dass wir \u00fcber diese wichtigen Fragen noch gar keine sicheren direclen Versuche haben.\nIch galvanisirte den N. splanchnicus eines Kaninchens, den *eh durchschnitten, an dem peripherischen Ende, welches ich auf","page":739},{"file":"p0740.txt","language":"de","ocr_de":"740 III. Buch. IServenphysik. III.Ahschn. Mechanik d. Nervenprineips.\neiner Glasplatte isolirt hatte, mit einer S\u00e4ule von 05 Plattenpaaren. Hierbei entstanden vermehrte peristaltische Bewegungen des Darms, woraus sich Schl\u00fcssen liesse, dass dieser Nerve auf den ganzen Darmkanal und nicht auf einen einzelnen Theil desselben influirt. Derselbe Erfolg trat ein, als ich bei Kaninchen, deren Darmkanal blossgelegt war, und bei denen die peristaltischen Bewegungen des Darms, die sich anfangs an der Luft verst\u00e4rken , schon sehr matt geworden waren, das Ganglion coelia-cum mit Kali causticum betupfte. Die Bewegung des Darms wurde sogleich sehr lebhaft.\nVI. Die Zusammenstellungen der Organe, welche von dem N. sympathicus ab h\u00e4ngen, sind auj die Reining ihrer seihst oder ihrer Nerven keine vor\u00fcbergehende und momentane Ziisammenzielmn^en, sondern entweder l\u00e4nger dauernde Contract innen, oder l\u00e4nger dauernde Modifieatinnen der gew\u00f6hnlichen /rhythmischen Zusammenziehungen, daher die Reaction gegen den Reiz hier entschieden l\u00e4nger dauert, als die kurze Einwirkung des Reizes selbst. Die Bewegung des Nervenprincips ist also im N. sympathicus langsamer und messbar. Reizt man den Darm hei einem ge\u00f6ffneten Thiere an einer Stelle chemisch, mechanisch, galvanisch, so tritt die Zusain-rnenziehung ganz allm\u00e4hlig ein, und oft in ihrer ganzen St\u00e4rke, wenn die Ursache l\u00e4ngst zu wirken aufgeh\u00f6rt hat. Bei dem Herzen geschieht dasselbe, was am Darm, auf andere Art: statt einer anhaltenden, nicht periodischen Zusamrnenziehnng bewirkt ein vor\u00fcbergehender Reiz eine anhaltende Reihe periodischer Schl\u00e4ge. Das Herz ist gegen mechanischen wie galvanischen Reiz reizbar. A. v. Humboldt und auch ich haben am Herzen der Fr\u00f6sche auf den galvanischen Reiz Zuckung eintreten gesehen, dagegen wirkt der Galvanismus nicht immer augenblicklich auf Zusam-metjziehung des Herzens, sondern ver\u00e4ndert oft nur die Zahl der folgenden Schl\u00e4ge im Allgemeinen. Auch der mechanische Reiz bewirkt an einem langsam schlagenden Herzen nicht immer sogleich eine Znsammenziehung, sondern oft erst nach einigen Se-cunden ; er wirkt aber offenbar, wie man sieht, wenn das ausgeschnittene Herz eines Frosches lange nicht geschlagen hat. Fs ist also hier derselbe Fall, wie im Darmkanal, die Zusammenziehung beginnt oft erst einige Zeit nach der Reizung und dauert l\u00e4nger als die Reizung. Was aber das Herz auszeichnet ist, dass ein vor\u00fcbergellender Reiz nicht eine anhaltende Zusanmienzie-hung des Herzens wie des Darmes hervorbringt, sondern die ganze Reihe der folgenden Pulsationen ver\u00e4ndert. Wenn das Herz eines Thieres lange Zeit alle 4\u20145 Secunden geschlagen hat, so schl\u00e4gt es nach Anwendung eines vor\u00fcbergehenden Reizes lange Zeit nach einer andern Periode, z. R. alle Secunden oder alle zwei Secunden, und wenn es ganz zu schlagen aulgeh\u00f6rt hat, so bewirkt ein vor\u00fcbergehender Reiz, dass es nicht Ein Mal, sondern viele Mal in einer gewissen Periode sich zusainmenzieht. Es ist also hier durchaus wie hei anderen muscul\u00f6sen Theilen, die vom N. sympathicus abh\u00e4ngig sind, z. B. dem Darm, mit dem Unterschied, dass die anhaltende Reaction auf vor\u00fcbergehende Reize beim Darm, Ductus choledochus, Sphincter vesicue sich nicht in","page":740},{"file":"p0741.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik Jes N. sympadMcus. Unwillkiihrliche Bewegungen. 741\nperiodische Zuckungen thesilt, sondern zusammenh\u00e4ngend ist, beim Herzen dagegen sich auf periodische Zuckungen vertheilt, und darin die Perioden ver\u00e4ndert. Dasselbe hat statt, wenn man die Reize nicht auf ttiie Muskeln seihst, sondern auf den N. svmpathicus anwendet. Als man bei einem ge\u00f6ffneten Thiere, nachdem die Pulsationen des Herzens langsamer geworden, den N. cardiacus magnus galvunisirte, so wurden die Pulsationen schneller, aber dieser neue Typus der Pulsationen dauerte \u00fcber die Reizung fort. Dless b aben A. v. Humboldt und Rurdach beobachtet. Als ich den NT_ splanchnicus in dem erw\u00e4hnten Versuche heim Kaninchen reizt, e, dauerte die schnelle und st\u00e4rkere Bewegung aller Ged\u00e4rme se hr lange Zeit fort, nachdem die Reizung nur vor\u00fcbergehend war.\nVII. Die letzte Ursachee der unwillk\u00fcrlichen Bewegungen und die Ursache Hire's Typus lieget weder in dem Gehirn noch R\u00fcckenmark, sondern in dem \u00c0. sympathicus seihst ; aber diese Bewegungen hehalten ihren Character, aiu di ohne den Einfluss der Ganglien, selbst wenn der N. sympathints an einem Organe bis auf die in dem Organe. selbst sich verbreitenden. Zweige entfernt ist f deren Wechselwirkung mit den Muskelfaserji allein zur Unterhaltung jener Bewegungen hinzureichen scheint. Bekanntlich zieht sich das Herz eines Thiercs auch ausgeschnit ten und blutleer immer noch rhythmisch zusammen; diese Bew egungen dauern am ausgeschnittenen Froschherzen noch Slutidenffang; woraus allein hervorgeht, dass die Ursache dieses Rhythmus nicht in dein abwechselnden Ein-und Ausstr\u00f6men des Blutes g elegen seyn kann, sondern dass sie in dem Organe seihst liegt. Da nun in allen anderen beweglichen Theilen die Bewegung des Muskels immer von der Innervation desselben abh\u00e4ngt, auch die Bewegkraft der Muskeln nach meinen und Sticker\u2019s Versuchen mit der Reizbarkeit der Nerven verloren geht (p. 6'31).), so folgt, dass die letzte Ursache des Rhythmus, der rhythmischen Bewegunyen der Herzkammern und Yorh\u00f6fe, und der abwechselnden peri staltischen Bewegungen der Ged\u00e4rme, von der Wechselwirkung' der- sympathischen Nerven unddermus-cul\u00f6sen Theile, und von ein er periodisch wirkenden Ausstr\u00f6mung des Nervenprincips in dem iST. sympathicus abh\u00e4ngt. Man k\u00f6nnte sich auch die Wirkung der Nerven hierbei perennirend, die Reaction der Muskeln aber peiriodisch vorstcllen, insofern die Reizbarkeit der Muskeln f\u00fcr dum Strom des Nervenprincips durch ihre Zusammenziehung ver\u00e4ndert w\u00fcrde (vergl. p. 52.); allein diese Erkl\u00e4rung w\u00fcrde gewiss unrichtig seyn; denn man sieht nicht ein, warum das Herz seine Empf\u00e4nglichkeit l\u00fcr einen pe-rennirenden Strom des Ner venprincips jeden Augenblick verlieren und wieder gewinnen scall, da doch die willk\u00fchrlichen Masteln diese Reizbarkeit hei e\u00e4ner sehr lange dauernden Bewegung so lange f\u00fcr den eontinuirlichen Strom hehalten.\nDaraus, dass abgeschnitt<ene, unwillk\u00fchrlich bewegliche Theile, wie Herz, Darmkanal, den Typus ihrer rhythmischen oder perislal-tischen Bewegung fortsetzen, sieht man deutlich, dass dieser Tv-Pus vom Gehirn und R\u00fcckenmark unabh\u00e4ngig ist, und wir haken so eben bewiesen, dass er in dem N. sympathicus selbst","page":741},{"file":"p0742.txt","language":"de","ocr_de":"742 III. Buch. Nervcnphysik. III. Ahschn. Mechanik d.Nereenprincips.\nliegt. Nun liegt uns ob, den zweiten Theil des oben aufgestellten Satzes zu beweisen, dass die Starnmtbeile des N. sympatbicus und die Ganglien zur Erhaltung dieses Typus auch nicht noting sind, sondern dass auch die letzten Verzweigungen des N. sympathies noch die F\u00e4higkeit haben, diesen Typus der unwillk\u00fcbr-lichen Bewegungen zu reguliren. Es ist gar nicht n\u00f6thig, dass die St\u00e4mme der N. cardiaci zur Unterhaltung der Bewegungen des Herzens, vorhanden seyen; das Herz des Frosches schl\u00e4gt noch periodisch fort, seihst wenn inan die ganze Basis, die Vorh\u00f6fe bis auf die Kammer abgeschnitten hat. Ehen so dauern die peristaltischen Bewegungen des Darmkanals nicht allein fort, wenn man den Darm mit sammt dem Mesenterium und den gangli\u00f6sen Nerven plexus von dem Rumpfe trennt, sondern auch, wenn man den Darm seihst von 'diesem Plexus isolirt, indem man ihn dicht an der Insertion des Mesenteriums abschneidet. In d iesem Falle sind nur die peripherischen inneren Verzweigungen des N. sympatbicus an dem Herzen und Dann noch \u00fcbrig, und dennoch bewegen sich diese Organe mit ihrem gew\u00f6hnlichen Typus geraume Zeit fort.\nVIII. So gewiss indess nach diesen Beobachtungen die \u00e4usser-sten und kleinsten Theile des N. sympatbicus die Bewegungen der unwillk\u00fchrlichen Theile noch reguliren k\u00f6nnen, so haben doch sowohl das Gehirn und B\u00fcckenmark, als die Ganglien seihst- im gereizten Zustande den gr\u00f6ssten Einfluss auf den Modus dieser Bewegungen; so lange die Organe noch durch JVer venu erb in dung mit jenen Zusammenh\u00e4ngen. Gehirn und R\u00fcckenmark sind aber als die letzten Quellen auch der Th\u00fctigkeit des N. sympalhwus auzusehen, Wenn diese sich nicht ersch\u00f6pfen soll. Denn bekanntlich ver\u00e4ndert sich der Herzschlag hei jeder Leidenschaft, und die Bewegungen des Darmkanals werden hei Irritation des R\u00fcckenmarks ebenfalls ver\u00e4ndert; auch sind die Centralorgane des Nervensystems f\u00fcr die unwillk\u00fchrlich beweglichen Theile als f\u00fcr die Dauer nothwendige Quellen des Nervenprincips anzusehen; indem hei L\u00e4hmungen des R\u00fcckenmarkes auch die Beweglichkeit des Darmkanals abnimmt, und Tr\u00e4gheit desselben eintritt. Aber auch die Reizung der Ganglien selbst wirkt auf alle von ihnen aus zu den unwillk\u00fchrlich beweglichen Theilen hingehenden Nerven, wie folgende Versuche beweisen. Ich habe schon oben erw\u00e4hnt, dass ich durch Galvanisiren des durchschnittenen N. splanehnicus eines Kaninchens an dem zum Ganglion c\u00f6eliacum gehenden St\u00fcck, welches auf einer Glasplatte lag, vermehrte Bewegung des ganzen Darmkanals hervorbrachte. Diesem Versuch k\u00f6nnte mau den Vorwurf machen, dass das galvanische Fluidum von 65 Plattenpaaren viel zu stark war, und dass er deswegen durch die thierischen Theile als durch blosse nasse Leiter bis auf den Darm selbst \u00fcberspringen konnte, so dass mat( nicht viel mehr getban, als wenn man den Darm selbst galvnnisirt h\u00e4tte. Indessen habe ich andere Versuche angestellt, welche ganz entscheidende Resultate gaben. Ich legte bei einem Kaninchen den ganzen Darmkanal bloss, und zu gleicher Zeit das Ganglion coe-liacum. Sobald der Darmkanal eines Thieres der atmosph\u00e4rischen","page":742},{"file":"p0743.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Unwillk\u00fchrliche Bewegungen. 743\nLuft ausgesetzt ist, werden seine Bewegungen sehr lebhaft; diess dauert eine ganze Zeit, allm\u00e4hlig nehmen sie wieder ah, bis sie ganz schwach werden. Diesen Moment wartete ich ah. Ich betupfte dann das Ganglion coeliacum mit einem St\u00fcckchen Kali causticum, worauf sogleich die peristaltischen Bewegungen des Darmkanals wieder lebhaft .wurden. Dieser Versuch gab mir hei Wiederholung dasselbe ganz unzweideutige \u00dfesultat. Also sind die Ganglien f\u00e4hig, im Zustande der Reizung das Nervenprincip bis zu den feinsten Verbreitungen des N. sympathicus in beweglichen Theilen in Th\u00e4tigkeit zu setzen; obgleich die Th\u00e4tigkeit dieser Theile im Allgemeinen fortdauert, wenn die Ganglien entfernt sind.\nIX.\tAus den bisherigen Thaisachen gehl hervor, dass der N. sympatiiicus durch die Centraltheile des Nervensystems, Gehirn und R\u00fcckenmark, als Quellen des Nervenprincips gleichsam geladen werden kann, dass er aber, einmal geladen, seine Ladung mit dem Nervenprincip beh\u00e4lt, und fortf\u00e4hrt, dasselbe nach seiner gew\u00f6hnlichen Th\u00e4tigkeit auszustr\u00f6men, auch wenn die fernere Ladung vermindert w\u00fcrde, und erst von einer gewissen Zeit an sich kr\u00e4ftiger erneuerte. ITor-aus ein Theil der Ph\u00e4nomene des Schlafs erkl\u00e4rlich wird. Vv \u00e4hrend das Sensorium commune im Schlafe grosscntheils unth\u00e4lig wird, f\u00e4hrt die Bewegung des Herzens, Darmkanals w'enig oder gar nicht ver\u00e4ndert fort. Denn die von dem V. sympathicus abh\u00e4ngigen Theile sind von einer theilweisen und vor\u00fcbergehenden. Ruhe des Sensoriums nicht abh\u00e4ngig, so lange sie noch gleichsam mit Nervenprincip geladen sind. Im Gegentheil scheint sich die Ausstrahlung des Nervenprincips von den Centraltheilen her dem sympathischen Theile des Nervensystems um so mehr zuzuwenden, als die Verwendung desselben f\u00fcr die Th\u00e4tigkeit der Sinne und der Seelenoperationen w\u00e4hrend des Schlafes aufh\u00f6rt. Auch in der Ohnmacht wird zwar die Th\u00e4tigkeit des Herzens geschw\u00e4cht, aber sie erh\u00e4lt sich in viel h\u00f6herem Grade, als die aller von Cerebrospinalnerven versehenen Theile. Hier zeigt sich also etwas, was sich noch an dem ausgeschnittenen Herzen und Darm, nur geringer, eine Zeit lang offenhart. Verliert aber das Gehirn und R\u00fcckenmark zu sehr die F\u00e4higkeit, Quelle des Nervenprincips zu seyn, ist keine Erholung in gr\u00f6sseren Zwischenr\u00e4umen mehr m\u00f6glich, so k\u00f6mmt auch das sympathische System in den Fall, in welchen das System der Cerebrospinalnerven t\u00e4glich einmal, n\u00e4mlich im Schlafe, verf\u00e4llt; dann entsteht eine Ersch\u00f6pfung, welche gleichsam nicht durch fernere Ladung mehr ausgeglichen werden kann; so entsteht jener, den Tod verk\u00fcndende, h\u00e4ufige, schwache, kaum f\u00fchlbare Puls, am Ende der acuten Krankheiten. Vergl. Wilson Philip Philos. transact. 1833. 1. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. und Physiol. 1834. 137.\nX.\tDie \u00f6rtliche Application der Narcotica auf den N. sympathicus wirkt nicht nai cotisirend in die Ferne auf die unwillk\u00fchrlich beweglichen Organe; aber die letzteren k\u00f6nnen durch die Narcotisation der feinsten, in ihnen selbst sich verbreitenden Fasern des N. sympathicus paralysirt werden. Diess Verh\u00e4ltniss ist ganz wie bei den \u00fcbrigen oder Cerebrospinalnerven, indem die \u00f6rtliche Apph-\nftliiller\u2019s Physiologie. I.\t4S","page":743},{"file":"p0744.txt","language":"de","ocr_de":"744 III. Buch. Nervenphysik. III. Abschn. Mechanikd. Acrvenprincips.\ncation eines Narcoticums liier gerade so weit, und niclit weiter wirkt, als es den Nerven ber\u00fchrt, wo es die Reizbarkeit desselben aufhebt. Indessen zeigt sieb doch hier, und zwar bei dem Herzen, noch ein ganz merkw\u00fcrdiges und bis jetzt nicht erkl\u00e4rliches Verh\u00e4ltniss zwischen der \u00e4ussern und innern Oberfl\u00e4che des Organes. Applicirt man n\u00e4mlich ein Narcoticum, wie Opium purum oder Extractum nueis vomicae, auf die \u00e4ussere Oberfl\u00e4che des Herzens, so scheint diess sehr wenig oder gar nicht, wenigstens erst sehr allm\u00e4hlig zu wirken; die rhythmischen Bewegungen des ausgeschnittenen Froschherzens dauern darauf sehr lange fort; bringt man aber ein wenig Opium oder Extractum nucis vomicae mit der innern Wand der Herzkammer in Ber\u00fchrung, so steht das Herz sogleich f\u00fcr immer still, \u00f6fter schon nach einigen Secunden. Diess ist eine von Henry (Ediuh. mcd. and surg. Journal. 4832.) entdeckte Thatsache, welche ich \u00f6fter am Froschherzen best\u00e4tigt habe. Diese Thatsache ist auch ein neuer Beweis, dass die Bewegungskraft der Muskeln von ihrer Wechselwirkung mit den Nerven abh\u00e4ngt, und ihnen ohne die Nerven nicht eigen ist. Wir haben hier den Fall, dass wir die Muskelkraft der oberfl\u00e4chlichen Schichten des Herzens durch Narcotiea nicht leicht paralysiren k\u00f6nnen, w\u00e4hrend wir durch Application des Giftes von innen mit den inneren Muskelschichten auch die \u00e4usseren t\u00f6dten; eine Wechselwirkung, welche nicht von den Muskelfasern selbst, sondern von den Nervenfasern ableitbar ist. Diese schnelle Wirkung des narcotischen Giftes ist auch nicht davon erkl\u00e4rbar, dass das Gift von innen schnell durch die W\u00e4nde des Herzens durchdringe. Denn wenn man die Vorh\u00f6fe des Froschherzens ganz abgeschnitten, wie ich that, und nun in die offene Kammer ein wenig Gift bringt, so muss dasselbe bei der n\u00e4chsten Zusammenziehung eher ausgetrieben werden als tiefer eindringen, was ohnehin nicht durch Gef\u00e4sse geschehen kann. Uebrigens erkl\u00e4rt jene merkw\u00fcrdige Beobachtung wohl auch die Schnelligkeit der narkotischen Vergiftung, wenn ein Gift einmal mit dem Blute bis zum Herzen gekommen ist.\nXI. Die Gesetze der Reflexion, welche im III. Capitel von den Cerebrospinalnerven auf gestellt wurden, gelten auch von den sympathischen J\\ erven, d. h. heftige Empfindungseindriicke m den, vom N. sympathicus versehenen Theilen k\u00f6nnen, auf das R\u00fcckenmark verpflanzt, Bewegungen in den von Cerehrospinalnerven versehenen I heilen hervorbringen. So entstehen die Zuckungen bei Reizungen im Darmkanal der Kinder, indem die Reizung von dem N. syrn-palhicus auf das R\u00fcckenmark', und von diesem auf die Cerebrospinalnerven rcflectirt wird. Es geh\u00f6ren ebenfalls liieher die das Erbrechen begleitenden Kr\u00e4mpfe der Athemmuskeln, sofern das Erbrechen von Reizen im Darmkanal in den Nieren, im Uterus u. s. w. erregt wird. Dieselbe Entstehung haben alle krampfhaften Zuf\u00e4lle, welche ihre Ursache in \u00f6rtlichen Fehlern der Organe des Unterleibes haben. Es l\u00e4sst sich aber auch diese Pieflexion durch Versuche erweisen. Ich habe n\u00e4mlich beim Kaninchen schon mehrmals beobachtet, dass man durch Zerrung des mit der Pincette aufgehobenen N. splanchnicus mit der Na-","page":744},{"file":"p0745.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Umvil/kiihr/iche Bewegungen. 745\ndel, reflectirte Zackungen der Bauchmuskeln derselben Seite bewirken kann. Ein Versuch, der mir wiederholt beim Kaninchen, nicht aber beim Hunde gelang. Volkmann beobachtete an gek\u00f6pften Fr\u00f6schen ausgebreitete Reflexbewegungen am Rumpfe, nach Reizung der Eingeweide.\nXII. Die Reflexion von Empfindungseindr\u00fccken in den vom N. sympathicus versehenen Theilen auf R\u00fcckenmark und Gehirn, und von dort auf die motorische Th\u00e4tigkeit des N. sympathicus, findet auch statt, allein in einem geringeren Grade, als hei den Ce-rehrospmalnervcn. Ein Beispiel davon ist der Harndrang, die Nothwendigkeit, \u00f6fter Harn zu lassen, oder die Zusammenziehungen der Harnblase von scharfen Eigenschaften des Harns; denn hier wirkt die Sch\u00e4rfe nicht auf die Muskelfasern der Harnblase, sondern zun\u00e4chst nur auf die Empfindungsnerven der Schleimhaut. Es geh\u00f6rt ferner hieher die Ver\u00e4nderung der Weite der Pupille bei verschiedenen Krankheitszust\u00e4nden des Darmkanals, die Ver\u00e4nderung des Herzschlages bei Krankheiten der Unterleibsorgane. Man hat alle diese Ph\u00e4nomene auch aus einer sympathischen Wirkung des N. sympathicus seihst, ohne Antheil des Gehirns und R\u00fcckenmarks erkl\u00e4rt; da jedoch alle \u00e4hnlichen Erscheinungen an dem Cerebrospinal-Nervensystem zur Vermittelung der sensoriellen und reflectirten motorischen Wirkung die Centralorgane, Gehirn und R\u00fcckenmark, n\u00f6thig haben, so ist es vor der Hand wahrscheinlicher, dass das Gehirn und R\u00fcckenmark auch bei den Reflexionserscheinungen in den vom N. sympathicus versehenen Theilen die Vermittelung zwischen der sensoriellen-centripetalen und motorischen - centrifugalen Wirkung bilden. Vergleicht man die Reflexionserscheinungen in den Cerebrospinalnerven mit denen, hei welchen die urspr\u00fcngliche und reflectirte Erregung in den vom N. sympathicus versehenen Theilen stattfindet, so zeigt sich, dass sie in den ersteren viel lebhafter und leichter eintreten, als in den letzteren. Denn wie h\u00e4ufig, schnell und leicht sind diese Erfolge beim Husten, Niesen, Erbrechen u. s. w., wie gross die Zahl der hieher geh\u00f6rigen, oben erl\u00e4uterten Erscheinungen gegen die Reflexionserscheinungen im N. sympathicus. Auch der Umstand, dass Darmentz\u00fcndungen nicht so leicht und stark, als Entz\u00fcndungen anderer mit Cerebrospinalnerven versehener Theile den Puls, d. h. Herzschlag ver\u00e4ndern, scheint daf\u00fcr zu sprechen, dass die Reflexion vom sympathischen Nerven zum R\u00fcckenmark, und wieder zum sympathischen Nerven schwerer ist, als die \u00e4hnliche Reflexion beim Cerebrospinal-Nervensystem, oder die erstere Thatsache wird durch die letztere erl\u00e4utert. Versuche \u00fcber diesen Gegenstand lassen sich schwer anstellen, und diejenigen, welche ich angestellt habe, zeigen wenigstens keine besondere Neigung der xotn N. sympathicus versehenen Theile zur sensoriell motorischen Reflexion im N. sympathicus seihst. Ich legte den Darmkanal e*nes lebenden Kaninchens bloss, und erregte, indem ich um eine Stelle des D\u00fcnndarms eine feste Ligatur anlegte, eine heftige sensorielle Erregung, worauf ich den Darm wieder in die Unterleibsh\u00f6hle zur\u00fcckbrachte. Ich wollte nun sehen, ob diess Ur-\n48*","page":745},{"file":"p0746.txt","language":"de","ocr_de":"746 IJI. Buch. Nervenphysik. lll.Ahschn. Mechanik d.Nervenprincips.\nsache w\u00fcrde, dass durch Reflexion vom R\u00fcckenmark nach der Umgegend jener Stelle hin, eine enge Zusammenziehung des Darms zu beiden Seiten der Ligatur bis in einige Entfernung hin erfolge. Diess geschah aber nicht, auch nicht, als ich diesen Versuch wiederholte. Volkmanh\u2019s Versuche zeigen aber, dass wenn ein gek\u00f6pfter Frosch sich in der allgemeinen Disposition zur Reflexion befindet, auch in der genannten Weise eine Reaction eintritt. Reizung des Darmkanals durch Kneipen bewirkte in diesem Falle Zusammenziehung des Darms nicht bloss an der gereizten Stelle, sondern die Contraction verbreitete sich von der gereizten Stelle aus weiter, bald aufw\u00e4rts, bald abw\u00e4rts am Damm, \u00fcber eine mehr oder weniger lange Strecke. Ist das R\u00fcckenmark zerst\u00f6rt, so erregt Kneipen der D\u00e4rme allerdings nur locale Zusammenziehungen.\nXIIf. Auch die Reflexion von Wirkungen, die von den Cere-brospinalnerven ausgehen, auf das R\u00fcckenmark verpflanzt, von dort auf das sympathische Nervensystem reflectirt werden, ist eine ziemlich h\u00e4ufige Erscheinung. Als Beispiele solcher Wirkungen kann man hier anf\u00fchren, die bei heftigen woll\u00fcstigen oder schmerzhaften Empfindungen der Haut entstehende Ver\u00e4ndernng des Herzschlages; die Bewegung der Iris von Emp\u00dfndungseindr\u00fccken durch den Sehnerven, Geh\u00f6rnerven, N. trigeminus, wovon das N\u00e4here p. 728. angef\u00fchrt worden; die Zusammenziehung der Sa-menbl\u00e4scben von Reizung der Gcf\u00fchlsnerven der Ruthe.\nXIV. Es entsteht nun die Frage : Ob in dem N. sympathicus, verm\u00f6ge der Ganglien, nicht auch unabh\u00e4ngig vom Gehirn und R\u00fcckenmark Reflexionsei-scheinungen m\u00f6glich sind. Diese interessante Frage l\u00e4sst sich jetzt noch nicht bestimmt beantworten. W\u00e4re diese Art von Reflexion m\u00f6glich, so w\u00fcrden die sympathischen Nerven von den Cerebrospinalnerven eine merkw\u00fcrdige Ausnahme machen, und durch die gangli\u00f6se Natur jener Nerven w\u00e4re eine Wechselwirkung der sensoriellen und motorischen Fasern m\u00f6glich, die bei den Cerebrospinalnerven ohne Vermittelung des Gehirns und R\u00fcckenmarks niemals stattfindet. Bei den von Cere-hrospinalnerven versehenen Muskeln eines vom Rumpfe getrennten Gliedes, zuckt von dem gereizten Muskel jedesmal nur der eben gereizte Theil desselben, und nicht der ganze Muskel und nicht eine Muskelfaser in ihrer ganzen L\u00e4nge. Die Frage ist also die, ob man z. B. an einem, mit dem Mesenterium und den gangli\u00f6sen Plexus ausgeschnittenen Darmkanal eines lebenden Thieres durch Reizung einer einzelnen Stelle Zusammenziehungen in einigem Umf\u00e4nge, Zusammenziehung eines ganzen Darmst\u00fcckes hervorbringen kann. Diess ist aber nicht m\u00f6glich. Jedesmal zieht sich nur der gereizte Theil des Darms zusammen ; ja es verbreitet sich eine, durch Quetschung mit der Pincette an einem Punhte des Darms angebrachte Reizung, nicht einmal cir-kelf\u00f6rmig, wie ein Ring um das ganze Rohr, sondern es entsteht eine ganz beschr\u00e4nkte Einziehung der Darmwand an jenem Punkte, w\u00e4hrend die entgegengesetzte Stelle der Darmwand ganz platt und ruhig bleibt. Diess habe ich nicht allein am Darmkapal wiederholt gesehen, sondern auch am Uterus eines tr\u00e4chtigen","page":746},{"file":"p0747.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Unwillk\u00fcrliche Bewegungen. 747\nKaninchens in gleicher Art beobachtet. Jedesmal entstand an der gereizten Stelle des Uterus eine kleine harte Zusammenziehung der n\u00e4chsten Muskelfasern gegen den einen Punkt hin, aber der ganze \u00fcbrige Uterus blieb ruhig. Volkmann hat diese Versuche an Fr\u00f6schen wiederholt und dasselbe Resultat erhalten. Daher spricht er den Ganglien die F\u00e4higkeit zur Vermittelung der Reflexionserscheinungen ebenfalls ab. Er st\u00fctzt sich besonders auf die an gek\u00f6pften Fr\u00f6schen, die in der Disposition zur Reflexion waren, angestellten Versuche. War das R\u00fcckenmark noch vorhanden, so bewirkte das Kneipen des Darms an einer Stelle ausgebreitete Zusammenziehungen des Darms; war hingegen das R\u00fcckenmark zerst\u00f6rt, so war die Reaction auf die Stelle der Reizung beschr\u00e4nkt.\nReim Herzen ist die Sache weniger klar und es scheint, als wenn am ausgeschnittenen Herzen die Reizung einer einzigen Stelle sich auf das ganze Herz verbreiten k\u00f6nnte. Wenn man das Herz eines Frosches ausschneidet und auf dem Tische so lange liegen l\u00e4sst, bis sich die H\u00e4ufigkeit der Schl\u00e4ge sehr vermindert hat, und nur von Zeit zu Zeit eine Zusammenziehung eintritt, ist der Zeitpunkt gekommen, wo man Untersuchungen \u00fcber die Reizbarkeit des Herzens anstellen kann. Reizt man dann das Herz mechanisch mit einer Nadel, so erregt man eine Zusammenziehung, die man nun nicht mehr mit den zum gew\u00f6hnlichen Rhythmus geh\u00f6renden Zusammenziehungen verwechselt. Es ist nun sehr merkw\u00fcrdig, dass, wo man auch den mechanischen Reiz auf das Herz anbringe, die Reaction doch immer so ist, als ob man das ganze Herz gereizt h\u00e4tte. Es erfolgt n\u00e4mlich nicht eine Zuckung der gereizten Stelte des Herzens, sondern des ganzen Herzens. Es scheint daraus hervorzugehen, dass sich im Herzen die \u00f6rtliche Ver\u00e4nderung der Reizbarkeit durch den Reiz mit dem Zustande der Reizbarkeit des ganzen Herzens ins Gleichgewicht setzt, so dass man von jedem Punkte des Herzens gleichsam die Statik in der Verthei lung der Kr\u00e4fte des Herzens ver\u00e4ndern kann. Wie man diese Erscheinung zu betrachten habe, ist noch nicht ganz klar. Ganglion k\u00f6nnen daran jedenfalls keinen Antheil haben, da das Ph\u00e4nomen auch an dem ganz isolirten Herzen eintritt. Vielleicht wirkt die Ersch\u00fctterung zur Mittheilung der Bewegung mit.\nXV.\tEs ist noch ganz unbekannt, ob der N. sympathicus sympathische Bewegungen von dev Beizung eines Organes aus m einem andern Hervorrufen kann; weil sich n\u00e4mlich alle hieher geh\u00f6rigen Erscheinungen auch durch die Vermittelung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, oder durch das im 3. Capitel erl\u00e4uterte Ph\u00e4nomen der Reflexion erkl\u00e4ren lassen.\nXVI.\tEs ist nicht erwiesen, und mehrere Beobachtungen sprechen dagegen, dass die Ganglien als Isolatoren im Stande sind, den vom Gehirn und R\u00fcckenmark ausgehenden motorischen Einfluss zu hemmen. Ich bemerke, dass hier nicht von willk\u00fchrlichem, sondern von motorischem Einfluss im Allgemeinen die Rede ist. Jeder weiss, wie leicht und schnell eine Ver\u00e4nderung in den Centralorganen des Nervensystems auf das ganze sympathische System","page":747},{"file":"p0748.txt","language":"de","ocr_de":"748 III. Buch. Nervenphysik. IlI.Abschn. Mechanik d. Nervenprincips.\nwirkt, wie schnell leine leidenschaftliche Aufregung den Schlag des Herzens um\u00e4ndert, Bewegungen des Darmkanals mit Kollern hervorruft; wie ein Nervenanfall, hei dem die Centralorgane des Nervensystems afficirt waren, mit Kollern im Darmkanai endigt. Wir werden sp\u00e4ter sehen, dass die Ganglien auch keine Isolatoren f\u00fcr retrograde oder centnpetale Wirkungen im N. sympathies sind. Nur diess zeigt sich \u00fcberall, dass der motorische Einfluss der Centralorgane des Nervensystems auf den sympathischen Nerven wirkend, nicht jene schnellen, der Dauer des Beizes entsprechenden Zuckungen hervorbringen kann, wie hei den Wirkungen auf die Cerebrospinalnerven, sondern, dass durch den motorischen Einfluss des Gehirns und It\u00fcckenmarkes mehr nur der Zustand, der Modus einer anhaltenden Reihe von Bewegungen ver\u00e4ndert wird. Indessen besitzen doch nicht bloss die Ganglien, sondern der ganze N. sympathicus, auch die feineren Nervenzweige desselben die F\u00e4higkeit, schnelle Einwirkungen auf die dem N. sympathicus unterworfenen Tbeile so zu mod'ili-ciren, dass nicht Zuckungen, sondern l\u00e4nger dauernde Ver\u00e4nderungen des Modus der Bewegung eintreten, wie oben bewiesen worden. Denn an dem abgeschnittenen ermatteten Herzen kann man durch einen momentanen Pieiz auf eine geraume Zeit die Art des Herzschlages ver\u00e4ndern, und der abgeschnittene Darm zieht sich auf angebrachten Reiz viel l\u00e4nger, als dieser dauert, zusammen, und erreicht den h\u00f6chsten Grad der Contraction erst lange nachdem ein momentan wirkender Reiz aufgeh\u00f6rt hat.\nXVII. Es ist nicht entschieden, dass die Hemmung des IVil-leneinjlusses auf die cum N. sympathicus versehenen Thcile, von der Natur der Ganglien alhiingt. Dieser $atz bedarf keines weitern Beweises, da uns keine hinreichenden Gr\u00fcnde f\u00fcr die erste Ansicht bekannt sind. Ich muss jedoch bemerken, dass es im Allgemeinen viel wahrscheinlicher ist, dass die Ganglien nicht die Ursache der Isolation des Willenseinflusses sind. Denn da sie, wie vorher bewiesen wurde, den motorischen Einfluss auf das sympathische System nicht isoliren, sondern das ganze sympathische System (nicht bloss die Ganglien) diesen Einfluss all\u2014 m\u00e4hliger und dauernder wirkend macht, so k\u00f6nnte ein vom Willen ausgehender motorischer Einfluss der Centralorgane auf den N. sympathicus so gut, wie aller motorischer Einfluss kein absolutes Hinderniss in den Ganglien des N. sympathicus linden. Es scheint daher, dass die Unf\u00e4higkeit zu willk\u00fchrlichen Bewegungen in allen vom N. sympathicus versehenen Theilen nicht von dem N. sympathicus und den Ganglien abh\u00e4ngt, sondern dadurch bedingt ist, dass die Fasern des N. sympathicus im R\u00fcckenmark und Gehirn nicht, wie die Fasern anderer Nerven, bis zu der Quelle des Willenseinllusses gelangen. Die dem N. sympathicus unterworfenen Theile gleichen daher in Hinsicht des Mangels der Willensbestimmung einigermassen den f\u00fcr den Willen gel\u00e4hmten, willk\u00fchrlich beweglichen Theilen. Hier kann die Leitung des durch den Willen bewirkten motorischen Stromes zu dem Nerven an einer Stelle im Laufe des R\u00fcckenmarkes gehemmt seyn, gleichwohl bleibt dieser Nerve noch f\u00fcr unwillk\u00fchr-","page":748},{"file":"p0749.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Unwillk\u00fcrliche Bewegungen. 74.9\nliehe motorische Einfl\u00fcsse von dem unter der Verletzung liegenden Theile des R\u00fcckenmarkes empf\u00e4nglich.\nXVIII. In gewissen, von dem N. sympathicus und den Spinalnerven zugleich abh\u00e4ngigen Theilen scheint ein willk\u00fchrlicher Einfluss erst nach einer lange dauernden centripetalen oder sensoriellen Einwirkung stattzufinden. So ist es mit der Harnblase; diess ist ein in Hinsicht seines Verh\u00e4ltnisses zum Gehirn und R\u00fcckenmark noch sehr r\u00e4thselhaftes Organ. Es ist von rein sympathischen Zweigen des Plexus hypogastricus und von nicht sympathischen Nerven, n\u00e4mlich Zweigen der Sacralnerven versehen. Es scheint in d-er Regel dem Einfluss des Willens ganz entzogen zu seyn ; und doch k\u00f6nnen wir hei voller Gr in blase durch eine blosse intendirte Zusammenziebung der Harnblase, ohne die Mitwirkung des Zwerchfelles und der Bauchmuskeln, den_H;jrn austreiben. Auch E. H. Weber (Anatamie .'1. p. 354.) nimmt einigen Einfluss des Willens auf die Urinblase an. Wenn diess nun so sich verh\u00e4lt, so tritt jene F\u00e4higkeit doch erst nach einer langen Ansammlung des Urins in der Harnblase ein; also nachdem diese Fl\u00fcssigkeit einen dauernden Empfindungseindruck auf die Empfindungsnerven der Blase, und so auf das R\u00fcckenmark gemacht hat.\nXIX. Manche dem N. sympathicus unterworfene Theile sind zwar nur unwillkiihrlich beweglich, gerathen aber in Mitbewegung (/?. 692.), wenn willk\u00fchrlich bewegliche Theile bewegt werden, so dass von dem willk\u00fchrlich motorischen Einfluss etwas auf sie gegen den Willen \u00fcberspringt, gerade so, wie wenn dem Willen unterworfene Theile gegen unsern Willen mit andern mitbewegt werden. Ein Beispiel dieser Art liefert die Iris. Von diesem Theile ist es schwer zu sagen, ob er wirklich zu den von dem N. sympathicus oder von den Cerebralnerven abh\u00e4ngigen Theilen geh\u00f6re. Seine Bewegung ist un willk\u00fchrlich, gleicht aber doch den Bewegungen mehrerer schwachen willk\u00fchrlichen Muskeln, die in der Regel allein nicht willk\u00fchrlich bewegt werden k\u00f6nnen, wohl aber durch Mitbewegung mit anderen willk\u00fchrlichen Muskeln sich zusammenziehen k\u00f6nnen, wie die Ohrmuskeln bei mehreren Menschen, wie bei mir, mit dem Muse, epicranius bewegt werden k\u00f6nnen, und manche Menschen den sonst dem Willen entzogenen Cremaster mit Anziehung der Bauchmuskeln bewegen k\u00f6nnen. Nun ist es \u00e4us-serst merkw\u00fcrdig, dass man die Iris willk\u00fchrlich mitbewegen kann, wenn man gewisse Aeste des N. oculomotorius willk\u00fchrlich in Th\u00e4tigkeit setzt, wie z. B. jedesmal, wenn man das Auge nach innen oder nach oben und innen dreht; denn dann wird die Iris bei allen Menschen zusammengezogen oder die Pupille enge. Man hat also hier das merkw\u00fcrdige Beispiel, dass mit der willk\u00fchrlichen Intention in einem Cerebrospinalnerven zugleich scheinbar willk\u00fchrlich etwas auf einen dem N. sympathicus unterworfenen, sonst unwillk\u00fchrlichen Theil \u00fcberspringt. Vielleicht geh\u00f6rt es auch hieher, dass man bei einem grossen Bed\u00fcrfniss zum Harnlassen durch Th\u00e4tigkeit der Muskeln der unteren Extremit\u00e4ten beim Gehen oder Laufen den Harn l\u00e4nger zur\u00fcckbehalten, also die Th\u00e4tigkeit des Musculus sphincter vesicae verst\u00e4rken kann. Endlich scheint ein solches Uebergehen des 'Nervenein-","page":749},{"file":"p0750.txt","language":"de","ocr_de":"750 III. Buch. Neroenohysik. III.Abschn. Mechanik d. Nervenprincips\nHasses selbst auf das Herz bei starken Muskelanstrengungen stattzufinden.\nDas merkw\u00fcrdige Ph\u00e4nomen der beschleunigten Herzbewegung bei willkiihrlichen Anstrengungen bat noch gar keine hinreichende Erkl\u00e4rung gefunden. Man bat gesagt, bei Anstrengungen wird eine gr\u00f6ssere Menge arteriellen Blutes gebraucht, deswegen muss das Herz das Blut schneller durch die Lungen treiben; aber aus einem grossem Athembed\u00fcrfniss folgt deswegen nicht, dass das Herz diesem Zwecke gem\u00e4ss bewegt werde. Man bat jenes Ph\u00e4nomen ferner aus der St\u00f6rung des Blutlaufes durch die Lungen und durch das Herz, verm\u00f6ge der Hemmungen des Kreislaufes erkl\u00e4rt; indessen tritt die beschleunigte Herzbewegung auch bei Anstrengungen der blossen unteren Extremit\u00e4ten, beim Bergsteigen, Laufen, ein. In diesem Falle siebt man nicht ein, wie der Lauf des Blutes durch die Lungen und das Herz verhindert seyn sollte. Denn wenn auch wegen der best\u00e4ndigen Zusammenziehungen der Muskeln der unteren Extremit\u00e4ten der Laut des Blutes durch die unteren Extremit\u00e4ten gehemmt wird, so wird er deswegen nicht in den Lungen und dem Herzen gehemmt: sondern das Blut, welches nun nicht die kleinen Gelasse der unteren .Extremit\u00e4ten durchgeben kann, k\u00f6mmt auch nicht zum Herzen zur\u00fcck, und wird sich also nicht in den Lungen und im Herzen anh\u00e4ufen. Der Erfolg muss vielmehr derselbe seyn, wie wenn man sich in aller Ruhe um beide Oberschenkel ein Tourniquet legt und die Blutbewegung in den unteren Extremit\u00e4t hemmt, worauf keine beschleunigte Herzbewegung eintritt. Es w\u00e4re daher wohl m\u00f6glich, dass diese so gew\u00f6hnliche beschleunigte Herzbewegung bei Anstrengungen, die bei nervenschwachen Menschen so stark wird, eine zwar unmerkliche, aber zuletzt immer st\u00e4rker hervortretende Mitbewegung w\u00e4re, ein Ueberspringen des Nervenprincips von dem in so grosser Kraftanstrengung begriffenen R\u00fcckenmark auf die sympathischen Nerven, gleichwie die Iris sich unwillk\u00fchrlich bei willk\u00fchr-I ich er Anstrengung des N. oculomotorius mitbewegt. Da diese Erkl\u00e4rung indess nicht direct als richtig erwiesen werden kann, und nur an analoge wirkliche Facta sich anschliesst, so kann sie vor der Hand nur als eine Andeutung f\u00fcr fernere Untersuchungen in diesem dunkeln Felde hingestellt xverden.\nViel deutlicher ist die Mitbewegung eines andern unwillk\u00fchr-Jich beweglichen Organes bei willkiihrlichen Bewegungen, n\u00e4mlich der Samenbl\u00e4schen. Es ist schon mehrseitig bemerkt wor-v den, dass wenn reizbare Knaben sehr grosse Muskelanstrengungen beim Klettern oder Heraufziehen an einem Seile machen, zuweilen eine spontane Irritation in den Genitalien bis zur Contraction der Samenbl\u00e4schen eintritt.\nXX. Die von dem Nervus sympathicus versehenen Bewegungsorgane haben einen peristaltischen Typus ihrer Bewegung. Diese schreitet n\u00e4mlich in einer gewissen Richtung fort, und die Ursachen dieser Bahn liegen nicht bloss im Gehirn und R\u00fcckenmark, sondern auch in den Nerven dieser Organe selbst. Die Ursachen der regelm\u00e4ssigen Succession in den 'Wirkungen der sympathischen Nerven","page":750},{"file":"p0751.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. symvathicus. Umvillkiihrliche Bewegungen. 751\nsind v\u00f6llig unbekannt. Die peristaltischen Bewegungen des Darms von vorn nach hinten sind bekannt. Sie folgen sich wie Wellen von vorn nach hinten, ehe eine Welle im ganzen Darme abgelaufen ist, hat schon wieder eine begonnen, die ihr in einiger Entfernung folgt. Diese Erscheinung ist nicht auf den Darm isolirt, auch der Ductus eholedochus zieht sich wurmf\u00f6rmig successiv zusammen, und selbst am Herzen ist die Succession offenbar. Am Herzen des bebr\u00fcteten H\u00fchnchens l\u00e4uft die Bewegung wie eine Welle von hinten nach vorn \u00fcber das Herz hin, oder ist peristaltisch. Selbst das Herz des Erwachsenen zeigt noch die Succession der Bewegung als Andeutung des Peristaltischen. Am Herz des Frosches folgen die Bewegungen des contractilen Theils der Venenst\u00e4mme der Vorh\u00f6fe, der Kammern, des Bulbus aor-tae in der Reihe, wie sie hier genannt sind.\nDie Succession der Bewegung in diesen Theilen ist eines der schwierigsten Probleme der Physiologie, an welches man bisher nicht einmal gedacht hat.\nAm n\u00e4chsten liegt anzunehrnen, dass die Ursache der Succession im R\u00fcckenmark selbst liege. Laufen hier Wellen oder Schwingungen von oben nach unten ab, so k\u00f6nnen die vom R\u00fck-kenmark entspringenden Fasern nach der Reihe die Wellen oder Schwingungen aufnehmen und eine Folge davon w\u00fcrde eine peristaltische Bewegung des Darms von vorn nach hinten seyn. Allein diese Erkl\u00e4rung ist gewiss nicht gen\u00fcgend, denn die Succession der Bewegung bleibt am ausgeschnittenen Herzen und Darm. Die Ursache der Succession muss daher in den Nerven dieser Theile selbst liegen. Die Fasern dieser Nerven liegen nebeneinander, wie kann es kommen, dass sie in einer gewissen Succession wirken. Hier k\u00f6nnte man sich zwar auf ungekannte spontane Wirkungen der Ganglien berufen; allein jene Organe zeigen die Succession der Bewegung auch, wenn sie von den Ganglien isolirt sind. Es ist gegenw\u00e4rtig v\u00f6llig unm\u00f6glich, eine nur einigermassen wahrscheinliche mechanische Erkl\u00e4rung jener merkw\u00fcrdigen Erscheinungen aufzustellen. Nur wie eine der Mechanik gen\u00fcgende Erkl\u00e4rung aussehen w\u00fcrde, l\u00e4sst sich im Allgemeinen andeuten. Eine Succession der Bewegung, die von Nervenfasern ausgeht, w\u00fcrde begreiflich seyn, wenn diese Fasern in der L\u00e4nge des Darms entweder von vorn nach hinten lange fortlaufen, Wirkungen successive abgebend, oder peripherisch successiv Aest-chen abschickend. In diesem Falle w\u00fcrden langsam fortschreitende Wellen von den Fasern aus successive Bewegung des Darms hervorbringen. Eine Succession der Ankunft von Wellen wird auch erlangt, wenn eine Bahn, die anfangs einfach ist, successiv Aeste abgiebt, die an L\u00e4nge in einer bestimmten Richtung zunehmen, so dass z. B. die vorderen kurz sind und die hinteren immer l\u00e4nger werden. Nichts dieser Art ist von der Verbreitung der Nerven in den fraglichen Organen bekannt, und es kann die Sache auch nur in sofern liier ber\u00fchrt werden, dass die Wichtigkeit des Problems die Beschaffenheit einer gen\u00fcgenden Erkl\u00e4rung und die Unm\u00f6glichkeit sie beizubringen einleuchtet. Was die Schwierigkeit der Sache noch vermehrt, ist, dass in manchen","page":751},{"file":"p0752.txt","language":"de","ocr_de":"752 III. Buch. Nervenphysik. III. Ahschn. Mechanik d.Nervenprincips.\nFallen die Succession wechselt, wie hei den von mir hei Ilirudo vulgaris (Meckel\u2019s ylrchiv. 1828.) und Lister (Philos, transact. 1834. p. 2.) an den Ascidien beschriebenen Ph\u00e4nomenen. Aehn-liches k\u00f6mmt schon am Magen hei dessen wechselnden Bewegungen im gesunden Zustande vor und krankhaft wird die peristaltische Bewegung sowohl am Darm, als am Herzen umgekehrt.\n2. Von den sensoriellen Wirkungen des N. sympsllucus.\nI.\tDie Empfindungen in den vom N. sympathicus versehenen Theilen sind schwach, undeutlich und nicht umschrieben, und nur bei heftigen Reizungen deutlicher und bestimmter. Die bieher geh\u00f6rigen Thatsachen sind schon oben p. 670. angef\u00fchrt worden. Durch st\u00e4rkere wiederholte Reizung wurde in Brachet\u2019s Versuchen die Empfindung in den Ganglien, die anfangs fehlte, deutlicher. Vielleicht r\u00fchrt die geringe und unbestimmte Empfindung von der geringen Zahl der sensoriellen Primitivfasern in den vom N. sympathicus versehenen Theilen her.\nII.\tDie im N. sympathicus stattfindenden Emjfindungseindr\u00fccke k\u00f6nnen unbewusst seyn, und kommen gleichwohl zum R\u00fcckenmark. Eine centripetale Wirkung eines Empfindungsnerven, zum R\u00fck-kenmark gelangend, kann bewusst oder unbewusst seyn; im ersten Falle muss sie mit Lebhaftigkeit bis zum Organe der Seele fortgepflanzt werden; im zweiten Falle bleibt die Wirkung auf das R\u00fcckenmark isolirt, sie wird nicht empfunden, kann sich aber durch andere Zeichen als bis zum R\u00fcckenmark gelangt er- ' weisen, z. B. durch reflectirte Bewegungen. EinTheil vom Rumpfe eines gefleckten Erdsalamanders ohne Kopf zeigt uns ein Beispiel von centripetaler Empfindungserregung, ohne wirkliche Empfindung; denn wenn wir die Haut dieses Rumpfst\u00fcckes ber\u00fchren, erfolgt eine Kr\u00fcmmung des St\u00fcckes durch Zusammenziehung der Muskeln, die durch eine Reflexion vom R\u00fcckenmarke entsteht, und nicht entstehen kann, wenn in dem Rumpfst\u00fccke kein R\u00fcckenmark enthalten ist. Solche Erscheinungen von cen-tripetaleu Wirkungen in Empfindungsfasern bis zum Ri\u00fcckenmark ohne wahre Empfindung, aber mit Reflexion der Wirkung auf die Muskeln sind nun auch in dem gesunden Lehen h\u00e4ufig, und gerade im N. sympathicus die gew\u00f6hnlichen. Man kann deutlich beweisen, dass solche nicht bewusste Empfindungswirkungen un N. sympathicus dennoch zum R\u00fcckenmark gelangen. Durch jeden Reiz im Mastdarm kann die Bewegung des Sphincter am verst\u00e4rkt seyn, durch unempftindene Reize im Magen entsteht gleichwohl die beim Erbrechen stattfindende Mitaffection der Athemmuskeln. Diese Action der von Cerebrospinalnerven versehenen Atbemmuskeln kann im Erbrechen durch einen un^ bewussten Empfindungsreiz in jedem Organe des Unterleibes, durch den Darmkanal, Leber, Nieren, Uterus angeregt werden. Hier liegt der Ausgang der Wirkung im N. sympathicus. Die Reflexion geschieht motorisch nach Cerebrospinalnerven, nicht nach dem N. sympathicus. Und nun l\u00e4sst sich wieder beweisen,","page":752},{"file":"p0753.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympathicus. Sensorielle Wirkungen. 753\ndass das Bindeglied zwischen der centripetalen Wirkung des N. sympathicus und der motorischen in den Cerebrospinalnerven wirklich das R\u00fcckenmark, und nicht der N. sympathicus durch seine Nervenverbindungen ist. Denn der N. sympathicus verbindet sich zwar mit allen Spinalnerven, die beim Erbrechen th\u00e4tig seyn k\u00f6nnen, aber diese Verbindung ist ein einfaches Anschl\u00fcssen der Fasern des Ramus communicans nervi sympathici an die beiden Wurzeln des Spinalnerven; da nun die motorische Wurzel des Spinalnerven nicht einmal ein Ganglion hat, so f\u00e4llt hier auch die Erkl\u00e4rung weg, dass die Wirkung des N. sympathicus vom Ramus communicans sich hier in einer gangli\u00f6sen Masse vertheilen und alle durchgehenden Fasern der motorischen Wurzel mit afficiren k\u00f6nne. Die centripetale Wirkung im N. sympathicus, welche unbewusst und unempfunden eine reflectirte motorische in einem Cerebrospinalnerven bervorbringt, wirkt also offenbar auf diese Nerven nicht durch sympathische Verbindungen, sondern durch das Bindeglied des R\u00fcckenmarks.\nIII.\tBei den Reflexionsbewegungen, die von Empfindungseindr\u00fccken des N. sympathicus angeregt werden, ist der Empfindungseindruck in der Regel unbewusst, w\u00e4hrend er bei den Reflexionsbewegungen, die durch Empfindungseindr\u00fccke der Cerebrospinalnerven angeregt werden, immer bewusst ist. So ist es wenigstens in der Mehrzahl der F\u00e4lle. Bei den von dem Magen, Darmkanal, Nieren, Leber, Uterus erregten Erbrechungsbewegungen der Rumpf-athemmuskeln, wird die Ursache im Magen, Darm, Nieren, Uterus, Leber sehr h\u00e4ufig und in der Regel nicht empfunden; d. h. die nach dem R\u00fcckenmark und Gehirn gelangende centripetale Erregung k\u00f6mmt nicht zum Bewusstseyn. \u2022 Bei allen Reflexions-bewegungen von Cerebrospinalnerven aus wird dagegen die erregende Reizung deutlich empfunden. Auf eine Reizung der Schleimhaut des Kehlkopfes, der Luftr\u00f6hre, der Lungen entsteht durch Reflexion eine Action in vielen Spinalnerven bei den das Husten begleitenden Bewegungen der Rumpfmuskeln ; aber jener Reiz in der Schleimhaut bringt eine deutliche Empfindung hervor. Bei dem Erbrechen von Kitzel im Schlunde wird dieser deutlich empfunden. Bei den krampfhaften Athembewegungen mit Action der Spinalnerven im Niesen wird die erste Ursache der Reflexion in der Nase deutlich empfunden. Bei der Verengerung der Iris von Lichtreiz wird das Licht als Licht deutlich empfunden; eben so bei dem Niesen, welches durch Lichtreiz auf das Auge entsteht.\nIV.\tDie Ganglien des TV. sympathicus hemmen nicht die Fortlei-tung der centripetalen Wirkungen des N. sympathicus zum R\u00fcckenmark; sie sind keine Isolatoren fiir diese Wirkungen. Diess ergiebt sich aus den Thatsachen, welche in den vorherigen S\u00e4tzen angef\u00fchrt worden sind; denn wenn, wie gezeigt wurde, bei den Reflexionen, wie beim Erbrechen von Reizen im N. sympathicus, eine Fortleitung zum R\u00fcckenmark, obgleich ohne Bewusstseyn, geschieht, so k\u00f6nnen die Ganglien nicht Isolatoren f\u00fcr diese Fortleitung seyn. Es l\u00e4sst sich dieser Satz aber auch direct aus dem schon \u00f6fter angef\u00fchrten Versuch beweisen, dass es mir mehrmal","page":753},{"file":"p0754.txt","language":"de","ocr_de":"754 III. Buch. Ncrvenphysik. HI.Abschn. Mechanikd. Nervenorincips.\ngelungen ist, bei einem Kaninchen, dem die Bauchwandungen ganz durchschnitten waren, durch Zerrung des N. splanchnicus mit der Nadel eine in demselben Augenblicke erfolgende Zuckung der Bauchmuskeln hervorzubringen. Daraus geht hervor, dass die am Grenzstrange des N. sympathicus befindlichen Knoten, von welchen der N. splanchnicus entspringt, keine Isolatoren f\u00fcr centripetale Wirkungen im N. sympathicus nach dem R\u00fcckenmark seyn k\u00f6nnen. Und dasselbe beweisen die Versuche von Volkmann an gek\u00f6pften Fr\u00f6schen in Hinsicht der Unterleibsganglien. Denn durch Reizung des Darms und anderer vom Sympathicus versehener Theile wurden sehr ausgebreitete Reflexbewegungen am Rumpfe bewirkt.\nV.\tAus den vorher angef\u00fchrten Thatsachen geht aber auch hervor, dass die Ganglien nicht die Ursache der Bewusstlosigkeit der Beizungen in dem N. sympathicus seyn k\u00f6nnen. Nach Br\u00e4chet soll zwar die Empfindung in den Ganglia thoracica und ihren Verbindungsf\u00e4den schwach seyn oder fehlen, dagegen in den Rami communicantes der Ganglia mit den Spinalnerven deutlich seyn, und die Verletzung deutliche Schmerzensempfindung hervorbringen; diess l\u00e4sst sich aber vor der Hand mit den vorher zergliederten Thatsachen nicht gut vereinigen. Denn es wurde unter II. bewiesen, dass die Reizungen des N. sympathicus eben so wie die der Gerebi ospinalnerve\u00bb, aber unbewusst, zum R\u00fcckenmark verpflanzt werden. Sollten daher die Ganglien bloss die Qualit\u00e4t, den Inhalt des Eindrucks bei einer centripetalen Leitung ver\u00e4ndern, dass die Wirkung zwar fortgeleitet wird, aber das Qualitative des Schmerzes daran aufgehoben wird? Diese Fragen werden so abstract, dass man darauf nicht antworten kann. Auf das Bewusstwerden selbst k\u00f6nnen die Ganglien nicht influiren. In den Ganglien selbst kann die Ursache nicht liegen, dass bei den centripetalen Wirkungen im N. sympathicus durch die Ganglien hindurch das Bewusstseyn ausf\u00e4llt; indem das Bewusste an einer Empfindungswirkung erst dadurch entsteht, dass diese Empfindungswirkung zum Organe der Seele gelangt. Es muss daher die Ursache, dass die Empfindungswir\u00bb-kungen des N. sympathicus, obgleich sie zum R\u00fcckenmark gelangen, doch nicht zum Bewusstseyn kommen, nicht in den Ganglien, sondern darin liegen, dass diese Wirkungen im R\u00fcckenmark selbst sich ausgleichen, und nicht bis zu der Quel e Bewusstwerdens der Empfindungen fortgepflanzt werden. el den Cercbrospinalnerven gelangen die Empfindungswirkungen im mer zur Quelle des Bewusstwerdens im Gehirn; wenn sl\u00ae z.u\" weilen nicht empfunden werden, so liegt die Ursache arm, dass die Seele ihre Intention auf Anderes gerichtet hat.\nVI.\tIn manchen F\u00e4llen erregen heftige Reizungen in den vom JV. sympathicus versehenen Theilen, Empfindungen in diesen el len selbst; in anderen F\u00e4llen sind die Empfindungen v\u00b0n, cher en Reizen in den afficirlen Theilen, undeutliche, un eu Empfindungen in anderen, von Cerebrospiualnerven veise lenen vorhanden. Beispiele der ersten Art zeigen uns die Entzun ung, des Dannkanals, der Leber, Beispiele der zweiten Art m","page":754},{"file":"p0755.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. sympa!hicus. Sensorielle Wirkungen. 755\nten juckenden Empfindungen, welche in Krankheiten des Darmkanals, wie in der Wurmsucht, an der Nase und am After, in chronischen Krankheiten der Nieren und Blase an der Eichel beobachtet worden sind, w\u00e4hrend der Sitz der Reizung oft gar nicht durch deutliche Empfindungen an dem Orte seihst sich kundgiebt. Es geh\u00f6ren ehen so hieher die Schmerzen, die man hei Herzkrankheiten zuweilen in den oberen Extremit\u00e4ten, bei Leberkrankheiten in der Schulter beobachtet hat. Diess sind Irradiationen, ganz \u00e4hnlich den fr\u00fcher p. 708. bei der Irradiation der Cerebrospinalnerven aufgef\u00fchrten Erscheinungen.\nVII.\tDiese securid\u00fcren Empfindungen in Cerebrospinalnerven, nach Reizungen des N. sympathicus zeigen sich besonders an den Endtheilen der afficirten Apparate; so entsteht Jucken in der Rase bei Wurmreizen im Darmkanal, Afterjucken bei Wurmreizen im Dickdarm, Jucken und Schmerzen der Eichel bei Krankheiten der Rieren und I larntvege.\nVIII.\tEine Reflexionsf\u00e4higkeit der Ganglien bei sympathischen Empfindungen ist nicht bewiesen und mehrere Thatsachen sprechen dagegen. Diess zeigen theils schon die angef\u00fchrten Versuche \u00fcber den Antheii des R\u00fcckenmarks an den Reflexionserscheinungen theils noch besonders mehrere Versuche von Volkmann. Bei gek\u00f6pften Fr\u00f6schen, die in der Disposition zur Reflexion waren, konnte vom Darmkanal aus die Reflexion nach' den Rumpl-muskeln bewirkt werden, und am Darm selbst traten ausgebreitete Wirkungen hervor; war aber das R\u00fcckenmark zerst\u00f6rt, so h\u00f6rten alle jene Erscheinungen auf, und die Reaction war auch am Darm ganz local. Die Ganglien waren also nicht zur Verbreitung der Reizung f\u00e4hig. Und daraus wird wahrscheinlich, dass sie es auch nicht bei der Irradiation der Empfindungen seyn werden.\nMan erkl\u00e4rte die secund\u00e4ren Empfindungen in Cerebrospinalnerven gew\u00f6hnlich durch die Verbindungen des N. sympathicus mit Cerebrospinalnerven, und rechnete vorzugsweise auf die Ganglien der Ernpfindungswurzeln der Spinalnerven, durch welche die Primitivfasern der Wurzeln des N. sympathicus eben so gut, wie der Cerebrospinainerven, durchgehen. Diese Erkl\u00e4rung verliert noch mehr an Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, dass diese Ganglien der Empfindungsnerven schon nicht die Mitempfindungen der Cerebrospinalnerven erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, indem oft Nerven in einander Mitempfindung erregen, die in keiner Verbindung stehen und selbst der Ganglien entbehren, wie z. B. die Mitempfindung des Kitzels in der Nase vom Sehen in die Sonne von keiner Nervenverbindung erkl\u00e4rt werden kann. Denn wenn auch Zweige des N. sympathicus vom Ganglion sphenopalatinum zum Ganglion ciliare, und Zweigelchen vom sympathischen Nerven an den Gcf\u00e4ssen der Retina beobachtet worden sind, wie sie eigentlich an allen Gef\u00e4ssen Vorkommen, so kennt man doch keine best\u00e4tigte Verbindung des N. opticus und des N. nasalis selbst. Eben so wenig l\u00e4sst sich die Ver\u00e4nderung des Sehens, des H\u00f6rens bei Krankheiten der Unterleibsorgane durch eine solche Verbindung erkl\u00e4ren, da sie hier eben so wenig'existirt. Man denke","page":755},{"file":"p0756.txt","language":"de","ocr_de":"756 III. Buch. Nervenphysik. IIl.Ahschn. Mechanik d. Nervenprincips\nsich, dass der N. sympathicus wirklich einige Zweigelchen in die Retina selbst schicke, so liesse sich seihst daraus nicht einmal die Verbreitung einer Affection yorn Darrnkanal bis zur Retina mit Ver\u00e4nderung des Sehens erkl\u00e4ren. Denn dazu m\u00fcssten alle Fasern des Sehnerven durch eine gangli\u00f6se Masse durchgehen. Wir wissen aber, dass eine Reizung eines einzelnen Punktes in der Retina beschr\u00e4nkt bleibt; die Verbindung des N. sympathies mit der Retina in einem einzigen Punkte w\u00fcrde also auch bloss m\u00f6glicherweise eine Mitempfindung in diesem einzigen Punkte, und nicht eine allgemeine Ver\u00e4nderung des Sehens hervorbringen k\u00f6nnen. Wir stossen daher bei der Erkl\u00e4rung der secund\u00e4ren Empfindungen von dem H. sympathicus auf dieselben Schwierigkeiten, wie bei der Erkl\u00e4rung der Irradiation bei den Cerebrospinalnerven, und es ist wahrscheinlicher, dass alle Mitempfindungen in Cerebrospinalnerven, die vom N. sympathicus angeregt werden, auch erst durch Vermittelung des R\u00fcckenmarkes und Gehirnes entstehen. Dagegen scheint zwar auf den ersten Blick zu sprechen, dass in den vom N. sympathicus versehenen Theilen, da wo die Reizung ist, oft gar nichts, aber wohl in einem R\u00fcckenmarksnerven etwas empfunden wird; allein die centripetale Erregung in dem N. sympathicus kann sehr wohl zum R\u00fcckenmark gelangen, ohne dass sie als solche zum Bewusstseyn k\u00f6mmt, und doch vom R\u00fcckenmark weiter Wirkungen hervorbringen, z. B. bewusste Empfindungen in andern Nerven erregen. Dass diess m\u00f6glich ist, ist unter II. bewiesen worden.\nIVIan sieht aus allem diesem, dass die Theorie dieser refle-ctirten Empfindungen vom N. sympathicus aus noch ganz im Dunkel und wenigstens sehr zweifelhaft ist.\n3. Von den organischen Wirkungen des Nervus sympathicus.\nDie Gesetze dieser Wirkungen sind uns am meisten unbekannt. Denn kaum erst sind wir zu dem Puncte gelangt anzuerkennen, dass eigene graue Nervenb\u00fcndel oder organische Fasern \u00fcberall, auch in den Cerebrospinalnerven selbst die Ursache der organischen Wirkungen der Nerven bei der Absonderung und Ern\u00e4hrung sind. Ist nun eine Bewegung oder Oscillation des Nervenfluidums in diesen Nerven nur in der Richtung von den St\u00e4mmen und Ganglien nach den Aesten (centrifugale Wir-kung), oder auch umgekehrt m\u00f6glich, oder wirkt das Nervenprin-cip in diesen Nerven nach allen Richtungen, so dass eine Nervenfaser eben so gut den belebenden Einfluss nach einer Dr\u00fcse hin ausstr\u00f6rnen kann, als eine reflectirende Wirkung nach anderen organischen Nerven von einer gereizten Dr\u00fcse aus aus\u00fcben kann ! Stehen die organischen Nerven durch ihre Communica-tionen so in Wechselwirkung, dass man von einer Stelle aus die Absonderung einer ganzen Fl\u00e4che vermehren kann; oder ist bei allen solchen Reflexionen das Pi\u00fcckenmark als aufnehmendes und ausschickendes Bindeglied th\u00e4tig? Die Thatsachen lassen sich auf beide Arten erkl\u00e4ren; und es l\u00e4sst sich jetzt nicht mit Ge-","page":756},{"file":"p0757.txt","language":"de","ocr_de":"5. Mechanik des N. symvathicus. Organische Wirkungen. 757\nwisslieit bestimmen, welche Erkl\u00e4rung die richtige ist. Doch gieht es gewisse F\u00e4lle, in welchen die eine oder die andere Art der Wirkung wahrscheinlicher ist.\nI. Wenn nach Empfindungen durch Reflexion Absonderungen in entfernten Theile.n erfolgen, ist wahrscheinlich das Gehirn und Riik~ kenmark das Bindeglied. Die Empfindlingsreizung k\u00f6nnte entweder von den Ganglien der Wurzeln der Empfindungsnerven, durch welche auch Fasern des N. sympatlncus -durchgehen, ohne zum R\u00fcckenmark zu kommen, zu den organischen Fasern gelangen, oder vom R\u00fcckenmark aus auf diese refleetirt werden. Das Letztere ist offenbar das wahrscheinlichere, da die Reflexion durch das R\u00fcckenmark in den motorischen Reflexionen eine Thatsache, die Mittheilung der Wirkungen der Fasern in den Ganglien der Empfindungsnerven eine unerwiesene Hypothese ist. Die Thatsachen, welche hieher geh\u00f6ren, sind sehr h\u00e4ufig. Nach Einwirkungen auf die inneren Schleimh\u00e4ute, z. B. nach Getr\u00e4nken, bricht oft sogleich ein allgemeiner Schweiss aus. Nach heftigen Empfindungen entsteht zuweilen mit Zuf\u00e4llen der Ohnmacht ein kalter Schweiss. Bei den letzteren Erscheinungen ist die Reflexion durch das R\u00fcckenmark ganz offenbar, da die Erscheinungen hei der Ohnmacht eine Breite haben k\u00f6nnen, dass sie nur durch das R\u00fcckenmark erkl\u00e4rt werden. Zweifelhafter ist diese Erkl\u00e4rung hei einigen andern Ph\u00e4nomenen dieser Art. Nach einer mit Empfindungen verbundenen Reizung der Conjunctiva oculi et palpebrarum entsteht ein Thr\u00e4nenfluss ; nach heftigen Empfindungen in der Schleimhaut derNase durch fixeReiz-mjtlel, die auf die Schleimhaut der Nase, oder fl\u00fcchtige, die in den Mund gebracht werden, entsteht ebenfalls Thr\u00e4nenfluss. Senf und Meerrettig erregen zuweilen schon vom Munde aus diese Erscheinung. Man pflegt diese Erscheinungen so zu erkl\u00e4ren, dass man die Empfindungsreizung von dem N. ethmoidalis auf den Stamm des ersten Astes vom N. trigeminus, und von dort aus wieder auf den N. laerymalis reflectiren l\u00e4sst; so erkl\u00e4rt man auch den Thr\u00e4nenfluss von Reizung der Conjunctiva, indem man die Empfindungsreizung der Conjuctiva auf den Stamm des ersten Astes, und dort wieder auf den Ramus laerymalis sich re-flectiren l\u00e4sst. Indessen ist diese Erkl\u00e4rung f\u00fcr beide F\u00e4lle fehlerhaft. Denn ein Cerebrospinalnerve kann, da keine Communication der Primitivfasern in ihm staltfindet, auch keine Empfindungsreizung eines Theiles seiner Fasern auf andere reflectiren. Andere erkl\u00e4ren jene Erscheinungen von Sympathie der Nasenschleimhaut mit der Thr\u00e4nendr\u00fcse durch das Ganglion splieno-palatinurn, welches nach Einigen durch sympathische F\u00e4den mit dem Ciliarknoten verbunden seyn soll. Da nun dieser durch die lange Wurzel des Ganglion ciliare mit dein N. nasalis, und also mit. dem Stamme des ersten Astes, der den N. laerymalis abgiebt, verbunden ist, so sey der N. laerymalis mit dem Ganglion sphe-\u00bbopalatinum in unmittelbarem Zusammenhang. Gegen diese Erkl\u00e4rung l\u00e4sst sich dasselbe einwenden, wie gegen die vorige, intern eine Reizung, die zum Ganglion ciliare auf den N. nasalis kis in den Stamm des ersten Astes des N. trigeminus gelangt,","page":757},{"file":"p0758.txt","language":"de","ocr_de":"758 III. Buch. Nervenphysik. IlI.Alschn. Mechanik d.Nervemrincips.\nohne Communication der Fasern nicht auf den Ramus lacrymalis rellectirt werden kann. Andere endlich lassen die Emplindungs-reizung von der Nase auf das Ganglion Gasseri am Stamme des N. trigeminus, und von dort auf den ersten Ast des N. trigeminus und den Ramus lacrymalis reflectiren. Gegen diese Erkl\u00e4rung liesse sich nichts einwenden, wenn man w\u00fcsste, dass das Ganglion Gasseri, als Ganglion eines Empflndungsnerven, Ursache einer Sympathie und Reflexion seyn k\u00f6nnte, wenn es bewiesen w\u00e4re, dass in einem Empfindungsnerven, wie der N. lacrymalis, centrifugate Str\u00f6mungen stattfinden k\u00f6nnten, und wenn es erwiesen w\u00e4re, dass der N. lacrymalis wirklich der Thr\u00e4nendr\u00fcse Fasern abg\u00e4be, welche der Absonderung verstehen. Da die Absonderung der Thr\u00e4nen, wie \u00fcberall, wahrscheinlich von bloss organischen Fasern des N. sympathicus bestimmt wird, so w\u00fcrde immer die Erkl\u00e4rung noch am einfachsten seyn, welche die Empfindungsreizung von der Nase auf das Ganglion sphenopalatinum, und bei dem Zusammenh\u00e4nge aller organischen Nerven auf irgend einem Wege auf die Thr\u00e4nendr\u00fcse durch organische Fasern re-ilectiren l\u00e4sst. Ob diese Art von Reflexion von Empfindungsnerven auf organische unmittelbar ohne Mitwirkung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes m\u00f6glich ist, ist aber gerade der Gegenstand der Frage, und ich weiss keine andern Gr\u00fcnde, als die M\u00f6glichkeit einer solchen Erkl\u00e4rung, und die Unm\u00f6glichkeit, sie geradezu zu widerlegen, f\u00fcr diese Annahme. Eine sehr h\u00e4ufige Reflexion von Empfindungsreizung auf Absonderung ist auch die oft schnell vermehrte Absonderung des Speichels hei der Aufnahme der Speisen in den Mund. Es ist hier eben so ungewiss, wie man eine solche Piellexion erkl\u00e4ren soll. Die Erkl\u00e4rung dieser Reflexionen durch Mitwirkung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes als Vermittler der sensoriellen und vegetativen Wirkung hat wenigstens die Analogie \u00e4hnlicher Reflexionen von sensoriellen Wirkungen auf motorische, durch Vermittelung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, f\u00fcr sich.\nII.\tDie verschiedenen Theile einer absondernden Haut sieben unter einander in Consensus ; so dass der Zustand einer Stelle auf die Beschaffenheit der ganzen Ausbreitung einer Schleimhaut Einfluss hat. Es ist in diesen F\u00e4llen einfacher, die Erscheinungen durch Communication der organischen Fasern zu erkl\u00e4ren. Schon die t\u00e4gliche Erfahrung, dass es allgemeine Affectionen einer Schleimhaut, einer ser\u00f6sen Haut giebt, zeigt uns eine Sympathie in der Ausbreitung der Membranen, welche wohl durch Communication organischer Fasern erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte. Hier ist diese Erkl\u00e4rung wahrscheinlicher; aber auch sie l\u00e4sst sich nicht direct beweisen.\nIII.\tZuweilen wirkt der vegetative Zustand eines Organes, die Entz\u00fcndung, die Absonderung desselben auf die Hervorrufung von Entz\u00fcndung, Absondenung in anderen Theilen. In diesem Falle haben wir ein Beispiel der Reflexion von organischen Fasern eines Theils auf organische Fasern eines andern, ohne Mitwirkung der Cerebro-spinalncrven. Eine Entz\u00fcndung des Hodens kann sich auf die Parotis, eine rothlaufartige Entz\u00fcndung der Haut auf die Hirn-","page":758},{"file":"p0759.txt","language":"de","ocr_de":"Organische. Wirkungen. 759\n5. Mechanik des JS. sympathicus.\nh\u00e4ute versetzen; die Unterdr\u00fcckung einer Absonderung kann eine andere in einem andern Theile verst\u00e4rken. Wahrscheinlich sind alle diese Erscheinungen von Ver\u00e4nderungen in den die Blutgef\u00e4sse begleitenden organischen, ziim N. sympathicus geh\u00f6rigen Fasern verbunden. Hier fragt es sieh nun wieder, ob solche Reflexionen bloss durch Ver\u00e4nderung der Statik des N. sympathicus stattlinden, oder ob das Gehirn und R\u00fcckenmark wieder zwischen einer centripetalen und centrifugal en Wirkung den Aus-scblag giebt. Wir haben noch keine Thatsachen, diese Frage zu entscheiden, indess ist das erste in mehreren F\u00e4llen wahrscheinlicher. In Mayer\u2019s Versuchen entstand zuweilen nach Unterbindung des N. sympathicus am Halse, also des Verbindungstheiles zwischen dem ersten und zweiten Halsknoten, eine Affection von Theilen, die erst wieder von dem ersten Halsknoten influencirt scheinen, n\u00e4mlich des Auges, Augenentz\u00fcndung. Das eigenth\u00fcmliche Verhalten der organischen Nerven, dass man weder Anfang noch Ende leicht unterscheiden kann, dass sie sich nicht wie Stamm und Aeste zu einander verhalten, sondern auf ihren Wegen sich vermehren k\u00f6nnen, spricht allerdings f\u00fcr die M\u00f6glichkeit einer allseitigen Wirkung in diesen Nerven, so dass sie keiner centripetalen und cen-trifugalen Str\u00f6mung allein, sondern einer nach allen Richtungen ausgehenden Verlheilung ihrer Wirkungen von den Centralpunkten der Ganglien f\u00e4hig sind; f\u00fcr diese Ansicht spricht auch der Umstand, dass ein Weg, einen Theil mit organischen Nerven zu versehen, durch einen andern ersetzt werden kann. Nach der Unterbindung eines Arterienstammes werden die Nerven der Arterien ohne Zweifel mit verletzt; dennoch erfolgt kein Absterben, keine Atrophie, kein Aufh\u00f6ren der Absonderung, so dass es scheint, dass die Gefassnerven der Collateralgef\u00e4sse diesen Einfluss ersetzen k\u00f6nnen, oder dass organische Fasern in den Spinalnerven diesen Mangel ersetzen. Auf der andern Seite kann wieder der Einfluss der Spinalnerven aufh\u00f6ren, ohne dass Atrophie erfolgt. Es geh\u00f6rt auch hieher, dass nach Durchschneidung des N. sympathicus auf beiden Seiten in v. Pommer\u2019s Versuchen gar keine merkliche nachtheiiige Wirkung eintritt, so dass vielleicht andere Wege, wie der die Arteriae vertebrales begleitenden F\u00e4den, jene Theile des Nervus sympathicus ersetzt haben. Jedenfalls entsteht eine Versetzung eines pathologischen Processes immer dahin, wo die Disposition zu dem Sitz desselben ist, bei dem Lungenkranken von der Haut nach den Lungen, bei dem Leberkranken von der Haut nach der Leber, bei dem Menschen mit reizbarem Darmkanal nach diesem u. s. w. Bei der Statik der Absonderungen k\u00f6mmt \u00fcbrigens nicht bloss das Nervensystem, sondern die Natur der verschiedenen Abson-derungsmaterien und ihr Verh\u00e4ltniss zu den Bestandtheilen des Blutes und zu einander in Betracht. Unter diesem letzten Gesichtspunkte ist die Statik der Absonderungen indess schon oben p. 470. betrachtet worden.\nIV. Die Ganglien scheinen die Centralthcile zu seyn, von welchen der vegetative Ein\u00dfuss auf die verschiedenen Theile ausstr\u00f6mt. Nach Verletzung des obersten Iialsknolens hat man eine Augen-\nMuller\u2019s Physiologie. I.\t49","page":759},{"file":"p0760.txt","language":"de","ocr_de":"7(JO III. Buch. Nervenphysik. III.Ahschn. Mechanik <1. Neroenpriiicips.\nentz\u00fcndung, ja selbst allgemeine Erscheinungen lier ver\u00e4nderten Ern\u00e4hrung beobachtet.\nV.\tDieser aussirahlende Einfluss ih r Ganglien scheint eine gewisse Unabh\u00e4ngigkeit von dem Gehirn und R\u00fcckenmark zu behaupten, insofern die Ausbildung des Embryo mit Zerst\u00f6rung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes m\u00f6glich ist. Siebe oben p. 107. Vergl. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie 1834. p. 268.\nVI.\tIndessen scheint doch auch das Gehirn und R\u00fcckenmark die llauptquelle zu seyn, wodurch auch das organische Nervensystem sich allm\u00fchlig integrirt, indem gewisse Gehirn- und R\u00fcckenmarks/\u00fch-mungen auch mit Atrophie verbunden sind. Vergl. die Bemerkungen \u00fcber den Schlaf oben p. 743.\nIndem wir die Untersuchungen \u00fcber den N. sympathicus schliessen, m\u00fcssen wir bedauern, wie Vieles noch hier dunkel ist; indessen glauben wir gezeigt zu haben, wie man in den Untersuchungen \u00fcber diesen Nerven verfahren m\u00fcsse, und Manches wurde durch Anwendung der Mechanik der Cerebrospinalnerven auf den N. svmpathicus klar, dessen Eigenschaften Herrn Ma-r.ENuiF. so unbekannt schienen, dass er Anstand nahm, ihn f\u00fcr einen Nerven zu halten.\nVI. Capitol. Von den Svmpathieen.\nIn den vorhergehenden Capiteln sind so viele Formen sympathischer Erscheinungen durch die Mechanik und Statik der Nerven, ohne Antheil des N. sympathicus erkl\u00e4rt worden, dass dieser Nerve nunmehr noch eine geringe Bolle in der Erkl\u00e4rung der Sympathien spielt. Die Ph\u00e4nomene der Irradiation, der Coincidenz der Empfindungen, der Mitbewegungen, der Reflexion geschehen nicht durch den N. sympathicus, und umfassen den bei weitem gr\u00f6ssten Theil der sympathischen Erscheinungen, welche man ehemals durch diesen Nerven verrichten Hess. An der Wahrheit dieser letzteren Erkl\u00e4rungen haben schon viele namhafte Forscher gezweifelt; denn die allt\u00e4glichen sympathischen Erscheinungen zwischen allen Theilen, gerade die Erscheinungen des gesunden Consensus zwischen Uterus und Br\u00fcsten, so wie mehrere der merkw\u00fcrdigsten pathologischen Sympathien, waren niemals durch den N. sympathicus erkl\u00e4rbar. Nur in einigen pathologischen Sympathien zwischen den Sinnesorganen und dem N. sympathicus hat man diesen Nerven in der neuern Zeit wieder scheinbar mit mehrErfolg zur Erkl\u00e4rung der Sympathien angewandt, wozu die trefflichen Untersuchungen von Tiedemamn, Hirzel, Arnold viel beigetragen haben. Indessen werden diese Versuche dur ch d ie feinere Anatomie der Nerven wieder schwankend, indem diese uns lehrt, dass wenn auch der N. sympathicus sich mit Gehirn- und R\u00fcckenmarksnerven verbindet, diess noch durchaus kein Beweis f\u00fcr einen physiologischen Zusammenhang der peripherischen Theile beider Nerven ist. Denn \u00fcberall, wo an solchen Verbindungen des N. sympathicus und der Gehirn- und B\u00fcckenmarksnerven keine Ganglien des Sympathicus liegen, durch","page":760},{"file":"p0761.txt","language":"de","ocr_de":"<>. Sympathie en. S. verschiedener Theile eines Gewehrs.\t7(U\nwelche alle Fasern des Cerebrospinalnerven durchgehen, fallt die Erkl\u00e4rung eines physiologischen Zusammenhanges weg; ausserdem, dass er schon bei solchen Verbindungen mit Ganglien hypothetisch ist, und die Ganglien auch Apparate zur Einmischung organischer Fasern in die Cerebral- und Spinalnerven sevn k\u00f6nnen. Da aber ferner, wo der N. sympathicus mit motorischen Wurzeln der Spinalnerven zusammenh\u00e4ngt, gar keine Ganglien Vorkommen, sondern diese Verbindungen eben nichts anders, als ein blosses Anschl\u00fcssen von Primitivfasern sind, so ist das Bereich des N. sympathicus in allen Nervensympathien mit Bewegungen anatomisch noch mehr geschm\u00e4lert. Die positive Kenntniss der Erscheinungen der Irradiation, Coincidenz, Mitbewegung und Reflexion, und die grosse Wahrscheinlichkeit, dass diese Ph\u00e4nomene in den Cerebrospinalnerven ganz, und in den sympathischen Nerven wenigstens zum Theil durch Mitwirkung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes erfolgen, hat das Wirkungsfeld des N. sympathicus in den Sympathien noch viel mehr geschm\u00e4lert, und ihm durch Aufstellung einer, f\u00fcr jetzt schon zie'rn-lich exacten Statik der Nerven, den bei weitem gr\u00f6ssten Theil der Sympathien ganz entzogen. In dieser Wendung zeigt sich etwas Aehnliches, wie in deV Pathologie der Fieber; deren Zahl um so gr\u00f6sser war, je weniger man die Krankheiten, welche die Fiebersymptome erzeugen, kannte, und welche in der neuern Pathologie als Krankheiten eine beschr\u00e4nkte und sehr zweifelhafte Rolle spielen.\nNachdem wir in den vorhergehenden Capiteln schon die Gesetze f\u00fcr die Erkl\u00e4rung eines grossen Theiies der Sympathien kennen gelernt haben, werden wir uns jetzt kurz fassen, und die Sympathien mehr unter allgemeinen physiologischen Gesichtspunkten aulfassen.\nDie sympathischen Verh\u00e4ltnisse der verschiedenen Theile des Organismus lassen sich unter folgende Gesichtspunkte bringen.\ni. Symp a thienn der verschiedenen Theile eines Gewebes unie i* s i c b.\nDiess ist eine der h\u00e4ufigsten Arten des Consensus. Die verschiedenen Ausbreitungen der Schleimh\u00e4ute theilen sich ihre Zust\u00e4nde mit; die ser\u00f6sen H\u00e4ute, die fibr\u00f6sen H\u00e4ute u. s. w. sind in demselben Falle. Bei der consensuellen Erregung verschiedener Theile eines Gewebes ist die consensuelle Affection mit der urspr\u00fcnglichen in der Regel eins. Die Entz\u00fcndung pflanzt sich fort, die Schmerzen dehnen sich im Umf\u00e4nge des Gewebes aus: die ver\u00e4nderte Absonderung ergreift in derselben Art die naheliegenden Theile des urspr\u00fcnglich afficirten Gewebes, a. Zellgewebe.\nSchon das Zellgewebe besitzt eine grosse Neigung zur Mittheilung seiner Zust\u00e4nde \u00fcber seine Verl\u00e4ngerungen hin. Die Krankheiten desselben, das Emphysem, das Oedem, die Zellgewebeverh\u00e4rtung, die Fettsucht, die Entz\u00fcndung und Vereiterung\n49 *","page":761},{"file":"p0762.txt","language":"de","ocr_de":"762 III. Buch. Nervcnphysik. III. Ahschn. Mechanik d.Nervenprincips.\ndes Zellgewebes, liefern Beispiele davon. Diese Krankheiten schreiten oft \u00fcber ganze Strecken des Zellgewebes zwischen den Muskeln, Gelassen, aponeurotischen Ausbreitungen bin, indem sie bloss das interstiti\u00e4re Zellgewebe verfolgen. Deswegen wird auch die Kenntniss der nat\u00fcrlichen Grenzen der Zellgewebeausbreitungen, -n\u00e4mlich der Fascien, f\u00fcr die W\u00fcrdigung der Zellgewebeeiterungen so wichtig.\nb.\tAeussere Haul.\nSo offenbar der lebhafte Verkehr der \u00e4ussern Haut mit inneren Theilen ist, so zeigt uns doch dieselbe keine sehr lebhafte Wechselwirkung ihrer Zust\u00e4nde in verschiedenen Theilen ihres Verlaufs. Eine reine Hautentz\u00fcndung kann beschr\u00e4nkt seyi). Indessen besitzt sie als Ausscheidungsorgan f\u00fcr gewisse Stoffe auch eine gewisse Affinit\u00e4t gegen in den S\u00e4ften circulirende fehlerhafte Materien; w'odurch ihr allein eigenth\u00fcmliche Krankheiten, acute und chronische exanthematische Hautentz\u00fcndungen, sich in ihr in einer fl\u00e4chenhafteu Ausbreitung ausbilden. Viel h\u00e4ufiger sind indess die Sympathien der \u00e4ussern Haut mit den inneren Theilen, f\u00fcr welche sie die gemeinsame Grenze nach aussen hin bildet; wovon die Beispiele sp\u00e4ter angef\u00fchrt werden.\nc.\tSchleimh\u00e4ute.\nDie Schleimh\u00e4ute haben eine grosse Neigung, ihre Zust\u00e4nde einander nach dem Verlaufe der Membranen mitzulheilen. Der Catarrh der Lungenschleirnhaut zieht leicht dieselbe Affection in der Nasenschleimhaut in Folge. Der Catarrh der letztem affi-cirt die Schleimhaut der Thr\u00e4nenwege und die Conjunctiva, lrn Stadium irritationis des Schnupfens ist das Auge wie die Nasenschleimhaut r\u00f6ther und trockner; im zweiten Stadium werden beiderlei Theile feucht. Auch die Schleimhaut der eustachischen Trompete und Trommelh\u00f6hle kann im Catarrh afficirt seyn, was sich durch das nicht selten begleitende Symptom catarrhali-scher Affectionen, Schwerh\u00f6rigkeit und Ohrenbrausen, \u00e4ussert. lin Catarrh der NasenscbleimHaut ist auch die Schleimhaut der Stirnh\u00f6hlen, wahrscheinlich auch der anderen Nebenh\u00f6hlen der Nase afficirt; man empfindet einen dumpfen Druck in der Gegend der Stirn. In einem gleichen engen Zusammenh\u00e4nge stehen die verschiedenen Theile des Schleimhautsystems des Tractus intestinalis. Der Zustand des Magens wirkt auf den des ganzen Darmkanals, und ver\u00e4ndert seine Secretionen. Die Schleimhaut des Mundes wird der Ausdruck des Zustandes der Schleimhaut des Magens und Darmkanals. Aus einer trocknen Zunge schlies-sen wir mit Recht auf einen \u00e4hnlichen Zustand in der Schleimhaut der Speiser\u00f6hre und des Magens, aus der Rothe derselben, aus dem Beleg auf gleiche Zust\u00e4nde innerhalb des Magens und Darmkanals. So stehen wieder die Schleimh\u00e4ute der Genitalien und Harnwerkzeuge im sympathischen Zusammenh\u00e4nge. Die h\u00e4ufige Irritation der Geschlechtstheile bewirkt leicht einen chronisch-inflammatorischen Zustand der Harnblase, der Nieren und Phthisis vesicalis, Phthisis renalis, so wie sich zur Phthisis laryn-gea und trachealis sp\u00e4ter Phthisis pulmonalis gesellt. Aber nicht bloss die anatomisch zusammenh\u00e4ngenden Schleimh\u00e4ute, sondern\nV","page":762},{"file":"p0763.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympa! hieen. S. verschiedener T hei le eines Gewebes, 763\nselbst die ganz getrennten haben eine \u00e4hnliche, obgleich geringere Tendenz zur Mittheilung ihrer Zust\u00e4nde. Man kann dess-haib eine vermehrte Absonderung in einer Schleimhaut nicht durch eine vermehrte Absonderung in einer andern, oder durch Antagonismus heilen. Man kann eine Blennorhoe der Genitalien nicht durch k\u00fcnstliche Diarrhoe heilen. Zuweilen sehen wir die Schleimhaut der Athemorgane im Consensus mit derjenigen des Magens; es ist bekannt, dass manche Zust\u00e4nde des Magens eine Heizung auch in den Athemwerkzeuaen unterhalten, Tussis ga-strica. Am Ende der Phthisis pulmonalis entsteht auch ein inflammatorischer Zustand in der Muscosa des Darmkanals, wie die Darmgeschw\u00fcre der Phthisiker zeigen. Endlich zeigen uns die colliquativen Blennorhoen der Schleimh\u00e4ute ein Beispiel eines gleichen Zustandes im ganzen Sehleimhautsystem, der von einem einzelnen Tlieile desselben ausgehen kann ; wie z. B. sowohl in den Lungen als irn Darmkanal, oder in den Genitalien die erste Ursache einer allm\u00e4hligeu Ver\u00e4nderung aller Schleimh\u00e4ute liegen kann.\nd.\tSer\u00f6se H\u00e4ute.\nBei einer prim\u00e4ren Affection einer ser\u00f6sen Haut werden in der Folge oft alle anderen ser\u00f6sen H\u00e4ute in dieselbe Affection gezogen. Zum Hydrops ascites gesellt sich in der Folge Hvdro-thorax; doch geh\u00f6ren nicht alle F\u00e4lle von Wassersucht in verschiedenen Theilen hieher. Die Wassersucht entsteht oft durch eine Einmischung des Blutes gleichzeitig in mehreren Theilen, oder auch, wenn die Circulation in einem wichtigen Organe unterbrochen ist. in diesen F\u00e4llen geht also die Sympathie nicht so sehr von den ser\u00f6sen H\u00e4uten selbst aus, als von der Verbreitung der Ursache.\nEine reine Sympathie der ser\u00f6sen H\u00e4ute ist aber, wenn in Folge einer prim\u00e4ren Entz\u00fcndung einer ser\u00f6sen Haut auch die anderen ser\u00f6sen H\u00e4ute sich entz\u00fcnden. So folgt zuweilen der Entz\u00fcndung des Bauchfelles Entz\u00fcndung der Pleura, Entz\u00fcndung der Arachnoidea, und diese letzte in dem wichtigsten Organe ist vielleicht die Ursache des Todes.\ne.\tFibr\u00f6ses System.\nDie fibr\u00f6sen H\u00e4ute stehen unter einander in einer solchen engen Verbindung, dass eine \u00f6rtliche Verletzung derselben sehr h\u00e4ufig bedeutende ausgebreitete Zuf\u00e4lle nach sich zieht.\nZu den fibr\u00f6sen H\u00e4uten geh\u00f6ren die Beinhaut, die Dura mater, die Sclerotica, Albuginea des Hodens, \u00e4ussere Haut der Milz, die Sehnen, B\u00e4nder und sehnigen Muskelscheiden. Eine \u00f6rtliche rheumatische Affection setzt sich leicht \u00fcber alle fibr\u00f6se Verbiudungen-fort, wechselt ihren Ort, indem sie aber immer gern die nat\u00fcrlichen Verbindungen der fibr\u00f6sen H\u00e4ute verfolgt. Die Verletzung der B\u00e4nder, Aponeurosen, des fibr\u00f6sen B\u00e4ndergewe-hes an Fuss und Hand ist oft mit ausgebreiteten Zuf\u00e4llen verbunden; die Entz\u00fcndung, die Anschwellung, die Schmerzen setzen s ich n\u00e4mlich von der urspr\u00fcnglichen Stelle der Reizung zuweilen \u00fcber die Muskelscheiden, ]a \u00fcber die Beinhaut der Knochen fort. Die gichtische Entz\u00fcndung des Auges, welche, wie die Gicht \u00fcber-","page":763},{"file":"p0764.txt","language":"de","ocr_de":"764 III. Buch. Ncruenphysik. lll.Abschn. Mechanik d. JVeroenprinnps.\nhaupt, das fibrose Gewebe liebt, so in dem Auge ihren Sitz in der Sclerotica bat, ist mit ihrem Schmerz nicht auf das Auge fixirt, sie zeichnet sich vor allen anderen Augenentz\u00fcndungen dadurch aus, dass die ganze Seite des Gesichtes, im Verfolg der Beinhaut, die Scheide des Schlat'enmuskels, die Galea aponeurotica von den lebhaftesten Schmerzen ergriffen sind.\nDie innere und \u00e4ussere fibr\u00f6se Haut des Cranium, n\u00e4mlich die Dura mater des Gehirn^, die Beinhaut des Sch\u00e4dels und die Galea aponeurotica stehen im Consensus unter sich und mit der Sclerotica. Aflfectionen der Dura mater erregen Affectionen der Sclerotica; Affectionen der Gaiea aponeurotica und Beinhaut k\u00f6nnen sich auf die Dura mater versetzen. Umgekehrt, ist die Dura mater \u00f6rtlich entz\u00fcndet, so ist es auch zuweilen die Beinhaut \u00e4usserlich.\nDa ss bei den Sympathien des fibr\u00f6sen Syst\u00e8mes auch die Verven im Spiele sind, l\u00e4sst sich theils aus dem Vorbandenseyn organischer, die Gef\u00e4sse begleitender Verven in allen gef\u00e4sshal-tigen Theilen theils aus der wirklichen Existenz von Verven in der Dura mater schliessen. Sie sind von Cohpabetti, Arnold, Schlemm, Bidder und von mir selbst beobachtet und geh\u00f6ren zum Theil dem organischen Vervensysteme an.\nf. Kuochengcwebe und Knorpelgewebe\u00bb\nSympathien des Knochengewebes unter sich sind selten. Wohl ist in manchen Krankheiten, wie in der Rhachitis und im zweiten Stadium der Vcnerie, das ganze Knochengewebe \u00fcberall afficirt, aber diese Bildungskrankheiten kann man weniger unter die Sympathien rechnen ; die Reizung ist hier allgemein mit fehlerhafter Bildung der Knochenmaterie. Indessen giebt es doch auch deutliche Beispiele von reiner Sympathie des Knochengewebes. Wenn n\u00e4mlich eine Krankheitsursache auf die Oberfl\u00e4che eines R\u00f6hrenknochens wirkt, so wird in der darauf folgenden Entz\u00fcndung nicht leicht die blosse Oberfl\u00e4che, sondern die ganze Dicke des Knochens bis zur Markh\u00f6hle afficirt; in der ganzen Dicke ver\u00e4ndert sich cl as Knochengewebe; und efienso folgt nach Zerst\u00f6rung des Markes eines R\u00f6hrenknochens auch wieder Entz\u00fcndung und Aufschwellung, sowohl innen als aussen bis zur nussern Oberfl\u00e4che. Ueberhaupt ist das, was mau. Exostosen nennt, in der gr\u00f6ssten Mehrzahl der F\u00e4lle keine Krankheit der Oberfl\u00e4che des Knochens, sondern der ganzen Dicke des Knochens, wie ich mich durch Durchschneidung vieler Exostosen \u00fcberzeugt habe. Daher entspricht einer \u00e4ussern Exostose an einem R\u00f6hrenknochen in der Regel eine innere Exostose gegen die Markh\u00f6hle. (Man sieht, gelegentlich gesagt, hieraus allein schon deutlich, wie wenig richtig es ist, wenn man der Bein-liaut einen wesentlichen Antheil an der Bildung der Exostosen zuschreibt.)\nVon den Knochen kennen wir bis jetzt keine Verven, d\u00fcrfen jedoch die Existenz von Gcf\u00e4ssncrven in ihnen so gut, wie in allen gef\u00e4sshaltigcn Theilen voraussetzen.\n\u00bb. Muskelgewebe.\nMan hat dem Muskelgewebe die F\u00e4higkeit, sympathisch er-","page":764},{"file":"p0765.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympathie en. S. verschiedener Theile eines Gewebes. 765\nregt zu werden, in hohem Grade zugesprochen. Man hat angef\u00fchrt, dass die Reizung, welche die Contraction eines Muskels zur Folge habe, h\u00e4ufig von einer Menge sympathischer Convulsioneu anderer Muskeln begleitet sey. Allein diese Sympathien beruhen nicht in dem Gewebe selbst, sondern in der Sympathie der Bewegungsnerven; der Muskel, dessen Bewegungsnerve von dem \u00fcbrigen Nervensystem getrennt ist, ist zwar seihst noch erregbar auf einen \u00e4usseren Reiz, er pflanzt diesen aber nie fort auf andere Theile desselben Gewebes, es entstehen keine sympathische Convulsionen.\nDie sympathischen Kr\u00e4mpfe des Muskelsystems sind daher nicht eigentlich Sympathien des Gewebes unter sich, sondern Sympathien der Nerven. Die \u00fcbrigen wenigen Krankheiten, welche noch in den Muskeln Vorkommen, wie die Entz\u00fcndung und Eiterung sind auch immer beschr\u00e4nkt, sie verbreiten sich nicht wie in den anderen Geweben, sie sind auf die \u00f6rtlichen Stellen der Reizung beschr\u00e4nkt. Ausser den sehr seltenen Muskelentz\u00fcndungen, den Degenerationen und dem Krampfe kennt man ab\u00e9r fast gar keine Krankheit der Muskeln weiter. Alles diess \u00fcberzeugt uns, dass das Muskelgewebe keiner lebhaften Sympathie in sich und mit anderen Theilen unterworfen sey.\nh. lymphatisches System.\nZu dem lymphatischen System geh\u00f6ren die Lymphgef\u00e4sse und die Lymphdr\u00fcsen.\nKrankheiten des lymphatischen Systems sind sehr selten \u00f6rtlich; wenn sie urspr\u00fcnglich entstehen und nicht sympathische Krankheiten anderer Organe sind, befallen sie in der Regel das ganze System unter der Form einer Dyskrasie, ja gewisse Krankheiten sind auf das Gewebe des lymphatischen Systems fast beschr\u00e4nkt, wie z. B. die Scrofeln. Geht aber die Reizung von einer \u00f6rtlichen Stelle des Lymphsystems aus, so verbreitet sie sieh schnell sympathisch \u00fcber grosse Strecken. Ist eine Lymphdr\u00fcse prim\u00e4r durch \u00e4ussere Reizung in Entz\u00fcndung gesetzt, so werden bald die umliegenden Dr\u00fcsen ergriffen, sie schwellen an, wenn sie auch seihst nicht in Entz\u00fcndung gerathen. Manche prim\u00e4re Reizungen des Lymphsystems gehen von Giften aus, die von den Lymphgef\u00e4ssen aufgenommen worden. Wird an einer Stelle Quecksilber eingerieben, so entsteht oft eine ausgebreitete Reizung des lymphatischen Systems, und die Lymphdr\u00fcsen der verschiedenen Stellen des K\u00f6rpers k\u00f6nnen gleichzeitig in Affection gezogen werden. Die Entz\u00fcndung der Lymphgef\u00e4sse, die von einer \u00f6rtlich giftigen Einwirkung ausgeht, verbreitet sich schnell \u00fcber alle Verzweigungen in einem Gliede, und in einem solchen Falle ist die Haut \u00fcberall nach dem Verlaufe der Lymphgef\u00e4sse. von rothen Streifen durchzogen.\nEben so h\u00e4ufig sind die Sympathien der Lymphgef\u00e4sse mit den Lymphdr\u00fcsen. Eines der gew\u00f6hnlichsten Ph\u00e4nomene in den Bildungskrankheiten der grossen Eingeweide ist die Anschwellung der Lymphdr\u00fcsen in der Umgegend.\nSo schwellen die Lymphdr\u00fcsen des Halses an bei organischen Krankheiten der Organe des Halses, der Glandula thyreoidea;","page":765},{"file":"p0766.txt","language":"de","ocr_de":"766 III. Buch. Nervenphysik. III. Abschn. Mechanikd. Ncrvenprincips.\nhei den Bildungskrankheiten der Br\u00fcste, namentlich heim Krebs der Weiberbrast, die Axillardr\u00fcsen; die Lymphdr\u00fcsen des Unterleibes bei den organischen Krankheiten des Magens, des Darmkanals \u00fcberhaupt, die Lymphdr\u00fcsen, welche die Gallengange begleiten, bei den organischen Krankheiten der Leber, die \u2018lngui-naldr\u00fcsen in den organischen Krankheiten der Hoden, der Urethra, der Prostata.\nEhen st>. h\u00e4ufig sind die sympathischen Anschwellungen der Lymphdr\u00fcsen hei entz\u00fcndlichen Allectionen, wie nach Stichwunden, Zerreissungen, Zerquetschungen. JXach der Anwendung eines Blasenpflasters, welches Entz\u00fcndung der Haut setzt, schwellen oft die Lymphdr\u00fcsen an, eben so heim Blutschw\u00e4ren, heim Wurm am tinger. ln dein letzten Falle sind sogar oft die Lymphgef\u00e4sse des ganzen Armes bis zu den Achseldr\u00fcsen im Zustande der Beizung. Bei der Entz\u00fcndung der Harnr\u00f6hre im Tripper, in den entz\u00fcndlichen Krankheiten \u2018der Hoden schwellen oft die inguinaldriisen als Sogenannte Bubonen, hei entz\u00fcndlicher Affection der Mamma die Axillardr\u00fcsen, bei entz\u00fcndlicher Affection der Parotis die Halsdr\u00fcsen an.\nDiese sympathischen Anschwellungen unterscheiden sich von dei urspr\u00fcnglichen Aflection meist dadurch, dass sie verschwinden, sobald die Krankheit des prim\u00e4r afficirten Organs aufh\u00f6rt, dass sie chronisch sind hei einer chronischen Krankheit, acut hei einer acuten, und endlich, dass in der sympathischen Affection sich das Gewebe ausser der Anschwellung von dem nat\u00fcrlichen Zustande in der Kegel nicht entfernt.\nIm Allgemeinen kann man sagen, dass man von jeder Stelle der K\u00f6rperfl\u00e4che,die mit Lymphgef\u00e4ssen durchzogen ist, eine weit, verbreitete lymphatische Irritation erregen kann. Diese Irritation kann sowohl durch eine materielle Einimpfung eines Krank-heitsstolfes, als nach einer Verletzung erfolgen, wobei keine Materie aulgenommen und verbreitet wird, wie nach mechanischer Verletzung oder nach Verbrennung. Alan sieht also daraus, dass zu dieser Sympathie die materielle Verbreitung eines Krankheitsstoffes in den Lymphgef\u00e4ssen wenigstens nicht noting ist. Die lymphatische Irritation kann, wie von Verletzung der \u00e4ussern K\u00f6rperoberfl\u00e4che, eben so leicht von urspr\u00fcnglicher Reizung der innern K\u00f6rperoberfl\u00e4che eriolgen. Und wir haben hier eine ganz parallele Leihe von Erscheinungen. So wie nach Entz\u00fcndung der Haut durch Verbrennung eine lymphatische Irritation der Umgegend bis zu den n\u00e4chsten Lymphdr\u00fcsen entsteht, eben so erfolgt auf Entz\u00fcndung der Muscosa des Darmkanals, wenn sie einigermaassen \u2022 andauert, eine Irritation der Lymphgef\u00e4sse und Lymphdr\u00fcsen des Mesenteriums, und gerade diejenigen Lymphdr\u00fcsen und Lymphgef\u00e4sse entz\u00fcnden sich und schvvell\u00e9ri an, welche den entz\u00fcndeten Stellen des Darmkanals entsprechen, wie wir ein so deutliches Beispiel bei den Darmgeschw\u00fcren im Typhus abdominalis sehen.\nZuweilen enthalten die von einem eiternden Theile kommenden Lymphgef\u00e4sse, gleichwie die Venen, Eiter. Siehe Cruvellier Anal. path, ucr. II. Audi die entsprechenden Lymphdr\u00fcsen k\u00f6n-","page":766},{"file":"p0767.txt","language":"de","ocr_de":"G. Syrhpathieen. S. verschiedener Theile eines Gewebes. 7G7\nnen vereitern. Man w\u00fcrde unrichtig schliessen, dass dieser Eiter durch die Lymphgef\u00e4sse aufgesogen worden. So wie er in den Venen des Amputationsstumpfes von Venenentz\u00fcndung entsteht, eben so entsteht er in den Lymphgef\u00e4ssen, die von einem entz\u00fcndeten Theile kommen, von Fortpflanzung der Entz\u00fcndung. Die Entz\u00fcndung und Vereiterung der Lymphdr\u00fcsen des Mesen* teriums bei Darmgeschw\u00fcren im Typhus abdominalis liefert deutlich den Beweis, dass wenigstens in diesem Falle der Eiter in den Lymphgef\u00e4ssen und Lymphdr\u00fcsen seihst entstanden ist.\ni. Blutgej\u00fcsse.\nWenn man bedenkt, dass die Sympathien des Pulses mit den Krankheiten der Organe nicht so sehr Sympathie der Arterien selbst als des Herzens sind, und wenn man ferner in Erw\u00e4gung zieht, dass die \u00f6rtlichen Krankheiten der Arterien ziemlich beschr\u00e4nkt sind auf die Stelle der Reizung, und nicht die Tendenz haben, sich in der Breite a\u00fcszudehnen, wie die Entz\u00fcndung und Erweiterung der Arterien, so sind wir zu dem Schl\u00fcsse berechtigt, dass die Sympathien der Arterien im Allgemeinen geringe sind, wenigstens d\u00fcrfen wir diess von den H\u00e4uten der gr\u00f6sseren Arterien und Zweige annehm\u00e9n.\nAber dem Nervensystem werden wir einen Einfluss auf den Zustand der Arterien zuschreiben m\u00fcssen, welcher unabh\u00e4ngig von dem Herzen ist, diess beweisen die Ver\u00e4nderlichkeit des Hautturgors in den Leidenschaften, die \u00f6rtlichen Congestionen und wieder der Collapsus, die in Folge einer bloss leidenschaftlichen Aufregung in den \u00e4usseren Theilen entstehen.\nEs ist schwierig zu unterscheiden, ob hei einer allgemeinen Affection der Venen diese urspr\u00fcnglich von einem Theile des Venensystems ausgegangen und sich allm\u00e4lilig sympathisch verbreitet, oder oh die n\u00e4chste Ursache der Krankheit auf einen grossen Theil des Venensystems zugleich gewirkt hat. Indessen zeichnet es das Venensystem aus, dass seine Krankheiten in der Regel keine ganz \u00f6rtlichen sind, wie die Atonie und Varicosit\u00e4t der Venen zeigen.\nEinen directen Beweis von der ausgebreiteten Sympathie der Venen giebt die Venenentz\u00fcndung, sie entsteht \u00f6rtlich im Verlaufe einer Vene durch Ursachen, welche \u00fcberhaupt Venenentz\u00fcndung setzen, z. B. durch einen schlechten Aderlass, durch die Verletzung eines Varix, ferner in Amputationswunden, am Uterus der W\u00f6chnerinnen, verbreitet sich aber von der \u00f6rtlich entz\u00fcndeten Stelle so schnell, dass sie in kurzer Zeit alle Venen-st\u00e4mrue des Gliedes erreicht. Die Venenentz\u00fcndung ist daher, wenn sie nicht auf der Stelle richtig erkannt und behandelt wird, gew\u00f6hnlich t\u00f6dtlich; sie geht in Eiterung der Venen \u00fcber. Eine merkw\u00fcrdige Sympathie der Venen unter sich ist die Erschlaffung und Erweiterung der Venen in der Umgegend einer Geschwulst mit entartetem Gef\u00e4sssystem. Diese Disposition zur Erweiterung und Erschlaffung der kleinen Venen zeigt sich zuweilen \u00fcber den ganzen K\u00f6rper verbreitet, bei Cachexien und Dyskrasien, und erzeugt eigenth\u00fcmliche Farbenver\u00e4nderung, wie z. B. die blauen Ringe um die Augen u. a.","page":767},{"file":"p0768.txt","language":"de","ocr_de":"768 IIJ. Buch. Nervenphysik. III.Ahsckn. Mechanik J. Nerccnprindps.\nk. Dr\u00fcsengewebe.\nWenn auch gewisse Krankheiten, wie die Serofelsucht und der Krebs, die Tuberkeln, als Bildungskrankheiten vorz\u00fcglich das dr\u00fcsige Gewebe ergreifen, so ist doch ein allgemeines Leiden des Dr\u00fcsengewebes in diesen Krankheiten nicht aus Sympathie zu erkl\u00e4ren, sondern es liegt in der Natur dieser Krankheiten, dass sie diess Gewebe besonders ergreifen, und die Verbreitung geht nicht so sehr von einer \u00f6rtlichen Reizung, sondern von einer allgemeinen Anlage des Dr\u00fcsengewebes aus, die sich dann zu einer vollkommenen Krankheit ausbildet, wenn das Dr\u00fcsengewebe \u00f6rtlich gereizt wird. Gleichwohl ist es nicht zu bezweifeln, dass, wenn eine Krankheit in einer einzelnen Dr\u00fcse beginnt, sie durch die Sympathie der verschiedenen Theile der Dr\u00fcse leichter die ganze Dr\u00fcse, als die fremdartige Umgebung erreichen wird. Unter die sympathische Reizung des Dr\u00fcsengewebes geh\u00f6rt aber folgende Thatsache:\nDass alle Absonderungsorgane, wie sie ihre Reizung auf die Ausl\u00fchrungsg\u00e4nge reflectiren, so auch in einen Zustand sympathischer Reizung gerathen, wenn ihre Ausf\u00fchrungsg\u00e4nge urspr\u00fcnglich gereizt werden; so bedingt die Gegenwart der Speisen im Mund.e einen grossem Zufluss des Speichels aus den Speicheldr\u00fcsen, die Gegenwart einer Sonde in der Blase die vermehrte Absonderung des Urins aus den Nieren (?), die Reizung der Glans penis eine vermehrte Absonderung des Samens, die Reizung der Schleimhaut des Auges eine vermehrte Absonderung der Thronen. So ist es ebenfalls Thatsache, dass, w\u00e4hrend die Speisen noch im Magen enthalten sind, der Ausfluss der Galle in den D\u00fcnndarm nur gering, dass sich dieser aber im zweiten Stadium der Verdauung, wenn der Chymus mit der innern Haut des D\u00fcnndarms in Ber\u00fchrung kommt, sehr vermehrt, und dass umgekehrt im Hunger die Ausscheidung der Galle sehr vermindert ist.\nDie Materialien, welche wir in diesem Abschnitte mitgetbeilt haben, hat vorz\u00fcglich Bichat, in seiner allgemeinen Anatomie, dem Lichte der physiologischen Anatomie zug\u00e4nglich gemacht, ein Werk, welches mehr wahren Inhalt der allgemeinen Pathologie, als unsere mehrsten Lehrb\u00fccher der allgemeinen Pathologie enth\u00e4lt. Auf welche Art die Sympathien der verschiedenen Theile eines Gewebes erfolgen, ist schwer zu entscheiden. Einige leiten dieselben unabh\u00e4ngig von den Nerven, von der Gleichheit und dem continuirliehen Verlaufe eines Gewebes ab. 1st die Verbreitung der Entz\u00fcndung z. B. durch diese Art von Anstek-kung m\u00f6glich? Ist die Materie eines Gewebes unabh\u00e4ngig von dem Einfluss der Nerven f\u00e4hig, durch eine Art von Affinit\u00e4t der Gewebetheile gegen einander eine Reizung weiter zu leiten ? Wir sind nicht im Stunde, diese Frage zu l\u00f6sen. Andere leiten die Sympathien im Verlaufe des Gewebes von den Nerven ab. Dass viele der liieher geh\u00f6rigen Erscheinungen auf diese Art erkl\u00e4rt werden m\u00fcssen, scheint daraus hervorzugehen, dass auch Schleimh\u00e4ute, welche anatomisch nicht Zusammenh\u00e4ngen, ser\u00f6se H\u00e4ute, welche untereinander keine Communication haben, doch Erscheinungen von Sympathie darbieten. Siehe oben p. 763. Gleichwon","page":768},{"file":"p0769.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympaihieen. S. verschiedener Gewebe unter sich. 769\nlassen sich diese Erscheinungen auch so erkl\u00e4ren, dass eine in das Blut aufgenommene oder dort ausgebildete krankhafte Materie eine Affinit\u00e4t gegen das ganze Sehleinihautsystem u. s. w. hat. Bei der Ausbreitung der Empfindungen in den verschiedenen Theilen eines Gewebes sind aber offenbar die Nerven mit th\u00e4tig ; und hier tragt es sich nun, ob die Irradiation z. B. in den Schleimh\u00e4uten durch einen vorauszusetzenden Zusammenhang der peripherischen Nervenzweige, oder durch Mitwirkung der Cen-traltheile erfolgt.\nII. S y m p a t li i e n verschiedener Gewebe unter sic h.\nDiese zweite Form von Sympathie ist viel seltener als die erste. In der Regel geht eine krankhafte Affection innerhalb eines und desselben Gewebes viel leichter von einem auf ein anderes Organ \u00fcber, als dass in einem und demselben Organe ein Gewebe seinen Zustand einem andern Gewebe \u00fcbertr\u00e4gt. Die Tunica mucosa des ganzen Darmkanals kann krankhaft absondern, ohne dass die Tunica muscularis mit aflicirt ist; unter einem krankhaften ser\u00f6sen Ueberzuge des Herzens kann gesunde Muskelsubstanz liegen; die tunica musculosa des Darmkanals kann ohne Ver\u00e4nderung der Tunica mucosa und serosa desselben krampfhaft afficirt seyn. Die Tunica serosa kann Wasser absondern, ohne Mitleiden der andern H\u00e4ute eines Organes. Indessen giebt es doch Sympathien dieser Art. Es ist hier zu bemerken, dass, wenn die Sympathien verschiedener Theile desselben Gewebes in der Regel gleiche Zust\u00e4nde bedingen, in den Sympathien verschiedener Gewebe die Affectionen der in Wechselwirkung tretenden Gewebe nach ihren Lebenseigenschaften auch verschieden sind; nur die Entz\u00fcndung ist auch hier eine in gleicher Art sich mittheilende Ver\u00e4nderung. Die hieher geh\u00f6renden consensuellen Erscheinungen sind vorz\u00fcglich folgende:\n1) Zwischen der iiussern Haut und den Schleimh\u00e4uten. Diese sind sehr h\u00e4ufig. Viele Krankheiten der Schleimh\u00e4ute, namentlich die Entz\u00fcndungen und Blennorrhoen, entstehen oft durch Wirkung einer Krankheitsursache auf die \u00e4ussere Haut, und umgekehrt. Auf Erk\u00e4ltung der \u00e4ussern Haut erfolgt Lungenentz\u00fcndung, Halsentz\u00fcndung, Darmentz\u00fcndung etc., oder catarrhalische Affectionen \u2022 dieser H\u00e4ute, und zwar jedesmal in der Schleimhaut desjenigen Organes, welches nach individuellen Eigenth\u00fcmlich-keiten mehr als die \u00e4ussere Haut in der Disposition zu Krankheiten ist. Nach ausgedehnten Verbrennungen der \u00e4ussern Haut entsteht zuweilen Entz\u00fcndung der Lungenschleimhaut, Magenschleimhaut. I.n den exanthematischen Affectionen der \u00e4ussern Haut leiden zuw\u2019eilen die Schleimh\u00e4ute mit. Andrerseits ver\u00e4ndert eine Krankheit der Schleimh\u00e4ute, z. B. ein gastrischer Zustand, die Absonderung, den Turgor, die Farbe der \u00e4ussern Haut. Auch wirkt man durch die \u00e4ussere Haut consensuell auf die Schleimh\u00e4ute, wie bei Anwendung der K\u00e4lte auf die \u00e4ussere Haut bei Blutungen aus Schleimh\u00e4uten.","page":769},{"file":"p0770.txt","language":"de","ocr_de":"770 III. Buch. Aereenphysik. III. Abschn. Mechanik tl. Aercenprincips.\n2)\tZwischen der Sussent Haut und den ser\u00f6sen Iliiut\u00e9'n. Die Wasserergiessungen der ser\u00f6sen H\u00e4ute vermindern regelm\u00e4ssig die Absonderung der \u00e4ussern Haut, und durch Unterdr\u00fcckung der Hautabsonderung entstehen hinwieder zuweilen Wasserergiessungen in den ser\u00f6sen H\u00e4uten, sowohl bei vorher gesundem Zustande der Haut, als bei St\u00f6rungen der Hautexantheme. Endlich verursachen Krankheitseinfl\u00fcsse, welche auf die \u00e4ussere Haut wirken, nicht selten Entz\u00fcndungen der ser\u00f6sen H\u00e4ute.\n3)\tZwischen dem Dr\u00fcsengewebe und den Schleimh\u00e4uten. Ich habe schon oben erw\u00e4hnt, dass eine Dr\u00fcse, die in eine Schleimhaut ausf\u00fchrt, in lebhafter sympathischer Verbindung mit dieser Schleimhaut steht, wie denn das Dr\u00fcsengewebe nicht allein als eine Verl\u00e4ngerung des Ausf\u00fchrungsganges, und dieser als Fortsetzung der Schleimhaut betrachtet werden kann, sondern auch die dem Darmkanal adnexen Dr\u00fcsen aus dem Darmkanal selbst anfangs hervorkeimen. Siehe oben p. 392. Wir d\u00fcrfen uns daher nicht wundern, wenn die Reizung der Mundschleimhaut die Absonderung des Speichels vermehrt, die Reizung der Conjunctiva einen Thr\u00e4nenfluss, die Indigestion eine Salivation bewirkt.\n4)\tZwischen den Schleimh\u00e4uten und den ser\u00f6sen H\u00e4uten zeigt sich seltener eine solche Wechselwirkung.\n5)\tZwischen den fibr\u00f6sen H\u00e4uten, der Markhaut der Knochen und dem Knorpel- und Knochengewebe findet hingegen eine sehr innige Beziehung statt. Der Zustand der Beinhaut wirkt auf den des Knochens und umgekehrt. Nach Entz\u00fcndung der Beinhaut folgt h\u00e4ufig Aufschwellung des darunter liegenden Knochens, und bei Knochenauftreibungen wird auch die Beinhaut verdickt. Nach Entz\u00fcndung der Markhaut der Knochen entsteht auch Aufschwellung der ganzen Dicke des Knochens. Nach Zerst\u00f6rung der Beinhaut erfolgt die \u00e4ussere, nach Zerst\u00f6rung der Markhaut die innere Nekrose der R\u00f6hrenknochen. Siehe oben p. 419. Diese Wechselwirkung gr\u00fcndet sich vorz\u00fcglich auf den Umstand, dass sowohl von der Beinhaut als von der Markhaut aus, unz\u00e4hlige feine Gef\u00e4sse von aussen nach innen in das Innere des Knochens eindringen.\nEin aufmerksamer Arzt wird diese Beispiele von Sympathien zwischen verschiedenen Geweben leicht vermehren k\u00f6nnen. Die Erkl\u00e4rung dieser Sympathien kann nicht in allen F\u00e4llen dieselbe seyn. Absondernde H\u00e4ute stehen an und f\u00fcr sich, abgesehen von den Nerven, durch die Wirkung des Zustandes der Absonderungen auf die S\u00e4ftemasse in einem antagonistischen Verh\u00e4ltnisse. Siehe oben p. 470. Andere Erscheinungen, bei welchen weniger allein die Absonderung als der gesammte Lebenszustand der H\u00e4ute ver\u00e4ndert wird, wie bei der lebhaften Wechselwirkung der Haut und der Schleimh\u00e4ute, geh\u00f6ren mehr zu den Ph\u00e4nO-. menen der durch Mitwirkung der Nerven zu erkl\u00e4renden Reflexion. Siehe oben p. 759. In Hinsicht der W echselwirkung der Dr\u00fcsen mit den Schleimh\u00e4uten ist es ungewiss, ob die Sympathie durch Reflexion oder durch Wechselwirkung der Nerven selbst unter Mitwirkung des N. sympathieus erfolgt. Die Wechselwirkung der \u00e4ussern und Innern Beinhaut der Knochen mit den Knochen","page":770},{"file":"p0771.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympalhicm. S. der Gewebe mit den Organen.\n771\nist endlich durch ihre GefassVerbindungen und die Wechselwirkung ihres Gelassgewebes zu erkl\u00e4ren.\n111. Sympathien der einzelnen Gewebe mit ganzen Organen.\nDie Krankheit eines ganzen Organes, an welcher ein weiter verbreitetes Gewebe Antheil hat, theilt sich den Fortsetzungen dieses Gewebes \u00fcber das urspr\u00fcnglich afficirte Organ hinaus mit, und umgekehrt kann der Zustand eines Gewebes auf den eines zusammengesetzten Organs wirken.\nAls Beispiele dieser Art von Sympathie kann man vorz\u00fcglich das Verh\u00e4ltniss der Eingeweide zu der aussern Haut, zu den Schleimh\u00e4uten, ser\u00f6sen H\u00e4uten anf\u00fchren.\nDurch die \u00e4ussere Haut kann eine Krankheitsursache zu jedem zur Krankheit disponirten Organe Eingang finden, und anderseits k\u00f6nnen Reizungen und Ableitungen, auf der aussern Haut angebracht, wieder auf die Krankheitszust\u00e4nde jedes besondern nabegelegenen Organes wirken. Auch werden Blutungen innerer Theile durch Wirkung der K\u00e4lte auf die Haut gestillt. Endlich kann sich eine exanthematische Krankheit der Haut auf alle inneren Theile versetzen.\nDie ser\u00f6sen H\u00e4ute participiren immer an den Zust\u00e4nden der Organe, welchen sie einen Ueberzug geben. Bei den organischen Bildungskrankheiten der Eingeweide leiden die ser\u00f6sen H\u00e4ute nicht allein, wo sie das Eingeweide \u00fcberziehen, sondern in ihrer ganzen Ausbreitung mit. So entsteht in Folge einer organischen Krankheit der Lungen Brustwassersucht, des Herzens Herzbeutel Wassersucht, der Leber Bauchwassersucht, der Geb\u00e4rmutter und der Eierst\u00f6cke Bauchwassersucht, hei organischen Krankheiten des Hodens Hydrocele. Dabei gilt das Er-fahrungsgesetz, dass gew\u00f6hnlich die dem kranken Organe zun\u00e4chst gelegenen ser\u00f6sen H\u00e4ute sympathisch afficirt werden. Ferner sind in den Krankheiten der Eingeweide, an welchen Schleimh\u00e4ute participiren, die Schleimh\u00e4ute in gr\u00f6sserer Ausdehnung immer afficirt. Bei den organischen Krankheiten der Geb\u00e4rmutter entsteht weisser Fluss. Bei den Krankheiten der Lungen sind die Schleimh\u00e4ute der Bronchien afficirt. Bei den Bildungskrankheiten des Magens, des Darmkanals entsteht oft eine anhaltende Verstopfung aus Mangel an Absonderung in der Schleimhaut des Tractus intestinalis.\nBei dem entz\u00fcndlichen Zustande einer Schleimhaut ist das ganze System ergriffen, die nahegelegenen Muskeln sind entweder in ihren Bewegungen gehemmt, wie die Schlundmuskeln in der Entz\u00fcndung des Schlundes, oder sie sind krampfhaft afficirt, wie das Zwerchfell, die Intercostalmuskeln im Reizhusten, welcher von der Schleimhaut der Lungen ausgeht. Mechanische Reizung der Schleimhaut bringt dieselbe Wirkung bervor. Man kennt die Kr\u00e4mpfe, welche von mechanischer Irritation der Stimmritze entstehen, das W\u00fcrgen nach der Reizung der Schleimhaut des Schlundes; die Reizung der Schleimhaut der Blase, der Ureteren durch Steine, durch Entz\u00fcndung bewirkt Krampf des","page":771},{"file":"p0772.txt","language":"de","ocr_de":"772 HT. Buch. Neroenphysik. III.Absrhn. Mechanik<1. Nerecnprinrips.\nSpliincter ani, des Sphincter vesicae urinariae, Anziehung des Hodens durch den Musculus premaster. Wir haben schon ohen gesellen, dass die Reizung der Schleimh\u00e4ute durchg\u00e4ngig krampfhafte Athembewegungen, wie heim Erbrechen, Niesen, Schluchzen, Husten u. s. w. erzeugen k\u00f6nne, und verweisen in Hinsicht der Erl\u00e4uterung dieser Erscheinungen auf p. 723.\nVon allen Membranen haben die fibr\u00f6sen die geringste Wechselwirkung mit anderen Organen, seihst mit den Organen, welche sie umkleiden. Diese zum Schutz und zur Befestigung bestimmten Theile sind in dieser Hinsicht fast Isolatoren. Nur die Entz\u00fcndung der fibr\u00f6sen H\u00e4ute kann wegen des Blutverkehrs und der Wechselwirkung der Get\u00e4sse heftige Symptome, auch in den von ihnen umkleideten Organe hervorbringen, gleichwie die Entz\u00fcndung der Dura mater mit heftigen Hirnsymptomen verbunden ist.\nDie Sympathien einzelner Gewebe mit ganzen Organen finden \u00fcbrigens theils in den Gesetzen der Reflexion (p. 717., 745., 754., 757.), wenn solche Theile in keiner Verbindung stehen, wie die Haut und innere Organe, theils in der Wechselwirkung der Ge-f\u00e4ssverbindungen und Gef\u00e4ssnerven verbundener Theile (wie des Uterus und der Schleimhaut der Genitalien) ihre Erkl\u00e4rung.\nIV. Sympathien ganzer Organe unter sich.\nObgleich es zu den Grundbegriffen des Organismus geh\u00f6rt, \u2022 dass ein Organ auf alle andere wirken kann : so ist doch die Leitung der Zust\u00e4nde vorz\u00fcglich zwischen den Organen gewisser Systeme oder Organgruppen erleichtert. Die hicher geh\u00f6renden Sympathien sind folgende :\n1)\tZwischen Organen, welche eine gleiche Bildung und Function haben, wie zwischen den verschiedenen Speicheldr\u00fcsen, zwischen dem Herzen und den Blutgef\u00e4ssen, zwischen Magen und Darmkanal, zwischen den Centralorganen des Nervensystems.\n2)\tZwischen Organen, welche, obgleich von verschiedener Bildung, doch zu demselben Organsystem geh\u00f6ren, wie die verschiedenen Organe des chylopoetischen Systems (Darmkanal, Dr\u00fcsen, Milz), des uropoetischen Systems, der Genitalien, der beiden letzteren unter sich, des respiratorischen Systems (Kehlkopf, Luftr\u00f6hren, Lungen).\n3)\tZwischen Organen, welche in anatomischem Zusammenh\u00e4nge durch Gef\u00e4sse und ihre Nerven stehen, wie Lungen und Herz.\n4)\tZwischen allen wichtigeren Eingeweiden und den Centralorganen des Nervensystems. Hieher geh\u00f6ren die Mit-Aflection des Gehirns bei Entz\u00fcndung der Eingeweide, der Leber, der Lungen, des Darmkanals, die Affectionen des Magens und der Leber, Polycholie, Leberentz\u00fcndung, nach Verletzungen und Reizungen des Gehirns etc.\nDie sympathischen Erscheinungen dieser Art werden theils durch die Abh\u00e4ngigkeit verschiedener Organe eines Systems,, oder anatomisch zusammenh\u00e4ngender Theile von gleichen Aus-","page":772},{"file":"p0773.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympathies. S. der Nerven.\n773\nslrahlungspunkten des Nerveneinflusses, tlieils durch den Einfluss der Centralorgane des Nervensystems auf alle Organe erkl\u00e4rt. Dass die Centralorgane hierbei wahrscheinlich einen grossem Einfluss als die Communication der sympathischen Nerven aus\u00fcben, sieht man an gewissen, durch Nervenzusammenhang oder anatomischen Zusammenhang ganz unerkl\u00e4rlichen Sympathien, wie zwischen Brust und Genitalien, zwischen Kehlkopf, Athemwerkzeu-gen, und Genitalien bei der Entwickelung der Pubert\u00e4t, bei Ausschweifenden und Castraten. Sympathien, welche bis jetzt auch keiner andern Erkl\u00e4rung als derjenigen der Reflexion f\u00e4hig, sind die der Parotis und des Hodens, deren entz\u00fcndliche Affectionen sich zuweilen von einem auf das andere Organ versetzen.\nV. Sympathien der Nerven seihst.\nObgleich die Nerven die Ursachen des gr\u00f6ssten Tlieils, wenn nicht aller consensuellen Erscheinungen sind, so trennen wir doch diejenigen Sympathien, bei welchen die Wechselwirkung bloss zwischen Nerven erfolgt, oder wo wenigstens ein Nerve es ist, welcher, dem Einfl\u00fcsse eines andern Theiles ausgesetzt, sympathische Erscheinungen zeigt. Man kann die hieher geh\u00f6rigen Facta folgendermaassen ordnen:\nI. Sympathien der Nerven mit den Centrait heilen des Nervensystems. Die Nerven erfordern zu ihrer naturgem\u00e4ssen Th\u00e4tigkeit nicht allein den best\u00e4ndigen Einfluss der Centralorgane, wie meine und Sticker\u2019s Yersucbe (p. 639.) zeigen, nach welchen ein von dem Gehirn und R\u00fcckenmark l\u00e4ngere Zeit getrennter Nerve g\u00e4nzlich seine Reizbarkeit verliert; auch die Centralorgane k\u00f6nnen durch die Nerven ver\u00e4ndert werden. Die hieher geh\u00f6rigen Ph\u00e4nomene sind zum Theil schon in dem Capitel von der Reflexion p. 717. angef\u00fchrt worden. Wir bedienen uns dieser Wechselwirkung in einer Menge von F\u00e4llen zur Heilung von Krankheiten der Centralorgane. Wir erregen das R\u00fcckenmark selbst,, indem wir die von ihm entspringenden Nerven durch B\u00fcrsten der Haut und andere Frictionen, durch Senfteige, Blasenpflaster, Moxen, Haarseile u. s. w. reizen; wir wirken auf das Gehirn und R\u00fcckenmark vermittelst der Nerven bei den kalten und warmen B\u00e4dern, bei den Sturzb\u00e4dern, beim Auftr\u00f6pfeln kalten Wassers auf Hautstellen. Bisher waren diese Thatsachen zwar bekannt, weniger aber diejenigen physiologischen Thatsachen, aus welchen man jene ableiten kann ; jetzt aber kann man sich aus den bei der Lehre von der Reflexion erl\u00e4uterten Erscheinungen einen deutlichen Begriff von dem Processe jener Wechselwirkung machen. An jedem' Theile des K\u00f6rpers, namentlich der Haut, kann man durch mechanische, galvanische, chemische Einwirkung in den von dort entspringenden Nerven eine heftige centripetale Wirkung erzeugen, welche, wenn sie \u00f6fter wiederholt wird, im Stande ist, den gesunkenen Lebensprocess in denjenigen Theilen des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, von welchen jene Nerven entspringen, anzufachen und so mittelbar auch auf andere Theile der Centralorgane zu wirken. F\u00fcr die Therapie efgiebt sich aus diesen Be-","page":773},{"file":"p0774.txt","language":"de","ocr_de":"774 111. Burh. Nervenphysik. III.Abschn. Mechanik d. A er venprincips.\ntraclitungen, class wir auf die Centralorgane auf sehr verschiedene Art einzuwirken verm\u00f6gen, n\u00e4mlich:\n1)\tDurch unmittelbare Einwirkung auf dieselben durch in den Darmkanal, oder durch die Haut eingefl\u00f6sste und ins Blut aufgenommene Materien, eine Methode, die sich in sehr vielen F\u00e4llen wegen der Unwirksamkeit solcher Mittel erfolglos zeigt.\n2)\tDurch Wirkung auf die von den Centralorganen entspringenden Nerven, wrovon die Therapie die herrlichsten Erfolge sieht.\nII.\tSympathien der Empfindungs- und Bewegungsnerven. In dem vorhergehenden Falle haben wir nur die Ver\u00e4nderung der Centralorgane selbst durch Eindr\u00fccke auf die Empfindungsnerven ins Auge gefasst; hier erw\u00e4gen wir die hierbei auch erfolgenden R\u00fcckwirkungen von den Centralorganen auf andere Empfindungsnerven oder Bewegungsnerven. Die centri-pelale Erregung der Empfindungsnerven wirkt nicht bloss auf die Centralorgane, sie wird auch von diesen refleclirt. Diese Reflexion findet auch zwischen verschiedenen Empfindungsnerven statt. Daher sind wir im Stande, die Th\u00e4tigkeit eines Empfindungsnerven, der unserer Behandlung nicht zug\u00e4nglich ist, wie des Geh\u00f6rnerven, des Gesichtsnerven, durch Reizung anderer, ihm physiologisch und in Hinsicht des Ursprunges verwandter Empfindungsnerven anzuregen. Hierauf gr\u00fcndet sich die Behandlung der Schwerh\u00f6rigkeit, der Amblyopie mit Hautreizen u. s. w. Durch die Reflexion von den Empfindungsnerven auf die Bewegungsnerven vermittelst des Gehirns und R\u00fcckenmarkes heilen wir zuweilen \u00f6rtliche L\u00e4hmungen einzelner Nerven, z. B. des N. facialis, die Ptosis palpebrarum durch Reizung der Gesichtsnerven u. s. w. Bei allen diesen seit langer Zeit erprobten Heilversuchen, die unter I. und II. erw\u00e4hnt worden, zeigt sich jetzt schon die innigste Durchdringung unserer physiologischen und praktischen Kenntnisse. Welcher Fortschritt liegt in der Erken ii tu iss, dass man und warum man durch k\u00fcnstlich erregte Empfindungen wohlth\u00e4tig auf Bewegungen wirken kann!\nIII.\tSympathien der paarigen Eierven. Dahin geh\u00f6ren vorz\u00fcglich die paarigen Sinnesnerven, w'ie die beiden Optici, die Acustici, die Olfactorii, und die Nerven des Ciliarsystems.\nBei einer prim\u00e4ren Affection des einen Auges, wo die Reizung urspr\u00fcnglich nur auf dieses eingewirkt hat, erfolgt zuweilen Erkranken des andern Auges an derselben Krankheit. Ist ein Auge durch Entz\u00fcndung zerst\u00f6rt worden, so wird zuweilen auch das andere ergriffen und zerst\u00f6rt. Die Affectionen des innern Ohres bleiben nicht immer isolirt. Ist erst das eine Ohr taub geworden, so wird es auch oft das andere. Die Sympathien der Bewegungsnerven des Auges und namentlich der Ciliarnerven sind bekannt genug. Die gleiche Oeffnung der Pupille beider Augen hei den verschiedensten \u00e4usseren Einfl\u00fcssen auf das eine und andere, ist auch in der Gesundheit von dieser Sympathie bedingt. Diese Sympathien der paarigen Nerven \u00e4ussern sich sehr h\u00e4ufig |D den sogenannten Neuralgien, in den schmerzhaften Affectionen der Nerven. In Folge des nerv\u00f6sen Gesichtsschmerzes auf der einen Seite wird zuweilen auch der entsprechende Nerve der andern Seite","page":774},{"file":"p0775.txt","language":"de","ocr_de":"6. SympalIdeen. S. der Nerven,\n775\nafficirt. Der Zalinschmerz, der seinen Grund, in einem cari\u00f6sen Zahne hat, wil\u2019d nicht allein an der Stelle der Heizung, sondern zuweilen auch in dem entgegengesetzten paarigen Nerven gef\u00fchlt.\nIV.\t. Sympathieen der Bewegungsnerven unter einander. Die hie-her geh\u00f6rigen, \u00e4usserst zahlreichen Ph\u00e4nomene der Association \u25a0der Bewegungen oder Mitbewegungen, wodurch die Intention zu einer Bewegung auch andere Bewegungen unwillk\u00fchrlich hervorruft, sind schon oben p. 692. erl\u00e4utert und erkl\u00e4rt worden.\nV.\tSympathieen der Empfindungsnerven. Die Sympathien der Empfindungsnerven zeigen uns vorz\u00fcglich drei Formen, welche bloss durch die Ausdehnung und Entfernung der in Consensus gezogenen Theile verschieden sind.\na.\tIm ersten Falle breitet sich eine heftige Empfindung, die an einer einzigen Stelle erregt worden, in Nerven derselben Art, oder in anderen Nervenfasern desselben Nerven aus; wie hei der durch eine ganz \u00f6rtliche heftige Verbrennung entstehenden Irradiation der Empfindungen in die benachbarten Hautstellen. Die Erkl\u00e4rung dieser Erscheinungen ist schon oben hei der Lehre von der Irradiation behandelt worden.\nb.\tIm zweiten Falle zieht der eine Empfindungsnerve einen Empfindungsnerven anderer Art, aber in demselben Organe in Affection. Diese Art von Sympathie beobachten wir vorz\u00fcglich zwischen den eigentlichen Sinnesnerven und den sogenannten Il\u00fclfsnerven der Sinnesorgane. Ausser den eigenth\u00fcmlichen Sinnesempfindungen eines Sinnesorganes kommen n\u00e4mlich in jedem Sinnesorgane auch noch die allgemeinen Empfindungen des Gef\u00fchls f\u00fcr Widerstand, W\u00e4rme, K\u00e4lte, Wollust, Schmerz in ihm, aber durch andere Nerven vor. Im Auge ist der N. opticus milder Lichtempfindung, nach Magekdie nicht der Gef\u00fchlsempfindung f\u00e4hig ; dagegen besitzt das Auge in den Zweigen vom ersten Aste des N. trigeminus, die sich in der Conjunctiva verbreiten, und in den Ciliarnerven auch Gef\u00fchlsempfindung; diese sind also die Il\u00fclfsnerven des Auges. Das Geh\u00f6rorgan besitzt ausser dem N. acusticus, die vom N. facialis, glossopharyngeus, sympathicus, Rain, secundus und tertijis N. trigemini und Ganglion oticum, in der Trommelh\u00f6hle sich verbreitenden Hilfsnerven, wovon ausf\u00fchrlicher in der speciellen Physiologie der einzelnen Nerven. Von diesen in der Schleimhaut der Trommelh\u00f6hle sich verbreitenden Nerven, und von den zahlreichen Nerven des \u00e4ussern Ohrs und \u00e4ussern Geh\u00f6rganges r\u00fchrt offenbar die Gef\u00fchlsempfindung des Geh\u00f6rorganes her. Die Nase ist nicht allein der Sitz des Geruchs durch die Geruchsnerven, welche nach Magendie keiner Gef\u00fchlsempfindung f\u00e4hig sind,, sondern auch lebhafter Gef\u00fchlseindr\u00fccke durch die N. nasales vom zweiten Aste des N. trigeminus f\u00e4hig, wohin die Empfindungen von Widerstand, W\u00e4rme, K\u00e4lte, Kitzel, Schmerz u. s. w. in der Nase geh\u00f6ren. Die Zunge ist sowohl der Geschmacksempfindung als der Gef\u00fchlsempfindung f\u00e4hig, wie jedem bekannt ist.\nIn jedem Sinnesorgane kann die eine Art dieser Empfindungen aufgehoben seyn, w\u00e4hrend die andere verharrt. Die Sinnesner-ren und Gef\u00fchlsnerven der Sinnesorgane sind nun einer sehr\nIM tillpr\u2019s Physiologic. I.\t50","page":775},{"file":"p0776.txt","language":"de","ocr_de":"776 TII. Huch. Nervenphysik. IIJ.Abschn. Mechanik <1. Nerocnprincips.\nlebhaften sympathischen Action f\u00e4hig. [lieber hat inan unter anderen auch die nach Verletzung des N. frontalis zuweilen beobachtete Blindheit gerechnet, von der es jedoch noch zweifelhaft ist, ob sie hieher geh\u00f6rt. Man glaubt, dass die Verletzung des Nervus frontalis auf den Stamm des Nervus ophthalmicus zur\u00fcckwirke, der auch den N. naso- ciliaris abgiebt, welcher letztere die lange Wurzel des Ganglion ciliare bildet. Allein die Ciliarnerven k\u00f6nnen nur die Iris l\u00e4hmen, nicht die Retina, mit welcher sie in keiner Verbindung stehen. Viel naturgem\u00e4sser scheint mir die consecutive Blindheit nach Contusionen derSlirn-gegend von der Ersch\u00fctterung des Auges und Sehnervens erkl\u00e4rt zu werden. Der treffliche v. Wai.thf.r scheint mir zu weit gegangen zu seyu, wenn er so viel Gewicht auf das Ciliarnervensystem bei den Amaurosen und Amblyopieeu legte. Viele andere Erscheinungen zeigen uns aber unzweideutige Beweise von Wech-wirkung der Sinnesnerven, wie die Empfindung des Ritzels in der Nase nach dem Sehen in die Sonne, die Empfindungen von Schauder, Rieseln nach gewissen T\u00f6nen u. s. w. bezeugen. Wie diese Erscheinungen zu erkl\u00e4ren sind, ist nach den in der Mechanik der Nerven aufgestellten Grunds\u00e4tzen nicht sehr zweifelhaft. Da uns zuverl\u00e4ssig erwiesene Verbindungen dieser Sinnesnerven mit jenen H\u00fclfsnerven durch den N. sympathicus nicht bekannt sind, so m\u00fcssen diese Ph\u00e4nomene auch nur durch das Gesetz der Reflexion, n\u00e4mlich durch Vermittelung des Gehirns zwischen der centripetalen Erregung, z. B. des Sehnerven und der R\u00fcckwirkung auf die Nasennerven beim Niesen und Gef\u00fchl von Kitzel in der Nase nach dem Sehen in die Sonne, erkl\u00e4rt werden. Tiedemann hat in der von ihm gegebenen vollst\u00e4ndigen Darstellung aller Syrnpathieen der Sinnesorgane (Zeitschr. f\u00fcr Physiologie. 1. 237.) die Thatsache hervorgehoben, dass alle Sin-neswerkzeuge Zweige von dem sympathischen Nerven erhalten. Diess ist nicht zu l\u00e4ugnen; zur Erkl\u00e4rung der Syrnpathieen der Sinnesnerven mit anderen Empfindungsnerven ist aber erforderlich, dass nicht das Sinnesorgan \u00fcberhaupt, welches ein sehr zu- , sammengesetzter Theil von juxtaponirten Geweben ist, sondern der Sinnesnerve selbst eine solche Verbindung eingehe. Nun hat man zwar auch solche Verbindungen beschrieben. Tiedemann selbst beobachtete Zweige der Ciliarnerven, welche die Art. centralis retinae bis auf die Netzhaut begleiten; diess ist aber noch keine Verbindung des Sehnerven, oder der Retina mit dem N. sympathicus. Hirzel (Tiedemann\u2019s Zeitschrift I. 229.) beobachtete mehrmal eine Verbindung zwischen dem Ganglion sphenopalati-lium und dem Sehnerven. Arnold verfolgte einen solchen Faden nur*.bis in die Scheide des Sehnerven, und l\u00e4ugnet die Verbindung mit diesem selbst. Varrentrapp {observ. anat. de parle ce-phalica iV. sympaihici. Franco], 1831.) sah diesen Faden nicht. Wenn aber auch der N. sympathicus wirklich einen Faden an den Sehnerven abg\u00e4be, so l\u00e4sst sich daraus auch noch nicht viel erkl\u00e4ren; denn zu einer vollst\u00e4ndigen Wechselwirkung, wie sie bei den Syrnpathieen stattfinden m\u00fcsste, m\u00fcsste dieser V erbindungsfaden des N. sympathicus mit allen im Sehnerven enthaltenen","page":776},{"file":"p0777.txt","language":"de","ocr_de":"6. Sympa! hic en. S. der Nerven.\n777\nFasern sich verbinden; die Verbindung mit einer oder einigen Fasern w\u00fcrde nicht hinreichen. Dasselbe l\u00e4sst sich von dein Geh\u00f6rorgane bemerken. Koellner , Swan, Arnold, Varrentrapp beobachteten eine Verbindung des Nervus facialis und acusticus im Innern des meatus |auditorius internus. Nach Arnold [der Kopf-ihed des oegetat. Nervensystems. Heidelb. 1831. p. 83.) ist diese Verbindung eine doppelte. Die eine geh\u00f6rt dem N. sympathicus an. Es geht n\u00e4mlich vom Knie des N. facialis ein vom N. sympathicus abgeleiteter Faden zum N. acusticus. Beim Kalbe bildet dieser Faden auf dem Grunde des Meatus auditorius ein Kn\u00f6tchen. Mir scheint diese Anordnung, welche beim Kalb sehr deutlich ist, bestimmte organische F\u00e4den ins Innere des Labyrinthes zu schicken. Wie denn auch die organischen zur Trommelh\u00f6hle gehenden Faden der JAcoBsoVschen Anastomose wahrscheinlich den organischen Functionen, z. B. der Schleimabsonderung dienen m\u00f6gen. Die zweite Verbindung des IV. facialis und acusticus f\u00fchrt einen Faden der kleinern Portion des N. facialis zum H\u00f6r-nerven. Da beide Nerven schon am Ursprung durch mehrere Nervenl\u00e4dchen Zusammenh\u00e4ngen, so kann jener Verbindungsfaden, als zum acusticus geh\u00f6rig, aber mit dem facialis verlaufend angesehen werden. Eine \u00e4hnliche Bedeutung hat der Ramus acusticus accessorius vom facialis bei den V\u00f6geln und bei den Cy-clostomen.\nDasselbe, was von dem Verh\u00e4ltniss der Sinnesnerven zu ihren H\u00fcllsnerven bemerkt wurde, gilt von den entfernteren Sympathieen der Sinnesorgane mit den Abdominaleingeweiden. Man hat zuweilen in St\u00f6rungen der Verrichtungen der Unterleibseingeweide Amblyopie, Ohrenbrausen u. s. w. beobachtet; auch diese Wechselwirkungen erkl\u00e4ren Viele durch den Antheil des N. sympathicus an den Verrichtungen der Sinnesorgane, da doch diese Erscheinungen viel leichter aus der Impression, welche die Ver\u00e4nderungen der Unterleibsnerven auf die Centralorgane machen, und aus der R\u00fcckwirkung der letzteren auf die Sinnesorgane ex'-ki\u00e4rt werden. Man kann diese Ver\u00e4nderungen der Sinnesorgane in Unterleibskrankheiten nicht so isolirt betrachten ; oft zeigt sich das ganze Nervensystem mit alterirt; hartn\u00e4ckige Cephalalgieen sind der Affection der Sinnesoi\u2019gane vorausgegangen oder noch voidianden, das Gemeingef\u00fchl der gesammten Sensationsnerven, der R\u00fcckenmarksnerven ist alterirt.\nNachdem wir die verschiedenen Formen der Sympathieen zergliedert haben, ist es n\u00f6thig, noch einen Blick auf die Anwendung zu werfen, welche die Therapie von den Sympathieen macht. Die Lehre von der Statik des Consensus belehrt uns, wie wir uns h\u00fcten m\u00fcssen, den krankhaften Zustand des Organes^/ durch Wirkungen auf das Organ B zu verst\u00e4rken; sie zeigt uns aber auch die Mittel, den Zustand des unzug\u00e4nglichen Oi'ga-nes A durch angemessene Ver\u00e4nderung des Organes \u00df mit zu ver\u00e4ndern. Die Lieber geh\u00f6rigen Heilmethoden haben den Namen der Ableitung und Gegenwirkung erhalten, indem sie durch die k\u00fcnstliche Ver\u00e4nderung des einen Organs einen Zustand in.\n50 *","page":777},{"file":"p0778.txt","language":"de","ocr_de":"778 III. Buch. Nerveiiphysik. IIl.Abschn. Mechanik d. Ncrvenprlncips.\neinem andern Organe zu entfernen beabsichtigen. Die hieher geh\u00f6rigen Falle sind folgende:\n1)\tErh\u00f6hung der Th\u00e4tigkeit des krankhaften Theiles A durch k\u00fcnstliche Erh\u00f6hung der Th\u00e4tigkeit des sympathischen Theiles B.\n2)\tVerminderung der Irritation des Theiles A durch Erschlaffung des sympathischen Theiles B.\nDieser Erfolg darf am meisten hei den Nervensyrnpathieen erwartet werden, besonders \u00fcberall, wo die Gesetze der Reflexion von Empfindungsnerven auf das Gehirn und R\u00fcckenmark, und von dort wieder auf die motorischen Nerven in Betracht kommen. Die ganze peripherische Ausbreitung der Hautnerven giebt dem Arzt ein grosses Feld der mittelbaren Einwirkung auf das Gehirn und R\u00fcckenmark. So erh\u00f6ht die Th\u00e4tigkeit der peripherischen Nervenenden in der Haut durch Friction, Eleklrici-t\u00e4t, Moxen, kalte B\u00e4der, Senfteige u. s. w. erzeugt, die Th\u00e4tigkeit der Centralorgane; die Erschlaffung der peripherischen Nervenenden in der Haut durch laue B\u00e4der wirkt bes\u00e4nftigend auf die Irritation der Centralorganc.\n3)\tVerminderung der krankhaften Absonderung des Theiles A durch Vermehrung der Absonderung des Theiles II, oder durch Erzeugung einer \u00e4hnlichen Absonderung in dem Theile B. In diesem Falle ist die Wirkung ganz die entgegengesetzte des vorhergehenden Falles. Dort erzeugte die Wirkung auf/;/ die gleiche\" in B. Hier erzeugt die Wirkung auf A die entgegengesetzte in B. Dieser Widerspruch erkl\u00e4rt sieh aus dem schon p. 470. erl\u00e4uterten Antagonismus der verschiedenen Absonderungen. Jede Vermehrung der Absonderung muss als Entziehung aus der Masse der S\u00e4fte betrachtet w'erdcn, und modificirt also \u2022 das Gleichgewicht der Vertheilung der S\u00e4fte. Auf diese Art ist die Wirkung der Blasenpflaster, Fontanellen bei der Disposition innerer Theile zu krankhaften Ablagerungen, die Wirkung der Diuretica bei den Wassers\u00fcchten u. a. zu betrachten. Es ist nur zu bemerken , dass eine k\u00fcnstliche Absonderung auf einer Schleimhaut die krankhafte einer andern Schleimhaut, also des- \u25a0 selben Gewebes, nicht leicht vermindert, weil innerhalb desselben Gewebes \u00e4hnliche Zust\u00e4nde sich zu verst\u00e4rken streben. Vgl. p. 761.\n4)\tVerminderung der Congestion von Blut in dem Organe A durch eine k\u00fcnstlich erregte Congestion B; wie bei der Wirkung der heissen Fussb\u00e4der. Dieser Fall gleicht dein vorhergehenden und widerspricht den beiden ersten; erkl\u00e4rt sich aber auf dieselbe Weise.\n5)\tVerminderung des Zustandes x in dem Theile A durch k\u00fcnstliche Erzeugung eines davon verschiedenen Zustandes y in dem Theile \u00df desselben Gewebes. Eine Methode, der wir uns h\u00e4ufig mit dein gr\u00f6ssten Erfolge bedienen. Absonderung und Entz\u00fcndung sintl besonders in einem absondernden Theile fast als entgegengesetzte Zust\u00e4nde zu betrachten. Die Entz\u00fcndung hebt immer die nat\u00fcrlichen Absonderungen auf. Daher die Entz\u00fcndung der Schleimhaut des Rachens mit Erfolg durch k\u00fcnstlich erregte Diarrhoe behandelt wird. Es l\u00e4sst sich diese Me- ; thode eben so auf verschiedene Gewebe anwenden. Eine Diar-","page":778},{"file":"p0779.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von den Sinnesnerveti.\n77t)\nhoe vermindert die Congestion zu dem Kopfe. Dieser Fall geh\u00f6rt jedoch dann schon unter das bei 4. aufgestellte Vcrh\u00e4ltniss.\n6) Verminderung des Zustandes \u00a3c in dem Organ A durch Erzeugung desselben Zustandes x in dem Organe B. Dieser Fall scheint den meisten vorher ausgefiihrten zu widersprechen, und ist die Erkl\u00e4rung desselben sehr schwer. Wollte man ganz in der N\u00e4he eines entz\u00fcndeten Theiles eine k\u00fcnstliche Entz\u00fcndung bewirken, so w\u00fcrde die erste dadurch nicht vermindert, sondern vermehrt werden, z.umal in Theilen desselben Gewebes, welche Affinit\u00e4t zur Mittheilung haben. Und dennoch beschr\u00e4nkt zuweilen eine in einer gewissen Entfernung von dem entz\u00fcndeten Organe A erregte Entz\u00fcndung des Organes J5 die erstere. Man behandelt Augenentz\u00fcndungen durch k\u00fcnstlich erregte Hautentz\u00fcndungen in einiger Entfernung vom Auge. Man erregt Hautentz\u00fcndungen in Gelenkkrankheiten u. s; w. Der Erfolg dieser Methode scheint zu beweisen, dass zwischen den Reizungszust\u00e4nden der Capillargef\u00e4sse zweier Organe, besonders wenn sie verschiedenen Gewebes sind, nicht dasjenige Reflexionsverh\u00e4ltniss herrscht, welches wir so deutlich in den unter 1. und 2. erl\u00e4uterten F\u00e4llen zwischen peripherischen und centralen Theilen beobachten, wo die Reizung der peripherischen Nervenzweige die Reizung der Cenlralorgane nicht aufhebt, sondern auch die Th\u00e4ligkeit der letzteren erh\u00f6ht.\n//'. Abschnitt. Von den Eigen 1 h\u00fc ml i chk ei I en der ein z eine n JN ervc n.\n7. Capitel. Von den Sinnesnerveu.\nMan hat die Nerven immer als Leiter f\u00fcr die Wechselwirkung unserer Organe mit der Aussenwelt angesehen , und so betrachteten die Aerzte die Sinnesnerven als blosse Leiter f\u00fcr die Qualit\u00e4ten der \u00e4usseren Dinge, so dass die Nerven gleichsam passiv die Eigenschaften der K\u00f6rper dem Bewusstsein \u00fcberbringen sollten, ohne etwas an den Eindr\u00fccken von diesen Qualit\u00e4ten zu ver\u00e4ndern. In der neuern Zeit haben die Physiologen angefangen, diese Vorstellungen von passiver Leitung der Eindr\u00fccke durch die Nerven zu analysiren. Sind die Nerven bloss passive Leiter f\u00fcr die Eindr\u00fccke des Lichtes, der Tonschwingung, der Riechstoffe: wie k\u00f6mmt es, dass derjenige Nerve, welcher die Riechstoffe riecht, nur f\u00fcr diese Art v\u00bbn Eindr\u00fccken empf\u00e4nglich ist., f\u00fcr andere nicht, und dass ein anderer Nerve hinwieder die Riechstoffe nicht, riechen kann; dass der Nerve, welcher die Lichtmaterie oder die Oscillationen derselben empfindet, die Oscillationen der schallleitenden K\u00f6rper nicht empfindet, und der Geh\u00f6rnerve f\u00fcr das Licht, der Geselltnacksnerve f\u00fcr die","page":779},{"file":"p0780.txt","language":"de","ocr_de":"780 III. Buch. Kervenphysik. IV.Abschn. Eigenth. der cim. Nerven.\nGer\u00fcche unempfindlich ist, der Gef\u00fchlsnerve die Schwingungen der K\u00f6rper nicht als Ton, sondern als Gef\u00fchl von Erzitterungen empfindet. Diese Betrachtungen haben die Physiologen gen\u00f6thigt, den einzelnen Sinnesnerven eine specifische Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr gewisse Eindr\u00fccke zuzuschreiben, verm\u00f6ge welcher sie nur Leiter f\u00fcr gewisse Qualit\u00e4ten, nicht aber f\u00fcr andere seyn sollten.\nDie Vergleichung der Thatsachen mit dieser Erkl\u00e4rung, an welcher man noch vor 10 und 20 Jahren nicht im geringsten zweifelte, zeigte aber bald, dass sie unbefriedigend ist. Denn dieselbe Ursache kann auf alle Sinnesorgane zugleich einwirken, wie die Elektricit\u00e4t; alle sind daf\u00fcr empf\u00e4nglich, und dennoch empfindet jeder Sinnesnerve diese Ursache auf eine andere Art; der eme Nerve sieht davon Licht, der andere h\u00f6rt davon einen Ton, der andere riecht, der andere schmeckt die Elektricit\u00e4t, der andere empfindet sie als Schmerz und Schlag. Ein Nerve sieht von mechanischem Reiz ein leuchtendes Bild, der andere h\u00f6rt davon Brausen, der andere empfindet Schmerz. Der vermehrte Beiz des Blutes erregt in dem einen Organe spontane Lichtempfindungen, in dem andern Brausen, in dem andern Kitzel, Schmerz u. s. w. Wer die Nothwendigkeit f\u00fchlte, die Con-sequenzen dieser Thatsachen durchzudenken, musste einsehen, dass die specifische Empf\u00e4nglichkeit der Nerven f\u00fcr gewisse Eindr\u00fccke nicht hinreicht, da alle Sinnesnerven f\u00fcr dieselbe Ursache empf\u00e4nglich, dieselbe Ursache anders empfinden; und so lernten Einige einsehen, dass ein Sinnesnerve kein bloss passiver Leiter ist, sondern dass jeder eigenth\u00fcmliche Sinnesnerve auch gewisse unver\u00e4usserliche Kr\u00e4fte oder Qualit\u00e4ten hat, welche durch die Empfindungsursachen nur angeregt und zur Erscheinung gebracht werden. Die Empfindung ist also nicht die Leitung einer Qualit\u00e4t oder eines Zustandes der \u00e4usseren K\u00f6rper zum Bewusstseyn, sondern die Leitung einer Qualit\u00e4t, eines Zustandes unserer Kernen zum Bewusst-seyn, veranlasst durch eine \u00e4ussere Ursache. Wir empfinden nicht das Messer, das uns Schmerz verursacht, sondern den Zustand unserer Nerven schmerzhaft; die vielleicht mechanische Oscillation des Lichtes ist an sich keine Lichtempfindung; auch wenn sie zum Bewusstseyn kommen k\u00f6nnte, w\u00fcrde sie das Bewusstseyn einer Oscillation seyn: erst dass sie auf den Sehnerven als den Vermitteler zwischen der Ursache und dem Bewusstseyn wirkt, wird sie als leuchtend empfunden; die Schwingung der K\u00f6rper ist an sich kein Ton: der Ton entsteht erst hei der Empfindung durch die Qualit\u00e4t des Geh\u00f6rnerven , und der Gef\u00fchlsnerve empfindet d ieselbe Schwingung des scheinbar t\u00f6nenden K\u00f6rpers als Gef\u00fchl d er Erzitterung. A\\ ir stehen also bloss durch die Zust\u00e4nde, welche \u00e4ussere Ursachen in unseren Nerven erregen, mit der Aussenwelt empfindend in Wechselwirkung.\nDiese Wahrheit, welche sich aus einer einfachen und unbefangenen Zergliederung der Thatsachen ergiebt, f\u00fchrt uns nicht allein zur Erkenntniss der eigenth\u00fcmlichen Kr\u00e4fte der verschiedenen Empfindungsnerven, abgesehen von ihrem allgemeinen Unterschiede von den motorischen Nerven, sondern zeigt uns auch","page":780},{"file":"p0781.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von den Sinnesnerven.\n7 Si\ndm Weg, eine Menge von irrth\u00fcmlicheu Vorstellungen \u00fcber die F\u00e4higkeit der Nerven, einander zu ersetzen, aus der Physiologie ein- f\u00fcr allemal zu verbannen. Man weiss l\u00e4ngst, dass Blinde die Farben mit den Fingern nicht als Farben erkennen k\u00f6nnen; aber wir sehen nun die Unm\u00f6glichkeit davon aus Thatsachen ein, welche erkl\u00e4rend f\u00fcr viele andere Thatsachen sind. Wie sehr sich auch das Gef\u00fchl der Finger bei einem Blinden durch Ue-bung steigern mag, es bleibt immer Qualit\u00e4t der Gef\u00fchlsnerven, Gef\u00fchl.\nHieraus widerlegen sich auch die oft noch gangbaren Vorstellungen von Compensation des N. opticus durch den N. trigeminus, des N. olfactorius durch denselben u. dergl.\nEinigen Thieren mit Augen bat man den N. opticus abgesprochen, und die Gesichtsempfindung durch den Rain, ophthalmicus n. trigemini geschehen lassen, wie beim Maulwurf-und Proteus anguinus. Diess beruht indess beim Maulwurf auf nicht hinreichend genauer Untersuchung, und wahrscheinlich ist es eben so beim Proteus. Der Maulwurf besitzt einen ungemein feinen Sehnerven und ein sehr zartes Chiasma n. optieorum, wie mir Dr. Henle gezeigt hat. Von den Cetaceen hat man gesagt, dass der Geruchsnerve, welcher nach Blainville, Mayer, Treviranus \u00e4us-serst fein und rudiment\u00e4r, aber doch vorhanden ist (Treviranus Biologic V. 342.), durch die Nasal\u00e4ste des N. trigeminus ersetzt werde. Wie wenig diese Annahme gerechtfertigt ist, geht aus der Bemerkung hervor, dass wir nicht den entferntesten Beweis haben, dass die Cetaceen riechen. Magendie glaubte zeigen zu k\u00f6nnen, dass der N. olfactorius gar nicht Geruchsnerve sey, und dass der Geruch den N. nasales des N. trigeminus zugetheilt werden m\u00fcsse. Journal de physiol. T. IV. 169. Er bemerkte, dass die Zerst\u00f6rung der Geruchsnerven die Empfindung f\u00fcr Essigs\u00e4ure, fl\u00fcssiges Ammonium, Lavendel\u00f6l, Dippels\u00f6l, welche in die Nase gebracht worden, nicht aufhebt, indem die Thiere die Nase mit den F\u00fcssen rieben und niessten. Diess beweist, wie Eschricht. (Diss. de fund, primi et (/u/'nti paris in oljactorio organo. Magendie Journal de physiol. T. VI. p. 339.) zeigt, und jeder leicht einsieht, dass die Geruchsnerven eben nur die Geruchsnerven und nicht die Gef\u00fchlsncrven der Nase sind. Denn alle die genannten StofFe erregen auch das allgemeine Gef\u00fchl der Nasenschleimbaut, welches von den Nasal\u00e4sten des N. trigeminus abh\u00e4ngt. Fleisch erregt nur die Geruchsempfindung, und hier gesteht Magendie selbst, dass, wenn einem Hunde ein in Papier gewickeltes St\u00fcck Fleisch hingelegt wurde, nachdem ihm die N. olfactorii zerst\u00f6rt worden, er diejs nicht bemerkte. Dass der Geruch bei Mangel der Geruchsnerven oder nach Zerst\u00f6rung derselben bei Menschen fehlte, haben die Falle von Ru-dius, von Rolfink, Ma\u00f6nenus und Opfert, von Balonus, Loder und Serres gezeigt. Vergl. Eschricht^ a. a. O. Backer comment. ad </uaesf. physiol. Traject. 1830. Dagegen wollen Mery, Berard bei Verh\u00e4rtung der Geruchsnerven oder der vorderen Lappen des Gehirns Geruch bemerkt haben. Mery hist, de Vernal, cl chirurg. par Portal. T .III. p. 603. Magendie Journal. T. V. 17.","page":781},{"file":"p0782.txt","language":"de","ocr_de":"782 III. Buch. Neroenphysik. IV.Ahsthn. Eigenth. der eint. Nerven.\nAber wer steht uns daf\u00fcr, dass tliese M\u00e4nner sich nicht ehen so \u25a0wie Magendie get\u00e4uscht, und die Gef\u00fchlsempfindungen der Aase mit den Geruchsempfindungen verwechselt haben.\nSonst nahm man an, dass der Geh\u00f6rnerve hei den Fischen von dem N. trigeminus ersetzt werde. Noch Scarpa und Cuvier glaubten diess. Giess haben Treviranus und \u00a3. H. Weber widerlegt. Bei einigen Fischen geht nach Weber {de aure et auditu. Pips. 1820.) ein baden vom IV. trigeminus zum N. acusticus, wie hei Silurus glanis und Muraena anguilla. Es giebt aber nach Weber einen H\u00fcltsnerven des Geh\u00f6rorganes, der bald selbstst\u00e4n-dig vom Gehirn, bald vom A. trigeminus oder vom IV. vagus zu entspringen scheint, und zur Ampulla des hinteren Kanales und zum Sacke geht. Die Rochen haben einen vom Gehirn selbst entspringenden N. accessorius nervi acustici. Nach Buech-ner [mem. de la soc. d\u2019hist. nat. de St rash. T. II. Iler. 2.) ist der N. acusticus accessorius einiger Knochenfische f\u00fcr den Steinsack und die hintere Ampulle auch nicht ein Ast anderer Nerven, sondern ein besonderes B\u00fcndel aus der Medulla oblongata. Bei den Petromyzon beobachteten Schlemm und G alton einen N. acusti\u2014 eus accessorius zum Labyrinth aus dem Facialis, denselben beobachtete ich bei den Myxinoiden. Man muss auf die Beobachtung, dass der Nervus acusticus accessorius zuweilen von anderen Nerven entspringt, auch nicht zu viel Werth legen. Giess ist wohl nur 'ein juxtaponirtes Fortgehen ganz verschiedener Fasern, so wie wir in dem.N. linguafis des Menschen, welcher wirklich Geschmacks- uncl Gef\u00fchlsnerve der Zunge zugleich ist, das Zusammenliegen ganz verschiedener Geschmacks- \u00b0und Ge-fuhlsfasern voraussetzen m\u00fcssen. Daher geht auch aus der von Lreviranus (Iiedemann's Zeitschrift. V.) beobachteten Variet\u00e4t f\u00fcr die I hysiologin nichts hervor, dass n\u00e4mlich bei einigen V\u00f6-geln der N. vestibuii ein Ast des N. facialis seyn soll. Bei der. Gans ist der N. vestibuii ein Ast des eigentlichen N. acusticus, und der N. facialis geht nur dicht \u00fcber'ihn hin. Was k\u00f6nnte \u00fcberhaupt eine Juxtaposition von functioneil verschiedenen Fasern in einer Scheide f\u00fcr die Physiologie beweisen?\nOer Geschmacksnerve scheint nie als besonderer Nerve aufzutreten, und seine Fasern vielmehr nur in anderen Nerven ein-geschlossen zu seyn. Wahrscheinlich geh\u00f6ren hieher sowohl der Zungenast als die Gaumen\u00e4ste des Trigeminus. \u00fcenn Gaumen und Zunge haben Geschmack. K\u00e4se, den Gaumen allein ber\u00fchrend, wird deutlich geschmeckt. Selbst im Schlunde finden die dem Geschmack verwandten Empfindungen des Ekels statt.\nNach Verletzung des N. trigeminus in Krankheiten hat man Verlust des Geschmacks beobachtet. Parry Elen,, of pathol. and t itrcip. . 1 Mueller s Archiv. 1834. p. 132. Magendie machte, dieselbe Beobachtung nach Durchschneidung des N. linguafis, damit stimmen auch die Versuche von Mayo und diejenigen, welche ich mit Prof. Gurlt und Gr. Kornfeld anstellle.\nNach Pa Nizza (Recherche sperimenlalLsopra i nervi. Pavia 183.4.) dauert hingegen der Geschmack der Thiere nach Durchschnei-","page":782},{"file":"p0783.txt","language":"de","ocr_de":"1. Von den Sinnesnerven.\n783\nJung des N. lingualis fort, indem sie Brot, Milch, Fleisch mit Coloquinten oder Quassia zwar zu fressen versuchen, aher sie sogleich verschm\u00e4hen, w\u00e4hrend sie nach Durchschneidung des N. giossopharyngeus auch Bitterkeit verschlucken. PANizzAen betrachtet daher den N. lingualis als blossen Gef\u00fchlsnerven, den IV. giossopharyngeus als Geschmacksnerven.\nJedenfalls kann der N. giossopharyngeus kein blosser Empfindungsnerve seyn; denn seine Wurzel ist gemischt, zum Theil gangli\u00f6s, zum Theil nicht gangli\u00f6s und er verbreitet sich' zum Theil in eineinhlossen Muskel, im M. stilopharyngeus. Dann machen auch neuere Versuche die Theorie von Panizza zweifelhaft.\nWar nach Durchschneidung des N. lingualis noch Geschmack vorhanden, so konnte er von den Gaumen\u00e4sten des N. trigeminus abh\u00e4ngen. In den Versuchen von Gurlt, Kornfeld und mir war nach Durchschneidung des N. giossopharyngeus ganz deutlicher Geschmack vorhanden. Dergleichen Versuche sind sehr schwierig und es sind mancherlei T\u00e4uschungen dabei m\u00f6glich. Pferde und Hunde fressen das mit den gr\u00f6ssten Bitterkeiten impraegnirte Futter, selbst wenn alle ihre Nerven unversehrt sind, sobald sie hungrig sind. Nicht daran, dass sie Bitteres fressen, sondern daran, wie sie es fressen, kann man den Mangel oder das Vorhandenseyn des Geschmacks erkennen. Siehe Kornfeld de functionibus nervorum linguae exp\u00e9rimenta. Derol. 1836. Auch die Versuche von Alcock sind der genannten Theorie nicht g\u00fcnstig. Land. med. gaz. 1836.-\nDer NT. lingualis ist \u00fcbrigens auch der Gef\u00fchlsempfindung f\u00e4hig und von ihm h\u00e4ngen wie zugleich vom N. giossopharyngeus die Tast- und Gef\u00fchlsempfindungen der Zunge ab. Die Durchschneidung des N. lingualis ist sehr schmerzhaft, wie Magendie, D\u00e9smoulins und ich beobachteten. Vielleicht sind besondere Fasern f\u00fcr die Geschmacksempfindungen und Gef\u00fchlsempfindungen im N. lingualis juxtaponirt. Zum Gef\u00fchlsantheil kann jedenfalls die Chorda tympani gerechnet werden.\nDie Geschmacksfasern k\u00f6nnen sich sehr verschiedenen Nerven anschliessen. Bei den V\u00f6geln ist der Geschmacksnerve ein Ast des Nervus giossopharyngeus, bei den Fr\u00f6schen ein Ast des Nervus vagus.\nNach der Durchschneidung des Stammes des Nervus trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle will Magendie bemerkt haben, dass fast alle Sinnesfunctionen aufgeh\u00f6rt haben. Journ. de physiol. IV. 302. Dass das Sehverm\u00f6gen erloschen seyn sollte, schloss Magendie daraus, dass das Thier das Licht der Lampe nicht bemerkte. Allein Kaninchen reagiren hiergegen oft nicht, ohne dass man den Nervus trigeminus darum zu zerschneiden braucht. Auch gesteht Magendie selbst, dass beim Einf\u00e4llen von Sonnenlicht in einen dunkeln Raum die Augenlieder des Thieres sich schlossen, und noch deutlicher bemerkte man diess, als das Licht durch eine Linse gesammelt ins Auge einfiel. Magendie beweist nun durch Experimente an Thieren, was wir leider aus so vielen Erfahrungen an Menschen wissen, dass nach der L\u00e4hmung des N. opticus der N. trigeminus nicht","page":783},{"file":"p0784.txt","language":"de","ocr_de":"784 III. Buch. E'eroeiiphysik. IV.Abschn. Eigenth. der cinz. Nerven.\ndas Licht empfinden kann; allein Magendie meint, die Sensibilit\u00e4t des N. trigeminus sey wenigstens beh\u00fclflich und n\u00f6thig f\u00fcr die volle Sehkraft des Nervus opticus. Magendie glaubte auch, dass der N. trigeminus zum H\u00f6ren n\u00f6thig sey. Wenn ein Thier nach Durchschneidung eines so ungeheuren Nerven, als der N. trieeminus ist, nicht soeleich noch f\u00fcr andere Reizversuche auf-gelebt ist, so beweist dies nichts weiter, als eine sehr grosse vorausgegangene Verletzung. Wir wissen ja, dass nach Durchschneidung grosser Nervenstamme wie des N. opticus seihst schlimme Nervenzuf\u00e4lle entstanden sind. Nach meiner Ansicht hat der N. trigeminus durchaus keinen Einfluss weder aut das Sehen, noch das H\u00f6ren und Riechen. Bei einem Epileptischen, der an einer Augenentz\u00fcndung und Verdunkelung der Cornea rechter Seite litt, und bei dem das Sehen auf diesem Auge au (h\u00f6rte1, hernach auch die Augenlieder, Nase und Zunge rechts unempfindlich und das rechte Ohr taub wurden, das Zahnfleisch scorbutisch wurde, beobachtete Serres eine Entartung der Portio major N. trigemini bis zur Pons Varolii. Magendie Journ. de physiol. V. 232. Allein die Blindheit war eine Folge der Verdunkelung der Cornea. Alle \u00fcbrigen Ver\u00e4nderungen der Sinne werden mit den Convulsio-nen der rechten Seite aus der Degeneration des Gehirns erkl\u00e4rbar. Die Consequenzen aus diesem Falle werden \u00fcbrigens ganz durch einen andern Fall von Entartung des ganzen Stammes des N. trigeminus widerlegt, in welchem Unempfindlichkeit der ganzen linken Kopfseite, der Nase, Zunge, des Auges, hei vollem Sehverm\u00f6gen stattfaud. Mueller\u2019s Archiv Jiis Anatomie und Physiologie. 1834. p. 132.\nII. Capiiel. Von denEigentli\u00fcmlichkeiten anderer Nerven.\nAugcnn erven.\nOb der N. oculomotorius, abducens und trocblearis ausser ihrer motorischen Kraft auch sensibel sind, ist noch unbekannt. Desmoulins behauptet, dass sie gezerrt, gequetscht keinen Schmerz verursachen. Allein die Entscheidung bei so kleinen Nerven ist schwierig unter vorausgegangenen starken Verletzungen zur Blosslegung dieser Nerven. Der N. oculomotorius versieht den Mus-culus levator palpebrae sup., deil obern und untern graden Augenmuskel, den graden innern und den schiefen untern, und giebt durch den Nervenzweig des untern schiefen Augenmuskels die kurze Wurzel des Ganglion ciliare ab, w\u00e4hrend die lange Wurzel vom N. nasalis herkommt, welche letztere auch einen Faden, vom Plexus cavernosus des N. sympathicus erh\u00e4lt.\nEine besondere Betrachtung verdient der Einfluss des N. oculomotorius und nasociliaris auf die Iris. Desmoulins f\u00fchrt an, dass nach den Erfahrungen von Fowler, Reinhoi.d und NysteN der Galvanismus durch das dritte Paar Contraction der Iris ber wirke. Dass der N. oculomotorius durch die kurze Wurzel des Ganglion ciliare die Bewegungen der Iris bestimmt, und dass die","page":784},{"file":"p0785.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Angennerven.\n785\nlange Wurzel vom N. nasociliaris trigemini hieran keinen Antheil hat, ist durch Mayo\u2019s sch\u00f6ne Untersuchungen erwiesen. Anatomical and physiological commentaries. London 1823. Magendie Journal de Phys. T. 3. p. 348.\nFolgendes sind die Resultate der Versuche an 13 lebenden Tauben angestellt, von denen wir aus Muck. {De ganglio ophthal-mico. Landish. 1815.) wissen, dass sie zwei Wurzeln des Ganglion ciliare, eine vom N. oculomotorius, die andere vom N. trigeminus haben.\n1)\tDie Durchschneidung des N. opticus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle bewirkt die Erweiterung der Pupille, die sich nicht mehr zusammenzieht, ohngeachtet des heftigen Lichtreizes. Auch Magendie sah nach Durchschneidung des N. opticus hei Hunden und Ratzen Erweiterung der Pupille, und Unbeweglichkeit der Iris. Dagegen bei Kaninchen und Meerschweinchen Unbeweglichkeit und Verengung.\n2)\tDie Section des. N. oculomotorius im Sch\u00e4del einer lebenden Taube bewirkt denselben Erfolg; in beiden F\u00e4llen, sowohl nach der Durchschneidung des N. opticus als des JNT. oculomotorius, beh\u00e4lt das Auge seine Sensibilit\u00e4t auf der Oberfl\u00e4che.\n3)\tDie Section des N. trigeminus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle bewirkt keine Ver\u00e4nderung in den Bewegungen der Iris, aber die Oberfl\u00e4che des Auges verliert ihre Sensibilit\u00e4t (durch die Aeste des JNf. ophthalmicus, die sich in der Conjunctiva verbreiten).\n4)\tWenn man den N. opticus in der Sch\u00e4delh\u00f6hle einer lebenden Taube, oder unmittelbar nach der Decapitation mechanisch reizt, zieht sich die Iris jedesmal mit Verkleinerung der Pupille zusammen. (Ist auch von Flourens gesehen.)\n5)\tWenn man den N. oculomotorius auf dieselbe Art zerrt, hat dasselbe statt.\n6)\tWenn man das f\u00fcnfte Paar zerrt, erfolgt keine Ver\u00e4nderung der Pupille.\n7)\tWenn man die Sehnerven in der Sch\u00e4delh\u00f6hle einer Taube unmittelbar nach der Decapitation durchschneidet, und den Theil der Sehnerven zerrt, der mit dem Auge verbunden ist, erfolgt keine Ver\u00e4nderung der Pupille; wenn man dagegen den Theil des Sehnerven zerrt, der mit dem Gehirn verbunden ist# so erfolgt Verengung der Pupille, eben so als wenn der Nervus opticus nicht durchschnitten w\u00e4re.\n8)\tDie Section des f\u00fcnften P\u00e4ares bewirkte keine Modification in diesem Erfob .\n9)\tNach der St don des dritten Paares im Gegentheil hat die Reizung des Nervus opticus, sey er noch ganz oder durchschnitten, gar keinen Einfluss auf die Pupille.\nAus diesen Versuchen kann man mit Sicherheit schliessen, dass der N. oculomotorius die motorische Kraft dem Ganglion ciliare und den Ciliarnerven ertheilt, dass der Lichtreiz nicht unmittelbar auf die Ciliarnerven wirkt, sondern dass die Irritation der Netzhaut, des Selmervens auf das Gehirn wirkt, und vom Gehirn auf den N. oculomotorius und die kurze motorische Wurzel des Ganglion ciliare zur\u00fcckwirkt. Diess geht auch aus der he-","page":785},{"file":"p0786.txt","language":"de","ocr_de":"786 III. Buch. Nervcnphysik. IV.Abschn. Eig'enth. der ebiz. Nerven.\nkannten Erfahrung hervor, dass das amaurotische Auge, wo die Netzhaut gel\u00e4hmt ist, die Beweglichkeit der Iris durch Lichtreiz auf das amaurotische Auge verloren hat, dass die Iris dieses Auges sich aber bewegt, wenn das Licht auf das andere gesunde Auge einf\u00e4llt. Es folgt ferner aus Mayo\u2019s Versuchen, dass die allgemeine Sensibilit\u00e4t des Auges vom Nervus trigeminus abh\u00e4ngt, der durch Zweige des Nervus ophthalmicus die Sensibilit\u00e4t der Conjunctiva, durch die lange Wurzel des Ganglion ciliare die Sensibilit\u00e4t im innern Auge bewirkt. Die sympathischen Zweige beherrschen die Ern\u00e4hrung des Auges; wir haben schon gesehen, wie der Nervus sympathicus durch seine Verbindung mit dem Ganglion ciliare Einfluss auf die Ern\u00e4hrung des Auges hat, und nach der Zerst\u00f6rung des Ganglion cervicale supremum Augenentz\u00fcndung mit Exsudation folgt. S. oben p. 675. Die Section des Nervus trigeminus bat bei den Kaninchen, Meerschweinchen, Hunden, Katzen, nach Magknbte\u2019s Versuchen Unbeweglichkeit der Iris zur Folge; und die Pupille ist bei den Hunden und Katzen weit, eng bei den Kaninchen und Meerschweinchen. Desmo\u00fci.in\u2019s Anat. des syst. nerv. T. 2. p. 712. Hier muss eine R\u00fcckwirkung auf das Gehirn stattfinden.\nWir k\u00f6nnen uns jetzt mit der Art des Einflusses des N. ocu-lomotorius auf die Bewegung1 der Iris besch\u00e4ftigen, wor\u00fcber ich mehrere eigenth\u00fcmliche Beobachtungen gemacht habe. Der N. oculomotorius bewirkt h\u00e4ufig eine Contraction der Iris, sobald er willk\u00fchrlich th\u00e4tig oder unwillk\u00fcrlich afficirt ist. Da der N. oculomotorius von den graden Augenmuskeln nur den Rectus ex-ternus nicht versieht, so kann man also bei willk\u00fchrlicher Drehung des Auges nach aussen gewiss seyn, dass der N. oculomotorius nicht th\u00e4tig ist; bei willk\u00fchrlicher Drehung des Auges nach innen, dass der N. oculomotorius th\u00e4tig ist. Man w\u2019ird sich aber \u00fcberzeugen, dass die Pupille bei gleicher Lichtintensit\u00e4t kleiner wird, sobald das eine Auge geschlossen ist und das andere ganz nach innen gedreht wird, dass die Pupille gr\u00f6sser wird, sobald das Auge nacli Aussen gedreht wird. Hieraus geht unwiderleglich hervor, dass bei jeder willk\u00fchrlichen Bewegung des Auges, wobei der Zweig des N. oculomotorius zum innern graden Augenmuskel th\u00e4tig, die Iris mit th\u00e4tig ist, und dass sie unth\u00e4tig, die Pupille weit wird, wenn der N. abcVicens wirkt.\nWird das eine Augen nach aussen, das andere nach innen gedreht, so bemerkt man keine auffallende A er\u00e4nderung der Pupille, wegen der entgegengesetzten Bedingungen. Convergiren beide Augen stark, so ist die Verengung der Pupille am st\u00e4rksten, mag man nun einen seitlichen nahen, oder einen geraden nahen Gegenstand befrachten; je mehr die Augen dagegen parallel stehen, und die Musculi recti intern!, welche vom Nervus oculomotorius abhangen, unth\u00e4tig werden, um so weiter wird die Pupille.\nDurch den Zusammenhang der motorischen Wurzel des Ganglion ciliare mit dem N. oculomotorius kann man daher die 1>1S sympathisch willk\u00fchrlich ver\u00e4ndern, d. Ii. die Ins zieht sich von selbst zusammen, sobald die Willk\u00fchr auf den N. oculomotorius a \"","page":786},{"file":"p0787.txt","language":"de","ocr_de":"2. Von den Augenncroen,\n787\nSein wirkt. Da man nun beim^Sehen in der N\u00e4he die Augenach-scn convergivt, und die Augen mehr nach innen dreht, beim Sehen in die Ferne mehr von einander entfernt, so wird die Pupille beim Sehen in der N\u00e4he viel enger, beim Sehen in die Ferne viel weiter. Die Bewegungen der Iris bei den V\u00f6geln sind nicht gerade mehr willk\u00fchrlich als die unseren; die Pupille der V\u00f6gel wird sehr eng, wenn man auf sie zugeht und sie in Leidenschaften setzt.\nIch werde nun zeigen, dass nicht allein der schon genannte Zweig des N. oculomotorius zum Musculus rectus internus diesen sympathischen Einfluss auf die Bewegung der Iris hat, sondern auch andere Zweige, namentlich der Zweig, der zum Oblirjuus inferior geht, dasselbe thun. Der Musculus obliquus inferior rollt das Auge so, dass die Pupille nach oben und einw\u00e4rts steht. Macht man diese Bewegung willk\u00fchrlich, so wird die Pupille sehr eng. Diese Bewegung des Auges wird von selbst unwillkiihrlich im Einschlafen, im Schlaf, in der Trunkenheit und in Nervenzuf\u00e4llen ausgefiihrt; daher findet man im Schlafe die Pupille eng.\nDie im Schlafe verengerte Pupille kann sich \u00fcbrigens durch die Beizung des Lichtes noch enger zusammeuziehen, wie Hawkins bei Mayo aus Beobachtungen berichtet. Beim Erwachen wird die Pupille mit einigen unregelm\u00e4ssigen Contractionen wieder weiter.\nDie vergleichende Anatomie best\u00e4tigt im Allgemeinen die physiologischen Resultate. Die Ciliarnerven bestehen constant aus Zweigen des N.' oculomotorius und des N. nasalis; hiebei finden folgende Verschiedenheiten statt:\n1)\tZweige vom N. oculomotorius und nasalis verbinden sich, als Wurzeln zum Ganglion ciliare. Die Ciliarnerven sind theils Zweige des Ganglion, theils des N. nasalis selbst. So ist es nach Muck\u2019s und Tiedemann\u2019s ausf\u00fchrlichen und genauen Untersuchungen beim Hund, Hasen, Ochsen, Schaf, Ziege, Hirsch, Reh, Schwein, Eule, Taube, Papagey, Gans, Truthahn, Kiebitz, (Schildkr\u00f6te Bo-\nJANUS).\n2)\tDas Ganglion geh\u00f6rt zun\u00e4chst der Wurzel des N. oculomotorius an, und die Ciliarnerven des Ganglions gehen zum Theil zum Auge, und verbinden sich zum Theil schhngenf\u00f6rmig mit den Ciliarnerven des N. nasalis, die auch zum Theil allein zum Auge gehen. So ist es bei der Katze, bei Falken, Reiher, Baben, Hahn, Ente, Mcrgus und Sterna. Ich halte diesen Fall bloss f\u00fcr eine Variet\u00e4t des ersten.\n3)\tBeim Kaninchen fand Muck gar keine Verbindung der Radix N. oculomotorii und des N. nasalis, sondern beide Nerven geben einzeln f\u00fcr sich die Ciliarnerven ab. Nach Retzius liegt das Ganglion fast in der Scheide des N. oculomotorius.\n4)\tDesmoulins l\u00e4ugnet die Ciliarnerven des N. nasalis ganz beimKaninchen, Meerschweinchen und der Wasserratte, so d\u00bbss der N. oculomotorius allein Ciliarnerven abg\u00e4be. Diese Thiere, wie die Nager \u00fcberhaupt, sollen auch kein Ganglion haben (?).\n5)\tEs giebt kein Thier mit beweglicher Iris, welches nicht Ciliarnerven vom N. oculomotorius erhielte, und wo derN. nasa-","page":787},{"file":"p0788.txt","language":"de","ocr_de":"788 III. Buch. Nervcnphysik. IV. Absehn. Eigenlh. tier einz. Nerven.\nlis allein Ciliarnerven allg\u00e4be. Der N. oculomotorius bleibt immer ein Hauptnerve f\u00fcr die Ciliarnerven, so lange die Iris beweglich ist. Zwar hatten Muck und Tiedemann behauptet, beim Pferde finde weder ein Ganglion statt, noch gebe der N. oculomotorius Ciliarnerven ab, allein Retzius hat sowohl das ausserordentlich kleine Ganglion, als die Verbindung mit den zwei Wurzeln aufgefunden. Isis 1827. p. 997. So ist es auch wahrscheinlich ein\" Irrthum, wenn nach Muck beim Eichh\u00f6rnchen der N. oculomotorius nichts zu den Ciliarnerven beitragen soll.\n6)\tBei den Fischen ist die Iris fast durchg\u00e4ngig ganz unbeweglich. Muck und Tiedemann landen bei Salmo Hucbo Ciliarnerven vom N. oculomotorius und nasalis, die sieb zum Theil verbinden; beim Karpfen vom N. oculomotorius. Nach Schlemm\u2019s und d\u2019Alton\u2019s Untersuchungen und Mittheilungen an mich unterscheiden sich die Fische von den \u00fcbrigen Thieren in Hinsicht der Ciliarnerven nicht. Sie fanden in der Regel die gew\u00f6hnlichen beiden Wurzeln. Mueller\u2019s Archiv. 1837. LXXVIII.\n7)\tBei den S\u00e4ugethieren verbreitet sich der Nervus abdneens auch im Musculus suspensorius und hei den V\u00f6geln in den Muskeln der Nickhaut.\n8)\tBei den Celacecn giebt der N. trigeminus nach Rapp und Bruns auch Augenmuskel\u00e4ste, w\u00e4hrend die besonderen Augenmuskelnerven auch vorhanden sind. Dasselbe geschieht nach Schlemm und d\u2019Alton bei den Petromyzon.\n9)\tDie Petromyzon haben nach Schlemm nur zwei besondere Augenmuskelnerven, den N. oculomotorius und trochlearis, welche sich in der Augenh\u00f6hle verbinden.\n10)\tDen Myxinoiden fehlen der 3., 4. und 6. Hirnnerve mit den Augenmuskeln ganz.\nEinlluss des Gehirns auf die Augennerven. Desmoulins und Magendie berichten, dass nach Section der Pedunculi cerehelli ad pontem bei den S\u00e4ugethieren das Auge der verletzten Seite vorw\u00e4rts und abw\u00e4rts, das Auge der andern Seite aufw\u00e4rts und r\u00fcckw\u00e4rts gerichtet wird. Dasselbe Resultat fand sich nach der Section der Pons Varolii.\nNervus trigeminus.\nVon der sensibeln und motorischen Portion dieses Nerven ist schon in dem Abschnitte von den Empfindungs- und Bewegungsnerven ausf\u00fchrlich gehandelt und gezeigt worden, dass der erste und zweite Ast dieses Nerven beim Menschen bloss sensorielle Zweige abgeben, der dritte Ast aus beiden Portionen des Nerven gemischt, theils sensorielle, theils motorische Aeste ab-giebt, so dass unter die sensoriellen der Ramus alveolaris inferior, temporalis superficialis, lingualis, unter die motorischen der R\u00ae-mus massetericus, buccinatorius, temporales protundi, pterygoi-deus, mylohyoideus geh\u00f6ren.\nDieser wichtige Nerve, welcher die Empfindung am yoyye,jn und Seitentheil des Kopfes und im Kopltheil der Schleimh\u00e4u e (Conjunctiva, Nasenschleimhaut, Mundschleimhaut) unterh\u00e4lt, un","page":788},{"file":"p0789.txt","language":"de","ocr_de":"Vom Nervus trigeminus.\n78\u00bb\ndurch die Portio minor zugleich der Bewegungsnerve der Kaumuskeln ist, steht durch jeden seiner Haupt\u00e4ste mit dem N. sympathicus in Verbindung, wodurch den Zweigen dieses Nerven wahrscheinlich organische Fasern eingewebt werden.\n1)\tDie erste dieser Verbindungen ist die des N. nasociliaris mit dem Ganglion ciliare, welches einen Zweig vom N. sympa-tbicus erh\u00e4lt. Beim Ochsen sieht man leicht, dass sich auch organische Fasern in den ersten Ast des Nervus trigeminus von demjenigen Theile des N. sympathicus einmischen, der sich mit dein N. abducens verbindet.\n2)\tDie zweite ist die des zweiten Astes mit dem N. sympathicus, vermittelst des am zweiten Aste befindlichen Ganglion sphenopalatinum, grade da, wo der dem sympathischen System angeh\u00f6rende Ramus petrosus profundus n. vidiani vom caroti-schen Theile des JV. sympathicus kommend, sich mit dem zweiten Aste des Pf. trigeminus verbindet. Beim Ochsen giebt der Bamus profundus n. vidiani, deutlich vom Pf. sympathicus kommend, sowohl Fasern zum Ganglion sphenopalatinum, als viele fortlaufende Fasern zu den Zweigen des zweiten Astes. Der Bainus superficialis n. vidiani, welcher vom zweiten Ast des Pf. trigeminus zum Pf. facialis geht, scheint ganz anderer Bedeutung zu seyn, als der vom Pf. sympathicus zum zweiten Aste des Pf. trigeminus gehende sogenannte Bamus profundus n. vidiani. Ar-kold h\u00e4lt den Ramus superficialis n. vidiani f\u00fcr einen wirklichen Abgang vom zweiten Aste des N. trigeminus, und eine Beimischung zum N. facialis. Bidder leitet vom Pi. facialis durch diesen Nerven motorische Fasern f\u00fcr den zweiten Ast des N. trigeminus zu den Gaumenmuskeln ab. Bei den Schlangen giebt, wie ich sehe, ein dem N. facialis vergleichbarer Nerve einen Zweig durch den canalis vidianus, der sich in den Muskeln am Gaumen verbreitet. Bei den V\u00f6geln findet eine Verbindung des N. sympathicus durch einen dem N. vidianus \u00e4hnlichen Nerven mit dem ersten Aste in der Orbita, statt mit dem zweiten Aste des N. trigeminus statt. Schlemm.\n3)\tDie dritte Verbindung des N. sympathicus mit dem N. trigeminus ist die des dritten Astes durch das Ganglion oticum. Armold. Veber den Ohrknoten. Heidelb. 1828. Vergl. Schlemm, Fro-riep\u2019s Not. 660. Mueller, Meckel\u2019s Archiv. 1832. p. 67. IIagenbach disc/. circa musc, auris interna/: adjcctis animadoit sionihus de ganglia otico. Basil 1833. Bemdz de anastomos\u00e9 Jacobsonii et ganglia Arnoldi. Ilafn. 1833. Ueber die \u00e4ltere Geschichte dieses Knotens und seiner Nerven siehe Mueller\u2019s Archiv. 1837. p. 284. Es h\u00e4ngt mit dem Stamme des dritten Astes zusammen, und schickt organische Fasern zu den Zweigen des dritten Astes. Nach Bendz h\u00e4ngt dieser Knoten mit den vegetativen Nerven zusammen, welche von dem Ganglion cervicale supremum n. sympathici die Carotis facialis, sofort die Art. maxiilaris interna, und dann die Art. me-ningea media begleiten.\nVon dem Ganglion gehen zwei Nerven zur Trommelh\u00f6hle, uer eine geh\u00f6rt ihm selbst an, der andere ist, -wie Schlemm zeigte, zun\u00e4chst ein Zweig von dem N. pterygoideus internus. Dieser","page":789},{"file":"p0790.txt","language":"de","ocr_de":"7.90 III. Buch. Ncrvr.nphysik. TV. Ahschn. Eig\u00e7nth. der einz. Nerven.\nletztere ist der Bewegungsnerve des Musculus tensor tympani den Comi'arf.tti entdeckte, beim Kalbe tritt er durch das Ganglion oticum durch. Der andere Nerve, N. petrosus superficialis minor, welcher vom Ganglion selbst entspringt, dringt in einen eigenen Kanal des Felsenbeines, welcher vor und an der \u00e4us-sern Seite des Aditus canalis Fallopiae liegt, tritt durch diesen Kanal in die Trommelh\u00f6hle ein, und verbindet sich mit der Ja-cobsonschen Anastomose. Er giebt auch einen kleinen Ast zu dem Knie des N. facialis. Diese Anastomose, deren Hauptbogen auf dem Promontorium der Trommelh\u00f6hle liegt, verbindet den N. tympanicus ganglii otici mit dem Itainus carotieo-tympanicus n. sympathici und dem Ramus tympanicus ganglii petrosi n. glos-sopharyngei zu einer Schlinge. Der Zweig vom N. glossopharyn-geus scheint nicht von diesem Nerven zu kommen, sondern zu ihm hinzugehen, und an der Stelle des Ganglion petrosum ihm organische Fasern einzumischen.\nDieser ganze Apparat von zum Theil organischen Nervenfasern, der vorn Ganglion oticum ausgeht, scheint dazu bestimmt, dem dritten Ast des N. trigeminus, dem siebenten und neunten Nerven, organische Fasern einzumischen, und die Trommelh\u00f6hle, namentlich die Schleimhaut mit organischen Fasern zu versehen. Dagegen scheint das Ganglion oticum in keiner Beziehung zum Geh\u00f6r zu stehen. Man begreift nun bei der Menge der organischen Fasern, welche dem N. trigeminus eingewebt sind, warum die Durchschneidung des N. trigeminus in Magkndie\u2019s Versuchen die vegetativen Functionen des Auges, des Zahnfleisches, der Zunge ver\u00e4nderte (siehe oben p. 662.); auch siebt man die Neigung der Schleimh\u00e4ute des Auges, der Nase - und der Trommelh\u00f6hle zu gleichzeitigen catarrhalischen Alfectionen ein. S. oben p. 762.\nDas Ganglion maxillare am Piamns lingualis des dritten Astes des N. trigeminus gleicht darin dem Ganglion ciliare, dass es von organischen Fasern und von Faden des animalischen Nervensystems zu-' sammengesetzt wird. Von vegetativer Seite geht zu diesem Knoten nach Haller\u2019s, Bock\u2019s, Arnold\u2019s, Beobachtungen ein Faden vom Ganglion cervicale supr. n. sympathici, der mit der Gesichtsschlagader zum Ganglion maxillare gelangt. Von diesem Zweige und von der gangli\u00f6sen Masse m\u00f6gen die organischen Wirkungen des Ganglions auf die Absonderung des Speichels in der Glandula subma-xillaris abh\u00e4ngen. Ausserdem geht zu dem Knoten nach Arnold ein Zweig der an dein N. lingualis angeschlossenen Chorda tympani, w\u00e4hrend die Fortsetzung derselben im N. lingualis bleibt. Da die Chorda tympani vom N. facialis k\u00f6mmt, der ein motori-\u2019 scher Nerve ist, so mag von diesen F\u00e4den die motorische Wir-, kung der aus dem Ganglion maxillare auf den beweglichen Ductus Whartonianus (siehe oben p. 473.) ausstrahlenden F\u00e4den her-r\u00fchren. Dann gehen nach Arnold auch noch einige F\u00e4den vom N. lingualis selbst zum Ganglion maxillare ab, welche die Sensation in der Dr\u00fcse und dem Ausf\u00fchrungsgange unterhalten m\u00f6gen. So gleicht also dieser Knoten in Hinsicht seiner Wurzen von dreifacher Bedeutung dem Ganglion ciliare. Das Gang i\u00b0n","page":790},{"file":"p0791.txt","language":"de","ocr_de":"Vom Nervus trigeminus.\n791\nmaxillare giebt nach Arnold graue Faden theils an die Dr\u00fcse, tlieils an ihren Gang, theils aber auch an den N. lingualis al>.\nDie vergleichende Anatomie des N. trigeminus ist freilich noch in manches Dunkel geh\u00fcllt, doch verh\u00e4lt sich dieser Nerve hei den h\u00f6heren Thieren fast ganz so wie heim Menschen, sowohl in Hnsicht seiner Verbreitung als seiner physiologischen Eigenschaften. Er ist der Hauptgef\u00fchlsnerve des Gesichtes. So r\u00fchren nach Rapp (die Verrichtungen des f\u00fcnften Nervenpaares. Leipz. 1832. 4.) die Ernpfindungsfasern der B\u00e4lge der Tasthaare der Thiere vom N. infraorbitalis her, w\u00e4hrend die Bewegung der B\u00e4lge durch den N. facialis versehen ist.\nWo das Tastgef\u00fchl hei den Thieren in der Schnauze eine gr\u00f6ssere Rolle spielt, ist immer der N. infraorbitalis st\u00e4rker, wie hei den mit einem R\u00fcssel versehenen Thieren.\nBei den Schlangen und Eidechsen sehe ich den ersten Ast des N. trigeminus unabh\u00e4ngig vom zweiten und dritten Ast sein Ganglion bilden. Bei mehreren Thieren enth\u00e4lt der erste Ast des trigeminus Augenmuskelzweige, so hei den Cetaceen nach Rapp und Bruns, hei den Petromyzon nach Schlemm und d\u2019Alton, heim Frosch nach Volkmann. Muell. Archiv. 1837. LVII. LXXIX. 1838. 76.\nBeim Frosch geht vom Quintus ein durch die Trommelh\u00f6hle verlaufender Ast zum Zungenschlundast des Vagus oder zum Glossopharyngeus. Volkmann.\nBei den Zitterrochen wird der vordere Theil des elektrischen Organes auch von einem Aste des N. trigeminus versehen, w\u00e4hrend die Hauptnerven dieser Organe Aeste des Nervus vagus sind. Bei den Rochen geht ein Ast des Nervus trigeminus zu der Ausstrahlung der Schleimr\u00f6hren unter der Haut. Bei dem Karpfen erh\u00e4lt der N. vagus und der letzte Hirnnerve, welcher zu den Muskeln der Brustflosse geht, nach Weber\u2019s Untersuchungen auch einen Antheil vom N. trigeminus. Weber Meck\u00ebl\u2019s ^Archiv. 1827. p. 313. Auch fand Weber hei Gadus Iota einen Ast des N. trigeminus zur Kehlflosse.\nE. II. Weber hat die Entdeckung gemacht, dass mehrere Fische neben dem gew\u00f6hnlichen N. lateralis, der ein Ast des N. vagus, an der Seite des Fisches oberfl\u00e4chlich in den Rumpfmuskeln bis zum Schwanz verl\u00e4uft, auch noch einen anderen L\u00e4ngsnerven vom N. trigeminus haben. Dahin geh\u00f6ren der Wels und die. Aalraupe. Weber de aure et auditu. Lips. 1820. Meckel\u2019s Archiv 1827. p. 304. Dieser N. lateralis trigemini verbindet sich auf das innigste mit den Spinalnerven, was der N. lateralis vagi nicht thut. Bei den Fischen sind der N. vagus und trigeminus gemeiniglich die st\u00e4rksten Nerven des Gehirns, ihre Entwickelung entspricht der St\u00e4rke der Anschwellungen des verl\u00e4ngerten Markes, wo sich am Urspr\u00fcnge des N. vagus oft ein eigener Hirnlappen entwickelt; der N. trigeminus entspringt heim Karpfen von einer vordem unpaaren, heim Wels von einer seitlichen Anschwellung des kleinen Gehirns, wie Weber fand ; hei den Myxinoiden endigt der Lobus medullae oblongatae vorn ganz frei in den N. trigeminus.\nMuller\u2019s Physiologie. 1.\n51","page":791},{"file":"p0792.txt","language":"de","ocr_de":"792 III. Burh. Nervenphysik. IV.Abschn. Eigenlh. dereinz. Nerven.\nNervus facialis.\nWenngleich her N. facialis einen gewissen Antheil sensibler Fasern enth\u00e4lt (siehe oben p. 667.), so ist er doch der Hauptbewegungsnerve des Gesichtes. Sein Bereich ist der ganze Umfang der Gesichtsmuskeln, der Ohrmuskeln bis zum Musculus occipitalis, und ausserdem beherrscht er noch einige ' andere Muskeln, den Musculus biventer maxillae inf. (den hintern Bauch, der vordere ist vom N. mylohyoideus versehen), den Musculus stilohyoi-deus und den Hautmuskel des Halses. Er ist daher auch der phvsiognomische Nerve und zugleich der Athemnerve des Gesichtes, insofern er hei allen verst\u00e4rkten oder angestrengten Athem-bewegungen, besonders hei geschw\u00e4chten Menschen, initafficirt ist-Siehe oben p. 342. ln dem Grade, als bei den Thieren die Ge-siehtsmuskelnn und der physiognomische leidenschaftliche Ausdruck abnehmen, wird auch dieser Nerve kleiner. Bei den Thieren mit beweglichem Bussel ist der N. facialis sehr stark, und beim Elephanten der Ast des i\\T. facialis zum Bussel so stark, wie der N. ischiadieus des 'Menschen, w\u00e4hrend die Aeste vom f\u00fcnften Paare an das tastende Endst\u00fcck des B\u00fcssels gehen. Die beweglichen Barthaare der Thiere erhalten die Nervenf\u00e4den ihrer Muskeln von dem N. facialis, w\u00e4hrend das Gef\u00fchl der Haarb\u00e4lge von dem N. infraorhitalis abh\u00e4ngt. Bell expos, du syst. nat. des nerfs, p. 55. Vergl. Bart a. a. O. Bei den V\u00f6geln hat der N. facialis als pbysiogno-mischer Nerve aufgeh\u00f6rt. Nur hei mehreren V\u00f6geln mit beweglichen Ohrfedern, und zur Aufrichtung der Halsfedern durch den Halsmuskel ist er physiognomisch noch von Bedeutung, und der Weg zum Ausdrucke der Leidenschaften; sonst verbreitet er sich nur mehr in den Muskeln, die er heim Menschen ausser den Gesichtsmuskeln versieht, den Muskeln, welche die Kinnlade abziehen und das Zungenbein erheben, und im Hautmuskel des Halses. Bewegungsnerve ist er immer noch, so weit er da ist, und es ist wohl ein Missverst\u00e4ndnis!, wenn Tkevirakus an diesem Nerven zeigen zu k\u00f6nnen glaubt, dass ein Nerve seine Function ver\u00e4ndern k\u00f6nne, indem seine Bewegungsfunction hei den V\u00f6geln fast ganz aufh\u00f6re. Vielmehr ist er bei den V\u00f6geln, wie hei den Menschen, immer noch eigentlicher Muskelnerve. Bei den Schildkr\u00f6ten gleicht seine Verbreitung derjenigen der V\u00f6gel. Bei den Schlangen und Eidechsen geht, wie ich sehe, dicht hinter dem dritten Ast des trigeminus ein besonderer Nerve, dem facialis vergleichbar nach aussen. Er giebt einen Ast an den N. vagus nach r\u00fcckw\u00e4rts und empf\u00e4ngt einen dem N. vidianus vergleichbaren Ast durch einen Knochenkanal der Basis, welcher mit dem zweiten Ast des trigeminus in Verbindung steht. Der Stamm des facialis verbreitet sich-in dem Muskel zwischen Quadratbein und Unterkiefer, welcher den Unterkiefer abzieht und hei den Eidechsen im Hautmuskel.\nBei den Fr\u00f6schen geht nach Yoi.kmakh ein dem N. facialis vergleichbarer Nerve zu dem Ganglion n. trigemini, setzt sich aber sofort weiter als Trommelh\u00f6hlenast des Quint\u00fcs in den Kehlast des vagus fort. Der Kehlast ist ein Zweig des Zungenschlnnd-astes (glossopharyngeus). Diese Verbindung kann man mit der","page":792},{"file":"p0793.txt","language":"de","ocr_de":"793\nVom Nervus facialis und glossopharyngeus.\nzuweilen beim Menschen vorkommenden Verbindung zwischen facialis und glossopharyngeus vergleichen.\nBei den Knochenfischen ist der N. facialis kein besonderer Nerve, sondern wahrscheinlich im Quintus enthalten, ramus oper-cularis n. trigemini.\nBei den Plagiostomen isolirt sich ein analoger Nerve und hei den Cyclostomen ist der N. facialis ein besonderer Hirnnerve, wie Born, Schlemm und- d\u2019Alton von den Petromyzon und ich von den Myxinoiden gezeigt haben.\nDie heim Menschen und den S\u00e4ugethieren vorkommende Verbindung des N. facialis und des N. lingualis vermittels der durch die Trommelh\u00f6hle durchtretenden Chorda tympani ist v\u00f6llig r\u00e4thselhaft. Cloquet und Hirzel behaupten, dass der N. petrosus superficialis n. vidiani, welcher vom zweiten Aste des N. trigeminus zum Knie des N. facialis geht, sich bloss an den N. facialis anlege, in dessen Scheide liegend, und als Chorda tympani von ihm wieder ahtrete, um zum N. lingualis zu gelangen. Nach Arnold\u2019s Untersuchungen ist diese Behauptung indess ungegr\u00fcndet, indem es ohne gewaltsame Trennung nicht m\u00f6glich ist, eine solche Anordnung zu erhalten. Nach. Varrentrapp (observ. anat. de parte cephalica n. symp. Franco/. 1831.), verl\u00e4uft der N. petrosus superficialis, nachdem er zum N. facialis getreten, nicht neben ihm, sondern er geht zum Theil in ihn \u00fcber, so zwar, dass nur ein Theil \u00fcber das Knie des N. facialis weggeht, ohne sich fest zu verbinden. Dieser Fortsatz w\u00e4re nach Varrentrapp schon als Chorda tympani zu betrachten. Der Stamm der Chorda tympani l\u00e4sst sich nach Varrentrapp am N. lingualis bis in die N\u00e4he des Ganglion maxillare verfolgen, wo er sich in zwei Zweige theilt, wovon der eine in das Ganglion maxillare \u00fcbergeht, der andere in dem N. lingualis weiter hingeht. Nach Arnold (Vopf-theil des vegetal. Nervensystems. Heidelb. 1831, p. 119.) verl\u00e4uft die Chorda tympani in der Scheide des N. lingualis, geht sehr h\u00e4ufig mit demselben sogleich Verbindungen ein, und theilt sich endlich in zwei F\u00e4den, einen schwachem, der sich in das Ganglion maxillare einsenkt, und einen st\u00e4rkern, der sich in dem N. lingualis verliert. Da die Zweige des Ganglion maxillare sich nicht bloss in der Glandula submaxillaris, sondern auch auf ihrem Ausf\u00fchrungsgange verbreiten, wie Arnold sah, so ist es nach meiner Meinung f\u00fcr jetzt am meisten gerechtfertigt, die Bewegung des Ausf\u00fchrungsganges (siehe oben p. 473.) von diesen von dem motorischen N. facialis kommenden Nervenf\u00e4den der Chorda tympani abzuleiten. Eine mir nicht wahrscheinliche Erkl\u00e4rung dieser Verbindung hat Arnold (a. a. O. p. 183.) gegeben. Im Allgemeinen hat Arnold selbst schon auf die Beziehung des Ganglion maxillare auf die Bewegungen des Ductus Wbartonianus aufmerksam gemacht.\nNervus glossopharyngeus.\nUeber die Stellung des N. glossopharyngeus im System der Nerven ist schon im dritten Abschnitt p. 662. gebandelt worden.\n51 *","page":793},{"file":"p0794.txt","language":"de","ocr_de":"791 III. B .ich. Nervenohysik. IV. Ahschn. Eigenf It, der einz. Nerven.\nEs geh\u00f6rt dieser Nerve unter die gemischten, welche sensorielle und motorische Fasern enthalten. Diess ergiebt sich theils aus dem von mir an einem Theil der Wurzel des N. glossopharyn-geus beobachteten Ganglion (siehe oben p. 614.), theils aus seiner Verbreitung in empfindlichen Theilen, am hintern Theil des Zun-genr\u00fcckens, in den Papillae valiatae, und'in den Mandeln und in beweglichen Theilen, im Schlunde. Vergl. p. 662. Ob dieser Nerve auch dem Geschmack bestimmte Fasern enth\u00e4lt, ist noch zweifelhaft. Der Umstand, dass der Nervus gustatorius der V\u00f6gel und einiger Amphibien ein Ast des Nervus glossopharyngeus zu seyn scheint, spricht daf\u00fcr. Beim Frosch ist sogar der N. gustatorius ein Ast des N. vagus. Wir wissen \u00fcberhaupt nicht, wie weit sich der Geschmack ausdehnt. Die Empfindungen des Ekels, welche im Schlunde vorz\u00fcglich ihren Sitz haben, haben viele Aebnlichkeit mit Geschmacksempfindungen ; von ihnen ist es auch wieder zweifelhaft, oh sie in dem Schlundaste des N. vagus oder des N. glossopharyngeus entstehen.\nDer Ramus tympanicus des N. glossopharyngeus muss wahrscheinlich alsein vom N. sympathicus zum N. glossopharyngeus gehender Ast betrachtet werden, wie oben p 616,7.90. gezeigt wurde. Von dieser Verbindung in der Trommelh\u00f6hle oder der Jacobson-schen Anastomose, und der Verbindung mit dem Ganglion oticum ist schon oben p. 790. gehandelt. Ueber analoge Nerven bei V\u00f6geln siehe Webp.r anat. comp. n. symp. p. 26. 38. Breschet in Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anat. und Physiol. 1834. p, 16. Der N. glossopharyngeus der V\u00f6gel verbindet sich durch einen Ast mit dem N. vagus, und verbreitet sich zuletzt in der Zunge, deren Geschmacksnerve er nach Weber ist, und mit einem zweiten Aste theils am ohern Kehlkopf, theils herabsteigend an der Speiser\u00f6hre. BiscHOFF beschreibt auch hei Iguana einen zur Zunge gehenden N. glossopharyngeus. Bei den Klapperschlangen geht der N. glossopharyngeus, wie ich sehe, ganz in den N. vagus \u00fcber, der auch einen Zungenast giebt. Bei den Fr\u00f6schen kann man nur den Zungenschlundast des vagus dem glossopharyngeus vergleichen. Volkmann. Bei den Fischen hat man einen vordem Ast des N. vagus, der beim Karpfen, wie die \u00fcbrigen Kiemen\u00e4ste des N. vagus mit einem Ganglion versehen ist, aber durch ein besonderes Sch\u00e4delloch durchgeht-, und sich im ersten Kiemenbogen, aber auch auf der Zunge bis zur Haut in der N\u00e4he der Mund\u00f6ffnung verzweigt, Nervus glossopharyngeus genannt. Man sieht deutlich aus diesen Variet\u00e4ten, wie auch aus dem Mangel des N. accessorius bei den Fischen, dass der N. vagus, glossopharyngeus und accessorius nur ein gemeinsames System bilden, dessen Zertheilung in den Thierklassen sehr varii-ren kann.\nNerv u $ vag u s.\nDieser gemischte Nerve, der seinen motorischen Einfluss gros-sentheils wahrscheinlich von seiner Verbindung mit dem innern Aste des N. accessorius erh\u00e4lt (siehe oben p. 663.), verbreitet sich","page":794},{"file":"p0795.txt","language":"de","ocr_de":"Vom Nervus vagus.\n795\nconstant in den Stimm- und Athemwerkzeugeu, dem Schlunde und dem Magen. Sein sensorieller Einfluss erstreckt sich \u00fcber alle diese Theile; durch einen durch das Felsenbein gehenden Ramus auricularis dehnt sieh sein sensorieller Einfluss auch selbst noch auf das \u00e4ussere Ohr aus, ja durch die Verbindung des Ramus auricularis N. vagi mit dem N. facialis innerhalb des Felsenbeines ertheilt er dem N. facialis wahrscheinlich seine Empfindlichkeit. S. p. 669. Von dem N. vagus sind die Empfindungen des Hungers und der S\u00e4ttigung, und die mannichfaltigen Gef\u00fchle, welche das gesunde und kranke Athmen begleiten, abh\u00e4ngig. Nach Br\u00e4chet soll die Empfindung des Hungers nach Durchschneidung dieses Nerven aufh\u00f6ren. Recherches sur les fonctions du syst, ganglionairc. Paris 1830. p. 179. Bei einem Kinde mit doppeltem Kopfe und Brust und einfachem Unterleib, war der eine Theil nicht ges\u00e4ttigt, wenn der andere getrunken hatte, wahrscheinlich, weil der Magen doppelt war. Ebend. p. 183. Die zugleich motorischen Aeste des N. vagus sind der N. pha-ryngeus und die N. laryngei.\nDurch die Durchschneidung des N. laryngeus inferior, oder des N. vagus am Halse auf beiden Seiten wird die Bewegung der kleinen Kehlkopfmuskeln unvollkommen gel\u00e4hmt ; die Stimme verschwindet, aber sie erscheint nach einigen Tagen wieder, weil der N. laryngeus superior seinen Einfluss noch aus\u00fcbt. Dass der N. laryngeus superior sich bloss in den Muskeln verbreite, welche die Stimmritze verengern, der N. laryngeus inferior in denen, welche die Stimmritze erweitern, wie Magendie behauptet, hat sich nach Schlemm\u2019s Untersuchungen nicht best\u00e4tigt. Auf den Magen hat der N. vagus keinen motorischen Einfluss; und man kann durch Galvanisiren und mechanische Reizung desselben am Halse keine Bewegungen des Magens hervorbringen, wie die Versuche von Magendie, Mayo und mir beweisen. Siehe oben p. 505. Der N. vagus enth\u00e4lt viele organische Fasern vom N. sympathicus, welche theils den Stamm, theils die Aeste desselben vom N. sympathicus aufnehmen. Von diesen Einmischungen r\u00fchrt wahrscheinlich der organisch-chemische Einfluss dieses Nerven her.\nDer chemische Process der Respiration und der Schleimabsonderung in den Lungen h\u00e4ngt zum Theil von diesem Nerven ah; wenigstens entstehen nach Durchschneidung des N. vagus am Halse Blutaustretungen in den Lungen, und wenn auch de'r chemische Process der Respiration anfangs nicht wesentlich gest\u00f6rt wird, so sterben doch die Thiere innerhalb einiger Tage, und V\u00f6gel leben h\u00f6chstens bis zum 5.\u20148. Tage. Siehe oben p. 347. Auch die Absonderung des Magensaftes wird von den organischen Wirkungen des N. vagus beherrscht. Nach Durchschneidung des N. vagus am Halse wird die Absonderung des Magensaftes zwar nicht ganz aufgehoben, aber vermindert (siehe oben p. 550.), und eben so ist es mit der Verdauung, die bei l\u00e4nger lebenden V\u00f6geln ganz evident, aber viel langsamer vollbracht wird. Dass die vom N. vagus abh\u00e4ngigen chemischen Processe in den Lungen und im Magen nach der Durchschneidung dieses Nerven am","page":795},{"file":"p0796.txt","language":"de","ocr_de":"7.96 III. Huch. Nervenphysik. IV.Ah.ichn. Eigenth. der einz. Nerven.\nliaise aut beiden Seiten nicht sogleich und ganz aufh\u00f6ren, erkl\u00e4rt sich hinreichend daraus, dass der N. vagus seine organischen Fasern nicht bloss in seinem obern Stamme enth\u00e4lt, sondern dass auch der untere Theil desselben noch viele Verbindungen mit dem N. sympathicus eingebt, welche durch die Durchschneidung des N. vagus am Halse nicht gel\u00e4hmt werden k\u00f6nnen.\nDie Schleimabsonderung in den Athemorganen scheint \u00fcberall unter der Einwirkung der dem N. vagus beigemischten organischen Fasern zu geschehen, und daher nimmt wahrscheinlich auch der N. laryngeus inferior bei seiner Umbiegung nach aufw\u00e4rts so bedeutende Verbindungen von dem N. sympathicus auf.\nVach Durchschneidung des N. vagus auf beiden Seiten ist die Aufsaugung der Fl\u00fcssigkeiten oder ihnen beigemischter fremdartiger Stolle, Gifte etc. im Magen nicht aufgehoben. Die von Dupuy und Br\u00e4chet angestellten Versuche, nach denen die Aufsaugung der Gifte im Magen nach jener Operation aufgehoben seyn soll, sind offenbar nicht richtig, und werden durch die von mir und Anderen angestellten Versuche vollkommen widerlegt, nach welchen diese Operation nicht im geringsten den Erfolg ver\u00e4ndert. Siehe oben p. 245. Die Durchschneidung des V. vagus auf beiden Seiten des Halses t\u00f6dtet zwar in den n\u00e4chsten Tagen, indessen ist diese Operation nicht t\u00f6dtlich, wenn sie bloss auf einer Seite vorgenommen , oder wenn sie auf der andern nach so grosser Zwischenzeit angestellt wird, dass der erst durchschnittene Nerve wieder vollst\u00e4ndig verheilt ist. Siehe oben p. 411.\nln vergleichend anatomischer und physiologischer Hinsicht bietet der N. vagus viele Merkw\u00fcrdigkeiten dar.\n1)\tBei den V\u00f6geln und beschuppten Amphibien, wo der N. accessorius mit dem Stamme des N. vagus verschmilzt, giebt der N. vagus auch einen Ast oder mehrere Aeste zu den Halsmuskeln. Bischoff, n. accessorii analomia etphysiologia. Heidelb. 1832. p. 41. 45.\n2)\tBei den Fr\u00f6schen geht aus dem Ganglion n. vagi ein Ast zu den Kiefermuskeln, Weber anat. comp. n. symp. 44. Es ist der Kehlast von Volkmann , der sich theils in den Zungenbeinmuskeln, theils in den Kiefermuskeln verbreitet. Sein motorischer Einfluss k\u00f6mmt, wie Volkmann zeigte, von dem Ast des facialis, der in ihn \u00fcbergeht.\n\u20223) Bei den Fr\u00f6schen giebt der N. vagus auch einen Ramus Jingualis, welcher wahrscheinlich den sensoriellen Ramus lingualis n. trigemini ersetzt; w\u00e4hrend der gew\u00f6hnliche motorische Ast vom N. hypoglossus vorhanden ist. Weber. Dieser Ast bewirkt in der That, wie Volkmann zeigt, keine Zuckungen in der Zunge. Auch bei den Schlangen und Crocodile\u00bb ist der Ramus lingualis n. vagi vorhanden. Bisch\u00f6fe beschreibt auch einen Ast des N. vagus beim Crocodil zu den Muskeln'des Zungenbeines, a. a. O. p. 45. Er ist auch bei den Schlangen und Eidechsen vorhanden.\n4) Der N. recurrens k\u00f6mmt noch bei den S\u00e4ugethieren, V\u00f6geln und Amphibien vor. Weber hat gezeigt, dass auch beim Frosch ein Ast des N. vagus einen zur\u00fccklaufenden Zweig taxa","page":796},{"file":"p0797.txt","language":"de","ocr_de":"Vom Nervus vagus.\n797\nKehlkopfe giebt. Aaat. n. sympath. p. 46. Der Kehlkopf der V\u00f6gel erh\u00e4lt einen Ast vom neunten Ne-rven, die Luftr\u00f6hre und der untere Kehlkopf der V\u00f6gel erhalten Zweige vorn N. vagus, aber die langen Muskeln, welche bei vielen V\u00f6geln die Luftr\u00f6hre verk\u00fcrzen, erhalten Zweige von einem besondern Ramus descendons n. bypoglossi. Siehe oben p. 340.\n5)\tBeim Frosch giebt der N. vagus auch einen Hautast f\u00fcr die Gegend hinter dem Ohr. Volkmann.\n6)\tBei den Fischen giebt der Nervus vagus die Kiemennerven, einen Ramus intestinalis f\u00fcr Schlund und Magen, bei dem Zitterrochen und dem Zitterwels auch die Nerven des elektrischen Organes (siehe oben p. 66.), beim Karpfen auch den Zahnnerven f\u00fcr die Gaumenkn\u00f6chenz\u00e4hne, und bei allen Fischen den N. lateralis.\nDer N. vagus der Fische vermehrt seine Substanz offenbar in dem Ganglion desselben, so dass die Aeste zusammen vielmal dicker als die Wurzeln, ja sogar einzelne Aeste st\u00e4rker als die Wurzeln sind. In dem Ganglion scheinen die Primitivfasern der Wurzeln durch Theilung und Multiplication die Substanzvermehrung zu bilden, so dass viele Primitiv fasern der Aeste durch eine Primitivfaser der Wurzel vertreten sind. Beim Zander und beim Wels bilden alle Aeste zusammen ein Ganglion, beim Karpfen nur die Kiemennerven einzelne Ganglien, wobei sich die Substanz vermehrt. VVbber anat. corr.p. n. sympath. p. 62. p. 66. Meckel\u2019s Archiv 1827. Tab. IV. Fig. 25. 26.\n7)\tEiner der merkw\u00fcrdigsten Aeste des N. vagus bei den Fischen ist der Nerve der Seitenlinie, welcher zwischen den Muskeln nicht fern von der Haut bis zum Schw\u00e4nze hingeht, und Zweige den Muskeln (?) und der Haut giebt. Desmoulins behauptet, dass dieser Nerve nicht wohl sensibel sey. Allein er ist sicher nicht motorisch, wenn er sich in Muskeln auch verzweigt; denn mit einer Batterie von 40 Plattenpaaren konnte ich beim Karpfen durch Galvanisiren des Nerven seihst keine Zuckungen in den Muskeln erregen. Van Deen hat diesen Nerven auch bei den Froschlarven, und als einen bleibenden Nerven beim Proteus anguinus entdeckt. Mueller\u2019s Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie 1834. p. 477. Mayer fand den Nerven auch bei Meno-poma, Krohn bei den Tritonen. Der kurze Hautast des N. vagus der Fr\u00f6sche scheint das Analogon oder der Rest dieses Nerven zu seyn. Man hat mit diesem Nerven den N. accessorius verglichen; allein ich glaube, dass nur der Ramus auricularis N. vao'i des Menschen und der S\u00e4ugethiere ihm verglichen werden kann. Siehe Archiv 1837. LXXVI. Der N. lateralis der Petro-myzon wird gerade so gebildet, wie der Ramus auricularis n. vagi aus dem N. vagus und facialis. Da der N. facialis der Knochenfische im trigeminus eingeschlossen ist, so erkl\u00e4rt sich die Concurrenz des trigeminus zur Bildung des N. lateralis bei vielen Fischen. Bei Jen Cvprinen geht ein Ast des N. trigeminus schon in der Sch\u00e4delh\u00f6hle in den vagus \u00fcber zur Zusammensetzung des N. lateralis. Buechner. Bei Gymnotus electricus findet die Concurrenz ausser dem Sch\u00e4del statt. Beim Wels und der Aalraupe land Weber","page":797},{"file":"p0798.txt","language":"de","ocr_de":"798 III. Buch. Neroenphysik. III.Abschn. Eigenth. der einz. Nerven.\nden doppelten Seitennerven vom JN. trigeminus und vagus. Interessant ist die Beobachtung von Swan, dass bei Gadus inorhua ein mit einem Zweig desN. vagus verbundener Ast des Quintus 2 Rumpfnerven abgiebt, wovon der eine am R\u00fccken \u00fcber der Wirbels\u00e4ule an der Basis der Flossen, der andere an der Bauchseite des Schwanzes bis zur Schwanzflosse hingeht. Beide verbinden sich mit den Spinalnerven, der eine mit den aufsteigenden, der andere mit den absteigenden Aesten. Es findet also, wie im Knochensystem und in der Anordnung der Muskeln, so auch in der Configuration des Nervensystems eine Symmetrie zwischen der obern und untern Schwanzh\u00e4lfte statt. Ausser diesen 2 Seitennerven vomN.trigeminus gieht es auch noch 2 Rumpf\u00e4ste desN. vagus, welche \u00fcber den Muskeln zum hinfern Ende des K\u00f6rpers gehen. Illustrations of th\u00e9 comp. anal, of the nerv. syst. Lond. 1835. Der Igel besitzt nach Rarkow einen seitlichen Rumpfnerven f\u00fcr die Haut und die Muskeln, aber er entspringt aus blossen Spinalnerven, n\u00e4mlich den untersten Cervical- und ersten Dorsalnerven.\n8)\tSehr merkw\u00fcrdig sind die Aeste des N. vagus zu dem contractilen Gaumenorgan der Cyprinen, Siehe Meckel\u2019s Archiv. 1827. 309. Weber hat zuerst entdeckt, dass diess Organ eine h\u00f6chst merkw\u00fcrdige Contractihf\u00e4t besitzt; denn wenn man dasselbe mit einem spitzigen K\u00f6rper sticht oder dr\u00fcckt, so erbebt sieb die gereizte Stelle sogleich in Gestalt eines kegelf\u00f6rmigen H\u00fcgels, dessen Spitze der gereizte Punkt ist, bleibt einige Secun-den erhoben und senkt sicli hierauf wieder; dabei sieht man keine Ver\u00e4nderung der Farbe, die auf ein Zustr\u00f6men von Blut deuten k\u00f6nnte. Ich halte diess Organ nicht f\u00fcr ein Geschmacksorgan, sondern f\u00fcr einen eigcnth\u00fcmlichen contractilen Schlingapparat. Das Organ kann sich in jeder Richtung zusammenzie-hen, und es entstehen kegelf\u00f6rmige, lineare oder breite Erhebungen, je nachdem man mit einem spitzen K\u00f6rper aufdr\u00fcckt oder Striche macht, oder mehr auf die ganze Fl\u00e4che zugleich wirkt. Wenn ich die Pole einer S\u00e4ule von 40 Plattenpaaren auf das Organ anwandte, entstanden die heftigsten Zuckungen, und die Richtung der Bewegung wurde immer durch den Strom bestimmt; das Organ kann ganz zu einem Klumpen in der Mitte anschwel-len (und so wirkt es wahrscheinlich beim Schlingen) oder in jeder Richtung Zusammenziehungen bewirken, die auch sogleich erfolgen, wenn man das Organ ausdehnt. Im letzten Falle erfolgt die Zuckung in der Richtung der Ausdehnung. Ob diess Organ willk\u00fchrlich beweglich ist, ist nicht auszumitteln. Das Contractile an dem Organe ist nur die 1 \\ Linien dicke Oberfl\u00e4che, in der Tiefe liegt eine fettige Unterlage, welche nicht contractil ist.\n9)\tBeim Wels und Karpfen gieht der N. vagus auch Zweige zur Brustflosse. Weber.\n10)\tE. H. Weber hat darauf aufmerksam gemacht, dass der N. vagus in einem Wechselverh\u00e4ltniss zu dem N. sympathicus sieht. Bei den Schlangen ist z. B. der N. sympathicus ausserordentlich wenig entwickelt, dagegen der Ramus intestinalis Nervi vagi um so st\u00e4rker; bei den Fr\u00f6schen ist es umgkehrt. Auch bei den Fischen sind die Intestinal\u00e4ste des Nervus vagus sehr","page":798},{"file":"p0799.txt","language":"de","ocr_de":"799\nVom Nervus accessorius Willisii und hypoglossus.\nstark und bei den Myxinoiden geht der Ramus intestinalis n. vagi, aus der Verbindung beider vagi entstanden, nach meinen Beobachtungen bis zum After, w\u00e4hrend der N. sympathicus fehlt.\nNervus accessorius Willis;;.\nUeber das Verh\u00e4ltniss dieses Nerven zum N. vagus, in Beziehung auf die motorische Eigenschaft des N. vagus, ist schon oben p. 662. gehandelt worden. Dieser Nerve k\u00f6mmt nur bei den S.\u00e4ugethieren, V\u00f6geln und Amphibien, nicht bei den Fischen vor. Bei den V\u00f6geln und Amphibien verh\u00e4lt er sich fast als eine Wurzel des N. vagus, indem er ganz in denselben \u00fcbergeht, der hinwieder einen Ast in die Halsmuskeln ahgiebt, weicher dem N. accessorius der S\u00e4ugetbiere zu entsprechen scheint. Siehe das N\u00e4here in Bischoff nervi accessorii Willisii analomia et physiologia. lleidelb. 1832. Der Bereich des N. accessorius der S\u00e4ugethiere, so weit er sich nicht mit dem N. vagus verbindet, ist der Mus-culus sternocleidomastoideus und cucullaris. Die Ursache des sonderbaren Ursprungs und Verlaufs dieses Nerven kennt man nicht genau. Wahrscheinlich ist sie die, dass der sogleich nach dem Austritt des vagus abgehende Schlundast Fasern vom fast ganzen Halstheil des R\u00fcckenmarkes erhalte. Auch andere Nerven erhalten sehr ausgedehnte Urspr\u00fcnge; der Ramus descendons hypoglossi entspringt vom hypoglossus und den oberen Halsnerven. Der Unterschied liegt also nur darin, dass beim accessorius die Zusammensetzung des Nerven schon innerhalb des R\u00fcckgrats geschieht, w\u00e4hrend bei anderen Nerven dieselbe Zusammensetzung erst ausserhalb des R\u00fcckgrats erfolgt.\nNervus hypoglossus.\nDie Stelle dieses im Wesentlichen motorischen, aber zugleich mit empfindlichen Fasern begabten Nerven im System, welcher in einigen S\u00e4ugethieren nach Mayer\u2019s Entdeckung selbst eine feine hintere, mit einem Ganglion versehene Wurzel hat, ist schon im dritten Abschnitt p. 665. bestimmt worden. Er ist der motorische Nerve der Zunge, bei allen Bewegungen dieses Organes zum Sprechen, K\u00e4uen, Schlingen u. s. w. Die Zerrung desselben' bei Thieren bewirkt heftige Zuckungen der Zunge. Er ist aber auch der Bewegungsnerve der grossen Muskeln des Kehlkopfes und Zungenbeines, des Musculus geniohyoideus, hyothy-reoideus, omohyoideus, sternothyreoideus, sternohyoideus.\nFolgende, von Montault in der Academie de M\u00e9decine vorgetragene Beobachtung ist f\u00fcr die Physiologie des N. hypoglossus von Wichtigkeit. Nach einem Fall auf das Genick entstand Spannung und Zittern der Muskeln des Halses, heftige Schmerzen an der linken Seite des Kopfes und Halses und beschwerliches Sprechen. Die Zunge wurde allm\u00e4hlig verkleinert, vorz\u00fcglich an der linken Seite atrophisch, und beim Ausstrecken nach der rechten Seite hingezogen. Der Geschmack war auf beiden","page":799},{"file":"p0800.txt","language":"de","ocr_de":"800 III. Buch. Nervcnphysik. IV.Abschn. Eigenth. der einz. Nerven.\nSeiten der Zunge vorhanden. Sp\u00e4ter entstand eine kleine Geschwulst hinter dem Zitzenfortsatze, das Schlucken wurde beschwerlich, Schluchzen, Aphonie und Erbrechen kamen hinzu, zuletzt epileptische Anf\u00e4lle. Bei der Section fand sich zwischen der linken Hinterhauptsgrube, der linken Hemisph\u00e4re des kleinen Gehirns und der Medulla oblongata eine hydatid\u00f6se Geschwulst, worin eine Menge Hyatiden. Diese Cyste hob die linke Hemisph\u00e4re des kleinen Gehirn; auf, uud dr\u00e4ngte die Medulla oblongata etwas nach rechts; sie drang, innerhalb der Arachnoidea gelegen, einige Linien tief in den R\u00fcckgratskanal, und war zugleich in das Foramen condyloideum anterius eingesenkt. Von der Basis der Cyste ging eine Verl\u00e4ngerung durch die vordere Portion des Foramen lacerum sinistrum nach aussen unter das obere Ende des Musculus complexus und sternocleidomastoideus. Innerhalb der Sch\u00e4delh\u00f6hle waren die betheiligten Nerven gesund, vom Austritt aus dem Cranium an war der linke Hypoglossus atrophisch bis zur Zunge, auch der N. glossopharyngeus, nicht aber der Vagus und Accessorius. Die Muskeln der Zunge und des Gaumensegels aut der linken Seite, und das linke Stimmband wurden atrophisch gefunden. Dieser Fall zeigt, dass der N. lin-gualis Geschmacksnerve der Zunge ist, und dass die L\u00e4hmung und Atrophie der Zunge von der Atrophie des N. glossopharyn-geu\\ und hypoglossus abhing. Er w'ar von Dupuytren richtig diagnosticirt worden, welcher voraussagte, dass der N. hypoglossus, und zwar von seinem Austritt aus der Sch\u00e4delh\u00f6hle an, krankhaft ver\u00e4ndert sey, weil bei einem Leiden dieses Nerven an seinem Urspr\u00fcnge, Paralyse der Gliedmassen vorhanden seyn musste. Mueller\u2019s Archiv j\u00fcr Anatomie und Physiol. 1834. p. 130.\nBei den V\u00f6geln verbreitet sich der N. hypoglossus, nachdem er sich durch einen Zweig mit dem N. vagus verbunden, haupts\u00e4chlich mit zwei Aesten, mit dem einen in den Zungenheinmuskeln, mit dem andern an der Seite der Speiser\u00f6hre. Weber anal. comp. n. symp. p. 40. Wir haben auch beim Truthahn einen langen herabsteigenden Zweig an dem langen Muskel beobachtet, welcher die Luftr\u00f6hre verk\u00fcrzt. Siehe oben p. 340. Zu den Muskeln der Zunge haben auch Bojanus und Bischoff, jener bei der Schildkr\u00f6te, dieser bei Iguana, den N. hypoglossus treten gesehen. Bei der Klapperschlange sehe ich einen feinen Hypoglossus durch eine besondere Oeffnung hinter dem Vagus austreten und nach einer Verbindung mit dem ersten Halsnerven ganz in den Vagus \u00fcbergehen. Bei den Fr\u00f6schen wird der dem Hypoglossus entsprechende Nerve zur Zunge vom ersten Halsnerven abgegeben. Man begreift diess Verhalten daraus, dass auch der Hypoglossus des Menschen sich mit den ersten Halsnerven verbindet. Bei den Fischen fand E. H. Weber einen letzten Hirnnerven, der mit drei AVurzeln, einer hintern gangli\u00f6sen entspringt und durch ein besonderes Sch\u00e4delloch durchgehend, zu den Muskeln der Brustflosse geht. Beim Karpfen verbindet sich die gangli\u00f6se Wurzel mit einer Wurzel vom N. trigeminus. Vergl. Bisch\u00f6fe a. a. O. p. 4SI. Dieser Nerve giebt nachBuECH-ner auch Zweige zum Musculus sternohvoideus und ist der Hypo-","page":800},{"file":"p0801.txt","language":"de","ocr_de":"Vom Nervus hypoglossus.\nSOI\nglossus; er scheint bei den Fischen allgemein za seyn; aber er geht nicht immer durch das Hinterhauptsbein selbst, sondern beim Hecht und hei Perca hinter diesem aus.\nBedenkt man, dass der N. spinalis primus des Menschen zuweilen nur eine vordere Wurzel hat, dass der N. hypoglossus des Menschen nur eine vordere, bei einigen S\u00e4ugethieren aber zugleich eine hintere Wurzel hat, so tritt der N. hypoglossus ganz in die Kategorie der Spinalnerven, und ist gleichsam der erste Spinalnerve, der aber meist noch durch den Sch\u00e4del heraustritt. Hierdurch wird die Analogie des letzten Hirnnerven der Fische mit dem N. hypoglossus noch gr\u00f6sser.\nNach dieser Uebersicht der bei den Thieren vorkommenden Verschiedenheiten in der Anlage der Hirnnerven werfen wir einen Blick auf das System der Hirnnerven, in wie weit es auf einen gewissen Grundtypus gebracht werden kann. Die leitende Idee ist hier die von primitiven und von abgeleiteten Hirnnerven, welche zuerst Meckel ausgesprochen hat. Primitive Hirnnerven sind theils die 3 reinen Sinnesnerven olfactorius, opticus, acusti-cus, theils die gemischten oder doppelt wurzeligen Hirnnerven, welche nach dem Typus der Spinalnerven gebildet sind und welche man Vertebralnerven des Kopfes nennen kann. Abgeleitete Hirnnerven sind solche, welche durch Abl\u00f6sung eines Theils der Fasern von der Wurzel eines Hirnnerven entstehen oder mit anderen Hauptwirbelnerven verschmolzen seyn k\u00f6nnen. Meckel hat die im Allgemeinen richtige Idee nicht gut ausgef\u00fchrt. Besser wurde sie von Arnold angewandt, welcher 2 Vertebralnerven des Kopfes annahm, wovon der erste der Trigeminus ist, mit den Augenmuskelnerven und dem Facialis, die zur motorischen Portion jenes Nerven geh\u00f6rend angesehen wurden. Zum zweiten geh\u00f6ren der Vagus, Accessorius, Glossopharyngeus,' Hypoglossus. Vergl. Buechner m\u00e9m. de soc. d\u2019hist. not. de Strasb. T. II. lior. 2. Mueller\u2019s Archiv. 1837. LXXIV. Nach meiner Meinung giebt es 3 Wirbelnerven des Sch\u00e4dels, wie 3 Wirbel desselben. Der erste ist der Trigeminus, der zweite der Vagus cum N. glossopharyngeo et accessorio, der dritte der Hypoglossus. Die Augenmuskelnerven sind abgeleitete Nerven und sind als motorische Portion des ersten Astes des trigeminus anzusehen. Bei den Cetaceen giebt der erste Ast des Trigeminus schon Augenmuskel\u00e4ste ab, w\u00e4hrend die gew\u00f6hnlichen Augenmuskelnerven auch vorhanden sind. Beim Frosch geht der N. abducens ins Ganglion Gasseri \u00fcber, wie Volkmann zeigt, und der Trigeminus giebt daher Augenmuskelzweige. Bei den Petromvzon fehlt einer der 3 Augenmuskelnerven ganz, wahrscheinlich der Abducens und der Trigeminus giebt auch Augenmuskelnerven, wie Schlemm und d\u2019Alton zeigten.\nDer N. facialis ist jedenfalls abgeleiteter Nerve und hat eine grosse Verwandtschaft zur motorischen Portion des N. trigeminus, denn hei den Knochenlischen verschmilzt er mit dem Trigeminus und erscheint als Ramus opercularis desselben, wie Serres wahrscheinlich machte. Bei den Fr\u00f6schen gesellt er sich, wie Volkmann zeigt auch zum Trigeminus. Allein die Verwandtschaft des Facialis ist ebenso gross zum Vagus. Denn schon","page":801},{"file":"p0802.txt","language":"de","ocr_de":"802 III. Buch. Nervenphysik, IV.Abschn. Eigenth. der eint. Nerven.\nbeim Menschen und den S\u00e4ugethieren verbindet er sieb mit Aesten von beiden. Bei den Schlangen und Eidechsen giebt er einen Ast zum Vagus. Beim Frosch setzt sich der Facialis vom Trigeminus ab in einen Ast des Vagus, n\u00e4mlich in den Rehlast fort, wie Volkmann beobachtet. Der Facialis der Petrornyzon bildet mit dem Vagus zusammen den N. lateralis, der bei den Knochenfischen oft vom Quintus und Vagus gebildet wird.\nZum zweiten Vertebralnerven des Kopfs geh\u00f6ren der N, vagus, glossopbaryngeus, accessorius. Der Vagus ist nur gr\u00f6sstentheils sensoriell, der Accessorius nur gr\u00f6sstentheils motorisch, der Glosso-pharyngeus gleich stark sensoriell und motorisch.\nDer dritte Vertebralnerve des Sch\u00e4dels wird allein vom Hy-poglossus gebildet. Die Myxinoiden stehen dem einfachen Tvpus der Wirbelnerven des Sch\u00e4dels ohne die abgeleiteten Nerven am n\u00e4chsten. Denn sie haben von den letzteren nur den N. facialis.\nNervus s y ra p a t h i c u s.\nDie Physiologie dieses Nerven ist bereits in verschiedenen Abschnitten des IV. Buches zur Sprache gekommen, und so sind (p. 670.) die sensoriellen, motorischen und organischen Eigenschaften desselben im Allgemeinen, und (p. 737.) die Mechanik seiner Wirkungen untersucht worden. Hier ist der Ort, das Ei-genth\u00fcmliche dieses Nerven in einzelnen Thierclassen und Thie-ren zu erw\u00e4hnen, wobei wir uns aber nur auf diejenigen Verh\u00e4ltnisse beschr\u00e4nken m\u00fcssen, welche in physiologischer Hinsicht von Wichtigkeit sind. In Hinsicht des anatomischen Details m\u00fcssen wir auf die Werke von Weber (anat. comp. n. symp. Lipz. 1817.), Lobstein {de n. symp. hum. fabrica, usu et morbis. Paris 1823.), Wutzer (de gangliorum fabrica. Berol. 1817.), Hirzel (Tiedemann s Zeitschr. f\u00fcr Physivl. /.) Arnold (der Kopftheil des vegetativen Nervensyst. Heidelb. 1831.), Varrentrapp (obs. anat. de parte cephalica n. symp. Franco]. 1831.), und Giltay (de n. .fym-pathico diss. Lugd. Bat. 1834.) verweisen.\nBei den V\u00f6geln liegt die Pars cervicalis n. sympathici in dem Canal der Querforts\u00e4tze der Halswirbel, wo hei den S\u00e4ugethieren und dem Menschen nur ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig sehr d\u00fcnner Strang des N. sympathicus liegt.\nDie constantesten Verbindungen der Hirnnerven mit dem Sympathicus sind die der Wirbelnerven des Sch\u00e4dels. Sie finden bei den Fischen an der Basis des Sch\u00e4dels gerade so statt, wie die Verbindungen des Grenzstranges des Sympathicus mit den Spinalnerven.\nBei mehreren Thieren treten entweder f\u00fcr einzelne Theile des Sympathicus oder f\u00fcr den ganzen Nerven Aequivalente ein, welche sich von dem Typus des Sympathicus ganz entfernen. Beispiele davon sind:\n1)\tDer Sympathicus der Cyclostomen fehlt und der Vagus ihn ersetzend geht bis zum After.\n2)\tBei den Schlangen ist der Kopftheil vom Grenzstrang des","page":802},{"file":"p0803.txt","language":"de","ocr_de":"Von den Centraltheilen des Nervensystems im Allgemeinen. 803\nRumpfes getrennt und geht ganz in den Vagus \u00fcber. Der Grenzstrang fehlt auch am vordem Theile des Rumpfes. Statt der gew\u00f6hnlichen Bildung gehen Aeste der Spinalnerven zu den Lungen, zum Darm, zu den Geschlechtstheilen und Harnwerkzeugen, wie Weber bereits bemerkte. Diese Aeste h\u00e4ngen durch bogenf\u00f6rmige Schlingen unter einander zusammen, und diese Verbindungsschlingen sind das Einzige, was vom \u25a0 Grenzstrange \u00fcbrig ist. Dergleichen Bogen kommen aber zwischen den Cerebrospinalnerven sehr gew\u00f6hnlich vor. Nur bei sehr grossen Schlangen erkannte ich eine Spur von Ganglien im Grenzstrange. Der Vagus geht hei den Schlangen am Darm bis \u00fcber f der Bauchh\u00f6hle.\n3) Aerjuivalente f\u00fcr einzelne Theile des Sympathicus kommen zuweilen auch hei den h\u00f6heren Thieren vor. Dahin geh\u00f6rt, dass dr\u00fcsige Organe statt, wie es seyn sollte, vom Sympathicus, vielmehr von Cerebrospinalnerven ihre Aeste erhalten, wie dieThr\u00e4-nendr\u00fcse vom Nervus lacrymalis, die Milchdr\u00fcse des Menschen vom 3. und 4. Brustnerven.\nV. Abschnitt. Von den Centraltheilen des Nervensystems.\n/. Capital. Von den Centraltheilen des Nervensystems im A 11gem ei n en.\nZur Definition der Cenlralorgane geh\u00f6ren folgende Eigenschaften.\nDie Centralorgane des Nervensystems bewirken die vereinte Th\u00e4tigkeit aller Nervenfunctionen, theils ausser der Herrschaft der Seele, theils unter derselben. Durch sie werden alle Nerven oder Leiter vereinigt. Sie setzen als Erreger (Motoren) sowohl automatisch best\u00e4ndig oder abwechselnd, als willk\u00fchrlich auf die von dem Sensorium commune der Centralorgane ausgehenden Bestimmungen, die motorischen Nerven zur Bewegung der Muskeln in Th\u00e4tigkeit. Sie reflectiren die Wirkungen der sensoriellen Nerven entweder auf motorische unbewusst, oder bringen sie im Sensorium commune der Centraltheile zum Bewusstseyn. Durch sie werden auch die organischen Nerven-Wirkungen in ungest\u00f6rter Kraft erhalten, das Nervenprincip best\u00e4ndig erzeugt und wiedererzeugt, und ohne sie kann sich die Th\u00e4tigkeit und Reizbarkeit der Nerven als Leiter auf die Dauer nicht erhallen. Diess ist die allgemeine Definition des Gehirns und R\u00fcckenmarkes als selbstst\u00e4ndiger Erreger gegen die Nerven als Conductoren des Nervenprincips. Dass sich durch die angef\u00fchrten Eigenschaften die Centraloi\u2019gane von den Nerven unterscheiden, ist aus den in der Nervenphysik mitgetheilten Thatsachen nicht schwierig zu beweisen.","page":803},{"file":"p0804.txt","language":"de","ocr_de":"804 III. Buch. Nervenphysik. V. Ahschn. Cmtraltheiled. Neroensysi,\n1)\tDie Centralorgane vereinigen alle Nerven ; diess gilt sogar von den sympathischen Nerven, die, wie am Ende des vorigen Abschnittes gezeigt worden, an so vielen Punkten durch Fasern mit den Centraltheilen Zusammenh\u00e4ngen. Es zeigt sich nur der Unterschied der Cerebrospinalnerven von den organischen Nerven in Beziehung auf die Centralorgane, dass die ersteren viel unmittelbarer von den Centralorganen ausstrahlen, w\u00e4hrend die organischen Nerven zwar auch ihre Fasern in Begleitung der Cerebrospinalnerven mit dem Gehirn und Puickenmark in Wechselwirkung bringen, aber doch auch ihre untergeordneten Cen-traltheile in ihren eigenen Ganglien und Geflechten haben, von welchen der organische Einfluss zun\u00e4chst ausstrahlt, wenn sich auch die Th\u00e4tigkeit dieses Systems ohne die Mitwirkung des Gehirns und R\u00fcckenmarkes auf die.Dauer nicht erhalten kann.\n2)\tDie Centralorgane sind Erreger f\u00fcr die motorischen Nerven als Conductoren der motorischen Entladung des Necvenprin-cips nach den Muskeln. Diese motorische Th\u00e4tigkeit \u00e4ussert sich a. theils als best\u00e4ndige Ausstrahlung, wie wir das Beispiel in der best\u00e4ndigen Beherrschung der Sphincteren sehen, deren Zusammenziehungen nach Verletzungen der Centralorgane aufh\u00f6ren; h. theils durch abwechselnde rhythmische Bewegungen, wie in der Abh\u00e4ngigkeit der Bewegungen des Athmens von der Medulla oblongata (siehe oben p. 341.); c. theils als Entladungen, die will-k\u00fchrlich von dem Sensorium commune der Centralorgane ausgehen, welches den spontanen Actionen der Seele unterworfen ist.\nGegen diesen motorischen Einfluss verhalten sich die motorischen Nerven auf doppelte Art. Die Nerven einer Classe verhalten sich gegen denselben als blosse Conductoren. Sie sind zwar auch best\u00e4ndig motorisch geladen, und k\u00f6nnen k\u00fcnstlich, wie der Nerve des Froschschenkels, durch mechanische Reize zu Entladungen bestimmt werden; aber sie entladen sich im Zustande der Gesundheit nicht spontan, sondern auf den Einfluss der Centralorgane; diess sind die motorischen Cerebrospinalnerven. Die Nerven der andern Classe, dem Einfl\u00fcsse des Sensorium commune in Beziehung auf willk\u00fchrlicbe Actionen ganz entzogen, k\u00f6nnen zwar auch von den Centralorganen zu best\u00e4ndigen oder rhythmischen Actionen bestimmt werden, haben aber das Eigent\u00fcmliche, dass sie auch selbstst\u00e4ndige Entladungen bewirken, wenn sie gleich auf l\u00e4ngere Dauer zur Reproduction ihres Nerveneinflusses der Centralorgane bed\u00fcrfen; dahin geh\u00f6ren die motorischen Wirkungen des N. sympathicus. Die von ihm beherrschten Theile ziehen sich spontan, auch getrennt von dem Einfluss der Centralorgane zusammen, wie das Herz, der Darmkanal u. s. w., aber die Kraft und Dauer ihrer Zusammenziehungen h\u00e4ngt durchaus von dem Verkehr ihrer Nerven mit den Centralorganen ab. Vergl. oben p. 190. 742. Bei vor\u00fcbergehender Erm\u00fcdung und auch in dem Schlafe nach der t\u00e4glichen Action des Nervensystems, tritt ein Mal eine Relaxation in den Wirkungen der Centralorgane auf die peripherischen Theile ein; aber diese vor\u00fcbergehende Ver\u00e4nderung in den Cehtralorganen ist noch nicht im Stande, die Actionen der dem sympathischen Sy-'","page":804},{"file":"p0805.txt","language":"de","ocr_de":"Von den Centrait heilen des Nervensystems im Allgemeinen. 805\nstem unterworfenen spontanen Bewegungen wesentlich zu ver\u00e4ndern. Kur wenn die Erm\u00fcdung in den Centraltheilen dauernder wird, wenn diese Organe wesentlich verletzt werden, erlahmen auch die dem sympathischen System unterworfenen Bewegungen, weil ihre Kraft und Dauer von den Centraltheilen auch abh\u00e4ngt.\nMan darf sich aber nicht vorstellen, dass w\u00e4hrend der t\u00e4glich einmal eintretenden Erm\u00fcdung der Centralorgane und des Schlafes die Centralorgane \u00fcberhaupt unth\u00e4tig w\u00fcrden. Diese Erm\u00fcdung ist zwar allgemein, aber nur das Sensorium commune der Gentralorgane, jener Theil des Gehirns, welcher den Actionen der Seele unterworfen ist, wird vorz\u00fcglich unth\u00e4tig; nur diewillk\u00fchr-lichen Bewegungen fallen unter den motorischen Actionen der Centralorgane w\u00e4hrend des Schlafes ganz aus. Alle \u00fcbrigen Theile der Centralorgane setzen ihre Th\u00e4tigkeit wie w\u00e4hrend des Wachens fort. Diess sieht man an der Fortdauer der von den Centralorganen abh\u00e4ngigen best\u00e4ndigen Zusammenziehungen der Sphincteren und den rhythmischen Athembewegungen, welche beide von wahren Cerebrospinalnerven ausgef\u00fchrt werden. Gewisse Muskeln sind also, obgleich von Cerebrospinalnerven versehen, auch w\u00e4hrend des Schlafes best\u00e4ndig th\u00e4tig; immer sind die Sphincteren geschlossen, immer bewirkt der Schlaf sine fixirte Stellung des Auges nach oben und innen, immer die constant damit verbundene Contraction der Iris mit Verengung der Pupille; die Schliessung des Mundes findet auch im Schlafe gew\u00f6hnlich statt. Kurz, wir sehen, dass auch im Schlafe der ganze motorische Apparat der Centralorgane, des Gehirns sowohl als des R\u00fcckenmarkes, fortwirkt, dass nur die willkiihrliche Excitation dieses dauernd th\u00e4tigen motorischen Apparates w\u00e4hrend der Unth\u00e4tigkeit des Sensorium commune aufh\u00f6rt. Daher m\u00fcssen wir auch eine w\u00e4hrend des Schlafes fortdauernde Wechselwirkung der Centralorgane mit der motorischen Th\u00e4tigkeit des sympathischen Systems noth wendig voraussetzen, ohne welchen Einfluss die Kraft der Bewegungsactionen im sympathischen System sogleich abnehmen w\u00fcrde, wie wir in der Apoplexie, in den von den Centralorganen eintretenden Ohnm\u00e4chten und bei der k\u00fcnstlichen Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes (siehe oben p. 194.) deutlich sehen.\n3) Die Centralorgane erfahren die Wirkungen der sensoriel-\u00ab len Klerveu, und pflanzen sie entweder unbewusst reflectirend auf die Urspr\u00fcnge der motorischen Nerven fort, wodurch die reflectirten Bewegungen (siehe oben p. 717.) entstehen; oder sie leiten diese Wirkungen za dem Sensorium commune der Centralorgane, wodurch sie w\u00e4hrend der Th\u00e4tigkeit des letztem bewusst werden. Im ersten Falle gelangen die centripetalen Wirkungen der sensoriellen Nerven nur bis zur Excitation des motorischen Apparates der Centralorgane, der vorz\u00fcglich seinen Sitz im R\u00fck-kenmark hat, aber sich auch in das Gehirn verzweigt; im zweiten Falle gelangen diese Wirkungen zu einem besonderen Theil der Centralorgane, ohne Reflexionsbewegungen zu erregen, in dem Sensorium commune zu dem Bewusstwerden der Seele. Nicht selten geschieht Beides; die Empfindungen werden bewusst, und erregen zugleich Reflexionsbewegungen, indem die Leitung","page":805},{"file":"p0806.txt","language":"de","ocr_de":"806 HI. Buch. Neroenphysik. V.Alschn. Central!heile d. Nervensyst.\nzugleich nach dem motorischen Apparate der Centralorgane und nach dem Sensorium commune geschieht, wie hei dem Husten von dem empfundenen Reize in der Luftr\u00f6hre, hei dem Schliessen der Augenlieder von heftigem Schall, bei der Zusammenziehung der Iris von Reizung der Retina durch Lichtsehen, ln Hinsicht der Theorie und Gesetze dieser Wirkungen muss hier auf das dritte Cap. des III. Abschn. p. 717. und p. 744. verwiesen werden. Da die Reflexionserscheinungen nicht von dem Sensorium commune sondern von dem motorischen Apparate der Centralorgane abh\u00e4ngig sind, der letztere aber im Schlafe zu wirken fortf\u00e4hrt so finden sie auch im Schlafe eben so gut wie im Wachen statt-wie der Husten von Reizen in der Luftr\u00f6hre, und viele andere Erscheinuhgen w\u00e4hrend des Schlafes beweisen.\n4)\tDie organischen Nebenwirkungen werden durch die Centralorgane des Nervensystems in ungest\u00f6rter Kraft erhalten. Hier zeigt sich dasselbe Verhalten zwischen dem N. sympathicus und den Centralorganen, wie in Hinsicht der Rewegungen der dem N. sympathicus unterworfenen Theile. Die Ern\u00e4hrung und Absonderung geschehen unter einer gewissen selbstst\u00e4ndigen Action der organischen Nerven. Embryonen sind zwar bis zur Reife bei Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes und Gehirns ern\u00e4hrt worden. Siehe oben p. 196. Vergl. Eschricht (in Mueller\u2019s Archw Jur Anatomie und Physiologie 1834. p. 268.). Ja zuweilen werden Theile von Embryonen, ein einzelner Kopf) eine Extremit\u00e4t, ern\u00e4hrt, welche nicht einmal ein Herz besitzen, und wo das Blut durch das Herz eines andern Embryo zugef\u00fchrt wird, indem die Gef\u00e4sse des de-fecten Embryos von der Nabelschnur des gesunden ausgehen. Siehe Rudolphi Abhand, der Acad. zu Berlin. 1816. und Mueller in dessen Archw f\u00fcr Anatomie und Physiologie 1834. p. 178. Aber beim Erwachsenen leidet die Ern\u00e4hrung oft, wenn auch nicht immer, bei L\u00e4hmungen des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, die gel\u00e4hmten Theile sind bei Verletzungen derselben leichter dem Brand unterworfen, und bei heftigen acuten Leiden der Centralorgane mit Unterdr\u00fcckung ihrer Actionen entsteht oft spontan der Brand in einzelnen Tbeilen. Bei der Tabes dorsalis verschwindet zuletzt die F\u00e4higkeit zur Erection durch Blutanh\u00e4ufung in dem erectilen Gewebe des Penis und zur Zeugung.\n5)\tDas Nervenprincip wird in den Centralorganen erzeugt und wiedererzeugt. Diess geht aus den von mir und Sticker angestellten Versuchen (siehe oben p. 412.) hervor, nach welchen die von den Centralorganen getrennten Nerven eines Gliedes, in der ersten Zeit zwar noch motorische Kraft besitzen, indem sie, gereizt, Bewegungen der von ihnen versehenen Muskeln erregen, nach welchen aber diese Nerven, sofern sie nicht wieder verheilen , nach mehreren Monaten alle Reizbarkeit f\u00fcr mechanischen und galvanischen Reiz verloren haben, so dass also die best\u00e4ndige Wechselwirkung der Nerven und der Centralorgane zur Erhaltung der Kr\u00e4fte der Nerven n\u00f6thig ist, w'\u00e4hrend die Centralorgane ihre Kr\u00e4fte auch nach dem Verlust ihrer Conductoren behalten. Die Erhaltung der Reizbarkeit der Nerven ist indess nicht bloss von dem best\u00e4ndigen Einfluss der Centralorgaae, son-","page":806},{"file":"p0807.txt","language":"de","ocr_de":"Von den Centrallheilen des Nervensystems im Allgemeinen, S07\ntlcrn aucli von ihrer Th\u00e4tigkeit selbst abh\u00e4ngig. Wenn ein Nerve sehr lange Zeit nicht in Th\u00e4tigkeit gesetzt wird, so verliert er immer mehr an Kraft f\u00fcr fernere Th\u00e4tigkeit. Die meisten Menschen haben keinen Einfluss auf kleine Muskeln durch Mangel an Uebung, und nach Erblindung des Auges atrophirt in sp\u00e4ter Zeit der Sehnerve bis gegen das Gehirn hin; ja Magendie hat sogar diese Atrophie bei V\u00f6geln durch k\u00fcnstlich bewirkte Erblindung schon in einigen Monaten erzeugt.\nDie Scheidung der belebten thieriseben Materie in Centralorgane, und die von den Centralorganen abh\u00e4ngigen Theile, ist nicht bloss ein Attribut aller thieriseben Wesen; der Trieb zu dieser Scheidung ist sbgar der keimf\u00e4higen Materie von Anfang an eingepflanzt, und es scheint, dass mit der Aeusserung dieses Triebes die ganze Organisation beginnt. Die p. 43. angef\u00fchrten Beobachtungen \u00fcber die zusammengesetzte Structur der einfachsten Thiere machen es wahrscheinlich, dass es bei allen, auch den scheinbar einfachsten Thieren, Nerven und von den Nerven abh\u00e4ngige Theile giebt, und wo die Anatomie des Nervensystems m\u00f6glich ist, sehen wir auch wieder eine Sonderung desselben in gewisse wichtigere Centraltheile und ihre Conducto-ren, die Nerven. Beim Embryo der h\u00f6heren Thiere beginnt sogleich diese Sonderung schon in der Keimhaut, in deren Achse sich der mit den Kr\u00e4ften der Centralorgane begeistete Theil der thieri-schen Materie anh\u00e4uft, w\u00e4hrend sich um dieselbe die davon abh\u00e4ngigen Theile gestalten. Aber auch in dem von den Central-theilen abh\u00e4ngigen peripherischen Theile des neuen Wesens schreitet eine \u00e4hnliche Sonderung fort, indem sich dieser wieder in die Conductoren des Nervenpriucips, die Nerven und die von ihnen den Einfluss der Centralorgane empfangenden Gewebe histologisch und virtuell sondert. Die Entstehung der Centralorgane bedingt die Entstellung der peripherischen Theile; die Entstehung der Nerven in dem peripherischen Theile des Thieres bedingt zugleich die Entstehung der wieder von den Nerven beseelten Gewebe. Mit dieser Sonderung zwischen Centralorganen und peripherischen Theilen ist das Gehirn und R\u00fcckenmark virtuell vorhanden; weder das eine noch das andere entsteht fr\u00fcher; die Ausbildung der einzelnen Regionen der Centralorgane ist erst wieder die Folge fortschreitender Entwickelung und Sonderung. Eben so ist es mit der histologischen Sonderung des peripherischen Theiles; sobald sie beginnt, ist gewiss der ganze Nerve vorhanden, nicht das \u00e4ussere Ende des Nerven ist das Erste, das den Centralorganen entgegenw\u00fcchse. Wenigstens hat diese Ansicht von Serres [anal. comp, du cerveau) durchaus keine thats\u00e4cbliche Basis; und die daf\u00fcr angef\u00fchrten Beobachtungen haben in den classischcn Untersuchungen von Baer \u00fcber die Entwickelungsgeschichte des Embryo keine Best\u00e4tigung gefunden.\nVergleicht man nun die niederen Thiere mit den h\u00f6heren in Hinsicht des Gegensatzes der Centraltheile und peripherischen Theile, und , wieder der Centraltheile und des peripherischen Nervensystems, so zeigt sich, dass dieser Gegensatz bei den niederen Thieren, wenngleich vorhanden, doch weniger ausgebil-Muller\u2019s Physiologie, 1.\t52","page":807},{"file":"p0808.txt","language":"de","ocr_de":"S08 III. Buch. Nerocnphysik. V. Abschn. Centralthciled.Nervcnsyst.\ndot ist. Nach der von Eubenberg entdeckten zusammengesetzten Structur der f\u00fcr so einfach angesehenen Wesen, der Infusorien und Medusen muss man die Existenz der Nerven in allen Tliie-ren annehmen. Siehe oben p. 43. Vergl. \u00fcber die Medusen Eubenberg in Muelt.er\u2019s Archiv f\u00fcr Anatomie und Physiologie 1834. Aber das die Centraltheile belebende Princip muss hier noch mehr \u00fcber das Nervensystem verbreitet seyn, als bei den h\u00f6heren Thieren, weil die Theilung dieser Tliiere in St\u00fccke den Organismus nicht zerst\u00f6rt, vielmehr zur Entstehung mehrerer Organismen die Veranlassung giebt. Bei einigen Anneliden, die ein deutliches Nervensystem haben, die aber, in zwei Theile getheilt, in den Theilen fortleben, wie die Nereiden, Naiden, ist diess ganz offenbar. Die aus einem knotigen Nervenstr\u00e4nge bestehenden Centraltheile m\u00fcssen also hier das wirksame Princip der Central-llieile in einer grossen Ausdehnung enthalten. Und hei den Polypen und Planarien, die man in mehrere forllebende St\u00fccke durch Theilung in verschiedener Richtung sondern kann, muss die Vertheilung der mit den Kr\u00e4ften der Centraltheile begabten Materie noch gr\u00f6sser seyn. Der der belebten thierischen Materie cingepllanzte Trieb, sich in Centraltheile und abh\u00e4ngige Theile zu sondern, zeigt sich sogleich in dem abgetrennten St\u00fccke der Planarie wieder, gleichwie in dem Keime der h\u00f6heren Thiere. Dass aus diesem St\u00fccke ein neues, mit allen Organen begabtes Thier wird, ist eben die Aeusserung jenes, aller belebten thierischen Materie einwohnenden Triebes.\nDas vorher von den Ringelw\u00fcrmern angef\u00fchrte Beispiel zeigt uns, dass der knotige Nervenstrang derselben das wichtigste Le-bensprincip der Centralorgane nicht bloss in dem ersten oder llirnknoten, sondern in dem ganzen knotigen Strange enth\u00e4lt; denn mit der individuell belebten Materie ist hier das Lebens-princip seihst theilbar. Nun fr\u00e4gt sich, wie weit eine solche Ausdehnung des centralen Lebensprincips in dem Nervensystem der zun\u00e4chst folgenden Thiere besteht.\nDie gegliederten Thiere, obgleich sie noch mit einem knotigen Nervenstr\u00e4nge gleich den Anneliden begabt sind, leben getheilt nicht wieder fort; indessen auch die Inseeten zeigen nach Wegnahme des Kopfes noch willk\u00fchrliche Bewegungen. Ein Caracas granulates lief nach wie vor herum; eine Bremse, auf den R\u00fccken gelegt, strengte sich an, auf die Beine zu kommen. Tre-viearus f\u00fchrt auch die interessante Beobachtung von Walcke-naeb \u00fcber eine Cerceris ornata an, w elche einer in L\u00f6chern lebenden Biene nachstellt. Walckenaer stiess einer solchen Wespe im Augenblicke, wo sie in das Loch der Biene eiudringen wollte, den Kopf ab; sie setzte ihre Bewegungen fort, und suchte umgekehrt dahin zur\u00fcckzukehren und einzudringen. Treviranus Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens. 2. 194.\nDiese Thatsachen beweisen, dass das Hirnganglion der Glie-derthiere nicht allein Einfluss auf spontane und zweckm\u00e4ssige Bewegung hat. Indessen besteht doch eine Unterordnung in der Wirkung der \u00fcbrigen Ganglien unter das Hirnganglion.\nBei den Wirbelthieren hat das R\u00fcckenmark nicht mehr den","page":808},{"file":"p0809.txt","language":"de","ocr_de":"Von den Cenlraltheilcn des Nervensystems im Allgemeinen. 809\ngrossen Einfluss auf spontane nml willk\u00fclir\u00fcclie Bewegung wie bei den Wirbellosen die untergeordneten Ganglien der Central-Ibeile. Gleichwohl zeigt sich nach dem K\u00f6pfen der Thiere noch eine gewisse Harmonie und Zweckm\u00e4ssigkeit der Bewegungen. V\u00f6gel flattern mit den Fl\u00fcgeln. Der enthauptete Frosch setzt sich, wie Volkmann bemerkt, wieder auf. Doch habe ich dergleichen Bewegungen der enthaupteten Fr\u00f6sche, die von Reflexbewegung ganz unabh\u00e4ngig waren, immer nur dann gesehen, wenn der Kopf dicht am Halse getrennt war. Fiel der Schnitt tiefer, durch das R\u00fcckenmark, so zeigte der Frosch keine Spur von Wiltk\u00fchr in Bewegungen. Flattern auch V\u00f6gel noch mit den Fl\u00fcgeln nach Durchschneidung des R\u00fcckenmarks in der Mitte des Halses, so sind diess zwar gruppenweise Bewegungen, die im R\u00fcckenmark ihre Ursache haben, aber sie sind von willk\u00fchrli-chen Bewegungen noch sehr verschieden.\nWir besitzen auch keine sichere Thatsache, dass das R\u00fcckenmark unabh\u00e4ngig vom Gehirn und dem verl\u00e4ngerten Marke noch empfinde. Reflexbewegungen nach Hautreizen an enthaupteten Thieren k\u00f6nnen nicht hieher gerechnet werden, und zeigen enthauptete Fr\u00f6sche hei Hautreizen noch etwas Zweckm\u00e4ssiges in der Reaction, so tritt diese Erscheinung gewiss nur ein, wenn der Schnitt durch das R\u00fcckenmark in seinem Anfang geschah.\nBei allen h\u00f6heren und niederen Wirbelthieren entspricht die Masse des R\u00fcckenmarkes im Allgemeinen dem Umfange der davon beherrschten K\u00f6rperlheile; das R\u00fcckenmark eines Fisches ist verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig nicht geringer als das R\u00fcckenmark eines Menschen, aber das Gehirn nimmt hei den h\u00f6heren Thieren in gleichem Verh\u00e4ltniss mit der Ausbildung ihrer intellectuellen F\u00e4higkeiten zu. Bei den Fischen besteht das Gehirn nur aus mehreren vor der Medulla oblongata liegenden Anschwellungen. Das Gehirn der Amphibien ist gr\u00f6sser als das der Fische, das der V\u00f6gel gr\u00f6sser als das der Amphibien, das der S\u00e4ugelhiere \u00fcber-Irifft das Gehirn der V\u00f6gel, das menschliche \u00fcber trifft alle. Wir wollen diese Vergleichung durch Angabe von Zahlenverh\u00e4ltnissen sp\u00e4ter weiter ausf\u00fchren. Sind gleich alle thierischen Wesen bis zum Infusorium im Allgemeinen in Bezug auf das zum thierischen Lehen Notlnvendige gleich vollkommen organisirt, so muss ein Unterschied der Vollkommenheit in Beziehung auf die intellectuelle Entwickelung und ihre Organe zugegeben werden und ist im Bau des Gehirns offenbar.\nMan sieht aus den bisherigen Betrachtungen, dass die Vergleichung der St\u00e4rke der Nerven mit den Cenlraltheilcn des Nervensystems (zusammengenommen) hei verschiedenen Thieren wenig geeignet ist, physiologische Aufschl\u00fcsse zu gehen. Die St\u00e4rke der Nerven wird zwar im Allgemeinen irn Verh\u00e4ltniss zu den Centraltheilen hei den niederen Wirbelthieren zunehmen; aber richtiger ausgedr\u00fcckt, nimmt sie nur im Verh\u00e4ltnis zum Gehirn auffallend zu. Ein anderer Apparat der Centraltheile, das R\u00fck-kenmark, welches ausserdem, dass cs ein Leiter vom Gehirn zu den von ihm entspringenden Nerven, und umgekehrt, ist, eine den Bewegungskr\u00e4flen des K\u00f6rpers entsprechende motorisch ge-\n52 *","page":809},{"file":"p0810.txt","language":"de","ocr_de":"S10 111. Buck. Ncrvmphysih. V.Ahschn. Cent rah heile d. Nctvensyst.\nladcne Saule darstellt, scheint \u00fcberall diesen Bewegungskr\u00e4ften durch seine Masse und den von ihm entspringenden JNerven durch eben dieselbe (nicht durch L\u00e4nge und Kurze, die sehr variirt) zu entsprechen. Das R\u00fcckenmark von Gadus Lota verh\u00e4lt sich zur ' Masse des K\u00f6rpers nach Casus, wie 1 : 181; bei Salamandra ter-reslris wie 1 : 190, bei der Taube wie 1 : 305, bei der Ratte wie I : 180, bei der Katze wie 1 : 161. Allerdings giebt es bei den Fischen Ncrvenst\u00e4mme, wie der Nerv, trigeminus und Nerv, vagus, welche den Durchmesser des R\u00fcckenmarkes zuweilen geradezu \u00fcbertreffen. Indessen k\u00f6mmt es bei der Vergleichung der Nerven und des R\u00fcckenmarkes bei verschiedenen Thieren wohl auf die Dicke der Nerven, aber nicht auf die Dicke des R\u00fcckenmarkes, sondern eben so gut auf dessen L\u00e4nge, oder richtiger auf Vergleichung der ganzen Masse des R\u00fcckenmarkes mit der Summe der St\u00e4rke aller daraus entspringenden Nerven an. Dann aber kann die St\u00e4rke derjenigen Uirnncrven, welche aus den R\u00fcckenmarksfortsetzungen im Gehirn entspringen, nicht fruchtbar mit der St\u00e4rke des eigentlichen R\u00fcckenmarkes hinter dem Gehirn verglichen werden.\nDie bisherigen Betrach Lungen sollen uns den Weg zur genaueren Untersuchung der Kr\u00e4fte des Gehirns und R\u00fcckenmarkes selbst er\u00f6ffnen. Die wichtigsten Schrillen \u00fcber die Physiologie des Gehirnes und R\u00fcckenmarkes sind : Gau. et Seurzueim Anal, et physiol du syst\u00e8me nerveux,. Baris 1810. j. Tied emass /Inalomie u. Bil-dungsgeschiehte des Gehirnes. N\u00fcrnberg 1816. 4. Burdach rum Bau und Leben ties Gehirns. 1\u20143. Bd. Leipz. 1819 \u2014 26. 4. Carus Versuch einer Darstellung des Nervensystems und insbesondere des Gehirns. Leipz. 1814. 4. Desmoulins et Magendie anatomie, des syst\u00e8mes nerveux. Paris 1825. 2 Vol. 8. Serres Anatomie, compar\u00e9e du cerveau. Paris 1821. 2 Vol. Rolando saggio sopra la vera Struttura del cervello e sopra le funzioni del sistema nervoso. ed. 3. Torino 1828. 3 Vol. 8. Fi.ourens Versuche, u. Untersuchungen \u00fcber die Eigenschaft en und Verrichtungen des Nervensystems. Leipz. 1824. 8. Port Setzung. Leipz. 1827. 8. Treviranus, in Tiedemann\u2019s Zeit sehr, f\u00fcr Physiol. Bd. IV.\n11. Capitel. Vom R\u00fcckenmark.\nDas R\u00fcckenmark unterscheidet sicli schon anatomisch von den Nerven; es enth\u00e4lt, wie das Gehirn, dieselben zarteren r\u00fchrigen Fasern; es enth\u00e4lt in seinem Innern graue Substanz, die sich beim Durchschneiden als ein liegendes Kreuz darstellt, so dass die Figur derselben in dem vorderen und hinteren Strange sich jeders\u00e8its hornartig verl\u00e4ngert. Ueber die doppelte Art der grauen Substanz und \u00fcber die substantia cinerea gelatinosa des Rolando den hinteren Il\u00f6rnern entlang siehe oben in der feinem Anatomie der Nerven pag. 612. Aber auch die Anordnung der weissen Substanz ist eigenth\u00fcmlich. Rachetti und Rolando haben die Beobachtung gemacht, dass die weisse Substanz in von nach innen gehende Lamellen getheilt ist, die man durch\naussen","page":810},{"file":"p0811.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n81L\nl\u00e4ngere Aufbewahrung von R\u00fcckenmarksdurchschnilten in Kochsalz sichtbar machen kann; und Rolando behauptet, dass die Marksubstanz aus lauter aneinander liegenden Falten einer abwechselnd umgeschlagenen Markhaut bestehe, so dass d\u00fcnne Forts\u00e4tze der Gel\u00e4sshaut zwischen diese Falten von aussen eintreten, w\u00e4hrend von innen d\u00fcnne Lagen grauer Substanz dazwischen treten. In der weissen vordem Commissur des R\u00fcckenmarkes soll die Markhaut von der einen zur andern Seite her\u00fcber gehen, w\u00e4hrend dieser Uebergang hinten fehle.\nIn physiologischer Hinsicht stimmt das R\u00fcckenmark mit den Nerven darin \u00fcberein, dass es die Wirkungen seiner Nerven auf das Gehirn so fortpflanzt, wie die Gehirnnerven es unmittelbar auf das Sensorium commune thun, und dass es die Hirn Wirkungen auch wieder zu seinen Nerven so leitet, als wenn diese unmittelbar von dem Gehirn selbst entspr\u00e4ngen; in anderen Punkten unterscheidet sich das R\u00fcckenmark aber wesentlich von den Nerven durch ihm selbst, als Centrallhei, und nicht den Nerven zukommende Kr\u00e4fte. Wir werden beiderlei Eigenschaften genauer untersuchen.\n1) Das R\u00fcckenmark als Leiter, Conductor des Ncrvenprincips oder der Oscillai Ionen desselben. Alle Hirnnerven sind unmittelbar und alle Spinalnerven mittelbar durch das R\u00fcckenmark unter den Einfluss des Gehirns gesetzt. Sobald dieser Einfluss unterbrochen wird, gelangen die Reizungen der Empfindungsnerven nicht mehr zum Bewustseyn, und das Gehirn kann nicht mehr willk\u00fchrlich die motorische Kraft derjenigen Nerven anregen, welchen sein Einfluss entzogen wird.\nDie Ursachen, welche die Gemeinschaft des Gehirns und R\u00fcckenmarkes mit den Nerven unterbrechen, sind Druck auf die Nerven, Zerst\u00f6rung und Zerschneidung derselben, und L\u00e4hmung ihrer motorischen Kraft durch aufl\u00f6sbare Stoffe, z. B. bei der Bleivergiftung.\nSo oft diese Ursachen auf einen Nerven wirken, sind alle unter der verletzten Stelle abgehenden Zweige der willk\u00fchrlichen Erregung der motorischen Kraft entzogen, und die von diesen Zweigen versehenen Muskeln sind in Hinsicht der willk\u00fchrlichen Bewegung gel\u00e4hmt, und in demselben Theile h\u00f6rt die Empfindung gegen \u00e4ussere Reize auf.\nDiejenigen Nervenzweige dagegen, welche \u00fcber der verletzten Stelle des Nerven entspringen, sind dem Einfluss des Gehirns und der Willensbestimmung auf ihre Muskeln nicht entzogen, weil ihre Primitivfasern noch unversehrt mit dem Gehirn Zusammenh\u00e4ngen. Auch haben aus demselben Grunde alle sensibeln Nervenzweige noch Empfindung, welche \u00fcber der verletzten Stelle von ihrem Stamme entspringen, und also noch durch ihre Pri-mitivfasern mit dem Gehirn oder R\u00fcckenmark Zusammenh\u00e4ngen.\nDie Verletzung eines Nerven an einer Stelle hebt nur die .Gemeinschaft mit dein Gehirn oder dem Organe des Bewusstseyns und der willk\u00fchrlichen Excitationen auf, dagegen behalten die unter der verletzten Stelle gelegenen Theile des Nerven ihre motorische Kraft selbst eine geraume Zeit unversehrt, und es ist nur","page":811},{"file":"p0812.txt","language":"de","ocr_de":"812 111. Buch. Nervenphysik. V. Abschn. Centrait heile d. Nervensyst.\nder Hirneinfluss auf dieselben aufgehoben. Wenn man daher einen Nerven, welcher durch Entziehung des Hirneinflusses gelahmt ist, oder nicht mehr mit dem Gehirn zusammenh\u00e4ngt, sticht, quetscht, brennt, \u00e4tzt, elektrisirt, galvanisirt, so hat zwar keine. Empfindung statt, weil die Reizung nicht mehr zum Gehirn gelaugt, aber es zucken dennoch die Muskeln, zu welchen dieser Nerve Zweige schickt, weil nur der Hirneinfluss auf die motorische Kraft, nicht aber die motorische Kraft des Nerven unter der verletzten Stelle gel\u00e4hmt ist. Nur wenn ein Nerve mehrere Monate dem Einfl\u00fcsse der Centraltheile entzogen ist, verliert er, wie meine und Sticker\u2019s Versuche (siehe oben p. 639.) gezeigt haben, seine Reizbarkeit ganz.\nBeim Menschen und den h\u00f6heren Thieren verh\u00e4lt sich daher das R\u00fcckenmark zum Gehirn gerade so, wie alle Hirnnerven zum Gehirn, und das R\u00fcckenmark ist als gemeinsamer Stamm aller Rumpfnerven zu betrachten, obgleich es auch noch eigen-th\u00fcmliche Kr\u00e4fte vor den Nervenst\u00e4mmen voraus hat. Durch das R\u00fcckenmark werden die Primitivfasern aller Rumpfnerven mit dem Gehirn verbunden, w\u00e4hrend die Hirnnerven unmittelbar zum Gehirn treten.\nHiernach sind die Folgen der R\u00fcckenmarksverietzungen zu beurtheilen. Verletzung des untersten Theiles des R\u00fcckenmarkes bewirkt L\u00e4hmung der unteren Extremit\u00e4ten, des Mastdarms, der Blase, Verletzung desselben h\u00f6her hinauf bewirkt L\u00e4hmung jener Theile sammt den Bauchmuskeln, noch h\u00f6her hinauf L\u00e4hmung aller dieser Theile sammt den Brustmuskeln; Verletzung des R\u00fcckenmarkes am Halse unter dem 4. Halsnerven bewirkt auch L\u00e4hmung der Arme, aber nicht des Zwerchfells, wegen des Ursprunges des N. phrenicus von dem 4. Halsnerven; Verletzung des verl\u00e4ngerten Markes bewirkt L\u00e4hmung des ganzen Rumpfes. Wenn eine Verletzung von unten nach aufw\u00e4rts vorschreitet, so schreitet auch die L\u00e4hmung von unten nach aufw\u00e4rts vor, wie in der Tabes dorsalis. Das R\u00fcckenmark verh\u00e4lt sich also hierbei ganz als Stamm der Rumpfnerven. Reizt man den obern Theil des R\u00fcckenmarkes mechanisch oder galvanisch, so zucken alle Muskeln des ganzen Rumpfes, gerade so, wie durch Reizung eines Nervenstammes alle Muskeln seiner Zweige zucken. Durchschneidet man einen Nerven, so ist das dem Hirneinfluss entzogene St\u00fcck, wenn es gereizt wird, f\u00e4hig, Zuckungen in den Muskeln dieses Nerven hervorzurufen; durchschneidet man das R\u00fck-kenmark eines Thieres, so ist das dem Hirneinfluss entzogene St\u00fcck des R\u00fcckenmarkes, wenn es gereizt wird, f\u00e4hig, noch alle Nerven, die von ihm entspringen, und dadurch ihre Muskeln zu excitiren.\t/\nAllein das R\u00fcckenmark vertritt nicht allein alle Rumpfnerven in genere im Gehirn, sondern auch die einzelnen Primitivfasern der Rumpfnerven; denn die Affection gewisser Theile des R\u00fcckenmarkes unterbricht nur den Hirneiufluss zu gewissen Muskeln des Rumpfes, und die Verletzung gewisser Theile des Gehirns hat auch nur die L\u00e4hmung gewisser Theile des Rumpfes zur Folge. Die halbseitige Ursache der L\u00e4hmung im Gehirn und R\u00fccken-","page":812},{"file":"p0813.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n813\nmark. bedingt auch nur eine halbseitige L\u00e4hmung am Rumpfe, und je kleiner die Verletzung, je weniger sie von den Str\u00e4ngen des R\u00fcckenmarkes umfasst, um so weniger Theile sind durch sie dem Hirneinfluss entzogen. Bedenkt man ferner, dass es vom Gehirn abh\u00e4ngt, wie viel Muskeln des Rumpfes jedesmal bewegt werden, so scheint daraus notliwendig hervorzugehen, dass die Primitivfasern der Nervenst\u00e4mme, welche ins R\u00fcckenmark treten, auch im R\u00fcckenmark sich nicht verbinden, sondern parallel neben einander, wie im Stamme eines Nerven zum Gehirn treten, um isolirt dem Gehirn \u00f6rtliche Empfindungen mitzutheilen, und isolirte Excitationen zur Bewegung zu erhalten. Denn xvenn sich die Primitivfasern der Nerven im R\u00fcckenmark verb\u00e4nden, so w\u00e4re eine \u00f6rtliche Empfindung am R.umpfe eben so wenig m\u00f6glich, als eine isolirte Zusammenziehung einzelner Muskeln am Rumple. Auch die Ursache der Zuckungen im Gehirn und R\u00fcckenmark wirkt auf einzelne Theile am Rumpfe, und so entstehen auch Empfindungen in einzelnen Theilen des Rumpfes, bei Verletzungen gewisser Theile des R\u00fcckenmarks und Gehirns.\nUebrigens ist die Ordnung der Primitivfasern zu Nerven beim Hervortreten aus dem R\u00fcckenmark noch nicht vorgebildet, sondern tritt erst durch das b\u00fcndelweise Zusammenfassen von Wurzelf\u00e4den ein. Bekanntlich inseriren sich die vorderen und hinteren Wurzeln in den vorderen und hinteren Str\u00e4ngen in einer seitlichen Linie, jederseits etwas entfernt von der Mittellinie. Hie Wurzelb\u00fcndel der Cauda equina inseriren sich hier dicht neben einander ohne Unterbrechung, die Wurzeln der \u00fcbrigen Nerven dagegen mit scheinbarer Unterbrechung, indem die Fasern zwar aus einander fahren, aber die B\u00fcschel der Nerven wurzeln sich nicht erreichen. So ist es scheinbar in den genannten seitlichen Insertionslinien, wo die Faserb\u00fcndel die pia mater durchbohren. Allein von jener Insertionslinie aus fahren sie noch weiter aus einander, und wenn man sie noch tiefer verfolgt, so sieht man, dass die Wurzelanf\u00e4nge aller Nerven ziemlich eine nicht unterbrochene L\u00e4ngslinie bilden, so dass die Wurzel eines Spinalnerven erst entsteht durch das Zusammenfassen einer gewissen Anzahl der Primitivb\u00fcndel. Sieht man von dem b\u00fcndelf\u00f6rmigen Zusammenfassen der Primitivfasern zu Nervenst\u00e4m-men ab, und betrachtet man die Urspr\u00fcnge der Primitivfasern im R\u00fcckenmark hinter einander, ihre Isolation in den Nerven-sl\u00e4mmen, ihr Auseinandergehen in der letzten Verzweigung, so gleicht das R\u00fcckenmark einem aus Nervenfasern gebildeten Stamme, von welchem ununterbrochen mit Regelm\u00e4ssigkeit vorn und hinten viele Millionen Primitivfasern, theirs von motorischer Kraft, tlieils von sensibler Kraft gleichsam wie Strahlen zu allen Theilen gehen, welche zwischen ihrem Urspr\u00fcnge imR\u00fcckenmarke und ihren peripherischen Enden in so viel gr\u00f6ssere und kleinere B\u00fcndel durch Nervenscheiden zusammengefasstsind, als es R\u00fcckenmarksnerven und Zweige derselben giebt. Wir haben aber schon gesehen, dass diess Zusam-meufassen ohne alle wahre Verbindung der Primitivfasern, und ohne Mittheilung der Urkr\u00e4fte der Primitivfasern geschieht.\nDie vergleichende Anatomie giebt uns \u00fcber das Verh\u00e4ltnis\u00ab","page":813},{"file":"p0814.txt","language":"de","ocr_de":"814 III. Buch. Ncruenphysik. V. /Jhschn. Centraltheile d. Neroensysi.\nder Nerven mm R\u00fcckenmark keine Aufschl\u00fcsse. Wir finden sehr abweichende Verh\u00e4ltnisse in der L\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes vor. Reim Igel, dessen Hautmuskel eines bedeutenden Nerveneinflusses bedarf, w\u00e4hrend die Haut, mit Stacheln bewaffnet, wenig der Gef\u00fchlseindr\u00fccke f\u00e4hig ist, h\u00f6rt es so fr\u00fchzeitig auf, dass die hintere H\u00e4lfte desselben fehlt; bei den meisten anderen S\u00e4ugetliie-ren nimmt es fast die ganze L\u00e4nge des Canalis vertehralis ein, und bei den Kaninchen, Meerschweinchen reicht es, trotz der K\u00fcrze des Schwanzes, \u00fcber die Heiligenbeinwirbel hinaus (Desmoulins, a. a; O. 2. p. 539.); zum Eeweise, dass seine Verl\u00e4ngerung nicht allein von der L\u00e4nge und St\u00e4rke des Schwanzes abh\u00e4ngt. Beim K\u00e4nguruh, wo der sehr starke Schwanz mehr zur St\u00fctze als zum Tasten dient, soll das R\u00fcckenmark, nach Desmoulins, nicht l\u00e4nger als bei den Hunden seyn ; dasselbe soll hei den Affen mit Greifschw\u00e4nzen sich mit einem noch bedeutenden Volum bis zu den Heiligenheinwirbeln verl\u00e4ngern. Bei Tetrodon mola, einem Fisch, der fast so hoch als lang ist, ist das R\u00fcckenmark auf den ersten Blick gar nicht vorhanden. Das Gehirn endigt in einem \u00e4ussei\u2019st kurzen keilf\u00f6rmigen Stumpfe des R\u00fcckenmarkes, von welchem die Wurzeln der Nerven wie Saiten in einer vordem und hintern Reihe neben einander abgeben. Bei den meisten Thieren ist das R\u00fcckenmark ein Strang, der in dem Grade nicht abnimmt, als Nervenwurzeln von ihm abgehen, (wie man besonders bei Fischen, Schildkr\u00f6ten sieht), und der tief unten noch fast eben so dick wie oben ist. Es ist also wahrscheinlich, dass die Primitivfasern des R\u00fcckenmarkes vom Gehirn kommend, zwar an den entsprechenden Stellen Wurzelfasern der Nerven abgeben, dass aber noch viele andere Fasern im R\u00fcckenmark Vorkommen.\nDie Entdeckung, dass die vorderen Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven bloss motorisch, die hinteren bloss sensibel sind (siehe oben p. 649.), hat auf die Geschichte der L\u00e4hmungen sehr viel Licht geworfen. Bekanntlich ist zuweilen die Empfindung eines Gliedes, oder der ganzen Seite, oder der ganzen unteren Theile des K\u00f6rpers gel\u00e4hmt, w\u00e4hrend die Bewegung unversehrt ist; in anderen F\u00e4llen ist die Bewegung gel\u00e4hmt und die Empfindung unversehrt; in anderen F\u00e4llen sind beide zugleich gel\u00e4hmt. Nun fragt sich, wiederholt sich der Unterschied der sensoriellen Nerven und motorischen Nerven auch am R\u00fcckenmark, laufen die sensoriellen Fasern von den motorischen Fasern des R\u00fcckenmarkes verschieden zum Gehirn? Die Verschiedenheit der L\u00e4hmungen scheint diess zu beweisen, denn anders ist es unm\u00f6glich, jene merkw\u00fcrdigen pathologischen Thatsachen zu erkl\u00e4ren. Aber ein Anderes ist es, bestimmt anzugeben, welches die motorischen , welches die sensibeln Theile des R\u00fcckenmarkes sind. Entweder, kann man sagen, sind die vorderen Str\u00e4nge, aus welchen die motorischen Wurzeln entspringen, selbst bis zum Gehirn motorisch, die hinteren Str\u00e4nge, aus welchen die sensibeln Wurzeln entspringen, bis zum Gehirn bloss sensibel ; oder, k\u00f6nnte man fragen, ist etwa die weisse Rindensubstanz des R\u00fcckenmarkes der einen, die graue Substanz der andern Function bestimmt?","page":814},{"file":"p0815.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n815\nF\u00fcr die erstere Annahme, welche Bell und Magendie theilen, gieht es keine ganz gen\u00fcgenden Beweise, weder experimenteller noch pathologischer Art. Sichere Experimente sind unm\u00f6glich zu machen; denn indem man durch Schnitt auf die hinteren Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes wirkt, dr\u00fcckt man zugleich die vorderen. So definitiv die Resultate in Hinsicht der vorderen und hinteren Wurzeln der R\u00fcckenmarksnerven sind, so wenig sind sie es in Hinsicht der vorderen und hinteren Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes, die sich \u00fcberdiess als getrennt nicht einmal anatomisch nachweisen lassen. Diess habe ich schon hei Bekanntmachung meiner Versuche \u00fcber die Wurzeln in meinem franz\u00f6sischen Memoire (arm, des scienc. nat. 1831.) erkl\u00e4rt. Magendie (Journal de physiol. T. 3. 153.) fand die hinteren Str\u00e4nge sehr empfindlich, die vorderen nicht empfindlich, aber sie erregten gereizt heilige Zuckungen. Sp\u00e4ter (Journ. de physiol. 3. p. 368.) gab er zu, dass das Resultat nicht absolut sey. Backer (comment. ad quaest. physiol. Ultra/. 1830.) fand nach Durchschneidung der vorderen Str\u00e4nge nur die Bewegung, nach Durchschneidung der hinteren nur die Empfindung gel\u00e4hmt; er sah bei Thieren, denen er die vorderen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes im R\u00fcckentheil durchschnitten, nach Vergiftung der Thiere mit Nux vomica bloss in den vorderen Extremit\u00e4ten Kr\u00e4mpfe entstehen. Seubert\u2019s Versuche hatten in Hinsicht der Nervenwurzeln ein entscheidendes, in Hinsicht des R\u00fcckenmarkes ein unsicheres Resultat. Die vordere Gegend scheint nach diesen Versuchen vorz\u00fcglich, aber nicht allein, der Bewegung vorzustehen, die hintere vorz\u00fcglich, aber nicht allein, der Empfindung. Uebereinstimmend damit sind die \u00e4lteren Versuche von Schoeps (Meckel\u2019s Archiv. 1827.), vlonach die Section der vorderen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes die Sensibilit\u00e4t schw\u00e4cht, nach der Section der vorderen Str\u00e4nge eine gr\u00f6ssere Sensibilit\u00e4t zur\u00fcckbleibt, als nach Section der hinteren Str\u00e4nge, nach der Section der hinteren Str\u00e4nge die Bewegung der Extremit\u00e4ten aufh\u00f6rt, die aber wiederkehrt, nach der Section der vorderen Str\u00e4nge die Bewegung ganz aufh\u00f6rl. Die pathologischen F\u00e4lle, die man in Seubert\u2019s Schrift {de fund. rad. ant. et post, nerv. spin. Carlsruhae 1833.) zusammengestellt findet, best\u00e4tigen die Hypothese nur zum Theil, mehrere F\u00e4lle sprechen geradezu dagegen, wie auch der Umstand, dass der motorische Nervus accessorius bei V\u00f6geln und Amphibien ganz aus den hinteren Str\u00e4ngen entspringt. Bellingeri (de medulla spinali. August, laurin. 1823.) behauptet, die hinteren Wui\u2019zeln h\u00e4tten einen dreifachen Ursprung von den hinteren H\u00f6rnern der grauen Sudstanz, von der weissen der hinteren B\u00fcndel des R\u00fcckenmarkes, von den Seitenh\u00fcndeln; die vorderen Wurzeln auch einen dreifachen Ursprung von den vorderen B\u00fcndeln, von den vorderen Seiteneinschnitten, von den Seitenh\u00fcndeln. W\u00e4ren diese Angaben richtig, was sehr zu bezweifeln ist, so w\u00fcrden die hinteren Wurzeln allein mit der grauen Substanz Zusammenh\u00e4ngen. Bellingeri nimmt\nohne Beweise an, dass die innere graue Substanz dei Empfindung, die weisse der Bewegung vorstehe, dass die vorderen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes und die vorderen Wurzelu der Bewegung dei","page":815},{"file":"p0816.txt","language":"de","ocr_de":"816 III. Buch. Nervenphysik. V. Ahschn. Cenlralthellcd. Nervensyst.\nBeugemuskeln, die hinteren der Bewegung der Streckmuskeln Bestimmt seyen; diess ist wenigstens in Hinsicht der Wurzeln durchaus unrichtig. Nach E. H. Weber soll es zuweilen gelingen, die Spuren der Nervenwurzeln \u00fcberhaupt bis zur grauen Substanz zu verfolgen, was dagegen Rolando bezweifelt hat. Ueber den Antheil der grauen und weissen Substanz an den beiden Functionen lassen sich leider durchaus keine Experimente anstellen, und was alle Experimente \u00fcber die vorderen und hinteren Str\u00e4nge unsicher macht, ist die Reflexionsf\u00e4higkeit des R\u00fcckenmarkes, eine sensorielle Affection nach dem motorischen Apparat zu verpflanzen. Wenn z. B. die vorderen Str\u00e4nge wirklich allein motorisch, die hinteren bloss sensoriell sind, so m\u00fcsste doch eine Verletzung der hinteren Str\u00e4nge leicht schon deswegen durch Mitaffection der vorderen Str\u00e4nge Zuckungen bewirken, weil das R\u00fcckenmark hei allen heftigen Verletzungen in den reflectirenden Zustand ger\u00e4th, wo dann jede Reizung der sensoriellen Nerven, auf das R\u00fcckenmark verpflanzt, sich auf die motorischen Nerven reflectirt. Vgl. oben p. 717.\nDie Fasern des R\u00fcckenmarkes gelangen durch die Medulla oblongata zum Sensorium commune. Ohne hier die Eigenschaften der verschiedenen Theile des Gehirns, und ohne die \u00fcbrigen Eigen-th\u00fcmlichkeiten des R\u00fcckenmarkes schon hier zu untersuchen, wollen wir hier nur erw\u00e4gen, dass das R\u00fcckenmark die Primitivfasern aller Spinalnerven einzeln durch seine Fasern im Gehirn vertritt, so wie die Hirnnerven durch ihre Primitivfasern sich im Gehirn vertreten. Das Gehirn empf\u00e4ngt die Eindr\u00fccke aller sensiheln Fasern des ganzen Organismus, wird ihrer bewusst, und weiss den Ort der Empfindung nach der Affection der verschiedenen Primitivfasern; das Gehirn excitirt wiederum die motorische Kraft aller motorischen Primitivfasern und des R\u00fcckenmarkes hei der willk\u00fchrlichen Bewegung. Wir bewundern in dieser Th\u00e4tigkeit einen unendlich complicirtcn und feinen Mechanismus der Anordnung der Elemente, w\u00e4hrend die Kr\u00e4fte selbst durchaus ideeller Art sind. So verschieden die Th\u00e4tigkeit ist, so gleicht doch die Action des Gehirns bei der Erregung eines gewissen Theils unter den unendlich vielen Primitivfasern dem Spiel eines vielbesaiteten Instrumentes, dessen Saiten erklingen, so wie die Tasten ber\u00fchrt sind. Der Geist ist der Spieler oder Excitator, die Primitivfasern aller Nerven, die sich im Gehirn ausbreiten, sind die Saiten, und die Anf\u00e4nge derselben die Tasten. Niemever (Materialien zur Erregungstheorie. Gott. 1800.) erkl\u00e4rt die willk\u00fchrlichen Bewegungen daraus, dass die Spannung der| Antagonisten aulgehoben werde; allein einzelne Muskeln bewegen sich, wenn die Antagonisten durchschnitten sind, noch willk\u00fchrlich.\nDie Nervenst\u00e4mme und das R\u00fcckenmark als Stamm der Rumpfnerven gleichen sich auch darin, dass bei Affectionen des letztem Empfindungen scheinbar in den \u00e4usseren Theilen entstehen, gleichsam als w\u00e4ren die \u00e4usseren Theile selbst der Sitz der Affection. Eben so ist es, wie wir gesehen haben, bei der Affection der Nervenst\u00e4mme. Beim Druck aut die Nervenst\u00e4mme entsteht das Gef\u00fchl von Ameisenlaufen in der Haut, beim Druck","page":816},{"file":"p0817.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n817\nauf das R\u00fcckenmark entsteht dieselbe Formication in allen Thei-len, welche unter der verletzten Stelle ihre Nerven erhalten. Bei den Geschw\u00fclsten der Nerven sind die Theile, zu welchen die Enden der Nerven hingehen, von den heftigsten Schmerzen befallen; beim Durchschneiden der Nervenst\u00e4mme schmerzen die \u00e4usseren Theile; eben so ist es mit dem R\u00fcckenmark, welches bei entz\u00fcndlichen und anderen Affectionen oft die heftigsten Schmerzen scheinbar in den \u00e4usseren Theilen erregt. Selbst wenn vollkommene Empfindungslosigkeit f\u00fcr \u00e4ussere Reize vorhanden ist, k\u00f6nnen die Verletzungen des R\u00fcckenmarkes doch noch subjective Empfindungen erregen, welche scheinbar in den \u00e4usseren Theilen sind. Hiebe\u00ab- geh\u00f6rt besonders das Ameisenlaufen in den unteren Extremit\u00e4ten, bei g\u00e4nzlichem Verlust aller Empfindung f\u00fcr \u00e4ussere Reize und der Bewegung!11' Siehe Ollivier KrankliK des R\u00fcckenmarkes, iibers. von Radius. Leipz. 1824. p. 156. Allein die subjectiven Empfindungen in den Extremit\u00e4ten hei vollkommener Empfindungslosigkeit und L\u00e4hmung der Bewegungen k\u00f6nnen auch die heftigsten |Schmerzen in den \u00e4usseren Theilen seyn, wie in dem .schon erw\u00e4hnten Falle von Heyden-reich zu Bonn, wo bei L\u00e4hmung der Bewegung vollkommene Empfindungslosigkeit in den unteren Extremit\u00e4ten ist, und dennoch von Zeit zu Zeit die heftigsten Schmerzen in den empfindungslosen Theilen sich einstellen. Am h\u00e4ufigsten ist die Formication in den \u00e4usseren Theilen als Symptom von R\u00fccken-inarksaffection, wo diess Symptom fast niemals fehlt. Die Formication ist hier dasselbe als das Ohrenklingen f\u00fcr den H\u00f6rnerven, und die fliegenden M\u00fccken und andere krankhafte subjective Sinneserscheinungen f\u00fcr das Gesichtsorgan; und so wie die subjectiven Sinneserscheinungen, welche von der Bewegung des Blutes in der Netzhaut heim gesunden Menschen entstehen, durch einander springende P\u00fcnktchen sind, welche \u00fcberall zu seyn scheinen, wo man hinsieht, so ist die Formication oder das Gef\u00fchl von laufenden Punkten wahrscheinlich eine Empfindung der Blutbewe-wegung in den Capillargef\u00e4ssen des kranken Theiles vom R\u00fcckenmark, scheinbar in den \u00e4usseren Theilen empfunden. In anderen F\u00e4llen hat man statt der Formication ein unaufh\u00f6rliches Jucken in den Beinen bemerkt, welches beim Kratzen nicht verschwindet. Ollivier p. 309.\nUnter die subjectiven Empfindungen hei R\u00fcckenmarksafle-clion geh\u00f6rt auch die Aura epileptica der Epileptischen in den Extremit\u00e4ten, oft zuerst an den Fingern und Zehen, ein der Formication \u00e4hnliches Gef\u00fchl, welches immer mehr fortschreitet und den Anfall verk\u00fcndet. Die Erfahrung, dass Umbinden des von der Aura epileptica befallenen Theiles den Anfall oft vei-hindere, beg\u00fcnstigt die Voi'stellung, dass die Aura epileptica ihre Ursache in den Enden der Nerven und nicht im R\u00fcckenmark habe. Diess Binden mag wohl als heftiger Hautreiz wirken. Nur hei der Epilepsie von Nervengeschw\u00fclsten ist die Aura in den Nerven selbst und hemmt die Ligatur allerdings das Fortschreiten. Vergl oben p. 704.\nDa der Sitz der Empfindungen weder in den Nerven, welche","page":817},{"file":"p0818.txt","language":"de","ocr_de":"81S 111. Buch. Neroenphysik. V.Abschn. Centrallheiled.Ncroensysl.\ndie dazu n\u00f6thigen Str\u00f6mungen oder Schwingungen des Nerven-princips zum Gehirn bringen, noch in dem R\u00fcckenmarke ist, welches diese Wirkungen auch wie die Nerven zu dem Senso-rium commune leitet, da die Empfindung erst durch die Wirkung der Fasern der Nerven und des R\u00fcckenmarkes auf das Sen-sorium commune in diesem entsteht, so ist es leicht begreiflich, warum das Sensorium commune die Erregungen der Fasern des R\u00fcckenmarkes auch wie der Nerven in gleicher Art empfindet, wenn auch die Affection dieser Fasern in verschiedenen Punkten ihrer L\u00e4nge stattfindet; denn eine auch noch so lange Faser wirkt nur mit ihrem Hirnende auf das Sensorium, und die an verschiedenen Punkten dieser Fasern stattfindenden Irritationen k\u00f6nnen immer nur durch dasselbe Hirnehde der Fasern auf das Sensoriuri) wirken. Wir treffen indess hier hei dem R\u00fcckenmark auf denselben .Widerspruch wie bei den Nerven. Gleichwie ein Nervenstamm gedr\u00fcckt, gestossen, sowohl Empfindungen scheinbar an seinem peripherischen Ende und an dem Stamme selbst bewirkt, wie der Stoss auf den N. ulnaris sowohl Empfindungen im 4. und 5. Finger, als an dem Nervenstamme selbst erregt, so kann auch eine Verletzung des R\u00fcckenmarkes sowohl Empfindungen in allen Theilen, deren Nerven unter der verletzten Stelle entspringen, bewirken, als auch der verletzte Thcil des R\u00fcckenmarkes selbst schmerzhaft empfunden wird. Vergl. oben p. 701. Viele F\u00e4lle dieser Art geh\u00f6ren zwar nicht hieher, indem Krankheiten des R\u00fcckgrats se'bst und der h\u00e4utigen Umgebungen des R\u00fcckenmarkes, ausser den Ph\u00e4nomenen des Drucks auf das Pi\u00fcckenmark nothwendig auch mit Gef\u00fchl in den verletzten Umgebungen begleitet sind. Aber es giebt auch reine R\u00fcckenmarksschmerzen, Rachialgie. Auch die Gef\u00fchle von Schauder und Rieseln im R\u00fccken m\u00fcssen im R\u00fcckenmark ihren Sitz haben. Die Ursache, warum die Empfindungen bald in den \u00e4usseren Theilen, bald im R\u00fcckenmarke selbst empfunden werden, ist uns noch unbekannt.\nWir haben bisher die Aehnlichkeiten der Nerven und des R\u00fcckenmarkes, oder dasselbe als einen Conductor der von ihm ausgehenden Nerven bis zum Gehirn und umgekehrt betrachtet; wir werden jetzt die Eigenschaften des R\u00fcckenmarkes untersuchen, welche es von den Nerven unterscheiden, und welche ihm als Theil des Centralapparates zukommen.\n2) Das R\u00fcckenmark als Theil der Centralorgane. Schon der Bau des R\u00fcckenmarkes zeigt, dass dasselbe mehr als einen Conductor der Fasern der Nerven zum Gehirn darstellt; w\u00e4re diess der: Fall, so m\u00fcsste das R\u00fcckenmark in seinem obern Theile bloss die Summe aller Fasern enthalten, die sich von oben bis unten aus ihm entwickeln, gleich wie ein Nervenstamm nur alle Fasern zusammen enth\u00e4lt, die bei seiner Verzweigung sich von ihm ab-l\u00f6sen. Das R\u00fcckenmark m\u00fcsste also von oben bis unten, je mehr Nerven von ihm abgehen, in demselben Maasse d\u00fcnner werden, oder einen unten zugespitzten Keil darstellen. Diess ist nicht der Fall, wenn sich auch sein Durchmesser im Allgemeinen von oben nach unten vermindert. Selbst an seinem Ende, wo die","page":818},{"file":"p0819.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\nS19\nletzten Nerven abgehen, enth\u00e4lt es noch mehr Masse, als die Mut-terl\u00e4den der dort abgehenden Nerven betragen, \u00fcherdiess schwillt es am Abgang der Nerven der Extremit\u00e4ten an und bei mehreren Fischen schwillt es sogar an seinem Ende in [einen unten zugespitzten Kolben an. (E. II. Weber in Meckel\u2019s Archiv 1827. p. 316.) Ausserdem enth\u00e4lt das R\u00fcckenmark zvveierlei Substanzen, wie das Gehirn. Es lassen sich aber auch die Eigenschaften und Kr\u00e4fte, wodurch sich diess Organ von den Nerven unterscheidet, deutlich nachweisen.\na) Das R\u00fcckenmark besitzt die F\u00e4higkeit, sensorielle Reizungen seiner Empfindungsnerven auf die motorischen Nerven zu refle-ctiren. Es ist Reflector. Diese Eigenschaft, wodurch auf eine Empfindung Bewegungen erfolgen, ohne dass beiderlei Nerven durch ihre Primitivf\u00e4sern coimnuniciren, ist schon oben bei der Lehre von der Reflexion untersucht worden. Kein Nerve an sich, der von den Centraltheilen getrennt w\u00e4re, besitzt das Verm\u00f6gen der Reflexion.' Die reflectirende Th\u00e4tigkeit des R\u00fcckenmarkes und der Medulla oblongata ist an sich schon ein gesundes Ph\u00e4nomen, doch in einer gewissen Beschr\u00e4nkung. Aber man versetzt das R\u00fcckenmark durch Narcotisation des Thiers oder besonders bei Amphibien durch Enthaupten in das Maximum von Disposition zur Reflexion. Wenn man der Salamandra maculata den Kopf abnimmt, so bleibt der Rumpf auf den F\u00fcssen stehen, und sobald man die Haut reizt oder auch nur ber\u00fchrt, windet sich der Rumpf. Dieses Verm\u00f6gen der Reflexion bleibt mehrere Stunden lang in allen St\u00fccken des Rumpfes, die noch etwas vom R\u00fcckenmark enthalten. Schneidet man das ganze Thier in der H\u00e4lfte durch, so besitzt das untere St\u00fcck dieselbe. Kraft wie das obere, man kann den Schwanz in viele St\u00fccke theilen, jedes St\u00fcck, welches noch etwas vom R\u00fcckenmark enth\u00e4lt, zieht sich zusammen, sobald man es nur auf das leiseste ber\u00fchrt; ja selbst das Schwumzende windet sich noch, sobald es ber\u00fchrt wird. Alle diese Theile enthalten noch etwas vom R\u00fcckenmark, wie ich mich \u00fcberzeugt, und diess Thier besitzt keine eigentliche Cauda equina. Dass das R\u00fcckenmark die Ursache der auf die Ber\u00fchrung erfolgenden Windungen ist, l\u00e4sst sich thats\u00e4chlich beweisen. Denn nur diejenigen auch kleinsten Theile des Salamanders behalten diess Verm\u00f6gen, welche noch etwas vom R\u00fcckenmark enthalten; diejenigen dagegen nicht, welche nichts davon enthalten, m\u00f6gen sie sonst auch noch so gross seyn. Schneidet man ein Bein des Salamanders ab, so zeigt es auf mechanische Reizung der Haut keine Spur der Bewegung, und dennoch bewegt sich das Schwanzende noch, sobald man es ber\u00fchrt.\nDie zum R\u00fcckenmarke gelangende Sensation bewirkt beim Salamander nicht allein die Bewegung der unter dem Hautreiz gelegenen Theile, sondern der ganze Rumpf bewegt sich,, wenu auch nur die Schwanzspitze gereizt wird. Das R\u00fcckenmark dieser Thiere verh\u00e4lt sich daher durchaus anders als ein Stamm von Nerven, denn ein Stamm von Nerven, vom R\u00fcckenmark und Gehirn getrennt, empfindet nicht, und bewirkt auch keine Bewe-","page":819},{"file":"p0820.txt","language":"de","ocr_de":"820 III. Buch. Ncrvcnphysik. V. Abselm. Cent ralt hr He d. Nervensyst\n\u00a3;ung auf Veranlassung einer Reizung der Ernpfindungsnerven der flaut.\nb) Das R\u00fcckenmark ist der Reflexion -von Empfindungsnerven auf Bewegungsnerven f\u00e4hig, ohne seihst zu empfinden. Die Behauptung, dass das R\u00fcckenmark auch zu dem Sensorium commune geh\u00f6re, st\u00fctzt sich zum Theil auf die Thatsache, dass hei gek\u00f6pften Thieren Reize an der Haut des Rumpfes angebracht Bewegungen in nahen und entfernten Theilen desselben hervorbringen. Allerdings zieht der Rumpf eines Frosches, dessen Hirn vom R\u00fcckenmark getrennt ist, auf einen Hautreiz oft ein Glied an. Die Schildkr\u00f6ten thun es auch ; diess findet aber seine volle Erkl\u00e4rung in der reflectirenden Function des R\u00fcckenmarkes, in dem Verm\u00f6gen, die centripetale Wirkung eines Empfindungsnerven auf motorische Nerven zu reflectiren. Wir haben fr\u00fcher gezeigt, dass die Reflexion von einer Empfindungsreizung auf einen Bewegungsnerven durch das R\u00fcckenmark am leichtesten bei Nerven nahen Ursprunges geschieht; und es darf uns nicht wundern, wenn auf Reizung der Haut des Fusses der Fuss, auf Reizung der Haut des Armes der Arm angezogen wird. Diess geschieht eben so unwillk\u00fchrlich in heftigen Verbrennungen hei Menschen, ja es geschieht auch hei jedem Menschen in den Reizungen der Schleimhaut des Schlundes, des Kehlkopfes, der Luftr\u00f6hre. Immer entstehen dann unwillk\u00fchrlich die Reflexionsbe-wegnngen am leichtesten an demselben Theile, an dem Schlunde, durch unwillk\u00fcrliches Schlingen, an dem Kehlkopfe durch Verengerung der Stimmritze u. s. w. Das Anziehen der Extremit\u00e4ten hei einem gek\u00f6pften Frosche auf\u2019Reizung der Haut derselben geschieht daher eben so wenig bewusst und mit Absicht, als der allgemeine tetanische Krampf hei Ber\u00fchrung der Haut einer gek\u00f6pften Salamandra maculata oder eines narcotisirten Frosches. Es ist hier nur noch der Beweis zu f\u00fchren, dass es auch im gesunden Zustande des Menschen reflectirte Bewegungen, nach Erregung von Empfindungsnerven, ohne alles Bewusstseyn giebt. Bei den von dem kranken Magen, Darmkanal, Nieren, Leber, Uterus erregten Erbrechungsbewegungen der Rumpfmuskeln wird die Ursache in Magen, Darm, Nieren, Uterus, Leber sehr h\u00e4ufig und in der Regel nicht empfunden; d. h. die nach dem R\u00fcckenmark und der Medulla oblongata gelangende centripetale Erregung der Empfindungsnerven k\u00f6mmt nicht zum Bewusstseyn. Und so sehen wir deutlich, dass das R\u00fcckenmark bei der Reflexion nicht nothwendig empfindet, und dass jene Beweise von dem mit Bewusstseyn verkn\u00fcpften Empfindungsverm\u00f6gen des R\u00fcckenmarkes ungegr\u00fcndet sind. Auch der vom Rumpf getrennte Kopf kann uns Reflexionserscheinungen zeigen, ohne dass eine entfernte Wahrscheinlichkeit vorhanden w\u00e4re, dass ein vom Rumpfe getrennter Kopf eines Menschen oder h\u00f6hern Thicres noch bewusst empfinde. Der mit einer solchen Verletzung verbundene Blutverlust ist gr\u00f6sser, als irgend einer, der beim Menschen gew\u00f6hnlich schon das Bewusstseyn nimmt ; abgesehen von den anderen Folgen einer solchen Verletzung wie die Zerschneidung des \u00f6ber-slcn Tbeiles des R\u00fcckenmarkes, Wenn der Kopf eines Hinge-","page":820},{"file":"p0821.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n821\nrichteten hei Reizung des Stumpfes vom R\u00fcckenmark Zuckungen in den Gesichtsmuskeln erscheinen l\u00e4sst, so ist es nicht anders m\u00f6glich; ja es w\u00fcrde uns nicht einmal wundern, wenn die Reizung der Haut des Kopfes an einem enthaupteten Thiere oder Menschen noch Reflexionsbewegungen bewirkte; denn diess w\u00e4re durchaus dasselbe Ph\u00e4nomen, wie die Reflexion an St\u00fccken eines zerst\u00fcckelten Salamanders; und eben so ist die Erscheinung zu beurtheilen, dass an einem vom Rumpfe getrennten Kopfe einer jungen Katze, welchem man den Finger in den Schlund\"bringt, der Schlund sich fest um den Finger, wie zum Schlingen anlegt.\nc)\tDas R\u00fcckenmark ist ein motorisch geladener Apparat, welcher seihst nach der Trennung vom Gehirn, und ohne \u00e4ussere Reize, durch Entladung automatische Bewegungen hervorbringen kann. Diess ist hei den Nerven, wenigstens denjenigen des Cerebrospinalsystems, nicht der Fall, obgleich die motorische Thatigkeit des sympathischen Systems hierin dem R\u00fcckenmark gleicht. S. oben p, 741. Ein Gehirnnerve oder Spinalnerve, der von den Centraltheilen getrennt ist, bewirkt, ohne dass er gereizt wird, keine Bewegungen in den Muskeln mehr; das R\u00fcckenmark dagegen kann, auch von dem Gehirn getrennt, noch Entladungen nach den Muskeln bewirken. Die Salamandra ma-culata steht, wenn man ihr den Kopf abgeschnitten hat, noch auf ihren F\u00fcssen. Der Rumpf der enthaupteten Fr\u00f6sche bewegt sich zuweilen (nicht immer, und h\u00e4ufig gar nicht) noch, er zieht ein Bein an oder streckt es. Der Aal windet sich nach dem Ahschneiden des Kopfes noch geraume Zeit. Bei den Experimenten an Amphibien muss man sehr vorsichtig seyn. Ist der Kopf zu kurz vom Rumpfe abgeschnitten, so enth\u00e4lt das Rumpfst\u00fcck noch einen Theil des verl\u00e4ngerten Markes, und dann ist allerdings nicht bloss automatische, sondern selbst willk\u00fchrliche Bewegung des Rumpfes m\u00f6glich, so gut dem obern Theile des Rumpfes eines hinter dem Kopfe getheilten Frosches noch bewusste Empfindung und Willk\u00fcbr zuk\u00f6mmt, wie man deutlich genug in Experimenten sieht. Noch ein anderer Umstand, auf den Marshall Hall (siehe oben p. 726.) aufmerksam gemacht hat, verdient grosse Beachtung. Eine enthauptete Schlange befindet sich in dem zu den Reflexionserscheinungen geneigtesten Zustande. Eine Ber\u00fchrung ihrer Haut ruft reflectirte Bewegungen hervor; durch diese Bewegungen entstehen wieder neue Ber\u00fchrungen an verschiedenen Theilen des K\u00f6rpers, die immer wieder neue Bewegungen veranlassen. Ist das Thier endlich in Ruhe gekommen, so reicht eine kleine Ersch\u00fctterung oder Ber\u00fchrung hin, dasselbe Spiel zu wiederholen.\nd)\tDas R\u00fcckenmark, zu automatischen Wirkungen auf die Bewegungsnerven f\u00e4hig, l\u00e4sst im Zustande der Gesundheit einen grossen Theil der Bewegungsnerven, namentlich die der Ortsbewegung, ruhig, aber auf viele andere Nerven wirkt es in einem fort motorisch, indem es sie in best\u00e4ndigen unwillk\u00fcrlichen Zusammenziehungen erh\u00e4lt, die erst mit der L\u00e4hmung des R\u00fcckenmarkes aufh\u00f6ren. Ilieher geh\u00f6ren a. der Willk\u00fcbr zugleich Unterworfene Muskeln, wie der Sphincter ani, b. der Willk\u00fcbr","page":821},{"file":"p0822.txt","language":"de","ocr_de":"822 III. Buch. Ncrvenphysik. V. Abschn. CcntraUhciled.Nervensyst.\nentzogene Muskeln, der Sphincter vesicao urinariae, der Darmkanal, das Ilerz etc. F\u00fcr diese Wirkungen des R\u00fcckenmarkes muss in demselben ein eigener, mit dem Sensorium commune weniger in Wechselwirkung stehender Apparat vorhanden seyn, den wir indess anatomisch nicht nachweisen k\u00f6nnen. Bei niederen Wirbelthieren kann seihst die Gemeinschaft des Gehirns und R\u00fcckenmarkes aufgehoben seyn, und diese motorische Ausstrahlung des R\u00fcckenmarkes dauert doch noch auf die Sphincteren fort, wie Marshall Halt, hei der Schildkr\u00f6te sah, deren Sphincter ani nach der Enthauptung geschlossen blich, und erst nach der Zerst\u00f6rung des R\u00fcckenmarkes sich l\u00f6ste.\ne) Das R\u00fcckenmark besitzt eine grosse Mittheilbarkeit seiner Zustande von einem Theile desselben auf den andern; hierdurch unterscheidet es sich durchaus von den Nerven. Hier\u00fcber sind die schon p. 656. von mir mitgelheiltcn Versuche belehrend. Ein Nerve eines Frosches wird, sofern das R\u00fcckenmark nicht ir-ritirt ist, wenn er galvanisirt wird, seinen Zustand nicht so leicht auf das ganze R\u00fcckenmark \u00fcbertragen. Reizt man eine vordere oder hintere Wurzel der letzten R\u00fcckenmarksnerven des Frosches, die man durchgeschnitten, an dem mit dem R\u00fcckenmarke zusammenh\u00e4ngenden St\u00fccke durch ein einfaches Plattenpaar, so wirkt diess nicht leicht durch das R\u00fcckenmark durch bis zu den vorderen Theilen des K\u00f6rpers, und es entstehen keine Zuckungen am Kopfe. Reizt man aber das Ende des R\u00fcckenmarkes auf diese Art, so zucken auch die Muskeln der vorderen Theile des K\u00f6rpers. Hieraus begreift man, wie eine R\u00fcckenmarkskrankheit, auch wenn sie anfangs ihren Sitz in dem untern Theile des R\u00fcckenmarkes hat, allm\u00e4hlig doch, schon durch blosse Wechselwirkung, auch die oberen Rumpftheile, die Theile des Kopfes afficirt, wie z. B. bei der durch Ausschweifungen bedingten Schw\u00e4che des untern Tbeiles des R\u00fcckenmarkes Amblyopie, Ohrensausen etc. Vorkommen.\n/) Bei einer grossen Irritation des R\u00fcckenmarkes, in der Entz\u00fcndung, nach heftigen Reizungen der Nerven (Tetanus trau-maticus), und in der Narcotisation ger\u00e4th das ganze R\u00fcckenmark in diesen Zustand, auch nach allen willk\u00fchrlichen Muskeln best\u00e4ndige Entladungen zu bewirken. Jene Tension, die es im Zustande der Gesundheit auf die Sphincteren aus\u00fcbt, ist dann allgemein; es entstehen allgemeine Convulsionen oder tetanische Kr\u00e4mpfe, die sich von Zeit zu Zeit wiederholen, und in manchen Muskeln, wie den Kaumuskeln, selbst anhaltend sind. Diese Zust\u00e4nde sind bald acut, wie in den oben angef\u00fchrten heftigen Verletzungen, bald chronisch, wie in der Epilepsie, mag die Irritation nun von Krankheiten der Centralorgane selbst (Epilepsia cerebralis, spinalis), oder von einzelnen Nerven, z. B. Nervengeschw\u00fclsten, sich ausbreiten. Eine \u00e4hnliche, aber geringere Reizbarkeit des R\u00fcckenmarkes mit leicht abwechselnden Bewegungen zeigt sich auch in den clonischenKrampfformen, Chorea St. \\itietc.\ng) Bei der Narcotisation durch die Gifte, welche Kr\u00e4mpfe erzeugen, ist das R\u00fcckenmark und nicht die Nerven die Ursache der krampfhaften Bewegungen. Wenn man ein Thier dure.\u00bb","page":822},{"file":"p0823.txt","language":"de","ocr_de":"2. Vom R\u00fcckenmark.\n823\nNux vomica oder Strychnin vergiftet, und vorher die Nerven-st\u00e4inme der Ertremit\u00e4ten durchschneidet, so entstehen hei dem erfolgenden Starrkr\u00e4mpfe keine Krampfe in den Theilen, deren Nerven vorher durchschnitten waren. Es geht daraus hervor, dass jene Gifte auf die Centraltheile, und durch diese auf die Nerven wirken. Wenn man das R\u00fcckenmark selbst vor der Vergiftung eines Thieres, oder nach derselben durchschneidet, so erfolgen die Kr\u00e4mpfe dennoch in den Theilen hinter dem Durchschnitt. Diese Gifte wirken daher auf jeden motorisch geladenen Theil des R\u00fcckenmarkes bis zum Tode. Racker commeniatio ad f/uaestionem physiologicam. Traject. 1830.\nh) Das R\u00fcckenmark ist aber durch seine motorische Spannung die Ursaahe der Kraft unserer Bewegungen. Die Intensit\u00e4t unserer Kraftanstrengungen h\u00e4ngt grossentheils von diesem Organe ab. Wenn auch der gr\u00f6sste Theil der motorischen Nerven in der Regel, ohne das Hinzukommen der Willensbestimmungen, von ihm unth\u00e4tig gelassen wird, so h\u00e4ngt von ihm .doch die St\u00e4rke und Dauer der motorischen Entladungen ab, welche das Senso-rium commune willk\u00fchrlich bewirkt. Best\u00e4ndig enth\u00e4lt diess Organ gleichsam einen Vorrath von motorischer Kraft, und wenn es durch die Fortleitung der Nervenfasern vom Gehirn aus als Conductor der von dem Sensorium commune ausgehenden Oscillation wirkt, so h\u00e4ngt die Intensit\u00e4t der erfolgenden Wirkung nicht bloss von der St\u00e4rke des Willens, sondern von dem Quantum des in dieser S\u00e4ule angeh\u00e4uften motorischen Nervenprincipes ab. Daher kann das R\u00fcckenmark auch seine F\u00e4higkeit als Conductor behalten, w\u00e4hrend es die zweite Eigenschaft, die Kraft der Mus-kelbevvegung, aufgegeben hat; diess geschieht bei der Tabes dorsalis. Bei dieser nur nach Ausschweifungen erfolgenden Krankheit mit Atrophie des R\u00fcckenmarkes, ist anfangs kein einziger Muskel der unteren Extremit\u00e4ten gel\u00e4hmt; alle gehorchen, und selbst in einem vorger\u00fcckten Stadium der Krankheit noch dem Willen, der Kranke kann alle Bewegungen ausf\u00fchren, und das R\u00fcckenmark ist offenbar noch ein unversehrter Conductor f\u00fcr die von dem Sensorium commune ausgehende Oscillation oder Str\u00f6mung. Aber die Kraft der Bewegungen ist erloschen ; der Kranke kann nicht lange stehen, gehen, und die Abnahme der Kr\u00e4fte nimmt immerfort bis zum g\u00e4nzlichen Erl\u00f6schen zu, woraut die L\u00e4hmung vollkommen ist. Alan muss diese Art der. L\u00e4hmungen sehr von anderen unterscheiden, wo die Leitung in der motorischen S\u00e4ule an einer Stelle unterbrochen ist, die entsprechenden Muskeln dem Willen nicht mehr gehorchen, und alle \u00fcbrigen die ganze Kraft der Bewegung behalten k\u00f6nnen.\nt) Das R\u00fcckenmark ist die Ursache der Potenz und der geschlechtlichen Spannung; die Aus\u00fcbung des Geschlechtstriebes ist durch dasselbe bedingt. Unstreitig ist das R\u00fcckenmark bei dem Coitus am meisten in Affection; man sieht diess aus den heftigen Reflexionsbewegungen, die nach den Emplindungsreizungen dei Ruthennerven folgen, aus den Reflexionsbewegungen der Samenbl\u00e4schen und der Dammmuskeln. Die auf die Aus\u00fcbung des Geschlechtstriebes folgende Abspannung kann nur in dem Riik-I>I \u00fc ller\u2019s Physiologie. 1.\t0*3","page":823},{"file":"p0824.txt","language":"de","ocr_de":"821 III. Buch. Nerocnphysik. V.Abschn. CenlrallhrUe d. Nervensyst.\nkenmarke ihren Grund haben. Erst allmahlig wird dieses Organ wieder in die zum Geschlechtstriebe n\u00f6thige Tension seiner Kr\u00e4fte versetzt; es entstellt wieder jener Ueberfluss, jene Spannung des wirksamen Princips in diesem Organe, wo jede Stimmung des Sensoriums auf geschlechtliche Gegenst\u00e4nde Erection bewirken, wo die Vorstellung den geladenen Zustand des R\u00fcckenmarkes gleichsam entladen kann, um auf den von ihm ausstrahlenden organischen Nerveneinfluss jene Anh\u00e4ufung des Blutes in der Ruthe zu bewirken. Diese Potenz des R\u00fcckenmarkes geht aber durch Affectionen des R\u00fcckenmarkes auch verloren.\nk)\tWie diess Organ auf die organisch-chemischen Vorg\u00e4nge des Capillarsystems durch die organischen Nerven Einfluss hat, sieht man nicht allein an der ver\u00e4nderten Hautabsonderung bei Ohnm\u00e4chten, sondern deutlicher noch an der Beschaffenheit der Haut hei Menschen, bei denen das R\u00fcckenmark durch Ausschweifungen gelitten hat. Wenn n\u00e4mlich die Aus\u00fcbung des Coitus zu h\u00e4ufig auf einander erfolgt, so tritt nicht allein Kraftlosigkeit ein, sondern auch verminderter Turgor der Haut, verminderte Perspiration, Trockenheit derselben, verminderte W\u00e4rmeerzeugung, Kaltwerden der F\u00fcsse, H\u00e4nde, Genitalien.\nl)\tDieses Organ ist auch der Gegenstand einer krankhaften Impression hei allen fieberhaften Affectionen, und die dem Fieber eigene Ver\u00e4nderung der Sensationen, der Bewegungen und der organischen Wirkungen, Absonderungen, W\u00e4rmeerzeugung sind nur durch den Antheil eines solchen Organes erkl\u00e4rlich, wie dasjenige ist, dessen Eigenschaften wir in diesem Capitel zu zergliedern gesucht haben. Da die Affectionen der Cerebrospinalnerven nicht leicht Fieber, sondern leichter andere Nervenkrankheiten erregen, und da das Fieber durch nichts leichter, als durch Ver\u00e4nderung der Capillargefassactionen in irgend einem Theile, sey es nun Ver\u00e4nderung des Zustandes der Schleimh\u00e4ute, oder Entz\u00fcndung in irgend einem Organe, entsteht, so liegt es sehr nahe, anzunehmen, dass bei dem Fieber eine solche auf das R\u00fcckenmark verpflanzte und von dort auf alle Nerven reflectirte Impression stattfinde, welche von einer heftigen Affection der organischen Nerven irgend eines Theiles (bei Entz\u00fcndung oder anderer Reizung) ausgeht.\nWas die organischen Wirkungen des R\u00fcckenmarkes, verglichen mit denen des Gehirns, betrifft, so wissen wir aus FloU-kehs Versuchen und den Best\u00e4tigungen von Hertwig, dass ein Vogel nach Wegnahme der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns, wenn man ihm das Futter einstopft, doch noch geraume Zeit ern\u00e4hrt werden kann, ohne abzumagern. IIebtwig exp\u00e9rimenta quae7 dam de effect ibus laesionum in pariibus encephali. Berol. 1826.\nIII. Capitel. Vom Gehirn.\nT. Vergleichung des Gehirns der W irb ei ihier\u00e9.\nIn keinem Theile der Physiologie kann man gr\u00f6ssere Anforderungen an die vergleichende Anatomie machen, als in der Phy-","page":824},{"file":"p0825.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Vergleichung des Gehirns der Thiere. 825\nsiologie des Gehirns. Hier zeigen sich nach der Entwickelung der intellectuellen F\u00e4higkeiten in den verschiedenen Classen die gr\u00f6ssten Unterschiede, welche f\u00fcr die Deutung der Hirntlieile von der gr\u00f6ssten Wichtigkeit sind; aber auch die Nothwendig-keit, \u00fcber die Bedeutung der Hirntheile Versuche an Thieren anzustellen, macht uns die Vergleichung der Gehirne der Thiere so unentbehrlich. Daher habe ich f\u00fcr n\u00f6thig gehalten, vor der Untersuchung der Eigenschaften und Kr\u00e4fte des Gehirns eine Vergleichung des Gehirns der Wirbelthiere vorauszuschicken. Diese Betrachtungen m\u00fcssen von dem F\u00f6tuszustande des Gehirns des Menschen nnd der h\u00f6heren Thiere ausgehen, weil dieser, wie \u00fcberhaupt bei Vergleichungen dieser Art, mehr sichere Vergleichungspunkte darbietet.\nSchon bei einer oberfl\u00e4chlichen Vergleichung des Gehirns des Menschen mit dem der h\u00f6heren Wirbelthiere zeigt sich, dass die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns, welche mit 'ihrem hintern Theile beim Menschen nicht allein die Vierh\u00fcgel, sondern selbst das kleine Gehirn \u00fcberragen, ohne mit den Theilen, welche sie bedecken, zu verschmelzen, bei den Thieren sich mehr und mehr nach vorn zur\u00fcckziehen, und die bei dem Menschen bedeckten Theile von oben frei lassen. Bei den Nagethieren sehen w'ir schon das kleine Gehirn frei, bei den V\u00f6geln sind es auch die Vierh\u00fcgel, und noch mehr ist diess bei den Amphibien der Fall. In demselben Grade, als sich die Hemisph\u00e4ren verkleinern, ver-gr\u00f6ssern sich bei den Thieren die Vierh\u00fcgel, und wenn diese bei den Amphibien noch bedeutend kleiner als die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns sind, so ist bei den Fischen das Verh\u00e4ltniss dieser Theile so ver\u00e4ndert, dass man in Zweifel ist, was man f\u00fcr das eine und fiir das andere halten soll. Das Gehirn dieser Thiere zeigt uns n\u00e4mlich nur eine Reihe von theils paarigen, theils unpaarigen Anschwellungen. Die hinterste unpaarige, \u00fcber dem verl\u00e4ngerten Marke gelegene, den vierten Ventrikel deckend, ist das kleine Gehirn; vor ihm liegt ein H\u00fcgelpaar, oft das gr\u00f6sste, hohl in seinem Innern, von welchem gr\u00f6sstentheils die Sehnerven entspringen; vor diesen liegen ein Paar solide Anschwellungen, in der Mitte noch zusammenh\u00e4ngend, und vor diesen oft noch zwei von einander abgesonderte Anschwellungen am Urspr\u00fcnge der Geruchsnerven. Nur das F\u00f6tusgehirn der h\u00f6heren Theile gleicht einigermaassen dem Hirn der niederen Wirbelthiere; denn die Hemisph\u00e4ren sind klein, \u00fcberragen anfangs weder das kleine Gehirn, noch die Vierh\u00fcgel, und es giebt eine Zeit, wo die Vierh\u00fcgel nicht kleiner sind als die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns. In diesem Falle findet man eine \u00e4hnliche Pieihe von Anschwellungen, wie am Gehirn der Fische, zu hinterst das unpaare kleine Gehirn; vor ihm die grossen blasigen Vierh\u00fcgel, noch nicht in das vordere und hintere Paar abge-theilt, im Innern hohl (Ventriculus Sylvii, wo sp\u00e4ter der Aquaeductus Sylvii ist); vor ihnen die Hemisph\u00e4ren, bei den S\u00e4uge-thieren mit den Lobi olfactorii an ihrem vordem Ende. Siehe Tiedemann a. a. O. Das Gehirn der S\u00e4ugethiere ist indess in der j\u00fcngsten Zeit des F\u00f6tuslchens nicht hinreichend genau bekannt,\n53 *","page":825},{"file":"p0826.txt","language":"de","ocr_de":"826 III. Buch. Neroenphysik. V.Ahschn, Cent rail he He d. Nervensyst.\num fruchtbare Vergleichungen mit clem der Fische anzustellen. Hierzu sind nur von Baer\u2019s Beobachtungen am H\u00fchnerembryo (Burdach\u2019s Physiologie. 2.) geeignet. Wach vow Baer\u2019s Untersuchungen zeigt das Gehirn des Vogelembryos von hinten nach vorn folgende Anschwellungen :\n1)\tDas unpaare kleine Gehirn, den vierten Ventrikel \u00fcber der Medulla oblongata \u00fcberdeckend, vor ihm\n2)\tDie Blase der Vierh\u00fcgel, von welchen vorz\u00fcglich der N. opticus entspringt, hohl in ihrem Innern, mit dein Ventriculus Sylvii, der auch in den, beim Erwachsenen aus einander nach unten gedr\u00e4ngten Vierh\u00fcgellappen oder Lobi optici enthalten'ist.\n3)\tDie Blase des dritten Ventrikels. Der dritte Ventrikel, welcher von den Sehhiigeln seitlich und von dem Trichter unten begrenzt wird, ist n\u00e4mlich beim Embryo noch nicht von den noch sehr kleinen Hemisph\u00e4ren bedeckt; aber gleichwohl ist er anfangs oben nicht offen, vielmehr besitzt er eine blasige Decke, welche erst sp\u00e4ter in der Mittellinie vorn eine Spalte erlangt, indem diese Blase in der Mittellinie von vorn nach hinten auf-reisst, w\u00e4hrend sich der hintere Theil der Decke zur sp\u00e4tem Zirbel zusammenzieht, so dass die sp\u00e4tem Schenkel der Zirbel die fr\u00fchere Ausdehnung der mittlern Decke andeuten. In der Blase des dritten Ventrikels sind die Sehh\u00fcgel enthalten.\n4} Vor der Blase des dritten Ventrikels liegt die Doppelblase der Hemisph\u00e4ren, hohl und auf ihrem Boden die gestreiften K\u00f6rper enthaltend. Diese Blase, anfangs kleiner als die Blase der Vierh\u00fcgel oder Lobi optici, vergr\u00f6ssert sich und w\u00e4chst nach hinten allm\u00e4ldig \u00fcber die Blase des dritten Ventrikels und seine Spalte hin\u00fcber; anfangs ist diese Blase an ihrer hintern Grenze gegen die Blase des dritten Ventrikels nicht eingerissen, d. h. die Fissura cerebri magna des grossen Gehirns, durch welche man heim Erwachsenen unter dem hintern untern Rande der Hemisph\u00e4ren in die H\u00f6hle der Hemisph\u00e4ren gelangt, ist anfangs nicht vorhanden; so dass man zu einer gewissen Zeit nur durch die Spalte der Blase des dritten Ventrikels in die Blasen der Hemi-sp\u00e4ren, die mit der Blase des dritten Ventrikels Zusammenh\u00e4ngen, kommen kann. Nachdem aber die Grenze, wo der untere hintere Rand der Hemisph\u00e4renblasen, welche die Blase des dritten Ventrikels beutelf\u00f6rmig hinten \u00fcberragen, und der vordere Rand der letzten Blase Zusammenh\u00e4ngen, jederscits eine Querspalte erhalten hatte, ist die Fissura cerebri magna entstanden, durch welche man bekanntlich beim Gehirn des Erwachsenen nach Wegnahme der Gef\u00e4sshaut, unter den hinteren Schenkeln des Fornix in die Seitenventrikel gelangen kann.\nHierauf lassen wir eine kurze Beschreibung des Fischgehirns folgen. Am besten geht man mit Cuvier von dem Cerebellum aus, \u00fcber welches kein Zweifel obw'alten kann.\n1)\tCerebellum, es ist unpaarig, liegt quer \u00fcber dem verl\u00e4ngerten Marke, und deckt den vierten Ventrikel, der sich unter ihm nach hinten, wie bei allen Thieren, \u00f6ffnet.\n2)\tLobi optici. Vor dem kleinen Gehirn liegen oben ein Paar, hohle Lappen, an einer Mittelfurche ihrer obern Wand verbun-","page":826},{"file":"p0827.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Vergleichung des Gehirns der Thiere. 827\nden; sie geben dem N. opticus den Ursprung, und d\u00fcrfen mit dem Thalamus der h\u00f6heren Thiere nicht verwechselt werden. Ihre W\u00e4nde enthalten zwei Faserschichten, die \u00e4ussere Lage streicht von hinten und aussen nach unten und innen, die innere Lage strahlt von unten nach aussen und oben in den W\u00e4nden der Lobi optici aus. Auf dem Boden liegen (nur hei den Knochenfischen) zwei Paar K\u00f6rperchen, die aussen von einem grauen Wulst umgeben sind, von welchem die innere Ausstrahlung ausgeht; vor diesen ist eine Vertiefung, der dritte Ventrikel, der zur Hypophysis f\u00fchrt; vor dem dritten Ventrikel ist die vordere Conunissur. Von diesen Lappen gehen die Sehnerven ah, und zwar von der \u00e4ussern Faserschicht. Vor den grauen K\u00f6rperchen \u00f6ffnet sich die unter ihnen aus dem vierten Ventrikel kommende Wasserleitung in den dritten Ventrikel. Am vordem Ende der Lohi optici, zwischen diesen und den Lobi anteriores, befindet sich in der Mittellinie eine Oeffnung, welche schlecht zu der Ansicht derjenigen passt, welche diese Lappen mit den Hemisph\u00e4ren der h\u00f6heren Thiere vergleichen. Der N. trochlearis entspringt hinter den Lohi optici, und hinter den grauen K\u00f6rperchen vor dem kleinen Gehirn.\n3)\tUnter den Lohi optici liegen an der Basis des Gehirns vor der Medulla oblongata zwei kleine Anschwellungen, Lohi inferiores; auch von ihnen gehen nach Cuvier Fasern zum Sehnerven ah, was Gottsche l\u00e4ugnet. Sie enthalten selten eine H\u00f6hle, die mit dem dritten Ventrikel communicirt.\n4)\tLohi anteriores; sic sind grau, liegen vor den Lohi optici, sind in der Regel kleiner als jene, ausserordentlich gross sind sie hei den Rochen und Haien; sie sind in der Mittellinie verbunden durch eine oder zwei Commissuren; ihre Oberfl\u00e4che zeigt zuweilen Windungen. Sie sind nicht hohl; ausser hei den Haien und Rochen, wo sie gr\u00f6sser sind als die Lohi optici. Von ihnen entspringen die Geruchsnerven entweder unmittelbar oder mit einer Anschwellung; diese Anschwellungen der Geruchsnerven, Lohi olfactorii, sind dann aber von einander getrennt und ohne Commissur.\n5)\tBei einigen Fischen (Muraena) findet sich eine Art Glandula pinealis; sie liegt dann vor den Lohi optici, und ist durch zwei Schenkel an die hintere Basis der Lohi anteriores befestigt.\n6)\tDie meisten Fische haben Anschwellungen des verl\u00e4ngerten Markes, welche dem Urspr\u00fcnge des N. vagus entsprechen, Lohi posteriores. Cuvier hist. nat. des poissons. T. 1.\nBedenkt man, dass am Urspr\u00fcnge der N. olfactorii aus den Lohi anteriores oft ein Tuberculum olfactorium sich befindet, aus den Lohi optici die Sehnerven, aus den Lohi posteriores die i\\. vagi entspringen, so sieht man deutlich, wie die Lappen des Gehirns der Fische grossentheils durch Centralmassen f\u00fcr die Hauptnerven entstehen, gleich wie selbst am R\u00fcckenmark der Triglen, wo die grossen Nerven f\u00fcr die freien Forts\u00e4tze unter ihren Brustflossen entspringen, eine Reihe von f\u00fcnf Paar Anschwellungen, und am Urspr\u00fcnge der Armnerven und Schenkel-","page":827},{"file":"p0828.txt","language":"de","ocr_de":"828 III. Buch. Nervenphysik. V.Abschn. CmtraUheiled. Nervensyst\nnerven am R\u00fcckenmark bei allen Wirbelthieren Anschwellungen des R\u00fcckenmarkes sich befinden.\ta\nUeber die Deutung des Fischgehirns im Vergleiche mit dem Gehirne der h\u00f6heren Thiere giebt cs folgende Ansichten.\n1)\tEinige, wie Cuvier, vergleichen die Lobi optici der Fische mit den Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns der h\u00f6heren Thiere; diese st\u00fctzen sich auf die Existenz des dritten Ventrikels auf dem Roden des mittlere Theiles der Lobi optici, , auf die vor diesem Ventrikel befindliche Comrnissur; sie vergleichen die Anschwellungen hinter dem dritten Ventrikel auf dem Roden der hohlen Lobi optici mit den Vierh\u00fcgeln; die Lobi olfactorii vor den Lobi optici vergleichen sie mit den Lobi olfactorii der Amphibien, V\u00f6gel und S\u00e4ugethiere am Anf\u00e4nge ihrer Hemisph\u00e4ren. Gottsche, dessen treffliche und genaue Arbeiten \u00fcber das Gehirn der Fische, in Mueller\u2019s Archiv 1835. mitgetheilt sind, neigt sich ebenfalls zu dieser Ansicht hin. Dagegen spricht die Lage der Zirbel vor den Lobi optici, die, wenn diese die Hemisph\u00e4ren repr\u00e4-sentirten, vor den Vierh\u00fcgeln liegen m\u00fcsste, die Kleinheit der H\u00fcgelchen auf dem Boden der hohlen Lobi optici, da hingegen die Vierh\u00fcgel der V\u00f6gel und Amphibien sehr gross und hohl sind; die Commissuren der sogenannten Lobi anteriores der Fische, sprechen nicht dagegen, da auch die Lobi der Geruchsnerven bei den h\u00f6heren Thieren eine Comrnissur haben.\n2)\tDie Meisten, wie Arsaky, Carus (er nennt die Lobi optici Sehh\u00fcgel), Tiedemann, Serres, Desmoulins halten die L. optici f\u00fcr Analoga der Vierh\u00fcgel der h\u00f6heren Thiere, die vor ihnen liegenden meist soliden Lappen l\u00fcr die Hemisph\u00e4ren ; und diese st\u00fctzen sich auf die Gr\u00f6sse der Vierh\u00fcgel, und ihre Hohlheit bei den V\u00f6geln und Amphibien, als Theile, die nach abw\u00e4rts an Gr\u00f6sse immer zunehmen, auf den theilweisen Ursprung der Sehnerven aus den Corpora ([uadrigernina bei den h\u00f6heren Thieren, auf die sehr bedeutende Gr\u00f6sse und Hohlheit der Corpora quadrigemina bei dem F\u00f6tus der h\u00f6heren Thiere, welche zu einer gewissen Zeit des ersten F\u00f6tuslebens sogar alle Theile des Gehirns an Gr\u00f6sse \u00fcbertreffen. F\u00fcr diese Ansicht spricht auch die Lage der Zirbel vor den Lobi optici der bische. Dagegen sprechen aber die Solidit\u00e4t der vor den Lobi optici liegenden Lappen, die man mit den Hemisph\u00e4ren vergleicht (sie sind nur bei den Knorpelfischen hohl), die Anschwellungen auf dem Roden der Lobi optici, die in den Corpora quadrigemina der h\u00f6heren Thiere nicht Vorkommen, die Lage des dritten Ventrikels auf dem Boden der Lobi optici und die Comrnissur vor diesem Ventrikel.\n3)\tTreviranus vergleicht die Lobi optici der V\u00f6gel mit dem hintern Theile der Hemisph\u00e4ren der S\u00e4ugethiere mit sammt den Vierh\u00fcgeln, namentlich der Vereinigung der Corpora geni-culata mit den Vierh\u00fcgeln; vorz\u00fcglich gr\u00fcndet sich diese Ansicht darauf, dass in die hohlen Lobi optici der V\u00f6gel und Amphibien der hintere: Theil der Sehh\u00fcgel hineinragt. Hiernach waren nun die Lobi optici einer Vereinigung des hintern Theiles der Hemisph\u00e4ren mit den W\u00e4nden der beim F\u00f6tus ganz hohlen Vierh\u00fcgel gleich zu achten.","page":828},{"file":"p0829.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Vergleichung des Gehirns der Thiere, 829\n4) Nach meiner Meinung entsprechen die Lobi optici der Fische den Lobi optici oder der Blase der Vierh\u00fcgel und zugleich der Blase des dritten Ventrikels des Vogelf\u00f6tus. Diese Ansicht wird definitiv bewiesen durch den Bau des Gehirns hei den Petromyzon, wo die Lobi optici in einen Lobus ventriculi tertii, aus dem die Sehnerven entspringen, und in die Blase der Vierb\u00fcgel zerfallen sind, w\u00e4hrend bei den \u00fcbrigen Fischen beide eine gemeinsame Blase darstellen, in deren Boden der Grund des dritten Ventrikels ist. Der Lobus ventriculi tertii der Petromyzon bat oben und vorn die Spalte, welche sich in der Blase des dritten Ventrikels des Vogelf\u00f6tus bildet, und jene Spalte bei den Petromyzon k\u00f6mmt wieder am vordem Theil der Lobi optici der \u00fcbrigen Fische vor. Hieraus gebt zugleich hervor, dass die Lobi optici der Fische und der \u00fcbrigen Thiere noch sehr verschieden sind. Die Lobi optici der Amphibien und V\u00f6gel sind die Vierh\u00fcgelblasen des Vdgelf\u00f6tus und S\u00e4ugethierf\u00f6tus. Siehe Mueller\u2019s Archiv. 1834. p. 62. Die Lobi inferiores der Fische werden von Desmoulins mit den Corpora mammillaria der S\u00e4uge-thiere, von Cuvier mit den Lobi optici der V\u00f6gel verglichen, die noch tiefer herabgestiegen w\u00e4ren. Indessen sind die Lobi optici der V\u00f6gel, obgleich sie ganz aus einander und nach unten und aussen gedr\u00e4ngt, nur durch eine Querbinde vereinigt sind, offenbar grossen Vierh\u00fcgeln des F\u00f6tus der S\u00e4ugethiere zu vergleichen. Gottsciie l\u00e4ugnet die Fasern des Sehnerven von den Lobi inferiores.\nVergleicht man die Amphibien und V\u00f6gel mit den S\u00e4ugethieren, so zeigt sich, dass die ersteren zwar den Fornix, aber noch nicht die grosse Commissur der Hemisph\u00e4ren, das eigentliche Corpus callosum besitzen, welches zuerst bei den S\u00e4ugethieren vollst\u00e4ndig auftritt; dass ihre Lobi optici noch hohl sind, w\u00e4hrend die Vierh\u00fcgel der S\u00e4ugethiere nur den Aquaeductus Sylvii, und nur im F\u00f6tuszustande eine H\u00f6hlung enthalten, und dass die Lobi optici noch nicht wie die Corpora quadrigemina der S\u00e4ugethiere in ein vorderes und hinteres H\u00fcgelpaar zerfallen. Die Erninen-tiae candicantes werden noch vermisst. Auch fehlt den V\u00f6geln und Amphibien der aussen sichtbare Theil des Pons Varolii, welcher letztere ihnen indess mit Unrecht abgesprochen wird, weil die liefern Querfasern zwischen den B\u00fcndeln der Medulla oblongata auch bei den S\u00e4ugetbieren und' dem Menschen doch zum Pons geh\u00f6ren. Die Seitentbeile des kleinen Gehirns sind weniger als bei t\u00eeen S\u00e4ugethieren ausgebildet. Die S\u00e4ugethiere, mit dem Menschen verglichen, zeigen immer noch eine relativ geringere Ausbildung der Hemisph\u00e4ren; so dass vielen die Abtheilung des Gehirns in mehrere Lappen ganz abgeht, und erst die Wiederk\u00e4uendeo, Reissenden, Dickh\u00e4utigen und die Einhufer eine deutlichere Abtheilung in zwei Lappen zeigen, die mehr dem vordem und mittlern als hintern Lappen des Gehirns des Menschen entsprechen, womit der Mangel des hintern Horns der Seitenventrikel bei den meisten (mit Ausnahme der Affen, Seehunde, Delphine) \u00fcbereinstimmt. Auch die Windungen sind bei vielen S\u00e4ugethieren, wie den Nagethieren, Flederm\u00e4usen, dem Maul-","page":829},{"file":"p0830.txt","language":"de","ocr_de":"830 111. Buch. Neruenphysik. F. Ahschn. Centraltheiled.Nervensyst.\nWurf, dem Igel, den G\u00fcrtelthieren und Ameisenfressern noch kaum angedeutet, und nur hei den reissenden Thieren, den Wiederk\u00e4uern, Einhufern, Dickh\u00e4utigen und Affen deutlich, aber einfacher als hei dem Menschen. S.Carus vergl. Zoot. 1. 75. Die untere Cornmis-sur des kleinen Gehirns, Pons Varolii, erscheint zwar hei den S\u00e4u-gethieren schon aussen sichtbar, ist aber noch schmal; daher man die Pyramiden des verl\u00e4ngerten Markes in ihrem Verlaufe weiter bloss liegen sieht, wo sie beim Menschen von der untersten Lage der Querfasern des Pons viel mehr bedeckt werden. Bei vielen S\u00e4ugethieren sind auch B\u00fcndel der Querfasern, welche das verl\u00e4ngerte Mark umfassen, hinter der eigentlichen Br\u00fccke liegend, voji dieser getrennt. Treviranus vermischte Schriften. 3. 12.\nAn dem verl\u00e4ngerten Marke sieht man die olivenf\u00f6rmigen K\u00f6rper weder \u00e4usserlich gut, noch die zackige Figur im Innern deutlich, die markigen Querstreifen auf dem Boden der vierten Hirnh\u00f6hle fehlen in der Begel, und das kleine Gehirn besitzt eine geringere Zahl der Bl\u00e4tter, wie es im Allgemeinen an Gr\u00f6sse dem menschlichen nachsteht; dahingegen die Flocken, wie hei den V\u00f6geln st\u00e4rker entwickelt sind, und wie dort oft eigene Vertiefungen des Felsenbeines in Anspruch nehmen. Die Lobi olfacto-rii am vordem Ende der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns der V\u00f6gel sind in den Riechkolben der S\u00e4ugethiere noch vorhanden, die sich aber von den Riechnerven des Menschen darin unterscheiden, dass sie hohl sind, und dass ihre H\u00f6hlen in unmittelbarer Verbindung mit den Seitenh\u00f6hlen der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns stehen.\nII. Von \u00fcen Kr\u00e4ften ties Gehirns und von den Seelenth\u00e4\u2019tig-keiten i ui Allgemeinen.\nDas Gehirn der Thiere vergr\u00f6ssert sich von den Fischen bis zum Menschen, nach der Entwickelung der intellectuellen F\u00e4higkeiten, mehr und mehr. Aus den von Carus (Lehrhuch der vergl. Zootomie) angegebenen Verh\u00e4ltnissen ergiebt sich, dass es sich zur Masse des ganzen K\u00f6rpers bei Gadus Iota wie 1 : 720, heim Hecht wie 1 : 1305, heim Wels wie 1 :1837, heim Salamander wie 1 : 380, hei der Landschildkr\u00f6te wie 1 ; 2240, bei derTaube wie 1 : 91, heim Adler wie 1 : 160, heim Zeisig wie 1 : 231, bei der Ratte wie 1 : 82, heim Schaf wie 1 : 351, heim Elephanten wie 1 : 500, heim Gibbon wie 1 : 48, heim Winselaffen wie 1 : 25 verh\u00e4lt. Das gr\u00f6sste Gehirn eines Pferdes wiegt nach Soemmer-ring 1 Pfund 14 Loth, das kleinste eines ausgewachsenen Menschen 2 Pfund 11 Loth ; doch zeigt das Pferdegehirn auf seiner Grundfl\u00e4che gegen zehnmal dickere Verven als das des Menschen. Das Gehirn unseres Museums von einem 75 Fuss langen Wallfische wog 5 Pfund 10 j Loth, das Gehirn des Menschen dagegen wiegt nach Soemmering 2 Pfund 11 Loth bis 3 Pfund 3;| Loth. Bedenkt man nun, dass das R\u00fcckenmark bei weitem weniger hei den niederen Wirhclthieren abnimmt, indem es sich","page":830},{"file":"p0831.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben. Seelenleben. 831\nz. B. Lei Gadus lota zur Masse des K\u00f6rpers wie 1 : 481, Lei Salamandra terrestris wie 1 : 1.90, Lei der TauLe wie 1 : 305, Lei der Ratte wie 1 : 180 verh\u00e4lt, so ergiebt sicli deutlicL, dass die Entwickelung der intellectuellen F\u00e4lligkeiten in der Thier-welt nicht von der St\u00e4rke des R\u00fcckenmarkes, sondern des Ge-Lirns aLL\u00e4ngig ist. Wir sehen aus den bedeutenden Variationen des Verh\u00e4ltnisses in einer und derselLen Classe, dass die Gr\u00f6sse des Gehirns im Allgemeinen auch hier nicht genau auf die Beherrschung der Masse des K\u00f6rpers berechnet ist, dass die St\u00e4rke der motorischen Apparate f\u00fcr die Beherrschung der Muskelmassen nicht in ihm, sondern in dem R\u00fcckenmarke zu suchen ist.\nIndessen schreiten nicht alle Theiie des Gehirns in der Thierwelt mit der Entwickelung der intellectuellen F\u00e4higkeiten gleich fort. Das Uehergewicht des Gehirns der h\u00f6heren Thiere \u00fcber das der niederen entsteht vorz\u00fcglich nur durch die Ausbildung der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns. Das kleine Gehirn ist zwar hei den h\u00f6heren Thieren verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig auch gr\u00f6sser als hei den niederen, aber in einem weit schw\u00e4cheren Verh\u00e4ltnisse. Die Vierh\u00fcgel sind geradezu verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kleiner, und eben so sind das verl\u00e4ngerte Mark und seine Verzweigungen in das Gehirn hei dem Menschen verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig nicht gr\u00f6sser als bei irgend einem Thiere. Durch diesen Theil m\u00fcssen bei allen Thieren auf gleiche Art alle Nervenfasern des ganzen Rumpfes in das Gehirn eintreten. Wir sehen daraus schon vorl\u00e4ufig, dass das Gehirn Theiie enth\u00e4lt, die bei allen Wirbelthieren eine gleiche Bedeutung haben und gleich wichtig f\u00fcr das Leben sind; wie denn in der That die Verletzung der Medulla oblongata f\u00fcr alle gleich t\u00f6dtlich, gleichsam das Centrum des Lebens und aller willk\u00fchrlichen Bewegungen angreift, w\u00e4hrend die Verletzung der Hemisph\u00e4ren hei den Amphibien eine weit geringere St\u00f6rung in den Lebensverrichtungen erzeugt, als die Verletzung dieser Theiie hei den mit h\u00f6heren intellectuellen F\u00e4higkeiten begabten Wesen.\nOhne indess jetzt schon die Kr\u00e4fte der verschiedenen Hirn-theile ausser den intellectuellen F\u00e4higkeiten zu untersuchen, wollen wir zuerst das Verh\u00e4ltniss der Seelenth\u00e4tigkeit zu dem Gehirn \u00fcberhaupt betrachten. Die vergleichende Anatomie zeigt uns schon, dass wir in dem Gehirne die Quelle der intellectuellen F\u00e4higkeiten suchen m\u00fcssen, und sowohl die Versuche an den Thieren, als die Geschichte der Verletzungen desselben im Vergleich mit anderen Organen, best\u00e4tigen es. Es ist nun hier zu beweisen, dass die Seelenfunctionen in keinem andern Theiie des Nervensystems, noch des K\u00f6rpers \u00fcberhaupt, als in dem Gehirne stattfinden.\nWas zuerst die Nerven betrifft, so zeigen die Folgen ihrer Verletzung, dass sie von dem Hirneinflusse getrennt, auch dem Willenseinflusse und dem Bewusstwerden ihrer Zust\u00e4nde entzogen sind; das R\u00fcckenmark verh\u00e4lt sich in dieser Hinsicht ganz gleich den Nerven. Siehe oben p. 812. Jede R\u00fcckenmarksverletzung entzieht mit dem Hirneinflusse auch den Willenseinflus auf alle unter der verletzten Stelle abgehenden Nerven, dahingegen alle \u00fcber der verletzten Stelle des R\u00fcckenmarkes, so wie","page":831},{"file":"p0832.txt","language":"de","ocr_de":"832 III. Bach. Nervcnphysik. V. Ahschn. CcniraUheile d.Nervensyst.\nder obere Theil durchschnittener Nerven noch Empfindungen zum Bewusstseyn bringen k\u00f6nnen, und den Willenseinfluss von dem Gehirne aus erfahren; der vordere Rumpftheil des Frosches hinter dem Kopfe von dem Stamme getrennt, empfindet noch und bewegt sich noch willk\u00fchrlich. Durch diese Theilung hat also das Organ der intellectuellcn Verm\u00f6gen nichts von seinen Kr\u00e4ften, sondern nur an dem Bereich der Tiieile, \u00fcber welche es herrscht, verloren, gerade so, wie der Arnputirte durch den Verlust seiner Glieder nichts von seinen intellectuellen F\u00e4higkeiten, sondern nur an Mitteln einb\u00fcsst, sie bandelnd zu \u00e4ussern.\nNoch weniger als das R\u00fcckenmark kann irgend ein anderer Theil des Rumpfes der Sitz der Seelenfunctionen seyn. Die Glieder k\u00f6nnen amputirt werden; die Eingeweide k\u00f6nnen brandig, d. h. todt seyn, und die Seele kann klar seyn, so lange das Leben in diesen F\u00e4llen besteht; ja es kann nach dem Eintritt des Brandes in einer entz\u00fcndlichen Krankheit sogar die ganze Klarheit des Bewusstseyns, die verloren war, wieder eintreten. Dass in entz\u00fcndlichen Krankheiten wichtiger Eingeweide oft Delirien eintreten, darf uns nicht wundern; denn von jeder Stelle des K\u00f6rpers, auch von solchen, die man ohne Verlust der Seelenf\u00e4higkeiten amputiren kann, wie die Extremit\u00e4ten, kann eine heftige entz\u00fcndliche Affection durch die auf das Sensorium commune gemachte heftige Impression Delirium erzeugen. Eine heftige Hautentz\u00fcndung bewirkt Delirium: warum sollte es nicht die Entz\u00fcndung eines Eingeweides thun ; und doch kann jener Theil der Haut mit dem ganzen Gliede fehlen, und die Seele nichts entbehren. H\u00f6rt nun dieser heftige Eindruck eines kranken Theiles auf die Centralorgane durch den Brand oder Tod dieses Theiles auf, so ist auch gleichsam der Schleier gehoben, welcher das Sensorium commune klar zu wirken hinderte, und auf kurze /eit bis zu dem Tode tritt die ganze Klarheit des Bewusstseyns oft wieder ein. Auf diese Art l\u00e4sst sich zeigen, dass alle in dein Unterleibe enthaltenen Eingeweide der Sitz von Seelenfunctionen nicht seyn k\u00f6nnen. Die entz\u00fcndlichen Krankheiten der in der Brusth\u00f6hle enthaltenen wichtigen Theile, der Lungen und des Herzens k\u00f6nnen schon t\u00f6dten, ehe es zu einer St\u00f6rung des Sen-soriums kommt. Wir k\u00f6nnen indess an ihren chronischen Krankheiten, an ihren Degenerationen auch mit Evidenz zeigen, dass sie der Sitz von Seelenverrichtungen nicht sind. Der Lungenkranke verliert nichts von seinen Seelenkr\u00e4ften trotz der g\u00e4nzlichen Zerst\u00f6rung seiner Lungen. Der Herzkranke kann im h\u00f6chsten Grade ge\u00e4ngstigt seyn, wie es jedesmal bei St\u00f6rungen des Kreislaufes geschieht; aberseine Seelenfunctionen sindunverand\u00e9rt; und deutlich sehen wir, dass jedes Organ mit Ausnahme des Gehirns entweder langsam aus der thierischen Oeconomie heraustreten, oder kurze Zeit pl\u00f6tzlich ausfallen kann, ohne St\u00f6rung der Seelenfunctionen.\nGanz anders verh\u00e4lt es sich hei dem Gehirne; jede langsame oder pl\u00f6tzliche St\u00f6rung seiner Verrichtungen ver\u00e4ndert auch die intellectuellcn F\u00e4higkeiten. Die Entz\u00fcndung dieses Organes ist nie ohne Delirien, und sp\u00e4ter ohne Stumpfsinn; der","page":832},{"file":"p0833.txt","language":"de","ocr_de":"833\n3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben, Seelenleben.\nDruck auf das grosse Gehirn bewirkt immer Delirium oder Stumpfsinn, je nachdem es mit oder ohne Reizung stattfindet; so wirkt aller Druck, r\u00fchre er von Knocheneindr\u00fccken, fremden K\u00f6rpern, Wasser, Blut, Eiter her. Dieselben Ursachen heben oft, je nach dem Sitze des Uebels, die F\u00e4higkeit der willk\u00fchrliehen Bewegung oder das Ged\u00e4chtniss auf. So wie der Druck weggenommen ist, mit der Erhebung des Knocheneindruckes, tritt die Besinnung, das Ged\u00e4chtniss oft wieder ein; ja man hat sogar beobachtet, dass der Kranke seinen Gedankengang sogleich da fortsetzte, wo er durch die Verletzung unterbrochen worden. Bei der Verletzung des grossen Gehirns bei den Thieren tritt Stumpfsinn, Besinnungslosigkeit ein; und so sind auch bei den meisten Geisteskranken bedeutende materielle St\u00f6rungen irn Gehirn vorhanden, wenn wir auch in anderen F\u00e4llen, besonders in denjenigen, wo die Geisteskrankheiten erblich sind, die feineren materiellen Ver\u00e4nderungen einer bei mikroskojnscher Feinheit wirkenden Faserung nicht mit unseren schlechten H\u00fclfsmitteln und Kenntnissen erkennen werden. Man hat zwar hiergegen eingeworfen, dass man sehr bedeutende Zerst\u00f6rungen einer ganzen Hemisph\u00e4re ohne St\u00f6rung des Geistes vorgefunden hat; indess zeigen die Versuche an Thieren, dass seihst pl\u00f6tzliche Verletzungen bloss einer Hemisph\u00e4re nicht sogleich vollen Stumpfsinn erzeugen, dass dieser erst dann ganz auftrilt, wenn beide Hemisph\u00e4ren entfernt sind, so dass es scheint, dass die Hemisph\u00e4ren in den Seelenverrichtungen einander unterst\u00fctzen, ja ersetzen k\u00f6nnen.\nMehrere ausgezeichnete Gelehrte, wie namentlich Bichat und Nasse, haben eine der unsrigen gerade entgegengesetzte Ansicht; indem sie anerkennen, dass das Gehirn der Sitz der h\u00f6heren Seelenverrichtungen sey, behaupten sie gleichwohl, dass auch andere Organe, z. B. die des Unterleibes und der Brust, eine gewisse Beziehung zu den Seelenverrichtungen haben ; ja sie neigen sich sogar zu der Ansicht hin, dass die Quelle der Leidenschaften in diesen Organen, die davon so leicht afficirt werden k\u00f6nnen, wohl seyn k\u00f6nne, und sie st\u00fctzen ihre Ansicht theils auf die Af-lectionen dieser Organe in den Leidenschaften, theils auf ihre; krankhaften Ver\u00e4nderungen hei manchen Irren. Bei aller Hochachtung, die ich vor diesen trefflichen M\u00e4nnern hege, muss ich mir alle M\u00fche geben, die Nothwendigkeit einer solchen Annahme zu widerlegen. Gewiss finden sich der Darmkanal, die Leber, die Milz, die Lungen, das Herz bei Irren oft krank, und selbst zuweilen, wenn man nicht gerade eine grobe materielle Ver\u00e4nderung im Gehirn auffindeu kann. Ich will auch gerne zugeben, dass die Krankheit eines Eingeweides Veranlassung zur Entwickelung einer Geisteskrankheit geben k\u00f6nne, wie andere veranlassende Ursachen. Aber ich schliesse daraus nicht, dass dieses oder jenes Eingeweide die Quelle von gewissen geistigen oder leidenschaftlichen Beziehungen sey. Zur Erzeugung jeder Geisteskrankheit geh\u00f6rt eine Disposition im Gehirne; wenn diese erworben oder gar erblich da ist, so reicht jene anhaltende St\u00f6rung der Functionen der Centralorgane durch eine Krankheit","page":833},{"file":"p0834.txt","language":"de","ocr_de":"834 Hl. Buch. Nervenphysik. V.Absckn. Centraltheiled. Nervensyst.\nirgend eines Eingeweides, verm\u00f6ge der auf die Centralorgane stattlindendcn Impression, und durch die Gesetze der Mittheilung der Zust\u00e4nde irn R\u00fcckenmarke und Gehirne hin, diese Disposition zum Ausbruche zu bringen; gerade so, wie jeder Theil der K\u00f6rperoberfl\u00e4che, der ohne Verlust der Seele entbehrt, abgeschnitten werden kann, doch, so lange er lebt, durch eine heftige Mittheilung seiner krankhaften Stimmung auf das Gehirn sympathisch Delirium desselben bewirken kann. Daher kann auch bei einem Irren dieser Art bei Entfernung der materiellen St\u00f6rungen in den Eingeweiden, welche entfernter oder n\u00e4her auf das Gehirn influiren, die Disposition wieder zur\u00fccktreten.\nWas nun aber die Beziehung der Eingeweide zu den Leidenschaften betrifft, so sind diese zwar nicht zu l\u00e4ugnen, jedoch bleibt in den hieher geh\u00f6rigen Erfahrungen der Physiologie ausserordentlich viel zu lichten \u00fcbrig. In diesem Theile unserer Wissenschaft herrschen noch ziemlich allgemein Vorstellungen, welche sich noch wenig von den Ueberlieferungen des Volkes entfernen. Dass die Leidenschaften verm\u00f6ge eines im Gehirn stattfindenden ver\u00e4nderten Zustandes entweder excitirend oder deprimirend auf das ganze vom Gehirn abh\u00e4ngende Ner-vensystem wirken, ist bekannt. In den excitirenden Leidenschaften finden Spannungen, und selbst convulsivische Bewegungen gewisser Muskeln, n\u00e4mlich vorz\u00fcglich alter von dem respiratorischen System der Nerven (Nervus facialis eingeschlossen) abh\u00e4ngigen Muskeln statt. Die Athembewegungen werden bis zum Weinen, Seufzen, Schluchzen ver\u00e4ndert, die Gesichtsmuskeln verzerrt; in den deprimirenden Leidenschaften, wie in der Angst, im Schrecken, in der Furcht, sind alle Muskeln des gesammten K\u00f6rpers abgespannt, indem der motorische Einfluss des Pi\u00fcckcnmarkes und Gehirns abnimmt. Die F\u00fcsse tragen nicht, die Gesichtsz\u00fcge werden hangend, das Auge starr, der Blick gebannt, ohne Ausflucht, und diess kann bis zur momentanen L\u00e4hmung des ganzen K\u00f6rpers und besonders der Schliess-inuskeln fortschreiten. Die Bewegungen des Herzens werden in beiderlei Leidenschaften h\u00e4ufiger, in den excitirenden zugleich heftig, in den deprimirenden h\u00e4ufig und meist schwach. Die Empfindungen werden in einigen oder vielen Theilen, besonders im Gesicht und den Athemwerkzeugen und Verdauungswerkzeugen, oft im ganzen Nervensystem ver\u00e4ndert. Die organischen Wirkungen der Leidenschaften ver\u00e4ndern die Absonderungen der Thr\u00e4nen, der Haut, die in den deprimirenden Leidenschaften kalten Schweiss ahsondert, der Galle, deren Ausscheidung \u00f6fter gest\u00f6rt wird, so dass sie in die Blutgef\u00e4sswandungen eindringt und Icterus erzeugt, des Urins, der w\u00e4ssrig wird, wie bei allen Nerven affectionen ; sie modificiren zugleich die Actionen der kleinen Gelasse, wodurch der Turgor der Haut ver\u00e4ndert, und diese bald roth, bald auch blass wird. Kurz, es erfolgen die Wirkungen der Leidenschaften erstens auf die AthemnerVen, den N. facialis, N. vagus, die N. spinales respiratorii mit sammt dein N. plirenicus, dann aber durch das R\u00fcckenmark auf das ganze Rumpfnervensystem, sowohl der animalischen als or-","page":834},{"file":"p0835.txt","language":"de","ocr_de":"835\n3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben. Seelenleben.\nganischen Nerven. Aber ich kenne keinen einzigen Beweis, sondern blosse Traditionen, dass eine Leidenschaft bei gesunden Menschen mehr auf ein Organ als auf ein anderes wirke. Man sagt, das Herz habe eine Beziehung zur Freude, zum Kummer, zur Angst, aber in welcher heftigen excitirenden oder in welcher deprimirirenden Leidenschaft wird es nicht ver\u00e4ndert? Ist es nicht wie mit den Thr\u00e4nenwerkzeugen, welche in jeder heftigen Leidenschaft ergriffen werden k\u00f6nnen, da jede Leidenschaft, Aerger, Zorn, Freude, Bewunderung, R\u00fchrung, Traurigkeit, Schrecken, Angst, Furcht, bis zum Weinen sich steigern kann. Man hat behauptet, die Leber stebe in einer engen Beziehung zu den Leidenschaften des Zorns und des Aergers; diess ist eine uralte, in viele, auch physiologische Schriften \u00fcbergegangene, aber ganz f\u00e4lsche Behauptung. Wohl werden manche Menschen nach diesen Leidenschaften an der Leber afficirt, sie bekommen eine gelbe Farbe, Schmerzen in der rechten Seite, oder gar Leberentz\u00fcndung. Aber diess geschieht nur denen, welche leberkrank sind, oder welche eine angeborne Disposition zu Leberaf-fectionen haben. Den meisten, geschieht nach dem heftigsten Zorne und Aerger nichts der Art, hier darf ich mich ganz aut die Erfahrungen meiner Leser berufen. Wie viele sind unter uns, welche nach Aerger und Zorn von allem dem nichts empfinden, die vielmehr sich den Magen verderben, weil es der leicht ergreifbare Theil ist, w\u00e4hrend ein anderer auf diese Leidenschaften seine Verdauungsorgane ganz ungeschw\u00e4cht empfindet, aber jedesmal bei Zorn und Aerger eine heftige Affection des Herzens erleidet, weil es der bei ihm leicht angreifbare Theil ist; und so ist es mit allen Leidenschaften. Keine einzige wirkt regelm\u00e4ssig mehr auf die Leber, regelm\u00e4ssig auf den Magen, das Herz; bei dem gesunden Menschen breiten sich ihre Wirkungen radiatim vom Gehirn \u00fcber das R\u00fcckenmark, \u00fcber das animalische und organische Nervensystem aus. Alles Specielle ist auch individuell. Der Schamr\u00f6the scheint es eigenth\u00fcmlich, dass sie die Haut des Gesichtes r\u00f6thet, indem eine Anh\u00e4ufung des Blutes in den kleinen Gef\u00e4ssen stattfindet; allein viele Menschen werden von Aerger, Zorn, Angst roth; und andere werden in der Scham, im Aerger, im Zorne so gut wie in der Angst, im Schrecken, in der Furcht blass. Nur bei dem Hepatischen, bei der hepatischen Constitution erfolgt auf eine heftige Leidenschaft Gelbsucht, Leherentz\u00fcndung. Kurz, wir sehen, dass die Wirkungen der Leidenschaften auf die verschiedenen Regionen der von dem Gehirne abh\u00e4ngigen Theile nichts f\u00fcr die Hypothese beweisen k\u00f6nnen, dass die Leidenschaften, oder \u00fcberhaupt gewisse Seelenverrichtungen ihren Sitz ausser dem Gehirne h\u00e4tten.\nWenn wir nun theils aus vergleichend anatomischen, theils aus physiologischen und pathologischen Gr\u00fcnden mit Bestimmtheit anerkennen m\u00fcssen, dass der Sitz der Seelenwirkungen im Gehirne und in keinem andern Theile ist, dass die Nerven diese Wirkungen anregen und verm\u00f6ge ihrer Kr\u00e4fte ausf\u00fchren, und dass alle \u00fcbrigen\" Theile die Wirkungen der Nerven erfahren, so ist damit nur bewiesen, dass die Seele durch die Organisation","page":835},{"file":"p0836.txt","language":"de","ocr_de":"S-36 III. Buch. Nerucnphysik. V. Ahschn. Centra/theile d. Ncrvcnsyst.\ndes Gehirns wirkt und th\u00e4lig ist; es ist aber nicht damit behauptet, dass ihr Wesen bloss seinen Sitz im Gehirne hat. Es k\u00f6nnte wohl seyn, dass die Seele nur in einem Organe von einer bestimmten Structur wirken und Wirkungen empfangen k\u00f6nnte, und doch vielleicht allgemeiner im Organismus verbreitet w\u00e4re.\nWir wollen liier einige Thatsachen hervorheben, welche entschieden beweisen, dass die Seele, wenn sie auch nur in dem Gehirne wirksam ist, doch nicht ganz auf dasselbe beschr\u00e4nkt ist. Es gen\u00fcgen diess zu beweisen zwei Thatsachen. Die eine ist, dass die niederen Thiere, wie .Planarien, Polypen, W\u00fcrmer, theilbar sind, und dass Polypen und W\u00fcrmer, wie die Naiden, Nereiden (siehe oben p. 19.), selbst durch Theilung ihres K\u00f6rpers zeugen. Diese Thatsache zeigt uns, dass das Lc-bensprincip mit der Materie theilbar ist, indem aus getrennten St\u00fccken neue Individuen entstellen. Man kann diese Thiere zwar beseelt in dem Sinne, wie die h\u00f6heren Thiere, nicht nennen; indessen hat jedes der getrennten Thcile seinen besonderen Willen und seine besonderen Begehrungen, und da zum Empfinden auch Bewusstseyn und Aufmerksamkeit geh\u00f6rt, so haben wir den Beweis, dass das psychische Princip dieser niederen Wesen, mag es mit dem Lebensprincip eins oder nicht eins seyn, wie dieses mit der Materie theilbar ist. Die zweite Thatsache ist, dass das psychische Princip wie das Lebensprincip auch bei den h\u00f6heren und h\u00f6chsten Thieren, ja selbst beim Menschen, in einem beschr\u00e4nkten Sinne theilbar ist. Die h\u00f6heren Thiere und die Menschen erzeugen zwar keine neuen beseelten Individuen durch Theilung ihrer selbst in mehrere St\u00fccke; wohl aller durch Erzeugung des Saamens bei dem Manne, und des Keimes bei dem Weibe. Wie die Zeugung des neuen Individuums bei der Ber\u00fchrung des weiblichen Keimes und des m\u00e4nnlichen Samens stattfinden mag, wir wissen, dass bei den Fischen, Fr\u00f6schen, Salamandern die blosse, selbst k\u00fcnstlich ausgef\u00fchrte Ber\u00fchrung von Samen und Ei, ohne allen Antheil von Seiten des M\u00e4nnchens und Weibchens zur Erzeugung des neuen Individuums hinreicht, wie denn nach Spallan-zaisi Eier des Frosches mit Froschsamen befeuchtet, befruchtet sind. Es geht daraus hervor, dass der Keim des Weibchens und der Saame des M\u00e4nnchens Alles enthalten, was zur Aeusserung des individuellen Lebensprincipes und der psychischen Functionen der Thiere noting ist. Der Keim und der Samen, oder einer von beiden muss also das Lebensprincip und das psychische Princip gleichsam latent enthalten; denn sonst k\u00f6nnte es sich nicht bei der Entstehung des neuen Individuums \u00e4ussern. Eben so m\u00fcssen wir auch bei den h\u00f6chsten Thieren und dem Menschen nothwendig annehmen, dass, wie der Same und das Ei alle Bedingungen zu einem neuen belebten und beseelten Wesen enthalten^ sie auch selbst entweder beide, odereines von beiden das Lebensprincip und das psychische Princip im latenten Zustande enthalten. Ob das neue Individuum ausser (wie hei den Eierlegern) oder in dem m\u00fctterlichen K\u00f6rper (wie bei den Lebendiggeb\u00e4renden) sich entwickelt, macht in dieser Frage gar nichts aus.","page":836},{"file":"p0837.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben. Seelenleben. 837\nWir sehen aus dieser Folge von Thatsachen und Vernunftschl\u00fcssen , dass, obgleich die h\u00f6heren Thiere und der Mensch nicht mehr durch Zerlheilung in mehrere St\u00fccke, neue belebte und beseelte Individuen zeugen, sie doch insofern noch in Hinsicht des Lebensprincipes und psychischen Principes theilbar sind, als ein Theil ihrer Materie, die Zeugungsfl\u00fcssigkeiten, mit diesen Principien, m\u00f6gen sie eins oder getrennt seyn, beseelt ist. Wenn diess aber so ist, so ist das psychische Princip offenbar nicht auf das Gehirn beschr\u00e4nkt, sondern auch, wenngleich im latenten Zustande, in Theilen, die vom Gehirne weit entfernt von dem Ganzen abtrennbar sind, enthalten; und diess ist es, was wir beweisen wollten.\nOb das Lebensprincip und das psychische Princip von dem Gehirne aus in einem latenten Zustande auf den W egen der Nerven zum Samen oder Reime gelange, ob cs im latenten Zustande im Blute verbreitet werde, ob es im latenten Zustande im ganzen K\u00f6rper verbreitet sey, w\u00e4hrend es nur frei im Gehirne als dem zu seiner Wirksamkeit organisirten Apparate wirkt und Wirkungen anderer Theile empf\u00e4ngt, alles diess ist nicht zu beantworten , auch w\u00e4re die Beantwortung f\u00fcr die gegenw\u00e4rtige Untersuchung gleichg\u00fcltig; es ist genug, dass wir wissen, dass der Same und Keim nicht allem die Kraft zu einem belebten Individuum enthalten, sondern auch das psychische Princip des neuen Wesens im latenten Zustande enthalten m\u00fcssen. Es ist f\u00fcr unsern Zweck jetzt genug, zu wissen, dass andere Theile des K\u00f6rpers, als das Gehirn, auch noch an dem psychischen Principe Theil haben, dass aber diess Princip nur in dein Gehirne frei und th\u00e4tig erscheint, weil hier die Organisation zu allen seinen Bewegungen und Wirkungen auf die Kr\u00e4fte anderer Theile, auf die motorischen Apparate, und zur Aufnahme der Wirkungen der sen-sibeln Leiter ist. Nur in dem Gehirne ist Bewusstseyn, Vorstel-lung, Gedanke, Wille, Leidenschaft m\u00f6glich, und wenngleich das Princip zur Erzeugung der Vorstellungen, Gedanken u. s. wr. in dem befruchteten Keime latent vorhanden ist, so muss dieser beseelte Keim doch erst die ganze Organisation des Gehirns erschaffen, dass das psychische Princip frei werde, und dass Vorstellungen, Gedanken, Wille u. s. w. erscheinen oder wirken. In der hirnlosen Missgeburt, die w\u00e4hrend des Lebens im Uterus bis zur Geburt noch ern\u00e4hrt wird und lebt, wurde das zur sp\u00e4tem Aeusserung der Seele von dem belebten Keime erzeugte Organ schon zu einer Zeit (durch Wassersucht) zerst\u00f6rt, ehe es zum Freiwerden des psychischen Principes, zur Aeusserung der Seelenf\u00e4higkeiten, ausgebildet war.\nOb das psychische Princip durch eine Verletzung des Gehirnbaues selbst wesentlich modificirt werde, ob in den Geisteskrankheiten die Th\u00e4tigkeit der Seele durch die Verletzung des Gehirns bloss ver\u00e4ndert werde, oder ob die Seele an sich krank seyn k\u00f6nne, kann nach den vorausgeschickten Betrachtungen und Thatsachen jetzt er\u00f6rtert werden. Da, wie wir hier gesehen haben, die Existenz der Seele von dem unverletzten Baue des Gehirns nicht abh\u00e4ngt, da sich ihr Dasevn, wenn auch latent, auch in dem von dem Mut-","page":837},{"file":"p0838.txt","language":"de","ocr_de":"838 III. Buch. Neroenphysik. V. Abschn. Centraltheile d. Nervensrst.\nterstamme abgestossenen Keime erweist, so kann auch keine Ver\u00e4nderung des Baues des Gehirns das Wesen der Seele selbst ver\u00e4ndern, sondern ihre Th\u00e4tigkeit nur zu kranken Actionen zwingen. Nur die Th\u00e4tigkeit der Seele h\u00e4ngt von der Integrit\u00e4t des Faserbaues und der Mischung des Gehirnes ab. Die Art der Th\u00e4tigkeit, und die Art des Baues und Gehirnzustandes laufen immer parallel; der letztere bestimmt immer die erstere, aber das Wesen der Seele, ihre latente Kraft, so weit sie sich nicht \u00e4ussern muss, scheint durch keine Hirnver\u00e4nderung bestimmbar. H\u00e4lt man sich hieran, so sind alle weiteren Er\u00f6rterungen \u00fcber die letzte Ursache der Geisteskrankheiten, \u00fcber den Antheil des Gehirns und der Seele an denselben abgeschnitten, und der Arzt hat hei allen abnormen Geisteszust\u00e4nden immer und zuerst nur den Zustand der materiellen Ver\u00e4nderung, welche die Seele zu kranken Actionen zwingt, oder ihre Th\u00e4tigkeit unterdr\u00fcckt, im Auge zu behalten. Wir kennen aus Berichten zwei F\u00e4lle von angebornem Bl\u00f6dsinn mit einem so niedrigen Sch\u00e4del, dass die Abbildungen an den Zustand des Sch\u00e4dels bei der Hemicephalie erinnern, obgleich das Cranium vollst\u00e4ndig vorhanden ist. Es sind die zwei in der Colonie Kiwitsblott, eine Meile von Bromberg, lebenden S\u00f6hne der Wittwe Soh n, der eine von 17, der andere von 10 Jahren. Beide sind hei dem besten Wohlseyn so stupid, dass sie sich des Weges nach Hause auch bei einer geringen Entfernung nicht erinnern, dass sie sich nicht ihre Beinkleider \u00f6ffnen k\u00f6nnen, obgleich sie mit allen Bewegungskr\u00e4ften eines gesunden Menschen ausger\u00fcstet sind, und auf alle Theile ihres K\u00f6rpers den Einlluss des Willens besitzen, den sie, obgleich lenksam und ohne Bosheit, nur zum Essen und Trinken, und zum Zerst\u00f6ren von Allem, was ihnen in die H\u00e4nde f\u00e4llt, benutzen k\u00f6nnen. Auch in diesen denkw\u00fcrdigen F\u00e4llen d\u00fcrfen wir keine angeborne Krankheit der Seele, keinen urspr\u00fcnglichen Mangel des psychischen Principes voraussetzen; gewiss war die Anlage zu der h\u00f6chsten Vollkommenheit in dem latenten Zustande des psychischen Principes im Keime verbanden; aber keine Entwickelung der F\u00e4higkeiten der h\u00f6heren Seelen\u00e4usserungen war hei der unvollkommenen Ausbildung des Gehirns m\u00f6glich, gleich wie die bei dem gesunden Menschen eintretende pl\u00f6tzliche Ver\u00e4nderung des Hirnzustandes augenblicklich auch die Aeusserungen der Seele krankhaft oder ihre Kraft sogar latent macht, die nach der Wegnahme des Druckes auf das Gehirn oft mit der ganzen Klarheit des Bewusstseyns wiederkehrt. Da die Materie durch die Th\u00e4tigkeit immer zugleich ver\u00e4ndert wird (siehe oben p. 52.), so versteht es sich von selbst, dass abnorm angestrengte Th\u00e4tigkeit der Seele, und eine durch cingegangene Lebensverh\u00e4ltnisse bedingte einseitige Richtung der Geistesth\u00e4tigkeit, oder die hervorgerufene Heftigkeit der Seelenzust\u00e4nde auch wieder auf die Organisation des Seelenorganes zur\u00fcckwirken muss. Wie sehr auch die Entfernung dieser Ursachen in den Augen des Arztes wichtig ist; der Zustand der Organe bleibt hier wie \u00fcberall das Object desselben; und die S\u00fcndhaftigkeit, womit schw\u00e4rmerische Aerzte sich so viel zu schaffen machen, ist nicht das Wesen der Gei-","page":838},{"file":"p0839.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben. Seelenleben.\t839\nsteskrankheit, sondern kann nur mit in den grossen Kreis ihrer veranlassenden Ursachen geh\u00f6i-en.\nOb das Lebcnsprincip, von weichem im Keime die ganze Oi\u2019ganisation ausgeht, und welches auch das Organ f\u00fcr das Wirken des psychischen Principes erzeugt, von dem letztem wesentlich verschieden sey, oder ob die Th\u00e4tigkeit der Seele nur eine Species der Wirkungen des Lebensprincipes sey, ist eine in der empirischen Physiologie ganz unl\u00f6sbai'e Frage. Wir wissen, dass das Lebcnsprincip ohne Seelen\u00e4usserungen fortwirken kann ; denn das Lebensprincip erh\u00e4lt auch die hirn- und r\u00fcckenmarklose Missgeburt noch bis zur Geburt lebend. Dai'aus kann man nicht schliesscn, dass das psychische Princip von dem Lebensprincip dem Wesen nach verschieden sey; denn wir haben schon gesehen, dass es einen latenten Zustand des psychischen Principes in einem belebten K\u00f6rper auch ausser dem Gehirne giebt. Man kann aber eben so wenig daraus schliessen, dass das psychische Leben nur eine Species der Wirkungen des Lebensprincipes sey; wir sehen nur, was auch die Sch\u00f6pfung des ganzen Embryos vor tier Entwickelung der Seelenf\u00e4higkeiten beweist, dass die Th\u00e4tigkeit der Seele zur Aeusserung des Lebensprincipes nicht noth-wendig ist; dagegen wissen wir eben so bestimmt, dass die Th\u00e4tigkeit der Seele ohne die Mitwirkung des Lebensprincipes in einem thierischen K\u00f6rper nicht m\u00f6glich ist; denn das Lebensprincip erschafft und erh\u00e4lt die zur Th\u00e4tigkeit der Seele nothwendig\u00ab Organisation des Gehii\u2019ns.\nF\u00fcr die Ansicht, dass das psvehische Lehen nur eine Manifestation des Lebensprincipes der thierischen K\u00f6rper \u00fcberhaupt sey, kann man anf\u00fchren, dass das psychische Princip nicht bloss in einer Classe von thierischen Wesen, im Menschen, dass es vielmehr bis zu den niedei\u2019sten Thieren ei\u2019scheint. Denn alles Thierische ist beseelt, was der Sinneserscheinung auch ausser den Sinnesempfindungen bewusst ist, was voi-stellt, was Begehrungen und Voi-stellungen von ihrem Objecte und ihrer Befriedigung hat, was durch Vorstellungen und Begehi-ungen zu Willensactionen bestimmt wird. In diesem Umfange kommen psychische Erscheinungen bis zu den niedersten Thieren vor; bei den h\u00f6heren Thieren treten zumal auch Leidenschaften auf. Auf der andern Seite l\u00e4sst sich f\u00fcr die Unabh\u00e4ngigkeit des psychischen Principes von dem Lebensprincipe anf\u00fchren, dass eine ganze Classe der organischen belebten Wesen, die Pflanzen, aller psychischen Erscheinungen entbehren. Indessen l\u00e4sst sich dieser Einwurf wieder durch die Annahme eines latenten Zustandes der psychischen Seite des Lebensprincipes aufheben, und wo eine Hypothese bloss insofern Haltung hat, als sich eine grosse Anzahl der Thatsachen daraus erkl\u00e4ren lassen, wird dieselbe durch eine andere, welche die Thatsachen eben so erkl\u00e4rt, neutralisirt.\nBeide Principien stimmen in ihren Wii\u2019kungen darin \u00fcberein, dass ihre Erscheinungen das Vern\u00fcnftige seyn k\u00f6nnen; aber das Vern\u00fcnftige des psychischen Lebens ist blosses Bewusstseyn des Vern\u00fcnftigen, ohne alle schaffende Einwii\u2019kung auf die Organisation, auf die Materie; das Vern\u00fcnftige der Th\u00e4tigkeit des Le-Muller\u2019s Physiologie. I.\t54","page":839},{"file":"p0840.txt","language":"de","ocr_de":"S'10 III. Buch. Nervcnphysik. V.Abschn. Centrait heile d. Nervensyst.\nbensprincipes ist die Erzeugung der zweckin\u00e4sssigen Organisation in der belebten Materie. Die in der Organisation des einfachsten Wesens sich ausdr\u00fcckende Vernunft ist vielleicht erhabener als das H\u00f6chste, was das Bewusstsein eines thierischen Wesens oder Menschen vorzustellen vermag. Alle Probleme der Physik sind vor dieser schaffenden Th\u00e4tigkeit gel\u00f6st. Vor der Natur, welche das Auge, das Geh\u00f6rorgan erzeugt, sind keine Probleme \u00fcber die Physik des Sehens, des H\u00f6rens verborgen. Sie ist auch die Ursache des Instinktes, d. h. sie ist die Ursache, dass in dem Sensorium eines Thieres Tr\u00e4ume entstehen, die es zu zweckm\u00e4ssigen, zu seinem Daseyn n\u00f6thigen und vern\u00fcnftigen Handlungen n\u00f6tliigen, ohne dass die Seele des Gesch\u00f6pfes das Geringste von diesem vern\u00fcnftigen Vorg\u00e4nge und seinem Zusammenh\u00e4nge einsieht.\nWenn es einen wahren Grund l\u00fcr die Ansicht giebt, dass das psychische Leben auch nur eine Art der Manifestation des Lebensprincipes der thierischen Wesen ist, so ist es der, dass beiderlei Wirkungen der Ausdruck der Vernunft seyn k\u00f6nnen, dass die Erzeugung der Organisation des niedersten Thieres bei der Entwickelung' des Keimes der Ausdruck der h\u00f6chsten Vernunft ist, und dass das darin waltende Vern\u00fcnftige alle bewussten Seelenwirkungen dieses Gesch\u00f6pfes weit \u00fcberstrahlt. Ernst Stahl liess alle thierischen Wirkungen, weil sie zweckm\u00e4ssig sind, von der Seele ausgehen. Diese Seele, wenn von ihr das psychische Leben im engern Sinne abh\u00e4ngig ist und ausfliesst, ist in Stahl\u2019s Sinne freilich etwas ganz Anderes und H\u00f6heres, als was wir gew\u00f6hnlich Seelenleben nennen. Alan sieht leicht ein, dass Stahl's Theorie die Anschauung von der vernunftgem\u00e4ss wirkenden Kraft in jedem lebenden Wesen zu Grunde liegt, dass er das, was wir gew\u00f6hnlich Seelenleben nennen, als einen Ausfluss jener letzten Ursache eines Gesch\u00f6pfes ansah. Aber wenn diese letztere Ansicht auch richtig seyn sollte, was sich empirisch nicht beweisen l\u00e4sst, so muss man doch immer l\u2019esthalten, dass in das bewusste und denkende Seelenwirken nur ein kleiner Theil von den Wirkungen jener hohem, vernunftgem\u00e4ss wirkenden Lebensseele f\u00e4llt, welche die letzte Ursache eines Gesch\u00f6pfes ist, und welche in seiner Organisation, in seinen instinktm\u00e4ssigen Trieben alle Schicksale desselben im Zusammenfluss mit der \u00e4us-sern Welt vorsieht.\nMan fragt, ob das psychische Princip eine Th\u00e4tigkeit der Materie oder selbstst\u00e4ndige Kraft sey, ob es an den Leib bloss gebunden sey, oder ob es nicht anders, als der Ausdruck eines gewissen Zustandes, einer gewissen Zusammengesetztheit der Materie sey. Bewegung, Th\u00e4tigkeit ist vielleicht der Urzustand der Materie, da selbst die Ruhe der Massen von der Anziehung ihrer Theilchen abh\u00e4ngt. Wenn es aber keinen K\u00f6rper ohne Energie, ohne Kraft, ohne Th\u00e4tigkeit giebt, ist nicht die Seele selbst auch der Ausdruck des Zustandes und der Zusammensetzung der Materie in den lebenden Wesen? Erscheint die Seele nach dem Tode nicht mehr an dem Leibe, weil die Materie ihren bisherigen Zustand, ihre Zusammensetzung, die vereinte Wirkung nrtd Anziehung ihrer belebten Atome verloren hat, die nun nach","page":840},{"file":"p0841.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kr\u00e4fte desselben. Seelenleben. 841\neinem ver\u00e4nderten Zustande in andere Erscheinungsweisen \u00fcbergehen; oder erscheint die Seele nicht mehr an dem K\u00f6rper, weil sie nicht mehr an den K\u00f6rper gebunden ist?\nAllerdings sind die Erscheinungen des Seelenlebens, mag es ein Ausfluss des Lebensprincips seyn, oder von einem selbstst\u00e4ndigen mit dem Leben verkn\u00fcpften Princip abh\u00e4ngen, durchaus an die Organisation des Gehirns gekn\u00fcpft; ohne die Unversehrtheit dieses so zusammengesetzten Faserbaues erfolgt keine Wirkung der Seele auf die belebten Werkzeuge d\u00e7s K\u00f6rpers, oder mit anderen Worten, erscheint sie nicht an diesem, aber sie kann an ihm latent seyn, wie ihre Quelle in den Zeugungsfl\u00fcssigkeiten der thie-rischen Wesen vorhanden, aber latent ist. Indess, hier wiederholt sich dieselbe Frage: ist auch der latente Zustand der Seele nur die Ruhe der einer gewissen Zusammensetzung der Materie eingebornen Kraft, oder kann das Princip, unabh\u00e4ngig von aller Materie, sich mit dieser verbinden und sie verlassen. Fliessen die nach dem Materialismus allein th\u00e4tigen Atome nach der Zerlegung der mit dem latenten Zustande des Lebens beseelten Materie in die Welt zur\u00fcck, um wieder zur Quelle des Lebens sich zu einen, wenn sie in einer gewissen Art wieder zusammengesetzt werden ; oder ist das latente Lebensprincip und psychische Princip auch von dem Zerfallen der Atome unabh\u00e4ngig ; ist seine Substanz immateriell, und weder die Th\u00e4tigkeit der Atome der Materie, noch die Th\u00e4tigkeit der in gewisser Art vereinten Atome der Materie ? Obgleich man keine L\u00f6sung dieser physiologischen Fragen von der empirischen Physiologie erwarten darf, so giebt es doch Thatsachen, welche bei dem Versuche dieser L\u00f6sung zu benutzen sind. Es giebt allerdings Kr\u00e4fte der Natur, oder imponderable Substanzen, welche, wenn auch nicht von der Materie unabh\u00e4ngig, doch ohne eine Ver\u00e4nderung in dem materiellen Zustande des K\u00f6rpers sie verlassen und auf andere \u00fcbergehen k\u00f6nnen, wie Licht, Elektricit\u00e4t, Magnetismus. Die Existenz dieser Principien, ihr Erscheinen an den K\u00f6rpern, und ihr Ueber-str\u00f6men von einem auf den andern K\u00f6rper zeigt uns deutlich, dass jener Materialismus, welcher ausser den Kr\u00e4ften der Atome nichts anerkennt, grundlos ist; und ohne entfernter Weise das Lebensprincip und psychische Princip mit ]enen imponderabeln Substanzen oder Kr\u00e4ften vergleichen zu wollen, sehen wir wenigstens, dass in den Thatsachen der Physik nichts ist, welches die M\u00f6glichkeit eines von der Materie unabh\u00e4ngigen, w'enngleich in den organischen K\u00f6rpern in der Materie wirkenden immateriellen Princips aufh\u00f6be.\nWir m\u00fcssen hier ein anderes R\u00e4thsel ber\u00fchren, dessen schon im Anf\u00e4nge dieses Lehrbuches p. 38. gedacht wurde. Es ist die Fx-age nach der Ursache des best\u00e4ndigen Vergehens und der Wiedererzeugung belebter und beseelter individueller Wesen. Das Lebensprincip w\u00e4chst nicht allein an Intensit\u00e4t w\u00e4hrend des Wachsthums der organischen K\u00f6rper, es vei\u2019-vielf\u00e4ltigt sich auch durch die Theilung und Zeugung. Aus einem lebenden Wesen entstehen viele andere, eben so kr\u00e4ftige und productive, aus diesen wieder andere, w\u00e4hrend die organi-\n54 *","page":841},{"file":"p0842.txt","language":"de","ocr_de":"842 III. Buch. Nervenphysik. V. Ahschn. Centrait heile d.Neroensyst\nsehe Kraft der sterbenden vergeht oder latent wird. Diese Ver_ vielf\u00e4ltigung belebter Wesen geschieht nicht bloss durch ein Ue-bertragen des wirksamen Principes von dem Producenten auf das Product. Denn der Producent bleibt auch nach der Vervielf\u00e4ltigung zu neuen Productionen f\u00e4hig, bis er zuletzt vergeht. Dasselbe gilt aber von dem psychischen Princip. Der Zeugende verliert dasselbe nicht durch das Zeugen eines neuen beseelten Producenten, aber nach der fortdauernden Erzeugung neuer beseelter Wesen wird die Psyche der zeugenden Eltern mit dem Sterben f\u00fcr uns latent. Wie ist es nun m\u00f6glich, dass das Le-bensprincip und die Psyche sich in immer neuen Individuen ins Unendliche multiplicirt, w\u00e4hrend doch die Producenten nach der Production beseelt bleiben und sp\u00e4ter vergehen; wie ist difese unendliche Multiplication des psychischen Principes mit dem Lebensprincip denkbar? Darauf giebt es zwei Antworten, deren sich keine erweisen l\u00e4sst. Die erste ist die, dass das Princip des Lebens und das psychische Princip in allen Matei'ien, durch deren Aneignung die thierischen K\u00f6rper wachsen und zur Multiplication f\u00e4hig werden, im latenten Zustande' vertheilt seyen, und durch die Organisation in den belebten und beseelten K\u00f6rpern in Erscheinung treten. Diess ist die L\u00f6sung, welche der Pantheismus auf jene Frage ertheilt. Diese L\u00f6sung ist es, welche an der Unsterblichkeit der individuell beseelten Wesen zweifelt, und auf die Unsterblichkeit des Weltgeistes reducirt ist. Die zweite Antwort ist, dass das Lebensprincip und psychische Princip nicht latent in allen zur Aneignung dienenden Materien verbreitet sind, dass das Lebensprincip vielmehr nur in den belebten Wesen ist, und dass das psychische Princip. so lange sie leben, an ihre Materie gebunden ist. Bei dieser Ansicht l\u00e4sst sich die Multiplication der beseelten Individuen nur durch die Annahme erkl\u00e4ren, dass das psychische Princip, wenn es sich durch die Zeugung ins Unendliche multiplicirt, eine Substanz sey, welche durch Vertheilung nie weder vergehen noch an Intensit\u00e4t geschw\u00e4cht werden kann. Dieses Princip w\u00fcrde von allen Kr\u00e4ften sich dadurch unterscheiden, dass es eine durch Theilung, sebst bis ins Unendliche, unver\u00e4usserliche und nicht zu schw\u00e4chende Kraft w\u00e4re. Eine Supposition, die f\u00fcr unsern Verstand unbegreiflich ist, und wozu doch jeder gedr\u00e4ngt wird, der dem Pantheismus entgegenstrebt, und mit dem uns eingebornen Glauben an die Unsterblichkeit nicht des psychischen Principes \u00fcberhaupt, sondern der individuell beseelten Wesen, den Abgrund, welchen keine Wissenschaft ausf\u00fcllen kann, \u00fcberfl\u00fcgelt.\nDie specielle Physiologie des Seelenlebens folgt erst sp\u00e4ter nach der Physiologie der Sinne im sechsten Buche dieses Werkes. Hier k\u00f6mmt dieser Gegenstand nur in den allgemeinsten Beziehungen zum Gehirne vor.\t-'y\nHI. Von dem verl\u00e4ngerten Marke.\nDurch das verl\u00e4ngerte Mark ist das Gehirn mit demR\u00fcekeit-","page":842},{"file":"p0843.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vow Gehirn. Verl\u00e4ngertes Mark.\t843\nmark in Wechselwirkung, die Kenntniss des Verlaufs der Str\u00e4nge desselben ist daher f\u00fcr den Physiologen von besonderer Wichtigkeit. Bubdach hat diesen Gegenstand in seinem verdienstvollen Werke \u00fcber den Bau und das Leben des Gehirns mehr als Andere aufgeliellt. Man unterscheidet jetzt folgende Str\u00e4nge des verl\u00e4ngerten Markes:\n1)\tdie Pyramiden ; sie bilden sich nach Burdach aus Grundfasern und Kreuzungsfasern. Die Grundfasern liegen an der vorderen Fl\u00e4che des grauen Kernstranges, sie bilden die hintere Wand des vorderen Einschnittes des R\u00fcckenmarkes, steigen aber am Halse 3^-\u201414 Zoll unter der Br\u00fccke schr\u00e4g nach vorn herauf, so dass sie anfangs, die Seitenw\u00e4nde des vordem Einschnittes bildend, zuletzt zu beiden Seiten des Einschnittes an der vordem Fl\u00e4che des R\u00fcckenmarkes hervortreten, und an der in-nern Seite des innern vordem R\u00fcckenmarksstranges sich hervordr\u00e4ngen. Die Kreuzungsfasern sind ein Arm des Seitenstranges des R\u00fcckenmarkes, welcher hinter der Olive weggeht, schr\u00e4g nach innen und vorn aufsteigt, und mit den Grundfasern an der Oberfl\u00e4che zur Seite des vordem Einschnittes des R\u00fcckenmarkes 1 Zoll unter der Br\u00fccke hervortritt. Nur die Kreuzungsfasem kreuzen sich, d. h. kommen von der einen Seite des Einschnittes zur andern, und legen sich an die entgegengesetzten Grundfasern an. Burdach a. a. O. 2.31. Die Fasern der Pyramiden gc. hen durch die B\u00fcndel der Querfasern der Br\u00fccke in die Hirnschenkel \u00fcber.\n2)\tDie H\u00fclsenstr\u00e4nge sind nach Burdach die an der innen und \u00e4ussern Seite der Olive verlaufenden Faserb\u00fcndel, welcle an der Oberfl\u00e4che des verl\u00e4ngerten Markes nicht blosslieger. Der vordere H\u00fclsenstrang entsteht aus den Markfasern am vordem Einschnitte des R\u00fcckenmarkes, welche an der Stelle, w> die Pyramiden hervortreten, von der Pyramide nach aussen gt-dr\u00e4ngt werden. Der \u00e4ussere H\u00fclsenstrang ist der \u00e4ussere Thdl der vordem R\u00fcckenmarksstr\u00e4nge an der innern Seite der vordem Wurzelreihe. Beide H\u00fclsenstr\u00e4nge liegen an einander lis da, wo die Olive zwischen ihnen hervortritt. Die inneren Hid-senstr\u00e4nge gehen durch die Br\u00fccke mit den Pyramiden in die Jlim-schenkel \u00fcber. Die \u00e4usseren H\u00fclsenstr\u00e4nge treten nach oben und innen um den obern Theil der Processus cerebelii ad corpora quadrigemina, und sofort in die Basis der Vierb\u00fcgel \u00fcber.\n3)\tDie Olive entsteht durch die Ausbreitung des vordem grauen Stranges im verl\u00e4ngerten Marke. An dieser Stelle geht von dem grauen Strange eine mit weisser Markirasse gef\u00fcllte, gefaltete graue Blase ah, die auch \u00e4usserlich mit Markmasse \u00fcberzogen ist. Die graue gefaltete Blase und der markige Kern erscheinen auf dem Durchschnitte als Corpus dentatum der Olive.\n4)\tDer Seitenstrang des R\u00fcckenmarkes giebt am Anf\u00e4nge des verl\u00e4ngerten Markes die Kreuzungsfasern der Pyramiden nach innen ah, der \u00fcbrige Theil schl\u00e4gt sich \u00fcber der Olive in den Schenkel des kleinen Gehirns zum verl\u00e4ngerten Marke, und gehl","page":843},{"file":"p0844.txt","language":"de","ocr_de":"844 III. Buch. Neroenphysik. V.Abschn. Centraltheiled.Nervcnsyst.\nauch zum Theil im \u00e4usserrt Theile der Rautengrube fort. Bur-dach a. a. 0. p. 35.\n5)\tDer Reilstrang entsteht aus den die hinteren grauen Str\u00e4nge des R\u00fcckenmarkes bedeckenden Markfasern, welche, an der oberen Seite des Seitenstranges gelegen, mit den Fasern des Seitenstranges zusammen den Schenkel des kleinen Gehirns zum verl\u00e4ngerten Marke bilden; seine inneren Fasern laufen als \u00e4ussere Theile der W\u00e4nde der Rautengiube fort nach dem grossen Gehirne.\n6)\tAn der innern hintern Fl\u00e4che des Keilstranges liegt der zarte Strang, dessen innere Seitenfl\u00e4che die Seitenwand des hintern Einschnittes bildet, und zum Theil an der entsprechenden Fl\u00e4che des Stranges der andern Seite dicht anliegt. An der Spitze der Rautengrube schwillt dieser Strang an und bildet einen keulenf\u00f6rmigen Wulst. Burdach a. a. O. p. 37.\n7)\tDie runden Str\u00e4nge kommen durch das Auseinanderweichen der zarten Str\u00e4nge als Seitenw\u00e4nde des R\u00fcckenmarkskanales zum Vorschein, sie kommen zwischen den auseinanderweichenden zarten Str\u00e4ngen in die Rautengrube, und gehen durch den Einschnitt getrennt vorw\u00e4rts, den Boden der Rautengrube bildend, und bis in den vordem und untern Umfang der Wasserleitung sich fortsetzend.\nAuf eine ausf\u00fchrliche Beschreibung der Hirnfaserungen kann nan sich hier nicht cinlassen und verweist auf das Werk von E\u00fcrdach und Lahgenbeck\u2019s leones, und in Hinsicht der Zusammenstellung der neueren Forschungen \u00fcber den Bau des Gehirns aif E. II. Weber\u2019s Anatomie, und eine sehr zweckm\u00e4ssige, klare uid genaue Darstellung desselben von D\u2019At.ton im XT. Bande des etcyclop\u00fcdischen W'\u00f6rterbuchs der medicinischen Wissenschaften.\nWas die Kr\u00e4fte des verl\u00e4ngerten Markes betrifft, so ist zu-ent zu bemerken > dass es im Allgemeinen die Eigenschaften des Rickenmarkes theilt; cs ist so gut wie das R\u00fcckenmark Refle-ct<r, ja kein Theil des ganzen Nervensystems ist so sehr zur Reflexion geneigt, als dieser Theil; denn die Reizungen der vom vell\u00e4ngerten Marke entspringenden Nerven bringen vor allen an-deiea Nerven am leichtesten Reflexionsbewegungen hervor; es gel\u00f6it mit zu den motorischen Apparaten, und kein Theil des Nervensystems bat einen so grossen Einfluss auf Hervorbringung non Bewegungen, als dieser; denn bei Reizung desselben erfolget. Zuckungen am ganzen Rumpfe, und bei der Verletzung desselben ist der ganze Rumpf gel\u00e4hmt. Aber wodurch sich das verl\u00e4ngerte Mark vor allen Theilen der Centralorgane auszeichnet, sind folgende Eigenschaften.\n1) Es ist die Quelle aller Atbembcwegungen, wie schon oben p. 341. aus den Versuchen von L\u00ebgallois gezeigt wurde. Wird das Gehirn von vorn nach hinten bei einem Thiere zerst\u00f6rt, so h\u00f6rt das Athracn erst auf bei der Verletzung der Medulla oblongata. In diesem Organe liegt also die Quelle der periodischen Inspirationen, der ver\u00e4nderten Athembewegungen, der krankhaften Respirationsbtwegungen bei den Reizungen der Empfindungsnerven in den Schleimh\u00e4uten. Auf dasselbe wirken die Leiden-s'\u00bbhaften bei Erregung aller Respirationsnerven, den N. facialis","page":844},{"file":"p0845.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Verl\u00e4ngertes Mark.\n845\neingesclilossen ; in ihm ist das Primum movens zu den Bewegungen, die das Weinen, Lachen, Schluchzen, Seufzen, G\u00e4hnen, Husten, Erbrechen u. s. w. begleiten oder bewirken; bei welchen Bewegungen immer das ganze System der respiratorischen Nerven und der N. facialis afficii't ist. So wie ein Theil dieser Bewegungen von dem verl\u00e4ngerten Marke aus in Leidenschaften bewirkt wird, so entstehen sie durch eine Wirkung des Senso-riums auf das verl\u00e4ngerte Mark, oft auch durch blosse Vorstellungen , wie das Lachen, Weinen, G\u00e4hnen. Die Disposition zum G\u00e4hnen scheint bei dem Zustande der Erm\u00fcdung in den Cen-traltheilen des Nervensystems immer vorhanden zu seyn; tritt dann die Vorstellung vom G\u00e4hnen dazu, indem wir Andere g\u00e4hnen sehen, so wird die Disposition offenbar und wir g\u00e4hnen wirklich. Bei dieser Bewegung ist wieder das System der respiratorischen Nerven und der Nervus facialis afficirt, sowohl die Gesichts\u00e4ste als derjenige, der sich im Musculus digastrieus verbreitet.\n2)\tEs ist der Sitz des Willenseinflusses. Denn wie die Versuche von Flourens zeigen, sind die Thiere, welche die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns verloren haben, zwar bet\u00e4ubt, aber noch f\u00e4hig, Bewegungen willk\u00fchriich auszuf\u00fchren; andrerseits behalten die Thiere diese F\u00e4higkeit auch nach Hinwegnahme des kleinen Gehirns, wodurch bloss die Kraft der Bewegungen und die F\u00e4higkeit zu zusammenh\u00e4ngenden Ortsbewegungen aufgehoben wird. Vergl. \u00fcber hirnlose Missgeburten mit willk\u00fchrlicher Bewegung, oben p. 342., Mueller\u2019s Archiv 1834. p. 168.\n3)\tIn diesem Organe ist auch der Sitz des Empfindungsverm\u00f6gens; nicht allein dass alle Gehirnnerven, mit Ausnahme des ersten und zweiten, mit den Fortsetzungen des verl\u00e4ngerten Markes im Gehirne oder mit diesem selbst Zusammenh\u00e4ngen; wird dieser Satz auch durch die Geschichte der Verletzungen der Hirntheile erwiesen. Aus den Versuchen von Magendie und Desmoulins geht hervor, dass ein Thier nach dem Verluste der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns und des kleinen Gehirns das Empfindungsverm\u00f6gen nicht verloren hat. Mit der Hinwegnahme der Hemisph\u00e4ren werden zwar die Centralorgane des Gesichtssinnes und Geruchssinnes entfernt, und es tritt Blindheit ein; dagegen scheint das Bewusstwerden der Empfindungen nicht au die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns gekn\u00fcpft zu seyn. Flourens hat zwar aus seinen Versuchen \u00fcber IJinWegnahme der grossen Hemisph\u00e4ren geschlossen, dass diese Tbeile allein die Centralorgane der Empfindungen seyen, und dass ein Thier nach der Wegnahme derselben gar niclit empfinde. Indessen folgt diess nicht aus seinen sonst so interessanten Versuchen, sondern gerade das Gegentheil, wie schon Cuvier in seinem Berichte \u00fcber diese Versuche bemerkt h-at. Es wird zwar ein Thier nach dem Verluste der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns stumpfsinnig, aber gleichwohl zeigt es ganz deutliche Zeichen von Empfindung, nicht von blosser Beflexion. Es bestimmt sich selbst nicht mehr zu Bewegungen, aber wenn man es st\u00f6sst, zeigt es das Benehmen eines eben aufwachenden Thiercs. Bringt mau es in eine andere Lage,","page":845},{"file":"p0846.txt","language":"de","ocr_de":"S46 III. Euch. Nervenphysik. V.Absckn. Ccntraltheile d. Nervensyst.\nso sucht es das Gleichgewicht; auf den R\u00fccken gelegt, steht es auf; angestossen, h\u00fcpft es; V\u00f6gel in die Luft geworfen, machen Versuche zu fliegen; Fr\u00f6sche h\u00fcpfen fort. Wohl hat das Thier kein Ged\u00e4chtniss mehr, es \u00fcberlegt nicht, aber es empfindet dennoch, und reagirt gegen Empfindungen durch Bewegungen, welche keine blossen Reflexionsph\u00e4nomene sind. Cuvier vergleicht diese Thierc ganz richtig einem schlafenden Menschen, auch dieser sucht im Schlafe noch eine bequeme Lage; er empfindet. Cuvieb\u2019s Bericht etc. in Floureks Versuche und Untersuchungen \u00fcber die Eigenschaften und Verrichtungen des Nervensystems. \u25a0 Lpzg. 1824. p. 71.\nMan muss bei den Empfindungen eines gesunden beseelten Wesens wohl die Empfindungen selbst von der Aufmerksamkeit auf dieselben, und von der F\u00e4higkeit, Vorstellungen aus den Empfindungen zu bilden, unterscheiden. Die Aufmerksamkeit scheint eine Th\u00e4tigkeit der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns zu seyn; mit ihrem Verluste tritt Stumpfsein ein, die Empfindung bleibt. Dagegen kann ein gesunder Mensch unter einer gewissen Anzahl zugleich stattfindender Empfindungen einer einzigen derselben seine Attention zuwenden, und sie zur herrschenden, zu derjenigen machen, deren er sich in ihrem ganzen Umfange, in ihrer ganzen St\u00e4rke bewusst wird, die Vorstellungen in ihm erregt, w\u00e4hrend andere Empfindungen zwar auch bewusst werden, aber undeutlich sind, wenn die Attention auf sie nicht gerichtet ist. Und so b\u00e4ngt also die Deutlichkeit der Empfindungen von der Mitwirkung edlerer Organe ab, welche nach dem Verluste der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns verloren sind, w\u00e4hrend das verl\u00e4ngerte Mark dunkler Empfindungen f\u00e4hig ist.\nEinige haben geglaubt, dass das verl\u00e4ngerte Mark, wie es der Sitz des Willens ist, auch das Centralorgan f\u00fcr alle Empfindungen sey. Diess scheint uns ein Missverst\u00e4ndnis, wenn man unter dem verl\u00e4ngerten Marke bloss den angeschwollenen obersten Theil des R\u00fcckenmarkes versteht, und nicht zugleich die Fortsetzungen desselben in das grosse Gehirn im Sinne hat. Allerdings ist das verl\u00e4ngerte Mark im engern Sinne das Centralorgan f\u00fcr alle Gef\u00fchlsempfindungen, und sie finden nach dem Verluste des grossen Gehirns noch statt, aber ohne Attention. Andrerseits giebt es aber auch f\u00fcr den Gesichtssinn und den Geruchssinn Centralapparate, die in den Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns liegen. Vach ihrer Verletzung h\u00f6rt das Sehen und Riechen auf, wie z. B. nach Verletzung des vordem Vierh\u00fcgelpaares, des Thalamus opticus, und \u00fcberhaupt der tieferen Theilejider Hemisph\u00e4ren Blindheit eintritt. Es scheint also, dass die Centralorgane der verschiedenen Sinne f\u00fcr sich bestehen ; m\u00f6gen sie auch zum Theil zu den Verl\u00e4ngerungen des Systems der Str\u00e4nge der Medulla oblongata geh\u00f6ren, so scheint doch ihre Wirkung isolirt stattfinden zu k\u00f6nnen, und erst durch Mitwirkung der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns mit den Centralorganen der Sinne tritt die Attention, die deutliche Anschauung der durch die verschiedenen Centralorgane der Sinne dargebotenen Empfindungen ein. Dicss ist vor der Hand wahrscheinlich, doch zum Beweise","page":846},{"file":"p0847.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Vierh\u00fcgel.\n847\nfehlt noch manche Thatsache. Es scheint zwar einerseits gewiss, dass nach Wegnahme des Centralapparates f\u00fcr das Sehen noch durch das verl\u00e4ngerte Mark die \u00bbGef\u00fchlsempdindungen mit Bewusstseyn stattfinden k\u00f6nnen ; aber wir wissen andrerseits nicht, oh nach dein Verluste des verl\u00e4ngerten Markes in den Centralor-ganen der \u00fcbrigen Sinne noch Empfindungen stattfinden k\u00f6nnen. Mit der Verletzung des verl\u00e4ngerten Markes h\u00f6rt das Athmen auf, dadurch sinkt das Lehen auf ein Minimum herab, bei welchem es unm\u00f6glich ist, Beobachtungen \u00fcber die Fortdauer der Sinnesempfindungen des Gesichtssinnes, Geruchssinnes u. s. w., anzustellen. Immer bleibt es aber jetzt am wahrscheinlichsten, dass die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirnes, und nicht das verl\u00e4ngerte Mark es sind, in welche die Wirkungen der verschiedenen Centralapparate der Empfindungen enden, und wo die von einander unabh\u00e4ngigen Empfindungen zu Sinnesanschauungen umgestaltet werden.\nWas den Geh\u00f6rsinn betrifft, so nimmt man gew\u00f6hnlich an, dass sein Centralorgan der Boden des vierten Ventrikels sey, weil die Fasern des Geh\u00f6rnerven von dort entspringen. Flou-rens hingegen behauptet, dass nach dem Verluste der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns das Geh\u00f6r aufh\u00f6re, obgleich V\u00f6gel nach dem Verluste noch Monate lang erhalten werden k\u00f6nnen, wie Flourens und Hertwig beobachtet haben. Mag indess auch die Geh\u00f6rempfindung an die Integrit\u00e4t des Bodens des vierten Ventrikels gekn\u00fcpft seyn, so scheinen doch die weissen queren Markfasern der Rautengrube, welche durchaus nicht constant mit dem Gehirnnerven Zusammenh\u00e4ngen, und zuweilen deutlich \u00fcber die obere Wurzel des Geh\u00f6rnerven in die Schenkel des kleinen Gehirns zur Br\u00fccke \u00fcbergehen, nicht die wichtige Rolle bei den Geh\u00f6rempfindungen zu spielen, welche man ihnen so oft beilegt. Wir besitzen das Gehirn eines M\u00e4dchens in unserem Museum, das nach einem Falle auf den Nacken und das Hinterhaupt all\u2014 m\u00e4hlig am ganzen K\u00f6rper gel\u00e4hmt wurde, und wo sich auf dem Boden der Rautengrube auf den queren Markstreifen eine Exsudation von Faserstoff befand, ohne dass das Geh\u00f6r dieses Sub-jectes gelitten h\u00e4tte. Siebe Fischer de rariore encephalitidis casu. Berol. 1834.\nIV. Von den Vicrh\u00fcgeln.\nDie Vierh\u00fcgel der S\u00e4ugethiere und die Lobi optici der V\u00f6gel, Amphibien und Fische geh\u00f6ren zu dem Centralapparate des Gesichtssinnes mit den Thalami optici der h\u00f6heren Thiere. Nimmt man bei. einer Taube einen der Lobi optici, oder bei einem S\u00e4ugethiere eine H\u00e4lfte der Corpora quadrigemina weg, so erfolgt nach Flourens (bei S\u00e4ugethieren nach Magendie nicht) Blindheit auf der entgegengesetzten Seite, aber die Regenbogenhaut auf diesem Auge bleibt noch lange beweglich. Die Thiere drehen sich oft um sich selbst, und zwar nach der Seite, wo der K\u00f6rper weggenommen worden, was auch Magendie und Desmoulins fanden. Dieses Drehen, welches auch bei Fr\u00f6schen bemerkt wird,","page":847},{"file":"p0848.txt","language":"de","ocr_de":"848 III. Buch. Nervenpltysik. V. Ahsclin. Cenlrallheile d. Neruensyst.\nscheint die Folge eines Schwindels zu seyn. Wurde unversehrten Tauben das eine Auge zugebunden, so drehten sie sich auch, aber nicht so heftig, und nicht so lange, als die verst\u00fcmmelte Taube. Bei der Verletzung der Vierh\u00fcgel treten immer Convul-sionen auf der entgegengesetzten Seite des Rumpfes ein; auch \u25a0wird die entgegengesetzte Seite des K\u00f6rpers von Muskelschw\u00e4che befallen.\nEine merkw\u00fcrdige Erscheinung ist, dass die Contractilit\u00e4t der Iris nach der oberfl\u00e4chlichen Verletzung eines Lohns opticus nicht verloren geht, w\u00e4hrend die vollst\u00e4ndige Wegnahme eines Lobus opticus die Contractilit\u00e4t der Iris aufhebt; dahingegen mit der Verletzung eines Lobus opticus jedesmal das Gesicht auf der entgegengesetzten Seite verloren geht. Flourens erkl\u00e4rt diess daraus, dass eine unvollkommene Exstirpation der Lob! optici die Excitabilit\u00e4t der Sehnerven nicht aufhebt, weil sie nicht alle Wurzeln der Sehnerven zerst\u00f6rt. Von der Excitation der Sehnerven durch das Licht h\u00e4ngt aber die Bewegung der Iris ab; denn sobald Flourens die Sehnerven selbst reizte, entstand eine Contraction der Iris, und nach Durchschneidung der blossen Sehnerven zieht sich die Iris nicht mehr gegen Lichtreiz zusammen. Diese Erkl\u00e4rung ist auch richtig; indess l\u00e4sst sich die Fortdauer der Bewegung der Iris gegen das Licht nach der oberfl\u00e4chlichen Verletzung des Lobus opticus einer Seite auch noch einfacher erkl\u00e4ren. Denn zur Bewegung der Iris ist es allein schon hinreichend, dass der Sehnerve der andern Seite von dem Lichte gereizt wird, wie auch im gesunden Zustande die Iris des einen Auges auf die Reizung der Retina des andern Auges contrahirt wird. Durch die Untersuchungen von Hertwig (Exp. de effeclibus laesionurn in partibus encephali. Bcrol. 1826.) sind die Versuche von Flourens fast durchg\u00e4ngig best\u00e4tigt worden. Dieselben zeigten n\u00e4mlich, dass die theilweise Verletzung eines der Vierh\u00fcgel hei S\u00e4ugethieren und V\u00f6geln Muskelschw\u00e4che und Verlust des Gesichtes auf der entgegengesetzten Seite des K\u00f6rpers hervorbringt, dass das Sehen nach einer tbeil-weisen Verletzung der Vierh\u00fcgel zwar auf eine. Zeitlang verschwindet, aber dann wiederkehrt; dass die Bewegung der Iris durch theilweise Verletzung eines der Vierh\u00fcgel nicht aufgehoben wird, sondern zuweilen fortdauert; dass durch die tiefere oder g\u00e4nzliche Exstirpation der Vierh\u00fcgel sowohl das Sehverm\u00f6gen als die Contraction der Iris g\u00e4nzlich verloren gehen; dass die Verletzung der Vierh\u00fcgel in dem Auge l\u00e4sst dasselbe bewirkt, als die Verletzung der Sehnerven; dass auf die Verletzung eines der H\u00fcgel eine Muskelschw\u00e4che auf der entgegengesetzten Seite des K\u00f6rpers eintritt, aber einige Zeit darauf wieder verschwindet; dass mit dieser Verletzung auf einer Seite zugleich eine schwindelartige Bewegung der Thiere im Kreise entsteht; dass durch die Verletzung der Vierh\u00fcgel bloss die genannten Erscheinungen, nicht aber irgend eine andere St\u00f6rung z. B. des Ged\u00e4chtnisses, des Bewusstseyns bewirkt wird.\nHertwig\u2019s Beobachtungen weichen nur darin von denen von Flourens ab, dass Hertwig bei Verletzung der Vierh\u00fcgel keine","page":848},{"file":"p0849.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kleines Gehirn.\n849\nConvulsionen entstehen sah, daher es wahrscheinlich ist, dass Flourens abweichende Resultate von einem zu tiefen Eindringen abh\u00e4ngen.\nV. Vom kleinen Gehirne.\nUeber die Kr\u00e4fte des kleinen Gehirns haben Rolando, Flourens, Magendie, ScHOErs und Hertwjg interessante Versuche angestellt. Aus den Untersuchungen von Rolando (Journal de physiol. 1823., Saggio sopra la vera struttura del cerveilo, edit. 3. Turin. 1828. 3 Voll) ergiebt sich, dass die Abnahme der Bewegungen mit der Verletzung des kleinen Gehirns im geraden Verh\u00e4ltnisse steht, dass die Thiere durch diese Verletzung nicht bet\u00e4ubt werden, und ihre Emplindungskraft in allen Theilen behalten, dass sie aber die Kraft ihrer Muskelbewegungen verlieren. Die Thiere haben die Augen offen, sie betrachten alle Gegenst\u00e4nde, aber umsonst versuchen sie sich in der zur Ortsver\u00e4nderung n\u00f6thigen Bewegung. Ein Thier, dem die eine Seite des kleinen Gehirns weggenommen ist, f\u00e4llt auf dieselbe Seite, und kann sich auf dem Beine derselben Seite nicht mehr erhalten (!). Diese Beobachtungen bestimmten Rolando zu der unerweislichen Annahme, dass das kleine Gehirn das Erzeugungsorgan f\u00fcr das Nervenprincip 'sey, welches er mit dem elektrischen Principe vergleicht, und dass die abwechselnden Lagen von grauer und weisser Substanz, wie auch Reil glaubte, als eine galvanische S\u00e4ule wirken. Die Versuche von Flourens sind in ihren Resultaten klarer und entscheidender. Er fand, dass die Thiere bei dem Abtragen des kleinen Gehirns keine Empfindungen zeigen (Versuche etc. p. 18.). Nahm er bei V\u00f6geln Schnitt f\u00fcr Schnitt das kleine Gehirn weg, so trat Schw\u00e4che der Muskelbewegungen und Mangel an Uebereinstimmung derselben ein. Nach der Wegnahme der oberfl\u00e4chlichen und mittleren Lageu wurden die Thiere unruhig, ohne in Convulsion zu gerathen ; sie machten heftige und ungeregelte Bewegungen, aber sahen und h\u00f6rten. Als die letzten Lagen weggenommen wurden, verloren die Thiere die F\u00e4higkeit zum Springen, Fliegen, Gehen, Stehen, zur Erhaltung des Gleichgewichtes Wurde ein Vogel in diesem Zustande auf den R\u00fccken gelegt, so konnte er nicht mehr aufstehen, er flatterte best\u00e4ndig und zeigte keine Bet\u00e4ubung; er sah den Streich, den inan nach ihm f\u00fchren wollte, und wollte ihn vermeiden. Es blieb also Wille, Empfindung und Besinnung, und nur die Kraft und F\u00e4higkeit, die Bewegungen der Muskeln gruppenweise zweckm\u00e4ssig zu Ortsbewegungen zu verbinden, war verloren, und seine Anstrengungen zur Erhaltung des Gleichgewichtes waren wie die eines Trunkenen (a. a. O. p. 34.). Aus diesen Versuchen, die Flourens in allen Thierclassen \u00fcbereinstimmende Resultate gaben, schliesst derselbe, dass das kleine Gehirn weder zu den sensoriellen, noch zu den intellectuellen Apparaten geh\u00f6rt, dass in ihm nicht die Quelle der willk\u00fchrlichen Bewegungen liegt, dass es zwar zu den motorischen Apparaten geh\u00f6rt, dass es aber bei Verletzungen nicht wie andere motorische Apparate, R\u00fcckenmark","page":849},{"file":"p0850.txt","language":"de","ocr_de":"850 III. Buch. Nervenphysik. V.Ahschn. Cenlraltheiled.Nervensyst.\nund verl\u00e4ngertes Mark, Convulsionen bewirkt, dass vielmehr durch seine Verletzung nur die Kraft der Bewegungen und die F\u00e4higkeit, sie zweckm\u00e4ssig zu den Ortsbewegungen zu coordiniren verloren geht. Wenn diese Ansicht richtig' ist, so muss im kleinen Gehirne die Mechanik zu der gruppenweisen Erregung der Muskeln vorgebildet seyn, so dass jede St\u00f6rung der Structur dieses Organes gleichsam die pr\u00e4stabilirte Harmonie zwischen diesem Centralapparate und den Muskelgruppen und ihren nerv\u00f6sen Leitern aufhebt. Bemerkenswerth ist noch, dass die Verletzungen des kleinen Gehirns immer ihre Wirkungen kreuzend auf der entgegengesetzten Seite des Rumpfes zeigen.\nDiese Beobachtungen sind durch die Versuche von Hertwig best\u00e4tigt worden. Aus diesen ergiebt sich, dass das kleine Gehirn f\u00fcr sich nicht sensibel ist, durch seine Reizungen keine Convulsionen der M\u00fcskeln eintrcten, dass seine ungest\u00f6rte Wir~ kung zur Verbindung der Bewegungen f\u00fcr einen gewissen Zweck z. B. des Fliegens, Stehens, Laufens, zur Erhaltung des Gleichgewichtes n\u00f6thig ist, dass die Verletzung desselben w eder auf die Sinne, noch auf andere Functionen des K\u00f6rpers Einfluss hat. Gleichwohl sah Hertwig, dass die Kraft des kleinen Gehirns nach einer theilweisen Zerst\u00f6rung sich allm\u00e4hlig wieder herstellte. Die kreuzende Wirkung des kleinen Gehirns wird von Hertwig best\u00e4tigt.\nMagendie sah, dass Igel und Meerschweinchen, denen er das grosse und auch das kleine Gehirn weggenommen hatte, sich noch die Nase mit den Vorderpfoten rieben, wenn man ihnen Essig unter die Nase hielt. Derselbe will nach der Verletzung des kleinen Gehirns beobachtet haben, dass die Thiere sich anstrengten, vorw\u00e4rts zu gehen, und durch eine innere Gewalt ge-n\u00f6thigt wurden, r\u00fcckw\u00e4rts zu gehen. Nach der Verletzung der Pedunculi cerebelli ad pontem und des Pons selbst auf einer Seite sah er constant, dass die Thiere sich nach derselben Seite herumw\u00e4lzen. Diese Wirkung erfolgt sogar durch jeden Verti-calschnitt, welcher die \u00fcber dem vierten Ventrikel liegende Markmasse trifft, zeigt sicli aber am st\u00e4rksten nach Verletzung der Pedunculi ad pontem. Zuweilen sollen die Thiere 60 Mal in der Minute sich umdrehen, und er sah diese Bewegung acht Tage ohne Aufh\u00f6ren fortdauern. Diese Bewegungen sinn keine Convul-sionen, sondern werden willk\u00fchrlieh von dem Thiere ausgef\u00fchrt, als wenn eine innere Gewalt es dazu n\u00f6thigte, oder als wenn es von Schwindel ergriffen w\u00e4re. Durch die Durchschneidung des Schenkels der andern Seite soll man das Gleichgewicht* wieder hersteilen k\u00f6nnen. Hertwig sah auch Drehungen nach rechts nach Verletzung des Pons auf der rechten Seite beim Hunde; dabei war das eine Auge nach oben, das andere nach unten gedreht. Derselbe beobachtete bei Verletzungen des Pons auf der Oberfl\u00e4che \u00abl\u00e4ssigen Schmerz, und schreibt dem Pons eine kreuzende Wirkung zu. Convulsionen beobachtete er nach Verletzungen des Pons nicht.\nDer Pedunculus cerebelli inferior (Corpus restiforme) geh\u00f6rt zum System des verl\u00e4ngerten Markes; nach seiner Verletzung treten nach Rolando\u2019s Versuch an einer Ziege Convulsionen ein,","page":850},{"file":"p0851.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Kleines Gehirn.\n851\nwobei der K\u00f6rper des Thieres auf die verletzte Seite sich kr\u00fcmmte. Saggio ed. 3. p. 128. Die Pedunculi cerebelli anteriores (ad Corp. quadrig.) bewirkten nach demselben Autor verletzt auch Con-vulsionen, die entgegengesetzten Extremit\u00e4ten waren mehr bewegt; das Thier (Kaninchen) fiel nach Spr\u00fcngen immer auf die verletzte Seite.\nNach Gall soll das kleine Gehirn das Centralorgan des Geschlechtstriebes seyn. Diese Ansicht st\u00fctzt sich nicht auf sichere Thatsachen. Burdach hat die hieher geh\u00f6rigen Thatsachen zusammengestellt, a. a. O. 3. p. 423. Nach Burdach k\u00f6mmt die Affection der Geschlechtstheile unter 17 F\u00e4llen von Fehlern des kleinen Gehirns, und unter 332 F\u00e4llen von Fehlern des grossen Gehirns einmal vor. In apoplectischen F\u00e4llen mit Erection hat man Bluterguss im kleinen Gehirne gefunden (Serres im Journal de physiol. 3. 114.). Dunglison beobachtete bei einer Entz\u00fcndung des kleinen Gehirns mit ser\u00f6ser Ergiessung Priapismus. Bei Zerst\u00f6rung dgs R\u00fcckenmarks in Thieren bewirkt man auch zuweilen Erection. Heusinger\u2019s Beobachtungen (Meckel\u2019s Archiv.\n6.\t551.), der bei zwei V\u00f6geln, die pl\u00f6tzlich gestorben, einen strotzenden Zustand der Hoden und Blutergiessung im kleinen Gehirne fand, k\u00f6nnen wohl nicht als Beweise f\u00fcr Gall\u2019s Ansicht angef\u00fchrt werden, und alle \u00fcbrigen von Burdach angef\u00fchrten F\u00e4lle von gleichzeitigen Krankheiten des kleinen Gehirns und der Genital-l\u00fcnctionen beweisen im Grunde auch nicht viel. Die Coincidenz der It\u00fcckenmarkskrankheiten mit Affection der Genitalien ist noch h\u00e4ufiger. Auch steht die Entwickelung des kleinen Gehirns in keinem Verh\u00e4ltnisse mit der Energie des Geschlechtstriebes in der Thierwelt. Diess Organ ist bei den nackten Amphibien, wo es eine blosse Leiste \u00fcber den vierten Ventrikel darstellt, ausserordentlich klein, und gleichwohl ist der Geschlechtstrieb diessr Thiere zum Spr\u00fcchworte geworden, obgleich bei den nackten Amphibien die Erection wegf\u00e4llt. Gegen die Hypothese spricat ferner ein Pr\u00e4parat des anatomischen Museums zu Bonn von dem kleinen Gehirne eines Mannes, bei dem man bei der Section eiie Atrophie der einen H\u00e4lfte des kleinen Gehirns fand. Siehe Wj-ber in nov. act. nat. cur. 14. 111. Dieser Mann war an eln;r entz\u00fcndlichen Krankheit gestorben, und hatte einen eher zu starken als zu schwachen Geschlechtstrieb; er war verheirathet uid Vater von mehreren Kindern. Am merkw\u00fcrdigsten sind aler die von Cruveilhier (Anat. pathol. lier. 15. 18.) mitgetheilfen Thatsachen. In dem einen dieser F\u00e4lle, n\u00e4mlich von eitern 21j\u00e4hrigen Individuum, fanden sich zwei grosse tuberculose Mts-sen in der linken Hemisph\u00e4re des kleinen Gehirns, ohne parilytische Symptome, ohne Kopfschmerzen und ohne eine posiive krankhafte Erscheinung in den Genitalien. Da dieses Individuum keine Neigung zu den Vergn\u00fcgungen der Liebe gehabt hiben soll, so k\u00f6nnte man diesen Fall als einen Beweis f\u00fcr die 'GALLlche Hypothese ansehen. Indessen zeigt uns der zweite Fall eine Coincidenz des vollkommenen Mangels des kleinen Gehirns mit Neigung zur Mastupration ; diess war ein elfj\u00e4hriges M\u00e4dchen. Im\n7.\tJahre zeigte dieses Subject eine grosse Schw\u00e4che in der Ex-","page":851},{"file":"p0852.txt","language":"de","ocr_de":"852 III. Buch. Nervenphysik. V. Ahschn. Central/heile d.Nervensyst.\ntremit'\u00e2ten, Mangel an Intelligenz und eine undeutliche Articulation. Im elften Jahre, zur Zeit, wo das Individuum genauer beobachtet wurde, war die Schwache in den Extremit\u00e4ten so gross, dass es kaum die Beine bewegen konnte, die nichts von ihrer Sensibilit\u00e4t verloren hatten. Die Bewegung der Arme war gestattet; der intellectuelle Zustand war stumpfsinnig. Die Person starb an einer entz\u00fcndlichen Krankheit. Die Fossae occipitales inferiores waren mit Serosit\u00e4t gef\u00fcllt. Statt des kleinen Gehirns fand sieh nur eine kleine h\u00e4utige Qnerbinde \u00fcber dem verl\u00e4ngerten Marke, die jederseits in eine Haselnuss grosse Anschwellung \u00fcberging. Der Pons fehlte durchaus, die Oliven waren undeutlich. Man sehe die Abbildung bei Cruveilhier l'wr. 15.\nVI. Von den Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns.\nSchon die stufenweise Entwickelung der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns bis zum Menschen, die Coincidenz der Atrophie und des Mangels der Windungen derselben mit Idiotismus zeigen, dass man in diesem Organsysteme des Gehirns den Sitz der h\u00f6heren Seelenth\u00e4tigkeiten suchen muss. Es ist aber auch direct durch Versuche bewiesen, dass dem so ist. Besonders sind Flourens Versuche auch in diesem Punkte sehr lehrreich geworden, und Hertwig\u2019s Versuche haben sie im Wesentlichen nur best\u00e4tigen k\u00f6nnen. Die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns zeigen beim Anstich und Anschneiden selbst keine Empfindlichkeit. Der Ort des Gehirns, wo die Empfindungen zu Vorstellungen gestaltet, die Vorstellungen aufbewahrt werden, um gleichsam als Schatten der Empfindung wieder zu erscheinen, ist selbst nicht empfindlich. Diese Erfahrung, die auch Hertwig machte, stimmt auch rrit Erfahrungen am Menschen bei Kopfverletzungen \u00fcberein ; d\u00eenn oft genug hat man schon beobachtet, wo man hervorge-qiollene Theile des Gehirns von den gesunden abl\u00f6sen musste, dass diess auch bei einem Subjecte mit klarem Bew'usstseyn ohne aie Empfindung geschehen kann. Bei der Verletzung der Hemisph\u00e4ren entstehen auch keine Convulsionen, sondern die einzige constante Folge jeder tiefern Verletzung der Hemisph\u00e4-^ rin ist Blindheit des Auges der entgegengesetzten Seite, und Stumpfsinn. Dass die oberen Theile der Hemisph\u00e4ren keine Muskelzusammenziehungen bewirken k\u00f6nnen, hatten schon Haller. urd Zinn gefunden. Auch die Corpora striata, die Sehh\u00fcgel bewirken gereizt nach Flourens keine Zuckungen, und Lorry hatte daselbe schon von dem Corpus callosum ausgemittelt.\nDie von Flourens und Hertwig \u00fcber die Function der Herni-spliren an verschiedenen Thieren angestellten Versuche stimmen im Vllgemeinen sehr \u00fcberein. Ich werde das sehr interessante Detail eines Versuches von Flourens an einer Taube mittheilen. Als Flotrens der Taube die rechte Hemisph\u00e4re weggenommen hatte, war sie auf der entgegengesetzten Seite blind. Gleichwohl dauerte die Contractilit\u00e4t der Iris auf diesem Auge fort, aus Gr\u00fcnden, die schon oben p. 848. angegeben worden. In allen Thei-len 1er entgegengesetzten Seite des Rumpfes zeigte sich eine","page":852},{"file":"p0853.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Grosses Gehirn.\n853\ndeutliche Schw\u00e4che. Diese Schw\u00e4che ist indess nach Flourens sowohl in Hinsicht des Grades als der Dauer eine ver\u00e4nderliche Erscheinung. Bei allen Thieren kommen die Kr\u00e4fte bald wieder ins Gleichgewicht, und das Missverh\u00e4ltniss zwischen beiden Seiten stellt sich wieder her. Die Taube sah auf der verletzten Seite sehr gut, sie h\u00f6rte, stand, ging, flog ohne Hinderniss. Nach Wegnahme beider Hemisph\u00e4ren entsteht Verlust des Gesichtes und Muskelschw\u00e4che, die jedoch weder bedeutend noch anhaltend ist. Eine solche Taube flog, wenn inan sie in die Luft warf; sieging, wenn man sie stiess. Die Iris war in beiden Augen beweglich; die Taube b\u00f6rte nicht, sie bewegte sich nicht freiwillig, immer zeigte sie sich in der Art eines schlafenden Thie-res, und wenn man sie reizte, so zeigte sie das Wesen eines erwachenden Thieres. In welche Lage sie nun auch gebracht wurde, so setzte sie sich ins Gleichgewicht; auf den R\u00fccken gelegt, stand sie auf; Wasser, das man ihr in den Schnabel gab, trank sie; sie widerstrebte den Bem\u00fchungen, den Schnabel zu \u00f6ffnen. Flourens vergleicht ein solches Thier mit einem Wesen, das immer zu schlafen gen\u00f6thigt ist, aber selbst das Verm\u00f6gen zu tr\u00e4umen verloren hat. Die Versuche an S\u00e4ugethieren fielen fast ehen so aus. Hertwig\u2019s Versuche stimmen mit denen von Flourens \u00fcberein. Er fand die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns nicht empfindlich, und nur bei der Verwundung der Basis des Gehirns zeigte ein Hund Zeichen des Schmerzes. Ein Hund, dem Hertwig beide Hemisph\u00e4ren weggenommen, bewegte sich nicht mehr freiwillig von dem Orte, wo er lag, sondern war ganz stumpfsinnig; angeregt, that er einige Schritte, sogleich fiel er aber wieder zu Boden und in Schlafsucht. Einen Schuss h\u00f6rte er nicht. Eine Taube, welcher Hertwig den obern Theil der Hemisph\u00e4re wegnahm, hatte Gesicht und Geh\u00f6r verloren, und sass wie schlafend da. Er f\u00fctterte sie; Erbsen, die ihr bloss in den Schnabel gegeben wurden, verschlang sie nicht, wohl aber, wenn sie auf die Zunge gelegt wurden (Reflexion); die Muskeln w'aren w'enig geschw\u00e4cht; sie stand fest und flog, in die Luft geworfen. Dieser Zustand dauerte bis zum 15. Tage, wo das Geh\u00f6r und die Empfindlichkeit gr\u00f6sstentheils wiederkehrten ; diese Taube lebte drei Monate. Eine Henne, der beide Hemisph\u00e4ren bis fast auf die Basis ausgeschnitten waren, hatte Gesicht, Geh\u00f6r, Geschmack, Geruch verloren, sass immer an einem Orte und gab kein Zeichen von sich, bis sie heftig angeregt, einige Schritte that, ln diesem Sopor lebte das Thier ohne Wiederherstellung der Sinnesth\u00e4tigkeit drei Monate. Schoeps hat \u00e4hnliche Versuche angestellt. Meckel\u2019s Archiv. 1827.\nOffenbar, wie aus diesen Versuchen und den Folgen des Drucks auf die Hemisph\u00e4ren des Menschen hervorgeht, sind diese Theile des Gehirns der Sitz der Seelenfunctionen, der Ort, wo die Empfindungen nicht bloss bewusst werden, sondern zu Anschauungen, Vorstellungen umgeschaffen, und von wo aus die Seelenth\u00e4tigkeit als Aufmerksamkeit bald mehr diesem, bald jenem Theile der sensoriellen Einwirkungen sich zuwendet. Welcher Unterschied in Hinsicht der Kr\u00e4fte der grauen und markigen Substanz","page":853},{"file":"p0854.txt","language":"de","ocr_de":"854 III. Buch. Nervenphfsik. F. Alschn. Cunt mit heile d.Neroensys\u00ef.\nobwalte, ist g\u00e4nzlich unbekannt. Mit der Ausdehnung der Oberfl\u00e4che der Hirnwindungen nimmt offenbar die Capacit\u00e4t des Seelenverm\u00f6gens in der Thierwelt zu; aber wir kennen nicht entfernterweise den Einfluss der grauen Rinde, in welche die unendliche Menge der Fasern des Stabkranzes zuletzt ausstrahlen. Welche Ver\u00e4nderung in den Markfasern oder der grauen Masse, oder dem sie beseelenden Principe vorgeht, wenn eine Vorstellung eine Impression auf die leicht ver\u00e4nderliche Materie des wunderbaren Baues macht, ist g\u00e4nzlich unbekannt. Wir wissen nur, dass jede Vorstellung ein in dem Gehirne bleibender unver\u00e4usserlicher Eindruck ist, der in jedem Augenblicke wieder auftauchen kann, wenn die Th\u00e4tigkeit der Seele sich ihm zuwendet, wenn die Aufmerksamkeit auf diesen Eindruck sich spannt, und dass nur die Unm\u00f6glichkeit, vielen Gegenst\u00e4nden zugleich aufmerksam zu seyn, jenes Vergessen erzeugt. Wir m\u00fcssen uns alle diese Bilder im latenten Zustande als unvertilgbare Eindr\u00fccke des Gehirns denken. Eine Hirnverletzung kann einzelne oder alle verwischen. Man hat nach Hirnverletzungen das Ged\u00e4chtnis f\u00fcr Hauptw\u00f6rter, Zeitw\u00f6rter und Lebensabschnitte schwinden und wiederkehren gesehen. Die Erhebung eines einzigen Bi'des ins aufmerksame Bewusstseyn modificirt die Coexistenz und st\u00f6rt das Gleichgewicht aller \u00fcbrigen; daher, wenn die jedesmalige St\u00e4rke der zugleich vorhandenen latenten Vorstellungen bekannt w\u00e4re, die durch eine Vorstellung hervorzurufende verwandte Vorstellung fast berechnet werden k\u00f6nnte, wenn nur die erste bekannt ist.\nDass es im Gehirne eine affective Provinz oder ein affectives Element gebe, bei dessen Anregung jede Vorstellung an affectiver St\u00e4rke schwellen kann, und welches bei seiner vorzugsweisen Th\u00e4tigkeit jede auch noch so einfache Vorstellung zum affectiven leidenschaftlichen Zustande macht, und auch im Traume den Bildern affective Farben und N\u00fcancen giebt, ist im Allgemeinen zwar wahrscheinlich, l\u00e4sst sich aber weder im Allgemeinen streng beweisen, noch \u00f6rtlich nachweisen. Noch viel weniger l\u00e4sst sich aber beweisen,' dass selbst ausser dem leidenschaftlichen Elemente der Seele auch die verschiedenen Richtungen der Gei-stesth\u00e4tigkeiten und Leidenschaften ihren besondern Sitz in den Provinzen der Hemisph\u00e4ren haben. Dieser Ansicht von Gall, auf welche sich die Cranioskopie gr\u00fcnden soll, steht zwar aus allgemeinen Gr\u00fcnden keine Unm\u00f6glichkeit entgegen, aber es giebt durchaus keine Thatsachen, welche nur entfernter Weise die Richtigkeit einer solchen Ansicht im Allgemeinen und die Richtigkeit der Durchf\u00fchrung im Einzelnen zu erweisen im Stande w\u00e4ren. Es l\u00e4sst sich keine Provinz des Gehirns nachweisen, worin das Ged\u00e4chtniss, die Einbildungskraft u. s. w. ihren Sitz h\u00e4tten. Immer kann das Ged\u00e4chtniss durch Verletzung der Hemisph\u00e4ren an irgend einem Theile ihres Umfanges verloren gehen; und so ist es mit allen Hauptverm\u00f6gen oder Richtungen der geistigen Th\u00e4tigkeit. Bedenkt man auf der andern Seite die zum Theil ganz unpsychologischen, von Gall zusammengebrachten Urverm\u00f6gen, so kann man diese durch nichts zu beweisenden","page":854},{"file":"p0855.txt","language":"de","ocr_de":"\u2022i. Vom Gehirn. Grosses Gehirn.\nS55\nWillk\u00fchrlichkeiten ohne Weiteres von dem Forum wissenschaftlicher Untersuchungen ausschliesscn. Ganz interessant ist in dieser Hinsicht, was Napoleon \u00fcber Gall\u2019s System gegen Las Cases \u00e4usserte; \u201eer schreibt gewissen Hervorragungen Neigungen und Verbrechen zu, die nicht in der Natur vorhanden sind, die nur aus der Gesellschaft, aus der Convention hervorgehen. Was w\u00fcrde aus dem Organe des Diebstahls werden, wenn es kein Eigenthum g\u00e4be; aus dem Organe der Trinksucht, wenn keine geistigen Getr\u00e4nke, aus dem Ehrgeiz, wenn es keine Gesellschaft g\u00e4be.\u201c Obgleich Gall kein Organ der Trinksucht annahm, so ist doch diese Bemerkung ii< Beziehung auf die schlechte psychologische Grundlage der CiALL\u2019schen Organe richtig. Indessen wirft Napoleon\u2019s Bemerkung nur die Art der Durchf\u00fchrung, nicht das Princip des GALi.\u2019scheo Systems um. Was das Princip betrifft, so ist gegen dessen M\u00f6glichkeit im Allgemeinen a priori nichts einzuwenden ; aber die Erfahrung zeigt, dass jene Organologie von Gall durchaus keine erfahrungs-m\u00e4ssige Basis hat, und die Geschichte der Kopfverletzungen spricht sogar gegen die Existenz besonderer Provinzen des Gehirns f\u00fcr verschiedene geistige Th\u00e4tigkeiten. Nicht allein, dass die h\u00f6heren und niederen intellectuellen F\u00e4higkeiten, Denken, Vorstellen, Phantasie, Erinnern, an jeder Stelle der Oberfl\u00e4che der Hemisph\u00e4ren durch Verletzung beeintr\u00e4chtigt werden k\u00f6nnen; man li\u00e2t auch oft genug gesehen, dass die verschiedenen Theile der Hemisph\u00e4ren die Th\u00e4tigkeit der anderen bei den intellectuellen Functionen unterst\u00fctzen k\u00f6nnen, und man hat bei Menschen, wo die Entfernung zerst\u00f6rter Parthien der Oberfl\u00e4che der Hemisph\u00e4ren n\u00f6thig war, \u00f6fter keine Aenderung in den moralischen und intellectuellen Eigenschaften derselben eintreten gesehen. Magendie hat vollkommen Recht, wenn er die Craniologic in eine Categorie mit der Astrologieund Alchymie stellt.\nWas das Verh\u00e4ltniss beider Hemisph\u00e4ren zueinander betrifft, so scheint es, dass die Integrit\u00e4t einer Hemisph\u00e4re die andere bei den intellectuelle!] Functionen ersetzen kann. Wenigstens hat man in einigen F\u00e4llen best\u00e4ndige Zerst\u00f6rungen in der einen Hemisph\u00e4re ohne St\u00f6rung des Geistes schon vorgefunden, und Cruveilhier (Lior. 8.) hat den Fall einer Atrophie der ganzen linken Hemisph\u00e4re des grossen Gehirns in einem 42j\u00e4hrigen Manne bei ungest\u00f6rtem Geistesverm\u00f6gen miNgetheilt. Die atrophirte linke Hemisph\u00e4re hatte ohngef\u00e4hr die H\u00e4lfte der Gr\u00f6sse der rechten, alle Theile der ersten sind gleichm\u00e4ssig atrophirt; daher sind das Crus cerebri, das Corpus mammillare, der Thalamus opticus, das Corpus striatum, der Ventrikel dieser Seite kleiner. Das kleine Gehirn war auf beiden Seiten ziemlich gleich ausgebildet; die rechte Hemisph\u00e4re ein wenig kleiner. In diesem Falle war die entgegengesetzte Seite des Rumpfes von Jugend auf unvollkommen gel\u00e4hmt, so dass die Person noch an einem Stocke gehen konnte; die Glieder dieser Seite waren abgemagert.\nDie Commissuren scheinen die Ursache der Einheit der Wirkungen beider Hemisph\u00e4ren zu seyn. Welcher Antheil dem Balken hierbei zukomme, ist noch nicht ganz gewiss;\n1)1 tiller\u2019s Physiologie. 1.\t55","page":855},{"file":"p0856.txt","language":"de","ocr_de":"856 III. Buch. iVervenphysik. V.Ahschn. Centraltheile d. Ncrvensysl.\ndoch sclieint die Theilung desselben und des Fornix, nach einer Beobachtung von Beil (Reii.\u2019s Archiv. 11. 341.) zur Aus\u00fcbung der niederen Seelenth\u00e4tigkeiten nicht noting. Reil fand diesen Mangel bei Erhaltung der Comrnissuren bei einer stumpfsinnigen Frau, die gleiclnvohl zu gew\u00f6hnlichen Auftr\u00e4gen und Gesch\u00e4ften, wie Botenlaufen, f\u00e4hig war. Dass man bei einer chronischen Ilirnwassersucht mit Zerst\u00f6rung des Balkens Bl\u00f6dsinn beobachtete, beweist wegen der Complication nicht viel. Indessen hat man bei Bl\u00f6dsinnigen schon Geschw\u00fclste und Hvda-liden auf dem Balken gefunden, und La Peyronnie beobachtete bei Verletzung des Balkens Verlust des Ged\u00e4chtnisses. Die hieher geh\u00f6rigen Beobachtungen findet man von Trkvikanus (Biul. G. 258.) und Burdach a. a. O. gesammelt. Directe Versuche \u00fcber die Bedeutung des Balkens sind noch wenige gemacht. Saucerotte durchschnitt den Balken bei einem Hunde; es erfolgte Bet\u00e4ubung mit heftigem Sch\u00fctteln und Schluchzen. Das Thier sah und h\u00f6rte, aber roch nicht, und empfand nicht an den Obren, an der Nase und bei Verletzungen der Muskeln. Burdach 3. 486. Rolando machte dieselbe Operation an einer Ziege, a. a. O. 2. 218. D as Thier stand einige Zeit unbeweglich, wurde darauf unruhig und lief vorw\u00e4rts. Es wurde zwei Tage erhalten; all\u2014 m\u00e4hlig wurde es schwach, konnte sich kaum erheben, und zitterte am ganzen K\u00f6rper, der kalt war.\nDie Bedeutung der Hypophysis und der Zirbeldr\u00fcse sind so gut wie g\u00e4nzlich unbekannt. Greding fand zwar hei Seelenkrankheiten \u00f6fter Krankheiten der Hypophysis ; allein man hat in Geisteskrankheiten schon in allen Theilen des Gehirns Entartungen gefunden. Wenzel fand die Hypophysis bei Epileptischen \u00f6fter krankhaft. Burdach 3. 4G7. Descartes Hypothese, dass der Sitz der Seele in der Zirbel sey, ist l\u00e4ngst vergessen und aufgegeben. Diese zeigt sich nach Georget\u2019s Erfahrungen in Geisteskranken sogar selten ver\u00e4ndert. Burdach 3. 467.\nDie Anwendung der Resultate der pathologischen Anatomie auf die Physiologie des Gehirns kann \u00fcbrigens immer nur sehr beschr\u00e4nkt sevn. Wir kennen die Gesetze der Mittheilung zwischen den verschiedenen Hirntheilen nicht, und wir k\u00f6nnen nur im Allgemeinen f\u00fcr gewiss annehmen, dass eine organische Krankheit in \u00e8inem Theile des Gehirns auch Ver\u00e4nderungen der Function anderer llirnlheile nach sich zieht; ohne dass wir immer aus diesen und den pathologisch-anatomischen Resultaten sichere Schl\u00fcsse machen d\u00fcrften. Degenerationen in den verschiedensten Theilen des Gehirns, welche nach den Versuchen nicht unmittelbar mit den Centralorganen des Sehsinnes Zusammenh\u00e4ngen, bewirken gleichwohl oft Blindheit; diess darf uns um so weniger wundern, als wir selbst in R\u00fcckenmarkskrankheiten, wie bei der Tabes dorsalis, \u00f6fter Amblyopie erfolgen sehen. Dasselbe gilt von der Bedeutung der organischen Ver\u00e4nderungen der verschiedenen Hirntheiie in Beziehung auf die Geisteskrankheiten, hei welchen sich \u00f6fter Degeneration in Hirntheilen vorgefunden hat, die nicht der wesentliche Sitz der intellectuellen Functionen sind. Die verdienstlichen Sammlungen und Berechnungen, w'dche Burdach \u00fcber die Coincidenz der Degenerationen der Gehirntheile mit","page":856},{"file":"p0857.txt","language":"de","ocr_de":"857\n3. Vom Gehirn. Mechanik der llirnwirkungen.\ngewissen Ver\u00e4nderungen der Functionen gegeben bat, liefern f\u00fcr das Ebengesagte eine F\u00fclle von Beispielen. Ferner muss bemerkt werden, dass eine chronische Ver\u00e4nderung im Gehirne, wenn sie bloss durch Druck wirkt, und keine volle Atrophie der gedr\u00fcckten Theile erzeugt, durch ihre allm\u00e4hlige Entwickelung die aflicirten Theile vorbereiten und an ihr Daseyn gew\u00f6hnen kann. Daher der grosse Unterschied der pl\u00f6tzlichen und chronischen Verletzungen des Gehirns in Hinsicht der Folgen. So konnten z. B. so wichtige Theile, wie die Varolsbr\u00fccke und die Hirnschenkel, durch eine langsam sich entwickelnde perlarlige Fetl-geschwulst in ihren Wirkungen nicht wesentlich ver\u00e4ndert werden, wie ein von Cruveilhier (/1nat. path. lier. 2.) mitgetheiltcr Fall beweist, in welchem weder die Bewegung, noch die Empfindung alterirt waren.\nVII. Mechanik des Gehirns und R\u00fcckenmarkes.\nUnter Mechanik des Gehirns und R\u00fcckenmarkes versteht man hier die Gesetze, nach welchen die Verbreitung und Leitung der Wirkungen in den Faserungen des Gehirns und Priik-kenmarkes erfolgt; wir reden also hier auch wieder in demselben Sinne von Mechanik, wie die Physik bei der Mechanik des Lichtes. So ausgebildet bereits die Mechanik der Nerven ist, so dunkel ist die der Centraltheile; die Primitivfasern der Nerven in derselben Scheide zusammenliegend, theilen sich ihre Zust\u00e4nde nicht mit, und wirken isolirt von den peripherischen Theilen zu den Ceutraltheilen und von diesen zur\u00fcck. Wenn, wie es wahrscheinlich gemacht worden, diese Fasern R\u00f6hren sind, worin das Nervenmark enthalten ist, so scheinen die W\u00e4nde dieser R\u00f6hren f\u00fcr ihren Inhalt isolirend zu seyn. Die Gehirn- und R\u00fcckenmarksfasern verhalten sich ganz anders; das Mark ist bei ihnen nicht in so deutlichen Schl\u00e4uchen enthalten, und zwischen ihnen hat man, besonders in der grauen Substanz, noch eine ungefa-serte k\u00f6rnige Niasse beobachtet, welche die Leitung von einer zur andern Faser einigermaassen zu erleichtern scheint, auch da, wo keine Communicationen der Fasern st\u00e4ttfinden. Daher vielleicht die Mittheilbarkeit der Zust\u00e4nde des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, die Erscheinungen der Reflexion von den Empfindungswurzeln auf die in Hinsicht des Ursprunges nahen Bewegungswurzeln. Hierauf wurde bereits in der vorigen Auflage dieser Schrift Werth gelegt. Nichts destoweniger erfolgt die Leitung in den Faserungen des R\u00fcckenmarkes in der Regel immer leichter in der Richtung der Fasern als in abweichenden Richtungen ; sonst w\u00e4re die motorische Excitation der Urspr\u00fcnge - gewisser Nerven des Rumpfes, und die kreuzende Wirkung des Gehirns auf die Spinalnerven nicht m\u00f6glich. \u2022 Die Gesetze der Leitung der grauen Substanz im Innern des Gehirns und R\u00fcckenmarkes und auf der Oberfl\u00e4che des grossen Gehirns sind uns g\u00e4nzlich unbekannt. Auch m\u00fcssen wir uns bescheiden, die Mitwirkungen der Faserungen bei allen intelleetuellen Functionen des Gehirns von unseren Betrachtungen g\u00e4nzlich auszuschliessen.\n55 k","page":857},{"file":"p0858.txt","language":"de","ocr_de":"858 UI. Buch. Nervenphysik. V.Abschn. Gentraltheiled. Nervensyst.\nAusser der Reflexion der Wirkungen von den Empfindungsfasern auf die Bewegungsfasern durch das R\u00fcckenmark, deren Thatsachen p. 717. erl\u00e4utert worden, deren Erkl\u00e4rung aus der Structur des R\u00fcckenmarkes und Gehirns noch nicht m\u00f6glich ist, hat die Mechanik des Gehirns und R\u00fcckenmarkes, die in den Centraltheilen wirkenden motorischen Apparate, vorz\u00fcglich aber die Wege der Leitung hei den Empfindungen und Bewegungen, die hierbei statt findende Kreuzung zu untersuchen.\nUnter den motorischen Apparaten m\u00fcssen wir diejenigen, deren Verletzung Zuckungen hervorbringt, von denjenigen unterscheiden, deren Verletzung die Kraft der Bewegung vermindert, ohne dass Zuckungen entstehen. Diess ist eine wichtige Unterscheidung, die wir Flourens verdanken, und welche einst f\u00fcr die Pathologie der Hirnkrankheiten von Wichtigkeit werden d\u00fcrfte. In die erste Classe geh\u00f6ren nach Flourens und Hert-wig\u2019s Versuchen nur die Vierh\u00fcgel, das verl\u00e4ngerte Mark und das R\u00fcckenmark; in die letzte Classe alle sonst im Gehirne enthaltenen motorischen Apparate, namentlich die Sehh\u00fcgel, gestreiften K\u00f6rper, \u00fcberhaupt das grosse Gehirn, so weit es auf Bewegung Einfluss hat, ferner Pons Varolii und kleines Gehirn. Nach der Verletzung dieser Theile nimmt die Kraft der Bewegung ab, aber es entstehen keine Zuckungen, w\u00e4hrend nach Verletzung des verl\u00e4ngerten Markes und R\u00fcckenmarkes unfehlbar Zuckungen erfolgen. Obgleich nun bei der Wechselwirkung der verschiedenen Theile des Gehirns wahrscheinlich auch andere Theile, als das verl\u00e4ngerte Mark und die Vierh\u00fcgel, in Krankheiten sympathisch Zuckungen bewirken k\u00f6nnen, wie auch die Pathologie best\u00e4tigt: so geht doch aus den oben mitgetheilten Thatsachen so viel hervor, dass, wenn die Kraft beweglicher Theile aus Krankheitsursachen in den Centraltheilen abgenommen hat, diese Ursachen eben so gut in den gestreiften K\u00f6rpern, Thalami optici, Hemisph\u00e4ren, Pons, Cerebellum, Medulla oblongata, Medulla spinalis, liegen k\u00f6nnen, dass aber, wenn Krampf oder Zuckung und L\u00e4hmung ihre Ursache in den Centraltheilen haben, diese viel eher in den Vierh\u00fcgeln, im R\u00fcckenmark und verl\u00e4ngerten Mark, als in den \u00fcbrigen der oben genannten Theile zu suchen ist.\nEin anderer f\u00fcr die Mechanik der Centraltheile wichtiger Umstand ist die Kreuzung der Wirkungen. Aus den \u00fcber die Verwundung des R\u00fcckenmarkes und verl\u00e4ngerten Markes beiThie-ren angestellten Versuchen und aus pathologischen Beobachtungen ergiebt sich, dass die Wirkungen dieser Theile auf die Nerven sich nicht kreuzen. Eine Verletzung des verl\u00e4ngerten Markes oder des R\u00fcckenmarkes bewirkt immer Zuckung oder L\u00e4hmung auf derselben Seite. Diess ist f\u00fcr das R\u00fcckenmark leicht erkl\u00e4rlich, weil cs in ihm keine Kreuzung der Fasern von rechts nach links und umgekehrt giebt. In Hinsicht des verl\u00e4ngerten Markes ist das Ergebnis? der Versuche von Flourens, Hertwig nicht ganz mit der Structur \u00fcbereinstimmend; denn da von den Str\u00e4ngen des verl\u00e4ngerten Markes wenigstens die Pyramiden sich, kreuzen, die anderen Str\u00e4nge aber auf derselben Seite des R\u00fck-","page":858},{"file":"p0859.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vorn Gehirn. Mechanik der Hirnwirkungen.\n859\nkenmarkes fortgehen, so sollte inan erwarten, dass je nach der Art der verletzten Theile des verl\u00e4ngerten Markes bald eine kreuzende, bald eine gleichseitige Wirkung erfolge. Lorry batte in der That auch beobachtet, dass bei Verwundungen des verl\u00e4ngerten Markes die Zuckungen stets auf der verwundeten, die L\u00e4hmungen auf der entgegengesetzten Seite seyen. Indess sind die Resultate der Versuche von Flourens und Hertwig durchaus dagegen. Aber inan muss bedenken, dass die Versuche meist wobt nur an den sich nicht kreuzenden seitlichen Str\u00e4ngen des verl\u00e4ngerten Markes angestellt wurden ; und es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn eine Verwundung die Pyramiden des verl\u00e4ngerten Markes \u00fcber der Kreuzung trifft, auch Kreuzung der Wirkungen erfolgen wird. Die Wirkungen des kleinen Gehirns, der Vierh\u00fcgel, der Hemisph\u00e4ren und der darin enthaltenen Theile ist fast immer kreuzend; die Verletzung des kleinen Gehirns, der Vierh\u00fcgel und der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns bewirkt immer die Schw\u00e4che auf der entgegengesetzten Seite, die Verletzung der Hemisph\u00e4ren, der Vierh\u00fcgel bewirkt Blindheit auf der entgegengesetzten Seite. Diess ist das allgemeine Resultat der Versuche von Flourens und Hertwig. Von dem grossen Gehirne hatten diess schon theils Versuche, theils pathologische Beobachtungen von Caldani, Arnemann, Valsalva, Wenzel u. A. erwiesen. Siehe Treviranus Biol. 6. 117. Burdach a. a. O. 3. 365. Magendie sagt dasselbe von den Hemisph\u00e4ren, und er bewirkte durch Exstirpatien eines Auges bei V\u00f6geln sogar in kurzer Zeit Atrophie des entgegengesetzten Lobus opticus. Die Vierh\u00fcgel zeigen bei'Verletzungen derselben die kreuzende Wirkung nach Flourens vorw\u00e4rts und r\u00fcckw\u00e4rts, nach vorn auf die Augen, nach hinten auf die anderen Theile des K\u00f6rpers. Mit diesem Resultate stimmen auch die meisten pathologischen Beobachtungen \u00fcberein; und man hat nur selten Ausnahmen beobachtet, welche Treviranus (Biol. 6.) und Burdach zusammengestellt haben. Aus Burdach\u2019s Zusammenstellung von 268 F\u00e4llen mit einseitiger Abnormit\u00e4t des Gehirns ergiebt sich, dass auf diese Zahl 10 F\u00e4lle mit L\u00e4hmung beider Seiten, \u00bb*nd 258 mit Hemiplegie kommen, und dass unter diesen nur 15 mit gleichseitiger L\u00e4hmung sind. Die Convulsionen waren in 25 F\u00e4llen gleichseitig, in 3 F\u00e4llen ungleichseitig.\nNach diesen Thatsachen l\u00e4sst sich wohl die Entstehung des alten, schon von Hippocrates an geltenden Dogma erkl\u00e4ren, dass bei Gehirnwunden die Convulsion auf der verwendeten, die L\u00e4hmung auf der entgegengesetzten Seite sey. Man kann n\u00e4mlich durch eine gewisse Art der Hirnverwundung beide Erfolge zugleich erzeugen, indem man L\u00e4hmung bedingende und Zuckung bedingende, kreuzende und nicht kreuzende Theile verletzt. Niemand hat diese Verh\u00e4ltnisse mehr aufgekl\u00e4rt als Flourens. Durch Verletzung des R\u00fcckenmarkes und des verl\u00e4ngerten Markes bewirkt man L\u00e4hmung und Zuckung auf derselben Seite, durch Verletzung der Vierh\u00fcgel L\u00e4hmung und Zuckung auf der entgegengesetzten Seite. Durch Verletzung der Thalami, Corpora striata, Hemisph\u00e4ren des grossen und kleinen Gehirns bewirkt man L\u00e4hmung","page":859},{"file":"p0860.txt","language":"de","ocr_de":"SCO III. Buch. Ncrvenphysik. V.Ahschn. Centraltheile d.Nervensyst.\nauf der entgegengesetzten Seite ohne Zuckung, Wird aber das kleine Gehirn und das verl\u00e4ngerte Mark zugleich auf einer Seite-verwundet, so hat man l\u00e4hmungsartige Schw\u00e4che auf der entgegengesetzten, und Zuckung und L\u00e4hmung auf derselben Seite. Siehe Flourehs a. a. O. p. 108. So viel Licht indess die Versuche von Floureks \u00fcber die Kreuzung der L\u00e4hmungen und Con-vulsionen werfen, so scheint derselbe doch aus seinen Versuchen zu viel gegen die M\u00f6glichkeit von gleichseitigen Convulsionen hei Hirnfehlern auf einer Seite geschlossen zu haben. Es ist zu auffallend, dass in Burdach\u2019s Zusammenstellung von einseitigen Hirnfehlern die Convulsion in 25 F\u00e4llen gleichseitig, nur in 3 F\u00e4llen ungleichseitig erfolgte; unter diesen Beobachtungen sind uns gerade diejenigen von Wichtigkeit, wo hei ungleichseitiger L\u00e4hmung gleichseitige Convulsion erfolgte. Bei Fehlern in dein Corpus Striatum einer Seite kommen auf 36 F\u00e4lle von ungleichseitiger L\u00e4hmung 6 F\u00e4lle mit gleichseitiger Convulsion, und keine mit ungleichseitiger Convulsion vor. Diess d\u00fcrfte ziemlich deutlich f\u00fcr den alten Satz sprechen, dass, wenn hei einseitigen Hirnfehlern mit ungleichseitigen L\u00e4hmungen Convulsionen Vorkommen, diese leichter gleichseitig als ungleichseitig sind.\nDie Erkl\u00e4rung der kreuzenden Wirkung durch die Kreuzung der Fasciculi pyramidales des verl\u00e4ngerten Markes liegt zu nahe als dass sie nicht seit der Ivenntniss dieser Kreuzung als Ursache der kreuzenden Hirnwirkungen angenommen worden w\u00e4re. Es beweist auch die Kreuzung dieser Fascikel in Uebereinstim-mung mit der kreuzenden Wirkung des Gehirns auf den Rumpf, dass die Pyramiden unter den Str\u00e4ngen des verl\u00e4ngerten Markes vorz\u00fcglich es sind, welche den motorischen Einfluss vom Gehirn auf den Rumpf leiten. Da indess die \u00fcbrigen Fascikel des verl\u00e4ngerten Markes sich nicht kreuzen, so fehlt es auch nicht an einem Erkl\u00e4rungsgrunde f\u00fcr die ausnahmsweise stattfindende gleichseitige Wirkung des Gehirns auf den Rumpf.\nEine ganz besondere Schwierigkeit bietet das Verhalten der Hirnnerven in Beziehung auf Kreuzung und Nichtkreuzung der Wirkungen dar, Denn da diese gr\u00f6sstentheils \u00fcber der Kreuzung der Pyramiden ihren Ursprung nehmen, so l\u00e4sst sich die Kreuzung der Pyramiden auch nicht als Erkl\u00e4rung der kreuzenden Wirkung der Hirnverletzungen auf die Hirnnerven annehmen; und was die Sache noch verwickelter macht, ist der Umstand, dass die Hirnnerven heim Menschen wenigstens eben so h\u00e4ufig eine gleichseitige, als eine kreuzende Wirkung des Gehirns erfahren. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die von B\u00fcrdach mit einem bewunderungsw\u00fcrdigen Fleisse zusammcngesteliten That-sachen. Bei einseitigem Hirnfehler erfolgte L\u00e4hmung der Gesichtsmuskeln in 28 F\u00e4llen auf der entgegengesetzten Seite, in 10 F\u00e4llen auf derselben Seite. L\u00e4hmung des Augenliedes erfolgte gleichseitig in 6, kreuzend in 5 F\u00e4llen ; L\u00e4hmung der Augenmuskeln gleichseitig in 8, kreuzend in 4 F\u00e4llen; L\u00e4hmung der Iris gleichseitig in 5, kreuzend in 5 F\u00e4llen. Burdacii 3. 372. Die Zunge ist in der Regel gegen die gel\u00e4hmte Seite des Gesichts hingezogen. Burdacii 3. 377","page":860},{"file":"p0861.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Mechanik der Hirnwirkungen.\n861\nBeim Menschen beobachtet man in Hirnfehlern eben so oft eine gleichseitige als eine kreuzende L\u00e4hmung des Auges. Burdacii 3. '178. Da zu der Zusammensetzung des Sehnerven jedes Auges beide Hemisph\u00e4ren beitragen, indem jede Sehnervenwurzel im Chiasma Fasern f\u00fcr beide Augen abgiebt, so ist die Gleichzahl der kreuzenden und nicht kreuzenden Wirkung leicht einsichtlich. Aber nach der Theorie sollte durch einen einseitigen Hirnfehler weder eine kreuzende noch eine gleichseitige Blindheit, sondern halbseitige L\u00e4hmung der Markh\u00e4ute beider Augen, also Halbsehen erfolgen; indem die linke Sehnervenwur-zel in den linken Theil der Sehnerven beider Augen, die rechte Sehnervenwurzel in den rechten Theil der Sehnerven beider Augen im Chiasma \u00fcbergeht. Man hat zwar schon \u00f6fter Halbsehen als vor\u00fcbergehendes Symptom beobachtet. Siehe Mueller\u2019s Physiol, d. G es id Us inn\u00e9s, p. 93. Aber bei einseitigen Hirnfehlern k\u00f6mmt nicht Halbsehen, sondern in der Regel Blindheit des einen, oder des andern, oder beider Augen vor. Sehr merkw\u00fcrdig ist der Unterschied des Menschen und der Thiere, dass bei ersterem Hirnfehler eben so leicht eine gleichseitige als eine kreuzende Blindheit hervorbringen, w\u00e4hrend bei den Thie-ren immer auf einseitige Hirnverletzungen kreuzende Blindheit eintritt. Diess erkl\u00e4rt sich indess aus der hei den Thieren verschiedenen Mischung der Fasern in dem Chiasma der Sehnerven. Bei den Thieren scheint der gr\u00f6sste Theil der Fasern kreuzweise zur entgegengesetzten Seite zu gehen, und diess ist wohl durch den Umstand npth wendig. bedingt, dass die Thiere mit dem gr\u00f6ssten Theile der Sehfelder ihrer divergirenden Augen ganz verschiedene Gegenst\u00e4nde sehen. Nur die mittlern Objecte zwischen beiden Augen w erfen ihr Bild auf beide Augen ; also nur ein kleiner Theil des Sehfeldes beider Augen ist identisch. Beim Menschen aber sehen die geometrisch correspondirenden Theile beider Markh\u00e4ute bei der gew\u00f6hnlichen Stellung beider Augen immer dasselbe Object. Diese geometrisch \u00fcbereinstimmenden Theile ihrer Sehnervenhaut haben nur eine Empfindung trotz zwei Organen. Und damit stimmt der Bau des Chiasmas beim Menschen \u00fcberein, dass n\u00e4mlich jede Sehnervenwurzel die \u00e4usseren Fasern des Sehnervens derselben Seite, und die inneren Fasern des entgegengesetzten Sehnervens abgiebt. Vergl. oben p. 716.\nAus den vorher entwickelten Thatsachen der Mechanik des Gehirns, und aus den schon in der Lehre vom R\u00fcckenmark auf-gestellten Grunds\u00e4tzen der Mechanik desselben l\u00e4sst sich nun eine Classification der L\u00e4hmungen und Kr\u00e4mpfe in Hinsicht ihres Ursprunges geben.\nA. L\u00e4hmungen. Die L\u00e4hmungen sind theils Nervenl\u00e4hmungen, die ihren Sitz bloss in einem einzelnen Nerven und nicht im Gehirne und R\u00fcckenmarke haben, theils Hirn- und R\u00fccken-inarksi\u00e4hmungen. Die ersteren entstehen durch alle Ursachen, welche in den Nerven \u00f6rtlich die Leitung aufheben, wie rheumatische Affection, Durchschncidung, Geschw\u00fclste der Nerven etc. Bei den letzteren ist die Ursache nicht in den Nerven, sondern","page":861},{"file":"p0862.txt","language":"de","ocr_de":"862 III. Buch. NeruenpJ.ysik. V.Abschn. Centraltheiled.JSeruens.yst.\nin den Centraltheilen zu suchen. Die meisten L\u00e4hmungen sind Hirn- und R\u00fcckenmarksl\u00e4hmungen. Von diesen ist hier zun\u00e4chst die Rede. Diese L\u00e4hmungen sind theils halbseitig, Hemiplegie, theils Querl\u00e4hmungen, Paraplegie; im erstem Falle ist die l\u00e4hmende Ursache auf einer Seite des Gehirns oder R\u00fcckenmarkes, im letztem ist sie entweder auf beiden Seiten, oder auch auf einer von beiden, denn eine Querl\u00e4hmung erfolgt auch \u00f6fters, wenn auch die Ursache nur auf einer Seite des Gehirns ist'.\n1) R\u00fcckenmarksl\u00e4hmungen. Sie haben das Eig\u00e8nth\u00fcmlicbe, dass der Sitz der L\u00e4hmung in der Regel aus dem Umfange der gel\u00e4hmten Theile berechnet werden kann. Denn bei R\u00fcckenmarksverletzungen sind in der Regel alle Theile gel\u00e4hmt, welche unter der verletzten Stelle des R\u00fcckenmarkes von der Fortsetzung des verletzten Stranges Nerven erhalten. Bei einer R\u00fccken-inarksl\u00e4hmung mit blosser L\u00e4hmung der unteren Extremit\u00e4ten, der Schliessmuskeln ist in der Regel der untere Theil des R\u00fck-kenmarkes leidend; liegt die Ursache h\u00f6her, so ist der Umfang der gel\u00e4hmten Theile gr\u00f6sser. Eine l\u00e4hmende Ursache unter dem vierten Halsnerven l\u00e4hmt die oberen Extremit\u00e4ten allein oder mit allen tieferen Theilen ; aber nicht den N. phrenicus. Eine h\u00f6here Verletzung l\u00e4hmt auch diesen Nerven. Eine l\u00e4hmende Ursache an der Medulla oblongata l\u00e4hmt den ganzen Rumpf und auch die von der Medulla oblongata entspringenden Kopfnerven. Ich kenne einen Fall von Krankheit der Medulla oblongata von Druck einer kleinen Geschwulst, wo eine unvollkommene L\u00e4hmung allm\u00e4hlig an allen Muskeln des ganzen K\u00f6rpers zugleich eintrat, und sowohl die Arme als die Beine, die Zunge, wie die Augen und Gesichtsmuskeln afficirt waren. Im Allgemeinen gilt bei R\u00fcckenmarksl\u00e4hmungen die Richtschnur, dass die H\u00f6he der gel\u00e4hmten Theile nach dem Urspr\u00fcnge ihrer Nerven den Sitz der verletzten Stelle des R\u00fcckenmarkes andeutet. Bei einer Verletzung des Lendentheiles des R\u00fcckenmarkes sind nothwendig die unteren Extremit\u00e4ten gel\u00e4hmt, und niemals die oberen Extremit\u00e4ten. Bei einer L\u00e4hmung der Arme von R\u00fcckenmarksleiden reicht die Ursache sicher \u00fcber den Ursprung der Armnerven hinauf, deswegen brauchen aber nicht die unteren Extremit\u00e4ten zugleich gel\u00e4hmt zu seyn. Immer ist die Wirkung auf derselben Seite wie die Ursache. Ist die Empfindung gel\u00e4hmt, so ist es wahrscheinlich, aber nicht gewiss, dass die Ursache in den hinteren Str\u00e4ngen des R\u00fcckenmarkes sey; ist die Bewegung gel\u00e4hmt, so ist sie h\u00e4ufiger, aber nicht constant in den vorderen Str\u00e4ngen. Siehe oben p. 814.\nDiese L\u00e4hmungen sind bald vollkommene, bald unvollkommene, Paresis. Bei den vollkommenen ist die Leitung des Hirneinflusses an einer Stelle des R\u00fcckenmarkes aufgehoben, bei den unvollkommenen ist die Leitung vorhanden, der Wille wirkt auf alle Muskeln, aber die Kraft erlischt, wie bei der Atrophie des R\u00fcckenmarkes, Tabes dorsalis.\t_\t,\n2) Hirnl\u00e4hmungen. Sie k\u00f6nnen sich an jedem i heile des Rumpfes, am Gesicht, wie an den oberen und unteren Extremi-","page":862},{"file":"p0863.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Mechanik der Hirnwirkungen.\t863\nt\u00e4ten \u00e4'ussern. Eine L\u00e4hmung der Wadenmuskeln oder der Schliessmuskeln kann daher eben so gut eine R\u00fcckenmarks- als eine Hirnl\u00e4hmung sevn. Dass es eine Hirnl\u00e4hmung sey, kann erst daraus geschlossen werden, dass zu den gel\u00e4hmten Theilen und Functionen auch solche geh\u00f6ren, die von Hirnnerven abh\u00e4ngig sind, wie die Augenmuskeln, das Sehverm\u00f6gen des Auges, das Geh\u00f6r, die Sprache oder Bewegung der Zunge, die Gesichtsmuskeln u. s. w.; diese L\u00e4hmungen sind auch wieder L\u00e4hmungen der Empfindung, oder der Bewegung, oder beider zugleich. Bei den L\u00e4hmungen der Bewegung kann die Ursache in den gestreiften K\u00f6rpern, in den Thalami, in den Decken der Hemisph\u00e4ren selbst, in den Vierh\u00fcgeln, im Pons, in der Medulla oblongata, im kleinen Gehirne seyn. Serbes, Bouillaud, Pihel-Grahd-Champ behaupten nach ihren Beobachtungen, dass die L\u00e4hmung der vorderen Extremit\u00e4ten \u00f6fter von Verletzung der Thalami, die L\u00e4hmung der hinteren Extremit\u00e4ten \u00f6fter von Degenerationen der Corpora striata abh\u00e4nge; diess ist keinesweges testgestellt. Bei den L\u00e4hmungen der Empfindung kann die Ursache sehr verschiedene Sitze haben. Blindheit erfolgt am h\u00e4ufigsten von Degeneration der Hemisph\u00e4ren, besonders der Thalami, ferner der Corpora quadrigemina ; Mangel der Gef\u00fchlsempfindung bei Krankheiten der Medulla oblongata. Die L\u00e4hmung ist bald vollkommen, bald unvollkommen ; Theile, welche verletzt am leichtesten die Kraft der Bewegung rauben, sind die Corpora striata, Thalami, die Schenkel des grossen Gehirns, Pons. Unvollkommene L\u00e4hmung erfolgt am leichtesten von Krankheiten der Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns und Krankheiten des kleinen Gehirns. Theile des Gehirns, welche ausser L\u00e4hmung auch leicht Kr\u00e4mpfe erzeugen, s,ind die Vierh\u00fcgel, die Medulla oblongata und die Ba-silartheile d\u00f6s grossen Gehirns. Die Wirkungen der l\u00e4hmenden Ursache erfolgen an dem Rumpfe in der Regel kreuzend, an dem Kopfe eben so oft gleichseitig als kreuzend.\nB. Convulsionen. Sie haben ihre Ursache theils in den Nerven, theils in dem Gehirne, theils im R\u00fcckenmarke.\n1)\tIn den Nerven. Hieher geh\u00f6ren die durch \u00f6rtliche Nervenkrankheiten, Nervengeschw\u00fclste, Neuralgien, oder \u00fcberhaupt heftige Empfindungen, und bei Kindern durch alle \u00f6rtlichen Krankheiten erregten Convulsionen von Leitung der centripetalen Erregung auf das R\u00fcckenmark und Gehirn, und Reflexion auf die motorischen Nerven.\n2)\tIm R\u00fcckenmarke. Die Gesetze, nach welchen die L\u00e4hmungen erfolgen, gelten auch hier f\u00fcr die Convulsionen.\n3)\tIm Gehirne. Eben so verh\u00e4lt es sieh mit dem Gehirne, nur ist zu bemerken, dass die Hemisph\u00e4ren des grossen Gehirns, des kleinen Gehirns, des Pons mehr zu den L\u00e4hmung bedingenden, die Vierh\u00fcgel und die Medulla oblongata zu den L\u00e4hmung und Convulsion bedingenden Theilen des Gehirns geh\u00f6ren.\nNachdem wir die Gesetze der Mechanik des Gehirns und R\u00fcckenmarkes bisher bei der Fortpflanzung der Wirkungen untersucht haben, wenden wir uns zuletzt zu den aus dein aufge-","page":863},{"file":"p0864.txt","language":"de","ocr_de":"S64 III. Buch. Neroenphysik. V. Abschtt. CeniraUheiled.Nervensyst.\nhobenen Gleichgewicht der Hirnwirkungen erfolgenden statischen Erscheinungen. Nach Verletzung gewisser Theile des Gehirns treten Erscheinungen ein, als w\u00e4re das Gleichgewicht von Kr\u00e4ften aufgehoben, die sich nun einseitig \u00e4ussern. Diese Erscheinungen bilden eine ganz besondere Classe. Man zerst\u00f6rt einen Theil, und der gleichnamige der andern Seite scheint darauf in eine verst\u00e4rkte Wirkung zu treten. Das Drehen der T'niere im Zirkel nach einer Seite tritt nach Magendie nach Verletzungen der Br\u00fccke auf einer Seite ein; Schnitte in den linken Theil des Pons verursachen das Drehen nach der linken Seite und umgekehrt. Hat man die drehende Bewegung des Thieres nach einer Seite durch Verletzung des Pons auf derselben Seite bewirkt, so kann man diese Bewegung dadurch aufheben, dass man die Br\u00fccke auch auf der andern Seite durchschneidet. Hertwic sah nach Durchschneidung des Pons auf einer Seite nicht allein die Zirkelbewegung, sondern auch, dass beide Augen verdreht wurden, indem das eine nach oben, das andere nach unten gewandt war. Nach querem Durchschnitt in die Br\u00fccke konnte ein Hund zwar stehen, konnte aber keinen Schritt thun , ohne zu fallen; die willk\u00fchrlichen Bewegungen waren nicht aufgehoben und die Empfindungen unver\u00e4ndert.\nDie Durchschneidung der Schenkel des kleinen Gehirns zur Br\u00fccke bewirkt nach Magendie ebenfalls ein Herumw\u00e4lzen der Thiere nach der Seite. Diese Bewegung soll zuweilen- so schnell erfolgen, dass das Thier mehr als 60 Umdrehungen in der Minute macht. Magendie will diese Bewegungen acht Tage lang fortdauernd gesehen haben, ohne dass sie einen Augenblick aufgeh\u00f6rt h\u00e4tten.\nNach Wegnahme der gestreiften K\u00f6rper auf beiden Seiten tritt nach Magendie\u2019s Versuchen hei den Thieren ein unwiderstehlicher Trieb, vorw\u00e4rts zu entfliehen, ein, der sich auch nach dem Verluste des Gesichtes zeigen soll.\nMagendie hat auch nach Verletzungen des kleinen Gehirns hei S\u00e4ugethieren und V\u00f6geln eine Neigung zu R\u00fcckw\u00e4rtsbewegungen bemerkt; dieselbe Erscheinung soll zuweilen nach Verletzungen des verl\u00e4ngerten Markes erfolgen; so sah Magendie Tauben, denen er eine Nadel in das verl\u00e4ngerte Mark gestochen, l\u00e4nger als einen Monat immer r\u00fcckw\u00e4rts gehen ; er erz\u00e4hlt, dass sie sogar r\u00fcckw\u00e4rts flogen. Endlich will Magendie hei gewissen Verletzungen des verl\u00e4ngerten Markes eine Tendenz zur Kreisbewegung wie auf der Reitbahn, entweder nach rechts oder links, bemerkt haben. Diess sah er hei einem 3 \u2014 4 Monate alten Kaninchen, wo er die vierte Hirnh\u00f6hle blosslegte, das kleine Gehirn aufhob, und einen senkrechten Einschnitt in die Rautengrube 3\u20144 Millim. von der Mittellinie machte; heim Einschnitte nach rechts drehte sich das Thier rechts herum.\nAus diesen wichtigen Thatsachen schliesst Magendie auf gewisse im Gehirne vorhandene Impulse zu Bewegungen, wovon der eine nach vorn, der andere nach .hinten, der eine nach rechts, der andere nach links das Thier zu Bewegungen bestimmen, de-","page":864},{"file":"p0865.txt","language":"de","ocr_de":"3. Vom Gehirn. Mechanik der Hirnwirkungen.\n865\nrcn Detail es willk\u00fcbrlich ausf\u00fchrt, und welche sich im Zustande der Gesundheit das Gleichgewicht halten. Ob diese Erkl\u00e4rung richtig scy, lasst sich jetzt nicht entscheiden. Man sieht leicht ein, dass ein Thier zu solchen Bewegungen auch bestimmt werden kann, wenn durch die Art der Verletzung eine gewisse einseitige Art der Bewegung des Nervenprincipes im Gehirne eintr\u00e4te, in den Sinnen als scheinbare Schwindelbewegung entweder der Objecte oder seines eigenen K\u00f6rpers, welchen das Thier entweder zu widerstehen sucht oder welchen es schwindelnd folgt.\nDie zuletzt betrachteten Erscheinungen aus der Statik der Nerven sind motorischer Art; es giebt aber auch \u00e4hnliche Erscheinungen sensorieller Art. Es giebt Einwirkungen auf das Gehirn, welche keine rotatorischen Bewegungen, sondern rotatorische Empfindungen hervorrufen. Hieher geh\u00f6ren die rotatorischen Schwindelempfindungen, welche am meisten vor Gesichtssinne bekannt sind. Es ist eine bekannte Thatsache, dass, avenu man sich eine Zeitlang schnell um seine Achse dreht, man nicht allein die Besinnung zu verlieren anf\u00e4ngt, sondern auch beim Stehenbieiben dann die Gegenst\u00e4nde selbst sich in derselben Richtung zu drehen scheinen, lieber diese Erscheinungen hat Purkinje sehr merkw\u00fcrdige Beobachtungen angestellt, und in den medicinischen Jahrb\u00fcchern des Oesterreichischen Staates Bd. 6. mitgetheilt. Es geht daraus hervor, dass man die Richtung der Rotation der Bilder durch die Stellung des K\u00f6rpers und insbesondere des Gehirns, und die sp\u00e4tere Stellung desselben beim Stehenbleiben modificiren kann. Es steht in der Gewalt des Experimentators, eine horizontale oder verticale, oder schiefe Kreisbewegung, oder eine tangentiale Scheinbewegung der Gegenst\u00e4nde durch Drehung des K\u00f6rpers zu bewirken. Nur wenn der Kopf die gew\u00f6hnliche aufrechte Stellung beim Drehen hat, erfolgt beim Stehenbleiben bei aufrechtem Kopfe die horizontale Kreisbewegung der Gegenst\u00e4nde; h\u00e4lt man aber den Kopf beim Drehen hinten \u00fcber, und stellt ihn beim Stillstehen gerade, so ist die Scheinbewegung wie die eines Rades um die Achse in einem vertical gestellten Kreise, und so kann man die Scheinbewegung jedesmal nach dem Unterschiede in der Lage des Durchschnittes des Kopfes beim Drehen und beim Stillstehen \u00e4ndern. Wenn aber der K\u00f6rper auf einer Scheibe liegend mit dieser gedreht wird, entsteht auch eine tangentiale Scheinbewegung. Aus der Wiederholung dieser Versuche ergiebt sich, dass der Durchschnitt des Kopfes, als einer Kugel, um deren Achse die wahre Bewegung geschah, jedesmal die Scheinbewegung der Gegenst\u00e4nde, bei der nachmaligen Lage des Kopfes, w\u00e4hrend des Stehenbleibens bestimmt. Purkinje schiiesst aus diesen merkw\u00fcrdigen Versuchen, dass durch die Drehung des Kopfes und ganzen K\u00f6rpers die Theilchen des Gehirns dieselben Bewegungstendenzen, wie diu Theilchen einer geschwungenen Scheibe erhalten m\u00fcssen, und dass diese St\u00f6rung ihrer Ruhe sich durch die scheinbaren Schwindelbewegungen \u00e4ussert. Man kann sich das Ph\u00e4nomen vielleicht besser so versinnlichen, dass man es von den Eindr\u00fccken","page":865},{"file":"p0866.txt","language":"de","ocr_de":"866 III. Buch. Neroenphysik. V. Altschn. Centraltheiled.Nerven.iyst.\ndes Blutes ant' die Hirnmasse in einer Richtung ableitet. Es w\u00e4re indess auch m\u00f6glich, dass durch die Drehungen eine Aberration eines feineren Principes, als der Ilirntheilchen oder des Blutes, durch Aufheben des Gleichgewichtes der Kr\u00e4fte eine Aberration des Nervenprincipes selbst stattf\u00e4nde, welche den Sinnen als Scheinbewegung der Gegenst\u00e4nde vork\u00f6mmt. Wenigstens bewirken Narcotica ohne mechanische St\u00f6rungen auch Schwindelbewegungen. Jedenfalls bieten diese Erscheinungen eine sehr interessante Parallele, sensorieller Ph\u00e4nomene zu den vorher beschriebenen, durch das Aufheben des Gleichgewichtes der Kr\u00e4fte, in den motorischen Theilen entstehenden Zirkelbewegungen dar.\nli c r I i n\ngedruckt bei <Ipii Geln*. Unger.","page":866},{"file":"p0867.txt","language":"de","ocr_de":"867\nBerichtigungen und Nachtr\u00e4ge.\nSeite 132 Zeile *2 v. u. statt Geigert lies GuGERT.\n\u2014\t233 \u2014 9, 14, 28 st. Parry 1. Barry.\n\u2014\t234 \u2014 14 st. Parry 1. Barry.\n\u2014\t386 \u2014 18 v. u. ist zuzusetzen': Retzius in Muell. Archiv. 1837. 486.\n\u2014\t463 \u2014 4 v. u. ist das Fragezeichen zu streichen.\n\u2014\t547 \u2014 44 v. u. ist tuzusetzen: Nach einer m\u00fcndlichen Mittheilung von\nPURKINJE wird das Verdauungsprincip von Alcohol nicht zerst\u00f6rt und nicht aufgel\u00f6st. Schwann hat dicss durch folgende Versuche best\u00e4tigt. Wurde die Magenschleimhaut eines Schweines wiederholt mit Alcohol behandelt und dann getrocknet, so liess sich nachher aus derselben noch sehr gutes Verdauungsprincip durch verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure ausziehen. Wurde mit Wasser und m\u00f6glichst wenig S\u00e4ure dargestellte Verdauungsfl\u00fcssigkeit neutralisirt, bei 30\u00b0 R. bis zur Consistcnz eines sehr d\u00fcnnen Syrups abgedampft (nicht bis zur Trockenheit, weil dabei die Salzl\u00f6sung zu concentrirt und dadurch die Verdauungskraft sehr verringert wird), dann mit vielem Alcohol versetzt, hierauf filtrirt und der R\u00fcckstand mit Alcohol wiederholt ausgewaschen, so liess sich aus diesem R\u00fcckstand durch Ausziehn mit verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure das Verdauungsprincip reiner und mit hinl\u00e4nglicher verdauender Kraft darstellen.\n\u2014\t549 \u2014 22 v, u. ist zuzusetzen : PURKINJE und Pappenheim in M\u00fcEl.L.\nArchiv. 1838. 1.\n\u2014\t576 XJeber die vergleichende Anatomie der bloss bei S\u00e4ugethieren vor-\nkommenden Thymus siehe Haugsted , 'Thymi in homine ac per seriem animalium descriptif) anatomica physiologica et patho-logica. Hafn. 1832. ausgezogen in Hecker\u2019s Annalen 25 54.\n\u2014\t602 Zeile 15 v. u. ist zuzuseUen : Remak Ohservationes anatomicae et\nmicroscopicae de systematis nervosi structura. Berol. 1838.\n\u2014\t610 ist zuzusetzen: XJeber die Structur der Retina vergl. Valentin \u00c4e-\npert. 1837. 2.\n730 XJeber Reflexbewegungen in Beziehung auf die Structur des Riik-kenmarks ist ferner zu vergleichen: Crainger observations 071 the structure and f unctions of the spinal cord. London 1837.\n\u2014\t783 lieber f\u00fcr und Wider in Hinsicht der Theorie von Panizza \u00fcber\nden Glossopharyngeus sind zu vergleichen R. Wagner, Froriep\u2019S Notixen 1837. N. 75., Valentin Repertoi'ium. 1837, 2. 219,, Romberg, Muell. Archiv. 1838. 3.\n\u2014\t789 Zeile 24 v. u. lies: der Vidisehe Nerve der Schlangen zwischen dem\nzweiten Ast des Trigeminus und Facialis giebt. einen Muskelast zum R\u00fcckzieher des Oberkiefers. Indcss giebt die motorische Portion des Trigeminus nach vorn einen Zweig zum Vidischen Nerven, wovon jener Muskelast kommen mag.\nM\u00fcllers Physiologie. I.\n56","page":867}],"identifier":"lit17251","issued":"1837","language":"de","title":"Handbuch der Physiologie des Menschen f\u00fcr Vorlesungen. Erster Band, dritte verbesserte Auflage","type":"Book","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:05:41.461360+00:00"}

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