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{"created":"2022-01-31T13:41:04.771126+00:00","id":"lit18348","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Schmidt-Nielsen, Sigval","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 48: 92-109","fulltext":[{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin.\nVon\nSigval Schmidt-Nielsen.\n\u00ab\n(Aus dem med.-chem. Institut Upsala. Prof. Hammarsten.)\n(Der Redaktion zugegangen am 24. April 1906.)\nDa im Tierreiche, so weit die Verh\u00e4ltnisse bekannt sind, der Magensaft neben einer peptischen regelm\u00e4\u00dfig auch eine milchkoagulierende Wirkung entfaltet, und da ferner der Sinn einer Absonderung von einem besonderen milchkoagulierenden Enzym in den Magen solcher Tiere, Fische u. a., die niemals Milch genie\u00dfen, nicht zu verstehen ist, kann man sich eigentlich nicht verwundern, wenn wiederholt die Ansicht auftaucht, da\u00df es hier nicht um zwei verschiedene Enzyme, sondern vielmehr um zwei verschiedenartige Wirkungen eines und desselben Enzyms sich handle.\nF\u00fcr eine solche Ansicht, welche zuerst von Nencki und Sieber^) und Pekelharing(2) ausgesprochen wurde, ist in den letzten Jahren namentlich Pawlow(3) und seine Sch\u00fcler ins Feld getreten.\nW\u00e4hrend Nencki, Sieber und Pekelharing sich die Sache so vorstellen, als w\u00e4re das proteolytische Magenenzym mit zwei nach Art der \u00abSeitenketten\u00bb unabh\u00e4ngig von einander wirkenden Gruppen, n\u00e4mlich einer milchkoagulierenden und einer peptonisierenden, versehen, und w\u00e4hrend sie also eigentlich nicht die Selbst\u00e4ndigkeit der beiden Enzymwirkungen leugnen, formuliert dagegen Pawlow auf Grund seiner mit Parastschuk zusammen ausgef\u00fchrten, im Jahre 1904 ver\u00f6ffentlichten Untersuchungen seine Ansicht dahin, da\u00df es \u00fcberhaupt keine selbst\u00e4ndige Labwirkung gebe, und da\u00df die Milchgerinnung also eigentlich nur eine Art Pepsin Wirkung sei. Pawlow und Parastschuk st\u00fctzen ihre Ansicht auf zahlreiche Versuche mit","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"r die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 93\nnat\u00fcrlichem Hundemagensaft, in welchen sie eine regelm\u00e4\u00dfige Parallelit\u00e4t zwischen milchkoagulierender und peptonisierender F\u00e4higkeit des Magensaftes beobachteten. Kurz nach dem Erscheinen der Pawlowschen Arbeit, die \u00fcbrigens durch einen Vortrag in Helsingfors im Monat Juli 1902 den Naturforschern bekannt wurde, hat jedoch Bang(4) hervorgehoben, da\u00df die von Pawlow mit Hundemagensaft ausgef\u00fchrten Koagulationsversuche darauf hindeut\u00e8n, da\u00df es in ihnen um das von Bang entdeckte Parachymosin sich handelte und da\u00df Pawlow somit niemals einen Vergleich von Pepsin mit typischem Chymosin angestellt hat.\nGegen die Pawlowsche Auffassung haben sich weiter Schrumpf(5) und Hemmeter(6) ausgesprochen. Schrumpf hat aus Schweinemagenpre\u00dfsaft durch Cholesterinf\u00e4llung eine Pepsinl\u00f6sung dargestellt, die Eiwei\u00df kr\u00e4ftig verdaute, ohne zu laben. Da seine L\u00f6sungen indessen konstant nach 3\u20144 Stunden v\u00f6llig unwirksam wurden, k\u00f6nnen seine Versuche f\u00fcr diese Frage keine Beweiskraft tragen. Hemmeter sah, da\u00df menschliche Magens\u00e4fte trotz Pepsinwirkung nicht labten, und weiter deutet er an, da\u00df durch Immunisierungsversuche eine weitere St\u00fctze f\u00fcr die Nichtidentit\u00e4t sich gewinnen l\u00e4\u00dft.\nEndlich hat Sawjalow(7) sich der unistischen Auffassung Pawlows angeschlossen, indem n\u00e4mlich auch er die Existenz eines selbst\u00e4ndigen Chymosins leugnet und die milchkoagulierende Eigenschaft der Magens\u00e4fte ausschlie\u00dflich dem Pepsin zuschreibt. Au\u00dfer in einer Parallelit\u00e4t der beiden Wirkungen glaubt Saw-jalow auch in seinen Untersuchungen \u00fcber die Geschwindigkeit der Enzymwirkung bei verschiedenen Enzymkonzentrationen eine St\u00fctze f\u00fcr die unistische Auffassung gefunden zu haben. Von diesem Standpunkte erkl\u00e4rt Sawjalow die Chymosinwirkung als eine peptische Digestion, \u00abeine maskierte Verdauung des Caseins\u00bb.\nDa ich seit zwei Jahren mit einer Untersuchung \u00fcber die Koagulation von Caseinl\u00f6sungen sowohl mit S\u00e4ure allein wie mit Lab besch\u00e4ftigt bin, mu\u00dfte ich nat\u00fcrlich auch Stellung zu der Frage nehmen, ob das Pepsin und Chymosin zwei verschiedene Enzyme seien oder nicht, und aus dem Grunde mu\u00dfte ich auch hier\u00fcber einige besondere Untersuchungen ausf\u00fchren.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nSigval Schmidt-Nielsen,\nDa diese Untersuchungen einen selbst\u00e4ndigen, abgeschlossenen Teil meiner Arbeit darstellen, sehe ich keinen Grund dazu, die Ver\u00f6ffentlichung derselben bis zum Abschlu\u00df der ganzen Arbeit aufzuschieben. In der jetzigen Lage dieser Enzymfrage scheint mir eher eine direkte Aufforderung zur baldigen Ver\u00f6ffentlichung meiner Versuchsresultate zu liegen, indem dieselben n\u00e4mlich mit den Ansichten von Pawlow und Parastschuk und S a w j a 1 o w nicht zu vereinbaren sind, w\u00e4hrend sie dagegen die Richtigkeit der alten Ansicht, derzufolge die Chymosinwirkung eine selbst\u00e4ndige Enzymwirkung ist, nach meiner Meinung sicherstellen.\nBevor ich zu der Besprechung meiner eigenen Versuche \u00fcbergehe, will ich jedoch erst einige \u00e4ltere, meistens unbekannte oder \u00fcbersehene Beobachtungen in Erinnerung bringen.\nSeit den grundlegenden Untersuchungen Hammarstens betrachtet man als f\u00fcr das Chymosin charakteristisch, da\u00df es die F\u00e4higkeit besitzt, Milch oder Caseinl\u00f6sungen bei gegen Lackmus neutraler oder wohl richtiger amphoterer Reaktion zur Gerinnung zu bringen, d. h. das Casein in einen neuen Stoff, das Paracasein, umzuwandeln. F\u00fcr das Pepsin ist es dagegen charakteristisch, da\u00df es bei neutraler Reaktion auf Eiwei\u00df, also auch auf Caseinl\u00f6sungen oder Milch, unwirksam ist, w\u00e4hrend es dagegen bei saurer Reaktion seine bekannte proteolytische F\u00e4higkeit entfaltet.\nNun hat bekanntlich Hammarsten(8) Chymosinl\u00f6sungen dargestellt, welche in neutraler Fl\u00fcssigkeit eine kr\u00e4ftige Labwirkung entfalteten, w\u00e4hrend sie bei saurer Reaktion nicht peptisch wirkten, trotzdem sie weder Chlormagnesium (wie Pawlow vermutet) noch andere bekannte, die Pepsinverdauung st\u00f6rende Verunreinigungen enthielten. Auf der anderen Seite hat er ferner auch gezeigt, da\u00df man durch Erhitzen eines sauren k\u00fcnstlichen Magensaftes einige Tage bei K\u00f6rpertemperatur eine saure Pepsinl\u00f6sung erhalten kann, die Eiwei\u00df kr\u00e4ftig verdaut, nach der Neutralisation dagegen keine Labwirkung (oder nur eine geringe) aus\u00fcbt. Diese seine Beobachtungen beziehen sich auf die Enzyme des Kalbsmagens, und da Pawlow nur mit","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 95\nHundemagensaft gearbeitet hat, kann man sich fragen, ob nicht vielleicht die Verh\u00e4ltnisse beim Hunde anders als beim Kalbe liegen.\nMan kann aber noch weiter gehen und die Frage stellen, ob die von Pawlow beobachtete koagulierende Wirkung des Hundemagensaftes auf Milch \u00fcberhaupt eine reine Chymosinwirkung war. Schon in den alten Untersuchungen Hammarstens (8) wird n\u00e4mlich behauptet, da\u00df dem Pepsin bei saurer Reaktion, unabh\u00e4ngig von dem Chymosin, eine selbst\u00e4ndige milchkoagulierende Wirkung zukommt.\nIn Malys Jahresberichten, Bd. II, 1874, referiert Hammarsten seine in der schwedischen Sprache erschienene Arbeit : (8) \u00ab\u00dcber die Milchgerinnung und die dabei wirksamen Fermente in der Magenschleimhaut\u00bb. Nachdem er auf die sehr energische koagulierende Wirkung, die seine Magenfermente bei saurer Reaktion auf die Milch entfalten, aufmerksam gemacht hat, sagt er, da\u00df seine in oben angegebener Weise durch Erhitzen dargestellten labfreien (sauren) Pepsinl\u00f6sungen \u00abdie Milch noch ziemlich rasch koagulieren\u00bb, und summiert seine Erfahrungen in dem folgenden sperrgedruckten Satze: \u00abObwohl das Pepsin in einer neutralen Fl\u00fcssigkeit ganz ohne Einflu\u00df auf die Milchgerinnung ist, kann man ihm also in saurer L\u00f6sung eine derartige Wirkung nicht ganz absprechen\u00bb. Infolge der Knappheit dieses Referates in der deutschen Literatur hat man diese Angabe \u00fcbersehen oder jedenfalls nicht als einen entscheidenden Beweis f\u00fcr die milchkoagulierende Wirkung des Pepsins betrachten k\u00f6nnen. Da man allgemein der Meinung ist, da\u00df das Chymosin bei saurer Reaktion viel kr\u00e4ftiger als bei neutraler wirkt, k\u00f6nnte man n\u00e4mlich wohl denken, da\u00df, trotzdem kein Chymosin durch Koagulationsversuche bei neutraler Reaktion sich nachweisen lie\u00df, doch kleine Chymosinmengen zur\u00fcckgeblieben waren, 'welche Anla\u00df zu der Koagulation in saurer Fl\u00fcssigkeit gaben. Diesem Einwande ist indessen in der schwedischen Originalarbeit Hammarstens entgegnet worden, indem er bei Besprechung eines hierher geh\u00f6renden Versuches S. 81 sagt: \u00abMan wird vielleicht den Einwand erheben, da\u00df, da das Lab am besten bei saurer Reaktion wirkt, das letztere in diesem","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nSigval Schmidt-Nielsen,\nFalle nicht v\u00f6llig zerst\u00f6rt worden, sondern in so geringer Menge in der L\u00f6sung zugegen sei, da\u00df es trotz v\u00f6lliger Unwirksamkeit in der neutralen Mischung doch bei saurer Reaktion eine Koagulation hervorrufen k\u00f6nnte.\u00bb Nachdem er das unberechtigte eines solchen Einwandes besprochen hat, sagt er dann: \u00abDieser Einwand wird jedoch noch besser durch einen Kontrollversuch mit derselben Milch unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen widerlegt\u00bb. Der Versuch war, kurz referiert, folgender Art: Eine saure Mageninfusion war durch Erw\u00e4rmen w\u00e4hrend 48 Stunden derma\u00dfen chymosinarm geworden, da\u00df sie nach Neutralisation die Milch (im Verhalten 1 zu 5) erst in 6 Stunden und 10 Minuten koagulierte. Durch Zusatz von Salzs\u00e4ure wurde die neutrale L\u00f6sung auf den S\u00e4uregrad 0,1 \u00b0/o gebracht, und sie koagulierte nun die Milch in 12 Minuten, wobei durch Kontroll-versuche gezeigt wurde, da\u00df hier nicht eine S\u00e4urewirkung allein vorlag. Eine andere, pepsinfreie Labl\u00f6sung mit Wasser so weit verd\u00fcnnt, da\u00df sie bei neutraler Reaktion dieselbe Milch erst nach 45 Minuten koagulierte, wurde ebenfalls auf den S\u00e4uregrad 0,1 \u00b0/o gebracht; sie koagulierte die Milch in 20 Minuten. Die Gerinnungsbeschleunigung durch S\u00e4ure war also unverh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig viel st\u00e4rker mit der pepsinreichen, fast chymosinfreien, als mit der chymosinhaltigen, pepsinfreien L\u00f6sung, und dies spricht seiner Meinung nach entschieden daf\u00fcr, da\u00df das Pepsin in saurer L\u00f6sung eine milchkoagulierende Wirkung hat.\nWenn aber dies der Fall ist, so kann man nat\u00fcrlich den Pawlowschen Untersuchungen, welche mit einer Milchenzymmischung, die mehrere Zehntel pro Mille Salzs\u00e4ure enthielt, ausgef\u00fchrt sind, keine Reweiskraft f\u00fcr die Frage, ob Pepsin und Chymosin identische Enzyme sind, beimessen. Pawlow hat n\u00e4mlich nur die eiwei\u00dfverdauende Wirkung des sauren Magensaftes mit der milchkoagulierenden Wirkung des ebenfalls sauren Saftes verglichen, und dabei eine vollst\u00e4ndige Parallelit\u00e4t gefunden, was ja unter dieser Voraussetzung ganz selbstverst\u00e4ndlich, aber gleichzeitig als Beweis f\u00fcr die Identit\u00e4t von Lab und Pepsin hinf\u00e4llig ist.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 97\nWenn wirklich Chymosin und Pepsin identische Enzyme sind, sollte man nat\u00fcrlich unter verschiedenen Versuchsbedingungen eine Parallelit\u00e4t zwischen Milchgerinnung und Eiwei\u00dfverdauung konstatieren k\u00f6nnen und vor allem sollte es dann nicht m\u00f6glich sein, durch besondere Eingriffe nur die eine und nicht auch die andere Wirkung zu vernichten. Dies ist indessen nach den oben erw\u00e4hnten alten, von sp\u00e4teren Forschern best\u00e4tigten Angaben Hammarstens wohl m\u00f6glich, indem es n\u00e4mlich durch Erhitzen auf K\u00f6rpertemperatur gelingt, saure Magens\u00e4fte in einigen Tagen derart zu ver\u00e4ndern, da\u00df sie nach der Neutralisation kaum mehr normale Milch zum Gerinnen bringen, trotzdem sie vor dem Erhitzen nach Neutralisation so kr\u00e4ftig wirkten, da\u00df die neutralisierte L\u00f6sung nach Verd\u00fcnnung auf das 10fache Volumen doch Milch in dem Verh\u00e4ltnis 1:5 bei 38\u00b0 C. im Laufe von 1 Minute zur Koagulation brachte, und trotzdem da\u00df sie nach dem Erhitzen fortw\u00e4hrend Eiwei\u00df kr\u00e4ftig verdauten (s. S. 100 ff.).\nVon dieser Erfahrung ausgehend habe ich nun mit Salzs\u00e4ure anges\u00e4uerte Infusionen auf Kalbsmagen so lange bei ca. 40\u00b0 erhitzt, bis ihre labende Wirkung derma\u00dfen herabgesetzt worden, da\u00df die Infusionen nach erfolgter Neutralisation mit n/io-Lauge die Milch in dem Verh\u00e4ltnis 1 : 5 bei 38\u201440 C. erst in etwa 4\u20146 Stunden zur Gerinnung brachten. Diese erw\u00e4rmte sehr schwach labende Infusion k\u00f6nnen wir mit A bezeichnen. Ein anderer Teil derselben sauren Infusion, der nicht erw\u00e4rmt worden war, wurde ebenfalls mit derselben Lauge gegen Lackmus neutralisiert und danach so stark verd\u00fcnnt, da\u00df er unter genau denselben Versuchsbedingungen wie A die neutrale Milch in etwa derselben Zeit zur Gerinnung brachte. Wir werden diese verd\u00fcnnte Infusion als B bezeichnen. Die beiden L\u00f6sungen A und B wirken also bei neutraler Reaktion ungef\u00e4hr gleich fasch auf Milch und enthalten dementsprechend etwa dieselbe Menge Chymosin. Vorausgesetzt nun, da\u00df diese beiden L\u00f6sungen nur ein einziges Enzym enthielten, welches sowohl der caseinkoagulierenden Wirkung bei neutraler wie der eiwei\u00dfverdauenden Wirkung bei saurer Reaktion f\u00e4hig w\u00e4re, was h\u00e4tte man dann zu erwarten, wenn man die beiden L\u00f6s-","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nSigval Schmidt-Nielsen\nungen auf denselben S\u00e4uregrad brachte und dann unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen teils auf Milch und teils auf Fibrin einwirken lie\u00df? Nat\u00fcrlich m\u00fc\u00dften beide die Milch bei saurer Reaktion in ungef\u00e4hr derselben Zeit koagulieren und sie m\u00fc\u00dften das Fibrin mit etwa derselben Geschwindigkeit verdauen.\nWenn aber diese Voraussetzung nicht zutraf, wenn vielmehr die eine L\u00f6sung, z. B. A, ungemein viel kr\u00e4ftiger verdaute und auch viel rascher die Milch zur Gerinnung brachte als die andere, L\u00f6sung B, so war es nicht l\u00e4nger m\u00f6glich, an eine Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin zu denken, und gleichzeitig war ein Beweis f\u00fcr die Existenz eines zweiten, bei saurer Reaktion wirkenden milchkoagulierenden Enzymes in diesen Infusionen geliefert worden.\nNach diesem Prinzip habe ich nun meine Versuche angeordnet. Ehe ich auf ihre Ergebnisse eingehe, mu\u00df ich jedoch die Details der Versuchsanordnung ein wenig n\u00e4her besprechen.\nDer frische Labmagen von Saugk\u00e4lbern wurde erst mit Wasser genau abgesp\u00fclt, bis die Schleimhaut ganz frei von sichtbaren fremden Partikeln war. Dann wurde von den Falten des Fundusteiles des Magens die Dr\u00fcsenschicht mit einem Ur-glase abgeschabt, in der 10 fachen Menge Salzs\u00e4ure von 5\u00b0/oo fein zerteilt und \u00fcber Nacht kalt hingestellt. Dann wurde mit dem gleichen Volumen Wasser verd\u00fcnnt und filtriert. Die so gewonnene Infusion wurde nachtr\u00e4glich mit dem gleichen Volumen 2,5\u00b0/ooiger Salzs\u00e4ure verd\u00fcnnt und in zwei Portionen geteilt. Die Hauptportion wurde im Brutschrank bei einer Temperatur von ca. 40\u201442\u00b0 C. 1\u20143 Tage erhitzt, w\u00e4hrend gleichzeitig die andere Portion als Kontrollprobe (Vergleichsfl\u00fcssigkeit) bei 0\u00b0 hingestellt wurde. Von der erw\u00e4rmten Probe wurden von Tag zu Tag kleine Proben herausgenommen, nach dem Abk\u00fchlen genau neutralisiert und auf ihre labende F\u00e4higkeit gepr\u00fcft. Wenn die letztere hinreichend herabgesetzt war, ging ich zu den eigentlichen Versuchen \u00fcber. Es wurde zu dem Ende einerseits die erw\u00e4rmte Infusion und andererseits die Kontrollportion in genau derselben Weise mit derselben n/io-Natronlauge durch sorgf\u00e4ltige Titrierung gegen Lackmus neutralisiert. Die Kontrollinfusion (also die nicht erw\u00e4rmte) wurde","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 99\ndann mit destilliertem Wasser (1: 200 bis 1 : 800 f\u00fcr verschiedene Infusionen) verd\u00fcnnt, bis sie unter ganz denselben Verh\u00e4ltnissen wie die erw\u00e4rmte, neutralisierte Infusion die Milch in etwa derselben Zeit wie diese koagulierte. In dieser Weise wurden, dem oben Gesagten entsprechend, die beiden (S. 97) angedeuteten Versuchsfl\u00fcssigkeiten A und B erhalten.\nBez\u00fcglich der Koagulationsversuche mache ich au\u00dferdem ausdr\u00fccklich darauf aufmerksam, da\u00df sie in allen Serien in genau derselben Weise ausgef\u00fchrt sind. Zu jedem Versuche wurden je 10 ccm Milch und 2 ccm der zu pr\u00fcfenden Infusion verwendet. Die angewandte Milch war frische, ein paar Stunden alte Vollmilch. In jedem einzelnen Versuche wurden erst in das zu verwendende Probierr\u00f6hrchen die genau abgemessenen 2 ccm Enzyml\u00f6sung eingef\u00fchrt, danach die abgemessenen 10 ccm Milch auf einmal hineingegossen, das mit einem Kautschuckstopfen sofort verschlossene R\u00f6hrchen ein paarmal leise gesch\u00fcttelt und in das auf 38\u201440\u00b0 G. erw\u00e4rmte Wasserbad hineingestellt. Die zu derselben Versuchsserie geh\u00f6rigen Proben wurden hierbei m\u00f6glichst rasch nacheinander angefertigt und in das Wasserbad hineingestellt, wobei f\u00fcr jede Probe die Zeit genau notiert wurde. Da ein Zusatz von Antiseptika auf die Enzymwirkung h\u00e4tte hemmend ein wirken k\u00f6nnen, wurde jeder Zusatz von solchen absichtlich vermieden.\nIn der nun beschriebenen Weise verfuhr ich auch in den Koagulationsversuchen bei saurer Reaktion. Anstatt die neutralisierten Versuchsl\u00f6sungen wieder anzus\u00e4uren, habe ich es jedoch vorgezogen, die Milch mit einer entsprechenden Menge Salzs\u00e4ure (gew. 0,4 \u00b0/oo) zu versetzen, und die saure Milch zu den abgemessenen neutralen Enzyml\u00f6sungen gef\u00fcgt. Hierbei wurde immer so verfahren, da\u00df die S\u00e4ure der Milch gleich vor dem Anf\u00e4nge des Versuches zugesetzt wurde. Durch dies Verfahren, welches unter der genannten Bedingung genau die gleichen Resultate gibt, als wenn man der Milchenzymmischung denselben S\u00e4uregrad durch Zusatz von saurer Enzyml\u00f6sung zu neutraler Milch erteilt, glaube ich f\u00fcr eine und dieselbe Serie gr\u00f6\u00dfere Genauigkeit erreicht zu haben.\nDie eiwei\u00dfverdauende Kraft der Versuchsl\u00f6sungen wurde","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nSigval Schmidt-Nielsen,\ndurch Digestionsversuche mit nach Gr\u00fctzner (9) dargestelltem Karminfibrin bei l\u00b0/oo Salzs\u00e4uregehalt angestellt. Ich verfuhr dabei so, da\u00df 1 g des in l\u00b0loo Salzs\u00e4ure aufgequollenen und darauf sorgf\u00e4ltig ausgepre\u00dften Karminfibrins genau abgewogen und darauf in 10 ccm der neutralen Infusion fein verteilt wurde. Durch Zusatz von 10 ccm Salzs\u00e4ure von 2%o wurde darauf das Ganze auf den S\u00e4uregrad l\u00b0/oo gebracht. Als Ma\u00df f\u00fcr die verdauende Kraft habe ich gew\u00f6hnlich die zu v\u00f6lliger Aufl\u00f6sung des Fibrins bei Zimmertemperatur erforderliche Zeit benutzt. Zuweilen habe ich jedoch nach einer bestimmten Zeit die in den verschiedenen Proben vorhandenen Farbenintensit\u00e4ten nach der Gr\u00fctznerschen Skala verglichen.\nNach dieser Besprechung der Versuchsanordnung lasse ich nun die Versuchsresultate folgen, indem ich unten die an 5 verschiedenen Mageninfusionen angestellten Versuche zusammengestellt habe.\nIch erinnere nochmals daran, da\u00df die Versuchsl\u00f6sung A die erw\u00e4rmte Infusion, die L\u00f6sung B dagegen die verd\u00fcnnte Kontrollprobe bedeutet. Als neutrale Milchkoagulation bezeichne ich der K\u00fcrze halber diejenige Versuchsanordnung, wo normale Milch mit einer neutralen Enzyml\u00f6sung, und als saure Milchkoagulation diejenige, wo die mit Salzs\u00e4ure anges\u00e4uerte Milch ebenfalls mit einer neutralen Infusion versetzt wurde.\nVersuch I.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . .\t370 Minuten\t355 Minuten\nSaure\t\u00bb\t\u2022 \u2022\t6 \u00bb\t215\nPepsinverdauung\t\t3 Stunden\t80 Stunden\nVersuch II.\t\t\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . .\t420 Minuten\t360 Minuten\nSaure\t\u00bb\t. \u2022\t18\t250\nPepsinverdauung\t\t3\u20144 Stunden\t80 Stunden","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 101\nVersuch III.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . .\t300 Minuten\t300 Minuten\nSaure\t\u00bb\t. .\t6\t200\nPepsinverdauung\t\t2 Stunden\t30 Stunden\nVersuch IV.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . .\t300 Minuten\t220 Minuten\nSaure\t\u00bb\t. .\t10\t25\nPepsinverdauung\t\t2 Stunden\t36 Stunden\nVersuch V.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . .\t280 Minuten\t300 Minuten\nSaure\t\u00bb\t. .\t10\t45\t\u00bb\nPepsinverdauung\t\t5 Stunden\t75\u201480 Stunden\nAu\u00dfer diesen mehr vollst\u00e4ndigen Versuchsreihen lasse ich auch einige fr\u00fcher ausgef\u00fchrte Versuche ohne Bestimmung der peptischen Verdauungskraft der L\u00f6sungen hier folgen. Die Versuche VI und VII referieren sich zu demselben Safte wie in dem Versuche I, jedoch mit anderen Verd\u00fcnnungen und anderer Milch.\nVersuch VI.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . . Saure\t\u00bb\t. .\t300 Minuten 8\t165 Minuten 40\nHoppe-Seyler\u2019s Zeitschrift f. physiol. Chemie. XLVIII.\n8","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\tSigval Schmidt-Nielsen,\nVersuch VII.\n\tL\u00f6sung A\tL\u00f6sung B\nNeutrale Milchkoagulation . . Saure\t>\t\u2022 \u2022\t250 Minuten 81/\u00bb \u00bb \u25a0\t270 Minuten 180\nIn s\u00e4mtlichen hier mitgeteilten und in mehreren anderen Versuchen, deren Wiedergabe hier \u00fcberfl\u00fcssig sein d\u00fcrfte, zeigte es sich nun, wie aus den Zahlen deutlich hervorgeht, da\u00df die L\u00f6sung A, trotz derselben1) oder einer schw\u00e4cheren Labwirkung als die L\u00f6sung B bei neutraler Reaktion, bei saurer Reaktion immer einer weitaus kr\u00e4ftigeren Milchkoagulation f\u00e4hig war, und ebenfalls eine viel kr\u00e4ftigere Pepsindigestion aus\u00fcbte.\nGegen diese Resultate wird man vielleicht einwenden, da\u00df die Koagulation bei neutraler Reaktion \u00fcber einen so langen Zeitraum sich hinausgedehnt hat, da\u00df es dabei nicht um eine Enzymwirkung, sondern um eine durch spontane S\u00e4uerung erfolgte Koagulation sich gehandelt hat. Da\u00df dies nicht der Fall ist, davon habe ich mich durch Kontrollversuche \u00fcberzeugt. Es zeigte sich hierbei, da\u00df sowohl die neutrale wie die mit Salzs\u00e4ure anges\u00e4uerte Milch mit gekochten Enzyml\u00f6sungen versetzt (unter sonst denselben Versuchsbedingungen wie in den Hauptversuchen), stets erst mehrere Stunden sp\u00e4ter als die enzymhaltigen Proben gerannen.\nEin zweiter Einw-and von gro\u00dfer Bedeutung w\u00e4re der, da\u00df bei dem Erhitzen der sauren Infusionen keine Vernichtung des bei neutraler Reaktion labenden Enzymes, sondern statt dessen eine Entstehung von hemmenden Antik\u00f6rpern stattgefunden h\u00e4tte. Man k\u00f6nnte sich vorstellen, da\u00df das Pepsin wirklich das die Milch bei neutraler Reaktion koagulierende Enzym w\u00e4re und da\u00df infolge des Erhitzens Antik\u00f6rper sich gebildet h\u00e4tten, welche nur bei neutraler Reaktion wirksam w\u00e4ren und also weder die Pepsinverdauung noch die Koagulation der anges\u00e4uerten Milch verhinderten. Diese Annahme w\u00e4re um so\n*) Hierzu rechne ich auch Versuche 5 und 7, wo A unbedeutend kr\u00e4ftiger wirkte.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 103\nplausibler, als nach Schwarz(10) durch Erhitzen einer Mageninfusion Antik\u00f6rper des Pepsins angeblich gebildet werden sollen. Ich sah mich nicht veranla\u00dft, die Richtigkeit der Schwarzschen Angabe besonders nachzupr\u00fcfen, f\u00fchlte mich aber verpflichtet, auch dieser M\u00f6glichkeit besondere Rechnung zu tragen und dieselbe durch besondere Versuche zu pr\u00fcfen. Ich teile hier zwei solche Versuche mit.\nVersuch VIII: Von einer nicht erw\u00e4rmten, neutralisierten Mageninfusion wurde eine Portion mit ihrem 8 fachen Volumen einer erw\u00e4rmten (also unbedeutend labenden), nachtr\u00e4glich neutralisierten Mageninfusion, und eine andere Portion mit ihrem 8 fachen Volumen einer der erw\u00e4rmten, neutralisierten Infusion entsprechenden Chlornatrium l\u00f6sung verd\u00fcnnt. Sofort nach Bereitung der L\u00f6sungen zeigten sie mit normaler Vollmilch in dem Verh\u00e4ltnis 2 : 10 versetzt eine Koagulationszeit von 18 und 14 Minuten respektive. Nach Va Stunde, bzw. nach 24 Stunden wurden neue Koagulationsversuche mit diesen zwei L\u00f6sungen angestellt und die Koagulationszeiten waren fortw\u00e4hrend dieselben.\nVersuch IX: Dieser Versuch wurde in ganz derselben Weise wie der vorige, aber mit einer anderen Mageninfusion und einer anderen Milch angestellt. Die Koagulationszeiten betrugen f\u00fcr beide Proben sofort nach der Bereitung 11 Minuten und nach 24 Stunden 10 Minuten.\nVon einer Antiwirkung bei neutraler Reaktion war also in meinen Versuchen nichts zu sehen, und die Einwendung, da\u00df die Unwirksamkeit der erw\u00e4rmten, neutralisierten Infusionen durch die Anwesenheit von infolge des Erw\u00e4rmens entstandenen Antik\u00f6rpern bedingt sei, kann also als unbegr\u00fcndet zur\u00fcckgewiesen werden.\nMan k\u00f6nnte nun weiter denken, da\u00df das Chymosin doch nicht durch das Erw\u00e4rmen vernichtet, sondern in eine neue Modifikation umgewandelt worden sei, die bei neutraler Reaktion nicht koagulierend wirkt. Auf diese M\u00f6glichkeit werde ich weiter unten zur\u00fcckkommen.\nF\u00fcr die Beweiskraft der oben beschriebenen Versuche ist es nat\u00fcrlich gleichg\u00fcltig, ob das Chymosin vernichtet oder\n8*","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nSigval Schmidt-Nielsen,\nin eine neue Modifikation \u00fcbergegangen ist. Meine Versuche zeigen n\u00e4mlich, da\u00df gar kein Parafielismus zwischen der milchkoagulierenden Wirkung bei neutraler Reaktion und der Pepsinverdauung bei saurer Reaktion besteht, und da\u00df folglich verschiedene Enzymwirkungen hierbei stattfinden.\nAus meinen Versuchen glaube ich somit folgenden Schlu\u00df ziehen zu k\u00f6nnen: \u00abDasjenige Enzym, welches neutrale Milch koaguliert, das Chymosin, kann nicht mit dem Pepsin identisch sein\u00bb.\nPr\u00e4gt man, durch welches Agens die bei Anwendung einer durch Erw\u00e4rmen fast chymosinfrei gemachten Infusion bei saurer Reaktion stattfindende Milchgerinnung zustande kommt, so hat man, soweit ich ersehen kann, an drei M\u00f6glichkeiten zu denken. Das Chymosin k\u00f6nnte in eine neue, nicht bei neutraler, sondern nur bei saurer Reaktion wirkende Modifikation umgewandelt sein. Es k\u00f6nnte zweitens das Pepsin und endlich drittens ein vorher nicht bekanntes, nur bei saurer Reaktion wirkendes Enzym das wirksame Agens sein. Diese letztgenannte M\u00f6glichkeit d\u00fcrfte jedoch erst dann in Betracht kommen k\u00f6nnen, wenn die zwei ersteren vollst\u00e4ndig ausgeschlossen w\u00e4ren.\nDie erste M\u00f6glichkeit betreffend ist nat\u00fcrlich zuerst an das Bangsche Parachymosin(n) zu denken, welches ebenfalls in neutraler L\u00f6sung auf normale Milch unwirksam ist. Es wirkt dagegen nach Zusatz von kleinen Mengen l\u00f6slicher Kalksalze, und da nun beim Salzs\u00e4urezusatz zu der Milch Chlorealcium sich bilden mu\u00df, k\u00f6nnte die Annahme einer Umwandlung des Chymosins in Parachymosin ganz plausibel erscheinen. Das Parachymosin wirkt, wie gesagt, auf neutrale Milch rasch und kr\u00e4ftig nach Zusatz von l\u00f6slichem Kalksalz und zur Pr\u00fcfung auf Parachymosin habe ich aus dem Grunde in mehreren F\u00e4llen meine erw\u00e4rmten Infusionen mit Calciumcarbonat statt mit Alkali neutralisiert. Wenn die so neutralisierten Infusionen in dem Verh\u00e4ltnis 1: 5 mit neutraler Milch gemischt wurden, trat Koagulation bei 38\u00b0 C. erst nach mehreren Stunden ein. In anderen F\u00e4llen, wo ich mit Infusionen arbeitete, die ich mit Natronlauge neutralisiert hatte, wurde die Milch mit Chlorcalcium","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 105\nbis zu l\u00b0/oo, eine Menge, die nach Bang die Parachymosinwirkung kr\u00e4ftig bef\u00f6rdert, versetzt, aber trotzdem fand auch hier die Koagulation erst nach mehreren Stunden statt. Meine Beobachtungen sprechen also entschieden gegen die Annahme einer Umwandlung des Chymosins in Parachymosin infolge des Erw\u00e4rmens der sauren Infusionen.\nWenn aber das Chymosin nicht in Parachymosin umgesetzt wird, k\u00f6nnte es vielleicht, wie oben angegeben, in eine andere, nur bei saurer Reaktion wirkende Modifikation sich umgewandelt haben. Diese M\u00f6glichkeit, wie auch die Annahme eines etwa vorhandenen, bisher unbekannten dritten Enzyms in den Mageninfusionen stehen in so naher Beziehung zu der Frage von der Wirkung des Pepsins auf die Milch bei saurer Reaktion, da\u00df sie passend erst, wenn eine Pepsinwirkung ausgeschlossen ist, zum Gegenstand besonderer Untersuchungen gemacht werden d\u00fcrften.\nWenn das Pepsin die bei der sauren Milchkoagulation wirksame Substanz w\u00e4re, h\u00e4tte man bei den fast chymosinfreien L\u00f6sungen, womit ich gearbeitet habe, eine Parallelit\u00e4t zwischen Pepsinverdauung und saurer Milchkoagulation zu erwarten. Aus den Daten der Versuche I\u2014V lassen sich indessen hier\u00fcber keine Schl\u00fcsse ziehen, indem n\u00e4mlich zu den verschiedenen Versuchen nicht dieselbe Milch und auch nicht zu allen dasselbe Karminfibrin verwendet wurde. Diese Versuche sind also miteinander nicht v\u00f6llig vergleichbar. Aus dem Grunde habe ich auch zur Pr\u00fcfung einer etwa bestehenden Parallelit\u00e4t zwischen Fibrinverdauung und saurer Milchkoagulation Versuche angestellt. Die Anzahl dieser Versuche ist indessen so klein und die Schwierigkeiten ihrer exakten Ausf\u00fchrung so gro\u00df, da\u00df ich aus ihnen noch keine bestimmten Schl\u00fcsse zu ziehen wage. Ich habe jedenfalls keine sicheren Beweise daf\u00fcr gefunden, da\u00df das Pepsin die bei der sauren Milchgerinnung bei Abwesenheit von Chymosin wirksame oder allein wirksame Substanz ist. F\u00fcr meine Hauptaufgabe, den Nachweis der Nichtidentit\u00e4t von Pepsin und Chymosin, ist diese Fragex) \u00fcbrigens\n') F\u00fcr ihre L\u00f6sung ist die sp\u00e4ter folgende Untersuchung \u00fcber das chemische Geschehen bei der \u00absauren Koagulation\u00bb von Bedeutung.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nSigval Schmidt-Nielsen,\nvon so untergeordneter Bedeutung, da\u00df ich sie bis auf weiteres als unentschieden beiseite lassen kann.\nF\u00fcr das Chymosin wird es bekanntlich als charakteristisch angesehen, da\u00df die Koagulationszeiten bei abnehmender Enzymmenge der letzteren umgekehrt proportional sind, so da\u00df das Produkt von Enzymkonzentration und Koagulati\u00f6nszeit konstant bleibt. Dieses sogenannte Zeitgesetz mu\u00df f\u00fcr K\u00e4lberlab in dessen Verhalten zu neutraler Milch sowohl f\u00fcr kurze, nur wenige Minuten, wie f\u00fcr l\u00e4ngere, mehrere Stunden dauernde Koagulationszeiten als bewiesen angesehen werden.\nWie das Zeitgesetz f\u00fcr das Chymosin bei saurer Reaktion sich verh\u00e4lt, ist meines Wissens nach bis jetzt nicht untersucht worden. Dies ist ja auch eine schwierige Aufgabe, indem sie mit Notwendigkeit die Reindarstellung des Chymosins erfordert. Das bei saurer Reaktion wirksame Enzym oder Gemenge von Enzymen in den Mageninfusionen l\u00e4\u00dft sich in dieser Richtung viel leichter untersuchen, indem es durch Erhitzung vom typischen Chymosin befreit werden kann. Ich habe nun einige Versuche mit erw\u00e4rmten Mageninfusionen angestellt, um einen Einblick in ihr Wirkungsgesetz zu gewinnen. Die Versuchsanordnung war die oben S. 99 beschriebene, indem die Koagulationszeit f\u00fcr 10 ccm Milch und 2 ccm Enzymmischung bei 38\u201440\u00b0 C. bestimmt wurde. Um die Verh\u00e4ltnisse m\u00f6glichst gleich zu machen, wurden statt Wasser gekochte, neutrale Mageninfusionen als Verd\u00fcnnungsfl\u00fcssigkeit verwendet.\nVersuch X.\nMilch mit0,3\u00b0/oo Salzs\u00e4ure ccm\tErw\u00e4rmte und dann neutralisierte Infusion ccm\tGekochte (neutrale) Infusion ccm\tEnzym- konzentration = c\tKoagulations- zeit = t\tc t\n10\t2\t0\t1\t23 Minuten\t23 = 1\n10\t1\t1\t0,5\t135\t67 = 3\n10\t0,5\t1,5\t0,25\tunbestimmbar\t\u2014","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 107\nVersuch XI.\nMilch mitO,4\u00b0/oo Salzs\u00e4ure ccm\tErw\u00e4rmte und dann neutralisierte Infusion ccm\tGekochte, neutrale Infusion ccm\tEnzym- konzentration = c\tKoagulations- zeit = t\tc t\n10\t2\t0\t1\t9 V* Min.\t9 V* = 1\n10\t1\t1\t0,5\t35\t17>/> =2\n10\t0,5\t1,5\t0,25\tca. 300\t\u00bb\t75\t=8\nDiese zwei Versuche zeigen also, da\u00df das f\u00fcr Chymosin bei neutraler Reaktion g\u00fcltige Zeitgesetz f\u00fcr das die anges\u00e4uerte Milch koagulierende Agens, dies sei nun Pepsin, modifiziertes Chymosin oder ein neues Enzym, gar nicht G\u00fcltigkeit hat.\nDa das Gesetz f\u00fcr das reine Chymosin bei saurer Reaktion nicht bekannt ist, und da man nicht wei\u00df, ob die erw\u00e4rmten sauren Infusionen nur ein Enzym oder ein Gemenge von mehreren enth\u00e4lt, sind jedoch Versuche dieser Art von weniger Interesse und deshalb sind sie auch hier nur mehr beil\u00e4ufig angef\u00fchrt worden.\nNachdem ich in dem vorigen gezeigt habe, da\u00df das Chymosin und Pepsin nicht identische Enzyme sind, und da\u00df bei saurer Reaktion neben dem Chymosin auch ein zweites Enzym (beziehungsweise Enzymgemenge) milchkoagulierend wirkt, welches jedenfalls anderen Wirkungsgesetzen als das Chymosin bei neutraler Reaktion gehorcht, bleibt mir nur noch \u00fcbrig, auf ein paar praktische Folgerungen die Aufmerksamkeit zu lenken.\nEs ist von verschiedenen Forschern, so z. B. von Becker(12) vorgeschlagen worden, die Empfindlichkeit der Chymosinprobe durch Zusatz von Salzs\u00e4ure (und zwar 2 ccm Normal-HCl auf 100 ccm Milch, d. h. 0,7\u00b0/oo) zu der Milch zu erh\u00f6hen. Dies Verfahren ist nat\u00fcrlich f\u00fcr alle Untersuchungen, in welchen es um eine besondere Pr\u00fcfung auf Lab sich handelt, ganz wertlos, indem man dann, wie oben gezeigt, die Gesamtwirkung mindestens zweier verschiedener Enzyme bekommt.\nWenn die Koagulationsprobe bei saurer Reaktion, z. B. einfach f\u00fcr klinische diagnostische Zwecke verwendet wird, um die","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nSigval Schmidt-Nielsen,\nAnwesenheit von Magenenzymen \u00fcberhaupt nachzuweisen, so ist sie allerdings nicht ohne Wert, aber man mu\u00df ausdr\u00fccklich darauf aufmerksam sein, da\u00df durch die Anwesenheit der S\u00e4ure die Koagulationsf\u00e4higkeit ungemein gesteigert wird und dadurch zu der Annahme gar zu gro\u00dfer Enzymmengen leicht Anla\u00df geben kann.\nOm zu zeigen, in welchem hohen Grade sogar sehr kleine S\u00e4uremengen die Koagulation der Milch beschleunigen k\u00f6nnen, f\u00fchre ich hier als Beispiele die folgenden 2 Versuche an, die ich mit erw\u00e4rmten und darauf neutralisierten Infusionen angestellt habe. Die Versuchstabellen d\u00fcrften ohne weiteres leicht verst\u00e4ndlich sein.\nVersuch XII.\nMilch ccm\tl\u00b0/o ige Salzs\u00e4ure ccm\tWasser ccm\tEnzym- l\u00f6sung ccm\tBerechnete Salzs\u00e4ure in der Mischung \u00b0/oo\tKoagulations- zeit in Minuten\n9\t0,6\t0,6\t2\tca. 0,42\t31/\u00ab\n9\t0,4\t0,6\t2\t\u00bb 0,33\t5\n9\t0,3\t0,7\t2\t\u00bb 0,25\t10\n9\t0,2\t0,8\t2\t\u00bb 0,17\t42\n9\t0,1\t0,9\t2\t\u00bb 0,08\t280\n9\t0,0\t1,0\t2\t\u00bb 0,00\tunbestimmbar\nVersuch XIII.\nMilch ccm\tl\u00b0/oige Salzs\u00e4ure ccm\tWasser ccm\tEnzym- l\u00f6sung ccm\tBerechnete Salzs\u00e4ure in der Mischung \u00b0/oo\tKoagulations- zeit in Minuten\n9\t0,5\t0,5\t2\tca. 0,42\tca. 2\u2018/s\n9\t0,4\t0,6\t2\t\u00bb 0,33\t\u00bb 3\n9\t0,3\t0,7\t2\t\u00bb 0,25\t\u00bb 47\u00bb\n9\t0,2\t0,8\t2\t\u00bb 0,17\t9\n9\t0,1\t0,9\t2\t\u00bb 0,08\t75\n9\t0,0\t1,0\t2\t\u00bb 0,00\t300\nMan ersieht aus diesen Tabellen, da\u00df schon ein Gehalt von 0,1 bis 0,2\u00b0loo Salzs\u00e4ure in dem Gemenge die Enzym-","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. 109\nWirkung h\u00f6chst bedeutend beschleunigt \u2014 selbstverst\u00e4ndlich in wechselndem Grade bei Anwendung verschiedener Milch und verschiedenen Enzyml\u00f6sungen. In meinen Versuchen habe ich nie mehr als bis zu 0,4\u00b0/oo HCl verwendet, eine Menge, welche sehr kr\u00e4ftig wirkt, und es ist also leicht ersichtlich, zu welchen fehlerhaften Schl\u00fcssen bez\u00fcglich der Enzymmenge man bei klinischen Untersuchungen kommen kann, wenn man den hier besprochenen Verh\u00e4ltnissen nicht geb\u00fchrende Rechnung tr\u00e4gt und mit anges\u00e4uerten Milchgemengen arbeitet.\nLiteratur.\n1.\tNencki und Sieber, Beitr\u00e4ge zur Kenntnis des Magensaftes und der chemischen Zusammensetzung der Enzyme, Diese Zeitschrift, Bd. XXXU, 1901, S. 291.\n2.\tPekelharing, Mitteilungen \u00fcber Pepsin, Diese Zeitschrift, Bd. XXXV, 1902, S. 8.\n3.\tPawlow und Parastschuk, \u00dcber die ein und demselben Eiwei\u00dffermente zukommende proteolytische und milchkoagulierende Wirkung verschiedener Verdauungss\u00e4fte, Diese Zeitschrift, Bd. XLII, 1904, S. 415.\n4.\tJ. Bang, Sind die proteolytischen und milchkoagulierenden Fer-menlwirkungen verschiedene Eigenschaften eines und desselben Fermentes? Diese Zeitschrift, Bd. XLIII, 1905, S. 358.\n5.\tP. Schrumpf, Darstellung des Pepsinfermentes aus Magen-pre\u00dfsaft, Hofmeisters Beitr\u00e4ge, Bd. VI, 1905, S. 396.\n6.\tJ. C. He mm et er, Are the proteolytic and milk coagulating \u25a0effects of gastric and pancreatic juice due to one and the same enzyme ? Berliner klinische Wochenschr., Festnummer f\u00fcr C. A. Ewald, 1905, S. 14.\n7.\tW. S a wj alow, Zur Frage nach der Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin. Diese Zeitschrift, Bd. XLVI, 1905, S. 307.\n8.\tO. Hammarsten, Om mj\u00f6lkystningen och de dervid verksamma fermenterna i magslemhinnan. Upsala L\u00e4karef. Forh., Bd. VIII, 1872, S. 63. Unter dem Titel: \u00dcber die Milchgerinnung und die dabei wirkenden Fermente der Magenschleimhaut als Autoreferat in Maly, Bd.H, 1872, S. 118.\n9.\tP. Gr\u00fctzner, Neue Untersuchungen \u00fcber die Bildung und Ausscheidung des Pepsins. Habilitationsschr., Breslau 1875.\n10.\tOsw. Schwarz, Zur Kenntnis der Antipepsine, Hofmeisters Beitr., Bd. VI, 1905, S. 524.\n11.\tJ. Bang, \u00dcber Parachymosin, ein neues Labferment, Pfl\u00fcgers Archiv, Bd. LXXIX, 1900, S. 425.\n12.\tG. Becker, Untersuchungen \u00fcber das Zeitgesetz des menschlichen Labfermentes und dessen quantitative Bestimmung, Hofmeisters Beitr\u00e4ge, Bd. VII, 1905, S. 89.","page":109}],"identifier":"lit18348","issued":"1906","language":"de","pages":"92-109","startpages":"92","title":"\u00dcber die vermeintliche Identit\u00e4t von Pepsin und Chymosin","type":"Journal Article","volume":"48"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:41:04.771132+00:00"}