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{"created":"2022-01-31T14:11:02.988450+00:00","id":"lit19158","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Frank, E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 70: 291-299","fulltext":[{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers.\nVon\n\u00a3. Frank.\n(Aus der inneren Abteilung des st\u00e4dtischen Krankenhauses zu Wiesbaden.)\n(Der Redaktion zugegangen am 1. Dezember 1910.)\nDas Verhalten des Blutzuckers nach Traubenzuckerzufuhr per os.\nIm Gegens\u00e4tze zu den zahlreichen Arbeiten \u00fcber aliment\u00e4re Glykosurie ist das Verhalten des Blutzuckers nach Traubenzuckergenu\u00df sehr wenig studiert worden. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, da\u00df die Bearbeitung dieses dem Kliniker naheliegenden Probl\u00e8mes wegen der bis vor kurzem relativ umst\u00e4ndlichen Methodik unterblieb. Vereinzelte Angaben finden sich bei v. Noorden,1) Liefmann und Stern,2) B\u00f6nniger;3) systematisch ist die Frage erst von Baudouin4) untersucht worden, als notwendige Vorarbeit zu seinem eigentlichen Thema, mit welchem Erfolge man die sehr unbefriedigende Pr\u00fcfung auf aliment\u00e4re Glykosurie bei Leberkranken durch die auf aliment\u00e4re Hyperglyk\u00e4mie ersetzen k\u00f6nne.\nBaudouin hat den Blutzuckergehalt zun\u00e4chst vor der Einnahme des Traubenzuckers und sodann eine, gelegentlich auch zwei Stunden sp\u00e4ter festgestellt.\nDieses Vorgehen ist das einzig brauchbare, denn nicht, indem man den einige Zeit nach einem Eingriffe ermittelten Zuckerwert im Blute mit einer Mittel- oder Grenzzahl vergleicht, gewinnt man ein Urteil \u00fcber den Erfolg, sondern indem man der individuellen Schwankung nachgeht: diese kann z. B. bei den hier in Rede stehenden aliment\u00e4ren Versuchen recht eindrucksvoll im Sinne einer Steigerung des Blutzuckergehaltes sein, ohne da\u00df objektiv \u00fcberhaupt von Hyperglyk\u00e4mie geredet werden k\u00f6nnte.\n\u2018) Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels, Kapitel Diabetes mellitus.\n*) Biochem. Zeitschrift, Bd. I.\n3)\tDeutsche med. Wochenschr., 1908.\n4)\tTh\u00e8se de Paris, 1908: Etudes sur quelques Glyc\u00e9mies, Paris, G. Jacques, Editeur.","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nE. Frank\nIch f\u00fchre zun\u00e4chst die Resultate Baudouins an.\n\tZuckergehalt im Gesamtblut\t\t\t\nNr. und Alter\tvor Einnahme\teine Stunde j\tzwei Stunden\tBemerkungen\n\tdes Zuckers\tsp\u00e4ter 1\ti sp\u00e4ter\t\n\t\u00b0/o\t\u00b0/o\ti \u00b0/o\t\nI.\t0.089\t0,095\t!\t150 g Traubenzucker\nII. 16 Jahre\t0,131\t0,142\t0,153\tdesgl.\nIII. 25\t\u00bb\t0,088\t0,115\t\u2014\t\u00bb\nIV. 35\t\u00bb\t0,12\t0,151\t\t\u00bb\nV. 25\t0,102\t1,137\t0,114\t\u00bb\nVI. 23\t\u00bb\t0,116\t0,154\t0,127\t\u00bb\nBei meinen eigenen Untersuchungen ergab sich folgendes :\nTabelle I.\nNr. und\tTrauben-\tPlasmazuckergehalt in \u00b0/o\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\t\n\tzucker\tvor Einnahme\t1 Stunde\t2 Stund.\tnaruueiunu nach\t\tBemer-\nAlter\tper os g\tdes Trauben- zuckers\tsp\u00e4ter\tsp\u00e4ter\tIV\u00ab Std.\t3 Std.\tkungen\nI. 16 Jahre\t100\t0.11\t0,14\t0,12\tNylander negativ\tNylander Spur 0,07 \u00b0/o\t\n11. 42 Jahre\t100\t0,075\t0,12\t0,09\tdesgl.\tNylander negativ\t\nIII.\t100\t0,083\t\tnach\t\t\tAu\u00dfer\n18 Jahre\t\t\t0,128\t1V* Std. 0,138\t\u00bb\t\u00bb\tbei I\nIV. 57 Jahre\t100\t0,09\t0,18\t0,14\t\u00bb\tSpur 0,05 >\twurde die\nV. 17 Jahre\t200\t0,095\t0,212\t0,115\t+ 0,515 \u00b0/\u00fc\t+ l,24\u00b0/o\tPr\u00fcfung auf n\u00fcch-\n\t\t\t\t\t(25 ccm\t(141) ccm\tternen\n\t\t\t\t\tHarn)\tHarn)\t\nVI. 23 Jahre\t\t\t\t\t\t\tMagen\n\t100\t0,13\t0,13\t0,09\tnegativ\tnegativ\tvorge-\nVII. 32 Jahre\t100\t0,06\t0,045\tnach 1\u2018/\u00ab Std.\t\u00bb\t\u00bb\tnommen.\n\t\t\t\t0,03\t\t\t\nVIII. ders. am folgenden Tage\t1(H)\t0,07\t0,065\tnach l1/* Std. i 0,07\t\u00bb\t1 \u00bb\t","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers. 293\nLs wird auffallen, da\u00df in meinen Versuchen, in denen 100 g Traubenzucker gegeben wurden, die Steigerung des Blutzuckergehaltes gleich gro\u00df oder gar st\u00e4rker ist als bei Baudouin, der 150 g verabreichte. Das d\u00fcrfte darauf beruhen, da\u00df Baudouin das Gesamtblut, ich das Plasma zur Bestimmung verwendete.\nEs ist wahrscheinlich, da\u00df bei den kurz dauernden Hyper-glyk\u00e4mieen, um die es sich hier handelt, der Ausgleich zwischen Blutk\u00f6rperchen und Blutfl\u00fcssigkeit sich nicht immer bis zu Ende vollziehen kann und da\u00df daher in der Volumeneinheit des Plasmas nicht unwesentlich mehr Zucker gefunden wird als in der des Gesamtblutes.\nZur Beurteilung des Grades der Hyperglyk\u00e4mie f\u00fchrt Baudouin den \u00abcoefficient glyc\u00e9mique\u00bb ein, d. h. den Quo-fipnfpn ^Zuckergehalt nach Glukosezufuhr , \u2019, , , \u201e ,\nBlutzuckergehalt vor Glukosezufuhr \u2019 und da der l\u00fcC lste Wert meist nach einer Stunde erreicht zu, werden pflegt, nimmt er als Z\u00e4hler den um diese Zeit ermittelten Wert. Der physiologische Grenzwert des Koeffizienten ist nach seinen f\u00fcr diese Normierung vielleicht zu sp\u00e4rlichen Bestimmungen 1,35; nach dem Gesagten wird er im Plasma h\u00e4ufig h\u00f6her sein m\u00fcssen; in der Tat ist er in zweien meiner F\u00e4lle (II und III), deren Kohlenhydratstoffwechsel f\u00fcr pathologisch zu halten, ich keinen Grund habe, etwa 1,6. Fall IV, bei dem der Koeffizient den Wert^O erreicht, ist mir dagegen, obwohl sonstige Anhaltspunkte fehlten, doch einer gewissen Leberinsuffizienz verd\u00e4chtig.\nEs wird noch einer gro\u00dfen Anzahl von Untersuchungen bed\u00fcrfen, um z. B. bei der von mir gew\u00e4hlten Versuchsanordnung den vom Gesunden nicht \u00fcberschrittenen Grenzwert sicherzustellen. Ich glaube aber, da\u00df der \u00dcbergang vom Normalen zum Krankhaften sich durch eine sozusagen neutrale Zone hindurch vollziehen wird, und zwar deshalb, weil ich die Hyperglyk\u00e4mie des gesunden Menschen nach Traubenzuckergenu\u00df auch bereits f\u00fcr den Ausdruck einer Leberinsufficienz halten m\u00f6chte. Da\u00df es sich hier um eine \u00abphysiologische\u00bb Leberinsufficienz und nicht darum handelt, da\u00df ein Teil des Traubenzuckers durch Resorption auf dem Lymphwege die Pfortader","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nE. Frank,\numgeht, scheint mir aus denjenigen Beobachtungen hervorzugehen, in denen der Blutzuckergehalt nach der Zuckeraufnahme unver\u00e4ndert bleibt oder gar absinkt. Das letztgenannte Verhalten ist mir zweimal begegnet: bei Fall VI ist der Zuckerwert nach einer Stunde der gleiche, nach zwei Stunden reichlich niedriger ; bei Fall VII f\u00e4llt der Wert schon in der ersten Stunde ab und erreicht eine halbe Stunde sp\u00e4ter einen, absolut betrachtet, au\u00dferordentlichen Tiefstand. Am folgenden Tage bleibt der Zuckergehalt ziemlich unver\u00e4ndert, doch ist die Tendenz zum Absinken wieder deutlich erkennbar.\nAus der Literatur lassen sich noch zwei Beobachtungen anf\u00fchren, die hierher geh\u00f6ren: Liefmann und Stern haben bei einer Versuchsperson mit dem Normalwerte 0,0812\u00b0/o nach 100 g Glukose den Wert 0,069\u00b0/o gefunden, und B\u00f6nniger berichtet von einem Falle, bei dem drei Stunden nach Einnahme von 150 g das Blutserum 0,053\u00b0/o enthielt.\nDie \u00abaliment\u00e4re Hypoglyk\u00e4mie\u00bb ist offenbar die typische Reaktionsform einer Anzahl normaler Individuen. Ich kann sie mir nicht anders deuten als mit Hilfe der Annahme, da\u00df die Leber, durch den portal einstr\u00f6menden Zucker zur Glykogenbildung angeregt, bei manchen Menschen so ausgezeichnet arbeitet, da\u00df sie dem Pfortaderblute vor\u00fcbergehend sogar mehr Zucker entzieht, als gerade dem vom Darme herkommenden \u00dcbersch\u00fcsse entspricht.\nNach Feststellung der physiologischen Verh\u00e4ltnisse wird es sich empfehlen, diejenigen Krankheitszust\u00e4nde, bei denen man auf aliment\u00e4re Glykosurie fahndet (Fieber, Hyperthv-reoidismus, Neuropathieen, Pankreaserkrankungen, Leberaffektionen) auf aliment\u00e4re Hyperglyk\u00e4mie zu untersuchen. Die aliment\u00e4re Glykosurie ist doch etwas so Launisches, ihr Grad so wechselnd, da\u00df sicherlich viele St\u00f6rungen des Kohlenhydratstoffwechsels deswegen der Beobachtung entgehen, weil sie sich \u00abhinter den Kulissen\u00bb abspielen, d. h. sich durch den Harnbefund nicht verraten. Ein klassisches Beispiel bilden die Erkrankungen der Leber: von den meisten Autoren wird behauptet, da\u00df aliment\u00e4re Glykosurie bei Leberleiden nur selten zu beobachten sei, und es wird daraus \u2014 zumal bei Ber\u00fcck-","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers. -95\nsichtigung der h\u00e4ufig vorhandenen aliment\u00e4ren L\u00e4vulosurie \u2014 wohl der Schlu\u00df gezogen, da\u00df der Dextrosestoffwechsel nicht gest\u00f6rt sei. Diese Auffassung ist durch die systematischen Untersuchungen Baudouins widerlegt. Es zeigte sich, da\u00df bei denjenigen Lebererkrankungen, die mit Reduktion der Organzellmasse einhergehen (atrophische Cirrhosen) und solchen, bei denen die Zellen stark gesch\u00e4digt sind (Choledochusver-schlu\u00df, gewisse Formen hypertrophischer Cirrhose), trotz fehlender Zuckerausscheidung im Urin, hochgradige Hyperglyk\u00e4mie nach Traubenzuckerdarreichung auftrat. In zwei F\u00e4llen (hypertrophischen Cirrhosen), in denen man noch gen\u00fcgend funktionierendes Parenchym erwarten durfte, ergaben sich normale Verh\u00e4ltnisse. Diesen kann ich einen Fall von Lebersyphilis hinzuf\u00fcgen, dessen Blutzucker von dem Ausgangswert 0,13\u00b0/o eine Stunde nach Genu\u00df von 100 g Traubenzucker auf 0,17\u00b0/o gestiegen war; auch hier war also die F\u00e4higkeit der Leber, den Traubenzucker zur\u00fcckzuhalten, noch gerade befriedigend.\nIch halte die Pr\u00fcfung auf aliment\u00e4re Hyperglyko-s\u00e4mie f\u00fcr eine sehr gl\u00fcckliche Bereicherung unseres im ganzen recht sp\u00e4rlichen R\u00fcstzeuges, die Insufficienz der Leberfunktion klinisch zu erkennen.\n\u00dcber den Schwellenwert des Blutzuckers in bezug auf die Ausscheidung durch die Niere.\n(Verhalten des Blutzuckers vor und w\u00e4hrend des Eintrittes einer Glykosurie.)\nEs ist bekannt, da\u00df in jedem Harne geringe Mengen Traubenzucker vorhanden sind. Wenn nun im folgenden \u00fcber den Schwellenwert des Blutzuckers, der zum \u00dcbertritt von Zucker in den Harn f\u00fchrt, gesprochen wird, so sind diese geringen Glykosurieen, die unter 0,05\u00b0/o liegen und sich nach Traubenzuckergenu\u00df vielleicht etwas erh\u00f6hen (cf. Fall I und IV der Tabelle I), nicht gemeint, sondern Werte, die mindestens 0,1 \u00b0/o betragen.\t^\nDie Auffassung Cl. Bernards war die, da\u00df Zucker in den Harn erst \u00fcbertrete, wenn der Gehalt des Blutes 0,3\u00b0/o","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\nE. Frank,\n\u00fcbersteige. Diese Lehre wird heute nicht mehr anerkannt; im Gegenteil, v. Noorden meint, da\u00df, wenigstens im Beginn der diabetischen Stoffwechselst\u00f6rung, die Ausscheidung von Zucker bereits auf eine eben merkliche, manchmal der Analyse vielleicht ganz entgehende Erh\u00f6hung des Zuckers im Blute folge.\nMan wird der Frage des Schwellenwertes am besten nachgehen, indem man k\u00fcnstlich Hyperglyk\u00e4mieen setzt und Blut und Harn vergleichend untersucht. Bedingung ist dabei einmal, da\u00df der experimentelle Eingriff nicht zugleich auch die Nieren \u00abzuckerdichter\u00bb macht, anderseits ist Wert darauf zu legen, da\u00df die Untersuchung des Blutzuckers im Plasma vorgenommen werde, da olfenbar die Zuckerkonzentration des Plasmas, nicht des Gesamtblutes es ist, auf welche die Niere im gegebenen Falle mit einer Abscheidung des Zuckers reagiert.\nIch kann mich daher mit Nutzen auf die im ersten Teile besprochenen aliment\u00e4ren Versuche st\u00fctzen, au\u00dferdem ziehe ich noch eine in anderem Zusammenh\u00e4nge gewonnene Reihe von Blutzuckerbestimmungen nach Adrenalininjektionen zur Beurteilung heran. Gegen diese letzteren k\u00f6nnte man den Einwand machen, da\u00df das Adrenalin Konstriktion der Nierengef\u00e4\u00dfe erzeugt und dadurch die nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnisse verschoben haben k\u00f6nnte. Darauf ist zu erwidern, da\u00df die zur Feststellung der Hyperglyk\u00e4mie dienende Blutentnahme 3 A Stunden nach der Injektion vorgenommen wurde, d. h. zu einer Zeit, in welcher der in jedem Einzelfalle genau verfolgte Blutdruck wieder zur Norm zur\u00fcckgekehrt war.\nInjiziert wurde in allen F\u00e4llen 0,001 g synthetisches Suprarenin (H\u00f6chst); die Nylandersche Reaktion im Harn war stets sowohl vor der Injektion als auch bis mehrere Stunden danach negativ (die Blutzuckerwerte siehe in Tab. II).\nHierher geh\u00f6rt auch die nicht mit Glykosurie verbundene Hyperglyk\u00e4mie im Fieber, wie sie von Liefmann und Stern sowie Hollinger beschrieben worden ist; in einem meiner F\u00e4lle, bei einem hochfieberhaften Kranken mit Lungenentz\u00fcndung, betrug der Zuckergehalt des Plasmas 0,202\u00b0/o, ohne da\u00df Zucker ausgeschieden wurde.\nAus den Ingestions- und den Adrenalinversuchen sowie","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers. 'u 297\nTabelle II.\nNr. und Alter\tZuckergehalt im Plasma in \u00b0/o\t\n\tvor der Injektion\t45 Min. nach der Injektion\nI. 32 Jahre\t0,1\t0,15\nII. 33\t\u00bb\t0,07\t0,14\n111. 20 \u00bb\t0,14\t0,17\nIV. 18\t\u00bb\t0,07\t0,19\nV. 26\t\u00bb\t0,06\t0,185\nVI. 65\t\u00bb\t0,15\t0,22\nVII. 45\t\u00bb\t0,1\t0,195\nVIII. 37\t\u00bb\t0,07\t0,22\nIX. 20\t\u00bb\t0,045\t0,165 20 Min. nach der Injektion\nX. 51\t\u00bb\t0,13\t0,145 .\naus den Erfahrungen im Fieber geht \u00fcbereinstimmend hervor, da\u00df die Niere durchaus nicht jede geringste Steigerung des Blutzuckergehaltes mit einer Ausscheidung des Traubenzuckers beantwortet, da\u00df im Gegenteil eine recht breite Zone alleiniger Hyperglyk\u00e4mie existiert, deren obere Grenze man beim Menschen durchschnittlich nicht unter 0,2 \u00b0/o im Plasma anzusetzen braucht. Bei manchen Tierarten ist sie vielleicht noch umf\u00e4nglicher ; so stieg bei einem Kaninchen nach intra-stomachaler Applikation von 15 g Dextrose der Blutzucker auf 0,3o/o, ohne da\u00df die Nylandersche Reaktion im Harn positiv wurde. Jede tempor\u00e4re \u2014 und wohl auch die dauernde \u2014 diabetische St\u00f6rung hat also ein pr\u00e4glykosurisches Vorstadium : indem der Schwellenwert, der zur Zuckerabsonderung f\u00fchrt, in einiger Distanz von dem Normalwerte sich befindet, geht nicht alsbald jedes im Augenblicke nicht Speicher- oder zersetzbare Molek\u00fcl des wichtigen N\u00e4hrstoffes dem Organismus verloren.\nMan kann sich die Vorstellung bilden, da\u00df der Blutzuckerspiegel bis zu einem gewissen Niveau steigen mu\u00df, ehe die Niere \u00abeinschnappt\u00bb ; da\u00df dieses Organ aber, sobald es zu arbeiten anf\u00e4ngt, seine Arbeit so gr\u00fcndlich besorgt, da\u00df nun trotz gleichbleibender Gr\u00f6\u00dfe der St\u00f6rung des Kohlenhydrat-","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nE. Frank,\nUmsatzes der Blutzucker wieder absinkt. Es w\u00fcrde daraus die scheinbar paradoxe Tatsache resultieren, da\u00df die Hyperglyk\u00e4mie, wenn sie mit Glykosurie einhergeht, geringer sein kann, als wenn sie allein besteht ; ja es ist sogar m\u00f6glich, da\u00df die Hyperglyk\u00e4mie bis zu einem gewissen Grade umsomehr gegen den H\u00f6chstwert des pr\u00e4glykosurischen Stadiums absinken wird, je gr\u00f6\u00dfer die an die Niere gestellte Anforderung, der sie treffende Reiz ist, d. h. je gr\u00f6\u00dfere Zuckermengen aus dem K\u00f6rper entfernt werden m\u00fcssen. Die Tatsachen scheinen dem zu entsprechen. Fall V (Tab. I) hat eine Stunde nach Einnahme von 200 g Traubenzucker im Blute 0,212 \u00b0/o im gleichzeitig gelassenen Urin (50 ccm) 0,515\u00b0/o Zucker; nach zwei Stunden ist der Blutzuckerwert (0,115\u00b0/o) dem Ausgangswert bereits wieder nahe, im Urin (140 ccm) finden sich l,24\u00b0/o Zucker. \u00c4hnlich hat es sich wohl in einem Falle von Lief mann und Stern verhalten, bei welchem nach 200 g Glukose einem Blutzuckergehalte von 0,098\u00b0/o im Harne 0,52 \u00b0/o entsprachen. Es fehlen Angaben \u00fcber die zwischen Traubenzuckerverabfolgung und Blutentnahme verflossene Zeit, doch bin ich sicher, da\u00df den Autoren ein Zwischenstadium entgangen ist, in dem Hyperglyk\u00e4mie bestand. Auch die Erh\u00f6hung der physiologischen Glykosurie, die in Fall I und IV meiner Beobachtung auftrat, fand sich nicht zur Zeit des h\u00f6chsten Blutzuckerstandes, sondern w\u00e4hrend des Absinkens.\nEs gilt also f\u00fcr die transitorischen St\u00f6rungen des Zuckerstoffwechsels, da\u00df H\u00f6chstwert der Hyperglyk\u00e4mie und H\u00f6chstwert der Glykosurie gegen einander zeitlich verschoben sind: der st\u00e4rksten Zuckerausscheidung koinzidiert bereits ein Punkt des absteigenden Astes der Blutzuckerkurve. F\u00fcr die Dauerst\u00f6rung, den eigentlichen Diabetes, darf man wohl daraus folgern, da\u00df dessen Glykosurieen mit geringerer Steigerung des Blutzuckergehaltes einhergehen, als wir sie gelegentlich bei nur hyperglyk\u00e4mischen St\u00f6rungen beobachten.\nDies gilt aber sicher nur f\u00fcr leichtere F\u00e4lle; bei der schweren Form der Zuckerkrankheit steigt der Blutzucker unzweifelhaft auf abnorm hohe Werte : so war er z. B. in zwei F\u00e4llen mit 300\u2014400 g (ca. 8\u00b0/o) Tagesausscheidung, die ich","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers. 299\nbeobachtete, 0,5\u00b0/o im Gesamtblut. Es l\u00e4\u00dft sich zurzeit nicht entscheiden, ob man hier, wie ich es vorziehen w\u00fcrde, von einer Art Insufficienz der Niere oder, wie v. Noorden zur Diskussion stellt, von einer erh\u00f6hten Zuckerdichtigkeit des Organes sprechen soll, ln keinem Falle kann es sich dabei um langsam entstehende Anpassungen der Niere handeln ; denn in einem Falle, in dem ich die seltene Gelegenheit hatte, einen ganz leichten Diabetes (mit 0,2-0,3 \u00b0/o Zucker im Harn) innerhalb 24 Stunden in die schwere Form Umschlagen zu sehen, erh\u00f6hte sich der Zuckergehalt des Plasmas sofort auf 0,56\u00b0/o.\nEs. gibt auch leichtere Formen des Diabetes, die mit ungew\u00f6hnlich hohem Blutzuckergehalte verlaufen, meist ist wohl eine (nicht immer manifeste) Funktionsst\u00f6rung der Niere daf\u00fcr verantwortlich zu machen. In manchen dieser F\u00e4lle fehlt jede Zuckerausscheidung im Urin, so fand ich b\u00e8i einem (56j\u00e4hrigen) chronischen Alkoholisten im Blutplasma 0,26\u00b0/o Zucker bei dauernder Zuckerfreiheit des Harns. Diese wahrscheinlich gar nicht so seltenen F\u00e4lle berechtigen, von einer \u00abpathologischen Breite der pr\u00e4glykosurischen Zone\u00bb zu reden, sie illustrieren aufs deutlichste das Facit dieses ganzen Abschnittes, auf der Suche nach St\u00f6rungen des Kohlenhydratstofl Wechsels die Untersuchung des Blutes auf Zucker an Wichtigkeit der des Harnes gleich zu achten.","page":299}],"identifier":"lit19158","issued":"1910-11","language":"de","pages":"291-299","startpages":"291","title":"Weitere Beitr\u00e4ge zur Physiologie des Blutzuckers","type":"Journal Article","volume":"70"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:11:02.988455+00:00"}