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{"created":"2022-01-31T13:50:26.072338+00:00","id":"lit18518","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Horowitz, L. M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 52: 95-106","fulltext":[{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper.\nIX. Mitteilung:\n\u25a0 \u25a0\nUber die Bakterien des Verdauungstraktus beim Hunde.\nVon\nL. M. Horowitz.\n(Aus dem pathologischen Laboratorium des K. Instituts f\u00fcr experimentelle Medizin zu\nSt. Petersburg.)\n(Der Redaktion zugegangen am 4. Mai 1907.)\nI.\nEiner g\u00fctigen Anregung von E. S. London folgend, dem ich hierbei meinen verbindlichsten Dank ausspreche, habe ich die Untersuchung \u00fcber die bakterielle Flora des Magens resp. des Darmes unternommen,1) wobei ich die mir von E. S. London zur Verf\u00fcgung gestellten Verdauungsfistelhunde benutzte, namentlich: Woltschok \u2014 mit einer Magenfistel, Zigan \u2014 mit einer Pylorusfistel, Rjabtschik \u2014 bei dem die Fistel sich am Ende des Duodenums findet, Lew \u2014 dessen Fistel 1 m weit vom Pylorus entfernt ist, Shutschok \u2014 mit einer 1 m weit vom Goecum abstehenden Fistel, und endlich Bjelka, bei dem die Fistel am Ende des D\u00fcnndarms angelegt ist.\nUnsere bakteriologischen Untersuchungen des Magendarm-traktus wurden zun\u00e4chst au\u00dferhalb der Verdauungsperiode, d. h. im n\u00fcchternen Zustande nach 24 st\u00e4ndigem Hungern unternommen; dann wurden sie w\u00e4hrend der Verdauung wiederholt, einige Zeit nach der Einnahme m\u00f6glichst steriler Nahrung \u2014\nh In der vorliegenden Mitteilung werden nur die allgemeinen Angaben betreffend die bakterielle Flora des Magendarmtraktus nach dessen einzelnen Abschnitten auseinandergesetzt. Alle von uns isolierten Bakterienarten werden auf bewahrt und von Zeit zu Zeit auf frische N\u00e4hrb\u00f6den \u00fcbergeimpft. Im weiteren beabsichtigen wir sowohl in vitro wie auch besonders in vivo eingehender, wie es hier der Fall war, zu bestimmen, in welchem Ma\u00dfe die betreffenden Bakterienarten am Verdauungsproze\u00df teilnehmen.\tE. London.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nL. M. Horowitz,\nMilch und H\u00fchnereiwei\u00df. Im ersten Fall, d. h. beim leeren Magendarmkanal, wurde die Magen- resp. Darmwand mittels eines St\u00fcckchens sterilisierten Flie\u00dfpapiers von genau bestimmter Fl\u00e4chenausdehnung abgetupft, welch letzteres in die mit schwacher Carbols\u00e4urel\u00f6sung und danach jnit sterilem Wasser sorgf\u00e4ltig gereinigte Fistel\u00f6ffnung eingef\u00fchrt wurde, wobei es ein bestimmtes Quantum Schleimhautbelag aufzusaugen pflegte. Das betreffende Papierst\u00fcckchen wurde dann mit 10 ccm sterilen Wassers resp. Bouillons ausgesch\u00fcttelt; um neben den qualitativen auch die genauen quantitativen Bestimmungen zu erm\u00f6glichen, wurde vor der Anfertigung der Plattenkulturen ein bestimmtes Quantum der genannten Fl\u00fcssigkeiten nach Belieben noch mehr verd\u00fcnnt. Im zweiten Fall, in dem sich der Speisebrei nach einem bestimmten sowohl von der Fistellage wie auch von der Nahrungsart abh\u00e4ngendem Zeitraum nach der Nahrungseinnahme aus der Fistel ausschied, sammelten wir nach der beschriebenen Peinigung der Fistel\u00f6ffnung einige Tropfen fl\u00fcssigen Magen- resp. Darminhaltes in ein steriles Reagenzgl\u00e4schen und machten dann eine genaue Verd\u00fcnnung zur Erleichterung der quantitativen Bestimmungen.\nWir ersparen den Lesern dieser Zeitschrift, wegen deren speziellen Charakters, die Beschreibung s\u00e4mtlicher Versuche mit den dabei aufgefundenen Bakterienarten im Vergleiche mit den in der Literatur befindlichen Angaben umsomehr, als die ausf\u00fchrliche Darstellung unserer Resultate in dem in unserem Institut herausgegebenen \u00abArchives des Sciences biologiques\u00bb n\u00e4chstens zur Ver\u00f6ffentlichung kommt. Hier wollen wir nur die wesentlichsten Punkte anf\u00fchren.\nII.\nWas die Menge der Bakterien im Magen- resp. Darminhalte betrifft, so vergr\u00f6\u00dfert sich dieselbe, wie es \u00fcbrigens zu erwarten war, fast regelm\u00e4\u00dfig gegen das anale Darmende hin; dabei erscheint sie in bestimmten D\u00fcnndarm ab schnitten im Verlaufe der Verdauungsperiode, wenn auch die Nahrung selbst vollkommen bakterienfrei ist, etwas bedeutender als nach 24st\u00fcndigem Fasten.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX.\nNach 24st\u00fcndigem Hungern fanden wir in je 1 mg des die Magen- resp. Darmwand bedeckenden Belags folgende in der beiliegenden Tabelle I. Reihe wiedergegebenen mittlere Werte:\nF istellage\tBakterienzahl\t\t\n\tin 1 mg Schleimhautbelag\tin 1 mg Verdauungsbrei\t\n\tNach 24st\u00fcndigem Hungern\tNach Milchf\u00fctterung\tNach H\u00fchnereiwei\u00dff\u00fctterung\nMagen \t\t\t33\t25\t25\nAnfang des Duodenums .\t70\t25\t23.\nEnde\t\u00bb\t\u00bb\t80\t28 \u201e\t28\n1 m weit vom Pylorus .\t145\t175\t88\n1 \u00bb\t\u00bb\t\u00bb Coecum .\t175\t225\t135\nEnde des D\u00fcnndarms . .\t450\t475\t550\nNach der Milchf\u00fctterung wurden auf je 1 mg der aus der Fistel sich entleerenden Verdauungsprodukte die in der Reihe II angegebenen Mittelwerte festgestellt. Wir d\u00fcrfen aber nicht vergessen, da\u00df, w\u00e4hrend im ersten Fall die Magen- resp. Darmwand nur mit einem d\u00fcnnen Schleimbelag bedeckt erscheint, wir im zweiten Fall gro\u00dfe Quantit\u00e4ten Speisebrei erhielten, z. B. 230 g, 325 g, 300 g, 100 g, 75 g, 75 g (nach der Reihenfolge der Fistel\u00f6ffnungen gerechnet) ; obgleich also ein bestimmtes gleich gro\u00dfes Quantum Magen- resp. Darminhalt in beiden F\u00e4llen dieselbe Menge Bakterien enth\u00e4lt, ist es klar, da\u00df im gesamten Darmtraktus deren Zahl nach Milchf\u00fctterung viel gr\u00f6\u00dfer sein mu\u00df, als im ersten Fall, d. h. beim leeren Magendarmkanal. Bei Verdauung des H\u00fchnereiwei\u00dfes lie\u00dfen sich auf je 1 mg Speisebrei analoge Zahlen feststellen, die in der Tabelle Reihe III wiedergegeben sind.\nIn der ersten Versuchsreihe wurden von uns im Magen-resp. Darminhalte folgende Bakterienarten isoliert:\nIm Magen: B. Staphylococcus albus, Staphylococcus aureus, B. mesentericus vulgatus, Pneumobacillus Friedlaenderi, Micrococcus cereus albus.\nHoppe-Seylers Zeitschrift f. physiol. Chemie. LII.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nL. M. Horowitz,\nIm Anfang des Duodenums: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis.\nAm Ende des Duodenums: B. coli, Staphylococcus albus, Staphylococcus aureus, Bacillus luteus, Micrococcus te-tragenus.\n1 in weit vom Pylorus: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis.\n1 m vor dem Coecum: B. coli, Staphylococcus albus, Pneumobacillus Friedlaenderi, B. septicus putidus, B. flavus, Streptococcus, Micrococcus tetragenus.\nAm Ende des D\u00fcnndarms: B. coli, Micrococcus tetragenus, Staphylococcus albus, B. septicus putidus, Proteus vulgaris.\nIn der zweiten Versuchsreihe isolierten wir folgende Bakterienarten :\nMagen: Staphylococcus aureus, B. acidi lactici. Micrococcus cereus flavus, Sarcina flavescens.\nAnfang des Duodenums: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis, B. Proteus vulgaris, Saccharomyces Pasto-rianus.\nEnde des Duodenums: Micrococcus tetragenus, B. coli, B. acidi lactici.\n1 m weit vom Pylorus: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis, Micrococcus tetragenus, B. septicus putidus, B. Proteus vulgaris.\n1 m vor dem Coeeum: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis, Microccocus tetragenus, B. septicus putidus, B. Proteus vulgaris.\nEnde des D\u00fcnndarms: B. coli, B. Proteus vulgaris, B. septicus putidus, B. acidi lactici, Staphylococcus albus, Micrococcus tetragenus.\nIn der dritten Reihe von Versuchen fanden wir im Speisebrei folgende Bakterienarten:\nMagen: B. mesentericus vulgatus, Micrococcus tetragenus, Sarcina flavescens, Saccharomyces Pastorianus.\nAnfang des Duodenums: B. coli, Micrococcus tetragenus, Diplococcus enteritis, B. mesentericus vulgatus, B. Proteus vulgaris, Saccharomyces Pastorianus.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX.\nEnde des Duodenums: B. coli, B. Proteus vulgaris, Diplococcus enteritis, Micrococcus tetragenus.\n1 m weit vom Pylorus: B. coli, B. acidi lactici, Diplococcus enteritis, B. Proteus vulgaris, B. septicus putidus.\n1 m vor dem Coecum: Staphylococcus albus, Diplococcus enteritis, Micrococcus tetragenus, Cladothrix chromogenes, B. coli, B. Proteus vulgaris, B. septicus putidus.\nEnde des D\u00fcnndarms: B. coli, B. Proteus vulgaris, B. septicus putidus, Staphylococcus albus, Diplococcus enteritis, Micrococcus tetragenus, Streptothrix invulnerabilis.\nEs mu\u00df noch hinzugef\u00fcgt werden, da\u00df die Bakterienarten der Plattenkolonien stets mit denjenigen der Strichpr\u00e4parate verglichen wurden, um keine von den nach ihrer Morphologie erkennbaren Arten in den Plattenkulturen zu \u00fcbersehen. Nur eine einzige spirillenartige Bakterienart, die wir einmal in einem Stichpr\u00e4parat aus dem D\u00fcnndarminhalt von Shutschok (Fistel 1 m vor dem Coecum) fanden, blieb ohne weitere Entwicklung.\nIn betreff des anaeroben Verhaltens der von uns isolierten Bakterienarten k\u00f6nnen wir vorl\u00e4ufig mitteilen, da\u00df alle unsere Kulturen sowohl bei Sauerstoffabschlu\u00df, auf den mit Vaseline bedeckten Platten, wie bei Gegenwart von Natrium pyrogallicum oder im Wasserstoffstrome entweder vollkommen steril blieben, oder da\u00df dabei nur diejenigen Bakterienarten zur Entwicklung kamen, welche auch bei Sauer st offzutritt wohl gedeihen, namentlich Staphylococcus und Bacterium coli. Vielleicht ist dieser Mangel an obligaten Anaerobien im D\u00fcnndarm unserer Hunde mit der Anwesenheit der Fistel selbst in Zusammenhang zu bringen, welch letztere w\u00e4hrend des Experimentes der Luft vollkommen freien Zutritt ins Darminnere erm\u00f6glicht. Jedenfalls lassen wir diese Frage vorl\u00e4ufig noch offen und werden dieselbe durch weitere Versuche zu entscheiden suchen.\nNach all dem Gesagten k\u00f6nnen wir alle beschriebenen Bakterienarten in zwei Gruppen einteilen : die einen, namentlich diejenigen, welche in den Plattenkulturen nur ein paar Kolonien gaben und au\u00dferdem auch nur selten darin zu finden waren, betrachten wir als zuf\u00e4llige Darmg\u00e4ste, w\u00e4hrend die andern als seine obligaten Einwohner angesehen werden m\u00fcssen.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nL. M. Horowitz,\nZu den letzteren geh\u00f6ren: B. coli, B. aeidi laetiei. B. Proteus vulgaris. B. septicus putidus. Staphylococcus albus. Staphylococcus aureus. Diplococcus enteritis. Micrococcus tetra-genus. Sarcina. Saccharomyces \u00abdiese Hefe fanden wir oft in den Strichpr\u00e4paraten aus dem Inhalte des,Magens resp. des oberen Darmteils, doch blieb sie in den meisten F\u00e4llen ohne weiteres Wachstum'). B. mesentericus vuoatus : andere Bak-terienarten: B. lut eus. B. flavus, M. cereus albus. M. eereus flavus. Pneumobacillus Friedl\u00e6nderi. Cladothrix chromogenes und Streptothrix invulnerabilis geh\u00f6ren wahrscheinlich zu den zuf\u00e4lligen Arten, welche sich im Darme nicht weiter entwickeln, sondern zugrunde gehen und auch nur ausnahmsweise darin zu entdecken sind.\nWas nun die obligaten Bakterien des Magens resp. des Darms arme trifft, so konstatieren wir. dab B. coli immer in allen D\u00fcnndarm ab schnitt en zu finden ist. w\u00e4hrend es uns nie gelungen ist. dasselbe im Magen nachzuweisen. Der zu den F\u00e4ulnisbakterien geh\u00f6rende B. septicus putidus h\u00e4lt sich immer im unteren Teil des D\u00fcnndarms auf. w\u00e4hrend B. mesentericus vulgatus. Sarcina und Saccharomyces sich im Gegenteil den Magen und den oberen D\u00fcnndarmabschnitt zum Wohnort w\u00e4hlen, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil ihnen darin mehr Sauerstoff zu Gebote steht.\nEs ist bemerkenswert. da\u00df B. lacticus. dem wir in der ersten Versuchsreihe nicht \u00fcberall begegneten, nach Milchf\u00fctterung in allen D\u00fcnndarmabschnitten nachweisbar wird. Dementsprechend l\u00e4\u00dft sich der eiwei\u00dfspaltende Proteus vulgaris in der zweiten und besonders in der dritten Versuchsreihe, wobei es sich um reine Eiwei\u00df Verdauung handelt, viel h\u00e4ufiger in den oberen D\u00fcnndarmabschnitten konstatieren. Die Erkl\u00e4rung dieses Ph\u00e4nomens suchen wir freilich nicht in der etwaigen Wanderung der betreffenden Bakterie, sondern haupts\u00e4chlich darin, da\u00df infolge viel ausgiebigerer Entwicklung derselben auf geeignetem N\u00e4hrboden ihre Entdeckung sogar in den geringsten zur Untersuchung dienenden N\u00e4hrstoffmengen sehr erleichtert wird.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX. 101\nIII.\nDie Wirkung der von uns isolierten obligaten Bakterien des Magendarmkanals auf verschiedene N\u00e4hrstoffe gestaltet sich folgenderma\u00dfen : 6 Bakterienarten besitzen proteolytische Eigenschaften, die schon in der Verfl\u00fcssigung der Gelatine zur \u00c4u\u00dferung kommen, und zwar der in verschiedenen Darmabschnitten sowie im Magen vegetierende Staphylococcus albus und aureus, Sarcina, die nur im Magen sich findet, B. mesen-tericus vulgatus, der ebenfalls den Magen resp. den oberen Darmteil bewohnt, endlich B. Proteus vulgaris und B. septicus putidus, von denen der letztere nur im unteren Darmabschnitt nachgewiesen wurde, w\u00e4hrend der erstere im Laufe der Eiwei\u00dfverdauung auch im oberen zugegen war. Die Wirkung einzelner Arten auf natives Eiwei\u00df ist verschiedenartig: Staphylococcus albus und aureus scheinen keine wesentliche Ver\u00e4nderung des gekochten H\u00fchnereiwei\u00dfes hervorzurufen : es lassen sich im Reagenzgl\u00e4schen keine Albumosen nachweisen; auch Milchcasein wird bei der Einwirkung der genannten Bakterien nicht peptonisiert und im Peptonbouillon bildet sich kein Indol. \u00c4hnliche negative Wirkung auf Eiwei\u00df besitzt auch Sarcina. B. mesentericus vulgatus verleiht dem H\u00fchnereiwei\u00df eine dunkle F\u00e4rbung sowie einen Geruch nach Ammoniak. Bei der Einwirkung auf H\u00fchner eiwei\u00df sowie in der mit B. mesentericus geimpften Milch sind Peptone nachweisbar, wobei sich aber diese letzteren bei der ferneren Einwirkung der betreffenden Bakteri\u00e9 nicht weiter spalten ; im Peptonbouillon wird kein Indol gebildet. B. Proteus \u00fcbt ebenfalls keinen wesentlichen Einflu\u00df auf H\u00fchnereiwei\u00df; es mu\u00df aber darauf hingewiesen werden, da\u00df das in Verdauung begriffene Eiwei\u00df unter der Einwirkung des Proteus rasch peptonisiert wird. Milchcasein wird durch dessen Wirkung ebenfalls peptonisiert ; dies scheint aber nicht konstant zu sein. B. septicus putidus erzeugt bei seinem Wachstum auf H\u00fchner eiwei\u00df in demselben tiefe Ver\u00e4nderungen : schon nach 1\u20142 Tagen wird es dunkelbraun und bekommt einen widrigen kot\u00e4hnlichen F\u00e4ulnisgeruch. Nach dem Absp\u00fclen der Eiwei\u00dfoberfl\u00e4che mit Wasser lassen sich in demselben Peptone","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nL. M. Horowitz.\nnach weisen. Auch Milche as ein wird durch seine Wirkung teilweise peptonisiert: dagegen bleibt in der mit diesen Bakterien geimpften Peptonbouillon die Indolbildung gew\u00f6hnlich aus.\nDie peptonisierende Wirkung fehlt also fast allen Bakterien des Magens resp. des oberen Darmteils. Dem B. mesentericus, von dem nur 2\u20143 Kolonien in je 1 mg des Darminhaltes Vorkommen. kann man kaum eine bedeutende Bolle in dieser Hinsicht zumuten. Dieser Mangel an peptonisierenden Bakterien in dem oberen Darmteil, welch letzterer an den durch ihre stark peptonisierende Wirkung ausgezeichneten Verdauungss\u00e4ften reich ist, erscheint sehr zweckm\u00e4\u00dfig. Im unteren Teil des D\u00fcnndarms dagegen, wo die Verdauungss\u00e4fte ihre Wirkung z\u00fcrn gro\u00dfen Teil eingeb\u00fc\u00dft haben, wo aber einige Ei-wei\u00dfportionen nicht selten in noch unverdautem Zustande anlangen. k\u00f6nnte B. septicus putidus, von dem wir in je 1 mg des Darminhaltes 200 bis 300 und mehr Individuen finden, dank seiner spaltenden Wirkung, an Stelle der Verdauungss\u00e4fte treten. Eine weitere Rolle bei der Spaltung der Peptone geh\u00f6rt vor allem dem B. coli, der in Peptonbouillon gro\u00dfe Mengen von Indol erzeugt, und au\u00dferdem vielleicht auch dem B. Proteus.\nDie meisten obligaten Bakterien des D\u00fcnndarms wirken kr\u00e4ftig auf einige Kohlehydrate, namentlich auf Laktose: Staphylococcus albus und aureus. B. Proteus vulgaris. B. septicus putidus. B. coli. B. acidi lactici, B. mesentericus vulgatus. Sar-cina. Saecharomvces \u2014 alle genannten Bakterienarten erzeugen in der Milch same Reaktion infolge S\u00e4urebildung aus der Lactose. und zwar bilden sie meistensteils Milchs\u00e4ure, welch letztere die Gerinnung des Caseins bewirkt. Bei der Einwirkung des Diplococcus enteritis und Micrococcus tetragenus dagegen bleibt Lactose unver\u00e4ndert, und die Reaktion der Milch erweist sich als neutral oder alkalisch. Was nun die Fette anbetrifft, so sind sie ein ganz ungeeignetes N\u00e4hrsubstrat f\u00fcr die Bakterien: alle unsere Versuche. Bakterien auf sterilisierten St\u00fccken Schweinefett zu kultivieren, blieben erfolglos.\nWir beschr\u00e4nken uns auf diese wenigen Bemerkungen \u00fcber die Wirkung der Bakterien auf' N\u00e4hrstoffe : die genaueren Verh\u00e4ltnisse \u00fcber deren chemische Rolle beim Verdauungsproze\u00df","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX. 103\nim Organismus selbst kommen sp\u00e4ter zur speziellen Untersuchung. Vorl\u00e4ufig kann man nur so viel sagen, da\u00df die Rolle der Bakterien, obgleich sie, wie sich aus ihrer geringen Zahl vermuten l\u00e4\u00dft, auch keine sehr bedeutende ist, dennoch augenscheinlich kaum bezweifelt wrerden d\u00fcrfte.\nIV.\nAu\u00dferdem haben wir einige Untersuchungen \u00fcber das Verhalten der zuf\u00e4lligen Bakterienarten im Darme unternommen. Zu diesem Zwecke f\u00fctterten wir unsere Hunde mit einer Pro-digiosuskultur, in der die Individuenzahl genau bestimmt war, und untersuchten dann die Verdauungsfl\u00fcssigkeit vom bakteriellen Gesichtspunkt aus. Die eingef\u00fchrte Bakterienmenge \u00fcbertraf 200 Millionen. Schon im Magen fanden wir weniger als 1500 Individuen ; bei den \u00fcbrigen Hunden waren die Resultate ganz analog und am Ende des D\u00fcnndarms f\u00e4nden wir nur 750 Individuen; bei Untersuchung des Magen- resp. Darminhaltes am n\u00e4chsten Tage nach der F\u00fctterung lie\u00df sich darin kein B. Pro-digiosus mehr nachweisen. Es liegt demnach nahe, anzunehmen, da\u00df die Saprophyten, welche zuf\u00e4llig, wenn auch in ungeheuren Mengen, in den Magen gelangen, gew\u00f6hnlich rasch zugrunde gehen, ohne irgend einen Einflu\u00df auf seine obligate Bev\u00f6lkerung auszu\u00fcben.\nVon welchen Bedingungen h\u00e4ngt nun dieses Ph\u00e4nomen ab ?\nEs k\u00f6nnten dabei drei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen:\n1. Die Wirkung1) der Verdaungss\u00e4fte, 2. diejenige der Verdauungsprodukte und 3. gegenseitiger Einflu\u00df der Bakterien auf einander.\nWir haben nun die Wirkung der genannten Faktoren auf B. prodigiosus gepr\u00fcft und zwar: 1. diejenige des Magensaftes,, der aus einer Magetofistel ganz rein erhalten wurde, au\u00dferdem diejenige der Galle samt Pankreassaft, welche E. S. London von einem Hunde mit einer Pylorusfistel erhielt, deren Lumen durch eine Scheidewand in zwei H\u00e4lften geteilt war, und endlich\n*) Alle Fl\u00fcssigkeiten haben wir vor dem Bes\u00e4en durch eine Chamber 1 an dkerze filtriert, um sie bakterienfrei zu machen.","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nL. M. Horowitz.\ndie Wirkung des Darmsaftes, der von einem nach Thirv-Veilscher Methode operierten Hunde stammte.\nEin bestimmtes Quantum von Prodigiosuskultur wurde in die betreffende, vorher durch Filtrieren sterilisierte Fl\u00fcssigkeit, sowie in ein zur Kontrolle dienendes Bouillonr\u00f6hrchen geimpft: nach einem bestimmten Zeitraum wurden aus je 1 10 ccm der genannten Fl\u00fcssigkeit, Strichkulturen sowie auch Bouillon-Plattenkulturen verfertigt und die darauf gewachsenen Kolonien gez\u00e4hlt. Derselbe Versuch wurde mit dem typischen Repr\u00e4sentanten der obligaten Darmbakterien \u2014dem B. coli \u2014 wiederholt . Es fand sich, da\u00df im reinen Magensaft, der ca. 0.5\u00b0 o freie Salzs\u00e4ure enth\u00e4lt, sowohl die zuf\u00e4lligen, wie die obligaten Darmbakterien, selbst in gro\u00dfen Mengen eingef\u00fchrt, schon nach 1 Stunde oder sogar fr\u00fcher zugrunde gingen: in 1 ccm Magensaft sind in 1 Stunde 10 Millionen Bakterien get\u00f6tet worden. Demgegen\u00fcber erscheinen Galle samt Pankreassaft und Darmsaft sehr geeignet f\u00fcr das Bakterienwachstum. ohne irgend welche bakterienfeindliche Wirkung zu ;\u00e4u\u00dfern. wobei ebenfalls kein Unterschied in dem Verhalten gegen die obligaten und zuf\u00e4lligen Darmbakterien konstatier! werden konnte.\nWir haben auch die Wirkung der Verdauungsprodukte, namentlich des verdauten Eiwei\u00df auf Bakterien untersucht. Zu diesem Zweck benutzten wir die aus der Pylorusfistel \u25a0stammende Fl\u00fcssigkeit, die keine freie Salzs\u00e4ure enth\u00e4lt und deren saure Reaktion mit der Bildung von Acidalbuminen usw, einhergeht. Es erwies sich, da\u00df dieser Fl\u00fcssigkeit jede bak-tericide Eigenschaft fehlte, so da\u00df sowohl die obligaten wie die zuf\u00e4lligen Bakterien sich darin in der \u00fcppigsten W eise, ungef\u00e4hr wie in Bouillon, entwickelten. Man kann daraus den Schlu\u00df ziehen, da\u00df der Magensaft trotz stark antibakterieller Wirkung 4er freien Salzs\u00e4ure im Magen selbst diese sch\u00fctzende Rolle nur teilweise erf\u00fcllt, indem er durch Verbindung mit dem Eiwei\u00df seine antiseptischen Eigenschaften verliert und dieselben nur im Verlauf einer kurzen Periode auszu\u00fcben pflegt, in der die Salzs\u00e4ure noch ungebunden bleibt. Auf diese V eise wird es zahlreichen Bakterien, welche mit der Eiwei\u00dfnahrung in den Magen eingef\u00fchrt werden, erm\u00f6glicht, entwickelungsf\u00e4hig den Darm zu erreichen.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX. 105\n*\nSchlie\u00dflich untersuchten wir auch noch die Wirkung der obligaten Bakterien auf die zuf\u00e4lligen Ank\u00f6mmlinge. Zu diesem Zwecke impften wir Bouillonr\u00f6hrchen mit bestimmten ganz gleichen Mengen von B. coli und B. prodigiosus, B. coli und B. luteus, B. coli und B. cereus albus, Staphylococcus und B. prodigiosus und beobachteten t\u00e4glich die Proportionalit\u00e4t je zweier Arten sowohl in den Strichpr\u00e4paraten, wie in den Plattenkolonien. Es zeigte sich, da\u00df B. coli die obengenannten Arten sehr schnell an Menge \u00fcbertraf, so da\u00df es schon am zweiten Tag in der Proportion 100 : 1 auftrat und nach -zwei Tagen im Bouillonr\u00f6hrchen nur noch eine reine Kultur von B. coli aufzufinden war ; in den Plattenkulturen entwickelten sich ebenfalls weder B. prodigiosus, noch B. cereus albus, noch B. luteus. Auch Staphylococcus zeigte \u00e4hnliches Verhalten wie B. prodigiosus.\nDemgegen\u00fcber gedeihen, wie aus der Literatur bekannt, beide obligaten Bakterien \u2014 B. coli und B. Proteus nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu schaden. Es liegt also nahe, da die S\u00e4fte samt Verdauungsprodukten im Darm keine baktericide Wirkung besitzen, die Vermutung auszusprechen, da\u00df die in den Verdauungstraktus zuf\u00e4llig gelangenden Bakterien, welche der Wirkung der Salzs\u00e4ure im Magen entgangen sind und den Darm unversehrt erreicht haben, daselbst im Kampfe mit den obligaten Darmbakterien, wie z. B. B. coli und Staphylococcus, zugrunde gehen, wobei nur einige pathogene und zu gleicher Zeit sehr resistente Keime diese Konkurenz zu \u00fcberstehen imstande sind.\nAus all dem Gesagten lassen sich, was Hunde anbetrifft, folgende Schl\u00fcsse ziehen:\n1.\tDie Zahl der Bakterien im D\u00fcnndarm steigt regelm\u00e4\u00dfig gegen das anale Ende zu; au\u00dferdem ist sie sehr gering nach dem Fasten, vermehrt sich aber in der Verdauungsperiode.\n2.\tDie bakterielle Flora des D\u00fcnndarms besteht aus obligaten und zuf\u00e4lligen Arten, welch letztere sich darin eventuell nachweisen lassen, aber sehr rasch verschwinden.\n3.\tManche obligaten Bakterien des D\u00fcnndarms gedeihen gew\u00f6hnlich nur in bestimmten Abschnitten, w\u00e4hrend andere","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 L. M. H\u00f6r owitz, \u00dcber Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX.\n\u2666\nbald im einen, bald im anderen Teil zu treffen sind; B. coli erscheint als bleibender Bewohner des gesamten D\u00fcnndarms.\n4.\tW\u00e4hrend der Verdauung einer bestimmten Nahrungsart l\u00e4\u00dft sich im D\u00fcnndarm eine gewisse Vermehrung derjenigen Bakterien konstatieren, welche auf die betreffenden Nahrungsstoffe eine besondere chemische Wirkung auszu\u00fcben pflegen, so z. B. B. acidi lactici bei Milchverdauung, B. Proteus vulgaris bei der Eiwei\u00dfnahrung.\n5.\tEinige obligate Bakterienarten des D\u00fcnndarmes, besonders aus' seinem unteren Teile, spalten Eiwei\u00df, die meisten davon \u00fcben auch eine bedeutende Wirkung auf Kohlehvdrate aus, z. B. auf Lactose ; keine der genannten Bakterien benutzt zu ihrer Entwickelung ausschlie\u00dflich Fette.\n6.\tPer os mit der Nahrung eingenommene Bakterien gehen im Magen resp. im Darm rasch zugrunde.\n7.\tVon den Verdauungss\u00e4ften besitzt nur reiner, frischer Magensaft, dieser aber in hohem Grade bakterient\u00f6tende Wirkung, w\u00e4hrend Galle samt Gallens\u00e4uren, Pankreassaft und Darmsaft sich als sehr gute N\u00e4hrb\u00f6den erweisen.\n8.\tDie Eiwei\u00dfverdauungsprodukte und Verdauungss\u00e4fte beg\u00fcnstigen ebenfalls das Bakterienwachstum.\n9.\tIn Mischkulturen gehen die zuf\u00e4lligen Saprophyten, wie B. prodigiosus, B. cereus, B. luteus u. a. unter dem vernichtenden Einflu\u00df der obligaten D\u00fcnndarmbakterien bald zugrunde, so da\u00df sie sich nach 1\u20142 Tagen nicht mehr z\u00fcchten lassen.","page":106}],"identifier":"lit18518","issued":"1907","language":"de","pages":"95-106","startpages":"95","title":"Zum Chemismus der Verdauung im tierischen K\u00f6rper. IX. [Corr.: X.] Mitteilung: \u00dcber die Bakterien des Verdauungstraktus beim Hunde","type":"Journal Article","volume":"52"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:50:26.072344+00:00"}