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{"created":"2022-01-31T13:57:42.261931+00:00","id":"lit18621","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Koch, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 53: 496-507","fulltext":[{"file":"p0496.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems.\nVon\nW. Koch.\n(Aus dem physiologischen Laboratorium der University of Chicago.) (Der Redaktion zugegangen am 19. Oktober 1907.)\nMit Ausnahme von K\u00fchne und Chittendens1) Arbeit \u00fcber das Neurokeratin und der Beobachtung Kossels,2) da\u00df Protagon Schwefel enth\u00e4lt, liegen \u00fcber das Studium der Schwefelverbindungen des Nervensystems nur sehr wenige Untersuchungen vor. Selbst die sonst so gr\u00fcndlichen Arbeiten von Thu-dichum3) ber\u00fchren kaum dieses Gebiet. Bei meinen quantitativen Untersuchungen des Nervensystems verteilen sich die verschiedenen Schwefelverbindungen nach ihren L\u00f6slichkeitsverh\u00e4ltnissen auf vier Gruppen, welche ich mit S15 S2, S3, S4 bezeichnen werde.\nS,; Lipoide: L\u00f6slich in Alkohol oder \u00c4ther oder beiden, unl\u00f6slich in 0,5\u00b0/oiger mit Chloroform ges\u00e4ttigter Salzs\u00e4ure.\nS2; Extraktivstoffe: Durch 95\u00b0/oigen Alkohol aus den feuchten Geweben zu entfernen. L\u00f6slich in 0,5\u00b0/oiger mit Chloroform ges\u00e4ttigter Salzs\u00e4ure und auf diese Weise von den Lipoiden zu trennen.\nS3 ; Extraktivstoffe : Durch f\u00fcnf- bis sechsmalige, jedesmal 24 Stunden andauernde Extraktion mit kaltem Wasser aus den in siedendem Alkohol und \u00c4ther unl\u00f6slichen Anteil der Gewebe zu erhalten. Es ist besser, bei diesen Extraktionen etwas Chloroform zuzusetzen.\n9 K\u00fchnen. Chittenden, Zeitschrift f\u00fcr Biologie, 1890, Bd. XXVI,\nS. 291.\n2)\tKossel und Freytag, Diese Zeitschrift, 1892, Bd. XVII, S. 431.\n3)\tThudichum, Die chemische Konstitution des Gehirns des Menschen und der Tiere, 1901. F. Piezcker, T\u00fcbingen.","page":496},{"file":"p0497.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems. 497\nS4; Proteink\u00f6rper: Durch andauernde Behandlung mit hei\u00dfem Alkohol und \u00c4ther und sechsmalige Extraktion mit kaltem Wasser von allen anderen Substanzen bis auf einen kleinen Rest anorganischer Substanz befreit.\nS, : Lipoidschwefel.\n( Schwefelgehalt des Protagons : 0,88\u00b0 I o. )\nBei Versuchen, hier eine Fraktion zu erhalten, welche besonders reich an Schwefel, kam ich auf ein Pr\u00e4parat, das ungef\u00e4hr die gew\u00f6hnlich f\u00fcr das Protagon angegebenen L\u00f6slichkeitsverh\u00e4ltnisse besa\u00df. Die Analyse gab folgendes Resultat:\n1.\t1,000 g Substanz verbrauchten 15,0 ccm n/io-S\u00e4ure, d. i. 2,1 \u00b0/o N\n2.\t1,500 \u00bb\t> 21,6\t\u00bb \u00bb\t\u00bb \u00bb 2,0\u00b0\n3.\t0.500 \u00bb /\tlieferten 0,0185 g\tMg2P207, d.\ti. 1,03 \u00b0/o P\n4.\t0,500 \u00bb\t\u00bb\t0,0319 \u00bb\tBaS04, \u00bb\t\u00bb 0,88 \u00b0/o S\n\tGefunden\tCramers 0\tNolls* 2 3)\tKossels8)\n\t\tAnalysen\tAnalysen\tAnalysen\n\tN 2,10\t2,29\t2,57\t3,25\n\tP 1,03\t1,04\t1,15\t0,97\n\tS 0,88\t0,71\t0,65\t0,51\nDie analytischen Resultate stimmen also auch mit den bis jetzt f\u00fcr Protagone angegebenen ann\u00e4hernd \u00fcberein. Nur ist zu bemerken, da\u00df mein Pr\u00e4parat aus Menschengehirnen dargestellt, bei welchen nach meinen bisherigen Erfahrungen das Protagon mehr Schwefel enth\u00e4lt. Die bisherigen Untersuchungen \u00fcber das Protagon von Thierfelder4) und Gies5) besch\u00e4ftigen sich haupts\u00e4chlich mit dem wechselnden Phosphorgehalt und mit Versuchen, aus dem Pr\u00e4parat reines Gerebrin herzustellen. Cramer betrachtet sein Pr\u00e4parat als einheitlich und bestimmt die Menge des abspaltbaren Cholins, welches nach meiner Berechnung dem Phosphorgehalt ungef\u00e4hr proportional ist. Um die Zusammensetzung des Protagons ann\u00e4hernd zu bestimmen, habe ich folgende Analysen unternommen.\n*) W. Cramer. Journal of Physiology, 1904, Bd. XXXI, S. 31.\n2)\tNoll, Diese Zeitschrift, 1899, Bd. XXVII, S. 370.\n3)\tKo s sel und Frey tag, Diese Zeitschrift, 1892, Bd. XVII, S. 431.\n4)\tThierfelder, Diese Zeitschrift, 1904, Bd. XLIII, S. 21.\n6) Gies, The Journal of Biological Chemistry, 1905, Bd. I, S. 59.","page":497},{"file":"p0498.txt","language":"de","ocr_de":"498\nW. Koch,\n1.\t0,2257 g Substanz mit l,0\u00b0/oiger Salzs\u00e4ure 24 Stunden am R\u00fcckflu\u00df-\nk\u00fchler gekocht gaben 0,0120 g BaS04, d. i. 0,73 \u00b0/o S.\n2.\t0,300 g Substanz mit l,0\u00b0/oiger Salzs\u00e4ure 24 Stunden am R\u00fcckflu\u00df-\nk\u00fchler gekocht reduzierten 0,1123 g CuO, d. i. 16,0 Dextrose.x)\n3.\t0,300 g Substanz, nach der Methode von Koch und Woods2) auf\nLecithin untersucht, gaben 0,0080 g Mg2P207, d. i. 0,75 \u00b0/o Lecithinphosphor.\nI.\tII.\n\tBerechnet auf 1 Molek\u00fcl Le-\tBerechnet auf 1 Molek\u00fcl Le-\t\n\tcithin, 3 Molek\u00fcle Cerebrin\tcithin, 3 Molek\u00fcle Cerebrin,\tGefunden\n\tund 1 Molek\u00fcl Schwefel-\t1 Molek\u00fcl Schwefels\u00e4ure\t\n\ts\u00e4ure\tund 1 Molek\u00fcl Stickstoff\t\nN\t1,63\t2,07\t2,1\nP\t0,90\t0,89\t0,75\nS\t0,95\t0,94\t0,73\nDextrose1\u20193) 15,7\t\t15,5\t16,0\nDie unter II gegebene Berechnung stimmt besser mit der zuerst angegebenen Gesamtanalyse des Protagons wie mit den hier gefundenen Zahlen \u00fcberein. Es wird sich auch wohl kaum um einen einheitlichen K\u00f6rper handeln. Die recht nahe \u00dcbereinstimmung mit den molekularen Yerh\u00e4ltniszahlen des Lecithinphosphors und des als Schwefels\u00e4ure abgespaltenen Schwefels deutet jedoch auf die wom\u00f6gliche Existenz der folgenden Verbindung :\n0\nII\nLecithin \u2014 0 \u2014 S \u2014 0 \u2014 Cerebrin\nII\nO\nEine derartige Verbindung w\u00fcrde eine einfache Erkl\u00e4rung f\u00fcr die wohlbekannte Tatsache geben, da\u00df Lecithin sich nicht mit kaltem Alkohol oder \u00c4ther, in welchen es im reinen Zustande leicht l\u00f6slich ist, aus Protagon entfernen l\u00e4\u00dft. Da\u00df die Schwefels\u00e4ure wirklich in esterartiger Verbindung mit dem\n*) Wegen der Ungenauigkeit der Zahlen f\u00fcr Galaktose als Dextrose berechnet.\n2)\tKoch und Woods, Journal of Biological Chemistry, 1905, Bd. I,\nS. 203.\n3)\tMit Zugrundelegen von Thierfelders Bestimmung berechnet.","page":498},{"file":"p0499.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems. 499\nCerebrin sich befindet, geht daraus hervor, da\u00df sich aus dem\nPr\u00e4parat durch Behandlung mit Chloroform ges\u00e4ttigter 5\u00b0/oiger\nSalzs\u00e4ure in der K\u00e4lte nur minimale Mengen Schwefels\u00e4ure\ngewinnen lassen (aus 1,5 g nur 0,003 g BaS04).\nAus der mehr salzartigen Verbindung mit Lecithin k\u00f6nnte\ndie Schwefels\u00e4ure wohl eher auf diese Weise entfernt werden.\nNimmt man an, da\u00df der reduzierende Zucker nur aus Cerebrin\nstammt, so ergibt die Berechnung mehr Cerebrin, wie in obiger\n\u2022 \u2022\nVerbindung vorhanden sein kann. Der Uberschu\u00df ist wohl auf Gamgees Pseudocerebrin oder Thierfelders Cerebron zu beziehen. Wie mir nun Dr. Levene pers\u00f6nlich mitteilt, l\u00e4\u00dft sich im Protagon mit der Orcinprobe eine Pentose nachweisen. Die Verh\u00e4ltnisse liegen also ziemlich verwickelt und das Studium der Zusammensetzung des Protagongemisches scheint mir daher zurzeit wichtiger als langwierige Untersuchungen dar\u00fcber, ob ein einheitlicher K\u00f6rper vorliegt oder nicht.1) Obgleich mein Pr\u00e4parat weniger Stickstoff und mehr Schwefel enth\u00e4lt, wie man bisher gefunden, ist mir die Darstellung der Verbindung von Lecithin und Cerebrin mit Schwefels\u00e4ure noch nicht gelungen. Auch m\u00fcssen noch weitere Untersuchungen dar\u00fcber'\n\u2022 #\nentscheiden, welchem Anteil des Protagons der Uberschu\u00df von einem Molek\u00fcl Stickstoff zukommt.\nInterresant ist, da\u00df, wie schon Noll f\u00fcr das Cerebrin angegeben, auch der hier untersuchte Schwefel, den ich von jetzt ab als Lipoidschwefel bezeichnen werde, vorwiegend in der wei\u00dfen Substanz vorhanden, wie aus folgenden Zahlen ersichtlich.\nLipoidschwefel in Prozent der Trockensubstanz\nberechnet\nMuskel\t0,008\nSubmaxillardr\u00fcse\t0,018\nHoden\t0,023\nLeber\t0,036\nGraue Nervensubstanz\t0,040\nWei\u00dfe\t\u00bb\t(corpus callosum) 0,180\nWeitere schwefelhaltige K\u00f6rper aus den Lipoiden zu gewinnen, ist mir noch nicht gelungen, obgleich alle Pr\u00e4parate,\n*) W. Cramer und H. C. Lockhead M. C., The Biochemical Journal, 1907, Bd. II, S. 355.","page":499},{"file":"p0500.txt","language":"de","ocr_de":"500\nW. Koch,\nsogar Cerebrin, wenn nicht besonders sorgf\u00e4ltig gereinigt, etwas Schwefel enthalten, was aber wohl auf Verunreinigungen zu beziehen ist. Der im Protagongemisch vorhandene Schwefelk\u00f6rper wird wohl der einzige Lipoidschwefelk\u00f6rper sein, denn das Verh\u00e4ltnis von Schwefel zu Cerebrin berechnet sich im Corpus callosum beinahe genau so wie im Protagon.\nSchwefel : Cerebrin = 1 : 86 im corpus callosum \u00bb\t:\t\u00bb\t= 1 : 83 \u00bb Protagon.\nS2: Neutralschwefel.\n1.\tAnorganische Sulfate.\n2.\tTaurinartige Schwefelverbindung.\nDiese Gruppe enth\u00e4lt ungef\u00e4hr ein Zehntel ihres Gesamtschwefels in Form anorganischer Sulfate, welche sich mit Baryumchlorid direkt bestimmen lassen. Im Filtrat vom Baryum-sulfat befindet sich der bei weitem gr\u00f6\u00dfere Teil des Schwefels, welcher sich jedoch selbst nach andauerndem Kochen mit einprozentiger Salzs\u00e4ure nicht als Baryumsulfat gewinnen l\u00e4\u00dft. Setzt man dieser L\u00f6sung Phosphorwolframs\u00e4ure zu, so entsteht ein Niederschlag, welcher aber keinen Schwefel enth\u00e4lt. Im Filtrat, welches durch Baryumhydrat vom \u00dcberschu\u00df der Phosphorwolframs\u00e4ure befreit, befindet sich ein K\u00f6rper, welcher mit Naphthylisocyanat reagiert. Durch anhaltende Behandlung mit Naphthylisocyanat kann die L\u00f6sung beinahe ganz von Schwefel befreit werden. Die Naphthylisocyanatverbindung enth\u00e4lt 0,8\u00b0/o Schwefel und gibt keine Orcinreaktion. Obgleich es mir hier ebenfalls nicht gelungen ist, einen einheitlichen K\u00f6rper darzustellen, glaube ich doch annehmen zu sollen, da\u00df es sich um ein Gemisch von Monoaminos\u00e4uren handelt. Die Eigenschaften des Schwefelk\u00f6rpers w\u00fcrden am besten mit denen des Taurins oder einer komplizierten Vorstufe desselben \u00fcbereinstimmen. Der \u00dcbersicht halber werde ich von jetzt ab S2 als die Neutralschwefelgruppe bezeichnen. Cystinartiger oder bleischw\u00e4rzender Schwefel l\u00e4\u00dft sich aber nicht nachweisen.\nS3: Anorganische Sulfate.\nEnth\u00e4lt au\u00dfer den anorganischen Sulfaten noch 'protein\u00e4hnliche Schwefelverbindungnn (Gelatine ?)","page":500},{"file":"p0501.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems. 501\nDiese Gruppe enth\u00e4lt sehr wenig organische Substanz, nie mehr als ein Prozent der Gesamttrockensubstanz des Gehirns. Wahrscheinlich handelt es sich um proteinartige K\u00f6rper, welche durch die Alkoholbehandlung in Wasser nicht ganz unl\u00f6slich gemacht worden sind. Mit Phosphorwolframs\u00e4ure l\u00e4\u00dft sich aus der L\u00f6sung ein ungef\u00e4hr 0,3 \u00b0/o Schwefel enthaltender K\u00f6rper in geringer Menge gewinnen. Durch Behandlung mit hei\u00dfem Wasser ist es mir gelungen, aus einer gr\u00f6\u00dferen Menge Gehirnsubstanz nach vorheriger Behandlung mit Alkohol und \u00c4ther einen gelatine artigen K\u00f6rper zu erhalten, welcher Milions Beaktion, aber nicht die Reaktion auf Tryptophan gibt. \u00dcber zwei Drittel des Schwefels dieser Gruppe l\u00e4\u00dft sich durch Baryumchlorid direkt als anorganisches Sulfat nachweisen.\nS4: Proteinschwefel.\n1.\tSchwefelgehalt des Neurokeratins: 1,60\u20142,24\u00b0 Io.\n2.\tSchwefelgehalt des Nucleoproteins : 1,29\u00aeIo, Levene,1) Halliburton.2)\n3.\tGlobulin koaguliert bei 47\u00b0\u2014500 G. ) Schwefelgehalt\n4.\tn\tn n 70\u00b0 C.\tj nicht bestimmt.\nDas Neurokeratin wurde zuerst von K\u00fchne und Chittenden eingehender studiert und seine \u00c4hnlichkeit mit den aus Horn gewonnenen Keratinen klargelegt. Am Stoffwechsel des Nervensystems wird es sich wohl kaum beteiligen, da es haupts\u00e4chlich in den markhaltigen Fasern die Rolle einer Ger\u00fcstsubstanz versieht.\nDas Nucleoprotein, welches Levene studiert, ist nach Halliburton3) mit seinem bei 57\u00b0 C. koagulierenden Nucleoprotein identisch. Halliburton2) gibt an, da\u00df sich dieser K\u00f6rper nur in der grauen Substanz befindet und nicht aus\n0 P. S. Levene, Archiv of Neurology and Psychopathology, 1899, Bd. Vil, S. 14.\n2)\tHalliburton, Collected papers from the Physiological Laboratory of King\u2019s College London, 1893, Nr. L Siehe auch: British Medical Journal, 1893. Goulstonian Lectures.\n3)\tHalliburton, Ergebnisse der Physiologie, 1905, Bd. IV, S. 31.","page":501},{"file":"p0502.txt","language":"de","ocr_de":"502\nW. Koch,\nwei\u00dfer Substanz gewinnen l\u00e4\u00dft. Interessant ist, wie sp\u00e4ter bei meiner Berechnung der Verteilung des Proteinschwefels ersichtlich, da\u00df das Nucleoprotein im corpus callosum beinahe gar keinen Schwefel enth\u00e4lt, w\u00e4hrend nach Levenes und meinen Berechnungen das Nucleoprotein aus der grauen Substanz verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig reich daran ist. Es wird sich also im Gehirn um mindestens zwei Nucleoproteine handeln: ein in der grauen Substanz befindliches schwefelhaltiges und ein sowohl in der grauen wie in der wei\u00dfen Substanz in den Kernen der Gliazellen befindliches, schwefelarmes. Letzteres Nucleoprotein ist meines Wissens bis jetzt noch nicht isoliert worden. Ob das erstere von Levene und Halliburton studierte mit der NisslSubstanz in irgend welcher Beziehung steht, was ja nach dem Verhalten der N i s s 1 Substanz zu basischen Farbstoffen nicht unm\u00f6glich, ist bis jetzt noch nicht untersucht. Interessant ist hier die Beobachtung von Mott,1) welcher findet, da\u00df bei der amaurotischen Idiocie, mit einem Verschwinden der NisslSubstanz, eine Verminderung des Nueleoproteinphos-phors der grauen Substanz parallel verl\u00e4uft. Die Globuline von Halliburton sind bis jetzt noch nicht auf ihren Schwefelgehalt untersucht worden.\nObgleich es mir noch nicht gelungen ist, wegen der Schwierigkeit in der Beschaffung von Menschengehirnen, welche sich zu diesen Arbeiten am besten eignen, einen wirklich reinen Schwefelk\u00f6rper herzustellen, ist es doch interessant, die quantitative Verteilung des Schwefels auf die verschiedenen Gruppen zu vergleichen. Die in folgender Tabelle angegebenen analytischen Resultate wurden an einem vollkommen normalen, frischen, beinahe blutfreien Gehirne eines neunzehnj\u00e4hrigen Mannes gewonnen, welcher an Verblutung aus der Art. carotis interna gestorben war. Das Gehirn wurde mir von meinem Kollegen Dr. H. G. Wells g\u00fctigst zur Verf\u00fcgung gestellt. Die vollkommene chemische Analyse wird demn\u00e4chst an anderer Stelle erscheinen.\n*) F. W. Mott, Archives of Neurology, 1907, Bd. Ill, S. 244.","page":502},{"file":"p0503.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefel Verbindungen des Nervensystems. 503\n\tGraue Rinden -Substanz\t\tCorpus callosum\t\n\tIn Prozent der Trocken- substanz\tIn Prozent des\t: Gesamtschwefels\tIn Prozent der Trocken- substanz\tIn Prozent des Gesamt- schwefels\nSt Lipoid\t\t0,033\t7,2\t0,180\t35,9\n( S9 Neutral .....\t0,050\t10,9\t0,025\t5,0\n1 S9 Sulfate \t\t\t0,007 \u00cf\t\t0,006 \u00cf\t\n\t>\t5,9\t5 i\t3,4\nf S3 Sulfate ......\t0,020 /\t\t0,011 /\t\n\\ S3 Protein\u00e4hnlich . .\t0,013\t2,8\t0,023\t4,6\n{ S4 Globulin1) ....\t0,125\t27,2 I\t\t\n\t\t\t0,040\t8,0\n< S4 Nucleoprotein2) . .\t0,166\t36,0 /\t\t\n{ S4 Neurokeratin3) . .\t0,046\t10,0\t0,216\t43,2\n\t0,460\t\t0,501\t\nGesamtschwefel . . .\t0,430\t\t0,420\t\n(Kontrollbestimmung)\t\t\t\t\nDie obigen Zahlen deuten darauf hin, da\u00df:\nin der grauen Substanz Nucleoprotein, Globulin und Neutral Schwefel vorherrschen;\nin der wei\u00dfen Substanz bei weitem der gr\u00f6\u00dfte Anteil auf Neurokeratin und Lipo id Schwefel zu beziehen ist.\nDas in der grauen Substanz vorhandene Neurokeratin und der Lipoidschwefel stehen ungef\u00e4hr im selben relativen Verh\u00e4ltnis zu einander wie im corpus callosum und es scheint daher die Annahme berechtigt, da\u00df es sich bei beiden um charakteristische Bestandteile der markhaltigen Fasern handelt. Ganz frei von wei\u00dfer Substanz l\u00e4\u00dft sich ja bekanntlich graue Substanz nicht gewinnen.\n*) Aus ^er Differenz zwischen Nucleoprotein- plus Neurokeratinschwefel und dem direkt bestimmten Gesamtproteinschwefel berechnet.\n2)\tAus meiner Proteinphosphorbestimmung auf Grund von Leven es Schwefelbestimmung berechnet. Das Resultat wird etwas zu hoch sein, da nicht alles Nucleoprotein in der grauen Substanz mit der von Levene studierten Substanz identisch ist.\n3)\tAus Chittendens analytischen Befunden an einem 21 j\u00e4hrigen Manne ann\u00e4hernd berechnet.","page":503},{"file":"p0504.txt","language":"de","ocr_de":"504\nW. Koch,\nEhe ich auf die Bedeutung der obigen Befunde f\u00fcr die Erkl\u00e4rung des Stoffwechsels des Nervensystems n\u00e4her eingehe, scheint es angebracht, unsere bisherigen Kenntnisse \u00fcber dieses interresante Gebiet zusammenzustellen.\nStellen wir uns ein lebendes Gewebe nicht als eine Anzahl sogenannter lebender Molek\u00fcle, sondern als den Ort der Zusatnmenwirkung mehrerer chemischer Reaktionen vor, so handelt es sich darum, die einzelnen Reaktionen zu erkennen und zu studieren. Dies kann man nun auf dreierlei Weise erreichen.\n1.\tAm lebenden Gewebe, wie dies Hill1) bei seinen Untersuchungen \u00fcber die CO,-Produktion des Nervensystems getan.\n2.\tAm \u00fcberlebenden Gewebe wie bei den Arbeiten von Hofmeister2) \u00fcber Methylstoffwechsel und zahlreichen Arbeiten anderer Forscher \u00fcber Autolyse.\n3.\tAn toten Geweben, wie bei meinen hier zu schildernden Versuchen, durch das Studium der unter den Extraktivstoffen befindlichen Stoffwechselprodukten des Gehirns in normalen und pathologischen F\u00e4llen.\nObgleich nun der geringe Gewichtsverlust des Nervensystems beim Hungern die von mehreren Forschern beobachtete sehr langsam verlaufende Autolyse, sowohl wie die oben erw\u00e4hnten Beobachtungen von Hill und Hofmeister darauf hindeuten, da\u00df im Nervensystem die chemischen Reaktionen sehr langsam verlaufen, beweisen die Versuche von Ehrlich,3) Hill,1) Baeyer,4 5) Bondy6) und Mott und Sherrington,6) da\u00df das Gehirn fortw\u00e4hrend mit einem gro\u00dfen Sauerstoff\u00fcberschu\u00df versorgt sein mu\u00df, um normal zu funktionieren. Nun\n*) L. Hill, Journal of Physiology, 1895, Bd. XVIII, S. 334.\n2)\tHofmeister, Archiv f\u00fcr experimentelle Pathologie und Pharmakologie, 1894, Bd. XXXIII, S. 198.\n3)\tP. Ehrlich, Sauerstoffbed\u00fcrfnis des Organismus.\n4)\tH. v. Baeyer, Zeitschrift f\u00fcr allgemeine Physiologie, 1902, Bd. I,\nS. 265.\n5)\tBondy, 0., Zeitschrift f\u00fcr allgemeine Physiologie, 1903, Bd. III,\nS. 180.\n6)\tMott u. Sherrington, Croonian Lectures, London, 1900, S. 50.","page":504},{"file":"p0505.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems. 505\nbedingt aber eine gute Sauerstoffversorgung nicht zugleich einen gro\u00dfen Sauerstoffverbrauch, sondern es mag sich lediglich um das Bed\u00fcrfnis einer hohen Sauerstoffspannung handeln. So deuten die Beobachtungen von Baeyer bei der Strychninvergiftung darauf hin, da\u00df nur bei Gegenwart eines gen\u00fcgenden Sauerstoffpotentials die Entladung der Nervenzelle stattfinden kann. Bei welcher Art Reaktionen sich dieser Sauerstoff beteiligt, wissen wir noch nicht. Unter anderem wird es sich wohl auch um die Oxydation von Proteinschwefel handeln, welches den oben angegebenen Tatsachen entsprechend ungef\u00e4hr folgenderma\u00dfen verlaufen w\u00fcrde.\nh2 1\t0\t0\nR \u2014C \u2014S\tH 1!\tII\n1 ~\t\u25a0> R \u2014C \u2014S \u2014OH -\t> R 0 S \u2014 OR'\tH2S04 II\nR'\u2014 C \u2014 S\tH ||\t\nh2\t0\t0\nProtein-S.\tNeutral-S.\tLipoid-S. AnorganischerS.\nLipoidschwefel braucht nat\u00fcrlich nicht in jedem Falle gebildet zu werden, sondern es kann sich auch um direkte Oxydation von Neutral Schwefel zu anorganischen Sulfaten handeln.\nEs ist nun schon oft, besonders von Kraepelin, die Ansicht ausgesprochen worden, da\u00df es sich bei gewissen Geisteskrankheiten um einen gest\u00f6rten Stoffwechsel des Nervensystems handeln kann. Da es nun gerade Oxydationsreaktionen wie die oben angedeuteten sind, bei welchen man unter pathologischen Verh\u00e4ltnissen der Gewebe am ersten Ver\u00e4nderungen erwarten kann, nahm ich gerne die Gelegenheit wahr, welche mir von Dr. F. W. Mott, F. R. S. angeboten wurde, dieses Thema an F\u00e4llen von Dementia praecox im Pathologischen Institut der London County Asylmus zu studieren. \u00dcber die klinische und histologische Untersuchung der F\u00e4lle wird an anderer Stelle berichtet (Archives of Neurology, F. W. Mott).\nIn folgender Tabelle sind die analytischen Resultate der grauen Rindensubstanz von vier F\u00e4llen angegeben. Zum Vergleich f\u00fcge ich die Zahlen von drei normalen Gehirnen bei. Die Zahlen sind in Prozent des Gesamt-Nicht-Proteinschwefels","page":505},{"file":"p0506.txt","language":"de","ocr_de":"506\nW. Koch,\nberechnet. Es ist von Interesse, hier zu erw\u00e4hnen, da\u00df diese F\u00e4lle von Dementia praecox, was alle anderen bekannten Bestandteile des Nervensystems anbelangt, bei der chemischen Analyse Resultate ergaben, welche vom Normalen nicht zu unterscheiden sind.\nIn Prozent des Gesamt-Nicht-Proteinschwefels der grauen Rindensubstanz.\nFall Nr.\tLipoid-Sj\t\u00ab Neutral-S2\tAnorganische Sulfate S3\n7. K. R. Normal\t\t27\t51\t21\n14. E. M\u00b0G. \u00bb\t\t\t24\t42\t33\n15. R. A. G. \u00bb\t\t\t27\t46\t27\nDurchschnitt . .\t26\t46\t27\n10. M. A.N. Dementia praecox\t27\t30\t44\n11. C.E.N.\t16\t35\t49\n12. F. L. M. 0.\t\u00bb\t\u00bb\t17\t34\t48\n17. H.F.R.\t40\t22\t38\nDurchschnitt . .\t25\t30\t44\nZuerst f\u00e4llt bei allen F\u00e4llen der Dementia praecox eine Verringerung des Neutralschwefels auf (35\u00b0/o im Durchschnitt). Die h\u00f6here Zahl f\u00fcr anorganische Sulfate beruht nicht, wie wohl zuerst anzunehmen, auf einer gesteigerten Oxydation von Neutralschwefel.\nBei 17. H. F. R. handelt es sich bei dieser Art der Berechnung um eine restive Erh\u00f6hung der Zahl f\u00fcr Lipoid- und anorganischen Schwefel, wegen des Verlustes an Neutralschwefel. Bei 11. C. E. N. und 12. F. L. M. 0. kommt dann noch eine tats\u00e4chliche Verminderung des Lipoidschwefels hinzu, aus welchem ja anorganische Sulfate ohne Oxydation entstehen k\u00f6nnen. Bei Fall 10. M. A. N. l\u00e4\u00dft sich die h\u00f6here Zahl f\u00fcr anorganische Sulfate auf diese Weise nicht ganz erkl\u00e4ren. Die analytischen Resultate f\u00fcr das corpus callosum zeigen eine bedeutend geringere Ver\u00e4nderung in den pathologischen F\u00e4llen.\nEs tritt also ziemlich klar zutage, da\u00df es sich bei der Dementia praecox um eine gest\u00f6rte Oxydation handelt und zwar auf Kosten des intermedi\u00e4r gebildeten Neutralschwefels.","page":506},{"file":"p0507.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems. 507\nIch bin jetzt dabei, diese Beobachtungen an weiteren F\u00e4llen nachzupr\u00fcfen und zu er\u00f6rtern, inwieweit die Lungentuberkulose, an welcher alle F\u00e4lle gestorben sind, f\u00fcr die chemischen Ver\u00e4nderungen verantwortlich zu machen ist. Eine gewisse Best\u00e4tigung finden obige Beobachtungen in der Untersuchung eines sechs Wochen alten Gehirns, in welchem man wegen des raschen Wachstums in diesem Alter einen gesteigerten Stoffwechsel erwarten kann.\nFall Nr.\tLipoid-S1\tNeutral-S2\tAnorganische Sulfate S3\n13. S. H.\t16\t68\t16\nEs findet sich also gerade die Schwefelgruppe vermehrt,\nwelche bei der Dementia praecox verringert ist.\n\u2022 \u2022\nUber den Umfang des durch obige Beobachtungen sehr wahrscheinlich gemachten Schwefelstoffwechsel des Nervensystems l\u00e4\u00dft sich nichts Bestimmtes aussagen. Untersuchungen \u00fcber Schwefelausscheidung im Urin bei geistiger T\u00e4tigkeit d\u00fcrften wohl ebensowenig Aussicht auf Erfolg haben, wie die bisherigen Versuche, die Phosphorausscheidung auf \u00e4hnliche Weise zu beeinflussen. Es w\u00e4re unrichtig, diesen Stoffwechel als f\u00fcr das Nervensystem charakteristisch anzusehen, denn in ihren chemischen Reaktionen werden sich wohl die verschiedenen Gewebe des K\u00f6rpers viel n\u00e4her stehen, wie in ihrem anatomischen Aufbau.\nDiese Arbeit wurde von dem Rockefeiler Institut for Medical Research unterst\u00fctzt.","page":507}],"identifier":"lit18621","issued":"1907","language":"de","pages":"496-507","startpages":"496","title":"Zur Kenntnis der Schwefelverbindungen des Nervensystems","type":"Journal Article","volume":"53"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:57:42.261936+00:00"}