The Virtual Laboratory - Resources on Experimental Life Sciences
  • Upload
Log in Sign up

Open Access

Zweiter Theil: Physiologie der Hautempfindungen und der Gemeingefühle, Zweiter Theil: Der Temperatursinn

beta


JSON Export

{"created":"2022-01-31T14:04:15.224248+00:00","id":"lit19183","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hering, Ewald","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, edited by Ludimar Hermann, 415-439. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"ZWEITER THEIL.\nDER TEMPERATURSINN\nVON\nProf. EWALD HERING in Prag.\nI. Das Organ des Temperatursinns und seine Reizmittel.\nWir verstehen unter Temperatursinn das Verm\u00f6gen, kalt und warm zu empfinden und mit H\u00fclfe dieser Empfindungen Temperaturverschiedenheiten der Aussendinge wahrzunehmen.\nOrgan des Temperatursinnes ist nach E. H. Weber1, dem Begr\u00fcnder der Lehre vom Temperatursinne, die ganze \u00e4ussere Haut, die Haut des \u00e4usseren Geh\u00f6rganges, die Schleimhaut der Mund-und Rachenh\u00f6hle, des vorderen Einganges und des Bodens der Nasenh\u00f6hle und der oberen Fl\u00e4che des Gaumenvorhanges, endlich die Schleimhaut des Afters.\nDie Steigerung oder Minderung der Eigenw\u00e4rme eines Nerven in seinem Verlaufe bewirkt nach Weber zwar Schmerzempfindungen und St\u00f6rungen seines Leitungsverm\u00f6gens, aber keine Temperaturempfindungen; ebenso wenig konnte Weber durch Druck auf den Nerv, ulnaris am Ellbogen Temperaturempfindungen im Verbreitungsbezirke dieses Nerven erzeugen. Hiernach h\u00e4tten wir in den mit Temperatursinn begabten Theilen besondere Nervenendapparate von eigent\u00fcmlicher Erregbarkeit anzunehmen, durch deren Vermittlung die Temperaturempfindungen erzeugt werden.\nWeber tauchte die Spitze des Ellbogens in eiskaltes Wasser und empfand nach ungef\u00e4hr 16 Sekunden einen Schmerz, der mit der Empfindung der K\u00e4lte keine Aehnlichkeit hatte und nicht auf den Ellbogen beschr\u00e4nkt war, sondern einen Theil des Unterarmes und der Hand einzunehmen schien. Bei l\u00e4ngerer Fortsetzung des Versuchs entstand das\n1 E. H. Weber, Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. III. 2. S. 481. 1846.","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\tHering, Temperatursinn.\nGef\u00fchl des Eingeschlafenseins an den Fingern im Verbreitungsbezirke des Nerv, ulnaris.\nEin Wasserklystier von 15\u00b0, beziehungsweise 6\u00b0 R., erregte am After ein starkes K\u00e4ltegef\u00fchl; als es eindrang und als es wieder abging. Im Innern des Bauches aber; oder in der Beckenh\u00f6hle hatte der Beobachter kein Gef\u00fchl von K\u00e4lte. Erst nach einiger Zeit glaubte derselbe eine schwache K\u00e4lte in der Gegend der vordem Bauchwand wahrzunehmen; was Weber aus der von innen her erfolgten Abk\u00fchlung der \u00e4ussern Bauchhaut erkl\u00e4rt. Es ist anzunehmen; dass bei diesen Versuchen ausser den Eingeweiden auch gewisse Aeste der Kreuz- und Lendennerven erheblich abgek\u00fchlt wurden.\nAuf eiternden Brandwunden und auf Verbrennungsnarben konnte Weber durch Ber\u00fchrung mit kalten und warmen K\u00f6rpern keine Temperaturempfindungen; sondern nur Schmerz erzeugen. Ein zuvor in Wasser von 7 \u201410\u00b0 R. eingetauchter Spatel wurde von den Patienten nicht von einem andern unterschieden; welcher in Wasser von 36\u201440\u00b0 R. eingetaucht gewesen war, w\u00e4hrend die Unterscheidung auf den unversehrten benachbarten Hautstellen sehr leicht war.\nBeim Verschlucken sehr kalter (bis 0\u00b0) und sehr warmer (bis 50\u00b0 R.) Getr\u00e4nke konnte Weber die Empfindungen der K\u00e4lte oder W\u00e4rme nur im Munde; am Gaumen und im Schlunde; nicht aber in der Speiser\u00f6hre oder im Magen wahrnehmen. In der Magengegend entstand nach dem Trinken des kalten Wassers eine Empfindung; die Weber \u201ef\u00fcr die Empfindung schwacher K\u00e4lte hielt\u201c und auf die Abk\u00fchlung der \u00e4usseren Haut zur\u00fcckf\u00fchrte. Als er das heisse Wasser trank; entstand beim Ankommen der heissen Fl\u00fcssigkeit im Magen ein l\u00e4nger fortdauerndes Gef\u00fchl; aber es war kein deutliches Gef\u00fchl von W\u00e4rme und sogar mit einem K\u00e4ltegef\u00fchl zu verwechseln.\nDie durch einen Anus artificialis zug\u00e4nglich gewordene Dickdarmschleimhaut ber\u00fchrte Weber mit Eis und mit einem heissen Eisen; ohne dass die Patientin irgend eine Empfindung erhielt.\nBeim Einziehen sehr kalter Luft in die Nase empfindet man, wie Weber hervorhob, die K\u00e4lte nur am Eing\u00e4nge und am Boden der Nasenh\u00f6hle sowie auf der obern Fl\u00e4che des weichen Gaumens. . Ber\u00fchrung eines h\u00f6her gelegenen Theiles der Nasenschleimhaut mit einem kalten Eisen bewirkt nur Kitzel, aber kein K\u00e4ltegef\u00fchl.\nDaraus, dass es Weber nicht gelungen ist, durch Temperatur\u00e4nderungen eines Nervenstammes Temperaturempfindungen hervorzurufen, folgt nicht, dass durch Reizung von Hautnerven in ihrem Verlaufe \u00fcberhaupt keine solche Empfindungen erweckt werden k\u00f6nnten (Fick) \\ doch sind eingehendere Untersuchungen \u00fcber die Empfindungen bei mechanischer und elektrischer Reizung der Nervenst\u00e4mme bisher nicht angestellt worden.\nUeber die peripheren Endapparate derjenigen Nerven, welche Temperaturempfindungen vermitteln, ist das II. Capitel des Abschnittes \u00fcber den Tastsinn zu vergleichen, wo auch die Frage\n1 Fick, Lehrb. d. Anat. u. Physiol, d. Sinnesorgane. \u00a7 42. Lahr 1864.","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Das Organ des Temperatursinnes und seine Reizmittel.\n417\ner\u00f6rtert ist, ob etwa dieselben Nervenapparate sowohl dem Temperatur- als dem Drucksinne dienen. Jedenfalls d\u00fcrfen wir annehmen, dass der f\u00fcr den Temperatursinn in Betracht kommende Endapparat, den wir kurz den thermischen Apparat nennen wollen, der Hautoberfl\u00e4che nahe liegt, weil an Hautstellen, die nicht eine besonders dicke Epidermis haben, die Temperaturempfindung \u00e4usserst rasch eintritt, wenn ein kaltes oder warmes Medium mit der Haut in Ber\u00fchrung kommt. Wir k\u00f6nnen daher auch erwarten, dass die Eigentemperatur des thermischen Apparates sich nicht erheblich von derjenigen der Epidermis unterscheidet.\t1\nAls Reizmittel f\u00fcr den thermischen Apparat dient Alles, was dessen Temperatur zu \u00e4ndern vermag, ausserdem aber auch der electrische Strom. Taucht man jede Hand in ein Gef\u00e4ss mit Kochsalzl\u00f6sung, welche so temperirt ist, dass sie sich weder sehr k\u00fchl noch erheblich warm anf\u00fchlt, und schickt durch beide H\u00e4nde einen schwachen galvanischen Strom, so erh\u00e4lt man an der Hand, in welcher der Strom eintritt, das Gef\u00fchl der W\u00e4rme, an der anderen das der K\u00fchle. Nach Ritter 1 bestehen diese Gef\u00fchle bei hinreichend starkem Strome w\u00e4hrend der Dauer des Stromes fort, um nach der Oeffnung ins Gegentheil umzuschlagen. Bei sehr starken Str\u00f6men soll jedoch w\u00e4hrend der Schliessungsdauer das Gef\u00fchl der W\u00e4rme an der Eintrittstelle, das der K\u00e4lte an der Austrittstelle, und nach der Oeffnung beiderseits die entgegengesetzte Empfindung entstehen.\nAuch gewisse chemische Reize rufen in der Mundschleimhaut Empfindungen hervor, welche mindestens viel Aehnlichkeit mit Temperaturempfindungen haben, so das Pfetfermtinz\u00f6l ein Gef\u00fchl von K\u00fchle, Pfeffer ein W\u00e4rmegef\u00fchl.\nII. Die Adaptation des Temperaturorgans.\nIn einem wohltemperirten Zimmer f\u00fchlen wir meist an keiner Stelle des K\u00f6rpers W\u00e4rme oder K\u00e4lte, obwohl dabei die einzelnen Theile des Temperaturorganes sehr verschieden temperirt sind. Die entbl\u00f6ssten Theile der \u00e4ussern Haut sind betr\u00e4chtlich k\u00fchler als die bedeckten, am k\u00fchlsten durchschnittlich die Finger und die Nase, w\u00e4hrend z. B. die Mundschleimhaut zu den am h\u00f6chsten temperirten Theilen des Temperaturorganes geh\u00f6rt.\nDie objective Temperatur, welche der thermische Apparat einer bestimmten Hautstelle hat, wenn wir an dieser Stelle weder W\u00e4rme noch K\u00e4lte f\u00fchlen, nennen wir seine Nullpunktstemperatur,\n1 Ygl. Du Bois-Reymond, Untersuch, \u00fcb. thier. Electricit\u00e4t. S. 356. Berlin 1848.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.\t27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nHering. Temperatursinn.\nweil die Temperaturempfindung dabei so zu sagen auf dem Nullpunkte ist. Dieser physiologische Nullpunkt ist also nicht an eine ganz bestimmte objective Hauttemperatur gebunden, sondern entspricht an verschiedenen Stellen verschiedenen objectiven W\u00e4rmegraden der Haut und insbesondere ihres thermischen Apparats.\nAber auch an einer und derselben Hautstelle ist die physiologische Nullpunktstemperatur nicht immer genau dieselbe. Wenn wir einen Raum, in welchem wir keinerlei Temperaturempfindung hatten, mit einem etwas w\u00e4rmeren (oder k\u00fchleren) vertauschen, so empfinden wir anfangs W\u00e4rme (oder K\u00fchle). Nach l\u00e4ngerem Aufenthalte aber im zweiten Raume kann jede Temperaturempfindung wieder verschwinden. Durch Messung der objectiven Temperaturen der entbl\u00f6ssten Hautstellen l\u00e4sst sich dabei in den meisten F\u00e4llen nachweisen, dass dieselben jetzt wirklich anders temperirt sind, als im ersten Raume. Der Nullpunkt der Temperaturempfindung entspricht also jetzt f\u00fcr dieselbe Hautstelle einer h\u00f6heren oder tieferen Eigentemperatur des thermischen Apparates. Man pflegt in solchen F\u00e4llen zu sagen, dass man sich an die W\u00e4rme oder K\u00fchle des zweiten Raumes gew\u00f6hnt habe, und dieselbe deshalb nicht mehr, wie im Anf\u00e4nge, empfinde. Wir wollen daf\u00fcr sagen, dass der thermische Apparat sich f\u00fcr seine neue Eigentemperatur im zweiten Raume vollst\u00e4ndig adaptirt habe.\nGehen wir aus dem zweiten Raume in den ersten zur\u00fcck, in welchem wir anfangs keinerlei Temperaturempfindung hatten, so erhalten wir nun umgekehrt die Empfindung der K\u00fchle (oder W\u00e4rme), und diese besteht so lange fort, bis sich unser Temperaturorgan abermals adaptirt hat.\nDie Adaptirung ist nur innerhalb gewisser Grenzen m\u00f6glich. Ist die Temperatur eines Raumes, in welchem wir uns lange aufhalten, zu hoch oder zu niedrig, so k\u00f6nnen wir andauernd das Gef\u00fchl der W\u00e4rme, oder, besonders an den H\u00e4nden und F\u00fcssen, das Gef\u00fchl der K\u00e4lte haben.\nBei der vollst\u00e4ndigen Adaptirung ist immer zu bedenken, dass bei Aenderungen der Hauttemperatur, welche durch Aenderung der Temperatur des umgebenden Mediums entstehen, auch der Blutstrom in der Haut und die Wasserverdunstung an derselben, also die Heizung der Haut durch das Blut so wie die W\u00e4rmeabgabe ge\u00e4ndert werden k\u00f6nnen. Kommt nun eine Hantstelle, die bei einer gewissen Temperatur adaptirt war, mit einem z. B. k\u00fchleren Medium in dauernde Ber\u00fchrung, und erweist sie sich nach einiger Zeit wieder vollst\u00e4ndig adaptirt, so muss durch Messungen der objectiven Hauttem-","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Die vollst\u00e4ndige Adaptation.\n419\nperatur festgestellt werden, ob dieselbe nach der zweiten Adaptirung auch wirklich eine andere ist als nach der ersten, und ob also dem Nullpunkte der Empfindung jetzt wirklich eine andere Temperatur der bez\u00fcglichen Hautstelle und ihres thermischen Apparates entspricht. Denn es kann auch der Fall Vorkommen, dass durch Aenderung des Blutstromes und der Verdunstung die Hauttemperatur trotz ver\u00e4nderter Temperatur des umgebenden Mediums wieder dieselbe geworden ist.\nVon der liier beschriebenen Adaptirung, welche lediglich auf eine Aenderung der Erregbarkeit des nerv\u00f6sen Apparates zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, m\u00fcssen wir die auf l\u00e4ngerer Gew\u00f6hnung beruhende Adaptirung der Haut unterscheiden, bei welcher ausserdem bleibende Aenderungen der Circulations- und Secretionsverh\u00e4ltnisse und der Epidermis in Betracht kommen k\u00f6nnen.\nWenn wir an einer Hautstelle weder W\u00e4rme noch K\u00e4lte deutlich empfinden, .haben wir doch immer ein gewisses Gef\u00fchl an dieser Hautstelle; h\u00e4ufig auch kommt es vor, dass wir bei genauerer Aufmerksamkeit doch noch eine schwache W\u00e4rme- oder K\u00e4lteempfindung wahrnehmen. Wenn aber auch Letzteres nicht der Fall ist, so bleibt die M\u00f6glichkeit bestehen, dass in dem stets mehr oder minder deutlich vorhandenen Hautgef\u00fchle, welches man auch als das Gef\u00fchl der r\u00e4umlichen Begrenzung oder Limitation bezeichnet hatl, schwache Temperaturempfindungen mit enthalten sind.\nNach einer unten zu erw\u00e4hnenden Theorie des Temperatursinnes w\u00e4re zu erwarten, dass dem, was wir oben den Nullpunkt der Temperaturempfindung genannt haben, eigentlich ein Zustand entspricht, in welchem wir eine \u00e4usserst schwache W\u00e4rme- und K\u00e4lteempfindung zugleich an einer und derselben Hautstelle haben, Empfindungen, welche zwar zu schwach sind, um deutlich, jede f\u00fcr sich, wahrgenommen zu werden, welche aber doch einen wesentlichen Bestandtheil des immer vorhandenen Hautgef\u00fchles bilden k\u00f6nnten.\nIII. Die Abh\u00e4ngigkeit der Temperaturempfindung von der Eigentemperatur des thermischen Apparates.\nDas Bestimmende f\u00fcr die Temperaturempfindung ist nach Hering 2 die Eigentemper atu?' des thermischen Apparates. So oft derselbe an irgend welcher Hautstelle eine Temperatur hat, welche \u00fcber seiner Nullpunktstemperatur liegt, empfinden wir W\u00e4rme, im entgegengesetzten Falle aber K\u00e4lte. Die eine oder die andere Empfindung ist um so deutlicher oder st\u00e4rker, je mehr die jeweilige Temperatur des thermischen Apparates von seiner Nullpunktstemperatur abweicht. Der K\u00fcrze wegen wollen wir jede \u00fcber der Nullpunktstemperatur, als der\n1\tYergl. Fechner, Psychophysik. IL S. 325. 1860.\n2\tHering, Sitzgsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. LXXY. S. 101. 1877.\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nHering, Temperatursinn.\nneutralen, liegende Temperatur des thermischen Apparates eine positive, jede darunter liegende eine negative Eigentemperatur desselben nennen.\nWenn der thermische Apparat irgend eine constante Temperatur angenommen hat, so bedeutet dies zugleich, dass die W\u00e4rmezufuhr in demselben der W\u00e4rmeabfuhr eben das Gleichgewicht h\u00e4lt. Die W\u00e4rmezufuhr verdankt derselbe, abgesehen von dem Falle der \u00e4ussern W\u00e4rmezufuhr, im Wesentlichen dem Blute, in untergeordneten Maasse auch seinem eignen Stoffwechsel und dem der Nachbartheile. Die W\u00e4rmeabfuhr erfolgt durch Strahlung, durch Leitung an das umgebende Medium und endlich durch die Wasserverdunstung von der Hautoberfl\u00e4che.\nDer fortw\u00e4hrend durch die Haut und also auch durch das thermische Organ von innen nach aussen fliessende W\u00e4rmestrom kann bei einer und derselben Temperatur des Organes eine verschiedene Intensit\u00e4t haben, und umgekehrt kann bei einer und derselben St\u00e4rke des W\u00e4rmestromes das thermische Organ verschieden temperirt sein. Doch hat die jeweilige St\u00e4rke des W\u00e4rmestromes an sich keinerlei Einfluss auf die Temperaturempfmdung. Eine Aenderung der Eigentemperatur des thermischen Apparates wird eintreten m\u00fcssen, sobald eine St\u00f6rung des bis dahin bestandenen Gleichgewichtes zwischen Zufuhr und Abfuhr der W\u00e4rme eintritt; und zwar wird eine Steigerung jener Eigentemperatur erfolgen, wenn sich die Abfuhr mindert, w\u00e4hrend die Zufuhr constant bleibt, oder wenn sich die Zufuhr steigert, w\u00e4hrend die Abfuhr unver\u00e4ndert bleibt, oder wenn beide sich steigern, aber die Zufuhr mehr als die Abfuhr, oder endlich, wenn sich beide mindern, aber die Abfuhr weniger als die Zufuhr. In ganz analoger Weise sind vier verschiedene Veranlassungen zu einer Senkung der Eigentemperatur des thermischen Apparates denkbar. Aus dieser Betrachtung ergiebt sich zugleich, dass die Intensit\u00e4t des W\u00e4rmestromes ebensowohl zu- als abnehmen kann, w\u00e4hrend die Eigentemperatur des thermischen Apparates steigt, und dass dasselbe f\u00fcr den Fall einer Senkung dieser Eigentemperatur gilt.\nDie Veranlassungen zur W\u00e4rmeempfindung. Setzen wir einen unver\u00e4nderten Blutstrom in einer Hautstelle voraus, so wird jede Veranstaltung, bei welcher die W\u00e4rmeabgabe seitens der Haut gemindert wird, gleichsam eine Anstauung der W\u00e4rme und eine positive Eigentemperatur des thermischen Apparates bedingen, falls derselbe zuvor die Nullpunktstemperatur hatte. Wir werden mithin eine W\u00e4rmeempfindung erhalten.\nBefinden wir uns in einem Zimmer, bei dessen Temperatur wir","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Veranlassungen zur W\u00e4rmeempfindung.\n421\nuns adaptirt haben, und ist unsere Hand nur von Luft umgeben, so erfolgt gleichwohl eine fortw\u00e4hrende W\u00e4rmeabgabe von der Haut der Hand theils durch Strahlung, theils durch Erw\u00e4rmung der ber\u00fchrenden Luftschicht, welche in Folge dessen aufsteigt und durch andere Luft ersetzt wird, theils endlich durch Verdunstung. Man bringe nun die Hand von unten her in ein umgekehrtes Becherglas oder noch besser in ein Holzgef\u00e4ss, welches die Zimmertemperatur angenommen hat und gross genug ist, um die Hand ohne Ber\u00fchrung der Seitenwand aufzunehmen, und man wird nach einiger Zeit die Empfindung der W\u00e4rme erhalten. Denn durch das Gef\u00e4ss wird die von der Hand erw\u00e4rmte Luft am Entweichen verhindert, die Verdunstung wird gemindert, weil die Luft mehr und mehr Wasser aufnimmt, und die Strahlung nimmt auch ab, weil das Gef\u00e4ss sich langsam erw\u00e4rmt. In analoger Weise erhalten wir W\u00e4rmeempfindung, wenn wir Pelzhandschuhe anziehen oder sonstwie die Hand passend einh\u00fcllen. In allen solchen F\u00e4llen handelt es sich keineswegs um W\u00e4rmezufuhr zur Hand von aussen; der wesentliche Umstand liegt nur darin, dass der thermische Apparat dabei h\u00f6her temperirt ist, als zuvor.\nViel schneller und st\u00e4rker k\u00f6nnen wir bei dem beschriebenen Versuche W\u00e4rmeempfindung herbeif\u00fchren, wenn wir die Hand in ein Gef\u00e4ss bringen, welches sammt der eingeschlossenen Luft bereits h\u00f6her temperirt ist, als die Zimmerluft, jedoch nicht so hoch, wie die \u00e4usserste Schicht der Epidermis. Kommt die Temperatur der im Gef\u00e4sse enthaltenen Luft der Temperatur der \u00e4usseren Epidermis-schicht auch nur nahe, so f\u00fchlen wir beim Einbringen der Hand sofort deutliche W\u00e4rme. Dasselbe zeigt sich, wenn wir die Hand in Oel tauchen, dessen Temperatur derjenigen der Epidermis sehr nahe steht. In allen solchen F\u00e4llen wird der Haut keine W\u00e4rme von aussen zugef\u00fchrt, sondern die Steigerung der Eigenw\u00e4rme des thermischen Apparates ist lediglich die Folge der geminderten W\u00e4rmeabgabe.\nWie man die Temperatur der \u00e4usseren Epidermisschicht ann\u00e4hernd bestimmen kann, ohne dieselbe direct zu messen, soll unten er\u00f6rtert werden.\nWird die Haut von einem Medium ber\u00fchrt oder bestrahlt, welches h\u00f6her temperirt ist als die Epidermis, so wird nicht nur jede W\u00e4rmeabgabe sofort unm\u00f6glich, sondern die Epidermis nimmt auch W\u00e4rme von aussen auf, um so schneller, je leichter das Medium die W\u00e4rme abgibt, daher sich Metalle unter solchen Umst\u00e4nden w\u00e4rmer anf\u00fchlen, als gleich hoch temperirte schlechte W\u00e4rmeleiter. Ist das","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nHering. Temperatursinn.\nMedium zwar h\u00f6her temperirt, als die Epidermis, aber niedriger als das die Haut durchstr\u00f6mende Blut, so wird die Ueberleitung von W\u00e4rme aus dem die Haut ber\u00fchrenden Medium zur Epidermis sehr bald wieder auf h\u00f6ren, die letztere weiterhin durch die innere W\u00e4rmezufuhr h\u00f6her temperirt werden als das \u00e4ussere Medium, und nun umgekehrt wieder W\u00e4rme an dieses abgeben. Unter allen diesen Umst\u00e4nden haben wir W\u00e4rmeempfindung, weil die Eigentemperatur des thermischen Apparates dabei gesteigert ist. Eine v\u00f6llige Umkehr des W\u00e4rmestromes der Haut kann nur dann eintreten, wenn die Haut dauernd von einem Medium ber\u00fchrt oder bestrahlt wird, welches h\u00f6her temperirt ist, als das die Haut durchfliessende Blut. Dies ist ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig seltener Fall.\nEndlich empfinden wir W\u00e4rme, ohne dass zun\u00e4chst die W\u00e4rmeabgabe ge\u00e4ndert wird, wenn die innere W\u00e4rmezufuhr zur Haut sich steigert. Eine pl\u00f6tzliche Hyper\u00e4mie der G-esichtshaut, wie bei der Schamr\u00f6the, ist deshalb von einer W\u00e4rmeempfindung begleitet. Durch die hierbei eintretende Steigerung der Hauttemperatur wird sehr bald auch die W\u00e4rmeabgabe von derselben und somit der durch die Haut gehende W\u00e4rmestrom gesteigert, w\u00e4hrend dabei die W\u00e4rmeempfindung noch fortbestehen kann.\nNach Vierordt1 ist \u201edie objective Ursache s\u00e4mmtlicher Temperaturempfindungen in letzter Instanz der Durchgang einer bestimmten W\u00e4rmemenge durch die Haut\u201c. \u201eWir percipiren aber\u201c, sagt Vierordt weiter, \u201enicht bloss die St\u00e4rke, sondern auch die Richtung des W\u00e4rmestromes in der Form von W\u00e4rme und K\u00e4lte und zwar unter Umst\u00e4nden ganz unabh\u00e4ngig von der objectiven Temperatur\u00e4nderung der Haut.\u201c Die angef\u00fchrten Thatsachen lehren jedoch, dass sogar in der Mehrzahl der F\u00e4lle, in welchen wir W\u00e4rmeempfindung haben, ein W\u00e4rmestrom durch die Haut in der Richtung von innen nach aussen geht, wenn er auch meistens schw\u00e4cher ist, als bei jenem Zustande des thermischen Apparates, wo derselbe weder W\u00e4rme- noch K\u00e4lteempfindung ausl\u00f6st. Die W\u00e4rmeempfindung bei pl\u00f6tzlicher Hyper\u00e4mie der Haut ist sogar von einer Verst\u00e4rkung des nach Aussen gehenden W\u00e4rmestromes begleitet. Eine ausf\u00fchrlichere Widerlegung der ViERORDT\u2019schen Ansicht findet sich bei Hering (1. c.).\nVeranlassungen zur Empfindung der K\u00fchle oder K\u00e4lte. Eine negative Temperatur des thermischen Apparates und mit ihr die Empfindung der K\u00fchle oder K\u00e4lte kann, wenn der Apparat die Nullpunktstemperatur hat, schon durch st\u00e4rkere Bewegung der die Haut umgebenden Luft herbeigef\u00fchrt werden, weil dadurch die der Haut zun\u00e4chst liegende Luftschicht schneller gewechselt\n1 Vierordt, Grundriss d. Physiol. 5. Aufl. S. 355. 1S77.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Veranlassungen zur K\u00e4lteempfindung.\n423\nund der W\u00e4rme Verlust durch Leitung und Verdunstung gesteigert wird. Es gen\u00fcgt also, z. B. die Hand, die so eben auf dem Nullpunkte der Empfindung war, rasch durch die Luft zu bewegen, oder Luft von Zimmertemperatur gegen die Hand zu blasen, um eine k\u00fchle Empfindung zu erhalten. Ist die Haut feucht und der Luftstrom sehr stark, so kann sogar ein starkes K\u00e4ltegef\u00fchl entstehen. Jede niedere Lufttemperatur wird aus demselben Grunde um so leichter, jede hohe um so schwerer ertragen, je ruhiger die Luft ist.\nDie Ber\u00fchrung der bei einer Zimmertemperatur von beil\u00e4ufig 16\u201418\u00b0 adaptirten Hand mit einem festen oder fl\u00fcssigen K\u00f6rper, welcher dieselbe Temperatur hat, wie die Zimmerluft, f\u00fchrt fast immer das Gef\u00fchl der K\u00e4lte oder K\u00fchle herbei, weil feste und fl\u00fcssige K\u00f6rper der Haut die W\u00e4rme rascher entziehen, als die Luft. Man tauche die Hand in Oel, Wasser oder Quecksilber von Zimmertemperatur, und man wird im Oel schwache, im Wasser st\u00e4rkere K\u00fchle, im Quecksilber aber K\u00e4lte f\u00fchlen. Tuch, Leder, Papier, Holz, Glas, Porzellan von derselben Temperatur f\u00fchlen sich deutlich k\u00fchl an, besonders, wenn man die ganze Handfl\u00e4che auf legt, und zwar um so k\u00fchler, je gl\u00e4tter sie sind. Glatte K\u00f6rper erzeugen unter den genannten Umst\u00e4nden eine deutlichere Empfindung der K\u00fchle, weil sie mit der Haut in innigere Ber\u00fchrung kommen als rauhe Fl\u00e4chen, die nur mit ihren Vorspr\u00fcngen die Haut ber\u00fchren, w\u00e4hrend im Uebri-gen die Haut mit der zwischen diesen Vorspr\u00fcngen befindlichen Luft in Ber\u00fchrung bleibt. Da ferner, wie schon E. H. Weber hervorhob, die Deutlichkeit oder Intensit\u00e4t einer Temperaturempfindung um so gr\u00f6sser ist, je gr\u00f6sser die betheiligte Hautfl\u00e4che, so gen\u00fcgt es in den erw\u00e4hnten F\u00e4llen oft nicht, den festen oder fl\u00fcssigen K\u00f6rper nur mit einem Finger zu ber\u00fchren, um die K\u00fchle deutlich zu f\u00fchlen, sondern man muss die ganze Hand auflegen.\nDa das W\u00e4rmeentziehungsverm\u00f6gen 1 der genannten Substanzen ein verschiedenes ist, so ist auch, trotz gleicher Temperatur und sonst gleichen Bedingungen, die Herabsetzung der Eigentemperatur des thermischen Apparats eine verschieden grosse, und deshalb die Empfindung der K\u00fchle verschieden deutlich. Am st\u00e4rksten entziehen die Metalle der Haut die W\u00e4rme, und deshalb f\u00fchlen sich dieselben kalt an, auch wenn sie gleich hoch oder sogar etwas h\u00f6her tempe-rirt sind, wie eine Luft, in welcher die Haut weder W\u00e4rme noch K\u00e4lte f\u00fchlt. Die Empfindung der K\u00fchle wird immer dann entstehen\n1 Das W\u00e4rmeentziehungs verm\u00f6gen eines K\u00f6rpers ist von seinem Leitungsverm\u00f6gen, seiner specifischen W\u00e4rme und nach dem oben Gesagten auch von der Art seiner Oberfl\u00e4che abh\u00e4ngig.","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nHering, Temperatursinn.\nm\u00fcssen, wenn jene K\u00f6rper trotz ihrer h\u00f6heren Temperatur doch der Haut mehr W\u00e4rme entziehen, als die minder warme Luft. Denn die W\u00e4rmeentziehung w\u00e4chst einerseits mit der Temperaturdifferenz zwischen der Epidermis und dem ber\u00fchrenden Medium, anderseits mit dem W\u00e4rmeentziehungsverm\u00f6gen des letzteren. Es kann also trotz kleinerer Temperaturdifferenz doch die W\u00e4rmeentziehung st\u00e4rker sein.\nF\u00fcr jeden festen oder fl\u00fcssigen K\u00f6rper wird es ferner eine Temperatur geben m\u00fcssen, bei welcher derselbe der Haut genau ebenso viel W\u00e4rme in der Zeiteinheit entzieht, als zuvor die Luft, in welcher die Haut auf dem Nullpunkte der Temperaturempfindung war. Diese Temperatur des festen oder fl\u00fcssigen K\u00f6rpers wird sich derjenigen der Epidermis um so mehr n\u00e4hern, je st\u00e4rker das W\u00e4rmeentziehungsverm\u00f6gen der bez\u00fcglichen Substanz ist. Nimmt man drei Fl\u00fcssigkeiten, deren W\u00e4rmeentziehungsverm\u00f6gen verschieden ist, wie z. B. Oel, Wasser und Quecksilber, und bringt jede dieser Fl\u00fcssigkeiten auf diejenige Temperatur, bei welcher der eingetauchte Finger weder W\u00e4rme noch K\u00e4lte empfindet, weil in der Fl\u00fcssigkeit die W\u00e4rmeabgabe von der Haut ebenso gross ist als zuvor in der Luft, so ergibt sich, dass das Quecksilber dabei eine h\u00f6here Temperatur hat, als das Wasser, und dieses wieder eine h\u00f6here, als das Oel.\nDie Temperatur eines Quecksilbers, welches beim Eintauchen eines Fingers weder warm noch k\u00fchl erscheint, kommt jedenfalls der Temperatur der Epidermis sehr nahe; denn w\u00e4re sie auch nur ein wenig h\u00f6her, so w\u00fcrde das gut leitende Quecksilber die Temperatur der Haut sehr bald steigern und W\u00e4rmeempfindung herbeif\u00fchren, w\u00e4re sie irgend erheblich tiefer, so w\u00fcrde das Quecksilber der Haut mehr W\u00e4rme entziehen, als zuvor die schlecht leitende Luft, die Haut sich also abk\u00fchlen und das Gef\u00fchl der K\u00fchle entstehen m\u00fc\u00e9sen. Man kann also durch den beschriebenen Versuch die Eigentemperatur der Epidermis ann\u00e4hernd bestimmen.\nBei einer Zimmertemperatur von 17 \u201419\u00b0 fand Hering die fragliche Temperatur des Quecksilbers in zahlreichen Versuchen zwischen 25 und 31\u00b0 C. Dabei zeigte sich, dass die verschiedenen Finger derselben Hand, obwohl sie sich Stunden lang unter ganz gleichen Verh\u00e4ltnissen befunden hatten, in demselben Quecksilber ganz verschiedene Empfindungen gaben. So empfand \u00f6fters der Daumen und Zeigefinger in demselben Quecksilber schwache K\u00fchle, in welchem der Mittelfinger wTeder W\u00e4rme noch K\u00e4lte und der kleine Finger schwache W\u00e4rme empfand. Dies war beispielsweise einmal der Fall bei 18\u00b0 Zimmertemperatur und 26.7\u00b0 Quecksilbertemperatur. Damit stimmt \u00fcberein, dass man \u00d6fters am kleinen und vierten Finger sehr schwache K\u00fchle bei einer Zimmertemperatur empfindet, die","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Die ad\u00e4quate Temperatur.\n425\nan der \u00fcbrigen Hand noch gar keine Temperaturempfindung hervorruft, und dass diese beiden Finger sich \u00f6fters k\u00fchl anf\u00fchlen, wenn man sie mit der andern Hand anfasst, w\u00e4hrend dies bei den \u00fcbrigen Fingern nicht der Fall ist.\nOel, welches so temperirt ist, dass es weder W\u00e4rme- noch K\u00e4lteempfindung giebt, f\u00fchlt man beim langsamen Eintauchen gar nicht, weil der Druck, den es dabei auf die Haut ausiibt, zu schwach ist. Quecksilber dagegen giebt unter analogen Bedingungen eine deutliche Druckempfindung.\nIst uns eine Hautstelle gegeben, welche f\u00fcr die Bedingungen der W\u00e4rme-Zufuhr und Abfuhr, unter denen sie sich befindet, eben vollkommen adaptirt ist und also weder K\u00fchle noch W\u00e4rme f\u00fchlt, und empfindet diese Hautstelle bei Ber\u00fchrung mit einem andern Medium gleichfalls weder W\u00e4rme noch K\u00fchle, weil dasselbe der Haut nur ebenso viel W\u00e4rme in derselben Zeit entzieht, als ihr zuvor entzogen wurde, so nennen wir die Temperatur des neuen Mediums die ad\u00e4quate Temperatur desselben.\nHat also ein K\u00f6rper in Bezug auf die ber\u00fchrte Hautstelle die ad\u00e4quate Temperatur, so f\u00fchlt er sich weder kalt noch warm an, hat er eine h\u00f6here, so scheint er warm, im entgegengesetzten Falle kalt, um so deutlicher, je mehr seine wirkliche Temperatur von der ad\u00e4quaten abweicht.\nDa die Gr\u00f6sse der W\u00e4rmeabgabe auch bei vollst\u00e4ndiger Adaptation an verschiedenen Hautstellen eine verschiedene und sogar an derselben Hautstelle keineswegs immer dieselbe ist, so ist auch die ad\u00e4quate Temperatur f\u00fcr eine und dieselbe Substanz und in Bezug auf eine und dieselbe Hautstelle nicht immer dieselbe. Man muss sie aber in jedem bestimmten Einzelfalle kennen, wenn man an einer Hautstelle die Feinheit des Temperatursinnes messen will. (s. u.)\nDie Empfindung der K\u00fchle oder K\u00e4lte tritt auch ohne Ber\u00fchrung eines kalten K\u00f6rpers ein, wenn derselbe eine Steigerung des W\u00e4rmeverlustes der Haut durch Strahlung bedingt, daher wir z. B. in einem Zimmer, dessen Lufttemperatur relativ hoch, dessen W\u00e4nde aber noch sehr kalt sind, doch frieren k\u00f6nnen.\nWenn die innere W\u00e4rmezufuhr zur Haut sich mindert, wie z. B. bei Gef\u00e4sscontraction, so kann die Temperatur des thermischen Apparates ebenfalls negativ werden. Hierauf pflegt man das K\u00e4ltegef\u00fchl beim Fieberanfall zu beziehen. Es ist bemerkenswerth, dass die Minderung der innern W\u00e4rmezufuhr mittelbar auch eine Minderung der W\u00e4rmeabfuhr bedingt, und dass also hier trotz einer Abnahme des von Innen nach Aussen gehenden W\u00e4rmestromes die Empfindung der K\u00e4lte eintritt.","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nHering, Temperatursinn.\nIV. Die Verschiebung des physiologischen Nullpunktes.\nEs wurde schon oben angegeben, dass selbst f\u00fcr eine und dieselbe Hautstelle die neutrale Eigentemperatur des thermischen Apparates nicht immer dieselbe ist, sich vielmehr der Nullpunkt der Temperaturempfindung in Folge der Adaptation auf der objectiven Scala der Eigentemperaturen jenes Apparates gleichsam verschieben kann.\nDiese Verschiebung erfolgt ziemlich rasch und f\u00fchrt zu einer Reihe von Erscheinungen, welche man auf ver\u00e4nderte Erregbarkeit zu beziehen und als Erm\u00fcdungs- und Contrasterscheinungen zu bezeichnen pflegt.\nMan bestimme f\u00fcr eine beliebige Hautstelle, z. B. einen Finger, die ad\u00e4quate Temperatur des Quecksilbers und stelle zwei Queck-silbergef\u00e4sse nebeneinander, deren eines Quecksilber von dieser ad\u00e4quaten, das andere solches von einer wenige Grade hohem oder tiefem Temperatur enth\u00e4lt. Taucht man den Finger in letzteres, so f\u00fchlt man anfangs deutlich W\u00e4rme oder K\u00fchle, sehr bald aber l\u00e4sst die Deutlichkeit der Empfindung nach. Taucht man jetzt einen zweiten Finger ein, so erh\u00e4lt derselbe wieder eine deutliche Temperaturempfindung.\nNehmen wir an, das zweite Quecksilber sei etwas k\u00e4lter gewesen als das erste, so wird beim Eintauchen des Fingers in Folge des etwas gesteigerten W\u00e4rmeabflusses die Temperatur des thermischen Apparates zun\u00e4chst sinken, anfangs schneller, dann langsamer, schliesslich aber wird sich ein neues Gleichgewicht zwischen der W\u00e4rmezufuhr und dem W\u00e4rmeabflusse bilden und die Eigentemperatur des thermischen Apparates wieder constant werden, aber immer niedriger bleiben m\u00fcssen, als vorher.\nWir m\u00fcssten demnach, so scheint es, anfangs eine zunehmende und schliesslich constant bleibende Empfindung von K\u00fchle haben. Dies ist aber nicht der Fall, weil bei jeder andauernden W\u00e4rmeoder K\u00e4lteempfindung die Nullpunktstemperatur des thermischen Apparates sich ersteren Falls etwas nach oben, letzteren Falls etwas nach unten verschiebt, um so schneller und um so mehr, je st\u00e4rker die W\u00e4rme- oder K\u00e4lteempfindung ist. Es tritt also eine rasche, wenn auch unvollst\u00e4ndige Adaptation des thermischen Apparates f\u00fcr seine neue Eigentemperatur ein, in \u00e4hnlicher Weise, wie sich das Auge rasch f\u00fcr verschiedene Lichtst\u00e4rken adaptirt.\nWurde die Eigentemperatur des thermischen Apparates in Folge des Eintauchens in das Quecksilber bis zu einem gewissen Grade","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Unvollst\u00e4ndige Adaptation. Contrastempfindungen.\n427\nnegativ, so wird diese Negativit\u00e4t und entsprechend die Deutlichkeit der k\u00fchlen Empfindung um so geringer, je mehr in Folge der beginnenden Adaptation der Nullpunkt des thermischen Apparates herabsteigt, Dauert die schwach negative Temperatur des letzteren sehr lange an, so erfolgt, wie schon oben auseinandergesetzt wurde, die vo-llst\u00e4ndige Adaptation f\u00fcr dieselbe, d. h. der Nullpunkt der Empfindung r\u00fcckt langsam soweit hinab, dass er endlich mit der neuen Eigentemperatur wieder zusammenf\u00e4llt. Damit h\u00f6rt nun auch die Empfindung der K\u00fchle v\u00f6llig auf. In ganz entsprechender Weise verh\u00e4lt es sich beim Eintauchen des Fingers in ein Quecksilber, dessen Temperatur etwas \u00fcber der ad\u00e4quaten Temperatur liegt. Es kommt auch hier sehr bald eine unvollst\u00e4ndige Adaptation des thermischen Apparates f\u00fcr seine h\u00f6her gewordene Eigentemperatur zu Stande, wodurch die Positivit\u00e4t derselben und damit zugleich die anf\u00e4ngliche W\u00e4rmeempfindung wieder gemindert wird.\nHat sich in Folge des Bestehens einer W\u00e4rme- oder K\u00e4lte-Empfindung die Nullpunktstemperatur ver\u00e4ndert, so kann auch die zuvor ad\u00e4quat gewesene Temperatur irgend eines Mediums dies nicht ferner sein. Haben wir also z. B. den Finger f\u00fcr einige Zeit in das Quecksilber getaucht, dessen Temperatur etwas \u00fcber der ad\u00e4quaten lag, ist in Folge dessen die Nullpunktstemperatur eine etwas h\u00f6here geworden, und bringen wir nun den Finger in das erste Quecksilber zur\u00fcck, welches zuvor ad\u00e4quat temperirt war und sich weder k\u00fchl noch warm anf\u00fchlte, so giebt dieses jetzt die Empfindung der K\u00fchle. Wir haben hier also eine sogenannte Cont r astern p fin dung.\nUm derartige Contrastempfindungen zu demonstriren, ist es am zweckm\u00e4ssigsten, ein Gef\u00e4ss mit Quecksilber oder Wasser von ann\u00e4hernd ad\u00e4quater Temperatur zu f\u00fcllen, dann rechts und links je ein anderes Gef\u00e4ss mit derselben Fl\u00fcssigkeit aufzustellen, dessen Temperatur einerseits viel h\u00f6her, anderseits viel tiefer ist als die ad\u00e4quate. Man l\u00e4sst nun die rechte und linke Hand oder auch nur je einen Finger derselben in eines dieser Gef\u00e4sse f\u00fcr einige Zeit eintauchen und dann beide H\u00e4nde in das Mittelgef\u00e4ss bringen. Die Hand, welche anfangs in der k\u00e4lteren Fl\u00fcssigkeit war, f\u00fchlt nun W\u00e4rme, die andere K\u00e4lte, obwohl beide sich in derselben Fl\u00fcssigkeit befinden, welche kurz vorher keiner Hand merklich kalt oder warm erschien.\nAus der unvollst\u00e4ndigen Adaptation oder Verschiebung des Nullpunktes in Folge andauernder W\u00e4rme- oder K\u00e4lteempfindung erkl\u00e4ren sich auch folgende schon von Weber angef\u00fchrte Thatsachen: Taucht man die Hand 1 Minute in Wasser von 12,5\u00b0 C. und dann in ein","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nHering, Temperatursinn.\nsolches von 18\u00b0 C., so hat man im letzteren einige Sekunden lang das Gef\u00fchl der W\u00e4rme, obwohl solches Wasser, wenn man die Hand gleich anfangs hinein gebracht h\u00e4tte, die Empfindung der K\u00fchle gemacht haben w\u00fcrde. \u201eTauchen wir die eine Hand in ein m\u00e4ssig kaltes Wasser unter, w\u00e4hrend Wir die andere wiederholt, aber nur auf einen Augenblick eintauch en, so glauben wir in der letzteren Hand die Empfindung eines h\u00f6heren K\u00e4ltegrades zu haben, als in der ersteren, und doch sinkt die Temperatur in der Haut der ersten Hand tiefer als in der letzteren.\u201c -\u2014\nEs kommt h\u00e4ufig vor, dass ein K\u00f6rper, der sich anfangs k\u00fchl anf\u00fchlte, bei l\u00e4ngerer Dauer der Ber\u00fchrung die Empfindung der W\u00e4rme giebt, und auch der umgekehrte Fall kann eintreten, dass ein anfangs warm scheinender K\u00f6rper weiterhin die Empfindung der K\u00e4lte erzeugt. Legen wir die auf dem Nullpunkte der Empfindung befindliche Hand an einen schlechten W\u00e4rmeleiter, wie z. B. Wachs-taffet von Zimmertemperatur, so f\u00fchlt sich derselbe, wie oben er\u00f6rtert wurde, anfangs k\u00fchl an, bald aber verschwindet die K\u00fchle und macht einer deutlichen, bis zu einem gewissen Grade wachsenden und lange anhaltenden W\u00e4rmeempfindung Platz. Die anf\u00e4nglich k\u00fchle Empfindung ist oben erkl\u00e4rt worden. Dass nachher W\u00e4rme empfunden wird, erkl\u00e4rt sich daraus, dass die von der Haut abgegebene W\u00e4rme sich in dem schlechten W\u00e4rmeleiter aufstaut, denselben zunehmend h\u00f6her temperirt und dadurch eine positive Temperatur des thermischen Apparates erzeugt, dessen Nullpunkt sich \u00fcberdies im Anf\u00e4nge etwas nach unten verschoben hatte.\nBei dem oben beschriebenen Versuche Weber\u2019s zeigte sich, dass eine Hand, welche eine Minute lang in Wasser von 12,50 C. getaucht war, nachher in Wasser von 18 0 C. gebracht W\u00e4rme empfand. Diese W\u00e4rmeempfindung weicht aber, wenn die Hand eingetaucht bleibt, bald wieder einem Gef\u00fchl von K\u00fchle. Im Wasser von 12,5\u00b0 war der thermische Apparat abgek\u00fchlt worden, und zugleich hatte sich die Nullpunktstemperatur desselben etwas nach unten verschoben. Im Wasser von 18\u00b0 aber trat in Folge der relativ geminderten W\u00e4rmeabgabe wieder eine m\u00e4ssige Steigerung der Temperatur des thermischen Apparates ein, so dass dieselbe (wegen der vorhergegangenen Verschiebung des Nullpunktes der Empfindung) sogar etwas positiv werden konnte. Da aber im Wasser von 180 die W\u00e4rmeabgabe immerhin viel gr\u00f6sser ist, als in der Luft, so muss sehr bald der vor\u00fcbergehenden Erh\u00f6hung der Temperatur des thermischen Apparates wieder eine Senkung derselben folgen, weil die Abk\u00fchlung der Haut bis zu einem gewissen Grade immer weiter in die Tiefe greift","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"E. H. Weber\u2019s Theorie.\n429\nund immer st\u00e4rker wird. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Epidermis im Wasser allm\u00e4hlich mehr und mehr durchfeuchtet und somit ein immer besserer W\u00e4rmeleiter wird. Analoge Bedingungen sind gegeben, wenn wir nach der, durch die Entkleidung bedingten Abk\u00fchlung in ein m\u00e4ssigwarmes Bad steigen; wir haben dann anfangs das Gef\u00fchl deutlicher W\u00e4rme, fangen aber nach einiger Zeit an zu frieren, auch wenn die Temperatur des Wassers constant geblieben ist. Allerdings kommen hierbei noch anderweite Umst\u00e4nde in Betracht, indessen passt obige Auseinandersetzung mit der n\u00f6thigen Einschr\u00e4nkung auch f\u00fcr diesen Fall.\nWegen der im Wasser eintretenden Aufquellung der Epidermis erscheint das Experimentiren mit dieser Fl\u00fcssigkeit \u00fcberhaupt nicht zweckm\u00e4ssig. F\u00fcr die meisten Versuche d\u00fcrfte das Quecksilber am geeignetsten sein, vorausgesetzt, dass es in grossen Quantit\u00e4ten benutzt wird. Denn kleine Mengen \u00e4ndern in Folge der W\u00e4rmeabgabe seitens der Haut zu rasch ihre Temperatur.\nDie hier beschriebenen Thatsachen waren es wohl besonders, welche E. H. Weber zu der Vermutliung veranlassten, dass nicht die jeweilige Temperatur des thermischen Apparats, sondern vielmehr der Akt des St eigens oder Fallens seiner Eigentemperatur die wesentliche Ursache der W\u00e4rme- oder K\u00e4lteempfindung sei. Weber f\u00fchrt jedoch schon selbst einen Versuch an, welcher dieser Ansicht widerspricht. \u201eWenn man einen Tlieil der Haut des Gesichtes z. B. die Stirn mit einem 2,5\u00b0 C. kalten Metallstabe einige Zeit z. B. 30 Secunden lang in Ber\u00fchrung bringt und denselben dann entfernt, so f\u00fchlt man ungef\u00e4hr 20 Secunden lang die K\u00e4lte in jenem Theile der Haut.\u201c W\u00e4hrend dieser Zeit steigt wieder die Temperatur des thermischen Apparates in der Haut, und wir m\u00fcssten also nach Weber\u2019s Annahme die Empfindung der W\u00e4rme haben. Weber hat zwar versucht diesen Widerspruch zu l\u00f6sen, indess hat Hering (1. c.) das Ungen\u00fcgende dieser L\u00f6sung auseinandergesetzt.\nSchon fr\u00fcher aber hat Vierordt (1. c.) die WEBER\u2019sche Ansicht als entschieden unhaltbar dargethan, und auch Fechner 1 hat Bedenken gegen dieselbe erhoben. \u201eDr\u00fcckt man\u201c, sagt Vierordt, \u201ebei mittler Zimmerw\u00e4rme ein kaltes Metallst\u00fcck (von \u2014 2 bis \u2014 8\u00b0) etwa 20 Secunden hindurch gegen den Handteller, so f\u00e4llt die Temperatur des letzteren um 5 bis 8\u00b0 C. Man hat zugleich eine schmerzhafte Empfindung. Nach Entfernung des Metalls erw\u00e4rmt sich die erk\u00e4ltete Haut, anfangs rasch, sp\u00e4ter langsamer, doch so, dass selbst nach 5 bis 8 Minuten die Haut noch nicht ihre fr\u00fchere Temperatur erreicht hat. W\u00e4hrend dieser ganzen Zeit des objectiven Temperatur s t e i g e n s der Haut hat man deutliches K\u00e4ltegef\u00fchl. Bringt man umgekehrt ein recht warmes (\u00fcbrigens nicht schmerzendes) Metallst\u00fcck mit der Haut kurze Zeit in Ber\u00fchrung, so steigt die Hautw\u00e4rme um 1 bis 2\u00b0. K\u00fchlt sich, nach Entfernung des warmen K\u00f6rpers die Haut langsam ab, so hat man minutenlang (7' und dar\u00fcber) ein Gef\u00fchl von W\u00e4rme. \u201c\n1 Fechner, 1. c. S. 201.","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430\nHering, Temperatur sinn.\n\u201e Wir haben anhaltendes Temperaturgef\u00fchl, so lange wir in der N\u00e4he eines geheizten Ofens verweilen, oder eine Hautstelle mit einem geh\u00f6rig warmen oder kalten K\u00f6rper in Ber\u00fchrung bringen\u201c, obwohl doch hier die Eigenw\u00e4rme des thermischen Apparates nicht fortw\u00e4hrend steigen oder fallen kann, sondern schon constant werden muss, w\u00e4hrend die Temperaturempfindung noch fortdauert.\nDer W:Eber1 sehe Satz muss selbstverst\u00e4ndlich f\u00fcr sehr viele F\u00e4lle zutreffen, weil eine negative oder positive Temperatur des thermischen Apparats, wenn derselbe zuvor neutral temperirt war, nur durch den Akt des Steigens oder Fallens seiner Temperatur m\u00f6glich wird. F\u00fcr eine Theorie des Temperatursinnes aber war es von der h\u00f6chsten Bedeutung, festzustellen, ob die jeweilige Positivit\u00e4t und Negativit\u00e4t der Eigentemperatur des thermischen Apparats das Bestimmende f\u00fcr die Temperaturempfindung ist oder aber nur der Akt der Ver\u00e4nderung dieser Temperatur.\nY. Die Bedingungen der St\u00e4rke der Teniperatiirempfindung.\nDie St\u00e4rke der Temperaturempfindung h\u00e4ngt, wie schon gesagt, zun\u00e4chst davon ab, um wie viel die jeweilige Eigentemperatur des thermischen Apparates in positiver oder negativer Richtung von der \u00cfYutIpunktslemperatur abweicht. Ein bestimmtes Gesetz aber, nach welchem die St\u00e4rke der Empfindung mit der Gr\u00f6sse dieser Abweichung w\u00e4chst, l\u00e4sst sich nicht angeben. Gew\u00f6hnlich nimmt man mit Fechner an, dass eine um so gr\u00f6ssere Steigerung oder Senkung der Hauttemperatur nothwendig ist, um einen gleich starken Empfindungs-zuwuchs zu geben, je h\u00f6her oder tiefer die Hauttemperatur bereits ist; denn zahlreiche Versuche haben als wahrscheinlich ergeben, dass das Unterscheidungsverm\u00f6gen f\u00fcr Temperaturdifferenzen ber\u00fchrter K\u00f6rper um so geringer wird, je mehr die absolute H\u00f6he oder Tiefe der zu unterscheidenden Temperaturen von der mittlen Hauttemperatur abliegt (s. u.).\nEs begreift sich, dass der genauen Feststellung eines solchen Gesetzes ausserordentliche Schwierigkeiten entgegenstehen, weil es erstens nicht m\u00f6glich ist, die jeweilige Temperatur des thermischen Apparates genau zu messen, und weil anderseits die Nullpunktstemperatur dieses Apparates variabel ist und sich w\u00e4hrend des Versuches \u00e4ndert. Wir m\u00fcssten nicht blos die jeweilige Temperatur des thermischen Apparats, sondern die positive oder negative Abweichung derselben von der Nullpunktstemperatur kennen, um das Gesetz finden zu k\u00f6nnen, nach welchem die Unterschiedsempfindlichkeit mit der Gr\u00f6sse dieser Abweichungen sich \u00e4ndert. W\u00e4re aber dieses Gesetz gefunden, so w\u00fcrde sich daraus ein Gesetz, nach welchem die Intensit\u00e4t der Temperaturempfindung mit der positiven oder negativen Gr\u00f6sse der Temperatur des thermischen Apparats w\u00e4chst, auch nur auf Grund einer psychophysischen Hypothese ab-leiten lassen.","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"St\u00e4rke der Temperaturempfindung.\n431\nE. H. Weber hat darauf aufmerksam gemacht, \u201edass auch die Gr\u00f6sse des St\u00fccks der Haut, welches gleichzeitig von einem warmen oder kalten K\u00f6rper afficirt wird, einen Einfluss auf die Temperaturempfindung hat. Wenn man in dieselbe warme oder kalte Fl\u00fcssigkeit den Zeigefinger der einen Hand und die ganze andere Hand gleichzeitig eintaucht, so ist die Empfindung in beiden Gliedern nicht dieselbe, sondern in der ganzen Hand heftiger. Diese gr\u00f6ssere St\u00e4rke des Eindrucks, die daher r\u00fchrt, dass gleichzeitig derselbe Eindruck auf viel mehr empfindliche Punkte gemacht wird, verwechselt man mit derjenigen St\u00e4rke des Eindrucks, die unter anderen Umst\u00e4nden dadurch entsteht, dass die Fl\u00fcssigkeit eine h\u00f6here oder eine niedere Temperatur hat. Es f\u00fchlt sich daher kaltes Wasser mit der ganzen Hand k\u00e4lter, warmes Wasser mit derselben w\u00e4rmer an, als mit einem einzelnen Finger, ungeachtet man doch weiss, dass man beide Glieder in dasselbe Wasser eintaucht. Weiss man das nicht, indem man die beiden Glieder in Gef\u00e4sse mit Wasser eintaucht, deren Temperatur man nicht kennt, so wird man verleitet, Wasser, welches + 291-2\u00b0 E. warm ist, und in das man die ganze Hand eintaucht, f\u00fcr w\u00e4rmer zu halten als Wasser, das -(-32\u00b0 R. warm ist, und in das man nur einen Finger eintaucht, und in dieselbe T\u00e4uschung wird man versetzt, wenn man Wasser von -f- 170 und + 19\u00b0 E. auf dieselbe Weise untersucht, wo uns dann das Wasser, welches eine Temperatur von + 19\u00b0 R. hat, und in das wir die ganze Hand eintauchen, k\u00e4lter zu sein scheint als das andere, ungeachtet letzteres um 2\u00b0 R. minder warm ist.\u201c\nDie Verschiedenheiten der Empfindlichkeit f\u00fcr Temperatureindr\u00fccke an verschiedenen Hautstellen hat ebenfalls zuerst E. H. Weber untersucht. Er erkl\u00e4rt dieselben theils aus der verschiedenen Dicke der Epidermis l, theils aus Verschiedenheiten des nerv\u00f6sen Apparates. Doch kommen hier auch die Verschiedenheiten der Eigentemperatur der Haut und insbesondere des thermischen Apparates mit in Betracht, wenn man die Untersuchungsmethode Weber\u2019s anwendet. Derselbe benutzte theils Glasphiolen, die er mit Oel f\u00fcllte, durch Eintauchen in warmes oder kaltes Wasser temperirte und dann auf die Haut aufsetzte, theils einen grossen Schl\u00fcssel, den er erw\u00e4rmte oder erk\u00e4ltete, und mit dessen abgerundetem Ende er die Haut ber\u00fchrte.\nDie Haut des Gesichtes schien Weber alle anderen Theile an Empfindlichkeit zu \u00fcbertreffen, insbesondere galt dies von den Augen-\n1 Ueber das W\u00e4rmeleitungsverm\u00f6gen der Epidermis sowie der Haut \u00fcberhaupt vergl. Klug, Ztschr. f. Biologie. X. S. 73. 1874.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432\nHering, Temperatur sinn.\nlidern und den Backen. Erstere waren am \u00e4usseren und inneren Augenwinkel empfindlicher als in der Mitte. Die Lippen standen den Lidern und Backen nach und waren auf den Seitentheilen empfindlicher, als in der Mitte, w\u00e4hrend, wie Weber hervorhebt, der Ortsinn an den Lippen viel feiner ist, als an den Backen, und auf der Mitte feiner, als an den Seitentheilen. Am Halse war die Empfindlichkeit f\u00fcr Temperatureindr\u00fccke viel geringer, als im Gesichte. Die Haut in der Gegend der Medianlinie des Gesichtes, der Brust, des Bauches und des R\u00fcckens war viel weniger empfindlich als die seitlich angrenzenden Theile, die Empfindlichkeit an der Nasenspitze viel geringer als an den Seiten der Nase, viel gr\u00f6sser an den Nasenfl\u00fcgeln und am gr\u00f6ssten am unteren Rand des \u00e4usseren Theiles derselben. Dicht vor dem Tragus des Ohres war die Empfindlichkeit viel gr\u00f6sser als an den Lippen, \u00fcber dem unteren Rand der Kinnlade gr\u00f6sser als am Kinn, in der Schl\u00e4fengegend \u00fcber dem Jochbogen gr\u00f6sser als in der Mitte der Stirn \u00fcber der Glabella. Die innere Haut der Nase zeigte eine sehr geringe Empfindlichkeit, die Haut <Rs Geh\u00f6rganges dagegen eine grosse. \u201eDen Anfang des ersten Gliedes des Zeigefingers in der Hohlhand, bis zu welchem die Spalte zwischen den Fingern nicht reicht\u201c fand Weber empfindlicher als die entsprechenden Theile am dritten, vierten und f\u00fcnften Finger, den Ballen des Daumens empfindlicher als den des kleinen Fingers, die Gegend \u00fcber dem Olecranon empfindlicher als die Haut auf der Mitte des M. triceps oder biceps, die Gegend des Trochanter empfindlicher als die der Crista ilei.\nNothnagel1 hat, ebenfalls mit einem kalten oder warmen Eisen, die Versuche Weber\u2019s an verschiedenen Personen und an sich selbst wiederholt und Folgendes dar\u00fcber mitgetheilt: \u201eDie empfindlichsten Partieen des Gesichtes, welche nur noch durch die Seitenwandungen des Rumpfes erreicht werden, sind die Lider, die Wangen und die Schl\u00e4fen, die stumpfeste ist der Nasenr\u00fccken. Der Rumpf ist stumpfer als das Gesicht. Die vordere Thoraxwand ist unten meist empfindlicher als oben, der R\u00fccken unempfindlicher als die vordere Wand des Rumpfes. Die Medianlinie ist im Gesichte wie am Rumpfe stumpfer als die seitlichen Partieen, nur in einem Falle waren sie auf dem R\u00fccken gleich, nie zeigte sich das umgekehrte Verh\u00e4ltniss. Das Sternum ist stumpfer als die Linea alba. Hand und Finger sind meist gleich empfindlich, der Vorderarm empfindlicher als die Hand, der Oberarm empfindlicher als der Vorderarm.\n1 Nothnagel, Deutsches Arch. f. klin. Med. II. S. 284. 1866.","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindlichkeit der verschiedenen Hautstellen.\n433\nDasselbe Verh\u00e4ltniss findet sich an den unteren Extremit\u00e4ten. Die entsprechenden Partieen sind am Bein stumpfer als am Arm ; selten nur ist das Verh\u00e4ltniss beim Fuss- und Handr\u00fccken umgekehrt, sehr selten auch sind Hand und Fuss, Unterarm und Unterschenkel gleich empfindlich. Das Verhalten der einzelnen Fl\u00e4chen an den verschiedenen Extremit\u00e4ten ist kein constantes, doch meist erschien die Streckseite am Oberarm und Oberschenkel empfindlicher als die Beugeseite, am Unterarm und Unterschenkel umgekehrt. Die Dorsalfl\u00e4che der Finger und Hand war empfindlicher als die Volarfl\u00e4che, nur in einem Falle waren sie gleich.\u201c\nDa die Versuche Weber\u2019s und Nothnagel\u2019s ohne Ber\u00fccksichtigung der ad\u00e4quaten Temperatur angestellt wurden, und nur die \u201eSt\u00e4rke des Eindrucks\u201c als Maasstab der Vergleichung diente, so machen sie begreiflicher Weise keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit.\nTaucht man die Hand in kaltes oder warmes Wasser, so erh\u00e4lt man am R\u00fccken der Hand die Temperaturempfindung eher, als an der Volarseite, weil an dieser die Epidermis dicker ist (Weber). Taucht man beide H\u00e4nde in ein tiefes Gef\u00e4ss mit Wasser, sodass die Hohlhandfl\u00e4chen einander zugekehrt sind, ohne einander zu Ber\u00fchren, so empfindet man nach Weber, wenn die Wassertemperatur z. B. 1\u20142 0 R. betr\u00e4gt, \u201eanfangs die K\u00e4lte st\u00e4rker am R\u00fccken beider H\u00e4nde, als an der Hohlhand, weil die Oberhaut am R\u00fccken der H\u00e4nde viel d\u00fcnner ist. Nach 8 Sekunden ungef\u00e4hr f\u00e4ngt aber die Empfindung der K\u00e4lte an, in der Hohlhand \u00fcberwiegend zu werden und dieselbe w\u00e4chst in dem Maasse, dass es bald ganz unzweifelhaft ist, dass dasselbe Wasser in der Hohlhand eine betr\u00e4chtlich st\u00e4rkere K\u00e4lteempfindung hervorruft, als auf dem R\u00fccken derselben. Dasselbe zeigt sich, wenn man w7armes Wasser anwendet, hinsichtlich der Empfindung der W\u00e4rme.\u201c Weber schliesst hieraus auf eine \u201egr\u00f6ssere Vollkommenheit des Temperatursinnes\u201c der Hohlhand im Vergleich zum Handr\u00fccken, und erkl\u00e4rt dieselbe aus der gr\u00f6sseren Zahl der Nervenenden.\nVI. Die Feinheit des Temperatursinns.\nBestimmungen der kleinsten noch wahrnehmbaren Temperaturdifferenzen zweier sonst gleicher K\u00f6rper oder Fl\u00fcssigkeiten sind von E. H. Weber, Fechner \\ Lindemann 2, Alsberg 3 und Nothnagel gemacht worden. Die Ergebnisse der einzelnen Forscher sind leider nicht recht vergleichbar, weil die Versuchsbedingungen z. Th. verschiedene waren.\n1\tFechner, Elemente d. Psychophysik. S. 201. I860.\n2\tLindemann, De sensu caloris. Halis 1857. Dissertation.\n3\tAlsberg, Untersuch, \u00fcb. d. Raum- u. Temperatursinn. Dissert. Marburg 1863.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.\t28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434\nHering, Temperatursinn.\nAus theoretischen Gr\u00fcnden ist es wahrscheinlich, dass die kleinsten Temperaturunterschiede zweier sonst gleicher K\u00f6rper dann erkannt werden, wenn die zu unterscheidenden Temperaturen der (in Bezug auf die untersuchte und zuvor adaptirte Hautstelle) ad\u00e4quaten Temperatur der ber\u00fchrten Substanz m\u00f6glichst nahe kommen, und zwar derart, dass die eine nach unten, die andere nach oben ein wenig von der ad\u00e4quaten Temperatur abweicht. Hiermit stehen die Ergebnisse von Nothnagel einigermassen in Einklang, welcher das feinste Unterscheidungsverm\u00f6gen bei Temperaturen des ben\u00fctzten Wassers fand, welche zwischen 27\u201433 0 C. lagen, wobei zu bemerken ist, dass er einen und denselben Finger immer bis zu derselben Tiefe abwechselnd in die beiden Wassergef\u00e4sse eintauchte. Fechner hatte bei dieser Methode die gr\u00f6sste Unterschiedsempfindlichkeit zwischen 10\u201420 \u00b0R. gefunden, und zwar war dieselbe hier so gross, dass die eben merklichen Temperaturunterschiede mittels des ben\u00fctzten Thermometers nicht mehr gemessen werden konnten, obwohl dasselbe sehr wohl gestattete, den 20sten Theil eines Grades R. ab zusch\u00fctzen. Es ist zu erw\u00e4hnen, dass Fechner vor Beginn der Vergleichung die Finger so lange in das eine Gef\u00e4ss tauchte, \u201ebis sie eine constante Temperatur hatten\u201c, so dass also jedenfalls Zeit zu einer gewissen Adaptation gegeben war.\nLindemann fand nach der Methode der mittlern Fehler und beim Eintauchen der Hand bis an die Handwurzel die gr\u00f6sste Unterschiedsempfindlichkeit zwischen 26 \u2014 39 0 C. Alsberg endlich folgert aus seinen Versuchen, dass die gr\u00f6sste Empfindlichkeit seines Hautsinnes f\u00fcr Temperaturdifferenzen des Wassers zwischen 35 und 39 0 C. bestehe.\nFechner sowohl, als Lindemann und Alsberg geben an, dass bei Temperaturen, welche unterhalb der genannten g\u00fcnstigsten Temperaturintervalle liegen, die Unterschiedsempfindlichkeit viel rascher mit der Tiefe der absoluten Temperaturen abnehme, als bei Temperaturen oberhalb jenes Intervalls mit der H\u00f6he der absoluten Temperaturen.\nUm beurtheilen zu k\u00f6nnen, inwieweit die Ergebnisse der verschiedenen Forscher sich in Einklang bringen lassen, m\u00fcsste man wissen, wie hoch die ad\u00e4quate Wassertemperatur f\u00fcr die ben\u00fctzten Finger war. Es gibt Menschen, die fast immer sehr k\u00fchle oder gar kalte, andere, die gew\u00f6hnlich warme H\u00e4nde haben, ohne dass sie selbst K\u00e4lte oder W\u00e4rme in der Hand f\u00fchlen. Selbstverst\u00e4ndlich kann demnach auch die ad\u00e4quate Wassertemperatur f\u00fcr die Finger verschiedener Personen sehr verschieden sein.","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Feinheit des Temperatnrsinnes.\n435\nDie Gr\u00f6sse der kleinsten noch wahrnehmbaren Temperaturdifferenz muss mit von der Art der Fl\u00fcssigkeit abh\u00e4ngen in welche Fingei odei Hand eingetaucht werden; Quecksilber wird andere Werthe geben als Wasser, dieses wieder andere als Oel. Da Fechner fand, dass die kleinsten noch wahrnehmbaren Unterschiede der Wassertemperaturen zu klein sind, als dass man sie mit Thermometern messen k\u00f6nnte, welche V200 R-abzulesen gestatten, so wird es gut sein, bei vergleichenden \\ ersuchen eine Fl\u00fcssigkeit anzuwenden, welche schlechter als Wasser leitet. Die Verfeinerung der thermometrisclien Bestimmung w\u00fcrde voraussichtlich wenig n\u00fctzen, weil kleine Temperaturdifferenzen der einzelnen Theile einer Fl\u00fcssigkeit schwer zu vermeiden sind. Wasser hat \u00fcberdies den Nachtheil, dass es die Epidermis aufquellt und ihr Leitungsverm\u00f6gen \u00e4ndert.\nDass es bei Temperaturvergleichungen am zweckm\u00e4ssigsten ist, eine und dieselbe Hautstelle nacheinander mit den zu vergleichenden K\u00f6rpern in Ber\u00fchrung zu bringen, fand schon E. H. Weber. Taucht man zwei Finger derselben Hand gleichzeitig in zwei nebeneinanderstehende Wassergef\u00e4sse, so ist die Vergleichung sehr gest\u00f6rt. Besser gelingt sie schon, wenn man zwei entsprechende Finger der rechten und linken Hand ben\u00fctzt. Alle solche Vergleichungen mit verschiedenen Hautstellen leiden \u00fcberdies an dem Uebelstande, dass die ad\u00e4quate Temperatur des Wassers f\u00fcr beide Hautstellen meist nicht dieselbe ist.\nAlsberg hat den Einfluss untersucht, welchen sogenannte An\u00e4mie und passive Hyper\u00e4mie auf die Feinheit des Unterscheidungsverm\u00f6gens f\u00fcr Temperaturdifferenzen hat. Er ben\u00fctzte dazu den Zeigefinger. Die An\u00e4mie wurde durch l\u00e4ngeres Hochhalten der Hand, die Hyper\u00e4mie durch Umlegen einer breiten Binde um die Mitte des Unterarmes erzielt. W\u00e4hrend die Hyper\u00e4mie das Unterscheidungsverm\u00f6gen nicht wesentlich zu alteriren schien, zeigte sich bei An\u00e4mie eine deutliche Verfeinerung desselben.\nUeber den Einfluss dauernder K\u00e4lte und Hitze hat Nothnagel einige Versuche angestellt. Legte er bei verschiedenen Personen einen Eisbeutel\tStunde lang auf die Innenseite des Vorder-\narmes, so wurde an dieser Stelle W\u00e4rme und K\u00e4lte viel weniger intensiv empfunden, als am andern Arm. W\u00e4hrend sonst an dieser Stelle 0.3 \u2014 0.2 0 C. Temperaturdifferenz zweier kleiner, sogleich zu beschreibender Apparate erkannt wurde, kam jetzt erst eine Differenz von 1\u20143\u00b0 zur Wahrnehmung. Wurde die Hand 1k\u20141 Stunde lang in Wasser von 42\u2014450 C. getaucht, so wurden erst Temperaturdifferenzen der Apparate von 0.4 \u20140.3\u00b0 C. unterschieden, mit der andern Hand aber schon solche von 0.2\u20140.10 C.\nNothnagel tauchte den Ellbogen in Eiswasser, um den Nervus\n2S*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436\nHering, Temperatursinn.\nulnaris zu erk\u00e4lten, und fand am kleinen Finger eine Abnahme des Unterscheidungsverm\u00f6gens, jedoch nicht in dem Maasse, wie bei directer Einwirkung der K\u00e4lte auf die Nervenenden. Eine Steigerung des Unterscheidungsverm\u00f6gens beobachtete Nothnagel an Hautstellen, auf welchen durch Yesicantien die Epidermis entfernt worden war.\nDie Verschiedenheiten der Feinheit des Temperatursinnes an den einzelnen Hautstellen wurden ebenfalls von Nothnagel untersucht. Offenbar werden auch diese nicht blos von der Beschaffenheit des thermischen Apparates (Menge- und Erregbarkeitsverh\u00e4ltnisse der Nervenenden), sondern auch von der Dicke und Durchfeuchtung der Epidermis abh\u00e4ngen.\nNothnagel bediente sich cylindrischer Holzgef\u00e4sse von 2l/2\" H\u00f6he und IV2\" Durchmesser, deren Boden aus einem Kupferblech von nur V10 Mm. Dicke bestand. Die h\u00f6lzerne Wand war doppelt und der Zwischenraum mit Asche gef\u00fcllt. Der Innenraum der Ge-f\u00e4sse wurde mit Wasser gef\u00fcllt, dessen Temperatur ein am Apparate selbst fixirtes Thermometer angab. Das Gef\u00e4ss liess sich durch einen Holzdeckel schliessen und mittels eines seitlichen Handgriffes fassen. Zwei solche verschieden temperirte Gef\u00e4sse wurden abwechselnd auf dieselbe Hautstelle gesetzt.\nAn verschiedenen Individuen und auch an sich selbst fand Nothnagel bei dieser Methode folgende Werthe f\u00fcr die kleinste noch wahrnehmbare Temperaturdifferenz: \u201eAuf dem Sternum 0,6\u00b0 C., an der Brust oben aussen 0,4 \u00b0, auf der Mitte des Oberbauches 0,5 \u00b0, seitlich am Oberbauche 0,4\u00b0, auf der Mitte des R\u00fcckens 1,2\u00bb, seitlich am R\u00fccken 0,9\u00b0, in der Hohlhand 0,5 \u20140,4\u00b0, am Handr\u00fccken 0,3\u00b0, an der Streck- und Beugeseite sowohl des Ober- als des Unterarmes 0,2 \u00b0, am Fussr\u00fccken 0,5\u20140,4 \u00b0, an der Streckseite des Unterschenkels 0,7 \u00bb, an der Wade 0,6 \u00b0, an der Streck- und an der Beugeseite des Oberschenkels 0,5 \u00b0, an der Wange 0,4\u20140,2 \u00b0, an der Schl\u00e4fe 04\u20140,3 0. \u201c\nVII. Die Localisirimg der Temperaturempfindungen.\nDie Localisirung der Temperaturempfindungen findet derart statt, dass sowohl W\u00e4rme als K\u00e4lte immer in die Haut oder deren n\u00e4chste Umgebung verlegt werden. Nie ist die Temperaturempfindung eine so entschieden fl\u00e4chenhafte oder so deutlich abgegrenzte, wie etwa die fl\u00e4chenhafte und scharf umgrenzte Gesichtsempfindung, welche von einer weissen oder farbigen Fl\u00e4che erzeugt wird. Vielmehr hat die Temperaturempfindung, auch wenn sie wie gew\u00f6hnlich nach der Fl\u00e4che ausgebreitet ist, immer zugleich etwas Raumhaftes und er-","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Localisirung der Temperaturempfindungen.\n437\nstreckt sich mehr oder weniger in die Tiefe oder \u00fcber die Oberfl\u00e4che der Haut hinaus in den umliegenden Raum. Letzteres ist besonders dann der Fall, wenn nicht gleichzeitige Tastempfindungen eine bestimmtere Localisirung der Temperaturempfindungen herbeif\u00fchren. So ist z. B. die Empfindung der W\u00e4rme mehr fl\u00e4chenhaft, wenn wir die Hand auf einen warmen Gegenstand legen, dagegen mehr raumhaft, wenn wir sie in warme Luft einbringen.\nDen Ort eines W\u00e4rme strahlenden K\u00f6rpers k\u00f6nnen wir auch blindlings oder im Finstern ungef\u00e4hr bestimmen, wenn wir die Hand in verschiedenen Richtungen hin- und herbewegen und auf die dabei erfolgende Zu- und Abnahme der W\u00e4rmeempfindung achten (E. H. Weber). Doch wird dabei die W\u00e4rmeempfindung nicht an den Ort localisirt, an welchem wir uns den warmen K\u00f6rper denken, sondern bleibt immer in der Umgebung der Hand.\nWenn wir zwei ungleich temperirte Hautfl\u00e4chen unseres K\u00f6rpers mit einander in Ber\u00fchrung bringen, z. B. die k\u00fchle Hand auf die w\u00e4rmere Stirn, oder beide verschieden temperirte H\u00e4nde aneinander legen, so haben wir, wie E. H. Weber hervorhob, das Gef\u00fchl der W\u00e4rme und K\u00e4lte zugleich an derselben Stelle im Raume, und es ist oft schwer, sofort zu erkennen, welcher Theil der k\u00fchlere und welcher der w\u00e4rmere ist. Weber hat ausf\u00fchrlich die Nebenumst\u00e4nde er\u00f6rtert, von welchen es, abgesehen von der Richtung der Aufmerksamkeit und oft trotz derselben, abh\u00e4ngt, ob hierbei die W\u00e4rme eher und deutlicher gef\u00fchlt wird als die K\u00e4lte, oder umgekehrt.\nBringt man die stumpfen oder ebenen Enden eines kalten und eines warmen St\u00e4bchens so nahe neben einander auf die Haut, dass die Verschiedenheit ihres Ortes nicht mehr wahrgenommen werden kann, so f\u00fchlt man, wie Czermak 1 angegeben und Klug 2 best\u00e4tigt hat, an einer und derselben Hautstelle W\u00e4rme und K\u00e4lte, ja es schien Czermak unter Umst\u00e4nden \u201eein Schwanken der Wahrnehmung, \u00e4hnlich dem Wettstreite der Sehfelder \u201c einzutreten. Klug erhielt dabei den Eindruck, \u201e als ber\u00fchrte die Haut nur einen K\u00f6rper, welcher aber bald kalt, bald warm war \u201c. Betrug die Temperatur des einen Tasters 5 \u00b0, die des anderen 20\u201440 0 C., so schien es, als w\u00fcrde die Haut nur vom kalten Taster ber\u00fchrt.\nCzermak hatte sich zu diesen Versuchen sehr kleiner Probirgl\u00e4s-chen bedient, deren eines mit heissem Oel, das andere mit einer K\u00e4ltemischung gef\u00fcllt war. Klug ben\u00fctzte einen kleinen, von Kronecker angegebenen, alsThermaesthesiometer benannten Apparat. Der-\n1\tCzermak, Sitzgsber. d. Wiener Acad. M\u00e4rz 1855. S. 500.\n2\tKlug, Arb. d. physiol. Anstalt zu Leipzig. XL S. 168. 1876.","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nHering, Temperatursinn.\nselbe bestand aus einem neusilbernen R\u00f6hrchen, das nach unten durch eine kleine fingerhutf\u00f6rmige Kapsel von d\u00fcnnem Silberblech abgeschlossen und durch eine bis nahe an diesen Boden reichende L\u00e4ngsscheidewand getheilt war. Jede der beiden L\u00e4ngsh\u00e4lften ging nach oben in ein schr\u00e4g angesetztes R\u00f6hrchen \u00fcber, so dass der ganze Apparat die Form eines Y hatte. Wurden die seitlichen R\u00f6hrchen mit Kautschukschl\u00e4uchen verbunden, so konnte man Wasser von beliebiger Temperatur durch den Apparat str\u00f6men lassen, und dadurch seinen Boden verschieden temperiren.\nMit diesem Apparate suchte Klug auch festzustellen, ob das Maass des kleinsten Abstandes, welchen die beiden Taster haben mussten, um noch gesondert localisirt zu werden, mit von der Temperatur der Taster abh\u00e4ngig sei. Er brachte zu diesem Zwecke beide Taster auf gleiche Temperatur von 5 \u00b0, 200 oder 50 0 C. und fand zun\u00e4chst, dass bei 5 0 der Minimalabstand am kleinsten, bei 50 0 am gr\u00f6ssten war, w\u00e4hrend sich bei 20\u00b0 ein mittler Werth des Minimalabstandes ergab, der sich nicht \u00e4nderte als Klug die Taster, statt auf 20 \u00b0, auf 30 bis 40 0 brachte. Da eine Temperatur von 5]\u00b0 von der Hauttemperatur viel st\u00e4rker abweicht, als eine Temperatur von 50 \u00b0, h\u00f6here Temperaturen aber nicht angewandt werden k\u00f6nnen, weil sie schmerzhaft sind, so brachte Klug den Arm unter Wasser von 15 0 C., um seine Haut abzuk\u00fchlen, und setzte die Taster, durch welche er Wasser von 55\u00b0 oder von 5\u00b0 leitete; unter dem Wasser auf die Haut. Hierbei ergab. sich nun f\u00fcr die warmen Taster ein kleinerer Minimalabstand als f\u00fcr die kalten. Demnach nimmt, so folgert Klug, der Ortsinn an Feinheit zu, wenn der Temperaturunterschied zwischen den Tastern und der Haut im einen oder anderen Sinne w\u00e4chst. Uebrigens waren die Unterschiede der Tasterdistanzen geringf\u00fcgig und nicht gr\u00f6sser, als wie sie sich'f\u00fcr Klug ergaben, wenn er die Taster bei einer mittlen Temperatur einmal sanft aufsetzte und das andere Mal aufdr\u00fcckte. Auch hierbei fand sich eine Verfeinerung des Ortsinnes durch Steigerung der Druckempfindung, wie dort durch Steigerung der warmen oder kalten Temperaturempfindung.\nWenn Klug den einen Taster auf 50\u00b0, den andern auf 5\u00b0 tem-perirte, so fand er den kleinsten Abstand der Taster bald eben so gross, bald etwas gr\u00f6sser als bei gleicher Temperatur beider Taster von 20 \u00b0.\nSchon vor Klug hat R\u00e4uber1 analoge Versuche, jedoch nach einer andern Methode angestellt und vorl\u00e4ufige Mittheilung davon gemacht. Er\n1 R\u00e4uber, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1S69. S. 273.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Temperatursinnes.\n439\nlegte Holzpl\u00e4ttchen mit je zwei Bohrl\u00f6chern auf die Haut und bestrahlte die Haut durch diese L\u00f6cher hindurch mit W\u00e4rme, so dass die Haut an zwei kleinen, bald mehr, bald weniger von einander abstehenden Stellen erw\u00e4rmt wurde. Der Minimalabstand der L\u00f6cher ergab sich etwas gr\u00f6sser als bei Anwendung eines gew\u00f6hnlichen Doppeltasters, was R\u00e4uber aber nur auf die Methode, nicht auf eine geminderte Feinheit des Ortsinnes bezieht.\nEine Theorie des Temperatur sinn es hat Hering (1. c.) entwickelt. Er geht von der Annahme aus, dass beide Qualit\u00e4ten der Temperaturempfindung durch einen und denselben Nervenapparat vermittelt werden, und begr\u00fcndet diese Annahme insbesondere durch die Thatsache, dass jeder Temperaturreiz welcher eine Temperaturempfindung erzeugt, in demselben Maasse als er die Empfindlichkeit des thermischen Apparates f\u00fcr die Reize gleicher Art herabsetzt, zugleich die Disposition zur Erzeugung .der gegens\u00e4tzlichen Empfindung erh\u00f6ht und also die Erregbarkeit f\u00fcr die entgegengesetzten Temperaturreize steigert. Wollte man nun zwei verschiedene Apparate f\u00fcr die beiden Qualit\u00e4ten der Temperaturempfindung annehmen, so m\u00fcsste man sich dieselben in so inniger functioneller Beziehung denken, dass die Minderung der Erregbarkeit des einen immer eine genau entsprechende Mehrung der Erregbarkeit des andern herbeif\u00fchren w\u00fcrde. Daher ist es viel wahrscheinlicher, dass die beiden Qualit\u00e4ten der Empfindung durch einen und denselben Apparat ausgel\u00f6st werden und zwar durch gegens\u00e4tzliche Zust\u00e4nde desselben. Der Zustand des thermischen Apparats, bei welchem derselbe weder W\u00e4rme-noch K\u00e4lteempfindung ausl\u00f6st, ist der neutrale oder Gleichgewichtszustand desselben, aus welchem er nach entgegengesetzten Richtungen heraus gebracht werden kann. Demnach schreibt Hering der nerv\u00f6sen Substanz des thermischen Apparats zwei verschiedene Erregbarkeiten zu, eine f\u00fcr die positiven, die andere f\u00fcr die negativen Eigentemperaturen, und zwei verschiedene Erregungszust\u00e4nde, deren einer der warmen, der andere der kalten Empfindung entspricht.\nAus seiner allgemeinen Theorie der Nervenfunction, welche sich auf die Annahme gegens\u00e4tzlicher Processe in der nerv\u00f6sen Substanz gr\u00fcndet, deren einer der Assimilirung, der andere der Dissimilirung der Substanz entsprechen soll, deducirt Hering ferner die Erscheinung der Adaptation und des Contrastes im Bereiche des Temperatursinnes als eine nothwendige Folge des durch die Temperaturreize gest\u00f6rten und bei andauerndem Reize sich allm\u00e4hlich wieder herstellenden Gleichgewichtes zwischen Assimilirung und Dissimilirung.","page":439}],"identifier":"lit19183","issued":"1880","language":"de","pages":"415-439","startpages":"415","title":"Zweiter Theil: Physiologie der Hautempfindungen und der Gemeingef\u00fchle, Zweiter Theil: Der Temperatursinn","type":"Book Section","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:04:15.224253+00:00"}

VL Library

Book Section
Permalink (old)
http://vlp.uni-regensburg.de/references?id=lit19183
Licence (for files):
Creative Commons Attribution-NonCommercial
cc-by-nc

Export

  • BibTeX
  • Dublin Core
  • JSON

Language:

© Universitätsbibliothek Regensburg | Imprint | Privacy policy | Contact | Icons by Font Awesome and Icons8 | Powered by Invenio & Zenodo