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{"created":"2022-01-31T13:58:14.783141+00:00","id":"lit18607","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Moscati, Giuseppe","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 53: 386-397","fulltext":[{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta, Verlauf und Mechanismus seines Verschwindens nach der Austreibung,\nGerichtlich-medizinische Bedeutung.\nExperimentelle Untersuchungen.\nVon\nDr. Giuseppe Moseati, Assistent am Institut.\nMit einer Kurvenzeichnung.\n(Aus dem physiologisch-chemischen Institut der Kgl. Universit\u00e4t zu Neapel.\nVorstand: Prof. P. Mal erb a.)\n(Der Redaktion zugegangen am 25. August 1907.)\nA. Fr\u00fchere Untersuchungen \u00fcber das placentare Glykogen. B. Untersuchungsmethode. C. Die normale Glykogenmenge in der Placenta. D. Verlauf des Glykogenschwundes nach der Austreibung und aglykogene Pla-centarperiode. E. Dasselbe nach Behandlung mit Antisepticis. F. Dasselbe nach Verweilen im Thermostaten bei 37\u00b0. G. In Zusammenhang mit anatomischen Verh\u00e4ltnissen der Placenta stehende Variationen. H. Allgemeine Betrachtungen \u00fcber den Mechanismus des Glykogenschwundes. I. Gerichtlich-medizinischer Wert dieser Untersuchungen.\nA. Fr\u00fchere Untersuchungen \u00fcber das placentare\nGlykogen.\nDas Glykogen ist in embryonalen Geweben weit verbreitet und nur nach der Geburt zeigt es die Tendenz, sich auf seine bekannten Hauptfundorte (Leber, Muskeln) beim Erwachsenen zu beschr\u00e4nken, indem es aus den \u00fcbrigen Organen, wo es fr\u00fcher auch reichlich aufgespeichert war, fast vollst\u00e4ndig schwindet.\nDas Zentrum der Glykogenbildung w\u00e4hrend des embryonalen Lebens ist bei S\u00e4ugetieren die Allantois und vor allem die Placenta, bei den V\u00f6geln dagegen der Dottersack (Beaunis). Das placentare Glykogen wurde zuerst von Cl. Bernard, Rouget, K\u00fchne, Mac-Donnell, Salomon beschrieben.","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta usw.\n387\nAn der Grenze zwischen der foetalen und der m\u00fctterlichen Placenta (in der placenta discoidalis der Nagetiere), oder an den R\u00e4ndern derselben (in der placenta zonata), oder auch auf der inneren Oberfl\u00e4che des Amnios (bei den Wiederk\u00e4uern) trifft man Glykogenzellen, das hei\u00dft solche Zellen, die zuweilen zu Platten vereinigt und mit Glykogen beladen sind.\nBeim Menschen w\u00e4ren nur noch einige Punkte \u00fcber die histologischen und mikrochemischen Verh\u00e4ltnisse sowie \u00fcber das chemische Verhalten des placentaren Glykogens der Best\u00e4tigung bed\u00fcrftig.\nIm Jahre 1903 lenkte Bottazzi1) die Aufmerksamkeit auf das Glykogen aus der menschlichen Placenta, indem er dasselbe nach der Pf l\u00fcg er sehen Methode extrahierte und auf dessen bedeutende Menge hinwies, ohne jedoch Zahlen anzuf\u00fchren.\nIn der vorliegenden Arbeit wollte ich nun diese Frage vom chemischen Standpunkte aus studieren. Der von mir verfolgte Weg war folgend.\nB. Untersuchungsmethodik.\nDas Glykogen stellt, wie bekannt, eine Substanz dar, welche die Neigung hat, unter der Einwirkung der Gewebe selbst, in welchen sie aufgespeichert ist, sich mit der gr\u00f6\u00dften Schnelligkeit bis zum v\u00f6lligen Schwund zu verringern, w\u00e4hrend es im reinen Zustande ziemlich stabil erscheint; dieses Verhalten kann einen Forscher, der das Vorkommen dieser Substanz in nicht frisch isolierten Organen untersucht, zu irrigen Schl\u00fcssen bei der Einsch\u00e4tzung ihrer tats\u00e4chlichen Menge veranlassen. Aus diesen Gr\u00fcnden schritt ich zun\u00e4chst zur Feststellung meines Arbeitsplanes und zwar in folgender Weise.\nZu diesem Zwecke nahm ich die zur Untersuchung allernotwendigsten Reagentien (ich bediente mich vorwiegend der Pfl\u00fcger sehen Methode) in die Geburtss\u00e4le mit. Ich besuchte den Geburtssaal der \u00abMaternit\u00e4 dell\u2019Ospedale Incurabili\u00bb, dessen Direktor, Herrn Prof. Mancusi, ich f\u00fcr die freundliche Erlaubnis dazu meinen aufrichtigen Dank ausspreche. Ich wohnte\n9 Bottazzi, Ricerche sulla composizione chimica della placenta, nota Ia. Bull. R. Accad. med. di Genova, 1903.","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nGiuseppe Moscati,\nden Entbindungen bei und sobald die Nachgeburt ausgesto\u00dfen war, bem\u00e4chtigte ich mich rasch der Placenta und unterwarf sie einer schnellen, aber gr\u00fcndlichen Waschung, um das Blut wegzusp\u00fclen. Dann wurden aus derselben einige St\u00fccke, deren Gewicht aus der Differenz beim nachherigen W\u00e4gen bestimmt wurde, herausgeschnitten und f\u00fcr die Untersuchung verwertet ; Diese St\u00fccke wurden verschiedenen Teilen der Placenta entnommen, weil das Glykogen in diesem Organ nicht \u00fcberall gleichm\u00e4\u00dfig verteilt ist.\nDen Rest der Placenta aber bewahrte ich f\u00fcr weitere Analysen auf, die im physiologisch-chemischen Institut unter der Leitung des Herrn Prof. Malerba, dem ich daf\u00fcr meinen verbindlichsten Dank ausspreche, ausgef\u00fchrt wurden. Somit war es mir m\u00f6glich, einige Tatsachen zu beobachten, die von fr\u00fcheren Autoren nicht beschrieben sind.\nC. Die Glykogenmenge.\nDie Menge des in der Placenta gleich nach dem Ausst\u00f6\u00dfen vorhandenen Glykogens schwankt zwischen 0,49\u20140,50\u20140,58 g auf 100 g frischen Organs. Im ganzen Organ d\u00fcrften etwa 2,5\u20143 g dieser Substanz enthalten sein.\nD. Verlauf der Glykogen-Abnahme in der Placenta und aglykogene Placentar-Periode.\nWir wollen nun das Verhalten des Glykogens in der bei gew\u00f6hnlicher Umgebungstemperatur (15\u00b0) gehaltenen Placenta verfolgen. Es ist vorteilhaft, sie in St\u00fccke zu zerteilen und diese letzteren untereinander zu vermischen, um bei der Untersuchung mit Proben zu operieren, die selbst aus einer Anzahl von St\u00fcckchen aus verschiedenen Bezirken der Placenta zusammengesetzt w\u00e4ren.\nIn kurzer Zeit beginnt die Glykogenmenge abzunehmen. Schon nach einer Viertelstunde bis 20 Minuten oder nach der ersten halben Stunde nach der Aussto\u00dfung trifft man nur noch 0,3\u20140,29 \u20140,28 \u00b0/o; man bemerkt also zun\u00e4chst ein sehr rasches Abnehmen, sp\u00e4ter wird das Gef\u00e4lle nicht mehr so schnell und nach 20 Stunden reduziert sich die Glykogenmenge bis auf","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta nsw.\n389\n0,08\u20140,09, h\u00f6chstens 0,1 \u00b0/o, die man noch nachzuweisen im-; st\u00e4nde ist, w\u00e4hrend nach 23 Stunden es nur noch mit M\u00fche gelingt, Spuren von Glykogen darin zu entdecken.\nZu dieser Zeit hat die Placenta noch nichts von ihrem makroskopischen Aussehen und der histologischen Beschaffenheit eingeb\u00fc\u00dft, und es sind noch mehrere Stunden (18\u201424) erforderlich, damit die F\u00e4ulnis eintritt. Dieses Zeitintervall m\u00f6chte ich aglykogene Placentar-Periode bezeichnen. Das einzige, was man dabei an dem Organ wahrnimmt, ist ein stets zunehmender, fast brenzlicher Geruch, der in den ersten Stunden sich kaum bemerkbar macht.\n\u00dcexfauf d&i \u00c7Xi)^genaima\u00c2TTuiwdc^min\u00f4(Mi^\u00c0ft^\u00f9xccfiiay Prozatigskali\t-nach \u00e0z/u <9Ui\u00f9ttzi&/iirig.\nSt\u00e4nden\nE. Die Glykogen-Abnahme nach Zusatz von antiseptischen Mitteln.\nIch bem\u00fchte mich, zu untersuchen, ob sich dasselbe Ph\u00e4-, nomen auch nach Zusatz von Antisepticis, wie es in der Regel allgemein bei physiologischen Untersuchungen \u00fcber die Fermentwirkungen der Gewebe \u00fcblich ist, beobachten lie\u00dfe. In zahlreichen Versuchen, die zu diesem Zwecke angestellt wurden, hielt ich die eine H\u00e4lfte der Placenta in Toluol oder Ghloro-\ni\nform, w\u00e4hrend die andere ohne jeglichen Zusatz von Antisepticis blieb.\nIch konnte dabei eine merkw\u00fcrdige Abweichung beobachten. Ich erwartete nat\u00fcrlich, da\u00df der Bestand an Glykogen dadurch l\u00e4nger bewahrt w\u00fcrde; es ergab sich dagegen, da\u00df? w\u00e4hrend in den ersten Stunden das Antisepticum tats\u00e4chlich dazu beitrug,\n26\nHoppe-Seyler\u2019s Zeitschrift f. physiol. Chemie. LUI.","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nGiuseppe Moscati,\nden Abfall der Glykogenmenge weniger steil zu gestalten, es sp\u00e4terhin den Glykogenschwund beschleunigte, (wenn auch nicht in hohem Ma\u00dfe), denn schon gegen die 20. Stunde war das Glykogen verschwunden, nach der 22. konnte man gelegentlich kaum noch eine Spur davon nachweisen.\nF.\tDas Glykogen in der Placenta nach tiem Verweilen\nderselben im Thermostat bei 37\u00b0.\nDie Glykogenabnahme ging in der oben beschriebenen Weise nur in dem Falle vor sich, wenn die Umgebungsw\u00e4rme etwa 15\u00b0 betrug, oder auch in den Grenzen zwischen 8\u201410 und 20\u201424\u00b0 schwankte, sie war aber viel rascher bei einer Temperatur von 370 ; in solchem Falle konnte man schon nach wenigen Stunden kein Glykogen mehr in der Placenta nachweisen.\nG.\tVariationen der Glykogenmenge bei verschiedenen\nPlacenten.\nDie oben mitgeteilten Resultate beziehen sich auf normale Placenten bei rechtzeitigen Geburten.\nPlacenten von unreifen Fr\u00fcchten. \u2014 In der 7monat-lichen Placenta ist der Prozentgehalt an Glykogen um ein geringes gr\u00f6\u00dfer, doch kann dieser Mehrgehalt vernachl\u00e4\u00dfigt werden, um so mehr da die Gesamtmenge des Organs etwas geringer erscheint (der Reichtum an Glykogen ist hier nicht absolut, sondern nur relativ gr\u00f6\u00dfer und auch nicht sehr ausgesprochen).\nPlacenta praevia. \u2014 Wie aus den beobachteten F\u00e4llen hervorzugehen scheint, existiert kein gro\u00dfer Unterschied im Glykogengehalte dieser Placenten von den normalen (so konnte man z. B. in einer solchen Placenta praevia vom 9. Juli 1906, die sofort nach der Wendung extrahiert wurde, 0,506 \u00b0/o Glykogen konstatieren).\nPlacenten von abgestorbenen oder mazerierten Fr\u00fcchten. \u2014 Ich will diesen Fall hier nur deshalb erw\u00e4hnen, weil gerade an diesen Placenten der Befund negativ ausf\u00e4llt.","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichem Placenta usw.\n391\nSo besa\u00df z. B. eine solche Placenta (vom 3. August 1906), trotz dem schon lange vorher erfolgten Tode der Frucht, noch Glykogen und in einer der normalen sehr nahen Menge,\nNur der Vollst\u00e4ndigkeit halber w\u00e4ren hier noch die Pla-centen zu erw\u00e4hnen, die mittels des Kaiserschnittes extrahiert wurden. Wie a priori zu erwarten war, bieten sie keine Besonderheiten, sind aber f\u00fcr die Untersuchung sehr geeignet, erstens weil man dabei die Zeit hat die n\u00f6tigen Vorbereitungen zu treffen, und zweitens, weil man die M\u00f6glichkeit bekommt das Organ sofort nach der Extraktion zu untersuchen, ohne die bei normalen Geburten \u00fcblichen, wenn auch wenigen, Minuten warten zu brauchen, die die Placenta zu ihrer Austreibung braucht.\nH. Allgemeine Betrachtungen \u00fcber den Mechanismus\ndes Schwundes des placentaren Glykogens.\nAus allem Angef\u00fchrten geht hervor, da\u00df die Placenta ein im Vergleich mit den Organen des menschlichen K\u00f6rpers an Glykogen relativ reiches Gebilde ist, und da\u00df das hier aufgespeicherte Glykogen sehr schnell nach der Aussto\u00dfung der Placenta abnimmt, so da\u00df man berechtigt ist, eine glykogene (die ersten 23 Stunden) und eine aglykogene Placentarperiode (weitere 24 Stunden) zu unterscheiden. In dieser Hinsicht gleicht die Placenta vollkommen der Leber, verh\u00e4lt sich aber ganz verschieden von dem anderen glykogenhaltigen Gewebe, n\u00e4mlich den Muskeln.\nNach Untersuchungen zahlreicher Autoren, wie z. B. Boehm,1) K\u00fclz2) und anderer, \u00fcber die Muskeln der gew\u00f6hnlich f\u00fcr Experimente gebrauchten Tiere, und nach meinen eigenen Studien \u00fcber die Muskeln des Menschen geht hervor, da\u00df das Glykogen in den Muskeln mit Z\u00e4higkeit zur\u00fcckgehalten wird, denn es wird noch lange Zeit nach erfolgtem Tode darin angetroffen. Allerdings gilt das nur f\u00fcr den Fall, wo die Umgebungs-\nt\u00ab\n9 Boehm, Uber das Verhalten des Glykogens in Muskelfleisch, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. XXIII, S. 44 (1880).\n2) E. K\u00fclz, Zum Verhalten des Glykogens in der Leber und den Muskeln nach dem Tode, Pfl\u00fcgers Archiv, Bd. XXIV (1881).\n26*","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nGiuseppe Moscati,\nw\u00e4rme die gew\u00f6hnliche ist, denn bei 37\u00b0 sind in dieser Hinsicht keinerlei Unterschiede mehr zwischen den Muskeln einerseits und der Placenta und der Leber andererseits zu verzeichnen. Merkw\u00fcrdig erscheint dies verschiedene Verhalten der parenchymat\u00f6sen Organe, in welchen die kompliziertesten chemischen Prozesse vor sich gehen, und den nicht parenchymat\u00f6sen Organen, die allem Anschein nach zum Verrichten einer spezifischen Funktion bestimmt sind (Muskeln).\nEs fragt sich nun, ob es auch in diesem Falle unbedingt notwendig sei, an die fermentativen Prozesse dabei zu denken, durch die das Glykogen zerst\u00f6rt wird (Diastase)?\nIn einer meiner fr\u00fcheren Arbeiten1) \u00fcber das Verhalten einer in den tierischen K\u00f6rper eingef\u00fchrten St\u00e4rkel\u00f6sung glaubte ich einen Beitrag geliefert zu haben zu der Auffassung, wonach die Glykogenzerst\u00f6rung einfach auf die Zellt\u00e4tigkeit selbst bezogen wird, ohne da\u00df fermentative Prozesse dabei, wenigstens beim Leben, angenommen zu werden brauchten. Ich habe dort auf die Versuche von Paton^) hingewiesen; dieser Autor konnte die Tatsache beobachten, da\u00df das Leberglykogen in vitro zun\u00e4chst sehr rasch in Traubenzucker verwandelt wird, da\u00df aber dann sp\u00e4ter dieser Zerfallsproze\u00df zum Stillstand kommt, was zu der Ansicht f\u00fchrt, da\u00df er mit dem Leben der Zellen selbst eng zusammenh\u00e4ngt, da\u00df er also nur solange erfolgt, als diese noch morphologisch unver\u00e4ndert sind.\nPaton konnte auch nachweisen, da\u00df wenn man gewisse Stoffe, welche das Protoplasma, nicht aber die Enzyme selbst, angreifen, wie z. B. Chloroform oder Fluornatrium, hinzusetzt, da\u00df dann der Glykogenzerfall nicht mehr so rasch, sondern\nbedeutend langsamer vor sich geht.\nMeine Untersuchungen \u00fcber die Placenta stimmen nur zum Teil mit denen Patons an der Leber \u00fcberein und zwar best\u00e4tigen sie, da\u00df in der ersten Zeit der Glykogenzerfall sehr rasch vor sich geht, und da\u00df dann auf diese Periode eine lang-\ni) Moscati, \u00dcber das Verhalten der in den Organismus eingef\u00fchrten St\u00e4rkel\u00f6sung, Diese Zeitschrift, Bd\u00bb L (1906).\n*) Paton, \u00dcber das Verhalten des Glykogens in der Leber, Malys\nJahresber., Bd. XXV, 1895.\t'","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta usw.\n393\nsaniere folgt; im Gegensatz aber zu dem Befunde von Paton an der Leber konnte ich keine Verlangsamung des Glykogenzerfalls in der Placenta nach Zusatz von Antisepticis erzielen, wenn es auch sicher ist, da\u00df der Winkel zwischen den Linien, die die Glykogenabnahme w\u00e4hrend der ersten und der zweiten Periode angeben, dabei stumpfer wird. \u00dcberdies kann man aber das rasche Verschwinden des Glykogens in der Placenta w\u00e4hrend der ersten halben Stunde auch anders erkl\u00e4ren, ohne den Schl\u00fcssen Patons folgen zu m\u00fcssen: man k\u00f6nnte es n\u00e4mlich als von der Temperatur, die vom K\u00f6rper, aus dem die Placenta ausgesto\u00dfen wurde, stammt, bedingt ansehen. Und solange nun diese letztere nicht auf die Umgebungstemperatur abgek\u00fchlt ist, sind die Bedingungen f\u00fcr die Glykogenolyse \u00e4u\u00dferst g\u00fcnstig. Allerdings wurde die Placenta einer reichlichen, kalten, wenn auch nur schnellen, Waschung unterworfen; dieser Umstand kann aber dem angef\u00fchrten Einwand nicht seine Bedeutung nehmen, denn die Placenta ist ein schlechter W\u00e4rmeleiter und ist wohl im Stande in der Spanne Zeit, die zu ihrer Abk\u00fchlung notwendig ist, gr\u00f6\u00dfere Mengen von Glykogen zu zerst\u00f6ren.\nAber wenn man trotzdem einwendet, da\u00df die von Paton im Gegensatz zu den Verteidigern der fermentativen Eigenschaften der Gewebe aufgestellten und an der Leber gewonnenen Kriterien, nicht auch f\u00fcr die Placenta unbedingt zwingend seien, so will ich auf das verweisen, was ich schon fr\u00fcher in meiner oben erw\u00e4hnten Arbeit auseinandersetzte.\nIch habe damals auf den Unterschied zwischen den Versuchen in vita und in vitro hingewiesen, welcher sich zeigt, wenn man eine St\u00e4rkel\u00f6sung mittels intraven\u00f6ser Injektion in den Organismus einf\u00fchrt; im ersteren Falle hielten die durch Injektion mit St\u00e4rke beladenen Organe dieselbe im Laufe mehrerer Tage hartn\u00e4ckig zur\u00fcck, w\u00e4hrend sie sich in wenigen Stunden davon befreiten, wenn man sie vom K\u00f6rper lostrennte und im W\u00e4rmeschrank bei 37\u00b0 hielt.\nDaraus w\u00e4re zu schlie\u00dfen, da\u00df die Diastase oder Amylase entweder als ein postmortales Produkt anzusehen w\u00e4re, oder aber, da\u00df wenn sie in lebendigen Organen pr\u00e4existieren sollte, ihre Wirkung von einem Antiferment reguliert w\u00fcrde, das in","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nGiuseppe Moscati,\nirgend einem besonderen Organe zur Abscheidung gelangte und aus begreiflichen Gr\u00fcnden bei den Versuchen in vitro fehlen m\u00fc\u00dfte.\nW\u00e4re man aber berechtigt auch f\u00fcr die Placenta das Eingreifen eines Antifermentes anzunehmen?\nIn was f\u00fcr einem Organ w\u00fcrde man sich in solchem Falle die Bildung des Antiferments, das sich der placentaren Diastase entgegenzustellen h\u00e4tte, denken? Ist doch die Placenta selbst ein im tierischen K\u00f6rperhaushalt nur transitorisches Organ, ja sozusagen ein fremder Eindringling in den weiblichen Organismus !\nDie Antwort auf diese Frage ist nicht leicht, wenn man nicht an die Placenta oder an die foetalen Organe selbst dabei denken will.\nImmerhin bleibt folgende Frage ungel\u00f6st: Warum wirkt die placentare, wie auch die Leberdiastase nur (und zwar so rasch)\u2019 in den aus dem K\u00f6rper entfernten Organen?\nMir scheint es, da\u00df der Unterschied der parenchymat\u00f6sen Organe und der nicht parenchymat\u00f6sen Gewebe bez\u00fcglich des Glykogens bei niederer Temperatur uns zu einem Schl\u00fcsse berechtigt, der auch zur Erkl\u00e4rung und Best\u00e4tigung der von mir schon in bezug auf die St\u00e4rke angef\u00fchrten und hier in wenigen Worten erw\u00e4hnten Vermutungen hinreichen w\u00fcrde.\nBottazzi1) hat mittels einer eigenen Methode aus der Placenta ein Proteid dargestellt, er hat auch die glykogenoly-tischen Eigenschaften dieses Proteids nachgewiesen, die sich darin \u00e4u\u00dferten, da\u00df dasselbe das im Verh\u00e4ltnis von 0,25 bis 0,30 g auf 200 ccm Proteidl\u00f6sung hinzugesetzte Glykogen in 18\u201420 Stunden zerst\u00f6rte; au\u00dferdem hatten diese Proteide das Glykogen in der Placenta, aus welcher sie stammten, schon vorher zerst\u00f6rt.\nSomit w\u00fcrde das placentare Proteid in dieser Hinsicht dieselben Eigenschaften wie die Placenta selbst, aus welcher es extrahiert wurde, besitzen und sein Verhalten dem Glykogen gegen\u00fcber w\u00e4re dasselbe, wie das des aus der Leber dargestellten Proteids.\nx) F. Bottazzi, Nota II, Propriet\u00e0 dei nueleoproteidi estratti dalla placenta umana, Bull. R. Accad. med. di Genova, 1903.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta usw. 395\nSo sind also die aus protoplasmareichen Zellen, wie sie f\u00fcr parenchymat\u00f6se Organe (Leber, Placenta) eigent\u00fcmlich sind, stammenden Substanzen mit fermentativen Eigenschaften versehen. Wenn wir nun in Betracht ziehen, da\u00df in einem vom K\u00f6rper losgel\u00f6sten Organe die physikalisch-chemischen Wechselbeziehungen zwischen den Zellen und den sie umsp\u00fclenden K\u00f6rperfl\u00fcssigkeiten ausfallen und da\u00df auch die histologische Integrit\u00e4t dabei ihrem inneren Wesen nach nicht mehr dieselbe sein kann, wie w\u00e4hrend der H\u00f6hepunkte der Lebenst\u00e4tigkeit, so ist es leicht verst\u00e4ndlich, da\u00df dabei viele protoplasmatische Produkte zerst\u00f6rt oder auch in Freiheit gesetzt werden, da\u00df sich vielleicht noch andere neue aus den Bausteinen der alten bilden, die dann als wirkliche Fermente und zuweilen sogar besonders energisch wirken k\u00f6nnten. In den Muskeln dagegen, wo die Starre ein sch\u00f6nes Beispiel durchgreifender postmortaler chemischer Umw\u00e4lzungen darstellt, wo aber das Protoplasma haupts\u00e4chlich f\u00fcr eine Funktion, n\u00e4mlich die kontraktile, spezialisiert ist, dort kommen, wenigstens bei niedriger Temperatur, die zahllosen chemischen Verbindungen, die die Parenchymzelle, ein h\u00f6chst vollkommenes chemisches Laboratorium, zustande bringt, nicht vor. Gleichwohl m\u00fc\u00dfte die Muskeldia-stase wenigstens von denjenigen in der Placenta und in der Leber verschieden sein.\nAber wenn wir zu dem oben ausgesprochenen Gedanken zur\u00fcckkehren, so scheint es wohl m\u00f6glich, da\u00df im Leben die den Fermentproze\u00df hervorbringenden Substanzen (Proteide) gar nicht oder nur wenig auf die g\u00e4rungsf\u00e4higen K\u00f6rper einwirken, vielleicht infolge einer besonderen durch die Druckverh\u00e4ltnisse bedingten Anordnung der Bestandteile, da\u00df aber nach dem Tode diese oder neu entstehende Proteide mit den g\u00e4rf\u00e4higen Stoffen, in Ber\u00fchrung kommen, weil die Verbreitung der Stoffe in dem Organ jetzt eine andere wird, und da\u00df nun ein rascher und intensiver Fermentproze\u00df eingeleitet wird.\nDiese Eigenschaft scheint allen Geweben zuzukommen, das Muskelgewebe mit eingeschlossen, sobald ein Temperaturoptimum erreicht wird.\nEine St\u00fctze f\u00fcr meine Hypothese erblicke ich auch in","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"B96\nGiuseppe Moscati,\nden Untersuchungen, welche Slosse1) in Leipzig ausgef\u00fchrt hat; dieser Forscher konnte n\u00e4mlich ein rasches Schwinden des Glykogens in der Leber nachweisen, nachdem die Darmarterien unterbunden wurden, was eine St\u00f6rung des Druckgleichgewichts in der Leber zur Folge hatte.\nI. Gerichtlich-medizinischer Wert dieser Untersuchungen.\nDie Ergebnisse meiner Untersuchungen \u00fcber das placentare Glykogen k\u00f6nnen ohne Zweifel eventuell ein unverhoffter Wegweiser in irgend einer der verschiedensten gerichtlich-medizi-\n\u2022 \u2022\nnischen Fragen, den Kindesmord, das \u00dcberleben, das Datum der Niederkunft usw. betreffend, werden.\nEs besteht kein Zweifel, da\u00df eine glykogenhaltige Placenta, die noch \u00fcberdies eine Glykogenmenge aufweist, welche nach einer bestimmten, durch Versuche im Laboratorium festgestellten Zeit verschwindet, auf die Zeit der Niederkunft schlie\u00dfen lassen kann, oder wenigstens die M\u00f6glichkeit geben kann zu entscheiden, ob dieselbe nur wenige Stunden oder schon l\u00e4ngst vor der Untersuchung sich zugetragen hat. Die gerichtlichmedizinischen Fragen k\u00f6nnen hier also vor dem F\u00e4ulniseintritt aus der glykogenen Placentarperiode (1-\u201423 Stunden) wie auch aus der aglykogenen (pr\u00e4putrefaktive Periode) gekl\u00e4rt werden.\nAus den darauf bez\u00fcglichen Versuchen geht hervor, da\u00df die mitgeteilten Resultate in bezug auf das Glykogen dieselben bleiben, wenn man die Placenta in einer stark gefaulten Umgebung h\u00e4lt.\nDieses Glykogenkriterium kann also in gewissen Zeitgrenzen in der Praxis Hilfe leisten uud eben deswegen wollte ich es hier, wenn auch nur kurz, er\u00f6rtern.\nZusammenfassung der Resultate.\n1. Das Glykogen kommt in der Placenta in einer mittleren Menge von 0,5\u00b0/o vor; die ganze darin enthaltene Menge betr\u00e4gt etwa 3 g.\n0 A. Slosse, Die k\u00fcnstliche Verarmung der Leber an Glykogen.\nDu Bois-Reymonds Archiv f. Physiol., 1890.","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Das Glykogen in der menschlichen Placenta usw.\n397\n2.\tGleich nach der Austreibung beobachtet man bei gew\u00f6hnlicher Temperatur eine Abnahme des Glykogens, die aber schon nach der ersten halben Stunde nicht mehr so rapid ist und nach 23 Stunden kann man darin gar nichts oder nur Spuren von Glykogen nachweisen, w\u00e4hrend die Placenta selbst ihr makroskopisches Aussehen und ihre Integrit\u00e4t noch viele Stunden hindurch (aglykogene Placentarperiode) bis zum Eintritt der F\u00e4ulnis durchaus bewahrt.\nUnter diesem Gesichtspunkte stimmt die Placenta mit der Leber \u00fcberein.\n3.\tDer Zusatz von antiseptischen Mitteln \u00e4ndert an dem Vorgang im allgemeinen nichts, nur wird dabei der Unterschied zwischen der ersten halben Stunde und den folgenden Stunden in dem was den Verlauf der Glykogenabnahme anbetrifft, nicht mehr so scharf ausgepr\u00e4gt, und auch der g\u00e4nzliche Schwund desselben wird um ein paar Stunden beschleunigt.\n4.\tDie Verschiedenheiten im anatomischen Bau und Topographie der Placenta sind von keinem Einflu\u00df auf die beschriebene Erscheinung. Die Placenta einer unreifen Frucht ist etwas reicher an Glykogen als diejenige einer ausgetragenen ; freilich nur relativ reicher.\n5.\tDer Mechanismus des Glykogenzerfalls k\u00f6nnte erkl\u00e4rt werden durch die Annahme, da\u00df infolge der nach dem Tode ver\u00e4nderten chemischen und Druckverh\u00e4ltnisse, die w\u00e4hrend des Lebens getrennten g\u00e4rungserregenden und g\u00e4rungsf\u00e4higen Substanzen (Proteide resp. Glykogen) miteinander in Ber\u00fchrung kommen; und zwar gilt dies f\u00fcr solche Organe, die an Proteiden reich sind (parenchymat\u00f6se Gewebe).\n6.\tDie Besultate dieser Untersuchungen am placentaren Glykogen k\u00f6nnen in gewissen Grenzen eine praktische Verwendung in dpr gerichtlichen Medizin finden.\nIch behalte mir vor, andere Einzelheiten \u00fcber diese Frage zu ver\u00f6ffentlichen.","page":397}],"identifier":"lit18607","issued":"1907","language":"de","pages":"386-397","startpages":"386","title":"Das Glycogen in der menschlichen Placenta, Verlauf und Mechanismus seines Verschwindens nach der Austreibung. Gerichtlich-medizinische Bedeutung. Experimentelle Untersuchungen","type":"Journal Article","volume":"53"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:58:14.783147+00:00"}