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{"created":"2022-01-31T14:05:00.435845+00:00","id":"lit19186","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"K\u00fchne, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, edited by Ludimar Hermann, 235-342. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"DRITTER THEIL.\nCHEMISCHE VORG\u00c4NGE IN DER NETZHAUT\nVON\nProf. Dr. W. K\u00dcHNE in Heidelberg.\nSo lange man die Netzhaut kennt, weiss man wie ausserordentlich ver\u00e4nderlich sie ist: im Leben als h\u00f6chst durchsichtiger Ueber-zug dem Augengrunde glatt und spiegelnd angeschmiegt, wird sie im Tode schnell weisslich tr\u00fcbe, hebt sich faltig ab und zeigt ihre Elemente im Zerfalle begriffen. Die Untersuchung frischer unver\u00e4nderter Thieraugen hat darum gew\u00f6hnlich mehr zur Erkenntniss der Netzhaut beigetragen als die der selten brauchbaren vom Menschen, und erst als man wusste, worauf bei letzteren besonders zu achten und welche Eigenth\u00fcmlichkeiten an der menschlichen Netzhaut vorauszusetzen seien, ist das in wenigen Ausnahmsf\u00e4llen zug\u00e4ngliche, kostbare Material lebensfrischer, menschlicher Augen mit Vortheil verwendet worden. Da die Physiologie der Sinne sich aus guten Gr\u00fcnden mit Vorliebe an die menschlichen Sinnesorgane, deren Leistungen uns allein vollkommen bekannt werden k\u00f6nnen, wendet, ist unser l\u00fcckenhaftes Wissen vom Baue und von der Zusammensetzung der menschlichen Netzhaut ausdr\u00fccklich hervorzuheben.\nDie ersten cadaver\u00f6sen Ver\u00e4nderungen der Retina bestehen in Tr\u00fcbungen der vorderen, aus marklosen Nerven und Ganglienzellen bestehenden Schichten, weniger der \u00e4usseren K\u00f6rnerschicht, ferner in dem von Max Schultze besonders genau verfolgten Zerfalle der St\u00e4bchen- und Zapfenaussenglieder zu S\u00e4ulen d\u00fcnner Pl\u00e4ttchen, welches auch die Durchsichtigkeit dieser hinteren Schicht vermindert. Postmortale Lockerung der St\u00e4bchenschicht vom retinalen Epithel findet nicht statt, sondern umgekehrt, trotz der Faltenbildung, eine festere Verbindung ; ist die letztere im Momente des Todes schon vorhanden, so wird sie erst sp\u00e4t durch echte F\u00e4ulniss und Zerfliessen der betheiligten Gewebe gehoben. Das Auftreten eines Atlasglanzes","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nK\u00fchne, Chemische Vorg\u00e4nge in der Netzhaut.\nan der St\u00e4bchenschicht, welches Boll 1 f\u00fcr die erste Leicheuver-\u00e4nderung genommen, ist unabh\u00e4ngig von der Pl\u00e4ttchensonderung, und lebensfrischen, durch Licht noch erregbaren Netzh\u00e4uten ebenfalls eigenth\u00fcmlich : es r\u00fchrt von Schr\u00e4gstellung und Verschiebungen der gl\u00e4nzenden St\u00e4bchen gegen einander her und ist durch Zug und Druck sowohl hervorzurufen, wie stellenweise zu beseitigen. L\u00e4ngere Zeit nach dem Auftreten der deutlicheren, von der Pl\u00e4ttchensonderung bedingten Querstreifung in den St\u00e4bchen beginnt die Lockerung der Aussenglieder von den Innengliedern, wobei sich die ersteren oft als zusammenh\u00e4ngendes H\u00e4utchen, welches dem Epithel anhaften kann, abheben. Sp\u00e4ter kr\u00fcmmen sich die St\u00e4bchen hirtenstabf\u00f6rmig und gestalten sich zu vollkommenen Ringen um.\nAlle diese Ver\u00e4nderungen deuten auf einen hohen Grad chemischer Zersetzlichkeit der Retinaelemente, denn dieselben sind nicht bedingt von der allgemeinen, auch resistentere Gewebe bedrohenden Bakterienf\u00e4ulniss, die sich freilich in der Netzhaut fr\u00fch und ausnahmslos intensiv geltend macht, sondern fallen in die Zeit, wo wir nur in den zarteren nerv\u00f6sen Gebilden \u00e4hnliche, mit dem Aufh\u00f6ren des Zusammenwirkens einiger Lebensbedingungen verbundene, chemische Zersetzungen eintreten sehen; bei den S\u00e4ugern und den V\u00f6geln stellen sie sich schnell ein, bei den Amphibien sehr langsam, erst nach vielen Stunden, wenn die Temperatur nicht \u00fcber 15 0 C. steigt und keine Fl\u00fcssigkeiten zugesetzt werden. Einfl\u00fcsse des Lichtes auf den Ablauf dieser Vorg\u00e4nge sind nicht bekannt.\nDa die ersten postmortalen Aenderungen an Geweben im Allgemeinen vom Aufh\u00f6ren der Blut- und Saftspeisung und von dem Erl\u00f6schen der Gewebeathmung abgeleitet werden, so sollte man die Retina wegen der Geschwindigkeit ihrer Ver\u00e4nderungen im exstirpirten oder absterbenden Auge f\u00fcr besonders reichlich mit Blutgef\u00e4ssen versorgt halten. Bekanntlich trifft dies im anatomischen Sinne nicht zu, denn es giebt sogar bei einzelnen S\u00e4ugethieren (Pferd, Kaninchen) Netzh\u00e4ute, welche genau genommen gar kein Blut empfangen, da bei ihnen nur die erste Ausstrahlung des Opticus gef\u00e4sshaltig ist, und es kommen \u00fcberhaupt keine Netzh\u00e4ute vor mit anderen als grobmaschigen Capillar-netzen, welche sich niemals weiter nach hinten, als bis an die \u00e4ussere K\u00f6rnerschicht erstrecken, so dass die St\u00e4bchen-Zapfenschicht \u00fcberall gef\u00e4sslos bleibt. Um so wichtiger w\u00fcrde hiernach die Kenntniss anderer Saftbahnen der Netzhaut sein; doch weiss man von ihren Lymphgef\u00e4ssen bekanntlich kaum mehr, als dass sie vom Opticus her\n1 Fr. Boll , Zur Anatomie und Physiologie der Netzhaut. Monatsber. d. Berliner Acad. 12. Nov. 1876.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Einleitung.\n237\ndurch Einstich theilweise injicirbar sind und ausser Netzen, Hohlr\u00e4ume um die Ganglienzellen der vorderen Schichten bilden.\nAus den rein anatomischen Verh\u00e4ltnissen der Gef\u00e4ssarmuth des Netzhautgewebes auf geringen Stoffverkehr ihrer Elemente mit der den \u00fcbrigen Organismus versorgenden Speise bewegter S\u00e4fte und weiter auf einen entsprechend schwachen Stoffwandel oder auf besonders untergeordnete chemische Processe in der lebenden und sehenden Retina zu schliessen, w\u00fcrde eben so unberechtigt sein, wie wenn man die viel massigeren L\u00e4ppchen einer Dr\u00fcse, die im besten Falle nur \u00e4usserlich von Gef\u00e4ssen eng umsponnen werden, f\u00fcr chemisch tr\u00e4ge Organe halten wollte. Eine mehr physiologische Betrachtung lehrt, dass die Netzhaut besonders mit dem ihr eigent\u00fcmlichen spe-cifischen Sinnesepithel in ganz ungew\u00f6hnlicher Weise dem Blute zug\u00e4nglich ist und von dem reichsten und engmaschigsten Capillarnetze versorgt wird, das wir \u00fcberhaupt kennen. Geh\u00f6rt auch die Chorio-idea dem Sinnesepithel weder anatomisch noch genetisch an, so kann der \u00fcberm\u00e4chtige Blutgehalt dieser Aderhaut doch kaum andern Sinn haben, als den die davor liegende Retina mit reichlichem Materiale zu versehen. Die Sclera und das Chorioidealgewebe bed\u00fcrfen einer so ausserordentlichen Ern\u00e4hrung nicht und dass das erstaunlich entwickelte Gef\u00e4ssnetz \u00fcberall im Augengrunde als transsudirende Einrichtung zur Erhaltung des intraocularen Druckes n\u00f6thig sei, ist kaum anzunehmen, wo die Vascularisation des Ciliark\u00f6rpers dazu gen\u00fcgt. Man kommt daher zu dem Schl\u00fcsse, dass das Sehepithel vor jedem andern Epithelium und vor s\u00e4mmtlichen Sinnesepithelien bevorzugt sei durch ein ihm \u00e4usserlich angelegtes, feinstes bluterf\u00fclltes R\u00f6hrenwerk, das fast eine continuirliche Schicht flach ausgebreiteten und bewegten Blutes darstellt. Von dieser muss transsudirendes Material in reichlichem Flusse zum Epithel der Netzhaut und zur St\u00e4bchen-Zapfenschicht nach vorn dringen, w\u00e4hrend es dort an Wegen zur Abgabe des im Leben und beim Sehen Verbrauchten gewiss nicht gebricht.\nChemische Vorg\u00e4nge in der Netzhaut von h\u00f6chster Wichtigkeit, als wesentlich zum Sehen, ja als den Anfang des Sehactes anzunehmen, gab es seit langer Zeit zahlreiche Gr\u00fcnde. Die immer mehr sich befestigende Lehre von den specifischen Sinnesenergien schliesst jede Annahme einer der Bewegung des Licht\u00e4thers auch nur entfernt entsprechenden Schwingungsweise in der davon erregten Retina oder in den zum Hirn leitenden Opticusfasern aus. Nirgends kann weniger als beim Auge an einen dem sog. ad\u00e4quaten Reize \u00e4hnlichen Vor-","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nK\u00fchne, Chemische Vorg\u00e4nge in der Netzhaut.\ngang in der Sinnessubstanz gedacht werden, da es schlechthin unm\u00f6glich ist, dass der nerv\u00f6se Apparat mit so vielen oder \u00e4hnlichen eigenen Schwingungen reagire, als ihm mit den nach Billionen in der Secunde z\u00e4hlenden Schwingungen des Lichtes zugehen. Die Aetherbewegung muss in der Netzhaut umgewandelt werden, entweder in moleculare Bewegung, indem die Sehzellen erw\u00e4rmt werden, oder zu chemischen Processen1, deren die verschiedensten denkbar sind, verbraucht werden, in beiden F\u00e4llen unter Absorption von Licht. Ohne Zweifel ist die Mehrzahl der Physiologen seit langer Zeit der letzteren Ansicht besonders zugethan und zwar deshalb, weil dieselbe die durch Ausschluss allein \u00fcbrig bleibende Hypothese ist, nachdem eine thermische Hypothese schon im Keime an der Erfahrung erstickte, dass die thermisch wirksamsten Strahlen gr\u00f6sster Wellenl\u00e4nge, trotzdem sie den Augengrund gen\u00fcgend erreichen, die Netzhaut gar nicht afficiren. Ausserdem sind es die bekannten ungemein langen Nachwirkungen des Lichtes im Auge, welche der chemischen Auffassung von jeher besondere Gunst erworben haben.\nAuffallender Weise ist die photochemische Hypothese des Sehens2 bis vor wenigen Jahren in der physiologischen Literatur kaum anders, als beil\u00e4ufig ge\u00e4ussert worden ; es w\u00fcrde daher in keiner Hinsicht f\u00f6rderlich sein, die darauf bez\u00fcglichen sehr zerstreuten Aeusserun-gen vollst\u00e4ndig zusammen zu tragen. Zum Beweise, wie vollkommen und einstimmig die Zeitgenossen von der Berechtigung der photochemischen Hypothese \u00fcberzeugt sind, gen\u00fcgt es der sehr eingehend begr\u00fcndeten, viel umstrittenen Theorie des Sehens 3 von E. Hering zu erw\u00e4hnen, nach welcher das Licht im Sehorgane eine Reihe abwech-\n1\tDie Entdeckung der chemischen Wirkung des Lichtes selbst veranlasste Moser, wenige Jahre, nachdem Ni\u00fcpce und Daguerre die Fixirung photochemisch entstandener Bilder erfunden hatten (1839), die Reaction der Retina* f\u00fcr \u00fcbereinstimmend mit den eigenth\u00fcmlichen Ver\u00e4nderungen an der Oberfl\u00e4che zahlreicher nicht organisirter Stoffe durch das Licht zu erkl\u00e4ren. Freilich hielt Moser diese Vorg\u00e4nge nicht f\u00fcr chemische (womit er nur bez\u00fcglich eines Theiles derselben im Rechte war), es geb\u00fchrt ihm aber das Verdienst so zahlreiche und rapide Effecte jeder Art sichtbaren Lichtes erkannt und damit die Vergleichung mit solchen auf der Retina er\u00f6ffnet zu haben, dass der erste Schritt auf dem Wege von Joh. M\u00fcller\u2019s damals schon m\u00e4chtiger Lehre der specifischen Sinnesenergieen bis zur jetzigen VorsteHung \u00fcber den Sehact geschehen konnte. Moser war es auch, der den zeitlichen Verlauf der Netzhauterregung und besonders die lange Nachwirkung zuerst im Sinne materieller Ver\u00e4nderungen des Endorganes am Sehnerven verwerthete. Vgl. L. Moser, Ueber den Process des Sehens und die Wirkung des Lichtes auf alle K\u00f6rper. Ann. d. Physik CVI. S. 177. 1842.\n2\tAm pr\u00e4cisesten spricht sich J. Bernstein (Unters, \u00fcber den ErregungsVorgang im Nerven- und Muskelsystem S. 133 f. Heidelberg 1871) sowohl \u00fcber die Hypothese selbst, wie \u00fcber die aus den angegebenen Gr\u00fcnden folgende Nothwendigkeit derselben aus.\n3\tE. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne. 6 Abhandl. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 1872 u. 1873. 2. Aufl. Wien 1878.","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Chemie der Netzhaut.\n239\nselnder und gegens\u00e4tzlicher Processe ausl\u00f6st, wobei die chemische Angriffsweise des Lichtes in der Netzhaut vorausgesetzt wurde, ohne jemals auf Widerspruch zu stossen.\nERSTES CAPITEL,\nChemie der Netzhaut.\n1. Allgemeines chemisches Verhalten.\nDie winzige Masse der Netzhaut verweist chemische Untersuchungen ihrer Gewebe auf das mikrochemische Gebiet und auf dessen im Entstehen begriffene Methoden der Gewebsanalyse, welchen die Verwerthung gr\u00f6berer Befunde an Organen gemischten Baues erst zuf\u00e4llt. Da die Netzhaut aus Sinnesepithel und grauer Nervenmasse besteht, muss ihre chemische Zusammensetzung eine sehr verwickelte sein, deren Verst\u00e4ndnis nicht zu hoffen ist, ohne sorgf\u00e4ltige Scheidung des anatomischen Substrates. Alles, was im Hirn vorkommt, ist in der Retina zu erwarten, w\u00e4hrend darin ausserdem specifische Bestandteile des Sehepithels zu ber\u00fccksichtigen sein werden. Die Histochemie hat im gr\u00f6beren und im feineren Sinne unter den Geweben zu unterscheiden, weichein den Bau der Netzhaut eingehen ; in der grauen Substanz: Fasern, Zellen und Verwandtes (K\u00f6rner), sowie Bindegewebe und St\u00fctzapparate ; im Epithelium : das eigentliche Epithel und die Sehzellen (St\u00e4bchen und Zapfen).\nDie Netzhaut als Ganzes ist zuerst von C. Schmidt 1 untersucht. Er erhielt daraus neben Albumin eine weder mit dem Glutin noch mit Mucin oder sog. Chondrin \u00fcbereinstimmende Materie, aus dem Alkoholextrakte einen mit Platinchlorid krystallisirenden, stark nach Trimethylamin riechenden K\u00f6rper; letzteres ist ein jetzt verst\u00e4ndlicher Befund, da alles nerv\u00f6se Gewebe Lecithin enth\u00e4lt, aus welchem durch Zersetzung Cholin entsteht, das bei der Zersetzung durch F\u00e4ulniss und andere Einfl\u00fcsse Trimethylamin liefert.\nAuf Rollett\u2019s Veranlassung untersuchte Chodin '1 2 die Reaction der Netzhaut und des N. opticus. Er fand den frischen Opticusquer-\n1\tC. Schmidt , mitgetheilt bei R. Blessig, De retinae textur. disquis. microsc. Dissert, inaug. Dorpat 1855.\n2\tA. Chodix, Ueber die chemische Reaction der Netzhaut und des Sehnerven. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 1877. 19. Juli.","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nschnitt von Fr\u00f6schen und Kaninchen deutlich sauer, nach mindestens 24 \u2014 48 st\u00fcndigem Dunkelaufenthalte der Thiere neutral oder alkalisch. Ebenfalls saure Reaction auf Lackmust\u00e4felchen, die hier allen andern Reagentien vorzuziehen sind, erhielt Chodin in der Regel von frischen Netzh\u00e4uten, um so deutlicher, je vollkommner der Glask\u00f6rper mit Fliesspapier abgesogen oder mit Salzwasser abgesp\u00fclt worden, oder nachdem die anf\u00e4nglich alkalisch reagirende Membran zerquetscht worden, besonders wenn zugleich Licht darauf wirkte. Die Netzhaut lange im Dunkeln gehaltener Thiere schien schw\u00e4cher sauer zu reagiren oder nach dem Zerquetschen nicht so leicht sauer zu werden. Froschnetzh\u00e4ute, die ich nach dem Absp\u00fclen des Glask\u00f6rpers bei Dunkelfr\u00f6schen immer alkalisch und weder beim Zerquetschen noch nach Belichtung sauer gefunden1, zeigen nach Chodin am wenigsten constante Reaction, neigten jedoch nach Einwirkung von Licht oder nach der Zerst\u00f6rung mehr zu saurer, als alkalischer Beschaffenheit. Da Gscheidlen2 die graue Substanz des Gehirns und des R\u00fcckenmarkes immer sauer reagiren sah und Chodin das Gleiche an der weissen Substanz beim Hunde, obschon weniger ausgepr\u00e4gt bemerkte, so liegen hier z. Th. den nerv\u00f6sen Leitapparat und die graue Substanz der Netzhaut betreffende Reactionen vor.\nDa sich die Netzhaut im Tode auffallend tr\u00fcbt und das weiss- ? lieh opake Ansehen sich mit steigender Temperatur schneller entwickelt, beim Frosche pl\u00f6tzlich, wenn die Retina in 45\u00b0 C. warmes Salzwasser geworfen wird3, so sind nach Art des Myosins gerinnende Substanzen in ihren Geweben wahrscheinlich enthalten. Die pl\u00f6tzliche Tr\u00fcbung betrifft besonders die vorderen Schichten.\nDie Chemie der grauen Retinasubstanz f\u00e4llt mit der der nerv\u00f6sen Centralorgane zusammen und hat hier kein specielleres Interesse, weil sie f\u00fcr das Sehen nur in soweit Beachtung beanspruchen w\u00fcrde, als dabei j \u00fcberhaupt chemische Vorg\u00e4nge in dem leitenden Apparate* in Frage kom- \u2019 men, wie in jedem andern Sinnesorgane oder in nerv\u00f6sen Einrichtungen, welche ausser Nervenfasern auch gangli\u00f6se Elemente enthalten. Nur wegen der Verbindung und wegen des genetischen Zusammenhanges des Sehepithels mit jenen Geweben ist hier des geformten und chemisch defi- , nirten Neurokeratins zu gedenken, welches im gesammten grauen und weissen Nervensysteme der Wirbelthiere unter der verschiedensten Gestalt vorkommt. Dasselbe bildet im Opticus Scheiden und Netze, welche\n1\tW. K\u00fchne. Ueber den Sehpurpur. Unters, a. d. physiol. Inst. d. Univers. Heidelberg. I. S. 22.\n2\tR. Gscheidlen. Ueber die Reaction der nerv\u00f6sen Centralorgane. Arch. f. d. ges. Physiol. VIII. S. 171.\n3\tA. Ewald und W. K\u00fchne, Untersuchungen \u00fcber den Sehpurpur. Unters, a. d. physiol. Inst. z. Heidelberg I. S. 44.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Chemie des phototropen Epithels. Retinaepithel.\n241\nsich in die Retina mit Umgehung der blassen Nervenfasern fortsetzen und in Gestalt des von Max Schultze beschriebenen St\u00fctzapparates alle Schichten bis zur M. limitans ext. durchziehen.1 2 Die Radialfasern bestehen nach Kuhnt\u2019s Beobachtungen - nicht aus jenem allen L\u00f6sungs- und Verdauungsmitteln, mit Ausnahme lieisser Kalilauge und Schwefels\u00e4ure, widerstehenden Keratin. Dass gefasshaltige Netzh\u00e4ute auch Bindegewebe, folglich Collagen, Elastin und Mucinogen enthalten, bedarf der Erw\u00e4hnung kaum. Die M. limitans hyaloidea s. ant. scheint zu den verdaulichen Glash\u00e4uten zu geh\u00f6ren.\nDie graue Substanz der Netzhaut zeigt im \u00fcbervioletten Lichte schwache weissbl\u00e4uliche Fluorescenz3, die an der vorderen nat\u00fcrlichen, wie an der hinteren, des Epithels und der St\u00e4bchenschicht beraubten Oberfl\u00e4che mit gleicher Deutlichkeit zu sehen und wenig ver\u00e4nderlich ist.\nII. Chemie des phototropen Epithels.\nDas Retinaepithel, die St\u00e4bchen und die Zapfen sind die dem Sehorgane eigenth\u00fcmlichen nach Bau und Mischung nirgends in andern K\u00f6rpertheilen ihres Gleichen findenden Elementarorganismen. Wir bezeichnen dieses gesammte Sinnesepithel des Auges als das phototrope, als das eigentliche periphere Sehorgan. Die mikroskopische Anatomie lehrt den Zusammenhang der Sinnesepithelien mit dem nerv\u00f6sen Leitapparate und es d\u00fcrfte die Grenze, wo das Sinnesepithel in die Nervenfaser \u00fcbergeht, f\u00fcr die St\u00e4bchen an dem Punkte zu suchen sein, wo vor dem Kerne die varicose Faser beginnt, f\u00fcr die Zapfen an der Stelle, wo aus ihrem breiten, nach vorn gerichteten Fusse einzelne F\u00e4serchen entspringen. Verbindungen des \u00e4ussersten Retinaepithels mit dem Leitapparate sind nicht bekannt. In dem Folgenden werden die St\u00e4bchen und Zapfen als Sehepithel und Sehzellen, das \u00e4usserste Epithel wie gew\u00f6hnlich als Retinaepithel bezeichnet werden.\n1. Chemie des Retinaepithe/s.\nBis an diese \u00e4usserste Schicht der Netzhaut reicht das f\u00fcr nerv\u00f6se, wie f\u00fcr epitheliale, aus dem Hornblatte entwickelte Bildungen charakteristische Neurokeratin. Bei aller Zartheit sind die Zellen des\n1\tA. Ewald und W. K\u00fchne, Ueber einen neuen Bestandteil des Nervensystems. Yerh. d. naturhist.-med. Yer. z. Heidelberg. N. F. I. S. 457. 1876.\n2\tH. Kuhnt, Zur Architektonik der Retina. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde XY. Beilage. S. 72.\n3\tA. Ewald und W. K\u00fchne, Unters, a. d. physiol. Inst. z. Heidelberg I. S. 171.\nHandbuch der Physiologie. Bd. III.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nretinalen Epithels von einem Hute jenes resistenten Stoffes \u00fcberzogen, den sie zwar oft verlieren und im Augengrunde zur\u00fccklassen, nachdem sie daraus abgestreift worden. Nach Kuhnt\u2019s Beobachtungen1 \u00fcberzieht der unverdauliche Hut die nicht gebr\u00e4unte Kuppe des Zellenleibes etwa bis an die Zone, wo das schwarzbraune Pigment und die Basis der Zelle beginnt. Hier verschmilzt er nach Angelucci2 3, dessen sp\u00e4tere Ausf\u00fchrungen sich bez\u00fcglich des Hutes mit denen Kuhnt\u2019s vollkommen decken, am Rande mit den H\u00fcten der Nachbarzellen, so dass s\u00e4mmtliche Zellen in dieser Zone mittelst einer continuir-lichen Neurokeratinschicht Zusammenh\u00e4ngen. Die R\u00e4nder der H\u00fcte sind mit den fr\u00fcher namentlich von Schwalbe :\u00ee beschriebenen festen Kittleisten zwischen den Zellen identisch und die Ursache einer lange bekannten scharfen Linie, welche man \u00fcber die betreffende Gegend der Epithelzellen an Durchschnitten der gesammten Retina verlaufen sieht.\nAn den einzelnen Epithelzellen werden unterschieden: die un-gebr\u00e4unte Kuppe, die Basis und die Forts\u00e4tze. Der Kern liegt immer an der Grenze von Kuppe und Basis. Die Basis ist keine compakte Masse, sondern eine von so vielen weiten, cylindrischen Can\u00e4len durchsetzte Scheibe, als St\u00e4bchen an ihren \u00e4ussersten Enden von der Zelle umgriffen werden. Von der Basis entspringen die nach Gestalt und Pigmentf\u00fcllung wechselnden Forts\u00e4tze, welche weit nach vorn in die Zwischenr\u00e4ume der St\u00e4bchen, bis zu den Zapfen und bis an die M. limitans ext. reichen k\u00f6nnen.\nA) Die Kuppe der Epithelzellen.\nDie Kuppe enth\u00e4lt gl\u00e4nzendes, farbloses, zuweilen etwas streitiges Protoplasma, nach vorn mit einem, seltener mit zwei durchsichtigen, ellipso\u00efden Kernen versehen, deren lange Axe. senkrecht zur L\u00e4ngsaxe der Zelle steht. Der Kerninhalt ist klar, mit 1 bis 2 Kernk\u00f6rperchen versehen. Die Kerne schrumpfen in S\u00e4uren, sind in NaCl von 10 pCt. unl\u00f6slich, in Alkalien sehr cpiellbar und widerstehen neutraler Trypsinverdauung; sie d\u00fcrften daher haupts\u00e4chlich aus Nucle\u00efnen bestehen. Das sehr weiche Protoplasma der Kuppe ist, wie das der Basis und der Forts\u00e4tze in verd\u00fcnnten S\u00e4uren etwas quellbar, zergeht allm\u00e4hlich etwas in NaCl von 10 pCt. und l\u00f6st sich mit gr\u00f6sster Leichtigkeit unter Hinterlassung des Kerns und des braunen Pigmentes, das nach allen Richtungen auseinander stiebt, in Galle\n1\tKuhnt a. a. O. S. 79.\n2\tAngelucci, Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abth. 1878. S. 353.\n3\tG. Schwalbe, Handb. cl. Augenheilk. v. Graefe u. Saemisch I. S. 424.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Kuppe der Epithelzellen. Epithelfett.\n243\nvon 1- 5 pCt. Das Pigment ragt in die Kuppe der Zellen nur am Rande etwas empor, immer, so lange die Zellen frisch sind, in gen\u00fcgender Menge um beim Anblicke von hinten die Rahmen, durch welche die Epithelzellen Zusammenh\u00e4ngen, zu verwischen oder ganz zu verdecken. Einige Zeit nach dem Tode zieht es sich vom Rande gegen die Axe der Zelle zur\u00fcck, so dass die Zellgrenzen jetzt breiter erscheinen, als sie wirklich sind. Das vorn an die Kuppe grenzende und das sich darin im Umfange erhebende Pigment besteht vorzugsweise aus K\u00fcgelchen und K\u00f6rnchen, nicht aus Nadeln oder anderen l\u00e4nglichen Formen.\nAusschliesslich in der Kuppe treten als Einlagerungen des Protoplasmas mehr oder minder gef\u00e4rbtes Fett undMyeloidk\u00f6rner auf.\nDas Epithelfett. Das Retinalepithel mancher Thiere enth\u00e4lt auffallende Mengen Fett. Beim Frosche, bei einzelnen V\u00f6geln und bei Kaninchen, besonders bei albinotischen, kommt es constant vor, w\u00e4hrend es beim Menschen, dem Rinde und Schweine bisher vermisst wurde. Meist tritt es in Gestalt je eines grossen, den Umfang des Kernes erreichenden, zuweilen \u00fcbertreffenden Tropfens auf, von starkem Fettglanze und geringer Consistenz. Sind mehrere Tropfen vorhanden, so sind es in der Regel kleinere von allen Durchmessern um einen gr\u00f6sseren gruppirt, an welchem in einzelnen F\u00e4llen Ab-schn\u00fcrungs- oder Theilungsformen, selbst Schichtung an der Oberfl\u00e4che zu erkennen ist. Gew\u00f6hnlich ist dieses sichtbare Fett in der vorderen Zone der Kuppe neben dem Kerne, der Basis gen\u00e4hert abgelagert. Beim Frosche ist es tief goldgelb bis blass citronfarben, besonders hell, wo Zertheilung eingetreten, nicht wegen der d\u00fcnneren Ausbreitung scheinbar, sondern wirklich farbstoff\u00e4rmer, da es auch in dichten Haufen der kleinen Kugeln und an den restirenden gr\u00f6sseren die blasse Nuance zeigt. Unter den V\u00f6geln sind bis jetzt nur bei einzelnen Eulen Fetttropfen des Retinaepithels beobachtet, bei einigen farblos, bei anderen Arten von gelber bis oranger F\u00e4rbung. Je tiefer hier die Farbe ist, um so kleink\u00f6rniger und eckiger sind die Ablagerungen, welche dann vorwiegend aus ausgeschiedenem Farbstoffe, dem nur wenig Fett mehr beigemischt ist, bestehen. Die grossen Fetttropfen der Kaninchennetzhaut sind kaum als gef\u00e4rbt zu bezeichnen. Alles Epithelfett der Retina bleibt bei niederen Temperaturen weich und d\u00fcrfte daher wesentlich Olein enthalten. Aus den Zellen ist es sehr leicht mit Alkohol\u00e4ther, mit Benzol oder Schwefelkohlenstoff zu extrahiren; Alkalien und Galle greifen es nicht an; Osmiums\u00e4ure f\u00e4rbt die Kugeln mit grosser Geschwindigkeit tiefbraun.\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nDas Lipo ehr in.1 Zur Untersuchung des Farbstoffes der Fettkugeln fand sich bis jetzt nur im Froschauge Material. Man s\u00e4ubert die Bulbi von allem anh\u00e4ngenden Fette und Muskelfleische, halbirt sie, nimmt die Netzhaut epithellos heraus und wirft die mit der Uvea und dem Epithel versehenen hinteren Skleralabschnitte sogleich in absoluten Alkohol. Einige Tausend so gesammelter Augen f\u00e4rben den Alkohol nur schwach, doch wird derselbe, um auch die kleinste Menge Farbstoff nicht zu verlieren, verdunstet und der R\u00fcckstand mit wenig Aether aufgenommen, welchen man dem viel tiefer gef\u00e4rbten Aetherextrakte der aus dem Alkohol genommenen Augen hinzuf\u00fcgt. Beim Verdunsten des Aethers bleibt ein stark gelb gef\u00e4rbtes, schmieriges Fett zur\u00fcck, w\u00e4hrend die mit Aether ersch\u00f6pften Augen an Chloroform, Benzol, Petrol\u00e4ther, Schwefelkohlenstoff und Terpenthin\u00f6l, auch an heisses Parafin nichts F\u00e4rbendes mehr abgeben.\nDie Farbe des retinalen Fettes ist von der des bekannten Froschfettes in den Fettlappen der Bauchh\u00f6hle nicht zu unterscheiden. Beide geben in Aether gel\u00f6st das Absorptionsspectrum Fig. 1 A} in\nSonnenspeetrum.\nA.\nFrosehfett in Aether.\nB.\nLipochrin aus dem Ketinaepithel oder dem Fette des Frosches in Aether.\nC.\nKetinaepithel vom Frosche in.CS2.\nD.\nLipochrin in CS2.\nSchwefelkohlenstoff gel\u00f6st das von Fig. 1 C. In heisser alkoholischer L\u00f6sung mit Aetznatron versetzt liefern sie eine gelbe Seife, aus welcher Aether den Farbstoff fettfrei, nur mit Spuren nicht entfernbarer Seife verunreinigt aufnimmt und als stets amorphen sch\u00f6n-\na\tB\tC\tV\tF\tl\tF\tfir\tH\n\t\t\t\t\t\tII ft\t\n\t\t\t\t\ta \u00e0\t\t\n\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\u00c0\tIt .\t\t\t\n\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\tlin\tJ\u00c9L\t1\nFig. 1.\n1 W. K\u00fchne und W. C. Ayres. Ueber lichtbest\u00e4ndige Farben der Netzhaut, a. a. O. S. 341.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Retinaepithel. Farbstoffe der Fette. Lipochrin.\n245\ngelben R\u00fcckstand hinterl\u00e4sst. Mit der L\u00f6sung des gereinigten Lipochrins erh\u00e4lt man das Spectrum Fig. 1 B, aus der tief orangefarbenen in Schwefelkohlenstoff das von Fig. 1 I). Der Verdunstungsr\u00fcckstand der Schwefelkohlenstoffl\u00f6sung l\u00f6st sich in Aether wieder mit gelber Farbe, welche die gleiche Absorption zeigt, wie vor der Einwirkung des Schwefelkohlenstoffs: letzterer \u00e4ndert also die Substanz, trotz der starken Verwandlung, welche die Farbe darin erleidet, nicht,\nDas Lipochrin wird von Jod-Jodkaliuml\u00f6sung, der etwas Alkohol zugesetzt worden, gr\u00fcnlich bis bl\u00e4ulich gr\u00fcn, von Salpeters\u00e4ure, die wenig salpetrige S\u00e4ure enth\u00e4lt, vor\u00fcbergehend gr\u00fcnblau, von concentrirter Schwefels\u00e4ure dunkelviolett bis blau gef\u00e4rbt. In Alkohol oder in Aether, auch in Fetten gel\u00f6st, in Papier imbibirt oder durch farblose Galle in w\u00e4sserige L\u00f6sung gebracht bleicht es am intensivsten Sonnenlichte in 2\u20143 Stunden aus, wenn die L\u00f6sungsschichten d\u00fcnn genug sind. Die so erhaltene farblose Substanz wird im Dunkeln nicht wieder gelblich. Durch Ozon wird das Lipochrin im Dunkeln entf\u00e4rbt.\nSchon Thudichum 1 machte auf einen besondern gelben Farbstoff mancher thierischen Fette aufmerksam und hielt denselben fiir identisch mit dem von Lieben und Piccolo1 2 aus dem Corpus luteum der Kuh dargestellten, krystallinischen, sp\u00e4ter Lutei'n genannten Pigmente, das ehedem von St\u00e4deler und Holm3 f\u00e4lschlich f\u00fcr Bilirubin gehalten worden. Von demselben K\u00f6rper sollte nach Thudichum auch die Farbe der H\u00fchnerei-dotter herr\u00fchren. Ohne Zweifel sind alle diese Farbstoffe mit einander und mit noch einigen andern in den Zapfen vieler V\u00f6gel und Reptilien vorkommenden verwandt, mit denen sie auch die m\u00e4ssige Lichtempfindlichkeit, welche Hoppe-Seyler4 5 zuerst vom Lutei'n erw\u00e4hnte, und die von Schwalbe 5 an den Zapfenkugeln gefundene Blauf\u00e4rbung durch Jod theilen. Diese Pigmente nehmen s\u00e4mmtlich mit Salpeters\u00e4ure die blaugr\u00fcne, mit Schwefels\u00e4ure die dunkelblauviolette, schon von St\u00e4deler und Holm am Lutei'n beobachtete F\u00e4rbung an. Capranica6 der diese Re-actionen an den Oelkugeln des retinalen Epithels vom Frosch mit Erfolg anstellte, bemerkte auch an den Lute'inkrystallen Blauf\u00e4rbung durch Jod. Trotz der Uebereinstimmung in den genannten Reactionen sind die Pigmente unter einander so verschieden, wie vom Bilirubin, mit welchem das Lutei'n so lange verwechselt worden, da sie sowohl im Grade der Zersetzlichkeit durch Licht, wie durch die dem Auge direkt erkennbaren Farbenunterschiede von einander abweichen und keiner ausser dem Lutei'n\n1\tThudichum, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1861. Nr. 1.\n2\tPiccolo und Lieben, Giom. d. scz. nat. II. Palermo 1866.\n3\tStaedeler und Holm, Journ. f. pract. Chemie CIV. S. 257. 1868.\n4\tHoppe-Seyler. Handb. d. physiol, u. path.-ehern. Analyse 1870. S. 186.\n5\tG. Schwalbe a. a. O. S. 414.\n6\tSt. Capranica, Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abth. 1877. S. 285.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut\nkrystallinisch erhalten werden konnte. Entscheidend f\u00fcr die Verschiedenheit ist das spectroscopische Verhalten, welches grosse Differenzen der Lichtabsorption, kenntlich an den sehr verschieden geb\u00e4nderten Spectren des Lipochrins, der Pigmente des Epithels und des Lute\u00efns aufdeckt.1 Beachtung verdient es, dass das Epithelfett der Retina beim Kaninchen, dessen Fettgewebe so gut wie farblos ist, ebensowenig gef\u00e4rbt ist. Aus der Haut des Frosches nimmt Aether, besonders nach vorg\u00e4ngiger Verdauung, ziemlich viel gelbes Pigment von dem angegebenen Verhalten des Lipochrins auf, welchem zuweilen ein gr\u00fcnlich aussehender, vielleicht blauer, am besten in Chloroform l\u00f6slicher Farbstoff beigemengt zu sein scheint.\nDie Myeloidk\u00f6rner. Das Protoplasma der Epithelkuppen ist h\u00e4ufig der Sitz eigenth\u00fcmlicher farbloser Ablagerungen, von wachs-artigem Glanze und kugliger, abgestumpft eckiger, halbmondf\u00f6rmiger, walzen- und wurstartiger Gestalt. Fr\u00fcher vielleicht schon gesehen aber irrth\u00fcmlich f\u00fcr farbloses Fett gehalten2, wurden sie von Ewald und mir3 vom Fette unterschieden, beim Frosche oft in erstaunlicher Menge gefunden und zuerst als \u201efarblose Kl\u00fcmpchen\u201c bezeichnet. Dieselben nehmen zun\u00e4chst immer den \u00e4ussersten Raum der Zellkuppe hinter dem Kerne ein, treten aber zuweilen in solcher Menge auf, dass sie die Kuppe fast ganz erf\u00fcllen und zwischen die Fetttropfen, selbst in die Basis der Zellen gedr\u00e4ngt werden. Die Myeloid-k\u00f6rner geben an Alkohol, Aether, Chloroform, Benzol u. s. w. unzweifelhaft etwas ab, sind darin aber weder l\u00f6slich noch quellbar. Mit Osmiums\u00e4ure f\u00e4rben sie sich viel langsamer, als die nebenliegenden Fetttropfen, indem sie nach und nach schmutzig braungr\u00fcn werden. In Alkalien sogleich colossal quellend und darin allm\u00e4hlich zergehend, unterscheiden sie sich vom Fett auf da& sch\u00e4rfste. Charakteristisch ist ferner die ungemein leichte L\u00f6slichkeit der K\u00f6rner in Galle von 1\u20145 pCt. Bei der Chemie der Retinast\u00e4bchen wird diese, nach den angef\u00fchrten Reactionen dem sog. Myelin des Ner-venmarkes am meisten verwandte und deshalb passend als Myeloid zu bezeichnende Substanz genauer er\u00f6rtert werden. Sie wurde von uns bisher nur im Retinaepithel des Frosches, einiger Eulen und des Bussards gefunden. Beim Frosche kommen die Myeloi\u2019dk\u00f6rner nicht ganz constant vor, doch d\u00fcrften wenigstens einige Epithelzellen der Netzhaut sie immer enthalten. Alle Grade der Anf\u00fcllung mit Myeloid-k\u00f6rnern werden sowohl bei dunkel, wie bei hell gehaltenen und bei abwechselnd belichteten Fr\u00f6schen im Epithel gefunden.\n1\tVgl. K\u00fchne und Ayres a. a. 0. Taf. Ill, IV, V.\n2\tFr. Boll, Zur Anat. u. Pbysiol. d. Retina. Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abth. 1877. S. 1.\n3\ta. a. 0. S. 287.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Myelo'idk\u00f6rner. Basis und Forts\u00e4tze der Epithelien. Fuscin.\n247\nB) Basis und Forts\u00e4tze der Epithelzellen.\nDas Epithelpigment erf\u00fcllt die Zellen in sehr verschiedener Weise und fehlt manchen bekanntlich ganz. Ohne Ausnahme pigmentlos sind die Epithelien der Albinos (Kaninchen, Ratten, Tauben), mehr oder minder pigmentarm die vor dem, bei Thieren so h\u00e4ufigen, gl\u00e4nzenden Tapetum gelegenen. Bei den Raubthieren unter den S\u00e4ugern und bei vielen Fischen enthalten die tapetalen Epithelien der Retina an Stelle des Pigmentes eine in gr\u00f6sseren Mengen gelblich aussehende Einlagerung stark irisirender Kry stalle, beim Hunde und der Katze von \u00e4usserster Feinheit und Biegsamkeit eine Art Filz bildend, bei den Fischen mehr vereinzelt liegend und von ziemlicher Gr\u00f6sse, so dass Messungen daran ausf\u00fchrbar sind.\nDas Fuscin. Das braune Pigment wird zweckm\u00e4ssig als Fuscin benannt, weil der Name seine Farbe besser ausdr\u00fcckt, als das daf\u00fcr bisweilen gebrauchte Wort Melanin und weil es bedenklich w\u00e4re, das epitheliale Augenpigment mit der vorzugsweise als Melanin benannten, braunen, bis schwarzen Materie vieler anderer Fundorte durch die Benennung zu identificiren. Alles retinale Fuscin der Wirbelthiere ist im durchfallenden Lichte noch bei erheblicher Schichtendicke braun, nicht schwarz, verd\u00fcnnt niemals so neutral grau, wie bei vielen Wirbellosen. Der Nuance nach stimmt es be-merkenswerth mit dem jedesmaligen Aussehen der Chorio'idea \u00fcberein, beim Menschen und den V\u00f6geln, wo es sich von neutralen Tinten am meisten entfernt, am auffallendsten, so dass die mit dem Epithel hervorgezogene Netzhaut mit dem entleerten Grunde identisch hell zimmtfarben, nuss- oder chocoladebraun bis schwarzbraun erscheint.\nW\u00e4hrend das Pigment der Chorio'idea nur kugelige und kurz gedrungene, wenig kantige Formen zeigt, tritt das Fuscin in den retinalen Epithelzellen vieler Thiere nur zum kleinsten Theile so amorph, gr\u00f6sstentheils mit l\u00e4nglich spindelf\u00f6rmigen oder in so gekanteten Gestalten auf, dass es f\u00fcr krystallinisch zu halten ist. Am meisten nadelf\u00f6rmig ist es bei den V\u00f6geln, am k\u00f6rnigsten, so dass die krystallinische Structur zuweilen zweifelhaft wird, bei vielen S\u00e4ugern, besonders beim Menschen. Oft sind einzelne Theilchen auffallend hell, fast gelb und kaum braun, ohne darum d\u00fcnner oder kleiner zu sein, so dass man entweder verschiedene Pigmente, odes ein farbloses von Fuscin nur tingirtes Substrat vermuthen m\u00f6chte.\nDas Fuscin reicht zwar von den W\u00e4nden der Epithelkuppen etwas nach hinten, steigt aber unter keinen Umst\u00e4nden soweit in die Kuppe empor, dass nicht ein betr\u00e4chtlicher, von diesem Pig-","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nmente freier Raum \u00fcbrig bliebe. Die eigentliche St\u00e4tte des Fuscins ist die Zellenbasis mit ihren Forts\u00e4tzen, gew\u00f6hnlich erst von einer Ebene an, welche die St\u00e4bchenkuppen noch schneidet, so dass es also nirgends in der Zelle in Gestalt einer zusammenh\u00e4ngenden Platte, sondern nur zu Kr\u00e4nzen oder kurzen Cylinderm\u00e4nteln angeordnet auf-treten kann. Bis soweit liegen seine l\u00e4nglichen Theilchen in allen Richtungen durcheinander, w\u00e4hrend es in den Forts\u00e4tzen, wo es die St\u00e4bchen nicht mehr am ganzen Umfange \u00fcberzieht, reihenweis angeordnet ist und die Nadeln vorwiegend mit der L\u00e4ngsaxe parallel zu der der St\u00e4bchen liegen.\nDen ersten Versuch das Fuscin vom Gewebe zu trennen machte Rosow.1 Er suchte es durch Waschen der aus den Augengr\u00fcnden gepfl\u00fcckten Epithelschichten zu isoliren, indem er das mitgef\u00fchrte Gewebe durch F\u00e4ulniss erweicht oder gel\u00f6st entfernte, ein Verfahren, das kein sauberes Pr\u00e4parat liefert, weil Bacterienleiber in grosser Menge an den Fuscintkeilcken haften und durch Schlemmen, Decan-tiren oder Filtriren nicht zu entfernen sind. So weit es denkbar ist eine Substanz, ohne sie einmal in L\u00f6sung \u00fcbergef\u00fchrt zu haben, als R\u00fcckstand zu isoliren, ist dies mit dem Fuscin zu erreichen, freilich nur f\u00fcr kleine Mengen. Man behandelt dazu epithelf\u00fchrende, von der Chorio\u00efdea getrennte Netzh\u00e4ute mit Galle, die daraus alsbald eine dunkle, ohne Aenderung der Farbe durch Papier filtrirende Tinte bildet. Die durch das Filter gegangenen Fuscintheilchen setzen sich in flachen Uhrgl\u00e4sern nach einiger Zeit so vollkommen ab, dass die Fl\u00fcssigkeit mit feinen Pipetten abgesogen werden kann, ein Mittel, das weiterhin allein benutzt wird, weil das Pigment, auch wenn es sich noch zusammenballt, durch Filter theils verloren geht, theils wegen des Eindringens in die Poren mit Cellulose verunreinigt wird, wenn man es abzunehmen versucht. Der Bodensatz wird mit Wasser zur Entfernung der Galle gewaschen, darauf einer 24 st\u00e4ndigen alkalischen Trypsinverdauung, zur Verh\u00fctung der Bacterienbildung unter Zusatz von Thymol, unterworfen, um allenfalls mit dem Fuscin durch das Filter geschl\u00fcpfte, eiweisshaltige Massen (von denen mikroskopisch allerdings nie etwas zu entdecken ist) zu entfernen, weiter wiederholt mit Wasser, endlich mit Alkohol und Aether extrahirt. Man gewinnt so einen beim Verdunsten der letzten Aethertropfen am Uhrglase haftenden, im durchfallenden Lichte schwarzbraunen, im auffallenden bl\u00e4ulich schwarzen Anflug, der nur aus Fuscin besteht.\nIn \u00e4hnlicher Weise wird aus der Chorio\u00efdea des Frosches ein,\n1 Rosow, Arch. f. Ophthalmologie IX. Abth. 3. S. 65.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Darstellung und Eigenschaften des Fuscins.\n249\nabgesehen von der theilweise krystallinischen Beschaffenheit, von dem epithelialen in keinem Punkte abweichendes Fuscin erhalten, dessen hier gedacht wird, weil es bis heute nur m\u00f6glich ist das Epithelfuscin in gr\u00f6sseren Mengen zu erhalten, wenn auf die Scheidung von jenem verzichtet wird. In kleinen, zur Contr\u00f4le gen\u00fcgenden Antheilen wird das chorio\u00efdale Fuscin rein gewonnen, indem man aus den vom Epithel zugleich mit der ganzen Retina entleerten Augengr\u00fcnden die Uvea herauspfl\u00fcckt, mit Galle sch\u00fcttelt und mit Wasser w\u00e4scht, um jede Spur etwa zur\u00fcckgebliebenen Epithels , sammt dessen Pigment fortzusp\u00fclen, die \u00fcbrig bleibenden schwarzen Flocken in Wasser auf kocht und mit Trypsin, welches nach diesen Vorbereitungen das Gewebe mit Einschluss des Collagens aufl\u00f6st, verdaut. Um aus dem R\u00fcckst\u00e4nde die Nucleme zu entfernen, ist derselbe mit sehr verd\u00fcnntem Alkali zu extrahiren. Das unver\u00e4nderte Pigment bildet dann einen schwarzen Bodensatz, der weiter durch Schlemmen, wie es beim Fuscin angegeben, zu reinigen ist.\nDie vereinigten Pigmente des Augengrundes sind von K. Mays 1 aus Frosch- und S\u00e4ugeraugen und besonders aus denen von H\u00fchnern nach folgender Methode dargestellt. Mehr als 500 hintere Augenh\u00e4lften wurden frisch in Alkohol geworfen, mit kochendem Alkohol, darauf mit Aether, zuletzt durch Kochen mit Wasser extrahirt. Nach 24st\u00fcndiger energischer Trypsinverdauung blieb das Pigment mit einigen St\u00fcckchen verkn\u00f6cherter Sklera, welche leicht beim Durchgiessen durch Gaze abzufangen waren, zur\u00fcck. In dem nach einer letzten Reinigung mit Alkali von Nucle\u00efnen befreiten Fuscin noch zu vermuthendes Neurokeratin, das aus den Netzh\u00e4uten ebenfalls ungel\u00f6st h\u00e4tte Zur\u00fcckbleiben m\u00fcssen, fand sich mikroskopisch nicht angedeutet. Das Neurokeratin scheint demnach durch Schlemmen vom Fuscin trennbar zu sein, wenn es nicht bei dem \u00f6fter befolgten Fil-triren durch Gaze, an der es sehr haftet, unbeabsichtigt verloren gegangen war.\nKein chemisches Reagens l\u00f6st oder zersetzt das Fuscin sofort ; concentrate S\u00e4uren und Alkalien bed\u00fcrfen dazu l\u00e4ngerer Zeit oder des Er-hitzens. Bei l\u00e4ngerem Kochen f\u00e4rbt das Fuscin concentrirte Schwefels\u00e4ure schwarzbraun, Natronlauge und Salpeters\u00e4ure gelb, ohne mehr als Spuren zu verlieren. Wie Rosow fand und Mays best\u00e4tigte, wird das Fuscin nach l\u00e4ngerer Behandlung mit verd\u00fcnnter Salpeters\u00e4ure in \u00e4tzendem und kohlensaurem Alkali, sowie in Ammoniak leicht l\u00f6slich. Diese L\u00f6sungen sind Rosow\u2019s Angaben entgegen, nach welchen sie\n1 K. Mays, Unters, a. d. physiol. Inst. z. Heidelberg II. S. 324.","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nsch\u00f6n violetroth sein sollen, gelb, auch wenn sie aus ganz reinem Epithelfuscin gewonnen werden. Aus diesen alkalischen L\u00f6sungen gef\u00e4rbte Niederschl\u00e4ge durch Neutralismen zu erhalten, gelang Mays nicht.\nBei der grossen Resistenz des Fuscins gegen chemische Eingriffe ist seine Empfindlichkeit gegen Licht um so \u00fcberraschender. Dieselbe ist zwar nicht bedeutend, aber doch im intensivsten Sonnenlichte im Laufe einiger Stunden zu bemerken, wenn man es recht blass auf weissem Porzellan ausmalt und eine scharf begrenzte Vergleichsstelle vor Licht sch\u00fctzt. Mit Luft eingeschlossene mikroskopische Pr\u00e4parate des retinalen Epithels, hinreichend belichtet, zeigen den Gang der Ver\u00e4nderung ebenfalls; besonders die in den Forts\u00e4tzen der Zellen einzeln liegenden Nadeln werden nach und nach heller, dann blassgelb, endlich farblos, ohne sich in den Zusatzfl\u00fcssigkeiten, die am besten aus 0,5 pCt. NaCl-L\u00f6sung oder \u00e4usserst verd\u00fcnnter Soda bestehen, nachweisbar zu l\u00f6sen. Damit solche Pr\u00e4parate nicht durch F\u00e4ulniss zerfallen ist es n\u00f6thig sie mit Spuren von Thymol zu versetzen, nicht mit Salicyls\u00e4ure, weil S\u00e4uren die Lichtempfindlichkeit ausserordentlich schw\u00e4chen.\nDas Gelbwerden und die Entf\u00e4rbung des Fuscins am Lichte ist nicht von Erw\u00e4rmung bedingt: es tritt bei dauernd kalt gehaltenen Pr\u00e4paraten ein, w\u00e4hrend es unter berussten von der Sonne beschienenen Gl\u00e4sern, welche die thermisch wirksamsten Strahlen durchlassen, an trockenen Objecten nach Monaten und Jahren nicht erfolgt. Im trockenen Zustande verl\u00e4uft die photochemische Ver\u00e4nderung etwas langsamer, als in Gegenwart von Wasser, am schnellsten in alkalischen Fl\u00fcssigkeiten. Sehr dunkel ausgemalte Streifen, \u00fcber Schwefels\u00e4ure an einem sonnigen Platze aufgestellt, werden nach etwa 1\u20142 Sommermonaten orange bis gelb, nach einem weiteren Monat farblos. Im Laufe eines tr\u00fcben Winters gab eine mit Fuscin nussbraun bemalte Platte, die mit einem photographischen Negativ bedeckt unter Oberlicht gelegen hatte, ein leidlich detaillirtes Photogramm.\nUnter Ausschluss des Sauerstoffs, im luftleeren Raume, oder in Kohlens\u00e4ure wird das Fuscin durch Licht gar nicht ver\u00e4ndert, weder im trocknen, noch im feuchten Zustande, ebenso wenig in Gegenwart von Alkali. Mikroskopische Pr\u00e4parate, an welchen man sich von der Lichtempfindlichkeit \u00fcberzeugen will, d\u00fcrfen darum nur in sog. feuchte Kammern, nicht in der gew\u00f6hnlichen Weise unter Deckgl\u00e4sern, mit einem m\u00f6glichst grossen Luftvolum eingeschlossen werden. Mays, der diese Beobachtungen best\u00e4tigte, fand, dass die Belichtung in Gegenwart von Sauerstoff auch die L\u00f6slichkeit des Fuscins beein-","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Fusein : Zersetzung und Lichtempfindlichkeit.\n251\nflusst, so dass z. B. Suspensionen des Pigments namentlich in verd\u00fcnnter Soda bald klare, gelbe L\u00f6sungen gaben. Merkw\u00fcrdiger Weise wurden diese L\u00f6sungen durch Licht weniger schnell gebleicht, als das \u00fcbersch\u00fcssige, darin wieder zu Boden sinkende Pigment. In geringerem Grade wird das Fusein bei Einwirkung von Luft und Licht sogar in Wasser und in sauren Fl\u00fcssigkeiten (Salicyls\u00e4ure von 0,2 pCt.) l\u00f6slich. Von Wasser, verd\u00fcnnter Soda oder \u00e4tzendem Alkali wird das Fusein nach Mays\u2019 Beobachtungen unter Abschluss des Sauerstoffs auch durch tagelanges Erhitzen auf 100 0 C. weder gel\u00f6st noch in der Farbe ge\u00e4ndert, w\u00e4hrend Siedehitze in Gegenwart von Sauerstoff kleine Antkeile des so befeuchteten Pigmentes nach 6\u20148 Stunden l\u00f6slich macht. Aus der am intensivsten gef\u00e4rbten alkalischen L\u00f6sung ist es darauf durch Ans\u00e4uern in Gestalt eines oft erst nach Tagen zu Boden gehenden Niederschlages f\u00e4llbar, der aus amorphen hellbraunen Flocken besteht.\nOhne Zweifel besteht die mit Bleichung abschliessende Aende-rung des Fuscins am Lichte und unter dem Einfl\u00fcsse der Siedehitze in einer Oxydation. Wie Mays fand, wird dieselbe ohne Licht auch durch Ozon nicht erzielt und auffallender Weise im Lichte von Ozon im Vergleiche zum atmosph\u00e4rischen Sauerstoff nicht beschleunigt. Wenn aber das Fusein zuvor durch Luft, Licht oder W\u00e4rme soweit umgewandelt worden, dass es in L\u00f6sung geht, so wird der gelbe gel\u00f6ste K\u00f6rper, der als das erste farbige Zersetzungsprodukt des Fuscins aufzufassen ist, von Ozon im Dunkeln sehr langsam, im Lichte ziemlich schnell bis auf ein \u00e4usserst blasses Gelb entf\u00e4rbt. Alka-liche Fl\u00fcssigkeiten ( \u2019/2 pCt. Pottasche) sind zum Constatiren dieses Verhaltens die geeignetsten.\nNach der Lichtempfindlichkeit zu urtkeilen verhalten sich die Fuscine nicht bei allen Thieren gleich; Mays fand das der Eule schneller bleichend, als das des Frosches und des Huhnes, die beiden letzteren aber ziemlich \u00fcbereinstimmend. Das zimmtfarbene Fusein eines hochblonden Menschen sah ich bedeutend schneller bleichen, als das des Frosches.\nDas von Mays dargestellte Fusein hinterl\u00e4sst wenig eisenhaltige Asche und ist ein stickstoffreicher K\u00f6rper.\n2. Chemie des Sehepithels.\n(St\u00e4bchen und Zapfen.)\nDas Sehepithel besteht aus den Sehzellen: aus St\u00e4bchen und Zapfen. Wo beide Formen und viele St\u00e4bchen Vorkommen reichen nur die letzteren mit den l\u00e4ngeren Aussengliedern in die Basis der","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nretinalen Epitkelzellen hinein, w\u00e4hrend bei \u00fcberwiegenden Zapfen auch diese z. Th. bis an die fuscinfreie Kuppe nach hinten durchragen. In der st\u00e4bchenfreien Schlangennetzhaut \u00fcberschreiten alle Zapfenaussenglieder die hintere Fuscinzone ; wahrscheinlich ist dieses Verhalten auch f\u00fcr die Zapfen in der Fovea centralis des Menschen und des Affen. Aus St\u00e4bchen und Zapfen gebildetes Sehepithel gleicht einer doppelten Claviatur deren vordere Reihe von den auch mit der Wurzel des Aussengliedes weiter vorgestellten Zapfen besteht.\nA)\tInnenglieder der Sehzellen.\nNur die Aussenglieder der St\u00e4bchen und Zapfen sind in chemischer Beziehung beachtet, obwohl es grosses Interesse h\u00e4tte das mikrochemische Verhalten des so verschiedenartigen Inhaltes der Innenglieder ebenfalls zu untersuchen. Die letzteren besitzen wie alle zelligen Bestandtheile der Retina ein im Leben ausserordentlich durchsichtiges Protoplasma, worin erst nach dem Tode leichte, k\u00f6rnige Einlagerungen bemerklick werden, ferner Kerne, wie es scheint, vom allgemeinen Verhalten der meisten Zellkerne und bei vielen Tkieren noch besondere, ebenfalls nach dem Absterben deutlicher hervortretende Gebilde von sehr auffallender Gestalt und Lichtbrechung, welche letztere grosse Verschiedenheit gegen die chemische Zusammensetzung des Protoplasmas andeutet. Es sind dies die bei niederen Wir-belthieren auch in den St\u00e4bchen, bei den h\u00f6heren vorwiegend in den Zapfen vorkommenden, kugligen, linsenf\u00f6rmigen und parabolo\u00efden K\u00f6rper von eigenth\u00fcmlich starker Lichtbrechung und die von Max Schultze am entwickeltsten in den Zapfen des Menschen, aber auch im \u00e4usseren Theile des Innengliedes der St\u00e4bchen gefundenen Faserk\u00f6rbe. Alle diese Bildungen f\u00e4rben sich mit Osmiums\u00e4ure, obschon z. Th. recht schwach, eher und dunkler als das Protoplasma und scheinen theils den Fetten, theils dem sog. Myelin verwandt; bei vielen Reptilien und bei den V\u00f6geln sind es in den Zapfen wahre Fettkugeln, welche \u00fcberdies vielfach Pigmente enthalten. Endlich zeigen die Zapfeninnenglieder mancher V\u00f6gel und Reptilien ihre ganze Masse durchsetzende Einlagerungen eines bis zur feinsten K\u00f6rnung vertheilten, rosenfarbenen oder gefben Pigments, das vermutk-lich auch in dieser Gestalt noch mit Spuren von Fetten vereinigt ist.\nB)\tAussenglieder der Sehzellen.\n(Cylinder und Kegel.)\nNicht allm\u00e4hlich, sondern pl\u00f6tzlich mit scharfer scheibenf\u00f6rmiger Grenze geht das \u00e4ussere Glied aus dem inneren der Sehzelle, selbst","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Sehepitel. Aussenglieder der Sehzellen.\n253\nin dem Falle hervor, wo kein besonderer gl\u00e4nzender K\u00f6rper die Grenze markirt. Die Aussenglieder der St\u00e4bchen sind Cylinder mit kreisf\u00f6rmigem bis elliptischem Querschnitte und oft canelirter Oberfl\u00e4che, deren \u00e4usseres Ende eine unregelm\u00e4ssige, zuweilen wie benagt aussehende, oder treppenf\u00f6rmige Kuppe besitzt; die der Zapfen sind Kegel mit glatter, leicht abgerundeter Spitze. Letztere sind weicher, biegsamer, verg\u00e4nglicher, von schw\u00e4cherer Lichtbrechung und fallen leichter von den Innengliedern ab. Cylinder und Kegel werden nach dem Tode deutlicher quergestreift und bl\u00e4ttern im Innern zu S\u00e4ulen von Pl\u00e4ttchen oder Ringen mit unregelm\u00e4ssigem Lumen auf. Die Pl\u00e4ttchen der Kegel sind die dickeren. In Osmiums\u00e4ure werden die Cylinder bedeutend dunkler, als die Kegel.\nDie Aussenglieder aller Sehzellen bestehen aus einer Mantelschicht, Rinde oder Haut und aus dem von Pl\u00e4ttchen und Zwischensubstanz gebildeten Inhalte ; dies wurde von M. Schultze namentlich bei den Kegeln, wo die Haut auch die Spitze continuirlich \u00fcberzieht, festgestellt. Auf die chemische Structur konnten bis heute nur die Cylinder untersucht werden..\n1) Chemische Structur der Cylinder.\nDie H\u00fclle der St\u00e4bchenaussenglieder ist isolirbar und verh\u00e4lt sich wie Neurokeratin.1 In absoluten Alkohol gelegte, darauf mit Aether, endlich mit kochendem Alkohol extrahirte Froschnetzh\u00e4ute zeigen die Cylinder in Gestalt sehr reducirter, runzeliger Forts\u00e4tze, die sich mikrochemisch wie geronnenes Eiweiss verhalten, kaum quellungsf\u00e4hig sind und jeder auff\u00e4lligeren Reaction gegen Osmiums\u00e4ure entbehren. Verdauungsversuche daran lehren, dass dieser Rest nach Art der geronnenen Albumine l\u00f6slich wird, aber nur zum Theil, so dass nach abermaliger starker Volumsabnahme ein schwer zerst\u00f6rbarer, nur durch \u00e4tzende Alkalien und concentrirte Schwefels\u00e4ure bei Siedehitze schneller schwindender Antheil \u00fcbrig bleibt. Auch die wirksamste, lange durchgef\u00fchrte Verdauung erst mit Pepsin und HCl, dann mit Trypsin, nach einander in salicylsaurer, neutraler und schwach alkalischer L\u00f6sung beseitigt dieses Residuum nicht, das auch langer Baeterienf\u00e4ulniss widersteht. Das Keratin der Cylinder wetteifert an Unl\u00f6slichkeit mit dem des Gehirns. Wie Morocho-wetz 2 fand, ist nicht alles Keratin f\u00fcr wochenlang, namentlich mit Magensaft durchgef\u00fchrte Verdauung unzug\u00e4nglich, das der Haare und der menschlichen Epidermis besonders nicht. Hiermit und mit dem\n1\tVgl. Kuhnt a. a. 0.\n2\tNach nicht publicirter Mittheilung.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nNeurokeratin der grauen Netzhautsubstanz verglichen, erscheint das St\u00e4bchenkeratin ausserordentlich resistent, etwa nur dem Keratin k\u00e4uflichen Horns nachstehend. Um es frei von Nucle\u00efnen, die es noch zur\u00fcckhalten k\u00f6nnte, zu erhalten, empfiehlt es sich die Verdauung wie gew\u00f6hnlich, in alkalischer L\u00f6sung zu beenden; es macht aber nicht den Eindruck, als ob beim Uebergange von der neutralen Trypsin Verdauung zur alkalischen noch eine Aenderung im Aussehen der St\u00e4bchenreste erfolge, ebensowenig, wenn dieselben mit kalter Kalilauge von 1\u20145 pCt. einige Stunden behandelt werden. Man w\u00e4re versucht die den genannten L\u00f6sungsmitteln trotzenden R\u00fcckst\u00e4nde f\u00fcr thierische Cellulose zu nehmen, wenn nicht beim Neurokeratin des Gehirnes und der Nerven der Nachweis des Gehaltes an Schwefel (3 pCt.) und an Stickstoff vorl\u00e4ge l 2, und wenn nicht auch an den St\u00e4bchenresten alle Cellulosereactionen fehlschl\u00fcgen, w\u00e4hrend die Gelbf\u00e4rbung mit heisser Salpeters\u00e4ure und die R\u00f6thung mit dem Millon-schen Reagens sehr gut gelingen. Mikroskopisch stellen sich die Keratinreste der Cylinder als gl\u00e4nzende, stark lichtbrechende, gerunzelte Fransen dar, deren viele jedoch deutlich r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Bau erkennen lassen. Ob dieselben an einem oder an beiden Enden offen sind ist schwer zu entscheiden, sie scheinen aber in Pr\u00e4paraten, deren Zusammenhang mit dem Keratin vorderer Netzhautschichten erhalten geblieben, nach Kuhnt\u2019s 2 Beobachtungen in zartere, den Innengliedern angeh\u00f6rige H\u00fcllen \u00fcberzugehen, welche wahrscheinlich im Zusammenh\u00e4nge mit der M. limitans ext. stehen. Damit w\u00fcrde das St\u00e4bchen an seinem \u00e4usseren Theile zu einer Neurokeratinr\u00f6hre, welche nach vorn Protoplasma des Innengliedes, nach hinten dessen zur S\u00e4ule ausgewachsene Cuticularsubstanzen des Aussengliedes umfasst, eine Auffassung, welcher auch einige sp\u00e4ter zu er\u00f6rternde Erscheinungen g\u00fcnstig sind.\nDer Inhalt der Cylinder wird augenscheinlich aus zwei Forrn-bestandtheilen gebildet, aus den Pl\u00e4ttchen und aus deren Zwischenoder Kittsubstanz, doch scheinen dieselben in der chemischen Structur wenig verschieden zu sein, besonders im Leben, oder im Ueberlebens-zustande, wo auch die quere Streifung nicht oder kaum angedeutet ist. Die schon erw\u00e4hnte successive Extraction der Cylinder lehrt, dass ihr Inhalt in zwei Gruppen von Stoffen zerf\u00e4llt, von welchen die eine der Alkohol-Aetherbehandlung weichende, als myelogene, die andere als albumin\u00f6se zu bezeichnen ist; es finden sich aber keine Gr\u00fcnde je eine nur den Pl\u00e4ttchen oder nur dem Kitte zuzu-\n1\tVerhandl. d. naturhist. med. Ver. z. Heidelberg 1876.1. 5. Heft.\n2\tKuhnt a. a. 0.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Sehzellen. St\u00e4bchen. St\u00e4bchenmyelo'id.\n255\nschreiben, um so weniger, als es sehr m\u00f6glich ist, dass gewisse Bestandteile der beiden Gruppen erst aus chemischer Spaltung eines einzigen pr\u00e4existenten K\u00f6rpers hervorgehen.\nDas St\u00e4bchenmyelo'id. Die von M. Schultze und Rudneff 1 an den Cylindern gefundene F\u00e4rbung durch Osmiums\u00e4ure erinnert wegen ihres schnellen Auftretens und wegen ihrer Tiefe am meisten an das von Schultze gefundene Verhalten des Fettes und des Ner-venmarkes gegen dasselbe Reagens; sie unterscheidet sich jedoch durch die Nuance; Fett wird in Os\u00dc4 gelbbraun bis rothbraun, endlich rein schwarz, Nervenmark blaugrau bis blauschwarz, w\u00e4hrend die St\u00e4bchenaussenglieder darin stets gr\u00fcnbraun, h\u00f6chstens gr\u00fcnschwarz werden, Nuancen, welche an keinem andern Bestandtheile des Thierk\u00f6rpers, mit Ausnahme der Myelo'idk\u00f6rner des retinalen Epithels, wo sie in helleren Schattirungen auftreten, durch OsOj erzeugt werden. Ohne mit der Bezeichnung \u201eMyelo'id\u201c bereits einen chemischen K\u00f6rper bezeichnen zu wollen, was ebenso unzul\u00e4ssig w\u00e4re, wie wenn man dem Worte Myelin oder Nervenmark einen bestimmten chemischen Begriff unterlegte, soll mit dem Worte nur die auf die genannte Weise gegen 0s04 reagirende Mischung chemischer K\u00f6rper bezeichnet werden. H\u00e4ngt die Intensit\u00e4t der gr\u00fcnbraunen F\u00e4rbung mit der Menge oder mit der Verd\u00fcnnung des Myelo\u00efds durch andere Substanzen zusammen, so sind die Cylinder als myelo'idreich, die auf Os\u00dc4 viel schw\u00e4cher reagirenden Kegel der Zapfen und viele dem Froschpr\u00e4parate in dieser Reaction sehr nachstehende Cylinder von St\u00e4bchen der S\u00e4uger f\u00fcr myelo'idarm zu erachten. Die Myelo\u00efd-k\u00f6rner des retinalen Epithels m\u00fcssen aus gleichem Grunde myelo\u00efd-arm heissen.\nSo wenig wie von dem Myelin des Nervenmarkes gelingt es vom Myeloid L\u00f6sungen zu erhalten, welche direkt oder nach dem Verdunsten genau so reagirten, wie die pr\u00e4existente Mischung. Es ist zwar ein Leichtes, Alkohol - Aetherextrakte aus Nerven oder Netzh\u00e4uten zu gewinnen, deren Verdunstungsr\u00fcckstand sich mit 0s04 sehr dunkel f\u00e4rbt, aber es gelingt nicht im einen Falle die gr\u00fcnbraune, im andern die blauschwarze Farbe zu erhalten, sondern es wird nur eine braune erzielt, wie von Fetten oder mit Oels\u00e4ure. Dennoch wird Nerven und St\u00e4bchencylindern durch jene Extraction Alles geraubt, was ihr Verhalten zu dem f\u00e4rbenden Reagens bedingt.\nNervenmark giebt an Aether bekanntlich Lecithin, an heissen Alkohol Cerebrin ab, zwei wohl definirte chemische K\u00f6rper,\n3 M. Schultze\u2019s Arch. f. microscop. Anat. I. S. 300.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nK\u00fchne. Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nwelche aber von OsO-i gar nicht gef\u00e4rbt werden. Ebenso indifferent verh\u00e4lt sich Das, was ans der Netzhaut durch dieselben Mittel ei-nigermaassen sauber abzuscheiden ist. Das Aetherextrakt von Ochsennetzh\u00e4uten giebt stark abgek\u00fchlt eine schwache, schnell auf dem Filter zu sammelnde Tr\u00fcbung, die vermuthlich aus Lecithin besteht und sich mit OsOj gar nicht f\u00e4rbt, und wenn man die mit Aether ersch\u00f6pften Netzh\u00e4ute mit Benzol oder mit siedendem Alkohol auszieht, bekommt man eine zweite, sich leicht vor beendeter Verdunstung rein weiss ausscheidende Substanz von dem Verhalten des Cerebrins, welche nach dem Kochen mit Schwefels\u00e4ure aus alkalischen Kupferl\u00f6sungen in der W\u00e4rme Oxydul ausscheidet; auch dieses Cerebrin reducirt OsO-t nicht. Die durch jene S\u00e4ure geschw\u00e4rzten Stoffe sind demnach unter den in Aether l\u00f6slichen, nach Ausscheidung des Lecithins \u00fcbrig bleibenden, sehr an Fette erinnernden Substanzen zu suchen, welche wahrscheinlich die im Leben aus dem Lecithin entstehenden Fetts\u00e4uren sind. Doch sind dieselben an ihrem nat\u00fcrlichen Standorte wohl combinirt mit irgend etwas Anderem zu denken, von dem das L\u00f6sungsmittel sie trennt, und welches die Nuancen der F\u00e4rbung bedingt, wenn der eine Bestandtheil die OsO-i reducirt. Es liegt nahe hier an Albumine zu denken, die im Nervenmarke anscheinend in noch gr\u00f6sserer Menge Vorkommen, als in den St\u00e4bchencylin-dern. Da verschiedene Lecithine mit Recht angenommen werden, weil dieselben nach dem Fundorte wechselnde Mengen von Palmitins\u00e4ure, Stearins\u00e4ure und Oels\u00e4ure, neben dem Cholin und der Glycerinphosphors\u00e4ure bei der Zersetzung liefern, so k\u00f6nnen Myelin und Myelo\u00efd, deren Verhalten gewiss auf der Gegenwart einzelner jener Lecithinabk\u00f6mmlinge beruht, sich in den Nuancen der OsO-i-F\u00e4rbung vielleicht nur deshalb unterscheiden, weil an ihrem Standorte das eine oder das andere Lecithin Verwendung fand.\nDie Cylinder der Froschnetzhaut sind nicht alle gleich myelo\u00efd-haltig, einzelne sind in ganzer Ausdehnung, andere partiell arm daran, manche so arm wie die Myeloi'dk\u00f6rner der Epithelzellen. Man sieht dies an Pr\u00e4paraten abgesch\u00fcttelter Cylinder, die lange in grossem Ueberschusse von einprocentiger OsOj gelegen, unter welchen es immer manche von auffallend blasser Farbe, viele von partieller heller Olivenf\u00e4rbung giebt. Bemerkenswerther Weise wird die letztere niemals in der Mitte der Cylinderl\u00e4nge, sondern ausschliesslich an einem Ende gefunden, das sich da, wo vorn und hinten durch das anhaftende Innenglied zu unterscheiden sind, ausnahmslos als das periphere, in die Basis der Epithelzellen reichende erweist.\nWenn der Cylinderinhalt in Pl\u00e4ttchen zerfallen ist, sieht man","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Sehzellen. St\u00e4bchen \u2014 Cylinder : Verhalten zu Galle.\n257\ndiese sowohl, wie ihre Zwischensubstanz an der F\u00e4rbung durch OsOi Theil nehmen; es muss daher beiden Myelo\u00efd zugeschrieben werden. Wahrscheinlich sind die Pl\u00e4ttchen besonders reich an Cerebrin, denn sie sind es, die nach vorg\u00e4ngiger Aetherbehandlung noch kenntlich, am meisten durch kochenden Alkohol oder Benzol schwinden. Indess bleibt auch dann noch etwas in den runzeligen Troddeln \u00fcbrig, welche die Cylinder vor der Extraction durch Verdauung darstellep, was auf Reste der Pl\u00e4ttchenstructur zu deuten scheint.\nSeit M. Schultze\u2019s Untersuchungen sind noch manche sowohl auf Eiweissstoffe, wie auf Myelo\u00efd in den Cylindern deutende Reac-tionen bekannt, so die erstaunliche Quellung in verd\u00fcnntem Aetzkali, die alle Structur daran unkenntlich macht. In eoncentrirten Harnstoffl\u00f6sungen quellen sie ebenfalls und backen darauf zu grossen durchsichtigen Klumpen zusammen; \u00e4hnlich wirkt rasches Gefrieren und Wiederaufthauen. Am \u00fcberraschendsten ist ihr Verhalten zur Galle (glyco- oder taurocholsaurem und cholalsaurem Alkali), von 1\u20145 pCt., worin sich die Cylinder und Kegel aller Sehzellen s\u00e4mmtlicher Thiere leicht aufl\u00f6sen, unter Hinterlassung leerer, d\u00fcnnwandiger Scheiden. Hierin stimmt der Inhalt der Aussenglieder bemerkenswerther Weise mit dem Nervenmarke, mit vielen Blutk\u00f6rperchen, mit dem Protoplasma des retinalen Epithelzellen und deren Myeloi'dk\u00f6rnern, sowie mit den Axencylindern markhaltiger Nerven \u00fcberein und zwar wohl deshalb, weil die Galle ein Mittel ist, das ausser genuinen, selbst festen Albuminen, leicht Lecithin und Cerebrin aufl\u00f6st, oder ein Medium, welches die sich sonst gegenseitig ausschliessenden Behandlungen mit w\u00e4ssrigen und alkoholisch-\u00e4therischen Extractionsfl\u00fcssigkeiten, in Einem ersetzt. Sehr eiweissreiche Elementarorganismen werden nach bekannten Erfahrungen nicht von Galle gel\u00f6st, vermuth-lieh weil diese (die meisten Epithelien) ausser den genuinen Albuminen, schwerer l\u00f6sliches, umgewandeltes enthalten, das ihnen den Halt giebt, welche albumin\u00e4rmere (Blutk\u00f6rperchen z. B.) in den f\u00fcr w\u00e4ssrige Fl\u00fcssigkeiten kaum angreifbaren, myelogenen Stoffen finden dass die letztere Art in den Nerven und Sinnesepithelien \u00fcberwiegt, kann mit der rapiden chemischen Ver\u00e4nderlichkeit, die wir Allem, was nerv\u00f6s ist, zuschreiben m\u00fcssen, Zusammenh\u00e4ngen.\nDie Aufl\u00f6sung der Cylinder durch Galle stellt sich unter dem Mikroskope, bei hinreichender Frische der Netzhaut, fast explosionsartig dar: es ist ein Zerplatzen der Aussenglieder, das die ganze Membran von der Stelle r\u00fccken kann, von einer Pl\u00f6tzlichkeit, mit welcher nur das Schwinden der meisten S\u00e4ugerblutk\u00f6rperchen und die Zerst\u00f6rung retinaler Epithelzellen, unter Fortstieben der Fuscintheilchen in demselben Medium vergleichbar ist. An einzeln schwimmenden St\u00e4bchen ist der Vorgang am\nHandbuch der Physiologie. Bd. HI.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nbesten zn erkennen, indem man ihn in Pr\u00e4paraten verschiedener Ueber-lebenszeit verfolgt, da er sich nach dem Tode immer langsamer abwickelt. Man sieht da die zun\u00e4chst ganz unver\u00e4nderten Cylinder, an irgend einer. Stelle schwer zu beschreibende Aenderungen der Lichtbrechung erleiden, welchen ein pl\u00f6tzliches Auftreten sehr deutlicher Querstreifung unmittelbar folgt; darauf tritt in den Pl\u00e4ttchen ein durch den ganzen Cylinder reichender, centraler, mit Ausbuchtungen versehener Canal auf; die Querstreifen werden ungemein breit, verschwinden wieder und es hinterbleibt von den St\u00e4bchen anscheinend nichts. Sobald die Galle durch Salzl\u00f6sung ersetzt ist, findet man aber ausser wenigen gequollenen Kl\u00fcmpchen, r\u00f6hrenf\u00f6rmige Reste der Cylinder, deren mit dem Keratin \u00fcbereinstimmendes Verhalten durch die Resistenz gegen kalte Kalil\u00f6sung und gegen eine auf dem Objecttr\u00e4ger im feuchten Raume vorzunehmende Trypsin- oder Pepsinverdaunng festzustellen ist. W\u00e4hrend des Ablaufes der Ver\u00e4nderungen im Innern erleiden die Cylinder nat\u00fcrlich entsprechende Aenderungen der Gr\u00f6sse: sie werden dicker und bedeutend l\u00e4nger; dabei kr\u00fcmmen sie sich zuerst, ehe sie sich wieder strecken. Ist die Netzhaut frisch genug und tritt die Galle auf einmal rasch und hinreichend concentrirt hinzu, so verlaufen die genannten Erscheinungen in einem Augenblicke, wie wenn der Cylinder eine mit M\u00fcnzen gef\u00fcllte, platzende Rakete w\u00e4re. An abgestorbenen Netzh\u00e4uten erzeugt die Galle langsame Quellung der Cylinder, schliesslich scheinbar auch L\u00f6sung; es sind aber durch Salzzus\u00e4tze sp\u00e4ter so viele klumpige Reste sichtbar zu machen, dass nur Aufl\u00f6sung eines Theiles der den Inhalt zusammensetzenden chemischen K\u00f6rper anzunehmen ist. Unter den alsdann nicht gel\u00f6sten Stoffen findet sich einer, von dem der Wandel der L\u00f6slichkeit besonders scharf, wie in dem Folgenden gezeigt wird, festzustellen ist.\n2. Farbstoffe der Sehzellen.\nIn den Sehzellen sind Pigmente seit den Untersuchungen Hannover\u2019s1 \u00fcber die Retina der Reptilien und V\u00f6gel bekannt; sie finden sich da in den Oelkugeln der Zapfen, welche genau an der Grenze de& Innen- und Aussengliedes liegen. Die Farben repr\u00e4sentiren die ganze Scala des Spectrums und erreichen mit Ausnahme des Blau grosse S\u00e4ttigung; ausserdem kommt eine aus Spektralfarben nur durch Mischung zu erhaltende vor: Purpur. Vorzugsweise verbreitet sind die Purpurfarbe und die das Spectrum vom rothen Ende bis zum Gr\u00fcn einnehmenden Farben. Wegen der ziemlich gleichm\u00e4ssigen Ausstreuung der verschiedenfarbigen Oelkugeln erscheint die Vogelnetzhaut mikroskopisch, meist wohl schmutzig und zweifelhaft nuancirt, so dass der Anblick auf die Fl\u00e4che wenig von der Pracht und Mannigfaltigkeit der kleinsten Setzst\u00fccke ihrer Mosaik ahnen l\u00e4sst; nur wo eine Farbe sehr \u00fcberwiegt, sieht die ganze Netzhaut gelb, gelbgr\u00fcn oder sch\u00f6n roth\n1 A. Hannover, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1840. S. 320.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Farbstoffe der Sehzellen. Farbige St\u00e4bchen.\n259\naus. Ausser bei den V\u00f6geln findet sich gef\u00e4rbtes Fett in den Zapfen vieler Reptilien, deren Netzhaut in diesem Falle gelb aussieht, da hier nur diese Farbe die Regel ist; allein die Schildkr\u00f6ten besitzen nach M. Schultze 1 auch rothe Oelkugeln. Im Auge vieler Wirbellosen ist ein sch\u00f6n earminrothes Pigment seit lange bekannt, doch beschrieb erst 1839 Krohn1 2 die seitdem vielfach best\u00e4tigte, sch\u00f6ne Rosenfarbe der St\u00e4bchen von Cephalopoden ; \u00e4hnliche rosa oder violette F\u00e4rbungen wurden nach und nach an den Sehst\u00e4ben anderer Evertebraten, bei den Insecten besonders von Leydig, bei den Krebsen von M. Schultze beschrieben.\nBei Wirbel thier en, wo man bis dahin nur farbige Zapfen kannte, sah Heinrich M\u00fcller3 zuerst, dass die St\u00e4bchen des Frosches zuweilen roth seien. Leydig4 5 6 verallgemeinerte dies f\u00fcr die Amphibien und fand, dass die frische Retina des Frosches dem blossen Auge lebhaft rothen Atlasschiller zeige ; er bezeichnete die Farbe zuerst als rosenroth, worin ihm M. Schultze 5 folgte, der die F\u00e4rbung ausser beim Frosche, bei einem S\u00e4uger, der Ratte, und in den St\u00e4bchen der Eule bemerkte. Trotz dieser merkw\u00fcrdigen, von Vielen vergessenen oder ignorirten Angaben ist mit gr\u00f6sster Bestimmtheit zu behaupten, dass wenn man vor dem Jahre 1876 irgend einen Biologen, mit Ausnahme der eben genannten oder der intimeren Sch\u00fcler M. Schultze\u2019s gefragt h\u00e4tte, wie die St\u00e4bchen der Wirbelthiere auss\u00e4hen, man die Antwort erhalten h\u00e4tte: farblos, gl\u00e4nzend u. s. w.\nErst Boll 6 lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf das verbreitete und constante Vorkommen farbiger St\u00e4bchen und entdeckte in der Retina des Frosches auch gr\u00fcne St\u00e4bchen. Was diesen Beobachtungen besonderen Werth und das gr\u00f6sste Interesse verleihen m\u00fcsste, war aber die weitere Entdeckung Boll\u2019s, dass im Hellen gehaltene Fr\u00f6sche bl\u00e4ssere, durch directes Sonnenlicht l\u00e4nger geblendete, v\u00f6llig farblose Retina zeigen und die Angabe, dass die Farbe sich in der heraus-genommenen Froschnetzhaut kaum eine Minute halte, beim S\u00e4uge-thiere schon im Auge einige Augenblicke nach dem Tode vergehe. Eine ohne Frage \u00e4usserst wichtige Beziehung der Retinaf\u00e4rbung zum Lichte war damit constatirt, deren Bedeutung durch die Angabe, dass die F\u00e4rbung sich bei geblendeten Fr\u00f6schen in der Dunkelheit alsbald\n1\tM. Schultze, Artikel Retina in Strieker\u2019s Handb. d. microscop. Anat. und Hannover a. a. 0.\n2\tA. Krohn, Verhandl. d. Leopold. Car. Acad. XIX. 2. S. 45. 1842.\n3\tH. M\u00fcller, Ztschr. f. wissensch. Zool.III. S.234\u2014237. 1851 n. VHI.S. 1\u2014122.\n4\tFr. Leydig, Lebrb. d. Histologie 1857. S. 238 u. 239.\n5\tM. Schultze, Arch. f. microscop. Anat. IL S. 199 u. 208.\n6\tFr. Boll, Monatsber. d. Berliner Acad. 12.Nov. und Accad. d. Lincei. 3. Dec.\n1876.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nwiederherstelle, nur erh\u00f6ht werden konnte. Um sich von dem That-s\u00e4chlichen zu \u00fcberzeugen, schrieb Boll vor, das Auge so schleunig wie m\u00f6glich am Kopfe des Frosches zu halbiren und die Retina unter Vermeidung von Druck, welcher ebenso wie das Absterben die Farbe vernichte, sogleich mit blossem Auge oder mikroskopisch zu besehen, bei S\u00e4ugern dagegen im Momente des Chloroformtodes die Netzhaut mit dem Augenspiegel zu betrachten, wo man die rothe Farbe des Augengrundes pl\u00f6tzlich verschwinden sehe. Beim Menschen sei daher der Tod durch den Augenspiegel zu constatiren. Eine in der Thiereihe auf die angegebene Weise vorgenommene Umschau ver-anlasste Boll die \u201ePurpurfarbe\u201c als welche er die \u201eEigenfarbe\u201c der Netzhaut bezeichnete, der \u201epl\u00e4ttchenstructurirten Substanz der St\u00e4bchen und Zapfen\u201c s\u00e4mmtlicher Thiere, vielleicht mit Ausnahme der Reptilien, deren Zapfenaussenglieder sehr klein sind, zuzuschreiben. Ob die F\u00e4rbung von Interferenz oder von einem Farbstoffe herr\u00fchre, blieb unter Erinnemng an die bei den Pl\u00e4ttchens\u00e4ulen sehr denkbare Erscheinung der Farben d\u00fcnner Bl\u00e4ttchen unentschieden.\nSo grosse Hoffnungen diese Befunde erwecken mussten, so gering war die Aussicht \u00fcber dieselben hinauszukommen bei einem Objecte, das sich unter der Hand in wenigen Augenblicken der weiteren Bearbeitung der Art entzog, wie die Farbe der Retina. Indess hatte eine solche Structur oder eine solche Substanz, welche, nachdem wir ihr kaum genaht, sogleich aufh\u00f6rte zu sein, was sie gewesen, in der wundersam empfindlichen Netzhaut die gr\u00f6sste Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich. Man brauchte sich nur der von du Bois-Reymond und von L. Hermann studirten, erstaunlich geringf\u00fcgigen Einwirkungen zu erinnern, durch welche an dem gewiss ungleich weniger alterablen Muskelgewebe die m\u00e4chtigsten Einfl\u00fcsse auf dessen electromotori-sches Verhalten ausge\u00fcbt werden, um ein Beispiel f\u00fcr die j\u00e4hen, materiellen Ver\u00e4nderungen leicht erregbarer, thierischer Gebilde nach minimalen Eingriffen in ihre nat\u00fcrliche Anordnung zu finden. Dass die St\u00e4bchenfarbe der Wirbellosen solche Grade der Empfindlichkeit gegen das Absterben nicht zeige, war freilich lange bemerkt, sprach aber erst recht f\u00fcr Boll\u2019s Darstellung, weil die Elementarorganismen niederer Gesch\u00f6pfe nach gel\u00e4ufigen Erfahrungen im Allgemeinen selbst\u00e4ndigere Existenz besitzen und vom Gesammtorganismus getrennt, viel langsamer absterben, als die der h\u00f6heren Thiere. Erwog man endlich die empfindliche Reaction des Auges und der Retina gegen alle m\u00f6glichen Reize ausser dem Lichte, und die starken Sehempfindungen, welche derartige Insulte uns bereiten, so lag der Gedanke nahe, dass die St\u00e4bchenfarbe im Leben auch durch diese ver-","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Farbige St\u00e4bchen. Lichtempfindlicher Sehpurpur.\n261\ngehe, im Tode durch das Aufh\u00f6ren der Ern\u00e4hrung und Athmung^ schwinden werde und mit gr\u00f6sster Rapidit\u00e4t nach dem Herauszerren der hochempfindlichen Membran aus dem Auge, welches sie in sich selbst, am gef\u00e4hrlichsten Orte beim Abheben vom Epithel, spaltet, vernichtet werden m\u00fcsse.\nIndess nahm der Gegenstand sogleich nach Boll\u2019s Mittheilungen eine andere Wendung. Von Fr. Holmgren\u2019s1 sch\u00f6nen Beobachtungen \u00fcber die stundenlang bemerkliche Ver\u00e4nderlichkeit des electromotorischen Verhaltens eines isolirten und halbirten Froschauges auf Licht und Dunkelheit ausgehend, fand ich den eben er\u00f6rterten Gedankengang, welcher der Aufnahme von Boll\u2019s thats\u00e4ch-lichen Angaben zu Grunde gelegen, unwahrscheinlich, und ein Versuch belehrte mich sofort, dass auch die an der Epithelverbindung aufgerissene Froschnetzhaut in einem m\u00f6glichst schwach erleuchteten Raume (ich hatte ein kopfgrosses Loch im geschlossenen Fensterladen mit gelbem Papier bespannt) ihre Farbe stundenlang bewahrt, sie aber an gutem Tageslichte sogleich verliert. Da der Versuch mit im Dunkeln gefaulten, mit zerquetschten und wieder zusammengeschabten Netzh\u00e4uten, mit in NH} erweichten oder in Alaun geh\u00e4rteten in gleicher Weise gelang, war jeder Einfluss des Absterbens auf die Retinafarbe widerlegt, das Licht als die alleinige Ursache ihres Abblassens und Schwindens erkannt, wie es nach partieller Belichtung erhaltene, photographische Bilder \u00fcberdies schlagend bewiesen, und die Unabh\u00e4ngigkeit der St\u00e4bchenfarbe von allen Structurverh\u00e4ltnissen dargethan. Es blieb jetzt nur eine Annahme \u00fcbrig: die St\u00e4bchen enthalten einen Farbstoff, einen Sehpurpur; dieser wird durch Licht zersetzt: es giebt eine rapide photochemische Wirkung in der Netzhaut.2\nA) Der Sehpurpur.\n(Rhodopsin.)\nBeobachtungsmethode. Die Gegenwart des Sehpurpurs wird zun\u00e4chst an der dem blossen Auge kenntlichen Farbe der isolirten Netzhaut constatirt. In zweifelhaften F\u00e4llen und wenn die Verkeilung in einer Netzhaut zu untersuchen ist, wird die Retina m\u00f6glichst frisch, vom Epithel befreit, mit der R\u00fcckfl\u00e4che gegen ein sehr grosses, hohl aufgelegtes Deckglas geklebt, und unter Schutz vor Verdunstung, bei gerade hinreichendem Tageslichte, mikroskopisch betrachtet, wobei starke Vergr\u00f6sserung nicht ausgeschlossen, zuweilen\n1\tFr. Holmgren, Upsala L\u00e4karef\u00f6renings F\u00f6rhandlingar 1871.\n2\tW. K\u00fchne, Zur Photochemie der Netzhaut a. a. O. I. S. 1. 5. Jan. 1877.","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nn\u00f6thig ist. In Uebereinstimmung mit Boll\u2019s Beobachtungen ist auf Verwendung aus dem Dunkeln kommender Thiere zu halten, obwohl in massigem Lichte befindliche Fr\u00f6sche, welche in geschlossenen, direktem Sonnenscheine unzug\u00e4nglichen R\u00e4umen verweilten, auch brauchbar sind. Um maximale F\u00e4rbung zu finden, sollen die Fr\u00f6sche 1\u20142 Stunden im Dunkeln verweilt haben. Beim Pr\u00e4pariren der Augen und Netzh\u00e4ute ist Eile ganz ausgeschlossen, da dasselbe nur vor solchem Lichte geschieht, welches die St\u00e4bchenfarbe erst nach Stunden afficirt. Jeder vor Tageslicht gesch\u00fctzte Raum gen\u00fcgt um darin jene gelbe, mittelst der Natronflamme erhaltene, fast monochromatische Beleuchtung herzustellen. Die Flamme des Bunsen\u2019-schen Brenners wird mit 2 an sehr feine Platindr\u00e4the angeschmolzene Sodaperlen, die 15\u201430 Minuten aushalten (nicht mit dem zu fl\u00fcchtigen Na CI) versehen, um f\u00fcr die feinsten Pr\u00e4parationen auf 50 Ctm. Entfernung, bei gutem Gasdrucke mehr als gen\u00fcgend Licht zu gewinnen.\nDie Retina der Fr\u00f6sche ist aus dem im Aequator halbirten Auge sehr leicht herauszuziehen, nachdem der Opticusansatz hinten an der Sclera abgeknipst worden, bei richtiger Ausf\u00fchrung mit unversehrter Papille. Augen von S\u00e4ugethieren werden nach dem Ausst\u00fcrzen des Glask\u00f6rpers in einen tiefen mit 0,6 pCt. NaCl-L\u00f6sung gef\u00fcllten Teller gebracht, auf dessen Boden ein St\u00fcck Bleiplatte liegt. Indem man die hintere Augenh\u00e4lfte mit dem Opticus gegen das Blei legt und von vorn so mit einem Locheisen gegen die Papille im Augengrunde dr\u00fcckt, dass die Netzhaut ringsum sicher bis zur Uvea durchschnitten wird, trennt man sie von der einzigen Haftstelle ; sie ist dann oft leicht mit Hakenpincetten vom Aequator her als flottirendes H\u00e4utchen abzul\u00f6sen. Der Grund des Vogelauges wird am besten vom Rande her durch 2 hart neben dem Pecten verlaufende Scheeren-schnitte, die sich an dessen centralem Ende treffen, vorbereitet. Menschliche Augen sind gleich nach dem Tode oder nach der Enucleation bis zur Ankunft am Untersuchungsorte in Eis zu conserviren, worauf sie nach mehr als 24 st\u00fcndigem Aufenthalte noch sehr brauchbar sind. Ist die Netzhaut ohne Zerst\u00f6rung von ihrem Epithelium nicht zu lockern, wie z. B. h\u00e4ufig beim Affen, trotz Dunkelaufenthalt und vollkommener Frische, so wird das schon halbirte und des Glask\u00f6rpers beraubte Auge 24 Stunden in Kalialaun von 4 pCt. geworfen, ein Verfahren das immer zum Ziele f\u00fchrt. Der vordere Abschnitt der Netzhaut ist durch einfaches Ziehen unter Salzwasser, meist im Zusammenh\u00e4nge mit der Zonula Zinnii und der Linse vollkommen isolirbar.","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"263\nSt\u00e4bchenaussenglieder. Sehpurpur.\n1) Vorkommen und Verbreitung des Sehpurpurs.\nWenige Ausnahmen abgerechnet kommt der Sehpurpur in allen st\u00e4bchenf\u00fchrenden Netzh\u00e4uten der Vertebraten, von Petromyzon bis zum Menschen vor. Ausnahmen wurden beobachtet bei einer Fledermaus (Rhinolophus hipposideros), und bei manchen Tagv\u00f6geln (H\u00fchnern und Tauben). Petromyzon hat sehr schwach purpurfarbene Netzhaut, ebenso Triton, welchem nach M. Schultze nur eigenth\u00fcmliche, den St\u00e4bchen- und Zapfenbau vereinigende Uebergangsformen von Sehzellen zukommen. Fuchs und Welponer1 Schenk und Zucker-kandl'2 entdeckten die Purpurf\u00e4rbung der menschlichen Retina, nachdem ich die Unzerst\u00f6rbarkeit der Netzhautfarbe durch Absterben auch bei den S\u00e4ugern constatirt und die Methode der Natronbelichtung eingef\u00fchrt hatte. Die Ersteren fanden auch, dass 9- und 7 monatliche menschliche Foeten, deren Auge niemals Licht empfangen, purpurne Netzh\u00e4ute besitzen. Ich fand dasselbe bei einem Rindsfoetus von 65 Ctm., w\u00e4hrend ich bei neugebornen Kaninchen, die nach M. Schultze nur Andeutungen der Cylinder an den St\u00e4bchen besitzen, die Netzhaut noch ungef\u00e4rbt sah. In einem lebenswarmen, v\u00f6llig normalen, dunkel gehaltenen menschlichen Auge, das 0. Becker enucleirt hatte, fand ich die Netzhaut von sch\u00f6n violettpurpurner Farbe, am Lichte schnell zu hellem Lila ausbleichend.\nMichel und Rosenthal3, die ein ebensolches Auge untersuchten, geben an die Netzhaut farblos gefunden zu haben, doch sind sie wahrscheinlich Opfer ihres Irrthums, dass die Netzhautfarbe reinroth, nicht, purpurn sei, geworden, der sie verhinderte statt des beim Abblassen f\u00e4lschlich erwarteten Gelb, das helle Lila zu erkennen.\nSehpurpur ist enthalten in der Netzhaut aller darauf untersuchten, auch der das Dunkle liebenden Thiere, beim Dachs, bei der Ratte und bei albinotischen Kaninchen, beim Aal und bei allen Eulen sogar in besonders grosser Menge, ferner bei den Raubv\u00f6geln, bei den Knochenfischen und bei den Knorpelfischen, wo die Farbe zuerst von Boll gefunden wurde.4 Dagegen ist bis heute bei den Wirbellosen, trotz zahlreicher Bem\u00fchungen, niemals ein Auge mit Sehpurpur gefunden ; wie sp\u00e4ter bewiesen wird, r\u00fchren die Purpurf\u00e4rbungen dort von ganz anderen, im Lichte sehr langsam verg\u00e4nglichen Pigmenten her.\nSt\u00e4bchencylinder ohne Purpur finden sich in der N\u00e4he der Ora serrata des Menschen und des Affen (und wol am gleichen Orte noch\n1\tFuchs und Welponee, Wiener med. Wochenschr. 1877. S. 221.\n2\tSchenk und Zuckerkandl, Allgem. Wiener.med. Ztg. 13. M\u00e4rz. 1877.\n3\tMichel, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1877. No. 24.\n4\tBoll, Monatsber. d. Berliner Acad. 1. c.","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nbei vielen anderen Thieren), so dass eine 3\u20144 mm. breite nach aussen etwas schm\u00e4lere, farblose Zone die Netzhaut vorn begrenzt.1 In menschlichen Augen scheinen auch die im Umkreise der Fovea centralis in der Macula lutea sp\u00e4rlich zwischen den Zapfen stehenden St\u00e4bchen purpurfrei zu sein. In der Netzhaut des Kaninchens, des Ochsen, des Schates, ausgewachsener Hunde und der Katze findet sich ein den Horizont einnehmender, mehr minder breiter, nach oben deutlicher als nach unten abgegrenzter, purpurreicherer Streif, der beim Kaninchen eine deutlich erhobene \u201eSehleiste\u201c, bei andern Thieren mehr einen flachen \u201eSehg\u00fcrtel\u201c darstellt; es ist noch nicht gen\u00fcgend untersucht, ob dieses Gebilde von purpurreicheren, oder nur von l\u00e4ngeren Cylindern und St\u00e4bchen herr\u00fchrt.\nDie Purpurfarbe neigt bei einzelnen Thieren mehr zum Violet als bei anderen, am st\u00e4rksten bei den Eulen (besonders bei Nycta\u00ebtos lac-teus), bei den meisten Fischen (auch beim Aal), unter den S\u00e4ugern beim Hammel und beim Menschen.\nDas Vorkommen des Sehpurpurs ist \u00fcberall auf die St\u00e4bchen-cylinder beschr\u00e4nkt; Zapfenaussenglieder sind niemals gef\u00e4rbt. Je reicher an Zapfen eine Netzhaut im Ganzen oder stellenweise ist, desto purpur\u00e4rmer ist sie. Die st\u00e4bchenfreie Reptiliennetzhaut enth\u00e4lt keinen Sehpurpur, und es ist die Retina der Schlangen, welche auch kein gelbes Zapfenpigment enth\u00e4lt, ohne Epithel, vollkommen farblos. In den zapfenreichen Netzh\u00e4uten der Fische und Tagraubv\u00f6gel tritt der Sehpurpur sehr zur\u00fcck: die Purpurfarbe zeigt sich dort mussivisch oder streifig unterbrochen. Beim Menschen fand ich die nur Zapfen enthaltende fovea centralis eines lebenswarm untersuchten normalen Auges, sowie vieler in Eis conservirter Augen von im Dunkeln Verstorbenen v\u00f6llig farblos und die Purpurf\u00e4rbung vom Centrum aus in dem Maasse gegen den Aequator zunehmend, wie die Zahl der Zapfen gegen die der St\u00e4bchen abnimmt.\n2) Darstellung des Sehpurpurs.2\nDie Vorschrift nur vor solchem Lichte zu arbeiten, welches die Netzhautfarbe am meisten schont, gilt im erh\u00f6hten Maasse f\u00fcr die l\u00e4nger dauernden experimentellen Untersuchungen der retinalen Farbstoffe. Da Froschnetzh\u00e4ute das haupts\u00e4chlich in Betracht kommende Material sind, das im Leben, wie schon angedeutet wurde, ziemlich viel Licht vertr\u00e4gt, k\u00f6nnte die Anforderung \u00fcbertrieben scheinen; aber es ist hier gleich vorauszuschicken, dass ein Auge, welches ohne\n1\tW. K\u00fchne a. a. 0.1. S. 33 und 107.\n2\tW. K\u00fchne, Centrait)!, f. d. med. Wiss. 1877. S. 194 und a. a. 0. S. 42 u. f.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Sehpurpur : Darstellung.\n265\nSch\u00e4digung bis zum Momente der Exstirpation massigem Lichte ausgesetzt worden, unmittelbar darauf von demselben Lichte stark an seiner Netzhaut ver\u00e4ndert wird, wenn diese abgehoben ist. Vollends gilt dies f\u00fcr mechanisch zerst\u00f6rte Netzh\u00e4ute. Das Licht der Natronflamme ist zwar nicht vollkommen unwirksam und kann v\u00f6lligen Lichtabschluss, von welchem immer noch Gebrauch zu machen bleibt, nicht ersetzen, ist aber, wo man etwas sehen muss, das einzig brauchbare, jedem gemischten und noch so abgeschw\u00e4chten Lichte vorzuziehen und nicht durch das freilich noch weniger wirksame, rothe zu ersetzen, weil letzteres die Unterscheidung des Blutes, welches im monochromatisch gelben Lichte zum Vortheile der Pr\u00e4parationstechnik schwarz wie Tinte aussieht, nicht gestattet.\nDas einzige zur Trennung des Sehpurpurs von allen geformten Bestandteilen gefundene Mittel besteht in der Aufl\u00f6sung frischer St\u00e4bchen 'durch Galle, oder in den S. 257 genannten, reinen gallensauren Alkalisalzen. Keins von den die Netzhautfarbe erhaltenden Mitteln (vergl. unten S. 283), das dazu ausserdem geeignet scheinen w\u00fcrde, kann die Galle ersetzen. So sehr es z. B. bei der Quellung der St\u00e4bchen in sehr concentrirter Harnstoffl\u00f6sung oder nach wiederholtem Gefrieren und Aufthauen im Dunkeln, was die Netzhautfarbe gar nicht ver\u00e4ndert, den Anschein haben kann, als ob die Farbe sich homogen, wie in L\u00f6sung verbreite, so bestimmt beweist die Farblosigkeit des Filtrates solcher Massen das Gegentheil.\nDie zur Extraction der Netzh\u00e4ute dienende Gallel\u00f6sung wird zweckm\u00e4ssig aus farbloser, krystallisirter Ochsengalle erhalten, indem man aus einem Vorrathe dosirter, alkoholischer L\u00f6sung die zum jedesmaligen Gebrauche n\u00f6thige Menge abmisst und nach vollst\u00e4ndiger Entfernung des Alkohols auf dem Wasserbade, aus dem festen R\u00fcckst\u00e4nde w\u00e4ssrige L\u00f6sungen der gew\u00fcnschten Concentration, am besten von 2 \u2014 5 pCt. bereitet. Die w\u00e4ssrige, bekanntlich sehr zersetzliche L\u00f6sung durch desinficirende Zus\u00e4tze vor F\u00e4ulniss gesch\u00fctzt, vorr\u00e4thig zu halten, empfiehlt sich nicht.\nNur die Netzh\u00e4ute des Frosches, der Kr\u00f6te, des Salamanders, der Eulen, des Kaninchens und des Pferdes geben h\u00e4moglobinfreie Purpurl\u00f6sungen, die der beiden letzteren, indem man die gef\u00e4sshal-tige Gegend der Opticusausbreitung fortl\u00e4sst ; bei den andern genannten scheint der Blutgehalt, in Ansehung der schwereren L\u00f6slichkeit kernhaltiger Blutk\u00f6rperchen durch Galle, zu klein zu sein um schaden zu k\u00f6nnen, abgesehen davon, dass die allein Gef\u00e4sse f\u00fchrende M. hyalo\u00efdea der Amphibien sich oft abl\u00f6st.\nAlle Netzh\u00e4ute sollen frisch, bei Warmbl\u00fctern nicht \u00fcber eine Stunde alt sein, w\u00e4hrend zuvor isolirte Froschretinae je nach der Temperatur selbst 24 Stunden gelegen haben k\u00f6nnen. Im Absterben","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\ntritt der schon S. 258 er\u00f6rterte Punkt ein, wo die St\u00e4bchen durch Galle nur scheinbar vergehen, sich in Wirklichkeit aber nicht vollkommen aufl\u00f6sen, oder nur quellen, worauf sie ganz ungef\u00e4rbte Filtrate liefern. Hinsichtlich der vorzugsweise in Verwendung kommenden Froschaugen ist zu bemerken, dass ihnen die Netzhaut sogleich nach der Decapitation zu entnehmen ist, wenn dieselbe epithelfrei sein soll.\n20 \u2014 30 Froschnetzh\u00e4ute werden mit etwa 1 Cub.-Ctm. Galle von 2 pCt. \u00fcbergossen, eine Stunde unter \u00f6fterem Schwenken und R\u00fctteln, wobei heftiges Sch\u00fctteln durchaus zu .vermeiden ist, darin erhalten, weiter einige Stunden zum Absetzen ruhig stehen gelassen und so auf ein m\u00f6glichst kleines Filter gebracht, dass zun\u00e4chst die \u00fcberstehende L\u00f6sung abl\u00e4uft, welche leicht filtrirt. Der schleimig-gallertige Bodensatz giebt den Rest des Fl\u00fcssigen langsamer ab und wird deshalb nachtr\u00e4glich in das Filter gethan. Man kann sich leicht \u00fcberzeugen, dass derselbe durch mehrmaliges Auswaschen mit Galle im Dunkeln vollkommen entf\u00e4rbt wird und die Waschfl\u00fcssigkeit zur Entscheidung \u00fcber das Aussehen verd\u00fcnnter Purpurl\u00f6sungen benutzen. Um sehr concentrirte Sehpurpurl\u00f6sungen zu gewinnen, ist es nicht rathsam das Volum der Galle zu vermindern, sondern besser sie con-centrirter anzuwenden und das Filtrat rasch im Vacuum einzudicken.\nDie Sehpurpurcholatl\u00f6sungen sind vollkommen klar und je nach Concentration und Herkommen von verschiedener, in Nuance und Tiefe wechselnder Purpurfarbe. Gelegentliche Tr\u00fcbung oder leichte Grade anscheinender Opalescenz, die Verdacht auf Fluorescenz erwecken k\u00f6nnen, r\u00fchren von kleinen Mengen beigemischten Fuscins her, das nach l\u00e4ngerer Ruhe vollkommen zu Boden geht. Ans Tageslicht gebracht zeigt die L\u00f6sung die sch\u00f6ne Farbe nur einige Augenblicke, indem sie schleunigst roth, darauf gelb, zuletzt farblos wird, wie Wasser.\nIm Dunkeln, \u00fcber Schwefels\u00e4ure, im Vacuum verdunstet hinterl\u00e4sst sie einen Firniss etwa von dem Aussehen ammoniakalischer Carminl\u00f6sung, in welchem mikroskopisch dunkelviolette, fast schwarze amorphe Partikel neben dunklen P\u00fcnktchen unbestimmbarer Farbe zu sehen sind. An feuchter Luft im Dunkeln liegend, zieht das Object so viel Wasser an, dass sich zun\u00e4chst feuchte Flecken oder Augen darin bilden, von sehr tiefer, stark zum Violett gehender F\u00e4rbung, w\u00e4hrend die genannten Partikel sich wieder l\u00f6sen. Nach dem Bleichen am Lichte ist von den letzteren \u00fcberhaupt nichts wieder zu finden, was etwaigen Verdacht gegen Fuscink\u00f6rnchen widerlegt. Die Purpurcholatl\u00f6sungen faulen ausserordentlich leicht und bedecken sich","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Sehpurpur: Darstellung, optische Eigenschaften.\n267\nsp\u00e4ter mit dichten Schimmelrasen, verlieren aber, ebenso wie faulende Netzh\u00e4ute bei sorgf\u00e4ltigem Lichtschutze nach Monaten nicht an F\u00e4rbung. Die F\u00e4ulniss l\u00e4sst sich f\u00fcr einige Tage auch bei Sommertemperaturen durch das von Klebs als f\u00e4ulnisswidrig verwendete Natriumbenzoat verh\u00fcten, tritt aber schliesslich immer auf, selbst bei Zus\u00e4tzen von 2\u20143 pCt. des Mittels.\nIn kleinen Dialysoren von vegetabilischem Pergament verliert die Purpurl\u00f6sung bald alle Galle, welche zum Wasser ohne Spur von F\u00e4rbung \u00fcbergeht, w\u00e4hrend auf der Membran ein tief purpurnes, myelinartiges Magma zur\u00fcckbleibt, das ebenso empfindlich ist gegen Licht, y wie die Netzhaut selbst.1\nAls unl\u00f6slicher R\u00fcckstand und frei von myelogenen, collagenen, al-bumin\u00f6sen und nucle'inartigen Stoffen kann Sehpurpur, freilich untrennbar an Neurokeratin haftend, dargestellt werden. Zu dem Ende sind abge-| storbene Netzh\u00e4ute, welche Galle nicht mehr f\u00e4rben, verwendbar, indem man die damit vorg\u00e4ngig extrahirte Masse erst mit Wasser, dann mit Essigs\u00e4ure von 0,5 pCt., und darauf schnell wieder mit Wasser ausw\u00e4scht, in sehr schwach mit Salicyls\u00e4ure anges\u00e4uerte Trypsinl\u00f6sung bringt und bei etwa 35 \u00fc C. 24 Stunden verdaut. Der ungel\u00f6ste R\u00fcckstand erst mit NH3 zur Entfernung von Mucin und Nuclein extrahirt, darauf getrocknet, endlich mit Benzol behandelt, welches Fettresiduen und myelogene Materien fortnimmt, stellt eine kaum mehr ver\u00e4nderliche, in Wasser nicht quellende Masse, von guter Purpurfarbe dar, die im Lichte rasch gelb,\n= darauf allm\u00e4hlich grau wird.\nDie wichtige Frage nach der Uebereinstimmung des dargestellten Sehpurpurs mit dem pr\u00e4existenten macht es n\u00f6thig, das ganze optische und chemische Verhalten durch Parallelversuche jeder Art an der Purpurcholatl\u00f6sung und an der Netzhaut festzustellen. In dem Folgenden wird darum das Verfahren und dessen Resultate f\u00fcr beide Objecte mitgetheilt, nach welchen sich am besten \u00fcber physiologisch beachtenswerthe Unterschiede und deren Ursache urtheilen l\u00e4sst. Was in chemischer Hinsicht \u00fcber den Sehpurpur mitzutheilen ist, kann erst nach Erledigung des optischen Verhaltens er\u00f6rtert werden.\n3) Optische Eigenschaften des Sehpurpurs.2\nAussehen. Bei einem am Lichte bleichenden Farbstoffe sind wir im Allgemeinen gew\u00f6hnt die Farbe wesentlich durch Abnahme der S\u00e4ttigung sich \u00e4ndern zu sehen, und aus den bl\u00e4sseren, vor vollendeter Bleiche auftretenden Nuancen auf die urspr\u00fcngliche zu schlies-\n1\tA. Ewald und W. K\u00fchne a. a. O. S. 454.\n2\tVgl. Dieselben a. a. O. I. S. 140 u. f.","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nsen. Wird ein K\u00f6rper anders gebleicht, indem er inzwischen die Farbe wechselt, so sagen wir die Farbe verschiesse, wie dies an manchen namentlich mit Mischungen zweier Pigmente verschiedener Echtheit gef\u00e4rbten Gegenst\u00e4nden zu sehen ist. Die Literatur der Netzhautfarbe ist \u00fcberreich an Irrth\u00fcmern, welche dem Vergessen einer so einfachen Sache entsprungen sind, denn nachweislich beruht die verbreitete Annahme einer rothen, betont reinrothen Eigenfarbe der Retina auf der Betrachtung angebleichter, im rothen bis gelben Stadium gefundener Objecte, aus denen f\u00e4lschlich auf die urspr\u00fcngliche und Lebensfarbe zur\u00fcckgeschlossen wurde. Beim Sehpurpur liegt die Ursache des Verschiessens h\u00f6chst wahrscheinlich nicht darin, dass er eine Mischung aus echterem rothen und empfindlicherem blauen oder violetten Pigmente darstellt, sondern in der Entstehung eines gelben Zwischenproductes, welches endlich erst in Weiss \u00fcbergeht. Welches jedoch die Ursache der Umschlagfarben sein m\u00f6ge, so liegt es auf der Hand, dass bei einem durch Licht zersetzlichen K\u00f6rper das Aussehen im ersten Augenblicke der nat\u00fcrlich m\u00f6glichst schwach zu nehmenden Belichtung maassgebend ist und dass nicht Lichtbleiche, sondern Verd\u00fcnnung im Dunkeln das Mittel ist, um zu erfahren, wie die Farbe bei geringer S\u00e4ttigung aussieht. Um des eigenen Auges bei dieser \u00fcberaus wichtigen Angelegenheit sicher zu sein, muss dasselbe nat\u00fcrlich von Nachwirkungen vorher gesehener Farben frei sein, also vor Allem den Einfluss der Natronbeleuchtung erst \u00fcberwunden haben, ehe man an die Betrachtung der davor hergestellten Pigmente im gemeinen Lichte geht.\nSehpurpurl\u00f6sung wird durch Verd\u00fcnnen nicht gelb, sondern rosa, st\u00e4rker verd\u00fcnnt lila, geht also zu Farben \u00fcber, welche auf diese Weise niemals aus reinem Roth hervorgehen. Um dem Ein-wande zu begegnen, dass das Pigment kein Wasser vertrage, braucht die lila L\u00f6sung nur wieder im Vacuum concentrirt zu werden um die alte Farbe zur\u00fcckzugewinnen, die dann im Lichte grade so gelb wird, wie die jeder andern Purpurl\u00f6sung, welche nicht verd\u00fcnnt worden. Unschwer l\u00e4sst sich dies Alles auch am Sehpurpur in situ erkennen, indem man die frische Netzhaut zwischen zwei Glasplatten im Dunkeln zerquetscht und darauf schnell am Lichte besieht: die letzte erkennbare Farbe ist da ebenfalls lila, ihre Vorstufe rosa und es bedarf dazu kaum der Erw\u00e4hnung, dass im Dunkeln zerquetschte und durch Schaben wieder zusammengeh\u00e4ufelte Retinae nicht anders gef\u00e4rbt erscheinen, wie unversehrte.\nAls eine Eigenth\u00fcmlichkeit des Purpurs in L\u00f6sung sowohl, wie am nat\u00fcrlichen Standorte ist es zu bezeichnen, dass das Violett der Mischung","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Sehpurpur. Farbenanalyse.\n269\nbei der geringsten und bei der h\u00f6chsten Concentration oder Schichtendicke am meisten von unserem Auge wahrgenommen wird, w\u00e4hrend das Roth darin bei massiger Verd\u00fcnnung am besten hervortritt; die Stufen sind daher: Purpurviolet, Purpurroth, Carminroth, Rosa, Lila. Purpurreichere oder mit sehr langen St\u00e4bchen (Aal, Eule, Ratte) versehene Retinae neigen am meisten zum Violet, aber es giebt ausserdem noch in der chemischen Natur des pr\u00e4existenten Farbstoffes begr\u00fcndete Differenzen der Nuancen, welche an die Species gebunden sind, wie aus der ebenfalls besonders zum Violet neigenden Nuance der mit kurzen Cy-lindern besetzten Netzhaut des Hammels und des Menschen hervorgeht.\nFarbenanalyse.1\nAbsorption. Spectroskopische Untersuchung der Netzhaut mittelst der gebr\u00e4uchlichen Einschaltung des Absorbenten zwischen Spalt und Lichtquelle ist wegen der im Sehfelde des Spectralapparates auftretenden, senkrecht zu den FRAUNHOFER\u2019schen Linien verlaufenden, unregelm\u00e4ssigen Schatten und Streifen ganz unausf\u00fchrbar. Nur der gel\u00f6ste Sehpurpur l\u00e4sst sich in dieser Weise verwenden, indem man ihn in das Fig. 2, in nat\u00fcrlicher Gr\u00f6sse dargestellte, aus Glasplatten zusammengekittete Hohlprisma f\u00fcllt. Dasselbe ist ein Doppelprisma, dessen eine H\u00e4lfte den Farbstoff aufnimmt, w\u00e4hrend die andere zur Vermeidung von Reflexion und Brechung mit farbloser, gleich brechender Fl\u00fcssigkeit, in diesem Falle mit Galle von gleicher Concentration oder mit ausgebleichter Purpurl\u00f6sung gef\u00fcllt wird. Indem man die Hohlkeile vor dem Spalt des Spectralapparates verschiebt, k\u00f6nnen successiv Purpurschichten von 1 \u2014 14 mm Durchmesser vor die Lichtquelle eingeschaltet werden, deren unver\u00e4ndertes Spec^ trum zur Contr\u00f4le mittelst des ungeschw\u00e4rzten Theiles der Grundplatte an der Vorrichtung zur Anschauung kommt. Man beobachtet auf diese Weise, mit steigendem Durchmesser der Schicht, Beschattung des Gelbgr\u00fcn vor JE, des Gr\u00fcn, Blau, Blauviolet, Gelb und Violet, w\u00e4hrend C des Roth nicht, Orange nur sehr unbedeutend ged\u00e4mpft scheint. Von E bis G ist die Absorption immer leicht zu constatiren, w\u00e4hrend die Beschattung bei I) und der Durchgang von Violett am andern Ende nur ganz vor\u00fcbergehend zu bemerken sind. Die Ursache hiervon liegt in der ausserordentlich raschen Farben\u00e4nderung der L\u00f6sung, die deshalb unvermeidlich ist, weil das violette Spectralende nur bei intensivem Tages- oder\n1 Vgl. W. K\u00fchne, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1877. S. 194 und a. a. O. I. S. 56; sowie A. Ewald und W. K\u00fchne, ibid. S. 139\u2014166.","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. I. Cap. Chemie der Netzhaut.\nSonnenlichte zu untersuchen ist, welches fast momentan auf den Purpur im Troge wirkt, selbst wenn das Gef\u00e4ss ausschliesslich an der Stirnfl\u00e4che von einem schmalen Strahlenbande aus dem Spalte eines Heliostaten beleuchtet wird. Daf\u00fcr gew\u00e4hrt das Verfahren den Vortheil die Umwandlung der Farbe w\u00e4hrend der Wirkung des gemeinen Lichtes unmittelbar spectroskopisch verfolgen zu k\u00f6nnen. Man sieht dann das Violett sich rasch bedecken, w\u00e4hrend Orange, Gelb, Gelbgr\u00fcn, endlich fast das ganze Gr\u00fcn sich aufhellen, so dass das Spectrum wesentlich von F an bedeckt bleibt. Endlich wird auch die brechbarere H\u00e4lfte frei, indem kurz vor der vollst\u00e4ndigen Kl\u00e4rung nur noch ein diffuser Schatten, nahe vor G auftaucht; ist dieser auch verschwunden, so ist die L\u00f6sung farblos. Fig. 3. A und B stellen die beiden Anfangsspectra, das des Sehpurpurs und des Seh-gelb mit dem Sonnenspectrum dar.\nWie man aus den Curven sieht, handelt es sich nur um diffus begrenzte Absorptionen; Absorptionsb\u00e4nder oder -Streifen entbehren der Purpur und seine farbigen Zersetzungsprodukte durchaus.\nAbsorption im objectiven Spectrum. Unvergleichlich geeigneter ist das in bekannter Weise, im Dunkelzimmer, mittelst Heliostat, Linse und Prisma objectiv entworfene Spectrum zur genaueren Bestimmung der retinalen Absorption, denn es gew\u00e4hrt dasselbe bei gleicher Deutlichkeit der in den Farben zu beachtenden Verdunklungen den ausserordentlichen Vortheil, wenn es lang genug ist, nirgends Licht von solcher Intensit\u00e4t zu enthalten, dass der Sehpurpur davon zu schnell ver\u00e4ndert w\u00fcrde. Ausserdem ist es das einzige Mittel die Netzhaut selbst zu pr\u00fcfen. Indem man das Spectrum auf einer horizontalen Ebene entwirft und eine d\u00fcnne Glasplatte hineinschiebt, auf welcher in parallelen Reihen getrennte Tropfen der Purpurl\u00f6sung von gleicher Gr\u00f6sse mit ebensovielen einzelnen Froschnetzh\u00e4uten nebeneinander stehen, \u00fcberzeugt man sich unmittelbar von der vollkommenen Uebereinstimmung der Absorption in beiden, sowohl beim Anblicke gegen direkt darunter gelegtes weisses Papier, wie durch Be-","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Sehpurpur : Absorption monochromatischen Lichtes.\n271\nachtung der Schatten, welche auf den Farbenstreif des letzteren fallen, wenn man dasselbe etwas entfernter unter die Glasplatte h\u00e4lt, oder bei Betrachtung dieser selbst von der unteren Fl\u00e4che mit H\u00fclfe eines Spiegels. Die Tropfen sehen im auffallenden, monochromatischen Lichte, soweit Absorption stattfindet, wie neutral graue bis schwarze Tinte, die Netzh\u00e4ute vom Gelbgr\u00fcn bis zum Anf\u00e4nge des reinen Violet, wie polirte, schwarze N\u00e4gelk\u00f6pfe, im Violet, Gelb und Orange eigent\u00fcmlich graufarbig aus, w\u00e4hrend im Roth die ersteren von Wassertropfen, die letzteren von vollkommen entf\u00e4rbten Netzh\u00e4uten nicht zu unterscheiden sind. Wird das ganze Object durch kurzes Halten ins weisse Tageslicht bis zum Gelb gebleicht, so ist das Ansehen im Spectrum im Sinne der Curve des Sehgelb (Fig. 2 B) ver\u00e4ndert. Da die Netzh\u00e4ute, wie die Tropfen, hinreichende Oberfl\u00e4chenreflexionen haben, sind die sie beleuchtenden Farben unter geeignetem Winkel nat\u00fcrlich auch an den Absorptionsstellen, etwa wie \u00fcber schw\u00e4rzliche Gr\u00fcnde gegossen, sichtbar, was die Entscheidung wenigstens im Orange, Gelb und Violet erschweren kann. Einige Neigungen des Kopfes oder Betrachtung mit einem zum Ausl\u00f6schen des polarisirten Oberfl\u00e4chenlichtes vor dem Auge gedrehten NicoLschen Prisma, sch\u00fctzen hier leicht vor T\u00e4uschung. Netzh\u00e4ute vom Menschen, dem Kaninchen, Hunde, Rinde, der Eule, entweder in l\u00e4ngere Streifen zerschnitten ausgebreitet, oder nach Bed\u00fcrfniss von einem Ende bis zum andern durch das Spectrum geschoben, zeigen dasselbe Verhalten wie die des Frosches, wenn man den Differenzen der Schichtdicke und der S\u00e4ttigung ihrer Farbe Rechnung tr\u00e4gt. An der Eulennetzhaut \u00fcberrascht namentlich das tiefgraue Aussehen im Gelb, das man auch vor der Natronflamme in weit st\u00e4rkerem Grade, als an der Froschretina, wo es \u00fcbrigens schon sehr merklich ist, wahrnimmt.\nEs bedarf der Bemerkung kaum, dass man durch Vereinigung der vom Sehpurpur nicht oder wenig absorbirten Strahlen des monochromatischen Lichtes mittelst einer zweiten Sammellinse ein Bild von genau der Farbe erh\u00e4lt, mit welcher uns die Netzhaut am weis-sen Tageslichte erscheint. Dieselbe ist im Wesentlichen eine Mischung von viel Roth und Violet mit sehr wenig Orange, Gelb und gr\u00fcnlichem Gelb, und so wenig von dem letzteren, dass eben bei grosser Verd\u00fcnnung oder Zumischung von weissem Lichte in unserm Auge kaum mehr Purpur, sondern Weissviolet, also Lila daran zu sehen ist. Das Complement\u00e4r dieser Farbe ist nahezu schon das des Violet, also noch sehr gelbliches Gr\u00fcn und nicht das des Purpurs, also kein reines Gr\u00fcn. Hiermit stimmt der Ort der Maximalabsorption im Spectrum, der stets vor E aber doch auch nicht ganz soweit ge-","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\ngen D liegt, wie die gelbere Farbe, die mit reinem Violet gemischt Weiss liefert, \u00fcberein.\nEin Nachtheil der Untersuchung im objectiven Spectrum liegt nur in der grossen Intensit\u00e4tsabnahme seines Lichtes vom Gr\u00fcn zum Violet, welche die Absorption im Blau leicht zu gross erscheinen l\u00e4sst und den Vergleich mit derjenigen in st\u00e4rker leuchtenden Farben zwar nicht mehr beeinflusst, als bei der gew\u00f6hnlichen Methode, aber sich nicht so einfach wie dort durch blosse Dicken\u00e4nderung der absorbiren-den Schicht controliren l\u00e4sst.\nPhysiologische Bestimmung der Netzhautfarbe. Mit den Resultaten der monochromatischen Untersuchung stimmt die Wirkung der Netzhautfarbe auf unser Auge \u00fcberein. Man fixire eine frische Froschretina im gerade ausreichenden Tageslichte, indem man sie pl\u00f6tzlich aufdeckt, und nach etwa 20 Secunden wieder mit weissem Papier zudeckt und man wird ein reingr\u00fcnes inducirtes Nachbild ohne jede Empfindung von Blaugr\u00fcn erhalten. Demnach muss das Bild einer frischen Netzhaut mit reinem Gr\u00fcn in unserm Auge gedeckt, weiss oder neutral grau werden, was in der That zu sehen ist, wenn man es mit dem eines von rein gr\u00fcnem arsenigsaurem Kupfer gef\u00e4rbten Papiers mittelst irgend einer der \u00dcELMHOLTz\u2019schen physiologischen Mischungsmethoden zusammenfallen l\u00e4sst. Eine Froschnetzhaut im Dunkelzimmer durch ein schwaches B\u00fcndel gemischter Lichtstrahlen gerade gen\u00fcgend beleuchtet, nachdem ein objectives Spectrum in ihre n\u00e4chste Nachbarschaft projicirt worden, wird hellgrau bis weiss gesehen, wenn man von den Spectralfarben Alles bis auf das reine zwischen E und b befindliche Gr\u00fcn abblendet und den erhaltenen Rest durch einen achromatisirten, doppelbrechenden Kalkspathkry-stall blickend, mit der Netzhaut zur Deckung bringt. Wird der Sehpurpur dagegen mit Blaugr\u00fcn, das reinem Roth complement\u00e4r ist, physiologisch optisch gemischt, so erh\u00e4lt man statt neutralem Grau oder Weiss entschieden bl\u00e4uliche Nuancen.\nBringt man endlich die Froschretina mit dem Weiss einer vom Tageslichte erleuchteten reinen Papierfl\u00e4che zur Deckung, so blasst das Bild, das wir empfinden, zu Rosa ab.\nWie leicht die Resultate dieser Versuche sich \u00e4ndern, wenn die Retina ein wenig angebleicht worden, wird sp\u00e4ter beim Sehgelb er\u00f6rtert.\nAussehen im Partialweiss und in einigen Mischfarben. Bei der ausserordentlichen Ver\u00e4nderlichkeit der Netzhautfarbe, welche das Auge des Beobachtenden fortw\u00e4hrend zur Entscheidung \u00fcber sehr feine Nuancen anruft, sind diesem alle Mittel willkommen die Absorption verschiedenwelligen Lichtes in der Membran unter m\u00f6glichst variirten Bedingungen zu pr\u00fcfen und einigermaassen ob-jectiv werden zu lassen. Sehr geeignet die Unterschiede normalen Sehpurpurs von solchem, dessen Zersetzung soeben begonnen, oder die Differenzen von Purpur und Roth schlagend hervortreten zu lassen, sind Betrachtungen der Netzhaut in Mischungen aus 2 Farben,","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Farbenanalyse. Farbe der Netzhaut in situ.\n273\nwelche zu dem Ende aus dem Spectrum durch Abblenden mittelst des HELMHOLTz\u2019schen Doppelspaltes isolirt und nach den ebenfalls von Helmholtz angegebenen Methoden zu einem Bilde vereinigt werden. Stellen wir so aus zwei Complement\u00e4ren Weiss her, so erscheint die Netzhaut in diesen Partialweissen: 1. aus Roth und Blaugr\u00fcn, rein dunkelroth, wie Carmin und Zinnober davon belichtet auch aussehen, \u2014 2. aus Gelbgr\u00fcn und Violet, grau violet, w\u00e4hrend Zinnober darin farblos dunkelgrau wird; (hier ist die Froschnetzhaut, wegen der gr\u00fcnen St\u00e4bchen, welche gr\u00fcnliche Nuance der ganzen Fl\u00e4che auf-kommen lassen, unbrauchbar; man nimmt Salamander- oder Kanin-chenretinae) \u2014 3. aus Orange und Cyanblau, grauorange, wie mit einem Schleier \u00fcberzogen, durch welchen um so mehr Orange schimmert, je r\u00f6ther dasselbe aus dem Spectrum genommen, \u2014 4. aus Gelb und Indigoblau, graugelb, ebenfalls wie verschleiert, und zwar um so st\u00e4rker getr\u00fcbt, je mehr Gelb in die Lichtmischung einging. Erstaunlich sind die Unterschiede des Aussehens von Netzh\u00e4uten und rein rothen Pigmenten in aus spectralem Roth und Violet oder aus Roth und Blau gemischtem Purpur. W\u00e4hrend Zinnober in ersterem ganz stumpf grauroth aussieht, scheinen Carmin und die Retina darin wie w\u00e4ssrig glitzernd, kaum von der \u00fcbrigen beleuchteten Fl\u00e4che zu unterscheiden und wenn man diese im Umkreise zudeckt, wie flammend , purpurleuchtend ; in dem Pseudopurpur aus Roth und Blau bildet die Netzhaut, ebenso wie der Zinnober einen scharf markirten, brandrotken Fleck, der um so heller ist, je weniger blaues Licht zur Mischung verwendet worden.\nFarbe der Netzhaut in situ.\nBei der hohen Durchsichtigkeit der Netzhaut und ihrer St\u00e4bchenschicht muss auch die intensivste Farbe der letzteren eine Lackfarbe sein. Vollkommene Lackfarben sind vor geh\u00f6rig schwarzem Grunde nicht erkennbar; wenn man also im Auge etwas von der Netzhautfarbe erkennen sollte, so ist der Hintergrund entweder nicht dunkel genug, oder der farbige Schleier ist nicht als ein vollkommen lackfarbener anzusehen. Das erstere trifft f\u00fcr die Augen der meisten Menschen und Thiere zu, das zweite unter gewissen Umst\u00e4nden. Im Froschauge ist der Grund so undurchsichtig, dass ausser dem Orte der Papille nirgends Licht durchdringt, nicht einmal so viel, um Erhellung vom Dunkelzimmer aus wahrnehmen zu lassen, wenn der Augengrund den Verschluss am Heliostaten bildet, w\u00e4hrend mit einer Linse vereinigtes, directes Sonnenlicht auf die Sclera f\u00e4llt ; eine vollkommene Lackfarbe in diesen Grund gegossen ist darin weder von\nHandbuch, der Physiologie. Bd. III.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nWasser, noch von Tinte zu unterscheiden. Wie Boll richtig angab, erkennt man an der Froschretina in situ aber eine schwache Farbe, anscheinend gen\u00fcgend um allenfalls Unterschiede zwischen vollkommen gebleichten und maximal gef\u00e4rbten Netzh\u00e4uten erkennen zu k\u00f6nnen. Dies muss von Licht herr\u00fchren, welches aus den hinteren Schichten der Netzhaut reflectirt wird, und da man den Schleier der Retina um so deutlicher erkennt, je schr\u00e4ger man darauf sieht, so scheint es sich um Licht zu handeln, das von den convexen Aus-senfl\u00e4chen der St\u00e4bchen zerstreut und durch eine Reihe benachbarter St\u00e4bchen schr\u00e4g durchgegangen ist. Indess \u00fcberzeugt man sich, dass die Retina schr\u00e4g angesehen wohl heller und deutlicher wird, aber nicht ihre Farbe; was hier besser gesehen wird ist also wahrscheinlich gar kein Licht, das die M\u00e4ntel der Cylinder erreichte, sondern aus den vordereren Retinaschichten reflectirtes. Die Spur wirklicher F\u00e4rbung von entschieden violetter Nuance, um die es sich handelt, wird vielmehr bei senkrechter Blickrichtung zum Augengrunde wahrgenommen und man kann kaum zweifeln, dass sie von solchem Lichte herr\u00fchrt, welches an den Oelkugeln und von dem sonstigen gl\u00e4nzenden Inhalte der fuscinfreien Zellkuppen des retinalen Epithels reflectirt wird. Die davor liegenden St\u00e4bchen sind beim Frosche lang genug, um an dem zweimal durch sie gegangenen Lichte, in Folge des Purpurgehaltes bis zur Erkennbarkeit der Restfarbe gen\u00fcgende Absorption zu vollziehen. Dass man in den netzhautfreien Augengrund hineingegossenes, lackfarbenes Blut nicht erkennt, erkl\u00e4rt sich zur Gen\u00fcge aus der Bedeckung des epithelialen Reflectors mit seinen weichen, zur\u00fccksinkenden, fuscinhaltigen Zellforts\u00e4tzen.\nIm S\u00e4ugerauge fehlen dem Epithel, mit wenigen Ausnahmen, die Fetttropfen und die ebenfalls gl\u00e4nzenden Myelo'idk\u00f6rner. Hier kommt aber sowohl das Tapetum wie die Reflexion an der Sclera, welche vom Pigmente der Chorio\u00efdea ungen\u00fcgend gedeckt wird, in Betracht. Man sieht daher die Netzhautfarbe wenigstens immer so viel angedeutet, dass ein St\u00fcck des davon befreiten Grundes nicht nur am Verluste des Glanzes, sondern auch an einer Modification seiner Farbe kenntlich wird, immer der Art, dass das mit dem Purpur beschleierte Braun chocoladefarbener, das andere zimmt\u00e4hnlicher oder gelblicher, wie um ein Nuance Violet herabgestimmt, erscheint. Der Unterschied ist jedoch so gering, dass eine local ausgebleichte Stelle der Netzhaut, mit ganz scharfen Grenzen, nie in ihrer Gestalt zu definiren, sondern nur als Fleck dem Orte nach zu bestimmen ist, sogar im Augengrunde albinotischer Kaninchen.\nWo ein fuscinfreies Tapetum vorkommt, ist die Netzhautfarbe als","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Farbe der Netzhaut in situ. Leuchtfarbe des Augengrundes.\n275\nsch\u00f6n rosenfarbener Hauch zu erkennen, falls der gl\u00e4nzende Hintergrund, wie beim Hund und bei der Katze, vorwiegend weiss oder gelblich aussieht, in andern F\u00e4llen, wie bei den meisten Pflanzenfressern, zeigt sich dagegen so gut wie nichts vom Sehpurpur, weil der Grund bl\u00e4ulich oder gr\u00fcnlich irisirend durchschimmert. H\u00e4tten solche Augen St\u00e4bchen von der L\u00e4nge der Froschcylinder, so w\u00e4re vielleicht mehr Farbe daran zu sehen oder wenigstens locale Ausbleichung sch\u00e4rfer daran zu erkennen, als es selbst beim Hunde und der Katze m\u00f6glich ist.\nNoch ung\u00fcnstiger sind die Verh\u00e4ltnisse am uner\u00f6ffneten, lebenden, blutversorgten Auge, denn da bleibt, abgesehen vom Tapetum und von den L\u00fccken in der Chorio\u00efcapillaris, nur zweimal durch rothes Blut gegangenes Licht als Beleuchtung \u00fcbrig: zur Erkennung der vorgelegten zarten Purpurschicht gewiss das denkbar schlechteste Mittel. Die Bem\u00fchungen der Ophthalmologen den Sehpurpur mit dem Augenspiegel zu sehen1, sind daher nach der \u00fcberzeugend begr\u00fcndeten Darstellung von 0. Becker2 als gescheitert zu betrachten und die Differenzen der Leuchtfarbe vor und nach dem Tode, welche Boll der Vergessenheit wieder entriss, indem er sie zum Beweise sowohl des Vorkommens, wie des rapiden cadaver\u00f6sen Schwindens des Sehpurpurs beim S\u00e4ugethiere und dem Menschen zu verwenden suchte, als auf die einfach klare Ursache zur\u00fcckgef\u00fchrt, welche nur in der Gegenwart oder Abwesenheit des Blutes liegt.\nZum Beweise, dass keiner der zahlreichen Augen\u00e4rzte, welche die Netzhautfarbe ophthalmoskopisch gesehen zu haben meinten, dieselbe vom Blute unterschieden, wies 0. Becker darauf hin, dass ihnen ohne Ausnahme der Anblick des besten Beweisobjectes, das die Natur dem Kaninchenauge an m\u00f6glichst g\u00fcnstiger Stelle, besonders entwickelt in der Sehleiste verliehen, erkannt habe.\nCoccius3, der sich gleichfalls von der mangelhaften Sichtbarkeit der Farbe der Netzhaut in situ am er\u00f6ffneten S\u00e4ugerauge \u00fcberzeugte, zeigte wie gut dieselbe an Falten oder an schr\u00e4g gedr\u00fcckten Stellen des retinalen Ueberzuges zum Vorschein komme, und erkl\u00e4rte dies aus der absorbirenden Wirkung mehrerer abnorm und schr\u00e4g \u00fcbereinander gelagerter St\u00e4bchen zu einer die Cylinderl\u00e4nge an Dicke \u00fcbertreffenden Schicht. Die Erkl\u00e4rung ist gewiss richtig aber in sofern unvollst\u00e4ndig, als noch der ebenfalls neue Umstand hinzukommt,\n1\tVgl. u. A. Die TL und Plenck, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1877. S. 273.\n2\t0. Becker, Ophthalmoskopische Sichtbarkeit des Sehpurpurs. Klin. Monatsbl. f. Augenhe\u00fckunde XV. Beilage. S. 145. 1877.\n3\tCoccius, Acad. Progr. Leipzig 1877.\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\tK\u00fchre, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\ndass das einfallende und wieder reflectirte Licht die St\u00e4bchen auch am Mantel treffen kann7 was in der geordnet normalen Lage, wenigstens beim Frosche unm\u00f6glich ist.\nAn abgestorbenen, weisslich tr\u00fcben Netzh\u00e4uten ist nat\u00fcrlich das Erkennen der Farbe von vorn, obwohl man die Membran als solche nun besser vor dem Grunde unterscheidet, erschwert, nach dem Abziehen, von der Aussenfl\u00e4che her erleichtert.\nUnter dem Mikroskope ist die Farbe \u00fcberall in voller Pracht an den St\u00e4bchen zu sehen, wo die Cylinder aufrecht stehen und deren volle L\u00e4nge als Schichtendurchmesser der Farbe zur Geltung kommt, weniger gut an schr\u00e4gliegenden, die innerhalb der Mosaik ihrer auf der Basis stehenden Nachbarn sogar complement\u00e4r gr\u00fcn erscheinen. Einzeln liegende St\u00e4bchen im k\u00fcrzesten Durchmesser von der Cylin-derfl\u00e4che gesehen, zeigen nur bei grosser Dicke (Frosch, Salamander, Triton) blasse rosa oder lila F\u00e4rbung. Ausschliesslich bei den Tri-tonen ist diese Lage die g\u00fcnstigere, vermuthlich weil deren merkw\u00fcrdigen Uebergangsbildungen von St\u00e4bchen und Zapfen den Purpur in einer Rindenschicht der Aussenglieder f\u00fchren.\n4) Photo chemische Zersetzung des Sehpurpurs.\nAns Tageslicht gebracht schl\u00e4gt die Netzhautfarbe entweder allm\u00e4hlich in r\u00f6theren Purpur, reines Roth, Orange, Gelb und Chamois um, ehe sie vollkommen farblos wird, oder sie geht mit einem Schlage durch blasses Lila zur Farblosigkeit \u00fcber. Je frischer die Netzhaut und je lichtempfindlicher in Folge davon, aus noch zu er\u00f6rternden Gr\u00fcnden, der Purpur ist, desto mehr ist die letztere Erscheinung ausgepr\u00e4gt, nirgends wahrscheinlich mehr, als an der lebenswarm dem menschlichen Auge entnommenen Retina. Froschnetzh\u00e4ute, obwohl in directem Sonnenlichte anscheinend momentan bleichend, lassen fast immer zuvor ein gelbes oder chamoisfarbenes Stadium deutlich auf-kommen. Schneller als die Netzhaut wird die Purpurl\u00f6sung gebleicht und in dieser ist Chamoisfarbe oft kaum kenntlich, w\u00e4hrend die gelbe nur an directem Sonnenlichte zu \u00fcbersehen ist. Diese Wirkung des Lichtes ist eine ganz directe und wenn irgend eine Stelle der Netzhaut mit einer undurchsichtigen Decke belegt wird, so findet sich deren Bild als farbiger Rest, scharf gezeichnet in der St\u00e4bchenschicht, nachdem die Umgebung entf\u00e4rbt worden. Augenscheinlich ist die Wirkung abh\u00e4ngig von der Intensit\u00e4t des Lichtes, langsam verlaufend bei schwacher Beleuchtung ; \u2018 bei zur Erkennung der Zwischenfarben gerade ausreichendem Lichte nimmt sie 15\u201430 Minuten in Anspruch; vor Gas- und Kerzenlicht kann es selbst eine Stunde dauern, bis die","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Photo chemische Zersetzung des Sehpurpurs. \u201eChamois\u201c.\n277\nNetzhaut farblos wird, w\u00e4hrend die Bleichung durch Magnesium-und electrisches Licht sehr rasch verl\u00e4uft. Tageslicht ist Nachmittags bei anscheinend gleicher oder etwas gr\u00f6sserer Intensit\u00e4t erheblich weniger wirksam als Morgens oder Mittags. Nachwirkungen als Folge begonnener Bleichung sind niemals zu beobachten, ebensowenig ein anderer Effect, als der der Verd\u00fcnnung, wenn eine ausgeblichene Purpurl\u00f6sung zu unbelichteter gef\u00fcgt wird. Messende Bestimmungen der gesetzlichen Beziehungen zwischen Lichtintensit\u00e4t und Bleichungszeit fehlen noch.\nUnter den Bleichungsfarben findet sich das in der Natur zwar recht h\u00e4ufige, aber wenig auf sein Verh\u00e4ltniss zu monochromatischen Farben beachtete Chamois.1 Dasselbe tritt in der belichteten Retina in vielen Nuancen und mit verschiedener S\u00e4ttigung auf; bald ist es mehr rosen-oder fleischfarben, bald mehr zimmt\u00e4hnlich. Ohne Zweifel erhalten wir diese eigenthtimlichen Empfindungen von gemischten Eindr\u00fccken, in denen sich Violef neben dazu nicht complement\u00e4rem Gelb geltend macht, am neutralsten, obschon wenig ges\u00e4ttigt, durch Mischung von spectralem Gelb und dem Violet des Spectrums, mehr zum Roth neigend aus Orange und Violet, oder aus Roth, Gelb und Violet. Da F arpur Violet enth\u00e4lt neben Roth, so erzeugt die Zumischung von Gelb auch zum Purpur chamois Nuancen, die um so deutlicher werden und um so besser vom Orange zu unterscheiden sind, je geringer die S\u00e4ttigung ist. Dies ist der Grund des Auftretens der Chamoisfarbe bei der Bleichung des Sehpurpurs, wo es zugleich die sicherste B\u00fcrgschaft f\u00fcr die Anwesenheit kleiner Reste noch vorhandenen, unzersetzten Purpurs in einem Ueberschusse von Sehgelb liefert. Welchen Einfluss die Mitwirkung viel weissen Lichtes auf die Deutlichkeit des Chamois hat, lehrt das Verd\u00fcnnen einer am Lichte orange gewordenen Sehpurpurl\u00f6sung, welche dann gleich dazu umschl\u00e4gt. Das Chamois entsteht aber auch aus Purpur ohne Zusatz von Gelb, wenn die aus spectralem Roth und Violet zusammengesetzte Farbe mit so intensivem weissen Tageslichte beschienen wird, dass uns das darin enthaltene Roth einzeln in Gelb umzuschlagen scheinen w\u00fcrde. F\u00fcr die Netzhaut trifft dies jedoch nicht zu, da die Sehpurpurl\u00f6sung mit Wasser verd\u00fcnnt niemals chamois wird, was nur ein weiteres Zeichen f\u00fcr die starke Wirkung ihres Violet auf unser Auge ist. H\u00f6chstens k\u00f6nnten die Rosanuancen, die dem Verd\u00fcnnungslila vorangehen, in den Verdacht kommen, leichte chamois Schattirung darzustellen. Ganz frische Netzh\u00e4ute so betrachtet, dass ihr Bild sich in unserem Auge mit einem intensiv weissen deckt, sehen nicht chamois aus ; es gen\u00fcgt aber die geringste Anbleichung um das Rosa dahin schlagen zu sehen, zu einer Zeit, wo die gew\u00f6hnliche Betrachtung noch keine merkliche Aenderung des Purpurs erkennen l\u00e4sst.\nIm ersten Stadium photochemischer Zersetzung nimmt die Retina nun wirklich die rein rothe Farbe an, die zn so vielen T\u00e4uschungen \u00fcber ihre urspr\u00fcngliche Farbe gef\u00fchrt und das Verst\u00e4nd-\n1 W. K\u00fchne a. a. O. S. 459f.","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nniss ihrer Ver\u00e4nderung durch Licht bei Manchen ganz verhindert hat. Einigermaassen objectiv \u00fcberzeugt man sich davon an der schon erw\u00e4hnten Steigerung der Absorption im violetten Ende des Spectrums, besser und \u00fcberaus schlagend durch Betrachtung im Purpurlichte aus Spectralfarben und zwar der Art, dass von zwei Netzh\u00e4uten, die Niemand ohne solche Hilfsmittel sicher zu unterscheiden verm\u00f6chte, sofort zu sagen ist, welche derselben einen Augenblick an gew\u00f6hnlichem Lichte gewesen, wenn die andere davor gesch\u00fctzt geblieben: die letztere sieht dann, wie bereits beschrieben, purpurflammend, die erstere stumpf ziegelroth aus, kurz der Unterschied ist, wie der von Carmin und Zinnober in dieser Beleuchtung. Complement\u00e4r zu solchen Netzh\u00e4uten ist nicht Gr\u00fcn, sondern Blaugr\u00fcn, so dass eine zur H\u00e4lfte angebleichte Retina ein doppelfarbiges inducirtes Nachbild liefert und mit reinem Gr\u00fcn in unserm Auge gemischt zur einen H\u00e4lfte gelbgrau, zur andern neutralgrau aussieht.\nManche Netzh\u00e4ute werden am Lichte auffallend sp\u00e4t farblos, indem der Purpur zwar wie gew\u00f6hnlich schnell umschl\u00e4gt, das rothe und orange Stadium aber sehr verl\u00e4ngert wird und das letzte Gelb oft stundenlang zerstreutem, gutem Tageslichte standh\u00e4lt. Tritt die Erscheinung an frischen Netzh\u00e4uten auf, so deutet sie auf eine, namentlich bei Fr\u00f6schen vorkommende, Abnormit\u00e4t, die sich meist schon in der ungew\u00f6hnlich wenig purpurnen Farbe der Dunkelretina zu erkennen giebt. Beim Aal und bei der Eule wurde Aehnliches gesehen. F\u00fcr Leichenaugen findet dies Verhalten sp\u00e4ter Erkl\u00e4rung.\na) Wirkung des monochromatischen Lichtes.\nKann die Retina sich auch an ged\u00e4mpftem Lichte, besonders bei gewissen Farben desselben, stunden- und tagelang ungebleicht halten, so giebt es doch kein monochromatisches, sichtbares Licht, das ohne Wirkung auf Sehpurpur w\u00e4re. Nur wo unser Auge gar nichts sieht, also im Bereiche der dunklen thermischen Strahlen, erh\u00e4lt sich die Netzhautfarbe unbegrenzt. Ob die Strahlen k\u00fcrzester Wellenl\u00e4nge, welche nicht mehr durch Fluorescenz, sondern nur durch chemische Wirkungen kenntlich werden, Sehpurpur vielleicht sehr langsam affi-ciren, ist noch nicht festgestellt.\nDurch rothe Gl\u00e4ser gegangenes, directes Sonnenlicht, das spec-troskopisch untersucht nur Roth bis zur FRAUNHOFER\u2019schen Linie C zeigt, bleicht die Froschnetzhaut in zwei Stunden vollkommen, ebenso Natronlicht von gr\u00f6sster Intensit\u00e4t. Bedeutend schneller wirkt das durch Kupferoxydammoniak zu erhaltende, nur aus blauen und violetten Strahlen bestehende, und das durch gr\u00fcne mit Chromoxyd gef\u00e4rbte Gl\u00e4ser herzustellende, nur Gr\u00fcn verschiedener Nuancen ent-","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkling monochromatischen Lichtes auf Sehpurpur.\n279\nhaltende Licht; bestenfalls ist die Bleichung dann in 5\u201410 Minuten vollendet, im blauen bei etwa gleich scheinender Intensit\u00e4t erheblich fr\u00fcher als im gr\u00fcnen.\nZur genaueren Untersuchung dient das objective Spectrum des Sonnenlichtes, welches durch einen hinreichend engen Spalt erhalten, rein genug ist, wenn es die st\u00e4rkeren FRAUNHOFER\u2019schen Linien scharf zeigt, und in seinen einzelnen Theilen intensiv genug, wenn es die L\u00e4nge von 15 Ctm. nicht \u00fcberschreitet. F\u00fcr rasche Wirkungen nimmt man es so blendend hell und kurz wie m\u00f6glich. Da in dem durch Brechung erhaltenen Spectrum das blau-violette Ende zum Nachtheile seiner Intensit\u00e4t, im Vergleiche zum rothen bis gr\u00fcnen stark gedehnt ist, sind in manchen F\u00e4llen Beugungsspectra zu verwenden, bei denen das rothe Ende die gr\u00f6ssere Ausdehnung hat. Man w\u00e4hlt dazu das durch Reflexion des Sonnenlichtes an dem galvanoplastischen, spiegelnden Silberabdrucke eines \u00e4usserst feinen NoBERT\u2019schen Glasgitters erhaltene Spectrum erster Ordnung. Um die Interferenzspectra m\u00f6glichst frei von diffusem, weissen Lichte zu .erhalten, was in einigen F\u00e4llen besonders n\u00f6thig wird, ist die Linse zwischen dem Gitter und dem Projectionsorte und zwar so aufzustellen, dass nur dem Spectrum erster Ordnung angeh\u00f6rige Strahlen auf sie fallen; das kleine Farbenband ist dann von grosser Sch\u00e4rfe. Das Einf\u00fchren der Netzh\u00e4ute in das Spectralbild geschieht zweckm\u00e4ssig auf vertical stehenden Platten von Porzellan oder Milchglas, an welche die Membranen leicht in einer Horizontalreihe anzukleben sind. Die Purpurl\u00f6sung wird in der schon beschriebenen Weise zu einer Tropfenreihe ausgebreitet in horizontal projicirte Spectra geschoben.\nIn den Einzelfarben des Speetrums tritt die Zersetzung des Seh-purpurs immer in der Reihefolge auf, dass sie im Gelbgrtin, am Orte der st\u00e4rksten Absorption, beginnt und im Gr\u00fcn, Blau, Gr\u00fcngelb, Gelb, Violet, Orange und Roth in dem Maasse vorschreitet, in welchem die Absorption dort von vornherein am geringsten ist. Zwischen dem Gelbgr\u00fcn und Gelb sind die zeitlichen Differenzen daher im Allgemeinen bedeutend, zwischen Gelbgr\u00fcn und Gr\u00fcn bis Blaugr\u00fcn gering, erbeblich zwischen Gelbgr\u00fcn und Blau, gr\u00f6sser zwischen Gelbgr\u00fcn, Violet und Orange, am gr\u00f6ssten zwischen Gelbgr\u00fcn und Roth. Hinsichtlich der absoluten Zeit l\u00e4sst sich bei der Abh\u00e4ngigkeit von der Intensit\u00e4t nur ganz allgemein f\u00fcr bestes Licht geltend angeben, dass starke Aenderung an der Retinafarbe und besonders an Tropfen der Purpurl\u00f6sung, im Gelbgr\u00fcn nach unmessbar kurzer Zeit, im Gr\u00fcngelb bis Indig nach 2 \u201410 Min., im Gelb nach 20 Min., im Violet und Orange nach 30 Min., im Ultraviolet nach 45 Min., im Roth noch etwas sp\u00e4ter zu beobachten ist. In sehr kurzen Spectren erfolgen die Ver\u00e4nderungen viel schneller, es sind aber die Unterschiede in diesem Falle wegen des nahen Zusammenr\u00fcckens der Farben schwer anzugeben.","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nDie frischen und w\u00e4hrend des Belichtens feucht erhaltenen Netzh\u00e4ute vom Frosche und Kaninchen zeigen nach der Exposition im Spectrum, vor vollendeter Bleiche, gewisse Differenzen, indem ihre Farbe vom rothen Anf\u00e4nge des Spectrums bis ins Gr\u00fcn hin, mehr zum gelb neigt, von dort bis zum violetten Ende, mehr zum lila. Jedes Licht erzeugt zwar aus dem Sehpurpur, vor der vollst\u00e4ndigen Entf\u00e4rbung, etwas Gelbes, vor dem Sehweiss also Sehgelb, aber die weitere Wirkung auf das Sehgelb ist bei den Einzelfarben nicht dieselbe, wie auf den Purpur. Das Sehgelb wird am schnellsten durch blaues Licht, etwas langsamer durch violettes, noch langsamer durch gr\u00fcnes, viel langsamer durch gelbgr\u00fcnes, durch gelbes und rothes Licht erst nach ausserordentlich langer Zeit ganz gebleicht. Soll nun die Wirkung monochromatischen Lichtes verschiedener Wellenl\u00e4ngen verglichen werden, so kann dies nicht geschehen durch Bestimmung der Zeit, wann die Ausbleichung vollendet ist, sondern nur indem man von der ersten merklichen Ver\u00e4nderung ausgeht, wobei aber wohl zu beachten ist, dass dieselbe sehr verschiedenartig sein kann, im Anfangstheile des Spectrums bis zur Mitte mehr der Art, dass der Purpur ohne sich sehr aufzuhellen verschiesst, im blauvioletten Endtheile so, dass er abblasst. Dagegen ist der Moment der vollst\u00e4ndigen Bleichung f\u00fcr das Sehgelb allein sehr gut festzustellen: man braucht nur eine Netzhautreihe an m\u00e4ssigem Tageslichte bis zur deutlich gelben Nuance verschiessen zu lassen und erst in diesem Zustande ins Spectrum zu bringen, um sich zu \u00fcberzeugen, dass jetzt der Reihe nach Blau, Violet und Gr\u00fcn am schnellsten Farblosigkeit herstellen. In \u00fcberraschender Weise stimmt hiernach das Gesetz der zeitlichen Wirkung mit dem der Absorptionsgr\u00f6sse, sowohl beim Sehpurpur, wie beim Sehgelb \u00fcberein: das Licht wirkt auf diese beiden Pigmente in dem Maasse kr\u00e4ftiger zersetzend als es st\u00e4rker von ihnen absorbirt wird.\nDem Gesetze scheinbar widersprechend ist das umgekehrte Verhalten der Netzhaut in blauem und gr\u00fcnem durch Absorption erhaltenem Lichte, so dass gegen das Ueberwiegen der Wirkung des gr\u00fcnen Sp ectra 1 lichtes der Verdacht entsteht, dasselbe verdanke diesen Vorzug der st\u00e4rkeren Ausdehnung und Lichtschw\u00e4che des blauen Spectralabschnit-tes. Wir sind zwar ausser Stande die Lichtintensit\u00e4t zweier Spectraltheile mit einander zu vergleichen, da weder die thermische oder die physiologische, bei der Photometrie gew\u00f6hnlich verwendete, noch die chemische Wirkung die Mittel dazu bieten, sondern in ihren Resultaten, wie bekannt, einander widersprechen, aber so viel l\u00e4sst sich behaupten, dass das im Interferenzspectrum auf einen kleineren Raum zusammengedr\u00e4ngte Blau bez\u00fcglich des Sehpurpurs immer noch im Nachtheile ist gegen das gedehntere Gr\u00fcn und dass aus dem durch Brechung mittelst eines Flint-","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung gemischten Lichtes auf Sehpurpur.\n281\nglasprismas erhaltenen Spectrum, durch Diaphragmen ausgeschnittenes und von Sammellinsen zu kleinen Bildern gestaltetes Gr\u00fcn und Blau die genannten Unterschiede noch zeigen, wenn die Bildchen unserem Auge von gleicher Intensit\u00e4t zu sein scheinen. Diesen Thatsachen gegen\u00fcber kann nur geschlossen werden, dass wir keine Mittel besitzen einigermaassen monochromatisches Blau und Gr\u00fcn durch Absorption darzustellen ohne vorwiegende Benachtheiligung der Intensit\u00e4t des Gr\u00fcn. Da Kupferoxydammoniak ausser blauem auch violettes Licht durchl\u00e4sst, k\u00f6nnte dem letzteren die Schuld beigemessen werden, allein es steht auch eine aus dem Blau und Violet des Spectrums hergestellte Mischfarbe bez\u00fcglich der Purpurzersetzung dem spectralen Gr\u00fcn nach.\nb) Wirkung gemischten Lichtes.\nDa das brechbarere Licht im Allgemeinen schneller auf das Sehgelb, das weniger brechbare zu einem grossen Theile am schnellsten auf den Sehpurpur wirkt, so bilden Combinationen beider das beste Mittel die .Netzhaut in k\u00fcrzester Frist total zu entf\u00e4rben. Dies k\u00f6nnte zu dem Gedanken f\u00fchren, dass die in unserem Auge die Empfindung des Weiss erzeugenden Mischungen, weil sie nat\u00fcrlich immer Licht verschiedener Brechbarkeit enthalten, auch die dem Netzhautpurpur gef\u00e4hrlichsten seien; man muss von dieser Auffassung aber abstehen, weil unter den Partialweissen aus zwei Complemen-t\u00e4ren mindestens Eines existirt, das kaum besser wirkt als eine der dazu verwendeten Componenten, n\u00e4mlich das Weiss aus Roth und Blaugr\u00fcn, welches dem alleinwirkenden Blaugr\u00fcn so wenig \u00fcberlegen ist, dass man nicht sagen kann, das Roth verhelfe demselben zu schnellerer oder vollst\u00e4ndigerer Wirkung auf die St\u00e4bchen. Werden unter den langwelligen Strahlen jedoch solche verwendet, welche an sich bereits merklicher wirken, also Orange, Gelb und Gelbgr\u00fcn, der Reihe nach mit Cyanblau, Indig und Violet gemischt, so erh\u00e4lt man allerdings drei Weisse von bedeutend schnellerer und gr\u00fcndlicherer Wirksamkeit als die der Einzelfarben. Offenbar ist es daf\u00fcr aber gleichg\u00fcltig, ob die Mischungen uns die Empfindung Weiss erzeugen, da dieselbe beschleunigte und vollkommenere Vernichtung der Netzhautfarbe sogar noch besser zu Stande kommt, wenn man z. B. Gr\u00fcngelb und Indig zu weisslichem Gr\u00fcn combinirt. Mischungen y on Orange oder Gelb mit Violet wirken freilich schw\u00e4cher als die aus letzterem mit Cyanblau und Indig. Die Einzelfarben jeder Mischung wirken demnach \u00fcberall so, wie jede f\u00fcr sich und nur insofern mit andern vereinigt besser, als die Totalbleiche des Purpurs in Betracht kommt. Die der Netzhautfarbe gef\u00e4hrlichste Combination bleibt somit die gr\u00fcnweisse aus Cyanblau und Gr\u00fcngelb.\nBei den zum Beweise dieses Verhaltens vorzunehmenden Beobach-","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\ntungen sind die einzelnen Tlieile des objectiven Spectrums in sorgf\u00e4ltigster Weise mittelst des HELMHoi/rz\u2019schen 1 Doppelspaltes herauszunehmen und durch dahinter gestellte Convexlinsen zu einem Bilde zu vereinigen, wobei jedoch nicht vergessen werden darf, dass die Bilder, da wo sie sich decken, Summirung der Intensit\u00e4ten bedingen. Trotz dieses Uebel-standes l\u00e4sst sich durch sorgf\u00e4ltiges Vergleichen der Bleichungszeiten im Mischbilde und in den Einzelbildern schon eine Ueberzeugung von der Richtigkeit der vorstehenden S\u00e4tze gewinnen. Ein scharfer Beweis wurde geliefert, indem wir2 im Mischbilde, durch schnell wechselnde Diaphragmen jeweils eine der Componenten ausschlossen, so dass die Farbenmischung in der Weise, wie in unserem Auge beim Betrachten rotirender Farbenscheiben erfolgte, und die Zeit der Bleichung im Wechselbilde mit derjenigen in den constant von den beiden Componenten einzeln beleuchteten Flecken verglichen. Ein anderes weniger vollkommenes, aber als besonderer Fall an sich Interesse bietendes Verfahren bestand in dem Umlegen der Netzh\u00e4ute von einem Platze des Spectrums auf einen andern, und f\u00fchrte zu Resultaten, die mit den vorgenannten durchaus \u00fcbereinstimmten.\nNach der geschilderten, eigent\u00fcmlichen photochemischen Zersetzung des Sehpurpurs unter Bildung eines gelben Zwischenproduc-tes finden die sehr \u00fcberraschenden, mannigfaltigen Farben angebleichter Netzh\u00e4ute ihre Erkl\u00e4rung: in der That lassen sich alle diese Nuancen k\u00fcnstlich an der Sehpurpurl\u00f6sung erzeugen, wenn man derselben eine am Lichte gelb gewordene, in verschiedenen Mengen zusetzt und die Mischungen ausserdem durch Wasserzusatz in verschiedenen Concentrationen herstellt.\n5) Chemisches Verhalten des Sehpurpurs. a) Reactionen.\nAn genauere analytisch-chemische Untersuchung des Sehpurpurs ist zur Zeit nicht zu denken; die verschwindend geringen Spuren von Eisen, welche die Asche sehr bedeutender Mengen blutfreier, purpurner Kaninchennetzh\u00e4ute und einiger Froschretinae zeigten, l\u00e4sst vielleicht auf Fehlen des Eisens in diesem thierischen Pigmente schliessen.\nZur Feststellung des allgemeinen chemischen Verhaltens und der Reactionen des Sehpurpurs dienen: die Netzhaut, die Purpurl\u00f6sung und das fr\u00fcher erw\u00e4hnte, aus Neurokeratin und Sehpurpur bestehende\nSo gut die Netzhautfarbe cadaver\u00f6sen Processen, der F\u00e4ulniss und manchen chemischen Einwirkungen widersteht, so leicht ver\u00e4nderlich ist sie durch viele chemische Verbindungen. Ver\u00e4ndert und aufgehoben wird sie: durch Kalk- und Barytwasser, Aetzalkali1, durch fast alle S\u00e4uren,\n1\tHelmholtz, Physiol. Optik S. 303 u. 304. Taf. IV. Fig. 2.\n2\tA. Ewald und W. K\u00fchne a. a. O. I. S. 205.","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Chemisches Verhalten des Sehpurpurs. R\u00e9actionen.\n283\nMethyl-, Aetkyl-, Amylalkohol, Aether, Chloroform, Ckloralhydrat, Aceton, Aldehyd, Essig\u00e4ther, Senf\u00f6l, Thymol, Bittermandel\u00f6l, Terpentin\u00f6l, Seifenl\u00f6sungen, unterchlorigsaure Salze, Chlor, schweflige S\u00e4ure, Jod, Brom. Ist die Farbe durch diese Mittel geschwunden, so ist sie durch kein anderes wiederherzustellen. Die meisten genannten Reagentien wirken fast momentan, selbst bei grosser Verd\u00fcnnung, einige, namentlich im verd\u00fcnnten Zustande, langsam und meist so, dass der Purpur erst, wie im Lichte, durch gelb gehend farblos wird. Zu den letzteren geh\u00f6ren: verd\u00fcnnte S\u00e4uren1, Chloralhydrat, Chloroform, reiner Aether, Bittermandel\u00f6l, Terpentin, f\u00fcr trockene Netzh\u00e4ute auch absolutes Glycerin; doch geht die Farbe im Glycerin auch nach vielen Wochen nur zu hellem Gelb. In dem gelben Stadium erzeugt zutretendes Licht vollkommene Bleichung.\nF\u00fcr die Wirkung der S\u00e4uren (Essigs\u00e4ure, Salzs\u00e4ure, Phosphors\u00e4ure, Schwefels\u00e4ure, Oxals\u00e4ure, Salicyls\u00e4ure) sind die chemische Beschaffenheit und die Concentration maassgebend. HCl von 5 pCt. erzeugt in 5 Min. Blassgelb, von 0,5 pCt. dasselbe nach 45 Min., von 0,1 pCt. erst nach 15 Stunden, Farblosigkeit nach 24 Stunden. Oxals\u00e4ure von 2,5 pCt. f\u00e4rbt die Netzhaut sofort gelb, Essigs\u00e4ure derselben Concentration nach 24 Stunden erst roth.\nUnver\u00e4ndert bleibt die Farbe: in Ammoniak, kohlensaurem Alkali, Chlornatrium jeder Concentration, in Alaun, Cyankalium, schwefligsaurem, unterschwefligsaurem und salpetrigsaurem Alkali, Schwefelammonium, Schwefelwasserstoff, ammoniakalisclier, tartrathaltiger Zinnoxydull\u00f6sung, Eisen- und Zinkvitriol., Eisenchlorid, Bleiacetat, Wasserstoffsuperoxyd, Ozon, Kohlens\u00e4ure, Kohlenoxyd, Bors\u00e4ure, Cyanwasserstoff, wasserhaltigem Glycerin, Benzol, Petrol\u00e4ther, Koklenstoffdi- und tetrachlorid, Schwefelkohlenstoff, in den Fetten und Balsamen, in Oels\u00e4ure, Bergamot\u00f6l, San-tons\u00e4ure und Natriumsantonat, in Harnstoff und bei der Trypsinverdauung.\nHieraus geht besonders hervor, dass energische Oxydations- und Reductions - Mittel nichts \u00fcber die Retinafarbe verm\u00f6gen. Ein die Aufl\u00f6sung stundenlang aufpeitschender, unertr\u00e4glicher Ozonstrom \u00e4ndert den Purpur in kleinster Menge und grosser Verd\u00fcnnung nicht, weder in alkalischer noch in mit wenig Essigs\u00e4ure versetzter L\u00f6sung. So lange Osmiums\u00e4ure und sehr schwach anges\u00e4uertes \u00fcbermangansaures Kalium noch etwas neben der dunklen F\u00e4rbung, welche diese Mittel auch an gebleichten St\u00e4bchen erzeugen, erkennen lassen, sieht man die Purpurnuance intact.\nb) Einfluss der Temperatur.\nFroschnetzh\u00e4ute werden in feuchtem Zustande bei 76\u00b0 C. augenblicklich g\u00e4nzlich entf\u00e4rbt, bei 75\u00b0 C. nach 1 Min., bei 71\u00b0 in 5 Min., bei 70\u00fc in 8 Min., bei 65\u00b0 in 30 Min., bei 60\u00b0 in 1 Stunde, bei 53 und 52\u00b0 erst nach mehreren Stunden. Bei 51\u201450\u00b0 C. scheint der Sehpurpur \u00fcberhaupt nicht ver\u00e4nderlich; Wasser und Kochsalzl\u00f6sung bis zu\n1 Nach Boll sollte Essigs\u00e4ure an den St\u00e4bchen eine mit den Chromophanen (vergl. unten) identische gelbe Farbe erzeugen. Arch. f. Anat. u. Physiol, a. a. O. S. 17.","page":283},{"file":"p0284.txt","language":"de","ocr_de":"284\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\n10 pCt. \u00e4ndern hieran nichts. Sehpurpur vom Frosche in Galle gel\u00f6st wird nach mehrst\u00fcndigem Erw\u00e4rmen auf 50\u00b0 C. unver\u00e4ndert gefunden, bei 72\u00b0 C. momentan entf\u00e4rbt, bei 70\u00b0 in 2 Min., bei 60\u00b0 in 3 Min., bei 63\u00b0 in 10 Min., bei 54\u00b0 in 30 Min. hell chamois. Die Zersetzung beginnt hier bei 52\u00b0 C. und vollendet sich von 63\u00b0 C. an rascher, als am nat\u00fcrlichen Standorte. Zus\u00e4tze von Natriumcarbonat oder von NH3 setzen die Entf\u00e4rbungstemperatur f\u00fcr die Netzhaut bedeutend, auf etwa 47\u00b0 C., herab, wobei mit ersterem Zusatze in 3 Stunden, mit letzterem in 1 Stunde totale Entf\u00e4rbung erfolgt, Sehpurpur in L\u00f6sung wird mit 1 pCt. Sodagehalt bei 50\u00b0 C. in 5 Min. vollkommen entf\u00e4rbt, mit wenig NH3 bei etwa 41 \u00b0C. nach l\u00e4ngerer Zeit. Netzh\u00e4ute in NaCl von 0,5 pCt. mit einem Zusatze von 1 pCt. Essigs\u00e4ure werden bei 47\u00b0 C. in 20 Min. gelb.\nVollkommen getrocknete Netzh\u00e4ute werden bei 100\u00b0 C. in mehreren Stunden nur tiefgelb und \u00fcberhaupt erst bei 75\u00b0 C. ver\u00e4ndert, nach 10 Min. roth, nach 1 Stunde orange. Trocken in absolutem Glycerin erweicht bleiben sie bei 65\u00b0 C. 2\u20143 Stunden unver\u00e4ndert, w\u00e4hrend sie bei 75\u00b0C. nach 30 Min. darin fast farblos werden. L\u00e4ngere Zeit in ges\u00e4ttigtem NaCl befindliche Retinae zeigen bei 65\u00b0 C. nach 30 Min. die erste Ver\u00e4nderung und bed\u00fcrfen 8\u201410 Min. langes Erw\u00e4rmen auf 80\u00b0 C. um ganz weiss zu werden. Die Gegenwart des Wassers hat hiernach bedeutenden Einfluss auf die Entf\u00e4rbungstemperatur, ein Umstand, der im Zusammenh\u00e4nge mit der grossen Abh\u00e4ngigkeit dieser von der Zeit, sehr zu Vergleichen mit der Coagulation von Albuminen in der W\u00e4rme auffordert.\nPurpurl\u00f6sungen aus Kaninchennetzh\u00e4uten verhalten sich nicht vollkommen identisch wie die des Frosches; dieselben werden schon bei 62\u00b0 C. in 2V2 Min. entf\u00e4rbt, w\u00e4hrend eine mit demselben Gallengehalte von 272 pCt. aus der Froschretina hergestellte bei 63\u00b0 nach 5 Min. noch chamois aussieht. Die erstere wird chamois in 4 Min. bei 58\u00b0 C. Es giebt da also auf chemische Unterschiede des Purpurs in der Thierreihe, wof\u00fcr sich noch viele andere Gr\u00fcnde finden, deutende Thatsachen.\nc) Einfluss der Temperatur auf die Lichtbleiche.\nBei \u2014 13\u00b0 C. zu weisslich rosafarbenem Eise erstarrte Netzh\u00e4ute werden durch Licht gebleicht, aber erheblich langsamer, als aufge-thaute, noch unter 0\u00b0 befindliche. Von 0,J bis -+\u25a0 38\u00b0, selbst bis +40\u00b0 C. nimmt die Lichtempfindlichkeit des Froschsehpurpurs \u00e4usserst wenig zu und es erstreckt sich die kleine, bemerkbare Steigerung vornehmlich auf das erste Stadium der Sehgelbbildung. Von 45\" C. an nimmt die Zersetzlichkeit durch Licht bedeutend zu, in noch gr\u00f6sserem, erstaunlichem Maasse mit der Ann\u00e4herung an die Zersetzungstempe-","page":284},{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Einfluss der Temperatur und chemischer Agentien auf die Lichtbleiche. 285\nratur oder beim Ueberschreiten dieser. An diffusem, sehr ged\u00e4mpftem Tageslichte, das eine Purpurl\u00f6sung von 12\u00b0 C. in 11 Minuten ausblich wurde eine von 50\u00b0 C. in 12 Minute farblos. Mit NH3 versetzte, bei 10\u00b0 C. in 5 Min. farblos werdende L\u00f6sungen wurden bei 40\u00b0 C. augenblicklich blassgelb, gleich darauf farblos und das Gelbgr\u00fcn des Spec-trums blich eine bei 50\u00b0 C. gehaltene Froschretina in 7 Min., eine von 12\u00b0 C. bei gleicher Intensit\u00e4t in 20 Min. aus.\nL\u00e4sst sich bei dem poikilothermen Frosche der Einfluss unter 38\u00b0 C. liegender Temperaturen kaum nach weisen, so ist dieser bei den hom\u00f6othermen Kaninchen innerhalb der Bluttemperaturen sehr be-merklich. Sehpurpurl\u00f6sung vom Kaninchen ist bei Hb 35\u201438\u00b0C. bedeutend lichtempfindlicher als bei -4- 7,5\u00b0 C. Es blich z. B. die erw\u00e4rmte L\u00f6sung bei gleicher Beleuchtung in 20 Secunden bis zum Hellgelb, in 21/2 Min. vollkommen aus, wo die kalte erst nach 21(2 Min. hell-rosa, nach -3 f 2 Min. farblos wurde. Gr\u00f6ssere Lichtempfindlichkeit des Purpurs im lebenden Auge der Warmbl\u00fcter, als der Poikilothermen ist hiernach vorauszusetzen.\nd) Chemische Einfl\u00fcsse auf die Lichtbleiche.\nVon wesentlicher Bedeutung f\u00fcr die Zeit der Bleichung durch Licht ist das Wasser, dessen Entziehung dieselbe, \u00e4hnlich wie beim Erhitzen, ausserordentlich verlangsamt, ohne die Entf\u00e4rbung freilich zu verhindern.\nOhne Einfluss auf die Lichtbleiche ist sowohl der Sauerstoff, wie die Gegenwart stark reducirender Agentien, denn es sind beim gel\u00f6sten, wie bei dem retinalen Purpur keine zeitlichen Unterschiede der Bleichung zu bemerken, wenn man den Versuch in O, CO, CO2 und H vornimmt1, oder in hermetisch verschlossenen Gl\u00e4sern, von welchen die einen NHa, die andern dasselbe NH3 nach S\u00e4ttigung mit SH2 enthalten. Auch in abgeschlossener, ammoniakalischer Zinnoxydull\u00f6sung wird die Netzhautfarbe an gleichem Lichte in gleicher Zeit ver\u00e4ndert, wie in reinem NH3. Demnach giebt es keine Gr\u00fcnde die photochemische Zersetzung der St\u00e4bchenpigmente in Beziehung zu Reductions- oder Oxydationsprocessen zu bringen ; die Purpurbleiche d\u00fcrfte eher auf Zersetzung mit Wasseraustritt beruhen, worauf auch die allm\u00e4hliche Verf\u00e4rbung des trockenen Sehpurpurs unter wasserfreiem Glycerin deutet.\nMit Essigs\u00e4ure von b^pCt. behandelte Netzh\u00e4ute zeigen im Lichte, namentlich verglichen mit alkalischen, in NH3 oder in Soda von 2 pCt. gelegten, gr\u00f6ssere Neigung gelb zu werden. Im Spectrum\n1 Valentin behauptet das Gegentheil ohne gen\u00fcgende Begr\u00fcndung. Vergl. Moleschott\u2019s Unters. XII. S. 31.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nscheinen 2 Reihen solcher Retinae sich zun\u00e4chst zwar gleich zu verhalten, wenn man sie aber vor vollendeter Entf\u00e4rbung an schwachem Tageslichte besieht, so findet man die sauren im Gelbgr\u00fcn und Gr\u00fcn noch intensiv gelb, w\u00e4hrend die alkalischen dort schon entf\u00e4rbt sind und die ersteren im Blau und Violet farblos, wo die alkalischen noch hellchamois oder lila aussehen. Das sieht ganz so aus, wie wenn das Sehgelb, dessen Bildung die Essigs\u00e4ure ohne Licht einleitet, was bei der hier verwendeten Concentration im Dunkeln nach 24 Stunden aber kaum merklich ist, im kurzwelligen Lichte leichter von der S\u00e4ure erzeugt werde, w\u00e4hrend dieselbe seine Zerst\u00f6rung im weniger brechbaren Lichte verz\u00f6gert. Kohlens\u00e4ure scheint solchen Einfluss nicht zu haben.\n6) Indolenz und Fixirung der Sehfarbstoffe.\nAus den Augen im Dunkeln gehaltener Leichen entnommene Netzh\u00e4ute sind zuweilen in \u00fcberraschend geringem Grade lichtempfindlich ; sie werden zwar bald roth, orange, gelb oder chamois, bed\u00fcrfen aber oft in gutem Lichte vieler Stunden um vollkommen farblos zu werden. Da die Thiere der Schlachth\u00f6fe gew\u00f6hnlich bis zum Tode in wenig erleuchteten St\u00e4llen verweilen und die Augen derselben sp\u00e4ter bald in dunkle Gef\u00e4sse und Winkel gelangen, findet man fast die Mehrzahl der Rinds-, Schweins- oder Hammelaugen in diesem Zustande und es ist darum merkw\u00fcrdig genug, dass man nicht schon lange, wenigstens von der gelben Farbe der Retina Kenntniss hatte. Nachtr\u00e4glich zeigt sich jetzt freilich, dass die Erscheinung schon Melloni1 bekannt gewesen, der ausser dem gelben Flecke des menschlichen Auges, noch eine allgemeine nach dem Zusammenlegen der Netzhaut in Falten, beson-sonders bemerklich werdende, gelbe F\u00e4rbung hervorhob, und darauf, im Zusammenh\u00e4nge mit der bekannten kr\u00e4ftigen Wirkung des gelben Lichtes auf unser Auge, eine eigene Theorie des Sehens zu begr\u00fcnden suchte.\nDie Indolenz betrifft den Purpur sowohl, wie das Sehgelb, den ersteren jedoch in weit geringerem und niemals bis zu dem Grade, dass nicht directes Sonnenlicht, wenigstens nach m\u00e4ssiger Zeit alle purpurnen bis rothen Nuancen aus der Netzhaut vertriebe. Je l\u00e4nger die Retina, namentlich vom Epithel getrennt, im Dunkeln verweilte um so mehr ist die Erscheinung ausgepr\u00e4gt, ebenso nach gewissen chemischen Einfl\u00fcssen und nach dem Trocknen. Da Purpurl\u00f6sungen sich nicht so ver\u00e4ndern und die daraus nach dem Verdunsten bleibende\n1 Melloni, Compt. rend. XIV. S. 823 und Ann. d. Physik LVI. S. 574.","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"Indolenz und Fixirung der Sehfarbstoffe. Fluorescenz.\n287\ngef\u00e4rbte Masse nur in geringem Grade indolent wird, scheint es sich um eine Fixirung der Sehfarbstoffe an irgend etwas in den St\u00e4bchen Enthaltenes zu handeln, vielleicht um das Keratin der H\u00fcllen, denn die schon mehrfach erw\u00e4hnte Mischung des Sehpurpurs mit dem Neurokeratin ist an sich bereits in Folge der l\u00e4ngeren, zur Darstellung erforderlichen Zeit indolenter, als die Netzhaut und wird es nach l\u00e4ngerer Aufbewahrung im trockenen Zustande in solchem Grade, dass sie, obschon allm\u00e4hlich gelb werdend, selbst in der Sonne nicht ganz mehr zu entf\u00e4rben ist. Wird eine in Alaun geh\u00e4rtete Kaninchennetzhaut, deren Horizont, wie bei vielen andern S\u00e4ugern, durch eine intensive purpurne Sehleiste bezeichnet ist, im Dunkeln getrocknet, l\u00e4nger \u00fcber SH-2 O4 aufbewahrt, so wandelt sich ihr sch\u00f6nes Rosenroth, auch wenn man sie wieder befeuchtete-, an der Sonne allm\u00e4hlich wol in Roth und Orange, nach etwa 30 Minuten in helles Gelb um, aber es ist schwer -dieses Gelb durch Licht soweit zu zerst\u00f6ren, dass von der st\u00e4rker gef\u00e4rbten Sehleiste nichts mehr kenntlich bliebe.\nMit Essigs\u00e4ure gelb gewordene Netzh\u00e4ute verlieren die Farbe am Lichte zwar g\u00e4nzlich, aber dies kann Stunden und Tage dauern, wenn die mit Wasser wieder gewaschenen Membranen l\u00e4nger im Dunkeln verweilt hatten und die Farbe wird nahezu so echt, wie die der meisten gebr\u00e4uchlichen Farbstoffe, wenn das Conserviren im trocknen Zustande geschehen ist. Durch Licht fast unverw\u00fcstlich scheint auch die gelbe Farbe zu sein, welche purpurne Netzh\u00e4ute in Sublimat annehmen. Ausser dem Trocknen und Conserviren im Dunkeln bef\u00f6rdert Erw\u00e4rmen die Indolenz. Stirbt die Netzhaut bei den alle cadaver\u00f6sen Processe bef\u00f6rdernden Temperaturen von 30\u201445 \"C. ab, so verliert sie regelm\u00e4ssig schneller an Lichtempfindlichkeit, soweit dieselbe an dem g\u00e4nzlichen Farbenverluste bemessen wird, ein Umstand, der besondere Beachtung verdient, weil viele l\u00e4nger dauernde Bleichungsversuche, wie die im Spectrum namentlich, damit zu k\u00e4mpfen haben, und weil z. B. das sonderbare Resultat, dass Froschnetzh\u00e4ute bei 30\u00b0 C. zuweilen langsamer erblassen, als bei 0\u00b0 davon bedingt wird.\n7) Beziehungen der St\u00e4bchenfluorescenz zum Sehpurpur.\nDie von Helmholtz1 gefundene, von Setschenow2 weiter untersuchte, weisslichgr\u00fcne Fluorescenz der Netzhaut im \u00fcbervioletten Lichte r\u00fchrt nur von der St\u00e4bchenschicht her3 und steht im Zusammenh\u00e4nge mit dem Sehpurpur und dessen Bleichung. W\u00e4hrend die bereits\n1\tHelmholtz, Ann. d. Physik XCIY.\n2\tSetschenow, Arch. f. Ophthalmologie Y. 2.\n3\tA. Ewald und W. K\u00fchne a. a. O. S. 169.'","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nerw\u00e4hnte weissbl\u00e4uliche Fluorescenz der vorderen Schichten in allen Augen gleich und unabh\u00e4ngig von der retinalen Phototropie zu sein scheint, wird das Helmholtz'scIic Ph\u00e4nomen erst hervorgerufen durch die Zersetzung des Purpurs. Beim Menschen und bei allen Thieren fluo-rescirt die St\u00e4bchenschicht ungebleicht schwach und mit bl\u00e4ulichem Scheine, bedeutend st\u00e4rker und gr\u00fcnlich, nachdem sie durch Licht vollkommen entf\u00e4rbt worden. St\u00e4bchen ohne Purpur, wie die im Umkreise der Ora serrata des Menschen vorkommenden, lassen kaum Fluorescenz erkennen, ebensowenig die purpurfreien Zapfen; die Fovea centralis erscheint in gut conservirten menschlichen Netzh\u00e4uten, bei erwiesenem Bes\u00e4tze mit ihren langen Zapfenaussengliedern, im Focus \u00fcbervioletter Strahlen immer als dunkler Fleck und um so auffallender dunkel, je mehr die St\u00e4bchen der Umgebung zu fluoresciren beginnen. Im Leben des Purpurs durch Licht beraubte Netzh\u00e4ute fluoresciren an der R\u00fcckfl\u00e4che ebenfalls gr\u00fcnlichweiss, aber sehr schwach.\nv. Bezold und Engelhardt 1 beobachteten mit dem Augenspiegel, der das Bild eines Spectrums auf der Netzhaut entwarf, Erscheinungen an den Blutgef\u00e4ssen, die sie einer Fluorescenz der lebenden Membran in allen Spectralfarben vom Gr\u00fcn bis ins Ultraviolet zuschreiben. W\u00e4hrend Blut dieses Licht absorbirt und darin sonst schwarz aussieht, erschien es hier in den retinalen Gef\u00e4ssen rolhbraun bis gelbbraun. An isolirten Netzh\u00e4uten vom Menschen und vom Ochsen sieht der Gef\u00e4ssbaum in allen\t'\nTheilen des Spectrums, wo das Blutroth viel Licht absorbirt, beim, ersten Hinblicken schwarz aus, sp\u00e4ter in jeder einzelnen Farbe zwar sehr dunkel, aber wie von der complement\u00e4ren Farbe angelaufen, was auf Contrast beruhen d\u00fcrfte. Ausser dem Ueberviolet scheint h\u00f6chstens das Violet etwas Fluorescenz in der St\u00e4bchenschicht zu erregen.\nOb der Sehpurpur an sich fluorescire, ist schwer zu ermitteln, weil die zu seiner L\u00f6sung verwendeten Cholate im Ueberviolet lebhaft bl\u00e4ulich auf leuchten. In sehr verd\u00fcnntem, cholal saurem Al- j kali (das weniger fluorescirt) gel\u00f6ster Purpur erscheint in dem erregenden Lichte aber schwach bl\u00e4ulich, nach der Bleichung durch Licht heller und gr\u00fcnbl\u00e4ulich.\nIn der St\u00e4bchenschicht nimmt die Fluorescenz am meisten zu, \\ wenn das Sehgelb schwindet, viel weniger, so lange der Purpur erst bis zum Gelb umgewandelt worden. Andrerseits kann eine Netzhaut kaum gelblich geworden sein und vorzugsweise Sehweiss, neben kleinen Resten ungebleichten Purpurs enthalten, wie nach dem Liegen im indigblauen und violetten Theile des Spectrums, und doch bereits kr\u00e4ftig gr\u00fcnlich fluoresciren. Dies deutet auf das Sehweiss, als die\n1 v. Bezold und Engelhardt , Sitzungsber. d. bayr. Acad. 1877. 7. Juli und Engelhardt. Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde XV. S. 134. 1877.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Fluorescenz. Gr\u00fcne St\u00e4bchen.\n289\neigentliche, am st\u00e4rksten und mit dem gr\u00fcnlichen Scheine fluoresci-rende Substanz, w\u00e4hrend es das Sehgelb f\u00fcr schwach oder gar nicht fluorescirend halten l\u00e4sst.\nIm Dunkeln \u00fcber SH2O4 aufbewahrte und trocken, bis zum Gelbwerden besonnte Retinae fluoresciren kaum, verhalten sich aber wie frisch gebleichte, wenn sie befeuchtet, nach langer Besonnung endlich farblos geworden sind. Benetzung mit Chlorzinkl\u00f6sung steigert die Fluorescenz hier, wie an allen entf\u00e4rbten St\u00e4bchen bedeutend.\nEin Mittel ohne Licht aus Sehpurpur nur Sehgelb, ohne Sehweiss zu erzeugen, scheint im Chlorzink zugleich gegeben, denn es f\u00e4rbt die Netzhaut im Dunkeln gelb und beraubt sie zun\u00e4chst aller Fluorescenz. Hierauf bis zur Farblosigkeit belichtet, entwickelt die Membran aber die st\u00e4rkste Fluorescenz, deren sie \u00fcberhaupt f\u00e4hig ist. Auch mit Essigs\u00e4ure im Dunkeln gelb gewordene Retinae sind fast frei von Fluorescenz und nehmen sie nach vollst\u00e4ndiger Lichtbleiche an.\nVollst\u00e4ndig aufgehoben wird das Verm\u00f6gen zur Fluorescenz durch Benetzung mit Alkohol oder \u00e4tzenden Alkalien. Wird der Alkohol erst angewendet, nachdem die St\u00e4bchen vom Lichte gebleicht worden, so bleibt die Fluorescenz erhalten. Der Alkohol ist daher vielleicht ein Mittel, das einmal fertiges Sehweiss nicht ver\u00e4ndert, w\u00e4hrend er am Purpur, ebenso wie die Alkalien, wahrscheinlich ganz andere mit Entf\u00e4rbung verbundene Aenderungen erzeugt, als das Licht.\nGr\u00fcne St\u00e4bchen wurden von Boll in der Froschnetzhaut entdeckt1, von Ewald und mir ausserdem nur bei den Kr\u00f6ten gefunden und schon bei deren n\u00e4chsten Verwandten, Salamandern und Tritonen vermisst. Dieselben sind identisch2 mit den von Schwalbe3 gefundenen St\u00e4bchen mit kurzen Aussengliedern, deren Innenglied in Gestalt eines langen Fadens weit hinter der M. limitans ext. beginnt und zwischen den vorderen Theilen der purpurnen Cylinder benachbarter St\u00e4bchen verpackt liegt. Der Beweis daf\u00fcr liegt in der g\u00e4nzlichen Unsichtbarkeit aller gr\u00fcnen St\u00e4bchen von vorn, wo man nur die optischen Querschnitte jener farblosen F\u00e4den, als kleine Kreise bemerkt, und in dem Fehlen dieses Bildes bei allen Thieren, ausser bei den Fr\u00f6schen und Kr\u00f6ten. An der R\u00fcckfl\u00e4che der Retina ragen die gr\u00fcnen St\u00e4bchen weiter in das Retinaepithel hinein, als die \u00fcbrigen. Durch Licht werden sie langsamer gebleicht, als die purpurnen, wie diese jedoch schliesslich vollkommen und direct, d. h. nur so weit das Licht reicht. In ausgeblichenen Netzh\u00e4uten sind sie leicht an der geringeren Durchsichtigkeit kenntlich. Ob ihre F\u00e4rbung von einem Farbstoffe herr\u00fchre, ist noch nicht festgestellt.\n1\tBoll a. a. O.\n2\tW. K\u00fchne a. a. O. II. S. 131 u. 132. Taf. VII.\n3\tSchwalbe a. a. O.\nHandbuch der Physiologie. Bd. III.","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nB) Farbstoffe der Zapfen.\nIm vollst\u00e4ndigsten Gegens\u00e4tze zu den St\u00e4bchen sind die Aussenglieder der Zapfen nirgends, weder bei im Dunkeln, noch bei im Hellen, oder in farbigem Lichte gehaltenen Thieren gef\u00e4rbt. Es ist hier also nur von Farbstoffen der Innenglieder zu handeln. Das Vorkommen dieser Pigmente ist auf die V\u00f6gel, Reptilien und einige Fische beschr\u00e4nkt.1\nBeim Menschen und beim Affen (Macacus cynomolgus) ist die Fovea centralis nach zahlreichen Beobachtungen gut erhaltener Augen im Dunkeln Verstorbener2 niemals gef\u00e4rbt. Im Grunde eines frisch er-\u00f6ffneten Auges erkannte Horner3 die Stelle zwar als kleines, dunkles, kirschfarbenes, sehr verg\u00e4ngliches Fleckchen, aber diese Erscheinung h\u00e4ngt nicht mit F\u00e4rbungen der nur aus Zapfen gebildeten Stelle, sondern mit deren D\u00fcnne und Durchsichtigkeit und mit der Beschaffenheit des Epithels und ihrer weiteren Unterlage zusammen. Wie es scheint ist die Fovea aller menschlichen Augen in situ sichtbar, besonders wenn es gelingt den Glask\u00f6rper vollkommen zu entfernen. Je nach der Tiefe der epithelialen und chorioidalen F\u00e4rbung erscheint sie mehr minder braun bis braunr\u00f6thlich, als dunkelster Punkt der ganzen Netzhaut, woran das intensivste Licht garnichts \u00e4ndert. Hebt man die Netzhaut ab, so verschwindet das dunkle Fleckchen und erscheint jetzt etwa wie ein sehr kleines, durchsichtiges Sagok\u00f6rnchen, im Centrum des gr\u00f6sseren, jetzt erst kenntlich werdenden, gelben Fleckes vollkommen farblos. Es gen\u00fcgt die Netzhaut an den alten Platz zur\u00fccksinken zu lassen, um die Macula lutea wieder schwinden, die Fovea wieder auftreten zu sehen. Damit ist der Beweis geliefert, dass die Fovea in situ nicht sich selbst, sondern ihren epithelialen und chorioidalen Hintergrund zeigt, den letzteren zuweilen vielleicht vorwiegend, weil die nach Art von St\u00e4bchen in die Epithelzellen, durch deren fuscin-haltige Basis ragenden Foveazapfen die Uvea sehen lassen. Wo die letztere in den Pigmentl\u00fccken blutgef\u00fcllte Gef\u00e4sse gegen das Epithel wendet, k\u00f6nnte wohl auch Blutfarbe durch die Fovea schimmern und diese r\u00f6thlich erscheinen lassen, in welchem Falle auch einiger Wechsel der Foveafarbe durch Verschieben jenes Blutes m\u00f6glich w\u00e4re.\n1\tNach Leydig (Lehrb. d. Histologie S. 238) kommen auch bei Bombinator igneus gelbe Fettkugeln in den Sehzellen vor.\n2\tW. K\u00fchne, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1877. 24. Apr. S. 109 und a. a. O. I. S. 34, 105,109 und II. S. 69,89, 378, sp\u00e4ter best\u00e4tigt von Donders (Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde XV. Beilage. S. 156). Da die Macula lutea vorwiegend Zapfen enth\u00e4lt, fand ich auch diese Umgebung der Fovea frei von Sehpurpur, und es schienen selbst die wenigen dort vorkommenden St\u00e4bchen ungef\u00e4rbt zu sein.\n3\tHorner, Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde XV. S. 156 f. 1877.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Farbstoffe der Zapfen. Chromophane.\n291\nIn der Fovea fehlt den Zapfen auch der vordere, gelbe Schirm, welcher nach Max Schultze in der Macula lutea vor die Sehzellen gelegt ist. Hier ist der demselben angeh origen, gelben Farbe nur beil\u00e4ufig zu erw\u00e4hnen, weil dieselbe ausschliesslich die vorderen Netzhautschichten bis zur Zwischenk\u00f6rnerschicht einnimmt und mit den Sehzellen durchaus nichts zu schaffen hat. Obwohl von manchen Seiten als pr\u00e4existente F\u00e4rbung bestritten, weil sie mit dem Augenspiegel und im Grunde frisch er\u00f6ffneter Augen nicht zu sehen sei, bildet der Farbstoff gleichwohl einen Bestandtheil der lebenden Retina, den man nur deshalb erst an der abgehobenen, oder an der cadaver\u00f6s getr\u00fcbten Netzhaut auftreten sieht \\ weil es nicht m\u00f6glich ist die d\u00fcnne und vollkommene Lackfarbe vor dunklem Grunde zu bemerken. Das nach Ausdehnung, Intensit\u00e4t und Nuance im menschlichen Auge wechselnde gelbe Pigment verschwindet in einigen Tagen an der Sotfne. Man \u00fcberzeugt sich davon leicht an trocken ausgebreiteten Netzh\u00e4uten, deren Macula zur H\u00e4lfte vor dem Lichte gesch\u00fctzt worden. Die Besonnung darf nicht zu lange dauern, wenn der Unterschied der dunkel erhaltenen Stelle unter der Bedeckung merklich bleiben soll, da das ganze Pr\u00e4parat mit der Zeit an Luft und Licht gelb wird.\nDie Chromophane.\nAls Chromophane werden die in den bunten Oelkugeln der Zapfen enthaltenen Pigmente bezeichnet. Nur bei einigen V\u00f6geln (Tauben und H\u00fchnern) sind dieselben bis jetzt n\u00e4her untersucht, aber es ist kaum zu bezweifeln, dass die bei den Reptilien vorkommenden, intensiv gef\u00e4rbten Kugeln \u00e4hnliche Farbstoffe enthalten. Seit Hannover\u2019s 2 ersten Beschreibungen sind die an der Grenze des Innen-und Aussengliedes, im ersteren gelegenen Fettkugeln vielfach untersucht und \u00fcbereinstimmend mit den sehr vollst\u00e4ndigen Angaben ihres Entdeckers theils farblos, theils purpurn bis roth, orange bis gelb und gr\u00fcnlich gelb gefunden. Bei einzelnen V\u00f6geln wurden ausserdem blassgr\u00fcne, intensiv reingr\u00fcne, blass gr\u00fcnlichblaue, selbst blassblaue Kugeln bemerkt. Ausnahmsweise kommen, z. B. in der Taubennetzhaut, auf eine bestimmte Region beschr\u00e4nkt, sehr kleine purpurne K\u00f6rnchen neben der gr\u00f6sseren rothen Oelkugel durch das ganze Zapfeninnenglied zerstreut vor, was unter gewissen Bedingun-\n1\tVgl. Schmidt-Rimpler, Centralbl. f. d. med. Wiss. 9. Juni. 1877. S. 401, enth. zugleich Best\u00e4tigung der Beobachtung des Fehlens des Sehpurpurs in den Zapfen der Al&culci luto\u00e4\n2\tA. Hannover, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1840. S. 320 u. 1843. S. 314.\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\ngen bei verschiedenen V\u00f6geln auch f\u00fcr das gr\u00fcnlichgelbe Pigment zutrifft. Sehr h\u00e4ufig liegen Zapfen mit gr\u00f6sseren rothen und kleineren orange Kugeln paarweise durch mehrere mit farblosen oder gr\u00fcnlichgelben versehene getrennt, hart nebeneinander. Da in der Retina (des Falken nach Schwalbe l) auch verschiedenfarbig geschichtete Kugeln Vorkommen, wird es begreiflich, dass deren Farben zuweilen Unreinheiten und Ueberg\u00e4nge zeigen.\nDass die Pigmente in Fett gel\u00f6st seien, lehrt die schnelle und intensive Br\u00e4unung der Kugeln durch OsO-i, die L\u00f6slichkeit derselben in Alkohol-Aether, Benzol, Schwefelkohlenstoff, die Resistenz gegen Alkalien und gegen Galle und das Zerfliessen der Kugeln beim Trocknen. Die fettl\u00f6senden Mittel entf\u00e4rben die Netzh\u00e4ute, indem sie die Farbstoffe mit aufnehmen ; solche L\u00f6sungen sind meist orangeroth, mit CS-2 hergestellt nach Capranica2 mehr dunkelroth.\na) Darstellung und Trennung der Chromophane.3\nUm die einzelnen, sich beim Aufl\u00f6sen unwillkommener Weise mischenden Farbstoffe wieder getrennt zu erhalten, gen\u00fcgt das folgende, zugleich die Scheidung vom Fette bezweckende Verfahren. Die der vorderen Abschnitte und des Glask\u00f6rpers beraubten Augen (von 50 \u2014 300 Tauben oder H\u00fchnern) werden sogleich in absoluten Alkohol geworfen und gesammelt, und zur Vermeidung von Ver\u00e4nderungen, welchen die Pigmente selbst im Dunkeln, wenigstens nach monatelanger Aufbewahrung unterliegen, m\u00f6glichst bald verarbeitet, indem man den nur wenig Fett und Farbe aufnehmenden Alkohol abgiesst und die Augengr\u00fcnde mit Aether vollkommen ersch\u00f6pft. Um von dem kostbaren Materiale nichts zu verlieren, wird der Conser-virungsalkohol verdampft, der R\u00fcckstand mit Aether aufgenommen und dieser zur Hauptmasse gef\u00fcgt. Das nach dem Verdunsten des Aethers erhaltene, feuerrothe Fett wird hierauf in heissem Alkohol gel\u00f6st und darin mit Aetznatron rasch verseift, unter Ersetzung des verdampfenden Alkohols durch siedendes Wasser. Die nach dem Erkalten von der Mutterlauge leicht zu trennende und abzusp\u00fclende, harte Seife wird gut getrocknet zuerst mit Petrol\u00e4ther, darauf mit Aether, zuletzt mit Benzol extrahirt, welche Mittel der Reihe nach Chlorophan, Xanthophan und Rhodophan aufnehmen. Von diesen Pigmenten bed\u00fcrfen die beiden ersteren noch einer Reinigung, da das Chlorophan nicht frei vom zweiten ist, dieses noch etwas vom ersten und Rhodophan enth\u00e4lt. Das fast rein gelbe, rohe Chlorophan wird dazu\n1 Schwalbe a. a. 0.\t2 Capranica a. a. 0.\n3 W. K\u00fchne und W. C. Ayres, Ueber lichtbest\u00e4ndige Farben der Netzhaut, a. a. O. I. S. 341.","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Darstellung und Trennung der Chromophane.\n293\nin einer ungen\u00fcgenden Menge Petrol\u00e4ther wieder gel\u00f6st, nach dessen Verdunsten es als gr\u00fcnlichgelbe Masse zur\u00fcckbleibt. Zur Isolirung des Xanthophans wird der Verdampfungsr\u00fcckstand des Aethers zun\u00e4chst mit Petrol\u00e4ther vom anh\u00e4ngenden Chlorophan befreit, darauf in CS2 gel\u00f6st, die tief orangerothe Fl\u00fcssigkeit von dem ungel\u00f6st bleibenden Rhodophan filtrirt, das Filtrat rasch bei m\u00e4ssiger W\u00e4rme verdunstet, und wieder in Aether aufgenommen, nach dessen Verjagung das Xanthophan in gelborangen Krusten erhalten wird. Das davon er\u00fcbrigte Rhodophan wird nach dem L\u00f6sen in Benzol mit der Hauptmasse dieses Farbstoffes vereinigt. Ist die Seife vollst\u00e4ndig mit Benzol extrahirt, so hat sie alle Farbe verloren. Die gewonnenen Pigmente sind s\u00e4mmtlich amorph und mit kleinen Mengen der auch im v\u00f6llig trockenen Zustande in den wasserfreien L\u00f6sungsmitteln keineswegs unl\u00f6slichen Seifen verunreinigt. Was \u00fcber die L\u00f6slichkeit der Pigmente zu sagen ist, hat deshalb f\u00fcr die reinen Substanzen nur vorl\u00e4ufige Geltung.\nDas Chlorophan ist gr\u00fcngelb, mit gleicher Farbe l\u00f6slich in Alkohol und in Aether. Die L\u00f6sung in CS2 ist tief orangegelb, liefert aber verdunstet einen helleren R\u00fcckstand, der sich in den ersteren Mitteln mit der fr\u00fcheren Farbe wieder aufl\u00f6st und sich dann optisch nicht ver\u00e4ndert zeigt; der CS2 erzeugt also keine chemische Ver\u00e4nderung des Farbstoffs. Die L\u00f6sungen im HERMANN\u2019schen H\u00e4moskop vor den von direktem Sonnenlichte beleuchteten Spalt des Spectro-skops gebracht, zeigen die durch Fig. 4 A und B in Curven dargestellten Absorptionen.\na\t3\t\\c . 1\t|z>\tE\t|ft\t\tQ\tl\u00c0 Sonnenspectrum. 1\n\t\t\t\t\t\t% U JR\tA. JM\tChlorophan in ,^||||||| Aether oder in Petrol\u00e4ther.\n\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t!\t\t\t\till jjjjll \tA .\tChlorophan in CS2\nFig. 4.\nBeide L\u00f6sungen geben hiernach Verdunkelung im Violet, ohne st\u00e4rkere Beschattung des Blauviolet und 2 Absorptionsb\u00e4nder, die sich im CS2 stark von G nach dem rothen Ende verschoben zeigen, so dass der Streif a zwischen b und F f\u00e4llt.\nDas Xanthophan ist in Petrol\u00e4ther wenig, leicht in Alkohol, in Aether und in CS2 l\u00f6slich, in ersteren mit rein orangegelber, in","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nK\u00fchne, Physiol. Optik III. 1. Cap. Chemie der Netzhaut.\nletzterem mit rothoranger Farbe. Die L\u00f6sungen geben die Spectra (Fig. 5 A und B), also wieder starke Beschattung des Violet, aber nur einen Absorptionsstreifen.\nDas Rhodophan scheint in Petrol\u00e4ther gar nicht, in Aether kaum l\u00f6slich zu sein und ist in CS2 sicher ganz unl\u00f6slich, wenn kein Fett zugegen ist. In der mit Seife verunreinigten Masse, als welche es erhalten wird, l\u00f6st sich das Rhodophan am leichtesten in Terpentin\u00f6l und in Alkohol, mit sch\u00f6ner, rosenrother bis tieferer Purpurfarbe, besonders leicht in Alkohol dem einige Tropfen Eisessig zugesetzt worden. Diese L\u00f6sungen verschiessen und entf\u00e4rben sich im Dunkeln nach einigen Stunden. Die L\u00f6sung in Benzol ist sch\u00f6n rosa und, wie es scheint, im Dunkeln unbegrenzt haltbar. Wie\nSonnenspectrum.\nA.\nBhodophan in Benzol.\nB. \u2022\nKhodoplian in Terpentin\u00f6l.\nFig. 6.\ndie Spectra (Fig. 6 AB) zeigen, sind die L\u00f6sungen in Benzol und in Terpentin\u00f6l nicht nur durch die S\u00e4ttigung unterschieden.\nb) Allgemeines Verhalten der Cromophane.\nDa das Darstellungsverfahren dieser Pigmente wegen der noth-wendigen Verseifung als ein eingreifendes bezeichnet werden muss, sind Garantien gegen den Verdacht auf Ver\u00e4nderungen der beschriebenen Stoffe als Beweise f\u00fcr ihre Pr\u00e4existenz zu suchen. Dieselben w\u00fcrden sehr vollkommen sein, wenn die bunten Oelkugeln der Netz-","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Allgemeines Verhalten der Chromophane.\n295\nhaut in situ unmittelbarer spectroskopischer Untersuchung zug\u00e4nglich w\u00e4ren. Darauf schon seit lange gerichtete Bem\u00fchungen, \u00fcber welche gegenw\u00e4rtig wegen der ungeeigneten Construction der k\u00e4uflichen Mikrospectroskope nicht hinauszukommen war, haben nur im Allgemeinen constat\u00e2t, dass die Kugeln der Vogelretina das brechbarste Licht am meisten absorbiren.1 2 Augenblicklich bietet die Betrachtung frischer Netzh\u00e4ute mit guten, achromatischen Mikroskopen die besten, durch kein farbenge\u00fcbtes Auge beanstandeten Garantien f\u00fcr die Uebereinstimmung der isolirten Chromophane mit den nat\u00fcrlich yorkommenden, denn das Aussehen der Oelkugeln bei Tauben und H\u00fchnern entspricht jenen zum Theil vollkommen, besonders in Betreff der gr\u00fcnlich gelben Nuance des Chlorophans und der reinen Orangefarbe des Xantophans. Zeigen einzelne der damit gef\u00e4rbten Kugeln Abweichungen, so liegen dieselben augenscheinlich in Differenzen der S\u00e4ttigung. Nur das Rhodophan tritt in der Retina gr\u00f6ssten-theils nicht in voller Reinheit auf, da die es enthaltenden Kugeln mehr rubinroth, als purpurn zu nennen sind. Wo das Pigment fein vertheilt in den Zapfeninnengliedern nach vorn verbreitet vorkommt, zeigt es jedoch die Purpurfarbe deutlicher, ebenso zuweilen in den gr\u00f6sseren Kugeln stark belichteter Netzh\u00e4ute. Das Rhodophan kommt hiernach vermuthlich meist gemischt mit etwas Xantophan in den Oelkugeln vor. Die Pr\u00e4existenz der Chromophane wird weiter erh\u00e4rtet durch die von Schwalbe an den Oelkugeln gefundene Jod-reaction, denn dieselbe f\u00e4llt in dem Grade intensiver aus, je tiefer die Kugeln gef\u00e4rbt sind, an den gelbgr\u00fcnen und orangen gr\u00fcnlichblau, an den rothen dunkler, gr\u00fcnlicher und ist von derselben schmutzigeren Nuance besonders in den diffus gef\u00e4rbten Innengliedern der Taube. Vollkommen das Gleiche ist an den 3 isolirten Chromophanen zu sehen, wo die Reaction am besten nach schwachem Ans\u00e4uern mit Essigs\u00e4ure, durch Mischungen von Jodkalium mit alkoholischer Jodl\u00f6sung, nur schneller und intensiver als an den Oelkugeln, deren Fett etwas hinderlich ist, erhalten wird.\nNach Capranica0- f\u00e4rben sich die bunten Oelkugeln der Netzhaut und das daraus extrahirte alle 3 Chromophane in Mischung enthaltende Fett mit concentrirter Salpeters\u00e4ure und mit Schwefels\u00e4ure dunkelgr\u00fcnblau bis blau. Das Chloropkan und das Xantho-phan werden mit Salpeters\u00e4ure, die salpetrige S\u00e4ure enth\u00e4lt, blaugr\u00fcn, mit concentrirter Schwefels\u00e4ure dunkelblau, w\u00e4hrend das Rho-\n1\tTalma, Onderz. g. i. h. physiol. Lab. t. Utrecht III. IL R. S. 259.\n2\tCapranica a. a. 0.","page":295},{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"296\tK\u00fchne, Physiol. Optik III. t. Cap. Chemie der Netzhaut.\ndophan durch erstere mu* sehr langsam blass blaugr\u00fcn, durch letztere erst schwarzblau, dann dunkelbraun wird.\nDie Chromophane besitzen, abgesehen von der Ver\u00e4nderlichkeit im Dunkeln, die sich auch an dem isolirten Chlorophan und Xan-thophan geltend macht, einen gewissen Grad von Lichtempfindlichkeit, der zwar nicht entfernt mit dem des Sehpurpurs zu vergleichen ist, aber dem des Lipochrins und Lute\u00efns nahe steht, ohne diesen \u00fcbrigens zu erreichen. Ausser in alkoholisch-\u00e4therischen und Fettl\u00f6sungen oder in Benzol macht sich die Lichtempfindlichkeit auch an den wenig Seife enthaltenden, trocknen oder damit durch Galle in w\u00e4ssrige, sehr verd\u00fcnnte L\u00f6sung gebrachten Pigmenten geltend. Im besten Falle werden sehr d\u00fcnne Schichten des Chlorophans an direktem Sonnenlichte in einigen Stunden farblos, solche des Xan-thophans etwa in der 3 fachen, des Rhodophans kaum in der 20fachen Zeit. Wie Mays fand, bleichen in CO > trocken eingeschlossene Taubennetzh\u00e4ute nicht oder ungemein langsam im Vergleiche zu in Luft ex-ponirten. Diese Lichtbleiche ist also wie die des Fuscins vom Sauerstoff abh\u00e4ngig und d\u00fcrfte auf einem Oxydationsprocesse beruhen.\nOzon entf\u00e4rbt die Chromophane im Dunkeln, das Chlorophan am schnellsten, das Rhodophan sehr langsam.\nAnhang: Retinale Farbstoffe der Wirbellosen.\nIm Auge der Wirbellosen sind Pigmente so h\u00e4ufig und bei den niederen Formen so charakteristisch, dass farbige Anh\u00e4ufungen an lichtzug\u00e4nglichen Stellen gern f\u00fcr Augen unvollkommenster Entwicklung genommen werden, wo nur irgend Andeutungen von Sehverm\u00f6gen vorliegen.\nBekannt und leicht zu untersuchen sind die grossen purpurn bis violet gef\u00e4rbten Sehst\u00e4be von Astacus fluviatilis. Dass diese Farbe nicht von Sehpurpur herr\u00fchre erhellt schon aus dem Umstande, dass man sie ohne allen Lichtschutz stundenlang untersuchen kann und aus der Constanz ihres Vorkommens sowohl bei dunkel gehaltenen, wie bei lange besonnten oder in der Sonne abgestorbenen Krebsen. In d\u00fcnnem Salzwasser zerlegte Krebsaugen verlieren die St\u00e4bchenfarbe bei 47\u00b0 C. im Dunkeln, aber auch bei mittlerer Temperatur nach dem Zugiessen ges\u00e4ttigter NaCl-L\u00f6sung. Der violette Farbstoff ist in Galle l\u00f6slich und geht sammt dem den St\u00e4ben anhaftenden, schwarzen Pigmente durch das Filter. Hat sich das ungel\u00f6ste Pigment nach einigen Stunden abgesetzt, so findet man dar\u00fcber stehend eine sch\u00f6n violette, klare Fl\u00fcssigkeit, welche ihre Farbe erst nach vielt\u00e4giger intensivster Besonnung verliert, ohne zuvor gelb zu werden.\nUnter den Sehst\u00e4ben der Insecten sind nur die von Locusta viridis-sima im hier interessirenden Sinne ber\u00fccksichtigt, von denen Chatin1\n1 Chatin, Compt. rend. XXV. p. 447.","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Retinale Pigmente der Wirbellosen.\n297\nirrthiimlich angegeben hatte, dass sie der Retinafarbe d\u00e7s Frosches vergleichbar empfindliche F\u00e4rbung bes\u00e4ssen; dieselbe ist in Wahrheit nicht weniger indolent, als die der Krebse.1 2\nDie vor allen sp\u00e4teren Erfahrungen bei den Cephalopoden von Krohn entdeckte Rosenfarbe der St\u00e4bchen ist nach Krukenberg\u2019s 2 Untersuchungen entweder gar nicht oder in \u00e4usserst geringem Grade durch Licht ver\u00e4nderlich. Lebende Exemplare von Loligo und von Sepia, 1 \u2014 2 Stunden mit dem Auge gegen die Mittagssonne gerichtet, zeigten die St\u00e4bchenfarbe so gut, wie die im Dunkeln gehaltenen, und es wich dieselbe auch im herausgenommenen und abgestorbenen Auge der Sonne nicht. Doch schien Krukenberg die Farbe nicht ganz constant, da im Lichte abgestorbene Sepiolae sie zuweilen zeigten, zuweilen nicht, Rosa Netzh\u00e4ute von Sepiola behielten die Farbe l\u00e4ngere Zeit in NaCl von 2\t30 pCt.,\nin Natriumphosphat und -sulphat, und in Benzol. NEU l\u00f6ste den Farbstoff unver\u00e4ndert, w\u00e4hrend derselbe durch Alkohol, Glycerin und Chlorbarium, HCl von 2 p. m., Essigs\u00e4ure von 5 pCt., Oxals\u00e4ure von 4 pCt., Kupfersulphat und Sublimat zerst\u00f6rt wurde. Durch Galle ist das St\u00e4bchenrosa in NaCl gelegener Cephalopodenaugen nicht extrahirbar.\nDie schwarzen und rothen Pigmente im Fliegenauge werden durch wochenlanges Besonnen deutlich gebleicht. Das tief schwarzviolette Pigment des Auges von Helix pomatia verliert unter derselben Bedingung die violette Beimischung. Dagegen zeigt das zwischen den Sehst\u00e4ben des Hummers befindliche, schwarzviolette Pigment, auch in d\u00fcnnster Schicht ausgemalt, nach sommerlangem Belichten nicht die geringsten Unterschiede zwischen bedeckt und unbedeckt gehaltenen Stellen.\nZWEITES CAPITEL.\nVer\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nWie fein unser bewusstes Empfinden Erregungsvorg\u00e4nge der Sinnesorgane zu erkennen und ermessen gestattet, so bleibt doch alle in dieser subjectiven Weise gef\u00fchrte Untersuchung der Empfindung unvollst\u00e4ndig und einseitig bis zu dem Augenblicke, wo dieselbe mit der Feststellung objectiv erkennbarer Vorg\u00e4nge an dem erregten Organe zu verbinden ist. Beim H\u00f6rsinne wurden bekanntlich zuerst durch die auf T\u00f6ne erfolgenden, sichtbaren Vibrationen feiner H\u00e4rchen am Geh\u00f6rorgane von Mysis objective Zeichen des Beginnes der Empfindung von V. Hensen3 entdeckt, beim Sehsinne durch die von Holm-\n1\tW. K\u00fchne a. a. O. I.\n2\tC. Fr. W. Krukenberg, Unters, aus dem physiol. Instit. z. Heidelberg H. S. 58.\n3\tV. Hensen, Ztschr. f. wissensch. Zool. XIII. S. 319.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\ngren1 nackgewiesenen Aenderungen des electromotorischen Verhaltens der Netzkant im er\u00f6ffneten imd kalbirten Auge unter dem Einfl\u00fcsse massigen Licktes. Ist an dem Zusammenh\u00e4nge der Retinastr\u00f6me mit dem Sekepitkel noch zu zweifeln, bevor nickt deren vielleicht ausschliessliche Beziehung zur grauen Substanz der Netzhaut, also zum Leitapparate des peripheren Sehorganes klar gestellt worden, so liefert die schon genannte wichtige Entdeckung Boll\u2019s2, dass die Netzhaut im intensiv belichteten Auge des lebenden Frosches blasser, im l\u00e4nger geblendeten farblos wird, eine Thatsache objectiver Natur, welche w\u00e4hrend des Sehens entstandene Ver\u00e4nderungen in den Sehzellen bezeugt.\nSeit den im vor. Cap. gegebenen Beweisen der ausschliesslichen Abh\u00e4ngigkeit der Purpurbleiche an der isolirten Netzhaut vom Lichte, kann an ein grunds\u00e4tzlich anderes Verhalten des Sehpurpurs im lebenden Auge um so weniger gedacht werden, als wir denselben hier ebenfalls durch kein anderes Mittel vertreiben k\u00f6nnen, wie durch das Licht. Namentlich sind alle mechanischen und electrischen Wirkungen, die bekanntlich starke, Netzhauterregung mit lebhafter Lichtempfindung erzeugen, am Auge lebender Thiere ohne jeden Einfluss auf dessen Purpur: wenn wir die Farbe gebleicht finden, so ist nur auf das Licht, als die prim\u00e4re Ursache, nicht auf irgend welchen vom Lichte zuvor erzeugten, nerv\u00f6sen Erregungsvorgang, in dessen Folge der Purpur bleiche, zu schliessen. Die freilich sehr bedeutenden, vornehmlich am lebenden Froschauge, im Gange der Lichtbleiche bemerklicken Abweichungen von dem bisher f\u00fcr die isolirte, \u00fcberlebende oder abgestorbene Netzhaut berichteten Verlaufe, bed\u00fcrfen deshalb noch einer besonderen Erkl\u00e4rung; dieselbe folgt im II. Abschnitte dieses Capitels.\nI. Photochemische Zersetzungen in der sehenden Netzhaut.\n1. Verhalten der St\u00e4bchen.\nUm trotz der Pr\u00e4paration vor Natronlicht farblose Netzh\u00e4ute zu finden, gen\u00fcgt es dieselben dem Auge eines 10\u201415 Minuten gegen die unbedeckte Sonne gehaltenen Frosches oder eines mit erweiterten Pupillen, einige Zeit mit freier Umschau am ungehinderten Tageslichte verweilenden Kaninchens zu entnehmen. Diffuses gutes Tageslicht pflegt im Freien lebende Fr\u00f6sche etwa in 30 Minuten des Purpurs\n1\tHolmgren a. a. 0.\n2\tBoll, Monatsber. d. Berliner Acad, und Acad. d. Lincei \u2014 a. a. 0.","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Photochemie der sehenden Netzhaut. Optographie.\n299\nzu berauben, in geschlossenen R\u00e4umen viel langsamer, oder gar nicht, wie z. B. in unsern Breiten zur Zeit der winterlichen Sonnenh\u00f6he, bei einer sonst f\u00fcr alle gew\u00f6hnlichen Beobachtungen ausreichenden Helligkeit ; die Netzhaut wird dann h\u00f6chstens reinroth, chamois oder gelb gefunden.\nOptographie. Die Retina wird im lebenden oder im abgestorbenen Auge in situ erhalten, ganz wie die isolirte, nur soweit ge-gebleicht, als das Licht sie trifft und mit so vollkommener Begrenzung der Wirkung, dass die von den brechenden Medien auf dem Augengrunde entworfenen Bilder, wenn sie scharf sind, auch scharfe helle bis farblose Zeichnungen in der purpurnen Fl\u00e4che der St\u00e4bchenschicht, also Photographieen oder Optogramme hinterlassen. Diese sch\u00f6nen und messbaren graphischen Darstellungen des gesehenen Lichtes liefern den vollkommensten Beweis f\u00fcr dessen directe und locale' Wirkung auf den Purpur, welche jeden Gedanken an etwaiges Schwinden des Farbstoffes durch allgemeinere Effecte, wie Resorption und dergl. fern h\u00e4lt und gew\u00e4hren zugleich das beste, meist unentbehrliche Mittel, um \u00fcber die wichtigsten Einzelheiten des photochemischen Processes zu entscheiden. An einigermaassen frischen, ausgeschnittenen Kaninchen- oder Rindsaugen erh\u00e4lt man die Bilder leicht durch Exponiren auf dem Grunde eines cylindrischen, innen geschw\u00e4rzten Kastens von 50 Ctm. Durchmesser und 25 Ctm. H\u00f6he, der mit einer matten Glastafel bedeckt ist, auf welcher 4 \u2014 5 Ctm. breite und ebensoweit von einander entfernte Streifen schwarzen Papiers das Object bilden. Die Belichtung geschieht am freien Himmel, oder unter einem guten Oberlichte, je nach der Helligkeit w\u00e4hrend 2\u20147 Minuten, worauf die Netzhaut, vor Natronlicht, entweder sogleich unter Salzwasser, oder nach 24 st\u00fcndigem Liegen des halbirten Auges in Alaun von 4 pCt. abgehoben und flottirend oder nach dem Abtrocknen auf die glasirte, convexe Seite eines Porzellansch\u00e4lchens gespannt am Tageslichte betrachtet wird. Weniger sicher aber zu manchen Zwecken gen\u00fcgend erh\u00e4lt man Optogramme, indem man das Auge einfach unter ein Oberlicht mit breiten Rahmen, oder schr\u00e4g gegen den Himmel gerichtet, in Entfernung von 1\u20142 Metern einem beliebigen Fenster mit breiten Pfosten, zugewendet aufgestellt, pl\u00f6tzlich enth\u00fcllt und sp\u00e4ter wieder verdeckt.\n0 p t o g r a p h i s ch e Methode. Zur Gewinnung im Leben entstandener Optogramme empfiehlt sich ein fensterloses Zimmer, das nur mit einem Oberlichte versehen ist, welches in Gestalt eines Lichtschachtes bis auf etwa 30 Ctm. gegen den Arbeitstisch hinabragt und unten durch eine matte Glastafel geschlossen ist. Einige Rahmen","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut heim Sehen.\nund Falze gestatten liier Scheiben mit schwarzen Figuren, nach Be-ditrfniss farbige Gl\u00e4ser und eine Holzplatte zum raschen Enth\u00fcllen und Verdecken des Objectes einzuschieben. Die zweckm\u00e4ssigen Maasse\nC.\tA.\tB.\nFig. 7. A Netzhaut eines im Dunkeln gehaltenen Kaninchens, a die ausgebohrte Papille, bb weisser Streif markhaltiger Nervenfasern mit schwach angedeuteten Blutgef\u00e4ssen, darunter die am intensivsten purpurn gef\u00e4rbte Sehleiste. \u2014 B C Kaninchennetzh\u00e4ute mit Optogrammen, in B von einem Fenster, dessen unterste Seheihenreihe verdunkelt werden, C von einem 4 Meter entfernten Oberlichte. \u2014 An Pr\u00e4paraten, die auf Porzellansch\u00e4lchen aufgetrocknet worden (vergl. Fig. 8), ist der weisse Streif kaum zn erkennen, weil die Netzhaut hinter demselben mit einer continuirlichen Schicht\npurpurner St\u00e4bchen bedeckt ist.\nder Einrichtung sind: obere Oeffnung des Lichtschachtes auf dem Dache, mit schr\u00e4g nach S\u00fcden gerichteter klarer Glasscheibe, 65 Ctm. breit, 88 Ctm. lang, H\u00f6he des Schachtes = 280 Ctm., untere Oeffnung von 45 und 55 Ctm. Seite, mit 5 hellen und 4 undurchsichtigen Streifen von je 5 Ctm. Breite. Der Lichtschacht ist innen weiss, der Arbeitsraum \u00fcberall matt schwarz gestrichen und nur von Natronflammen erhellt. Unter dem Mittelpunkte des Objectes befindet sich eine Marke auf dem Arbeitstisch, nach welcher Kopf und Auge des Thieres zu orientiren sind. Kaninchen sind zu den Versuchen am bequemsten. Man befestigt sie in bekannter Weise und fixirt das Auge, dessen Corneascheitel 25 Ctm. unter dem Mittelpunkte des Objectes stehen soll, wenn ohne Curare und k\u00fcnstliche Respiration, die oft entbehrlich sind, gearbeitet wird, durch 2 in die Conjunctiva und durch einen in das knorpelige Lid gelegte F\u00e4den, die an passenden Vorspr\u00fcngen des Kopfhalters befestigt werden. Wo die F\u00e4den nicht zur Verwendung kommen, ist das Auge durch einen Lidhalter zu \u00f6ffnen. Je nach der Lichtintensit\u00e4t (nur directes Sonnenlicht ist ausgeschlossen) und nach der Pupillenweite, welche in den meisten F\u00e4llen, auch zur Vermeidung accommodativer Aen-derungen, mit Atropin maximal gemacht wird, gen\u00fcgen 10 Secunden bis 7 Minuten zur Erzeugung des Bildes, (v. Fig. 8.) Nach beendigter Aufnahme wird das Thier gek\u00f6pft und das Auge der schon mitgetheilten Alaunbehandlung unterworfen. Um die Bilder l\u00e4nger zu conserviren, h\u00e4lt man sie etwa 8 Tage im Dunkeln trocken, worauf die F\u00e4rbung des entstehenden Sehgelb\nFig. 8. Optogramm auf der Netzhaut des Kaninchens von einer mit schwarzen Streifen belegten matten Glasscheibe.","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Optographische Methode. Optogramme vom Frosch.\t301\nwenigstens, bald so eclit wird, dass sie kaum mehr am Lichte verschwindet.\nOptographie am Frosche. Wegen der geringeren Kostspieligkeit des Materials und wegen mancher nur an Thieren mit grossen St\u00e4bchen zu entscheidenden Fragen ist es n\u00f6thig locale Ausbleichungen auch am Froschauge vornehmen zu k\u00f6nnen. Besondere Schwierigkeiten liegen hier in den geringen Vortheilen, welche die Alaunh\u00e4rtung erzielt, in der erforderlichen langen Belichtung und in der durch die Belichtung erschwerten Entfernung des Pigmentepithels von der St\u00e4bchenschicht. Wie gross der letztere Uebelstand sei, erhellt schon aus Boll\u2019s erster Angabe, dass die Netzhaut aus belichteten Froschaugen in Folge einer Consistenzver\u00e4nderung \u00fcberhaupt nur in schwarzen Fetzen herauszubekommen sei1; es war daher vor Ueberwindung dieser Klippe ganz unm\u00f6glich die localisirte Lichtwirkung an diesem Objecte nachzuweisen.\nDurch folgende Mittel wird den genannten Missst\u00e4nden begegnet ;\n1.\tum die Netzhaut unzerrissen hervorzubringen gen\u00fcgt Abschneiden der Verwachsung des Opticus mit der Sclera, wie es seit der Feststellung des Verhaltens der isolirten Retina gegen Licht jetzt allgemein ge\u00fcbt wird. Die am Aequator, im halbirten Auge gefasste Retina l\u00e4sst sich dann immer, sei es mit oder ohne Epithel, unbesch\u00e4digt herausziehen, da sie auch durch Belichtung keineswegs erweicht.\n2.\tum das Haften des schwarzen, nat\u00fcrlich jedes Bild verdeckenden Epithels, an der belichteten Stelle zu vermeiden, wird entweder das Bild so klein gemacht, dass die Epithelzellen hier noch im Zusam-hange mit der ganzen \u00fcbrigen nicht haftenden Epitheldecke im Bulbus Zur\u00fcckbleiben, oder es werden Mittel angewendet, welche das Haften nicht aufkommen lassen. Zum ersteren gen\u00fcgt Kleinheit oder grosse Entfernung des gesehenen Objectes, indem man als solches z. B. eine Gasflamme oder ein gut beleuchtetes Quadrat aus mattem Glase von etwa 3 Ctm. Seite und 40 Ctm. Entfernung verwendet, zum zweiten sehr langsame Bleichung in 1\u20142 Stunden bei schwachem Lichte, oder als das beste aller Mittel, das, wenn nicht gerade rothe Beleuchtung verwendet wird, immer anschl\u00e4gt, n\u00e4mlich Erzeugung von Oedem, indem man die ohnehin zu curaresirenden Fr\u00f6sche zuvor l\u00e4ngere Zeit in Wasser legt, was die Trennbarkeit des Epithels von den St\u00e4bchen ausgezeichnet bef\u00f6rdert. Ist das Oedem gut entwickelt, so gen\u00fcgt es in dieser Beziehung selbst f\u00fcr directes Sonnenlicht, so dass man versucht wird zu glauben, es k\u00f6nne zur Erzielung\n1 Vgl. Boll, Monatsbl. d. Berliner Acad. 1878. 11. Jan.","page":301},{"file":"p0302.txt","language":"de","ocr_de":"302 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nvon Optogrammen innerhalb der beim Frosche kurz zu nennenden Zeit von 10 Minuten dienen. Leider ist dies nicht der Fall, denn wenn man einen solchen Frosch in einem \u00fcbrigens verdunkelten Zimmer, in welches durch den fast geschlossenen Laden nur ein ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig schmaler Lichtstreif f\u00e4llt, gegen die Sonne wendet und das Thier auch m\u00f6glichst constant in dem mit der Erde bewegten Lichtstreif liegend erh\u00e4lt, so ist die Ausbleichung immer, eine aus-serst diffuse, die keinen Schluss auf locale Wirkung des Lichtes in der lebenden Netzhaut zul\u00e4sst. Im Allgemeinen ist daher beim Frosche die Regel festzuhalten, viel Zeit an den Versuch zu wenden und mit ged\u00e4mpftem Lichte zu arbeiten. Der Erfolg ist dann ein vortrefflicher.\nBei den Optogrammen des Froschauges giebt es eine beachtens-werthe Quelle von T\u00e4uschungen darin, dass oft weisse, scharf begrenzte Stellen in der Netzhaut nicht durch Bleichung, sondern durch Ausreis-sen und Zur\u00fcckbleiben der farbigen St\u00e4bchen am Epithel des Augengrundes entstehen. Man erkennt solche Pseudooptogramme ohne M\u00fche mikroskopisch, an dem ausschliesslichen Vorkommen der Zapfen innerhalb der farblosen Stellen, w\u00e4hrend die echten Optogramme dort \u00fcberall regelm\u00e4ssigen Besatz mit farblosen St\u00e4bchen zeigen, unter denen auch keine gr\u00fcne Vorkommen, was beil\u00e4ufig auch f\u00fcr diese den localen Einfluss des Lichtes beweist. Gute Optogramme sind oft so scharf, dass die Figuren noch bei 100 f\u00e2cher Vergr\u00d6sserung kaum diffus berandet erscheinen. Bei der S\u00e4ugernetzhaut giebt die mikroskopische Untersuchung einiger mit der Flachscheere, von der R\u00fcckfl\u00e4che der weissen Stellen entnommener St\u00fccke, auch an Alaunpr\u00e4paraten vollkommen Sicherheit, dass der dichte St\u00e4bchenrasen \u00fcberall erhalten ist.\nDie Optogramme. Die vorerw\u00e4hnten Objecte von 5 Ctm. Breite liefern im Kaninchenauge bei 25 Ctm. Entfernung scharfe Bildstreifen von 1,5 mm., im Froschauge bei 15 Ctm. Abstand im Centrum der Retina solche von etwa 0,6 mm. Breite. War richtig expo-nirt, so ist die Breite der hellen Streifen gleich der der dunklen, nach Ueberexposition diese kleiner als jene, so dass die dunklen zuletzt kaum mehr bemerkbare, ganz schmale, verwaschene gelbe Linien darstellen. Deshalb eignet sich das genannte Streifenobject zur Op-tographie besser, als viele andere und verdient namentlich den Vorzug vor Schachbrettmustern, deren Bilder zwar zu erhalten, aber nach falscher Exposition oft schwer zu finden sind.\nDa die Kaninchennetzhaut eine Sehleiste besitzt, welche entweder in den St\u00e4bchen concentrirteren Purpur oder l\u00e4ngere St\u00e4bchen besitzt, deren Ausbleichung mehr Zeit oder intensiveres Licht als die Umgebung erfordert, so l\u00e4sst sich hier der Gang des photochemischen Processes besonders gut beurtheilen, indem man die Unterschiede der Bilder auf und neben der Leiste beachtet. Dieses Vor-","page":302},{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Farbenfolge in den Optogrammen.\n303\ntkeiles wegen empfiehlt es sieh das Optogramm stets so anzufertigen, dass die Bildstreifen die Sehleiste kreuzen, das Streifenobject also senkrecht zum Netzhauthorizonte einzustellen. Ausserdem ist es gut die Kopfaxe so zu drehen, dass der gr\u00f6ssere Theil des Bildes auf die unter dem Horizonte der Netzhaut befindliche, homogenere und besser als die obere, \u00fcberdies mit dem Balken markhaltiger Nerven versehene, gef\u00e4rbte Fl\u00e4che f\u00e4llt.\nIn der lebenden Netzhaut geht die Verf\u00e4rbung des Sehpurpurs durch \u00e4hnliche Stufen, wie an der isolirten Membran oder an der Purpurl\u00f6sung: sie wird reinroth, ziegelrotk, orange, rosa, chamois, gelb, bevor sie ganz farblos wird. Die erste Spur des Optogramms ist daher eine diffuse, nur an der Richtung der Streifen kenntliche, rothe Zeichnung auf purpurnem Grunde ; ganz im Anf\u00e4nge, bei bestem Lichte, schon nach Exposition von 5 Secunden, ist nur ein Streif im Centrum so* angedeutet, w\u00e4hrend nach 10 Secunden bereits mehrere erscheinen. Auf der Sehleiste sind diese Bilder noch nicht bemerkbar. Ist das Bild orange, so zeigt die Sehleiste entsprechend rein-rothe Flecke, ist es rosa, so beginnen orange gezeichnete Stellen auf der Leiste u. s. w. ; es ist also die Leiste immer etwa um eine Stufe neben der Fl\u00e4che im R\u00fcckst\u00e4nde. Scharf wird die Zeichnung erst beim Uebergange von orange zu rosa, dann aber oft schon so, als ob die Grenzen mit dem Lineal gezogen w\u00e4ren. Die Lichtwirkung ist im Kaninchenauge so localisirt, dass ein Bild mit v\u00f6llig farblosen Streifen, nicht rothe oder orange, sondern purpurne Zwischenb\u00e4nder zeigt, wenn richtig exponirt worden. Reinrothe, statt purpurner Streifen, neben farblosen zeigen also den ersten Grad der Ueberexposition an, der endlich auf der Fl\u00e4che schon zu finden ist, wenn die Exposition f\u00fcr die Leiste gerade richtig gewesen. Die weiteren Ueber-g\u00e4nge von der Ueberexposition bis zur vollkommenen Verwischung des Bildes bed\u00fcrfen keiner Er\u00f6rterung; je nach der Lichtintensit\u00e4t und Pupillenweite erscheinen solche Bilder von der 45. bis 120. Se-cunde der Expositionszeit an.\nDa die letzte Farbenspur auf der Kaninchennetzhaut in den am Tageslichte erzeugten Optogrammen stets gelb ist, kann man auch f\u00fcr das lebende Auge, in welchem die Sehfarbstoffe kaum in ein indolentes Stadium treten d\u00fcrften, nicht zweifeln, dass das Sehgelb etwas weniger lichtempfindlich ist, als der Sehpurpur.\nWirkung des farbigen Lichtes auf die lebende Netzhaut.\nNach den ersten von Boll an lebenden Fr\u00f6schen vorgenommenen farbigen Belichtungen sollte kein monochromatisches Licht die","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nRetina v\u00f6llig entf\u00e4rben, ein Tlieil sie wenig, ein anderer sie stark ver\u00e4ndern, jedes sie in charakteristischer Weise verf\u00e4rben und nur das weisse Licht sie vollkommen bleichen.1 Seit aber erwiesen worden, dass die isolirte Netzhaut nicht durch Absterben, sondern durch Licht und auch durch farbiges vollkommen bleicht2, wurde von Boll das letztere wenigstens f\u00fcr gr\u00fcnes, blaues und violettes Licht auch dem lebenden Auge zugestanden und nur f\u00fcr die Vorstadien der Entf\u00e4rbung, charakteristische, namentlich nach Verwendung des brechbareren Lichtes,^an dessen Farben erinnernde Nuancirung behauptet. Das blaue Licht sollte, gleichviel ob durch Absorption oder durch Brechung im Spectrum erhalten, das wirksamste sein, also das gr\u00fcne unter allen Umst\u00e4nden an Einfluss \u00fcbertreffen, gelbes und rotkes allein keine Entf\u00e4rbung erzeugen, indem das gelbe die Eigenfarbe der Netzhaut erhalte, das rothe die seitdem von Boll im Dunkelauge f\u00fcr reinroth genommene Normalfarbe, zu br\u00e4unlichem Purpur vertiefe.3\nBeleuchtungsmittel. Da farbiges Licht nicht von derselben Intensit\u00e4t, wie weisses gemischtes Tages- oder Sonnenlicht zu haben ist, so bedarf das Auge hier bis zur erkennbaren Ver\u00e4nderung der Netzhaut, vollends bis zur Bleichung, bedeutend l\u00e4ngerer Exposition, als in den bisher genannten F\u00e4llen. Ohne directes Sonnenlicht, dessen es zur Darstellung objectiver Spectra ohnehin bedarf, sind derartige zum grossen Theile mit Absorptionsfarben vorzunehmende Versuche kaum anzustellen. F\u00fcr den Zweck gen\u00fcgend reine Absorptionsfarben werden durch farbige Gl\u00e4ser oder durch Fl\u00fcssigkeiten erhalten, Roth mittelst des gew\u00f6hnlichen durch Kupferoxydul gef\u00e4rbten Glases oder durch L\u00f6sungen von Pikrins\u00e4ure mit Carmins\u00e4ure, auch durch passend verd\u00fcnntes Blut, Gr\u00fcn durch mit Chromoxyd gef\u00e4rbtes Glas, oder mittelst hintereinander folgender Schichten von Kupfervitriol und Pikrins\u00e4ure, Blau und Violet durch Kupferoxydammoniak. Blaue Gl\u00e4ser, die nicht bedeutende Mengen Roth durchliessen, sind nicht k\u00e4uflich, ebensowenig gelbe, die anderes Licht geh\u00f6rig ausschl\u00f6ssen. Durch Absorption sind also nur Roth und Gr\u00fcn brauchbar zu erhalten, Blau nur gemischt mit Violet und ausschliesslich durch Fl\u00fcssigkeiten. F\u00fcr das Gelb bleibt die Natronflamme, deren Intensit\u00e4t, wenn sie ausser den gelben D-Linien kein diffuses Spectrum geben soll, freilich zu w\u00fcnschen l\u00e4sst, \u00fcbrig. Vor dem Gebrauche sind die Absorptionsfarben auf ihre Reinheit zu pr\u00fcfen, indem man das maximale im Laufe des Versuches m\u00f6gliche Licht, meist directes Sonnenlicht, nach seinem Durchg\u00e4nge durch die Absorbenten spectroskopisch pr\u00fcft. Bei den Spectralfarben erw\u00e4chst aus der theilweise geringen Intensit\u00e4t, wenn ihr Licht einigermaassen monochromatisch sein soll, eine besondere Schwierigkeit. Ausser der gew\u00fcnschten Farbe sind alle Theile des Spectrums\n1\tBoll, Accad. d. Lince'i. 6. Jan. 1877.\n2\tVgl. K\u00fchne, Zur Photochemie der Netzhaut. 5. Jan. Heidelberg 1877.\n3\tBoll, Monatsber. d. Berliner Acad. 1877. 11. Jan. und Arch. f. Anat. u. Physiol. a. a. O.","page":304},{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung des langwelligen Lichtes auf die lebende Netzhaut .\n305\nvollkommen abzublenden lind es m\u00fcssen die durch das Diaphragma fallenden Strahlen noch mit einer Convexlinse so gebrochen werden, dass ihre lineare Vereinigung etwa in den vorderen Brennpunkt des Auges f\u00e4llt, um auf der Netzhaut ein schmales, bandartiges Bild und ein entsprechendes Optogramm zu erzeugen. Zu diesen Versuchen wurden bis jetzt nur mit Curare\u00f6dem behaftete Fr\u00f6sche geeignet gefunden.\nWirkling der langwelligen Strahlen. Das rothe, den Sehpurpur am wenigsten zersetzende Licht ist gleichwohl f\u00e4hig die Netzhaut des lebenden Auges vollkommen zu bleichen. Es muss nur intensiv genug sein. Setzt man normale Fr\u00f6sche im Hochsommer unter mehrere Lagen rothen Glases, welches von directem Sonnenlichte nur die Strahlen von A bis C f\u00fcr unser Auge kenntlich durchl\u00e4sst, so werden ihre St\u00e4bchen ohne Ausnahme nach etwa 2 Stunden g\u00e4nzlich entf\u00e4rbt gefunden. Die Netzhaut kommt darauf freilich vom Epithel gleichm\u00e4ssig bezogen, als sammetschwarzes H\u00e4utchen zu Tage, an welchem nur die mikroskopische Betrachtung von der R\u00fcckfl\u00e4che die St\u00e4bchen in grosser Zahl, als farblos gl\u00e4nzende Stifte durch den braunen Pigmentbrei nach hinten ragend erkennen l\u00e4sst. Wo es gelingt das Epithel vor weiterer Belichtung am unsch\u00e4dlichen Natronlichte stellenweise abzuschaben und gr\u00f6ssere St\u00e4bchengruppen intact zu erhalten, erweisen sich diese als ganz farblos. Um die Epithelschicht leichter abzutrennen, giebt es kein anderes Mittel, als Erw\u00e4rmung stark \u00f6demat\u00f6ser Fr\u00f6sche w\u00e4hrend der Rothbelichtung auf mehr als 30\u00b0 C., was durch m\u00e4ssiges, mit dem Thermometer \u00fcberwachtes K\u00fchlen der sich in der Sonne bis zur Erzeugung der W\u00e4rmestarre erhitzenden Belichtungsgef\u00e4sse erzielt wird.\nDie Netzhaut erw\u00e4rmter und \u00f6demat\u00f6ser Curarefr\u00f6sche trennt sich zwar in allen F\u00e4llen leicht von der Epithelschicht, wird aber besonders nach rother Belichtung damit nicht ganz pigmentfrei, da zwischen den St\u00e4bchen noch mit Fuscinnadeln versehene, abgerissene Forts\u00e4tze der Epithelzellen stecken. Dies ertheilt der entf\u00e4rbten St\u00e4bchenschicht leicht ein graues und schmutziges Ansehen, an welchem die St\u00e4bchen selbst ganz unbetheiligt sind. Wird die Rothbelichtung nach 1 oder 1 V2 Stunden unterbrochen, so ist dieses Verhalten des Pigmentepithels bereits ebenso ausgepr\u00e4gt, w\u00e4hrend sich die Netzhautfarbe noch mehr oder minder erhalten, aber nat\u00fcrlich im Anblicke der ganzen Membrana zum Braun vertieft zeigt. Mikroskopisch durch die lange Axe betrachtet ist hier an den St\u00e4bchen immer nur Aufhellung der Farbe zum reinen Roth, zum Orange, endlich bis zum bl\u00e4ssesten Gelb, oder z. B. nach nur 1/2 st\u00fcndiger Exposition, die gew\u00f6hnliche, keineswegs mehr vom Roth abgewendete und zum Violet in erh\u00f6htem Maasse neigende Purpurfarbe zu erblicken. Um dem Ein-\nHandbuch der Physiologie. Bd. HL\t20","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nw\u00e4nde zu begegnen, dass das mit dem Erw\u00e4rmen combinirte Oedem abnorme Zust\u00e4nde bedinge, was gewiss zutrifft, insofern solche Netzh\u00e4ute leicht Pseudooptogramme bekommen, muss erw\u00e4hnt werden, dass s\u00e4mmtliche ebengenannten, das Verhalten der St\u00e4bchenfarbe betreffenden Angaben auch f\u00fcr die durch Schaben vom Epithel z. Th. befreiten Pr\u00e4parate, sowie f\u00fcr die durch das Epithel hindurch betrachteten gelten.\nIn einzelnen seltenen F\u00e4llen st\u00f6sst man auf Froschaugen, deren Retina nach langem Dunkelaufenthalte reinroth ist, was auf Reste abnormer Weise (vergl. S. 286) intra vitam indolent gewordenen Sehgelbs zu beziehen ist. Um vor solchem sehr vereinzelten, unter vielen Beobachtungen als st\u00f6rend kaum zu vermuth enden Falle ganz gesichert zu sein, gen\u00fcgt es Rothbelichtungen partiell, also optographisch auszuf\u00fchren, indem man den Frosch mitten unter ein zur H\u00e4lfte schwarz verdecktes, rothes Glas legt, und die beiden Netzhauth\u00e4lften zu vergleichen. Ist ein Unterschied vor vollendeter Bleichung zu bemerken, so besteht er immer in der gr\u00f6sseren Deutlichkeit der purpurnen Nuance und in der Tiefe der Farbe auf der Seite, wo das Epithel leichter zu entfernen ist, also auf der unbelichteten, gegen\u00fcber der anderen, wo die einzelnen St\u00e4bchen roth, orange oder gelb sind.\nDurch rothes Spectrallicht werden an der Froschnetzhaut bez\u00fcglich des Epithels dieselben Ver\u00e4nderungen erzeugt, wie beim Sehen durch rothe Gl\u00e4ser, doch ist das Spectralroth zu schwach, um daneben mehr als Uebergang des Purpurs in Orange zu bewirken.\nIm atropinisirten Kaninchenauge erweisen sich die rothen Strahlen ebenfalls schwach wirksam. Da directer Sonnenschein hier zur Erzielung scharfer Resultate unzul\u00e4ssig ist, kann nur im Allgemeinen angegeben werden, dass hellstes diffuses Tageslicht durch eine rothe Scheibe ged\u00e4mpft, unter den f\u00fcr die Optographie vorhin erw\u00e4hnten Einrichtungen niemals eher, als nach 30 Minuten Wirkung erzielt. Wird das Object zur H\u00e4lfte schwarz verdeckt, so findet man die Netzhaut auf der Bildseite zu dieser Zeit reinroth, auf der andern purpurn, nach etwa 40 Minuten orange, nach 1 Stunde hellgelb. F\u00fcr die Erkenntniss der wahren Wirkungsweise langwelliger Lichtstrahlen auf den Sehpurpur im Leben, sind diese Versuche besonders maassgebend, weil die hier mit allen Vortheilen verwendbare Alaunh\u00e4rtung stets v\u00f6llig pigment- und epithelfreie Netzh\u00e4ute liefert; durch dieselben wird auf das bestimmteste entschieden, dass dieses Licht durchaus keinen Umschlag zu tieferen Netzhautfarben bedingt, sondern, wenn es wirkt, wie jedes andere nur bleicht und zwar in einer das Sehgelb am meisten verschonenden Weise.\nUeber die Wirkung des gelben Lichtes liegen nur insoweit Er-","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung des brechbareren Lichtes auf die lebende Netzhaut.\n307\nfahrungen vor, als man weiss, dass alle Vorbereitungen zu optographi-scken Versuchen an Fr\u00f6schen, Hunden und Kaninchen vor Natronlicht beinahe so gut, wie im Dunkeln vorzunehmen sind, was jedoch eine die des rothen Lichtes selbst \u00fcbertreffende Wirkung nicht ausschliesst. Die Froschnetzhaut monochromatisch mittelst des Spectrums gelb gen\u00fcgend zu beleuchten, scheitert an der ausserordentlich geringen Breite des reinen, weder orange noch gr\u00fcnlich aussehenden spectralen Gelb.\nWirkung der kurzwelligen Strahlen. Die in der Chemie des Sehpurpurs er\u00f6rterte Bleichungsweise des gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnen blaugr\u00fcnen und blauen Lichtes wiederholt sich f\u00fcr die Netzh\u00e4ute lebender Fr\u00f6sche und Kaninchen mit der einzigen Abweichung hinsichtlich der vom ersten bemerkbaren bis zum letzten totalen Effecte stets erforderlichen l\u00e4ngeren Exposition. Vom Gelbgr\u00fcn und Gr\u00fcn des Sonnenspectrums werden die Netzh\u00e4ute curarisirter Fr\u00f6sche in V2 bis 1 Stunde, vom Blau in etwa 1V2 Stunden total gebleicht. Unter gr\u00fcnem Glase einerseits, unter Kupferoxydammoniak andrerseits dreht sich dies Verh\u00e4ltnis ebenso um, wie bei der isolirten Netzhaut (vergl. S. 280) und eine Mischung des gesammten Blau und Violett des Spectrums steht der Wirksamkeit nicht nur des gelbgr\u00fcnen, sondern auch des reingr\u00fcnen und blaugr\u00fcnen Spectralabschnittes so bedeutend nach, dass auch beim Purpur der lebenden Netzhaut von einer Verst\u00e4rkung des physiologischen Effectes der blauen Strahlen durch Combination mit den violetten kaum etwas zu bemerken ist.\nIm lebenden Froschauge sind die von der isolirten Netzhaut bekannten, nach farbiger Belichtung vor g\u00e4nzlicher Entf\u00e4rbung entstehenden Bleichungsnuancen ebenfalls, obschon weniger deutlich zu erkennen. Bis zum Gr\u00fcn erzeugt das Spectrallicht als letzte Vorstufe gelbe, im Gr\u00fcn und Blaugr\u00fcn chamois, im Blau und Violett hellrosa bis lila gef\u00e4rbte Netzh\u00e4ute, also mit abnehmender Wellenl\u00e4nge weniger Sehgelb. Da alles Licht, gemischtes, wie monochromatisches, Epithelpigment zwischen die St\u00e4bchen nach vorn treibt, so werden die Bleichfarben ohne mikroskopische Betrachtung meist braun oder grau, zu Schmutzfarben nuancirt gefunden, welche jedoch den einzelnen St\u00e4bchen niemals zukommen ; Charakteristisches f\u00fcr das zur Bleichung verwendete Licht findet sich darin nicht.\nAuf Grund aller vorliegenden Erfahrungen kann die Beziehung und Abh\u00e4ngigkeit der Bleichungsnuancen an der St\u00e4bchenfarbe von der Beschaffenheit des zur Wirkung verwendeten Lichtes durch folgende S\u00e4tze1 ausgedr\u00fcckt werden:\n1 Vgl. A. Ewald und W. K\u00fchne, Vom Einfl\u00fcsse des farbigen Lichtes auf den Sehpurpurpur des lebenden Auges a. a. O. S. 395\u2014411.\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\n1)\tIn derisolirten, wieinderlebendenNetzhaut entsteht durch die photochemische Zersetzung des Sehpurpurs nur ein farbiges Product; dieses ist das Sehgelb, dessen quantitatives Verh\u00e4ltniss zum noch unzersetz-ten Purpur die Netzhautfarbe vor Vollendung der Lichtbleiche bestimmt.\n2)\tWo das Sehgelb ebenso so schnell oder schneller zersetzt wird, als der Purpur (im kurzwelligen Lichte) wird die Netzhaut rosa oder lila, wo das Umgekehrte stattfindet (im langwelligen Lichte) roth, orange, chamois oder gelb.\n2. Verhalten der ZapfenA\nWie unerheblich die Lichtempfindlichkeit der Chromopkane sein mag, so k\u00f6nnte vielleicht gr\u00f6ssere photochemische Zersetzlichkeit derselben in den Oelkugeln des lebenden Vogelauges vorausgesetzt werden, seit Mays den Einfluss des Sauerstoffs darauf entdeckte. In Oxydationen leistet der lebende Organismus so Ueberraschendes, zur Zeit auf chemisch-physikalischem Wege ohne ihn oft Unnachahmliches, dass es auch hier dem Versuche \u00fcberlassen blieb etwaige Bleichungen im Leben belichteter purpurloser Vogelnetzh\u00e4ute zu erproben.\nDie Pupille der Tauben und H\u00fchner ist so starker Verengung f\u00e4hig und macht gegen intensives Licht so dauernden Gebrauch davon, dass die leicht zu constatirende Uebereinstimmung im Aussehen der Zapfen geblendeter und dunkel gehaltener V\u00f6gel fast vorauszusetzen war. Um von der Pupille unabh\u00e4ngig zu werden, kann das Vogelauge nach Entfernung des dritten Lides und nach Oeffnung der \u00e4usseren Lider mit dem Halter, der Cornea beraubt und die Pupille nach dem Ausschl\u00fcpfen der Linse durch in die Iris gelegte Miniaturlidhalter, zu einem grossen, quadratischen Loche erweitert werden. Der Glask\u00f6rper fliesst aus solchen Augen, so lange sie nicht stark geneigt werden, nicht ab und es besteht darin eine so starke Absonderung, dass auch kein Schutz gegen Verdunstung n\u00f6thig wird. Zur m\u00f6glichst intensiven Belichtung der jetzt direct sichtbaren*Retina, wird dieselbe mittelst Heliostat und Sammellinse der unbedeckten Sonne ausgesetzt und mit einem in den Glask\u00f6rper getauchten Thermometer diejenige Einstellung der Apparate gesucht, welche keine Gefahren thermischer Reizung bef\u00fcrchten l\u00e4sst. Die Augen aller Thiere (V\u00f6gel,\n1 W. K\u00fchne , Fortgesetzte Untersuchungen \u00fcber die Retina und die Pigmente des Auges a. a. O. IL S. 89.","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Verhalten der Zapfen und des retinalen Epithels.\n309\nKaninchen, Frosch) k\u00f6nnen so der denkbar intensivsten Blendung unterzogen werden.\nBei der Taube ist der Erfolg, wenn \u00fcberhaupt einer zu consta-tiren ist, das Gegentheil des vorausgesetzten. Die Netzhautfarbe vertieft sich und einzelne Farben der Zapfenkugeln werden reiner, als gew\u00f6hnlich gefunden. Die gelbgr\u00fcnen Kugeln neigen mehr zum Gr\u00fcn, die rothen mehr zur reinen Bosenfarbe des Bhodophans, als zu dem bekannteren Bubinroth; an den Xanthophankugeln ist keine Ver\u00e4nderung zu bemerken. In einzelnen F\u00e4llen wird eine Einlagerung diffus feink\u00f6rnigen, gelbgr\u00fcnen Farbstoffs in den Innengliedern der Zapfen mit Chlorophankugeln beobachtet, wahrscheinlich eine Neubildung von Chlorophan, bedingt durch den heftigen Lichtreiz, da die Erscheinung an im Dunkeln gehaltenen Tauben und H\u00fchnern niemals gesehen worden.\nBeim Bussard (Buteo vulgaris) wurden nach 10 t\u00e4giger Gefangenschaft im Dunkeln, ausser vielen farblosen Zapfenkugeln, rothe, orange und gelbgr\u00fcne von m\u00e4ssiger Farbens\u00e4ttigung gefunden, bei einem vermutlich gleich alten Exemplare derselben Species, das 11 Tage im hellsten Lichte gehalten, dagegen gar keine farblosen, sondern ausser tief orangen und ausserordentlich dunkelrothen, nur bl\u00e4ulichgr\u00fcne, keine gelblichgr\u00fcnen. Alles dies spricht mehr f\u00fcr Zunahme und Neubildung der Chromophane im belichteten Vogelauge, als f\u00fcr deren Zerst\u00f6rung durch Licht und es k\u00f6nnte darnach h\u00f6chstens einen gelben Farbstoff in den Zapfen geben, der dem Lichte langsam wiche.\n3. Verhalten des Epithels.\na. Das Lipo ehr in. Die goldgelben Oelkugeln des Betinaepi-thels unterliegen bei lebend geblendeten Fr\u00f6schen nachweisbaren Ver\u00e4nderungen : sie werden, wie Boll andeutete, blasser und auch farblos. Hier lag anf\u00e4nglich Verwechselung mit den Myeloi'dk\u00f6rnern, die erst sp\u00e4ter gefunden wurden, vor, aber es ist gleichwohl zweifellos, dass die Oelkugeln sich wirklich ver\u00e4ndern; ihre Farbe wird heller, blass citrongelb, verschwindet selbst und es treten h\u00f6chst merkw\u00fcrdige Theilungen an ihnen auf, die vermuthen lassen, dass sie sich durch Aufnahme anderer Stoffe aus dem Zellenleibe zuvor in Gebilde verwinkelterer Structur und Mischung umwandeln. Gr\u00f6ssere Oelkugeln finden sich nach Blendungen umgeben von H\u00e4ufchen kleinerer und einzelne Zellen enthalten nur diese letzteren. Je kleiner die Kugeln geworden, desto weniger ist daran meist, trotz der Schichtung zu Haufen, von F\u00e4rbung zu sehen. Von den Myelo'idkugeln sind die","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nentf\u00e4rbten Oelkugeln nat\u00fcrlich ausdr\u00fccklich erst durch das Verhalten zu Alkohol-Aether, Galle und Osmiums\u00e4ure (vergl. S. 246) zu unterscheiden. Aus noch mitzutheilenden Gr\u00fcnden zeigen sich die Oelkugeln nach m a ximal er Blendung, bei k\u00fcnstlich erweiterter Pupille, nicht an der am st\u00e4rksten belichteten Stelle, sondern in deren Umkreise am meisten erblasst.\nb.\tAn den Myelo'idk\u00f6rnern ist eine Lichtwirkung wohl wahrscheinlich, aber nicht erwiesen. Sie k\u00f6nnen fehlen, und in grosser, wie in kleiner Menge in Dunkel- wie in Hellaugen angetroffen werden. Am wahrscheinlichsten ist es, dass ihr Auftreten und Schwinden im Zusammenh\u00e4nge stehe mit Processen, die auf die Lichtwirkung im Dunkeln folgen, oder w\u00e4hrend continuirlicher, m\u00e4ssiger Belichtung stattfinden.\nc.\tDas Fusein scheint im Leben durch intensivste Blendung oder durch lang dauernde, gute Belichtung zu bleichen. Es gilt dies zwar nicht f\u00fcr die zwischen den St\u00e4bchen und Zapfen vorgedrungenen, niemals Spuren von Verf\u00e4rbung zeigenden Pigmentnadeln, welche besonders in der Froschretina wegen der Brechung des Lichtes an den Parabolo\u00efden der Innnenglieder zur St\u00e4bchenaxe am wenigsten Licht erhalten, sondern nur von solchen Nadeln, welche im Zellenleibe hinter den Enden der durchleuchteten St\u00e4bchencylinder liegen. Sichere Entscheidung giebt es dar\u00fcber bis jetzt nicht: man findet in den geblendeten Augen nur einen eigent\u00fcmlich streifigen oder struppigen Inhalt im Protoplasma der Zellenkuppen, der f\u00fcr ausgebleichtes Fus-cin zu nehmen ist.\nAnhang. Ver\u00e4nderung der entf\u00e4rbten St\u00e4bchencylinder. An der Sonne im Leben gebleichte St\u00e4bchenaussenglieder des Frosches zeigen ihre optischen Querschnitte beim Betrachten der R\u00fcckfl\u00e4che so dicht gestellt, wie eng auf die Schnur gezogene Perlen,.w\u00e4hrend sie in m\u00e4ssig belichteten oder ungebleichten Netzh\u00e4uten durch erhebliche Zwischenr\u00e4ume getrennt bleiben. Schwellung der Cylinder durch Licht, oder durch die Belichtung begleitende Processe wird hiernach wahrscheinlich. Nach einigen von v. Hornbostel1 ausgef\u00fchrten Messungen schwankt der St\u00e4bchendurchmesser bei Dunkelfr\u00f6schen von 0,006\u20140,007 mm, der der Zwischenr\u00e4ume von 0,0005\u20140,0008 mm, abgesehen von den gr\u00f6sseren , nach vorn von den Zapfen ausgef\u00fcllten Spalten. St\u00e4bchen und Zwischenr\u00e4ume nehmen somit den Platz von 0,0065\u20140,0078 mm Durchmesser in Anspruch. Nach 2/4\u20141 st\u00e4ndiger Besonnung sind die St\u00e4bchen bis zur gegenseitigen Ber\u00fchrung angeschwollen und sind dann 0,0068\u20140,0072 mm dick. Ueber 0,008 mm steigt der Durchmesser auch nach 7\u20149sttindiger Besonnung nicht, und selten erreichte die Quellung den Grad, dass gegenseitige Abplattung erfolgte. Nach 1 \u2014 1 ^2 stiindi-\n1 v. Hornbostel, Unters, aus dem physiol. Instit. z. Heidelberg I. S. 409.","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Regenerative Vorg\u00e4nge.\n311\ngem Dunkelaufenthalte nehmen die Cylinder den genannten kleineren Durchmesser wieder an. Im rothen Lichte wird die Schwellung nicht bemerkbar, bevor nicht der Purpur g\u00e4nzlich verschwunden ist.\nII. Regenerative Vorg\u00e4nge.\nAlle beim Sehen gebleichten St\u00e4bchen sind des Purpurs nur vor\u00fcbergehend beraubt; sie nehmen nach gen\u00fcgendem Dunkelaufent-halte wieder maximale F\u00e4rbung an. Im lebenden Auge giebt es also regenerative, den Sehpurpur wiederherstellende Vorg\u00e4nge, die nach Art gewisser, allen Organismen zukommenden Processe dem Verbrauche durch Ersatz begegnen. M\u00fcssen wir solche Processe auch den niedersten und einzelnen Elementarorganismen zuschreiben, so herrscht doch im Allgemeinen die Neigung sehr verschiedene und namentlich gegens\u00e4tzliche Processe, deren die vorliegenden ein \u00e9clatantes Beispiel bilden, um so mehr auf einzelne Organe, Oewebe, S\u00e4fte oder Elementarorganismen vertheilt zu denken, je h\u00f6her entwickelt ein Organismus, und je gr\u00f6sser die Arbeitstheilung in ihm ist, und vor Allem ist man der Meinung, den Abgang des Verbrauchten sammt dem Ers\u00e4tze desselben den bewegten S\u00e4ften des Blutes oder der Lymphe zuschreiben zu m\u00fcssen, wo die Organe von einem Gef\u00e4sssysteme drainirt und gespeist werden. Die Retina liefert ein neues Beispiel daf\u00fcr, wie \u00fcbertrieben unsere Vorstellungen von der Erhaltung der den Geweben eigent\u00fcmlichen Vorg\u00e4nge durch den sog. Ern\u00e4hrungsstrom im Allgemeinen sind und vermehrt die Gr\u00fcnde uns der Gewebe so vieler Gesch\u00f6pfe zu erinnern, welche von jenen bewegten Vorr\u00e4ten getrennt, nicht nur fortfahren selbst\u00e4ndig bei der ihnen eigent\u00fcmlichen Leistung zu verharren, sondern sich auch nach ersch\u00f6pfender Anstrengung durch blosses Wegfallen der \u00e4usseren Anregung wieder zu erholen. Wie der isolirte Muskel und Nerv niederer Wirbeltiere und vieler Wirbellosen w\u00e4hrend geraumer Zeit aus sich selbst alles zu neuer Leistung N\u00f6tige sch\u00f6pfen, so geht es auch der Netzhaut, auf welche der Ern\u00e4hrungsstrom ebenfalls nur ganz indirecten Einfluss \u00fcbt.\nMan setze einen Frosch t Stunde an die Sonne, exstirpire beide Bulbi*und \u00fcberzeuge sich an dem einen von der vollst\u00e4ndigen Entf\u00e4rbung der Netzhaut; nach 1\u20142 Stunden betrachte man die des andern, der inzwischen im Dunkeln feucht gehalten worden : man wird sie intensiv purpurn und sowohl ihre gr\u00fcnen, wie die \u00fcbrigen St\u00e4bchen so vollkommen gef\u00e4rbt finden, wie an jedem normalen, frisch aus dem Kopfe genommenen Dunkelauge. Ein zum Vergleiche genommener, mitbesonnter Frosch, der den sp\u00e4teren Dunkelaufenthalt lebend","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\ntheilte, liefert keine besser gef\u00e4rbte Netzhaut, und wenn man viele Versuche dieser Art anstellt, findet man von den ersten 20 Minuten der Lichtentziehung an bis zu der nach 1 \u2014 2 Stunden vollendeten R\u00fcckf\u00e4rbung, gar keine wesentlichen Unterschiede zwischen den im Leben und im Ueberleben regenerirten St\u00e4bchen. In beiden beginnt die F\u00e4rbung mit blassem Lila, und geht durch Rosa zum alten Best\u00e4nde zur\u00fcck. Der exstirpirte Bulbus kann selbst halbirt und der Glask\u00f6rper entleert sein, ohne der Regeneration ganz beraubt zu werden.\nDas r eg euer ir ende Epithel.\nWelches Gewebe zur Regeneration erforderlich sei, entscheidet das Folgende. Man nehme die von der Sonne im Leben gebleichte Netzhaut aus dem Auge eines im Curare\u00f6dem befindlichen Frosches epithellos heraus und bewahre sie 2 Stunden im Dunkeln in der feuchten Kammer ; daneben lege man die mit dem gesammten Epithel ausgeschl\u00fcpfte Netzhaut eines ebensolange besonnten, nicht curarisirten Frosches. Die epithelfreie Netzhaut wird jetzt ungef\u00e4rbt gefunden, die andere, durch das Pigmentepithel mikroskopisch, oder nach dem Abschaben des letzteren angesehen, farbig, zwar nicht so intensiv, wie gew\u00f6hnlich, aber doch gut rosenfarben und hinsichtlich der gr\u00fcnen St\u00e4bchen, wie normal. Im Leben gebleichte St\u00e4bchen regeneriren ihren Purpur also nicht aus sich selbst oder aus Geweben die vor ihnen liegen, sondern aus dem dahinter liegenden Epithellager: das Retinaepithel besitzt f\u00fcr den Sehpurpur regenerirende Function, es wirkt re-generirend auf die St\u00e4bchen.\nIn der vom retinalen Epithel ausgehenden Wiedererzeugung des Purpurs liegt der Grund f\u00fcr die Unterschiede der Bleichungszeit lebender oder im Zusammenh\u00e4nge mit dem Epithel \u00fcberlebender und isolir-ter oder im Bulbus abgestorbener Netzh\u00e4ut'., d. h. die Ursache der anscheinenden Indolenz des Sehpurpurs im Leben. Diese Unterschiede sind beim Frosche erstaunlich gross, bei den S\u00e4ugern sehr gering. W\u00e4hrend die Froschnetzhaut isolirt am directen Sonnenlichte in unmessbar kurzer Zeit ausbleicht, bedarf sie im Auge des lebenden Fro-ches dazu mindestens 10 Minuten, und noch etwa 3 Minuten, wenn Cornea und Linse entfernt sind und die Sonne durch das grosse Loch darauf scheint, das sich an Stelle der engen Pupille durch einen Sperrhalter in der Iris herstellen l\u00e4sst. Ein im diffusen Tageslichte lange ge\u00f6ffnet gelegener Bulbus liefert h\u00e4ufig noch recht intensiv gef\u00e4rbte Netzhautpr\u00e4parate, nachdem die des andern Auges, w\u00e4hrend umst\u00e4ndlicher, mikroskopischer Untersuchungen schon ganz von demsel-","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Das regenerirende Epithel.\n313\nben Lichte entf\u00e4rbt worden ; kurz auch im offenen und der Circulation beraubten Auge ist die Retinafarbe verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig echt gegen Licht. Werden 2 mikroskopische Pr\u00e4parate von den Netzh\u00e4uten zweier Dunkelfr\u00f6sche angefertigt, das eine ohne, das andere mit dem Epithel, wozu es besondere, sp\u00e4ter mitzutheilende Methoden giebt, und beide nur von vorn, mit H\u00fclfe des von unten kommenden Lichtes der Spiegel am Mikroskope, welche es derselben Lichtquelle entnehmen, beleuchtet, so sieht man das epithelhaltige Pr\u00e4parat 3\u20144 mal sp\u00e4ter bleichen, als das epithelfreie. Haftet das Epithel nur stellenweise, so macht sich der gleiche Unterschied an einer und derselben Netzhaut geltend, der in beiden F\u00e4llen nicht auf Hindernisse der Beleuchtung durch das Fuscin zur\u00fcckzufiihren ist, da das Licht von vorn kommt, und durch die der Beobachtung zug\u00e4nglichen St\u00e4bchen kaum gehindert hindurchgeht.\nWird das Epithel stellenweise von der St\u00e4bchenschicht gelockert, indem man einen halbirten Bulbus so zerrt und dr\u00fcckt, dass sich die Netzhaut in Falten legt, darauf das Pr\u00e4parat dem Tageslichte ausgesetzt, bis die Falten gebleicht sind, und die Membran in ganzer Ausdehnung abgezogen, so erscheinen die vorherigen Falten als blasse oder farblose Streifen in rothem, oft sogar noch purpurfarbenem, nach l\u00e4ngerem Belichten auf chamois oder gelbem Grunde. Die Netzhaut kann auch zur H\u00e4lfte aus dem Bulbus emporgehoben und bis zur Bleichung dieses Antheiles belichtet werden ; darauf herausgezogen, zeigt sie eine rothe oder gelbe und eine farblose H\u00e4lfte.\nDie Bleichung des Purpurs durch Licht wurde als ein rein physikalisch-chemischer, von allen Lebensbedingungen, Structurverh\u00e4lt-nissen und histochemischen Anordnungen, die wir der lebenden Retina zuzuschreiben haben, unabh\u00e4ngiger Process erkannt und beschrieben ; da derselbe aber in der isolirten und epithelfreien Netzhaut unvergleichlich schneller verl\u00e4uft, blieb noch zu erweisen, dass er nicht durch einen cadaver\u00f6sen Vorgang beschleunigt werde. Denn wenn auch Zerquetschen, Alaunisiren, Gefrieren und Wiederthauen, L\u00f6sen der Netzhaut durch Galle u. s. w. die Bleichungszeit, im Vergleiche zu der einer herausgenommenen frischen Retina, nicht erheblich abk\u00fcrzen, so konnte dies daran liegen, dass der erste cadaver\u00f6se Process, auf den es ankam, in der einmal isolirten Netzhaut bereits abgelaufen war. In gewissem Sinne trifft dies zu, insofern das Abl\u00f6sen der St\u00e4bchen vom Epithel zwei aufeinander angewiesene Gewebe trennt, nicht aber insofern darnach das Wesen des vom Lichte am Rhodopsin hervorgerufenen Processes ge\u00e4ndert w\u00fcrde. \u25a0 Die Purpurbleiche durch Licht im Leben ist deshalb f\u00fcr vollkommen identisch","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nmit der an einer Purpurl\u00f6sung erfolgenden zu halten, weil die Epithelfunction die yorkommenden zeitlichen Differenzen zwischen der letzteren und der Netzhautbleichung gen\u00fcgend erkl\u00e4rt.\nNicht so steht es um die Wiederf\u00e4rbung im Leben gebleichter Netzh\u00e4ute, auf welcher zugleich die scheinbare Indolenz des Rhodopsins intra vitam beruht, denn wenn das Epithel zwar vorhanden und selbst in unl\u00f6sbarer Weise mit der St\u00e4bchenschicht verbunden ist, so muss es ausserdem im Vollbesitze seiner Lebenseigenschaften sein, um jene Indolenz zu bewirken, vollends um einmal gebleichte St\u00e4bchen wieder zu f\u00e4rben. Man lege ein Froschauge in Salzwasser von 45\u00b0C. bis es ganz durchw\u00e4rmt ist und halte es, wieder abgek\u00fchlt, mit der opak gewordenen Netzhaut gegen Tageslicht: jetzt wird man die F\u00e4rbung ebenso rasch schwinden sehen, wie an jeder epithelfreien frischen Netzhaut. Ein bei Lebzeiten in der Sonne um seinen Purpur gebrachter Frosch, im Dunkeln sogleich in ein Bad von 45\u00b0C. geworfen, das ihn bis in seine Elementarorganismen ab-t\u00f6dtet, zeigt nach l\u00e4ngerem Liegen im Dunkeln keine wieder gef\u00e4rbte Netzhaut.\nDa es im gesammten Wirbelthierleibe wenig eigent\u00fcmlichere und anscheinend unnachahmlichere Verbindungen verschiedenai tiger Elementarorganismen giebt, als die der von je einer epithelialen Pig-mentzelle umfassten St\u00e4bchen-Zapfengruppe, sollte man meinen, dass die functioneilen Wechselbeziehungen zwischen ihnen erl\u00f6schen m\u00fcssten, wenn jene Anordnung einmal getrennt worden. Dem ist nicht so. So \u2019lange die nach dem Abziehen der Sehzellen blossgelegte Vorderfl\u00e4che des Epithellagers nur einigermaassen frisch erhalten wird, bleibt sie vollkommen f\u00e4hig, unter gewissen Umst\u00e4nden gebleichte St\u00e4bchen, wieder zu f\u00e4rben. Man hebe die Netzhaut nur mit einem Lappen vom Epithelgrunde ab, st\u00fctze diesen mit einem Poi*zellanscher-ben gegen das Licht, bis man sich von seiner Bleichung \u00fcberzeugt hat, lasse ihn wieder gegen das Epithel zur\u00fccksinken und halte das Auge jetzt 10\u201430 Minuten im Dunkeln. Zieht man darauf die ganze Retina heraus, so wird sie ganz homogen purpurn gefunden und so gleichm\u00e4s-sig gef\u00e4rbt, dass nicht einmal die Grenze anzugeben ist, bis zu welcher sie zuvor gebleicht worden. Es kann auch aus einem m\u00f6glichst nahe der Iris, durch einen Kreisschnitt ge\u00f6ffneten Bulbus, die ganze Retina an der Zonula Zinnii h\u00e4ngend, vom Glask\u00f6rper gef\u00fcllt, an der Linse gepackt, wie ein Beutel hervorgezogen, ans Licht getragen, gebleicht und wieder an den alten Platz ins Auge zur\u00fcckgelegt werden, ohne dass der Epithelgrund aufh\u00f6rte sie wieder zu f\u00e4rben. Hiernach ist es ausser Zweifel, dass die aufgerissene Epithelplatte nicht unbe-","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Das regenerirende Epithel.\n315\ntr\u00e4chtliche Zeit \u00fcberlebt und die F\u00e4higkeit bewahrt, gebleichte St\u00e4bchen, bei vollkommen unnat\u00fcrlicher Ber\u00fchrungsweise, wieder zu f\u00e4rben. Was solches Epithel aber nicht vermag, das ist die Wiederf\u00e4rbung im Leben gebleichter St\u00e4bchen; diese Versuche gl\u00fccken also nur mit Netzh\u00e4uten, welche nach der Isolation belichtet worden.\nDa das Epithelium das Regenerationsverm\u00f6gen durch Absterben verliert, ist bei den S\u00e4ugern, deren Gewebe nach erloschener Ath-mung und Circulation schnell absterben, kaum auf die M\u00f6glichkeit zu rechnen, die charakteristische Epithelfunction nachzuweisen. In der That zeigt die dem lebenswarmen Kaninchenauge schnell entnommene Netzhaut, am Lichte gebleicht und gegen ihren Epithelgrund zur\u00fcckgelegt keine R\u00fcckf\u00e4rbung, es giebt aber Mittel wenigstens den Einfluss des Absterbens auf die Bleichungszeit und den der kurzen Ueberlebenszeit des retinalen Epithels auf jene zu erkennen. Man stellt zu d\u00f6m Ende im Auge eines lebenden Kaninchens ein Opto-gramm her, notirt die Expositionszeit, k\u00f6pft das Thier sofort und ex-ponirt das andere Auge ebenso lange unmittelbar darauf. Bei sorgf\u00e4ltiger Beachtung der S. 302 erw\u00e4hnten Zeichen an den Optogrammen, welche den Grad der Lichtwirkung scharf beurtheilen lassen, stellt sich eine unzweifelhaft st\u00e4rkere Bleichung an dem letzteren heraus, die noch deutlicher wird, wenn das Todesoptogramm nicht so eilig, erst 2\u20143 Minuten nach dem Decapitiren angefertigt worden. Solche Versuche haben freilich nur bei ziemlich intensivem Lichte Erfolg, weil die Expositionszeiten kurz genug sein m\u00fcssen, um die Ueberlebenszeit nicht zu \u00fcberdauern und weil die Pupille in einem bestimmten Stadium nach dem Tode, trotz Anwendung von Atropin sehr eng wird. Der Versuch ist daher nur ganz beweisend, wenn die Augen vor und nach dem Tode mit einem engen Diaphragma versehen werden, \u00fcber dessen Dimensionen hinaus die Pupille sich nicht verengern kann. An in den letzten Lebensmomenten' entstandenen Optogrammen Zeichen postmortaler Regeneration zu entdecken, gelingt nicht, ebensowenig der Nachweis, dass ein sogleich nach dem Tode hergestelltes Opto-gramm durch weiteres Liegenbleiben im Auge r\u00fcckg\u00e4ngige Ver\u00e4nderungen erfahre.\nEinfacher, obschon minder scharf \u00fcberzeugt man sich von der Regeneration im absterbenden S\u00e4ugerauge durch directe Beobachtung bleichender Netzh\u00e4ute an albinotischen Kaninchen. Indem man den frischen, pigmentlosen Augengrund dieser Thiere mit der Sclera \u00fcber eine entsprechend convexe Fl\u00e4che umklappt, erkennt man die von der streifig-rothen Blutzeichnung unterschiedene, diffuse Purpurfarbe der St\u00e4bchen leicht. Wird ein St\u00fcck dieser Netzhaut sofort vom Epi-","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut heim Sehen.\nthel abgezogen und auf einem weissen Teller belichtet, so erscheint dieses vollkommen farblos zu einer Zeit, wo der auf dem Augengrunde gebliebene Antheil noch kaum ver\u00e4ndert, oder rasch ebenfalls abgezogen, mindestens noch deutlich gelb aussieht. An Augen, welche etwa 10 Minuten nach dem Tode im Dunkeln gelegen, ist dieser Unterschied nicht mehr vorhanden: die Gegenwart des Epithels und zwar nur des frischen, \u00fcberlebenden, verz\u00f6gert also auch beim Kaninchen die Bleichung etwas.\nRegeneration im sehenden Auge.\nIn jeder Beziehung unerwartet verl\u00e4uft die Regeneration des Sehpurpurs im Leben ausserordentlich langsam. Beim Frosche, wo man im Allgemeinen tr\u00e4gere stoffliche Vorg\u00e4nge gew\u00f6hnt ist, mag dies weniger \u00fcberraschen, aber Kaninchen und Hund sind ihm in diesem Falle nicht besonders \u00fcbeiTegen. Wie schon angef\u00fchrt, braucht der Frosch 20 Minuten Dunkelheit um die erste Spur der St\u00e4bchenf\u00e4rbung wieder zu gewinnen, 1\u20142 Stunden,, zuweilen noch mehr um sie auf die H\u00f6he zu bringen. Die grossen Differenzen h\u00e4ngen ab von der Temperatur : bei hoher Temperatur d\u00fcrfte 1 Stunde die k\u00fcrzeste Frist sein, worin sich der Vorgang vollendet; setzt man die Thiere nach der Bleichung in Eiswasser, so bed\u00fcrfen sie dazu der colossalen Zeit von 9 Stunden. Von den Kaninchen bemerkte Coccius 1 zuerst, dass sie nach l\u00e4ngerem Aufenthalte im Freien und darauf folgendem Verweilen im Dunkeln, nach der n\u00e4chsten halben Stunde noch sehr blasse Netzh\u00e4ute hatten. Sicher des Purpurs beraubte Kaninchen2, die mit atropinisirten Augen im Freien an der Sonne gesessen, brauchen 7 Minuten Dunkelheit um den ersten schwach rosafarbenen Anflug, 33\u201438 Minuten um maximal gef\u00e4rbte St\u00e4bchen zu erhalten.\nSehr scharf wird \u00fcber den Gang der Regeneration durch die optographische Methode entschieden. Um die Zeit der vollkommenen Wiederherstellung des Purpurs zu bestimmen, wird zun\u00e4chst auf einem Auge ein Optogramm erzeugt, dessen Vollkommenheit zu con-statiren ist, indem man den Bulbus gleich nach beendeter Exposition enucle'irt. Unmittelbar darauf, so dass die Lichtintensit\u00e4t inzwischen meist keine Aenderung erlitten haben kann, wird das zweite Auge ebenso lange exponirt und beispielsweise 40 Minuten sp\u00e4ter ge\u00f6ffnet und alaunisirt. Ist keine Spur des Optogramms mehr sichtbar, so beweist dies vollkommene Wiederherstellung des Purpurs, soweit unser\n1\tCoccius a. a. 0.\n2\tA. Ewald und W. K\u00fchne a. a. 0.","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Regeneration im sehenden Auge. Rhodogenese.\n317\nAuge \u00fcber Farbendifferenzen zu entscheiden vermag. Die genannten Zeiten wurden auf solche Weise gefunden.\nWie die Sehleiste und die subhorizontale Netzhautfl\u00e4che wegen ihres verschiedenen Purpurgehaltes die genaueste Beurtheilung der Lichtwirkung gestatten, wo sich die letztere optographisch \u00fcber beide Theile erstreckt, so dienen diese im Auge vieler Thiere vorhandenen Netzhautbildungen auch vortrefflich um den Gang der Regeneration zu erschliessen. Die R\u00fcckf\u00e4rbung kann vollkommen sein auf der Fl\u00e4che und noch unvollendet auf der Leiste, unvollkommen auf der ersteren und auf der letzteren noch so im R\u00fcckst\u00e4nde, dass hier statt verwaschener Bildspuren messbare Reste vorliegen.\n1) Die Rhodogenese.\nNeogenese und Anagenese. Genau bis zur Farblosigkeit oder l\u00e4nger exponirte Netzh\u00e4ute enthalten in keinem Stadium der Regeneration Sehgelb: ihre Farbe beginnt mit dem bl\u00e4ssesten Lila oder Rosa und geht nur durch Stufen steigender S\u00e4ttigung des Rosen-roth zum Purpur zur\u00fcck; selbst Chamois wird unter diesen Ueber-gangsfarben vermisst. Der Sehpurpur kann hier also nicht in derselben Weise r\u00fcckw\u00e4rts aus Sehweiss entstehen, wie dieses aus jenem hervorgegangen und der Process beginnt demnach gewiss nicht von in den St\u00e4bchen abgelagertem Sehweiss aus, unter Verwendung von Material, das schon einmal zum Ums\u00e4tze des Lichtes gedient hatte, sondern f\u00e4ngt mit etwas Neuem, neo ge ne tisch an. Es ist kaum zu bezweifeln, dass der Vorgang in einer Abgabe entweder fertigen Sehpurpurs, oder frischen Materials, aus welchem sich jener sogleich bildet, an die St\u00e4bchen besteht. Im ersteren Falle w\u00fcrde die Epithelzelle zur Bildungsst\u00e4tte fertigen Sehpurpurs, der in dem Maasse darin entsteht, als die St\u00e4bchen seiner bed\u00fcrfen, oder in dem Maasse an diese abgegeben wird, als er in dem Epithelprotoplasma fertig geworden. Dieser, wie immer beschaffene, als Neogenese zu bezeichnende Vorgang ist es, welcher mit der hervorgehobenen auffallenden Langsamkeit verl\u00e4uft.\nAusser der Neogenese existirt ein zweiter Vorgang, mehr gegenseitiger Art zwischen St\u00e4bchen und Epithelzellen: es ist die Anagenese, ein Process der nicht ausschliesslich in der Lieferung vorher gefertigten und neuen F\u00e4rbungsmaterials an die St\u00e4bchen, sondern in einer Herstellung des alten, schon einmal gebrauchten, in den St\u00e4bchen liegen gebliebenen, besteht, dessen Reste in Gestalt von Sehweiss noch keine Gelegenheit fanden die St\u00e4bchen zu verlassen. Diese Anagenese ist gekennzeichnet durch die Farbenfolge: sie be-","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut heim Sehen.\nginnt niemals mit Lila oder Rosa, sondern immer mit Gelb, von welchem sie durch Chamois, Orange und Roth zum Purpur zur\u00fcckf\u00fchrt, also in der umgekehrten Reihenfolge, in welcher der Sehpurpur am gemeinen Lichte zur Farblosigkeit \u00fcbergeht. Um diesen Process allein scheint es sich zu handeln, wenn eine isolirt gebleichte Netzhaut in den Epithelgrund des Froschauges zur\u00fcckgelegt, wieder gef\u00e4rbt wird, wobei sie durch die erw\u00e4hnte Farbenreihe vom bl\u00e4ssesten Strohgelb, in verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurzer Zeit zum Purpur zur\u00fcck gelangt. Aehnlich, obschon nicht so rein, weil die Neogenese sich einmischt, verl\u00e4uft der Process im lebenden Auge, wenn dessen St\u00e4bchen, nach unvollkommener Bleichung, der Restitution theilhaf-tig werden, was wiederum und auch im Kaninchenauge durch die mit Gelb nuancirte Farbenreihe charakterisirt ist. Ein von unvollendeter Regeneration noch kenntlich gelassenes Optogramm muss also in den hellen Streifen Sehgelb enthaltende Farben aufweisen, wenn es unterexponirt entstanden war, d. h. in allen F\u00e4llen, wo jene Streifen zu schmal sind; und so ist es in der That, w\u00e4hrend die zu breiten hellen Streifen \u00fcberexponirter Optogramme, in allen Stadien der regenerativen Ausl\u00f6schung jene Farben niemals enthalten d\u00fcrfen, was ebenfalls vollkommen zutrifft, da daran niemals andere Farben als die eines mehr oder minder ges\u00e4ttigten Purpurs zu sehen sind. Der Streifenbreite nach richtig exponirte Bilder k\u00f6nnen endlich theils neogenetische, theils anagenetische Zeichen besitzen, wie es auch thats\u00e4ch-lich beobachtet wird.\nDa die Regeneration durch Anlegen der Froschnetzhaut gegen das Epithel des exstirpirten Bulbus in 10\u201430 Minuten verl\u00e4uft, also mit der Neogenese verglichen, \u00fcberraschend schnell, kann f\u00fcr das lebende Auge gleichfalls ein viel rascherer WJedergewinn des Purpurs vorausgesetzt werden, wo derselbe nicht ganz aus den St\u00e4bchen geschwunden und die M\u00f6glichkeit der Anagenese zuzugeben ist. Nur angebleichte Netzh\u00e4ute, oder in allen Theilen noch farbige, aber immerhin schon recht deutliche Optogramme bed\u00fcrfen wirklich beim Kaninchen nur 10\u201415 Minuten Lichtentziehung, um vollst\u00e4ndig zu verschwinden. Dies erkl\u00e4rt zugleich ein besonderes Verhalten fast aller unvollkommen regenerirten Optogramme, dessen darum erst hier Erw\u00e4hnung geschieht, n\u00e4mlich dass selbst \u00fcberexponirte Bilder w\u00e4hrend der Regeneration zu klein, um die peripheren Theile verk\u00fcrzt oder in diesen gelb nuancirt gefunden werden. Da die auf die Netzhautperipherie gefallenen Antheile des Bildes die schw\u00e4cher belichteten sind, so k\u00f6nnen sie unterexponirt bleiben, wenn die centralen schon \u00fcberex-ponirt sind.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Neogenese und Anagenese. Autoregeneration.\n319\nF\u00fcr das Sehen der Thiere und Menschen verdient die verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssige Geschwindigkeit der Anagenese Beachtung, weil dieser Vorgang es ist, welcher bei dem bevorzugten Lichte geschlossener B\u00e4ume, das unsere Netzhaut sonst sicherlich bald ganz entf\u00e4rben w\u00fcrde, mehr in Betracht kommt, als die Neogenese und weil derselbe unseren St\u00e4bchen am meisten helfen wird, bei dem langsamen Wechsel mittleren und ged\u00e4mpften Lichtes, den wir gern aufsuchen. In gewissen Intervallen wechselndes Licht verliert bei Kaninchen alle optographische Wirkung. Unter Umst\u00e4nden, wo ein gutes, obschon nicht vollendetes Bild im atropinisirten Auge bei 45 Sec. constanter Belichtung, entstand, lieferte dieselbe Belichtungszeit im Ganzen, wenn sie je \\U Sec. nach 3/4 Sec. Beschattung anhielt, was mit regelm\u00e4ssig rotirenden Diaphragmen leicht zu bewerkstelligen war, gar keine Anbleichung, und nur Spuren eines sehr kleinen auf das Centrum der Betina beschr\u00e4nkten Optogramms, nachdem die Belichtung im Ganzen 7 *, 2 Min. betragen, und das Licht w\u00e4hrend einer vollen Stunde, nach je 7/s Sec. Dunkelheit, x/8 Sec. gewirkt hatte.\nZur k\u00fcnstlichen Begeneration des St\u00e4bchenpurpurs ist zwar Wiederber\u00fchrung mit \u00fcberlebendem Epithel erforderlich, die Netzhaut selbst kann aber bereits abgestorben sein. Dieser Umstand wird ebenso, wie der schon erw\u00e4hnte, dass nur isolirt gebleichte Netzh\u00e4ute der k\u00fcnstlichen Begeneration f\u00e4hig, im Leben gebleichte dazu ungeeignet sind, durch das Folgende verst\u00e4ndlich.\n2) Die Antoregeneration.\nAus Dunkelaugen vollkommen fuscinfrei entnommene Froschnetzh\u00e4ute, feucht gegen eine verticale Fl\u00e4che geklebt, zeigen schwachem Lichte exponirt h\u00e4ufig merkw\u00fcrdige Versp\u00e4tung der Ausbleichung im unteren, herabh\u00e4ngenden Bande und wenn man eine Beihe solcher Betinae, sich ber\u00fchrend \u00fcbereinander klebt, so k\u00f6nnen die oberen schon farblos sein, w\u00e4hrend die unteren kaum ver\u00e4ndert sind. Dies macht den Eindruck, als ob etwas regenerirend Wirkendes aus den oberen zu den unteren fl\u00f6sse, vielleicht Beste fuscinfreien Epithelprotoplasmas, das aus den St\u00e4bchenzwischenr\u00e4umen nicht ganz zu entfernen sein mag.\nJede isolirt gebleichte Froschnetzhaut zeigt ferner nach 2 \u2014 3-st\u00fcndigem Verweilen im Dunkeln eine gewisse Wiederkehr der Farbe: sie wird blassstrohgelb, dann hellchamois endlich blassrosa und wenn man dies am folgenden Tage etwa wieder fortbleicht, so kehren die Farben schw\u00e4cher und langsamer zum zweiten Male zur\u00fcck, zuweilen, nach abermaligem Belichten, selbst zum dritten Male. Die","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nMembran wird dabei in der Regel teigig und tr\u00fcbe, ohne dass diese unzweifelhaften Zeichen des Absterbens den geringsten Einfluss auf die Autoregeneration \u00fcbten. Hat man die Netzhaut im Dunkeln, in etwa 24 Stunden absterben und dann erst ausbleichen lassen, so wirkt die erste Lichtentziehung ebenso kr\u00e4ftig und schnell, wie auf die frische Membran. Die Netzhaut kann auch 24 Stunden im Dunkeln, in ges\u00e4ttigter NaCl-L\u00f6sung gelegen haben, darauf mit NaCl von w2 pCt. ausgewaschen und nach dem Abtropfen durch Licht gebleicht sein, ohne das Verm\u00f6gen zur R\u00fcckf\u00e4rbung zu verlieren. Die Erscheinung ist dann sogar noch deutlicher, als an nicht gesalzenen Pr\u00e4paraten. Wird die ges\u00e4ttigte Salzl\u00f6sung nicht entfernt und die Bleichung in derselben vorgenommen, was an der Sonne mehr als 1 Stunde erfordert, so kehrt die Farbe im Dunkeln ebenfalls zur\u00fcck, aber erst in 5\u20148 Stunden und nur bis zum Chamois gehend. Aehnlich verh\u00e4lt sich eine mit Glycerin befeuchtete Netzhaut, w\u00e4hrend nach der Behandlung mit NH3 oder Soda keine Wiederkehr von Farbe zu bemerken ist.\nIm Leben gebleichte und epithelfrei aus dem Auge gekommene Netzh\u00e4ute zeigen unter den genannten Behandlungen keine Spur von Autoregeneration.\nOhne gegenw\u00e4rtig entscheiden zu k\u00f6nnen, ob die Autoregeneration von Substanzen herr\u00fchre, welche in den St\u00e4bchen stecken, oder von pigmentlosen Epithelfragmenten, welche diesen anhaften, sind die vorliegenden Thatsachen als wichtige Belege f\u00fcr einen von allen Lebenseigenschaften der fraglichen Gewebe unabh\u00e4ngigen, chemischen Process zu halten, welcher die Nachahmung eines der merkw\u00fcrdigsten Lebensvorg\u00e4nge enth\u00e4lt. F\u00fcr denselben wurde eine hypothetische Erkl\u00e4rung versucht, nach welcher die St\u00e4bchen der isolirt belichteten Netzhaut mit den Bleichungsproducten des Purpurs, n\u00e4mlich mit dem Sehweiss behaftet blieben, welches unter Einwirkung einer andern, vorl\u00e4ufig als Rhodophylin zu bezeichnenden Substanz, die aus dein Epithel stammt und in kleinen Mengen an oder in den St\u00e4bchen haftet, im Dunkeln wieder zu Sehgelb und Sehpurpur werde. Die Hypothese erkl\u00e4rt die Unf\u00e4higkeit im Leben gebleichter Netzh\u00e4ute zur Autoregeneration aus dem gleichen Grunde, aus welchem denselben auch statt anagenetischer, nur neogenetische Restitution der F\u00e4rbung zukommt, wenn das Sehweiss im Leben irgendwie verloren geht.\nAuf Schwinden des Sehweiss durch Resorption oder durch andere Vorg\u00e4nge darf geschlossen werden, weil den im sehenden Auge entf\u00e4rbten Netzh\u00e4uten eine wichtige, in \u00abkaum zu bezweifelndem Zusammenh\u00e4nge mit den letzten Bleichungsproducten des Purpurs stehende Reaction abgeht, n\u00e4mlich die kr\u00e4ftige weissgr\u00fcne Fluorescenz; es","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Rhodophylaxe. K\u00fcnstliche Rhodogenese.\n321\nbleibt also wesentlich der Nachweis zu f\u00fchren \u00fcbrig, dass eine oder mehrere Substanzen von rhodophylactischen Eigenschaften, oder Etwas, unabh\u00e4ngig von allen sonstigen Lebensvorg\u00e4ngen, auf Sehweiss ana-genetisch wirkendes in der Retina und vorzugsweise in deren Epithel vorkomme.\n3) K\u00fcnstliche Rhodogenese.* 1\nKann die Autoregeneration abget\u00f6dteter Retinae im Gegens\u00e4tze zur vitalen Rhodogenese schon als eine k\u00fcnstliche bezeichnet werden, so hat dieselbe Erscheinung an gebleichter Purpurl\u00f6sung darauf noch gr\u00f6sseren Anspruch. Aus Froschnetzh\u00e4uten mit 2 procentiger, vollkommen alkokol- und \u00e4therfreier Galle bereitete Purpurl\u00f6sungen zeigen nach vollst\u00e4ndigem Ausbleichen zwar schwache, aber unverkennbare R\u00fcckkehr der F\u00e4rbung nach einigem Stehen im Dunkeln: sie pflegen nach 40 Minuten hellgelb, in 1\u20142 Stunden sehr blassrosa zu werden und es kann sich dies ein- bis zweimal, nach erneuter Belichtung langsamer und mit abnehmender Deutlichkeit wiederholen. Die gew\u00f6hnliche Purpurcholatl\u00f6sung enth\u00e4lt also alles zur Anagenese Erforderliche: nach der Hypothese neben \u00fcbersch\u00fcssigem Sehweiss, Spuren von Rhodophylin. \u2014 L\u00f6sungen im Leben gebleichter und mittelst des Curare\u00f6dems vom Epithel getrennter Netzh\u00e4ute f\u00e4rben sich im Dunkeln gar nicht.\nSeit es so viele Gr\u00fcnde giebt, dem retinalen Epithel den m\u00e4chtigsten Einfluss bei der Anagenese, wie bei der Neogenese zuzuschreiben, war zu erwarten, dass die so leicht ebenfalls mit Galle herstellbaren L\u00f6sungen des Epithelprotoplasmas, gebleichten St\u00e4bchenl\u00f6sungen zugesetzt, m\u00e4chtig r\u00fcckf\u00e4rbend auf die letzteren wirken w\u00fcrden. Ein solcher Versuch ist bis jetzt an der Schwierigkeit gescheitert reine h\u00e4moglobinfreie Epithell\u00f6sungen zu gewinnen, da das im Augengrunde mit der Chorio\u00efdes zur\u00fcckbleibende Epithellager von der blutreichen Unterlage nicht zu trennen war. F\u00fcr die vorliegenden Zwecke gesellt sich dazu ein Uebelstand, der in der Unm\u00f6glichkeit besteht, solche schon mit H\u00e4moglobin verunreinigte Epithell\u00f6sungen auch frei von Sehpurpur zu erhalten. Das im Dunkelauge von selbst zur\u00fcckbleibende, im Hellauge durch Oedem, beim Ausschl\u00fcpfen der Netzhaut an die Uvea zu fesselnde Epithel liefert nach Verarbeitung der Augengr\u00fcnde mit Galle immer schwarze Fl\u00fcssigkeiten, die nach dem Absetzen des Fuscins neben der bleibenden Blutf\u00e4rbung Ver\u00e4nderun-\n1 A. Ewald und W. K\u00fcnne, Centralbl. f. d. med. Wiss. 1877. S. 753 und a. a. 0.\nI. S. 248.\nHandbuch der Physiologie. Bd. HI.\n21","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\ngen am Lichte erkennen lassen. An der Sonne blassen sie deutlich bis auf die spectroskopisch nachweisbare, d\u00fcnne, oft ven\u00f6s gr\u00fcnliche Blutfarbe ab ; darauf ins Dunkle zur\u00fcckgebracht zeigen sie schon nach 15 Min. Vertiefung der Farbe, nach einigen Stunden Uebergang ins Kirschfarbene, Erscheinungen, welche sich nach neuen Belichtungen wiederholen. Wie unvorteilhaft und unerwartet dieses Verhalten sein mag, so b\u00fcrgt es f\u00fcr eine sehr wichtige Eigenschaft der Epithelzellen, n\u00e4mlich f\u00fcr die, Sehpurpur in sich, ohne Zuthun der St\u00e4bchen bilden zu k\u00f6nnen, was f\u00fcr die Neogenese besondere Beachtung verdient.\nUm die ebengenannten Schwierigkeiten zu umgehen, ist die Riick-f\u00e4rbung reiner St\u00e4bchenl\u00f6sungen mit derjenigen von L\u00f6sungen aus Epithel und St\u00e4bchen zu vergleichen. Letztere sind leicht h\u00e4moglobinfrei darzustellen, indem man die Netzhaut in Eis gehaltener Dunkelfr\u00f6sche mit der gesammten, jetzt haften bleibenden Epitheldecke aus dem Auge zieht und wie gew\u00f6hnlich mit Galle behandelt; durch Absetzen und Abpipettiren vom Fuscin befreit erscheinen sie rein purpurfarben. Vergleichung der beiden, mit gleichen Cholatl\u00f6sungen, aus gleich vielen Netzh\u00e4uten hergestellten Fl\u00fcssigkeiten ergiebt: 1. viel langsamere Bleichung der epithelhaltigen am gleichen Lichte, 2. viel schnellere und intensivere R\u00fcckkehr der Farben nach Lichtentziehung in dieser, als in der reinen St\u00e4bchenl\u00f6sung. Hiermit ist der Beweis besonderer rhodophylactischer Wirkung in Galle l\u00f6slicher Epithelstoffe, oder der Anwesenheit einer als Rhodophylin zu bezeichnenden Substanz gegeben.\nF\u00fcr das sehende Auge darf nach den hier er\u00f6rterten Erfahrungen bez\u00fcglich des Vergehens und Entstehens der St\u00e4bchenf\u00e4rbung Folgendes angenommen werden: das Licht zersetzt den Sehpurpur allm\u00e4hlich, so dass Mischungen, 1. von Purpur und Sehgelb, 2. von Purpur, Gelb und Sehweiss, 3. von Gelb und Sehweiss, endlich nur Sehweiss in den St\u00e4bchen \u00fcbrig bleiben. In Folge einer fortw\u00e4hrend bestehenden anagenetischen Rhodophylaxe werden die genannten photochemischen Zersetzungsproducte in der umgekehrten Reihefolge ihrer Entstehung zur\u00fcckverwandelt, so lange das Licht schwach ist und die photochemische Zersetzung mit der Rhodophylaxe im Gleichgewichte ist. Ist das Gleichgewicht zu Gunsten der Lichtwirkung gest\u00f6rt, so beginnt die Bleichung \u00fcberhaupt erst merklich zu werden; dieselbe ist aber mit derjenigen isolirter Netzh\u00e4ute verglichen, bis zu betr\u00e4chtlichen Intensit\u00e4ten der Beleuchtung hin, stark verlangsamt (scheinbare Indolenz des Purpurs sehender Augen). In dem Maasse, wie bei steigendem Lichte Sehweiss gebildet und nicht mehr zu Sehgelb und","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Rhodogenese. Lebensbedingungen des regenerirenden Epithels.\n323\nSehpurpur zur\u00fcckverwandelt werden kann, entweicht das letzte Bleich-product aus den St\u00e4bchencylindern, vielleicht indem es die Retina g\u00e4nzlich verl\u00e4sst oder in den Innengliedern, m\u00f6glicherweise noch in den Epithelzellen Verwendung findet. Dass das Sehweiss durch Licht noch weiter ver\u00e4ndert werde zu einer anagenetisch nicht mehr brauchbaren Substanz, ist unwahrscheinlich, weil lange Fortsetzung der Belichtung, nach einmal erzielter Totalbleichung, weder im lebenden Auge, noch an der epithellosen Retina hinsichtlich der regenerativen Processe oder der Fluorescenz garkeine weiteren Aenderungen erzeugt. Ist das Sehweiss aus den St\u00e4bchencylindern geschwunden, so tritt erst bei starker D\u00e4mpfung oder Entziehung des Lichtes Riick-l\u00e4rbung ein; diese ist neogenetisch und von \u00e4usserst langsamem Verlaufe.\nDas Material, woraus der Sehpurpur neogenetisch entsteht, oder welches dabei th\u00e4tig ist, muss farblos sein, da das Fuscin und Lipo-chrin des regenerirenden Epithels, an die gedacht werden k\u00f6nnte, in dessen L\u00f6sungen nicht mit \u00fcbergehen und da beide den Albinos fehlen, deren Netzh\u00e4ute sich im Dunkeln gerade so gut wieder f\u00e4rben, wie andere. An das Lipochrin w\u00e4re auch um so weniger zu denken, als dasselbe dem Retinaepithel der meisten Thiere fehlt. Es kann sich f\u00fcr den Process nur um das farblose Protoplasma der Epithelien handeln, das wie eine flach ausgebreitete, Purpur erzeugende Dr\u00fcse s\u00e4mmtlichen St\u00e4bchen angeschmiegt ist. Bei der auffallenden Ueber-einstimmung der Myeloi'dk\u00f6rner mit dem Myeloid der hinteren Abschnitte der St\u00e4bchencylinder und bei dem benagten Aussehen fast aller St\u00e4bchenkuppen ist eine Beziehung dieser Theile zu einander wol zu erw\u00e4gen, um so mehr, als die Myeloi'dk\u00f6rner unter den V\u00f6geln ausschliesslich den Eulen zukommen, deren St\u00e4bchen am meisten entwickelt und am purpurreichsten sind ; dass jene K\u00f6rner aber Generatoren des Purpurs seien, steht so lange dahin, als sie bei den meisten Thieren vermisst werden, oder so lange dort kein diffus im Protoplasma verbreitetes Myeloid erkannt ist, welches darin freilich enthalten sein k\u00f6nnte.\n4) Lebensbedingungen des regenerirenden Epithels.\nDie lange Dauer der Neogenese kann am wenigsten im Vergleiche mit der schnelleren, wesentlich auf Rhodophylaxe hinauskommenden Anagenese auffallen, und wird sehr verst\u00e4ndlich, wenn man die gewiss nicht unerhebliche materielle Ausgabe, welche sie jeder Epithelzelle zumuthet, erw\u00e4gt. Wie langsam der Process verlaufe, ist auch an Netzh\u00e4uten zu sehen, die ihr Sehweiss nicht ein-","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 2. Cap. Ver\u00e4nderungen der Netzhaut beim Sehen.\nb\u00fcssen konnten, wenn man sie n\u00e4mlich nach der Isolation ansbleicht und in ein besonntes, der eigenen entf\u00e4rbten Retina beraubtes, fremdes Froschauge, gegen dessen mit H\u00fclfe von Oedem im Grunde zur\u00fcckgehaltenes Epithel legt ; hier bedarf es mehr als einer, meist 2 Stunden bis die k\u00fcnstliche Neuf\u00e4rbung gl\u00fcckt. Andere Gr\u00fcnde f\u00fcr die Langsamkeit dieser Rhodogenese sind in Ver\u00e4nderungen der Epithelien durch das Licht zu suchen, welches diese nach seinem Durchg\u00e4nge durch die St\u00e4bchen trifft, vermuthlich in einer, zun\u00e4chst im chemischen Sinne zu nehmenden, Lichtempfindlichkeit ihres Protoplasmas, wof\u00fcr manches spricht. Im Allgemeinen ist intensive Belichtung des nackten Epithelgrundes schon wenig geeignet, dessen F\u00e4higkeit angelegte St\u00e4bchenschichten wiederzuf\u00e4rben, zu erhalten, man d\u00fcrfte sich also nicht wundern, wenn das den Epithelzellen durch die St\u00e4bchen in situ zukommende Licht, welches nicht in der Weise, wie am entbl\u00f6ssten Epithel, durch die zusammensinkenden, fuscinreicken Zellforts\u00e4tze am Zutritte gehindert wird, die regenerativen Vorg\u00e4nge noch mehr verz\u00f6gerte. So lange die St\u00e4bchen nicht gebleicht sind, erh\u00e4lt das Epithel haupts\u00e4chlich rothes und violettes, etwas sp\u00e4ter rothes und gelbes Licht, dessen Strahlen auf die St\u00e4bchenfarbe auch im Leben am wenigsten und nat\u00fcrlich noch weit schw\u00e4cher, als auf die der epithellosen Netzh\u00e4ute wirken. Besondere Versuche am Kaninchen und am Frosche haben ergeben, dass die rothen Strahlen wenigstens den regenerativen Vorg\u00e4ngen sehr wenig nachtheilig sind; rothes Licht leistet in der Beziehung zwar nicht mehr, als Dunkelheit, kann aber bei mittlerer Intensit\u00e4t solchen Grades, dass es immer noch als hell empfunden wird, Lichtentziehung ersetzen, so dass eine vorher durch anderes Licht gebleichte Netzhaut darin fast in derselben Zeit ihre Normalfarbe wieder gewinnt, wie wenn man das Auge ganz im Dunkeln gehalten h\u00e4tte. Dennoch ist f\u00fcr Fr\u00f6sche eine Helligkeit rothen Lichtes'herauszufinden, welche an sich nicht ausreicht die Netzhaut von Dunkelfr\u00f6schen zu bleichen und doch die Regeneration anderer von gew\u00f6hnlichem Lichte vorher gebleichter nicht aufkommen l\u00e4sst; bei den letzteren tritt dann nach mehrst\u00fcndiger Rothbelichtung der interessante Fall ein, dass der Purpur sich doch nur etwa in dem Maasse bildet, als er durch dieses Licht zerst\u00f6rt worden, denn wenn man die Thiere schliesslich ins Dunkle setzt und nacheinander von 5 zu 5 Min. untersucht, so findet man ihre Retina jedesmal besser gef\u00e4rbt und nach 15\u201420 Min. wieder von normalem Purpurgehalte.\nNur bei den Warmbl\u00fctern scheint die Regeneration mit der Blut-circulation oder wenig sp\u00e4ter zu erl\u00f6schen ; man findet sie merklich verz\u00f6gert nach Druck auf den Bulbus, nach starken Blutentziehungen,","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Regenerirendes Epithel.\n325\nnach kr\u00e4ftigen, gef\u00e4ssverengend wirkenden electrischen Reizen am Auge. Dagegen scheint sie nicht beeinflusst zu werden von den meisten Erregungs- und L\u00e4hmungszust\u00e4nden, welche an den Nerven des Auges zu erzielen sind. Holmgren1 constatirte den^Netzhautpurpur noch bei Kaninchen, deren N. optici vor mehr als einem Jahre in der Sch\u00e4delh\u00f6hle durchschnitten worden. Langendorff2 fand dasselbe bei Fr\u00f6schen, denen er Monate zuvor den Sehnerv in der Orbita zerschnitten hatte. Die nach Holmgren\u2019s Methode operirten Kaninchen zeigen lange Zeit nachher bez\u00fcglich der Ausbleichung und Wiederf\u00e4rbung vollkommen normales Verhalten.3 Durchschneidung des N. trigeminus, des N. sympathicus am Halse, des N. oculomotorius in der Sch\u00e4delh\u00f6hle \u00e4ndern nichts an der Regeneration, ebensowenig Vergiftung mit Curare oder grossen Dosen Atropin (auch beim Hunde). Reizung des andern Auges durch Licht oder Belichtung benachbarter Stellen atff derselben Retina lassen keine Aenderungen im Gange des Processes entdecken. Dagegen wirken kleine Dosen Muscarin oder Pilocarpin bei Hunden und Kaninchen merkw\u00fcrdig beschleunigend auf die R\u00fcckkehr der St\u00e4bchenf\u00e4rbung, so sehr, dass die \u00fcberexpo-nirte Netzhaut sp\u00e4testens nach 20 Min. im Dunkeln wieder maximal gef\u00e4rbt erscheint. In Uebereinstimmung mit vielen der erw\u00e4hnten That-sachen spricht die Wirkung der letzteren, alle echten Secretionen m\u00e4chtig f\u00f6rdernden Gifte f\u00fcr eine den secretorischen sehr \u00e4hnliche Function des wichtigen Deckepitheliums der Sehzellen.\n1\tFr. Holmgren, Ueber Sebpurpur uncl Retinastr\u00f6me. Unters, aus dem physiol. Instit. z. Heidelberg II. S. 81.\n2\t0. Langendoree, Arch. f. Anat. u. Physiol. Physiol. Abth. 1877. S. 437.\n3\tW. C. Ayres undW. K\u00fchne, Ueber Regeneration des Sehpurpurs beim S\u00e4uge-thiere. Unters, aus dem physiol. Instit. z. HeidelbergII. S. 215. Mehrere der im Texte angef\u00fchrten Thatsachen nach noch unpublicirten Beobachtungen von W. C. Ayres.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\nDRITTES CAPITEL.\nBedeutung der pliotocliemisclien Processe f\u00fcr das Selieu.\nI. Optoeliemisclie Hypothese.\nInsofern photochemische Hypothesen des Sehens zun\u00e4chst photochemische Processe in der Retina voraussetzen, ist denselben durch die zahlreichen, vom Lichte abh\u00e4ngigen, unzweifelhaft chemischen Vorg\u00e4nge in der Netzhaut eine thats\u00e4chliche Grundlage gegeben und damit dem ersten Erfordernisse f\u00fcr das weitere Eindringen in den wunderbaren Uebergang objectiver Aetherbewegung zu schliesslich subjectiver Lichtempfindung gen\u00fcgt. Um hier Boden zu fassen, ist es unerl\u00e4sslich die bis jetzt bestandenen allgemeineren Vorstellungen, welche nur bis zur Annahme eines photochemischen Gliedes in der ganzen Vorgangskette zwischen Ankunft des Lichtes und Anfang der nerv\u00f6sen Erregung gehen konnten, greifbar zu gestalten und sowohl in zeitlichem wie in \u00f6rtlichem Sinne zu pr\u00e4cisiren.\nDa die heutige allgemeine Nervenphysiologie nach der Ueber-zeugung Aller im Begriffe steht, neben der Nervenphysik eine Nerven-chemie zu entwickeln und Niemand an der wesentlich chemischen Natur des Leitvorganges in der Nervenfaser, sowie aller Hauptver-richtungen in der Nervenzelle zweifelt, so ist dies auch auf den retinalen Leitapparat zu \u00fcbertragen. Die chemische Ver\u00e4nderlichkeit der grauen Retinasubstanz w\u00e4re daher in einer allgemeinen Nervenchemie zu er\u00f6rtern, und ist hier besonders nicht am Platze, weil es sicher ist, dass das Licht keine directe Beziehung dazu hat und weil ihre Ber\u00fccksichtigung von der Hauptfrage der phototropen Vorg\u00e4nge ablenken w\u00fcrde.\nSinnesorgane bestehen peripherisch vorwiegend aus Nervenenden in Epithel und dieses ist verschieden je nach dem Reize, von welchem es am leichtesten getroffen wird. Mit der Epithelzelle, in deren Protoplasma die leitende Nervenfaser, wie es scheint unter allm\u00e4hlichem Wandel ihrer chemischen Structur \u00fcbergeht, erhielt der Nerv im Geh\u00f6rorgan eine auf mechanische Ersch\u00fctterung leicht ansprechende Endbildung, im Riech- und Schmeckepithel durch gewisse chemische Einfl\u00fcsse geradezu unglaublich ver\u00e4nderliche Endapparate,","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Optochemische Hypothese.\n327\nin der Netzhaut die phototrope Einrichtung. Hier ankn\u00fcpfend erachtet die optochemische Hypothese die Sehzellen als Tr\u00e4ger photochemisch zersetzlicher Stoffe, die daselbst als S eh Stoffe1 zu bezeichnen sind und nimmt von diesen so lange keine F\u00e4higkeit an, den irritablen Theil der Sehzellen, welcher durch das Protoplasma des Innengliedes vorgestellt wird, chemisch zu erregen, als sie un-zersetzt bleiben. Dagegen schreibt die Hypothese den Zersetzungs-producten, deren Auftreten mit dem Zug\u00e4nge des Lichtes begonnen, das Verm\u00f6gen zu, Sehzellenprotoplasma chemisch zu reizen und bezeichnet jene Producte als Sehreger. Sehpurpur ist darnach ein Sehstoff, dessen Sehreger Sehgelb und Sehweiss sind. Der Reiz k\u00f6nnte zwar auch in dem Umwandlungsprocesse der Sehstoffe gesucht werden'2, da dieser aber h\u00f6chst wahrscheinlich mit dem Momente der Entziehung des Lichtes abschliesst, w\u00e4hrend das Auge an Nachempfindung bekanntlich jedes andere Sinnesorgan \u00fcberbietet, scheint die, wenn man will, mehr stoffliche Auffassung des Erregungsmittels den Vorzug zu verdienen.\nIndem wir die bis jetzt erkannten chemischen Ver\u00e4nderungen der Netzhaut heranziehen, ist zun\u00e4chst und nachdr\u00fccklichst Gewicht auf deren ausschliessliche Abh\u00e4ngigkeit vom Lichte zu legen. Durch welche Mittel der Sehpurpur sonst zersetzlich sein m\u00f6ge, im Auge und unter allen einigermaassen nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnissen wird er durch keine andern Einfl\u00fcsse afficirt oder von seinem Platze entfernt (vergl. oben S. 298); es kann also gar nicht daran gedacht werden seine Zersetzung etwa mit der in Muskeln, Nerven oder andern irritablen Dingen als Folge von Reizung und Th\u00e4tigkeit eintretenden chemischen Ver\u00e4nderung, wie der S\u00e4uerung z. B. zu vergleichen. In der sehenden Netzhaut ist die photochemische Zersetzung des Sehstoffes der erste Vorgang, welchem der Reiz erst folgt.\nUm einen Bestandtheil der Netzhaut als Sehstoff anzusprechen, gen\u00fcgt es nicht, dass er lichtempfindlich sei, w\u00e4hrend andererseits die Zersetzlichkeit eines solchen durch Licht minimal und doch f\u00fcr seine Zwecke gen\u00fcgend sein k\u00f6nnte. Der gelbe Farbstoff der Macula lutea ist in mittlerem Grade lichtempfindlich, kann aber nicht f\u00fcr einen Sehstoff gelten, weil er nur in den vorderen Schichten, nicht in den Sehzellen vorkommt. Hier findet sich also schon ein retinaler Farbstoff ohne die Bedeutung eines Sehstoffes, dessen Lichtem-\n1\tDer sehr zweckm\u00e4ssige Name \u201eSehstoff\u201c wurde von S. Exner eingef\u00fchrt; vgl. Arch. f. d. ges. Physiol. XVI. S. 409.\n2\tIn dieser Weise ist die optochemische Hypothese zuerst von J. Bernstein (a. a. 0.) ausgesprochen.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\npfindlichkeit zun\u00e4chst so gut \u00fcbergangen werden kann, wie etwa die der Gallenpigmente, und dessen Bleichungsproducte gewiss nicht als Sehreger fungiren, womit nat\u00fcrlich nicht gesagt ist, dass dieselben nicht solche werden k\u00f6nnten, wenn sie an den richtigen Platz d. h. in die Sehzellen gelangten. Das Lipochrin der gelben Oelkugeln einiger Retinaepithelien und das Fusein aller retinalen Pigmentepithelien sind Beispiele f\u00fcr z. Th. zwar schwer durch Lieh! zersetzliche Materien in der Netzhaut, die sich ebenfalls an einem Orte befinden, der f\u00fcr das directe Sehen kaum in Frage kommt, so gross ihre Bedeutung f\u00fcr diffuse Lichtempfindungen und namentlich nach dem Lichtreize sein k\u00f6nnte. Als dritten Fall sehen wir besonders bei den V\u00f6geln in den Sehzellen und zwar nur in den Zapfeninnengliedern Pigmente mittlerer Lichtempfindlichkeit , von der aber im lebenden Auge nicht einmal Andeutungen zu bemerken sind, da sich die Farben nach Blendungen sogar vertiefen. Hier entsteht die Frage, ob Pigmente in der Netzhaut nicht \u00fcberhaupt wesentlich die Bedeutung haben, nur Licht gewisser Wellenl\u00e4ngen als Angriffsmittel an hinter ihnen liegende, phototrope Theile gelangen zu lassen, eine Function, welche M. Schultze den farbigen Zapfenkugeln zuerst zuschrieb. Damit ist ein Gedanke bezeichnet, der mit gleichem Rechte auch auf den Sehpurpur passen k\u00f6nnte, den seine eminente Lichtempfindlichkeit noch keineswegs vor dem Verdachte bewahrt, kein Sehstofif, sondern nur ein f\u00fcr hinreichend intensives Licht ver\u00e4nderlicher Farbenschirm zu sein, was f\u00fcr mit ihm gemischte, ebenfalls in den St\u00e4bchency-lindern befindliche, wirkliche Sehstoffe die gr\u00f6sste Bedeutung haben k\u00f6nnte. Die optochemische Hypothese kann mit der Annahme von Sehstoffen und Sehregern das Richtige treffen, ohne dass der Purpur ein Sehstoff zu sein braucht. Der Sehpurpur ist also nicht sicher eines Tages seinen Namen gegen den weniger pr\u00e4judicirenden. \u201eSt\u00e4bchenpurpur\u201c eintauschen zu m\u00fcssen, wenn die heute von ihm ausgehenden Hoffnungen sich zwar erf\u00fcllen, aber, wie es so oft geschieht, in ganz anderer Richtung bewahrheiten sollten. Wenn man erw\u00e4gt, wie die Hypothese, dass die Erregung der Netzhaut durch Licht auf chemischer Reizung beruhe, schon f\u00fcr bewiesen erkl\u00e4rt worden, als man noch nicht einmal wusste, dass hinter der langsamen Netzhautbleiche von der Sonne geblendeter Fr\u00f6sche locale Lichtwirkung stecke, und als es noch zweifelhaft war, ob die St\u00e4bchenfarbe keine Interferenzfarbe sei1, so scheint ein Wort der Warnung vor solchen T\u00e4uschungen um so berechtigter, als es heute, da wir photochemische Pro-cesse in der Retina wirklich kennen, noch am Platze ist.\n1 Vgl. Kunkel. Arch. f. d. ges. Physiol. XV. S. 38.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Sehen ohne Sehpurpur.\n329\n1. Sehen ohne Sehpurpur.\nUnzweifelhaft wird ohne Sehpurpur gesehen, denn noch wurde bei keinem sehenden Wirbellosen Sehpurpur gefunden und Niemand bezweifelt, dass die Zapfen sehen, welche ohne Ausnahme purpur-frei sind. Dass Zapfen Alles sehen, was f\u00fcr uns sichtbar ist, wissen wir, weil wir mit der Fovea centralis, die nur Zapfen enth\u00e4lt, sogar am besten sehen ; auch diese, fast nach St\u00e4bchenart, mit langen schlanken Aussengliedern versehenen Zapfen sind nach langem Dunkelaufenthalte frei von Sehpurpur und v\u00f6llig farblos (vgl. S. 290). Ausserdem giebt es auch St\u00e4bchen ohne Sehpurpur, wie bei H\u00fchnern und Tauben, bei einigen Flederm\u00e4usen und im Umkreise der Ora serrata. Von diesen wissen wir freilich nicht, ob sie sehen, m\u00fcssen es aber f\u00fcr einen Theil derselben wol als sehr wahrscheinlich voraussetzen. Fasst man* die Frage allgemeiner, ob es Sehorgane gebe ohue alle Farbstoffe, so muss auch diese bejaht werden, weil die Zapfen in der Thierreihe zum grossen Theile pigmentlos sind und weil bei den Schlangen Augen existiren, die nur farblose Zapfen, gar keine St\u00e4bchen enthalten. Will man noch weiter gehen und die Frage bis auf das Retinaepithel ausdehnen, so bleibt die Antwort, unter Berufung auf die Zapfen albinotischer Gesch\u00f6pfe und auf solche, welche vor einemTapetum stehen, die n\u00e4mliche; bei albinotischen Menschen, die in gen\u00fcgend ged\u00e4mpftem Lichte gut sehen, liegt in der Fovea ein vollkommenes Sehorgan vor, das weder vor noch hinter sich irgend etwas Farbiges besitzt, da sich das vordere Gelb der macula lutea nur bis zum Rande der Grube erstreckt. Die optochemische Hypothese ist hiernach unbedingt auf die Annahme auch farbloser Sehstotfe angewiesen.\nIn den meisten Augen sind es zweierlei Sehzellen, die sich am Sehen betheiligen, die St\u00e4bchen und die Zapfen und f\u00fcr diese ist zun\u00e4chst festzustellen, ob sie noch sehen, wenn der Purpur verschwunden ist. So wahrscheinlich dies f\u00fcr das menschliche Auge sein mag, welches dar\u00fcber sicher entscheiden m\u00fcsste, so wenig l\u00e4sst es sich nachweisen. Wir sind ausser Stande die St\u00e4bchenfarbe im lebenden Auge des Menschen mit dem Augenspiegel zu constatiren. 0. Becker1 versuchte vergeblich Unterschiede der rothen Leuchtfarbe des Augengrundes vor und nach der Einwirkung von Licht, dem man die Bleichung glaubte Zutrauen zu m\u00fcssen, zu erkennen und \u00fcberzeugte sich an Thieraugen, auf deren Netzhaut ein sehr deutliches, nachtr\u00e4glich\n1 0. Becker a. a. 0.","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\nbei der Section gefundenes Optogramm erzeugt worden, dass purpur-haltige und purpurfreie Stellen weder vor dem pigmentirten, noch vor dem albinotischen Augengrunde auf der blutf\u00fchrenden Fl\u00e4che ophthal-moscopisch zu unterscheiden seien, womit die Frage nach der Sichtbarkeit des Sehpurpurs in situ und im lebenden uner\u00f6ffneten Auge'ein f\u00fcr alle Male verneinend entschieden ist. Da es v. Bezold und Engelhardt1 nicht gelang, mit H\u00fclfe der von ihnen erfundenen, zur farbigen Beleuchtung und zur Erkennung von Farben vorz\u00fcglichen ophthalmo-spectroskopischen Einrichtung andere Lichtabsorption, als die vom Blute bedingte im Augengrunde zu finden, so werden auch die Hoffnungen die An- oder Abwesenheit des Purpurs beim lebenden Menschen etwa auf Umwegen zu constatiren, sehr gering. Zwar gelang es A. Ewald2 \u00e4hnlich wie Tait3 und Boll4 des Morgens beim Erwachen eine Andeutung des eigenen Purpurs entoptisch wahrzunehmen und durch die Lage des rosenfarbenen Hofes um den, von ihm zuerst entoptisch gesehenen, gelben Flecken, welcher der Macula lutea entsprach, zu beweisen, dass die Wahrnehmung vom Sehpurpur herr\u00fchrt, die Erscheinung ist jedoch zu fl\u00fcchtig und zu schwer erreichbar um sie als Pr\u00fcfungsmittel zu verwenden. Meine an zahlreichen frischen menschlichen Augen gewonnenen Erfahrungen machen es wahrscheinlich, dass die, isolirt freilich keinem thierischen Sehpurpur an Lichtempfindlichkeit nachstehende Netzhautfarbe des Menschen, im Leben bedeutend resistenter ist, als bei allen bis jetzt darauf untersuchten Thieren, so dass erheblich kr\u00e4ftigere regenerative Vorg\u00e4nge f\u00fcr den Menschen vorauszusetzen sind.\nAn Thieren ist es leicht zu entscheiden, dass sie mit ausgeblichener Netzhaut noch sehr gut sehen und selbst Farben erkennen. Gr\u00fcndlich besonnte Fr\u00f6sche fangen im Sonnenscheine Fliegen mit sicherem Sprunge, was ein augenloser Frosch niemals thut und wenn man sie unter einen halb blauen, halb gr\u00fcnen Glasdeckel setzt, unter welchem sich der Sehpurpur nicht regenerirt, sondern vorhandener in gleicher Zeit ausbleicht, so suchen die Thiere nach einigen Minuten mit erstaunlicher Constanz und mit Ueberwindung erheblicher, in den Weg gelegter Hindernisse die ihnen am meisten zusagende gr\u00fcne Belichtung auf. Damit wird freilich nicht entschieden, ob ihre farblos gewordenen St\u00e4bchen noch sehen, weil sie Dasselbe ver-muthlich mit ihren Zapfen allein erreichen w\u00fcrden ; wenn man aber\n1\tEngelhardt a. a. 0.\n2\tA. Ewald, Ueber die entoptische Wahrnehmung der Macula lutea und des Sehpurpurs. Unters, aus dem physiol. Instit. z. Heidelberg H. S. 241.\n3\tTait, Edinburgh. Proceedings VII. p. 605. 1869\u201470.\n4\tBoll Arch. f. Anat. u. Physiol, a. a. O.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Hypothese mehrfacher Sehstoffe.\n331\nKaninchen, welche keine Zapfen oder keine purpurfreien Sehzellen zu besitzen scheinen, mit v\u00f6llig ausgeblichener Netzhaut, beim Aufenthalte im Lichte beobachtet, so \u00fcberzeugt man sich, dass sie ganz gewiss sehen. Sie fallen nicht von einem hohen Brette ohne Sprung herunter, st\u00fcrzen im Laufe nicht gegen Hindernisse oder in senkrecht abfallende Gruben, wie es blinden Kaninchen begegnet und sind im Stande \u00fcber lange schmale Latten zu laufen, von welchen blinde gleich herabgleiten. Dies d\u00fcrfte es sehr wahrscheinlich machen, dass auch St\u00e4bchen ohne Sehpurpur sehen und man w\u00fcrde daher in diesem Augenblicke Niemanden widerlegen k\u00f6nnen, der behauptete der Sehpurpur sei gar kein Sehstoff. Die optockemiscke Hypothese ist also gen\u00f6thigt auch in den St\u00e4bchen farblose Sehstoffe anzunehmen, womit nat\u00fcrlich nicht gesagt wird, dass ein unter gewissen Bedingungen in den St\u00e4bchen vorhandener gef\u00e4rbter K\u00f6rper, wie der Purpur, kein Sehstoff sei.1\n2. Hypothese mehrfacher Sehstoffe.\nNur mit dem Geh\u00f6rorgane theilt das Auge die Eigent\u00fcmlichkeit auf Erregungen geradezu colossaler Intensit\u00e4tsdifferenzen im gew\u00f6hnlichen Gebrauche reagiren zu m\u00fcssen. Wir sehen und unterscheiden Licht verschiedener Wellenl\u00e4ngen und erkennen an diesem, wie am gemischten Lichte Intensit\u00e4tsdifferenzen mit gr\u00f6sster Feinheit; wenn dieses Verm\u00f6gen \u00fcber und unter gewissen Grenzen auch merklich abnimmt, so ist doch der Spielraum innerhalb jener Grenzen ein enormer und die Anwesenheit feiner Empfindung bei \u00e4usserst schwachem Lichte unmittelbar nach ausserordentlich kr\u00e4ftiger Belichtung zweifellos. Dass solchen Aufgaben ein einzelner, elementarer Sinnesapparat gewachsen sei, ist schon schwer begreiflich, ganz unbegreiflich aber w\u00fcrde es sein, wenn er denselben mit einem einzigen Mittel, oder mit einem Sehstoffe gen\u00fcgte. Wir k\u00f6nnen uns die chemische Ver\u00e4nderlichkeit oder Erregbarkeit des Sehzellenleibes so gross vorstellen, dass sie nur durch den Vergleich mit der den Riechzellen des unglaublich feinsp\u00fcrigen Geruchsorgans\n1 Holmgren (Unters, a. d. physiol. Inst. z. Heidelberg a. a. 0.) fand, dass durch Licht entpurpurte Augen des Kaninchens bei erneuter Belichtung noch Schwankungen der electrischen Retinastr\u00f6me zeigen und schliesst daraus, sowie aus der electro-motorischen Unwirksamkeit abgestorbener oder alaunisirter, purpurhaltiger Augen w\u00e4hrend der Lichtbleiche, dass der Sehpurpur mit dem Sehen nichts zu schaffen habe. Auf die erstere Thatsache finden dieselben Betrachtungen Anwendung, wie die auf das Sehen ohne Sehpurpur bez\u00fcglichen, w\u00e4hrend die letztere Beobachtung ausserhalb der Discussion steht, da weder eine electrische Wirkung von dem chemischen Processe der Rhodopsinbleiche an sich vorauszusetzen, noch das Herkommen der Retinastr\u00f6me von den Sehzellen nachgewiesen ist.","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\nmancher Thiere zukommenden, einigermaassen fassbar wird und w\u00fcrden es dann verst\u00e4ndlich finden, wenn ein Sehstoff etwa von der geringen photochemischen Zersetzlichkeit des Fuscins zum Sehreger daf\u00fcr w\u00fcrde. Andererseits k\u00f6nnen wir von der erstaunlichen Zersetzlichkeit des Sehpurpurs am Lichte ausgehen und es sehr begreiflich finden, wie \u00e4usserst schwaches Licht unter Benutzung dieses fein rea girenden Mittels das Sehzellenprotoplasma chemisch erregend trifft. Was wir uns aber nicht vorstellen k\u00f6nnen ist, dass ein Sehstoff von den Eigenschaften des Sehpurpurs das Mittel sei, welches ein so hoch empfindliches Protoplasma bei intensiverem Lichte bed\u00fcrfe oder brauchen k\u00f6nne, ohne in verderblich maximale Erregung zu gerathen, wenn nicht die f\u00fcr den gerade jetzt entstandenen Sehreger vorhandene Erregbarkeit eine relativ geringe ist. Damit sind wir wieder auf die Hypothese mehrfacher Sehstoffe und ebensovieler, daraus entsprungener Sehreger gef\u00fchrt. Immerhin brauchen die Erregbarkeitsunterschiede gegen chemisch verschiedene Sehreger keine sehr grossen zu sein, denn das Auge vertr\u00e4gt bekanntlich allm\u00e4hlich gew\u00f6hntes und dann sehr angenehmes Licht, \u00e4usserst schlecht, wenn es pl\u00f6tzlich nach l\u00e4ngerem Dunkelaufenthalte dazu gelangt und nachdem sich der ver-muthlich zersetzlichste aller Sehstoffe, n\u00e4mlich der Sebpurpur in grosser Menge darin angeh\u00e4uft hat. Wir wissen was es heisst, ein wirklich ausgeruhtes Auge pl\u00f6tzlich dem gew\u00f6hnlich gebr\u00e4uchlichen oder selbst viel schw\u00e4cherem Lichte auszusetzen, da widerw\u00e4rtige Blendung und Unf\u00e4higkeit zu weiterem Sehen die n\u00e4chste Folge sind.\nII. Phototrope Erregungen in der Netzhaut.\nIrritable Gewebe durch bleichenden Sehpurpur zu reizen wurde vergeblich versucht. Gebleichte Frosch- und S\u00e4ugernetzh\u00e4ute schmecken auf der Zunge zerdr\u00fcckt ebenso indifferent, wie purpurne. Muskeln und Nerven mit dem Querschnitte der purpurnen St\u00e4bchenschicht angeschmiegt, werden nicht erregt, wenn pl\u00f6tzlich Sonnenlicht Zutritt und sind nicht mittelst Purpurcholatl\u00f6sungen w\u00e4hrend und durch deren Bleichung zu reizen, wenn die Galle verd\u00fcnnt genug ist, um an sich keine Erregung zu veranlassen. Auf die Haut reflexempfindlicher Fr\u00f6sche mit der St\u00e4bchenseite gelegte Retinae erzeugen beim Zutritte des Lichtes keine Reflexbewegungen.\nNach diesen negativen Befunden und w\u00e4hrend so wenig Aussichten vorhanden sind, eine nur durch den Purpur vermittelte Erregung im Auge nachzuweisen, wie gegenw\u00e4rtig, ist um so mehr Gewicht auf ein auch vom Lichte abh\u00e4ngiges Reizungs- und Bewegungs-","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Phototrope Erregungen in der Netzhaut.\n333\npk\u00e4nomen im Netzkautepitkelium zu legen, das die ersten Andeutungen objectiv erweislicher, pkotockemiscker Reizung nickt nur f\u00fcr das Auge, sondern f\u00fcr die gesammte organisirte Natur entk\u00e4lt. Die Ersckeinung gek\u00f6rt dem Pigmentepitkel an.\nDas von Boll zuerst an belickteten Frosckaugen bemerkte Aus-sckl\u00fcpfen der Retina im zerfetzten und epitkelbedeckten Zustande beruht nickt auf einer Consistenzver\u00e4nderung oder Erweichung der Membran, welche yon Boll 1 angenommen, aber schon (vergl. oben S. 301) widerlegt worden, sondern auf der von Czerny1 2 zuerst vermutketen Beweglichkeit des Protoplasmas der retinalen Epithelzellen und deren F orts\u00e4tze. Nachdem ick auf das Umkerwandern und auf die \u201e A b -Schichtung\u201c der Fuscinnadeln zwischen den St\u00e4bchen der lebenden Netzhaut im Zusammenh\u00e4nge mit der Belichtung und den restituti-ven Vorg\u00e4ngen nach der Belichtung3 aufmerksam gemacht, und Boll sich dieser* Auffassung im Wesentlichen wortgetreu4 angeschlossen hatte, gelang es durch sichere Methoden diese merkw\u00fcrdigen Vorg\u00e4nge genauer zu ermitteln und ihre Abh\u00e4ngigkeit von einer gr\u00f6sseren Anzahl das Auge treffender Einfl\u00fcsse festzustellen.\nAusser der directen Betrachtung in gew\u00f6hnlicher Weise, nach Lockerung der Opticusverbindung, unversehrt ausschl\u00fcpfender Netzh\u00e4ute sind hier Sckeerenscknitte durch die gesammten, in situ erhaltenen Gewebe des Augengrundes und feinste m\u00e9ridionale Durchschnitte geh\u00e4rteter Froschaugen zu verwenden. Die H\u00e4rtung darf nicht in Alkohol geschehen, welcher meist vollkommen unnat\u00fcrliche Trennungen des Epithels von den St\u00e4bchen, unter Einschrumpfung der Forts\u00e4tze gegen den Zellenleib, wie dieselbe im Leben niemals vorkommt, erzeugt, sondern wird mittelst der H. M\u00fcLLER\u2019schen Mischungen aus Natriumbichromat und Natriumsulpkat und nachtr\u00e4glicher Alkoholbehandlung bewirkt. Die Uebereinstimmung des Befundes an Sckeeren-durchschnitten und Umschlagr\u00e4ndern frischer Netzh\u00e4ute, mit dem an so geh\u00e4rteten Objecten b\u00fcrgt f\u00fcr die Erhaltung der nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnisse nach der genannten Behandlung.\nAh Schichtung en im Epithelpro top lasma.\nIm Allgemeinen ist der Satz : belichtete Netzh\u00e4ute bleiben leicht vom Epithel bedeckt, w\u00e4hrend dunkel gehaltene gew\u00f6hnlich pigmentfrei ausschl\u00fcpfen, richtig, aber er dr\u00fcckt weder den ganzen Sachverhalt\n1\tBoll, Monatsber. d. Berliner Acad. 1877. 11. Jan. Zusatz vom 15. Febr.\n2\tCzerny, Sitzgsber. d. Wiener Acad. LYI*\n3\tW. K\u00fchne, Ueber den Sehpurpur a. a. O. I. S. 21 u. 101.\n4\tCentralbl. f. d. med. Wiss. 1877. S. 408 Autoreferat, und Arch. f. Anat. u. Physiol. a. a. O.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\naus, noch bezeichnet er alle wesentlichen Bedingungen, unter welchen epithelfreie und epithelf\u00fchrende, schwarze und ungeschw\u00e4rzte Netzh\u00e4ute aus dem Bulbus kommen. Hinsichtlich des Verhaltens der St\u00e4bchen- und Epithelschicht ist Folgendes zu unterscheiden: 1. das Haften der beiden Schichten aneinander1, 2. die Vertheilung des Fuscins in den Epithelzellen und ihren Forts\u00e4tzen, 3. die Gestalt und Lage der Forts\u00e4tze, 4. der Schwellungsgrad der St\u00e4bchen. Von Einfluss hierauf sind 1. das Licht, 2. die Temperatur, 3. \u00f6demat\u00f6se Zust\u00e4nde, 4. der Tod oder die Exstirpation des Bulbus. Um den Einfluss von Licht und Dunkelheit m\u00f6glichst klar herauszusch\u00e4len gedenken wir zuerst der \u00fcbrigen wirksamen Einfl\u00fcsse. In jedem Froschauge, das V*\u201472 Stunde im abgeschnittenen Kopfe, oder exstirpirt und feucht erhalten verweilte, haftet das Epithel ungef\u00e4hr zu der Zeit, wo der Bulbus sichtlich an Spannung verloren, fest an der St\u00e4bchenschicht. Fig. 9a\nzeigt den Durchschnitt aus dem ganz frisch geh\u00e4rteten Auge eines im Dunkeln gehaltenen, mit Curare vergifteten, nicht \u00f6demat\u00f6sen Frosches, Fig. 9 b von demselben Frosche, dessen Auge eine Stunde nach der Exstirpation geh\u00e4rtet worden. Wie man sieht ist das Pigment w\u00e4hrend der Entwicklung des Haftens in gr\u00f6sserer Menge nach vorn gewandert und mit kleinen Antheilen selbst zwischen die Innenglieder der St\u00e4bchen, bis an die M. limitans ext.\nFig. 9 b.\nvorgeschritten.\nBei Dunkelfr\u00f6schen entwickelt sich das Haften des Epithels auch im Leben, wenn die Temperatur niedrig ist, bei 0\u00b0 in der Regel auf der ganzen Membran, bei etwas h\u00f6heren Temperaturen mehr theil-weise und seitlich, oft nur in einem Quadranten bis zum Centrum der Retina reichend. Das Abk\u00fchlen ist kein so sicheres Mittel, wie das Liegenlassen der exstirpirten Bulbi; in der ersten Stunde wirkt es besser, als bei l\u00e4ngerer Dauer. Fig. 10 von einem in Eiswasser gehaltenen Dunkelfrosche, zeigt mit der vorigen Fig. verglichen, das Pigment sp\u00e4rlich zwischen den St\u00e4bchen verbreitet und kein Fuscin zwischen den Innengliedern. Hier ist das Haften also von der Pigmentver-\ni Hierzu ist zu bemerken, dass Retinae mit fester verbundener Epithel- und St\u00e4bchenschicht auch in der Regel'* st\u00e4rker an der Chorio'idea adh\u00e4riren, und dass sie mit gr\u00f6sserer Vorsicht, als andere von dieser abgehoben werden m\u00fcssen, schon weil sie am meisten geneigt sind die Epithelkuppen oder deren H\u00fcte im Augengrunde zur\u00fcckzulassen.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Abschichtungen im Pigmentepithel.\n335\nFig. 10.\nFig. 11.\nbreitung unabh\u00e4ngig und k\u00f6nnte auf innigerer Verklebung farbloser Epithelforts\u00e4tze mit den St\u00e4bchen oder auch darauf beruhen, dass die Forts\u00e4tze resistenter geworden und schwerer zerreissen. Wie sehr die Abk\u00fchlung trotz einzelner beobachteter Unregelm\u00e4ssigkeiten das Haften bef\u00f6rdert, erhellt am besten daraus, dass es noch in demselben Sinne wirkt, wenn ausser dem Dunkelaufenthalte noch \u00f6de-mat\u00f6se Zust\u00e4nde, welche unter allen Verh\u00e4ltnissen am meisten zur Lockerung der betreffenden Schichten beitragen, im entgegengesetzten Sinne wirken. Fig. 11 zeigt, wie dann das Pigment vertheilt ist : es reicht zwar selten weit nach vorn, ist aber in ziemlicher Menge, etwa in der Mitte der St\u00e4bchenh\u00f6he, in Gestalt spindelf\u00f6rmiger Figuren angeh\u00e4uft. \u2014 Das Curare\u00f6dem mit der gleichwirkenden Temperaturerh\u00f6hung auf etwa 30\u00b0 C. combinirt erzeugt bei Dunkelfr\u00f6schen, trotz der \u00fcberaus bef\u00f6rderten Lockerung der Netzhaut von der Epithelschicht, weiteres Vorschreiten des Pigmentes zu den Innengliedern, unter Auftreten ganz schmaler, aus Fuscinnadeln gebildeter Reihen zwischen den St\u00e4bchen an deren ganzer L\u00e4nge: vergl. Fig. 12. Diese Forts\u00e4tze der Epithelzellen reissen aber sehr leicht kurz vor ihrer Wurzel ab. Lockerung erzeugt das Oe-dem, besonders in der W\u00e4rme, ausserdem an besonnten Fr\u00f6schen mit gebleichten St\u00e4bchen, und wie Fig. 13 zeigt, indem nur geringe Pigmentmengen zwischen den St\u00e4bchen bleiben, von welchen ein sehr kleiner Theil auch zwischen den Innengliedern liegt.\nHiermit sind die Mittel bezeichnet, die es giebt um das Epithel, den Einfl\u00fcssen des LiChtwechsels entgegen, bei Dunkelfr\u00f6schen haftend, bei Hellfr\u00f6schen gelockert zu erhalten. Entspricht unter jenen Mitteln das Curare\u00f6dem auch keinem nat\u00fcrlichen Zustande, so ist die Bekanntschaft mit seiner Wirkung doch sehr wichtig, weil die Curarel\u00e4hmung f\u00fcr methodische Belichtungsversuche unumg\u00e4ng-\nFig. 12.\nFig. 13.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\nlieh ist und weil die bei besonnten Fr\u00f6schen unvermeidliche Berieselung oft unabsichtlich zu Oedem f\u00fchrt. Welche Vortheile von dem Kunstgriffe, belichtete Netzh\u00e4ute mittelst des Oedems epithelfrei zu erhalten, zu erzielen sind, erhellte schon fr\u00fcher. \u2014 Der Einfluss der Temperatur muss selbstverst\u00e4ndlich bekannt sein, um \u00fcberhaupt den Gegensatz des Epithelverhaltens im Dunkeln gegen das im Lichte erfassen zu k\u00f6nnen; was im Folgenden \u00fcber den letzteren besonders wichtigen Unterschied mitgetheilt wird, bezieht sich daher auf Versuche, die bei m\u00f6glichst gleicher Temperatur von etwa 20\u00b0 C. angestellt wurden.\nA) Verhalten des Pigmentepithels bei Dunkelfr\u00f6schen\nHier l\u00f6st sich die Netzhaut leicht und vollkommen von der Epithelplatte ab. Gleichwohl sieht man an Schnitten geh\u00e4rteter oder an Scheerenschnitten frischer Augengr\u00fcnde das Pigment in starken, kegelf\u00f6rmigen Massen zwischen die St\u00e4bchen ragend, aber nicht weiter, als um etwa ein Drittel oder die H\u00e4lfte ihrer L\u00e4nge. Zwischen den Innengliedern findet sich kein Pigment, auch nicht wo daselbst Zapfen auftreten. Die im Augengrunde zur\u00fcckgebliebenen Epithelien, in Glask\u00f6rper, in d\u00fcnnem Salzwasser oder in OsO-i untersucht, zeigen sich mit entsprechend kegelf\u00f6rmigen, dunklen Forts\u00e4tzen behaftet, die in lange feine, fuscinfreie F\u00e4den \u00fcbergehen, welche theilweise so lang scheinen, dass sie gewiss bis zu den St\u00e4bcheninnengliedern oder bis an die M. limitans ext. reichen w\u00fcrden. Trotz der lockeren Verbindung sendet also das Betinaepitkel seine Ausl\u00e4ufer so tief in die Sehzellenschicht, wie nur je an einer untrennbar haftenden, mit dem grossen Unterschiede jedoch, dass jene F\u00e4den nur an der Wurzel Fuscinnadeln enthalten und nach vorn keine Anschwellung besitzen. Unter diesen Umst\u00e4nden, zu welchen noch der in Betracht kommt, dass die St\u00e4bchencylinder im Dunkeln den kleinsten Querdurchmesser besitzen, wird es begreiflich, dass die Zellen mit ihrem Barte leicht aus ihrer nat\u00fcrlichen Behausung entfernbar sind. Im Zellenleibe findet sich die Basis dicht gef\u00fcllt mit Pigment, das bis an die vordere Fl\u00e4che des Kerns reicht und nur am Bande etwas in die Kuppe emporsteigt. Falls Abk\u00fchlung die Vertheilung des Fuscins im Zellenleibe nicht \u00e4ndert, muss man aus dem Ansehen unbelichteter, gegen die Regel mit dem Epithel ausgeschl\u00fcpfter Netzh\u00e4ute schliessen, dass die St\u00e4bchenkuppen hier wenig vom Fuscin bedeckt werden, denn man sieht wenigstens die centralen Th eile der Netzhaut und auch wol eine mehr peripherische, halbmondf\u00f6rmige Stelle, trotz des tief sammetschwarzen Aussehens bei schr\u00e4ger Stellung zum eigenen Auge,","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Verhalten des Pigmentepithels im belichteten Auge.\n337\nrecht so beschaffen, wie eine gl\u00e4serne, durch schwarzen Flor geschlagene B\u00fcrste, wenn man senkrecht darauf blickt.\nB) Verhalten des Pigmentepithels bei belichteten Fr\u00f6schen.\nSind die St\u00e4bchen durch Licht entf\u00e4rbt, so f\u00e4llt ausser dem Haften der Epitheldecke, in der St\u00e4bchenschicht nach dem Abschaben jener, noch das tiefe Hineinragen dicker Pigmentschn\u00fcre und spindelf\u00f6rmiger Haufen yon Fuscinnadeln auf, in Folge welcher die Membran stark grau oder braun tingirt aussieht. Es hat sich hier Vieles ge\u00e4ndert: die Basis der Epithelzellen hat viel Fuscin auf Kosten der F\u00fcllung ihrer Forts\u00e4tze verloren, die urspr\u00fcnglich kegelf\u00f6rmigen Pigmenthaufen in den Wurzeln der Forts\u00e4tze sind fast ganz verschwunden und in G-estalt spindelf\u00f6rmiger Anh\u00e4ufungen an die vordere H\u00e4lfte der St\u00e4bchencylinder ger\u00fcckt, w\u00e4hrend ein Theil des Fuscins bis an die M. limitans vorgeschritten ist. Was im Zellenleibe vom Fuscin zur\u00fcckgeblieben ist, hat sich dort anders gelagert und zwar so, dass die St\u00e4bchenkuppen zum Theil mehr davon bedeckt werden, als im Dunkelauge; die ganze Retina sieht daher von der Epitheldecke betrachtet besonders dunkel aus, indem viel weniger Licht durch die Axen der St\u00e4bchen in die Kuppen der Epithelzellen dringt. Wie ich es zuerst erkl\u00e4rte, finden also w\u00e4hrend des Lebens die auffallendsten Wanderungen des Pigmentes innerhalb der Epithelzellen und ihrer Forts\u00e4tze statt, wobei es sich in wechselnder Weise abschichtet. In dem eben beschriebenen Zustande findet man die meisten aus fr\u00fcherer Zeit stammenden Schnittpr\u00e4parate der Retina mikroskopischer Sammlungen, an welchen gewiss schon Mancher die doppelte Pigmentzone bemerkte, deren eine der Basis der Zellenleiber entspricht, w\u00e4hrend die andere den vorderen spindelf\u00f6rmigen Fuscinhaufen in den Zellforts\u00e4tzen zwischen den St\u00e4bchen angeh\u00f6rt. Nach solchen Umlagerungen muss das Epithel der St\u00e4bchenschicht offenbar fest anhaften, da jeder Zellfortsatz zwischen den St\u00e4bchen mit einem Riegel versehen ist, der die Entfernung seiner weichen Masse verhindert und ihn bei Anwendung von Gewalt eher abreissen, als dieser folgen l\u00e4sst. Nach l\u00e4ngerer Belichtung kommt hierzu in der Schwellung der St\u00e4bchen (vergl. oben S. 310) ein weiterer Umstand, der im gleichen Sinne wirken muss, weil die Epithelforts\u00e4tze jetzt fester in die verschm\u00e4lerten St\u00e4bchenzwischenr\u00e4ume eingeklemmt werden. Ist die Belichtung bei\nHandbuch der Physiologie. Bd. in.\t22\nFig. 14.","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\n0\u00b0 erfolgt, so wird das Haften nicht wesentlich bef\u00f6rdert und von Durchschnitten der Retina das Fig. 14 dargestellte Bild erhalten, welches f\u00fcr alle Hellretinae charakteristisch ist.\nDas Haften des Epithels und die Einlagerung gr\u00f6sserer Fuscin-mengen zwischen den vorderen Antheilen der St\u00e4bchen nehmen durch Lichtentziehung allm\u00e4hlich ab und es stellen sich dann \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse, wie die f\u00fcr das Dunkelauge angegebenen nach etwa 1\u20142 Stunden her. Dies stimmt so auff\u00e4llig mit der Zeit, deren die St\u00e4bchen bed\u00fcrfen um den maximalen Purpurgehalt wieder zu gewinnen, dass der Gedanke nahe liegt, die Ver\u00e4nderungen am Epithel durch Licht mit der Purpurbleichung sowohl, wie mit der darauf folgenden regenerirenden Th\u00e4tigkeit der Epithelzellen in Verbindung zu bringen. Damit wird allerdings das Richtige h\u00f6chst wahrscheinlich getroffen, aber es darf deshalb nicht geschlossen werden, dass etwa Bleichung oder R\u00fcckkehr des Purpurs immer merklich sein m\u00fcssten, um die genannten Epithelzust\u00e4nde zu finden.\nUm die directe Beziehung des Lichtes zu den Vorg\u00e4ngen im Epithel aller Zweifel zu entheben, ist gl\u00fccklicher Weise wieder die op-tographische Methode verwendbar, welche hier zu einer eigenthitm-lichen Art von Optogrammen f\u00fchrt, die beim Frosche oft unerw\u00fcnscht leicht erhalten werden. Ist das Licht bei der fr\u00fcher (S. 301) beschriebenen Optographie am Frosche zu intensiv und die Expositionszeit kurz, so kommt die Netzhaut mit den sch\u00e4rfsten negativen, in schwarz und roth ausgef\u00fchrten Optogrammen zu Tage, die man ohne Weiteres durch Antrocknen im Lichte f\u00fcr lange als schwarzweisse Bilder fixi-ren kann. Nat\u00fcrlich ist zur Erzielung dieser epithelialen Opto-gramme Benetzung der Curarefr\u00f6sche zu vermeiden, damit kein Oe-dem die Befestigung des Epithels hindere. Man erh\u00e4lt solche Bilder am sichersten in etwa 20 Min., wo eine mit schwarzen Streifen versehene, matte Glastafel zum Objecte diente, auf welches directes Sonnenlicht fiel.1 *\nWenn Fr\u00f6sche bei mittlerer Temperatur auf dem Boden eines Topfes, im ged\u00e4mpften Lichte geschlossener R\u00e4ume einigermaassen ruhig sitzen, ist ihre Retina oft nur zu etwa 3/4 epithelfrei und im \u00fcbrigen Quadranten von dunklem Epithelsammet bedeckt zu erhalten, einer unteren Gegend des Auges entsprechend, mit welcher der\n1 Gute Andeutungen epithelialer Optogramme entstehen im Froschauge auch\nunabsichtlich, denn wenn man St\u00e4bchen- oder Purpuroptogramme mit oder ohne\nOedem erzeugt hat, bleiben diese in Folge nachtr\u00e4glichen Yerwischens durch Licht oft noch zu negativen verkehrt bestehen, indem die im Lehen gebleichten B\u00e4nder jetzt vor den \u00fcbrigen durch zwischen den St\u00e4bchen gebliebene Fuscinreste grau tingirt, zuweilen recht scharf zum Yorschein kommen.","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Phototrope Erregung. Einfluss des rothen Lichtes.\t339\nFrosch gegen die hellen Fenster blickte. Unter den Epitheldecken sind die St\u00e4bchen entweder kaum ver\u00e4ndert, oder in andern F\u00e4llen roth, orange oder dunkel chamois. Die phototrope Epithelreaction beginnt also lange vor vollendeter Bleichung des Purpurs; sie ist vortrefflich bei m\u00e4ssigem, die St\u00e4bchen nicht bleichendem Lichte, am besten entwickelt bei solchem, das die St\u00e4bchenfarbe bis zu hellem Gelb bringt und dort weit ausgepr\u00e4gter, als an gr\u00fcndlich besonnten Fr\u00f6schen, wo sie dagegen bald nach begonnener Lichtentziehung das Maximum erreicht. Alle Belichtungen, welche die Regeneration dauernd in Anspruch nehmen und dem Gleichgewichtszust\u00e4nde zwischen Purpurbleiche und Wiederherstellung am g\u00fcnstigsten sind, wirken also am st\u00e4rksten auf das Epithel. Nichts kann dies schlagender beweisen, als der Effect des rothen Lichtes, welches so m\u00e4chtige Pigmententleerungen der Basis der Epithelzellen und so massenhaftes und weit liach vorn reichendes Wandern des Fuscins in die St\u00e4bchenzwischenr\u00e4ume hervorruft, dass es den mehrfach erw\u00e4hnten kr\u00e4ftigsten Lockerungsmitteln fast unm\u00f6glich wird, die St\u00e4bchen von der Epitheldecke oder deren Ausl\u00e4ufern zu trennen. Fig. 15 zeigt den Durchschnitt des Sinnesepithels einer so behandelten Netzhaut. Wie zu erwarten ist die Erscheinung zu der Zeit, oder bei solchen Intensit\u00e4ten der Rothbelichtung, welche den Purpur gerade normal erhalten, am meisten ausgepr\u00e4gt, w\u00e4hrend sie, \u00e4hnlich wie nach \u00fcberm\u00e4ssiger Besonnung, bedeutend nachl\u00e4sst, wenn endlich andauernde Bleichung erzielt ist. Hieraus erkl\u00e4rt sich auch die fr\u00fcher bei der Optographie am Frosche mitgetheilte, anscheinend paradoxe Thatsache, dass Lockerung des Epithels bei belichteten Froschaugen ohne Oedem noch am besten erzielt wird, wenn die Ausbleichung allm\u00e4hlich, nach sehr langer Exposition an m\u00e4ssigem Lichte bewirkt worden : man empf\u00e4ngt den Eindruck, als ob diese Ausbleichung in Wirklichkeit keine so allm\u00e4hliche sei, sondern in einem sp\u00e4ten Stadium mit gr\u00f6sserer Geschwindigkeit zur vollkommenen Entf\u00e4rbung gehe, wenn das lange regenerativ angestrengte Epithel in dieser seiner Function erlahmt, mit welcher Periode auch der R\u00fcckgang der phototropen Fuscinab-schichtung zusammenzufallen scheint.\nWahrscheinlich kommt die phototrope Epithelreaction allen Wirbel-thieren zu. Bei den V\u00f6geln gelingt das Abheben der Netzhaut ohne Epithel fast immer, wenn die Thiere im Dunkeln verweilten, w\u00e4hrend die Membran aus frischen, belichteten Augen nahezu in ganzer Ausdehnung\n22*\nFig. 15.","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen.\ndicht vom Pigment bedeckt ausschl\u00fcpft. Beim Kaninchen und dem Rinde ist ein st\u00e4rkeres Haften nach Belichtung unzweifelhaft, wird aber durch Einlegen der frischen Augen in Alaun gehoben. Nur wenn die Augen 1/2\u20141 Stunde nach dem Tode in den Alaun gekommen, bleibt an der geh\u00e4rteten Netzhaut Pigment, das sich an Optogrammen vorzugsweise und oft sehr scharf begrenzt auf die belichteten Stellen beschr\u00e4nkt findet. Beim Hunde haftet das gelbliche Tapetalepithel frisch in Alaun gebrachter Augen in der Regel an den hellen Streifen des Optogramms. F\u00fcr das Auge des Affen, dessen Retina nach keinem Dunkelaufenthalte vom Epithel trennbar gefunden wurde, bildet die Alaunh\u00e4rtung ebenfalls das Mittel, vollkommen pigmentfreie Pr\u00e4parate zu erzielen. Aus menschlichen, in Eis conservirten Augen im Dunkeln Verstorbener schl\u00fcpfte die Retina vorwiegend pigmentfrei ab; in einem Falle, wo ein 2 Stunden im Dunkeln gehaltenes normales Auge, unmittelbar nach der Enucleation am Lebenden, untersucht wurde, war die Netzhaut unter Salzwasser mit gr\u00f6sster Leichtigkeit vollkommen pigmentfrei dem Augengrunde zu entnehmen. Nur die Augen eines im Hellen, mit weit ge\u00f6ffneter Pupille verstorbenen Menschen, lieferten bei fast normalem Purpurgehalte stellenweise stark und fest mit Epithel \u00fcberzogene Netzh\u00e4ute; in diesem Falle waren die Augen sofort nach dem Tode ins Dunkle versetzt worden und 24 Stunden in Eis conservirt.\nMussten die bis heute \u00fcber den Sehpurpur erworbenen Erfahrungen die Frage nach erregenden, objectiv in der Netzhaut nachweislichen Wirkungen g\u00e4nzlich unentschieden lassen, so liegt nun in der phototropen Reaction des Pigmentepithels eine unzweideutige Beantwortung vor, welche dem Lichte einen erkennbar erregenden Einfluss auf das Epithelprotoplasma zuschreibt. Unzweifelhaft werden die Fuscinnadeln erst in Folge von Bewegungen des Protoplasmas, in welches sie eingebettet sind, bewegt, und von diesem nur mitgeschleppt oder in seinem Innern umhergetrieben oder abgeschichtet, wie dergleichen in allem contractilen Protoplasma zu sehen ist, das erkennbare K\u00f6rnchen, Pigmenttheilchen oder leicht zu unterscheidende, von Aussen eingef\u00fchrte Dinge enth\u00e4lt. Viele solche, dem Auge g\u00e4nzlich fremde Zellen zeigen \u00e4hnliche Reaction auf Licht, besonders wenn sie Pigmente enthalten, welche wie das Fuscin des retinalen Epithels, niedere Grade von Lichtempfindlichkeit besitzen, wof\u00fcr die contractilen mit dem Lichte ver\u00e4nderlichen Pigmentzellen in der Haut des Frosches ein bekanntes, die des Cham\u00e4leon namentlich nach Br\u00fccke\u2019s1 Beobachtungen, die mancher Fische und vieler Wirbellosen noch bessere Beispiele liefern. Seit aus Strasburger\u2019s2 Untersuchungen auch auf Licht reagirende Elementarorganismen be-\n1\tE. Br\u00fccke, Wiener Denkschriften 1852.\n2\tE. Strasburger, Wirkung des Lichtes u. s. w. Jena 1878.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Phototrope Epithelreaction.\n341\nkannt sind, welche keine Farbstoffe enthalten, ist Lichtempfindlich-keit wol auch vom Protoplasma einiger farblosen thierischen Zellen zu erwarten, wor\u00fcber das albinotische und tapetale Retinaepithel noch weitere Aufschl\u00fcsse versprechen. Wie Alles dazu dr\u00e4ngt in den Sehzellen auch farblose Sehstoffe anzunehmen und im Sehpurpur nur eine Substanz jener Art zu erblicken, die uns wegen ihrer gl\u00fccklicherweise farbigen Beschaffenheit zuerst bekannt geworden, so steht der Annahme \u00e4hnlicher Stoffe in allem Protoplasma, das auf Licht reagirt, nichts entgegen, in welchem Falle die Hypothese der Sehreger auf alle phototrope animale Reaction zu \u00fcbertragen ist, die damit zu einem chemischen Reizungsph\u00e4nomen w\u00fcrde.\nDie Bedeutung des retinalen Epithels f\u00fcr das Sehen kann wahrscheinlich nur eine indirecte sein, da dasselbe, wenn vielleicht nicht aller nerv\u00f6sen Verbindung, so doch der Verkn\u00fcpfung mit der grossen Zahl feinster Opticusausstrahlungen entbehrt, deren ein Stratum echter Sehzellen bedarf. Das mit den Querschnittsmaassen der St\u00e4bchen und Zapfen gut \u00fcbereinstimmende Unterscheidungsverm\u00f6gen des menschlichen Auges f\u00fcr kleinste Abst\u00e4nde weist vollends die Auffassung der dazu selbst in der Fovea centralis noch viel zu breiten Epithelzellen als Sehzellen ab. Um so mehr Gewicht wird auf die nachgewiesene, merkw\u00fcrdige optochemische Beziehung dieser Zellen zu den St\u00e4bchen und auf ihre daraus hervorgehende indirecte Bedeutung f\u00fcr das Sehen zu legen sein. Giebt es ein Sehen mit dem Sehpurpur, so w\u00fcrde es nach dem ersten Gebrauche dahin sein, wenn das Epithel nicht vorhanden oder seine regenerative Function vernichtet w\u00e4re. Ausserdem verdient das Epithel in rein optischer Beziehung Beachtung, da es manche F\u00e4lle von Irradiation beim Sehen verst\u00e4ndlich macht, insofern jede seiner Zellen mehrere St\u00e4bchen aufnimmt, und das durch ein Glied solcher Gruppen gegangene Licht nach der Reflexion an den R\u00fcckfl\u00e4chen des Auges auf seinem R\u00fcckg\u00e4nge benachbarte St\u00e4bchen mit trifft. In dieser Beziehung k\u00f6nnte das Wandern des Pigmentes auf den St\u00e4bchenkuppen, das dieselben bald enth\u00fcllt, bald wieder verdeckt, merkliche Inconstanzen beim Sehen erzeugen.\nSind die St\u00e4bchen und Zapfen durch mechanische Reize erregbar, wie es manche Erscheinungen bei Druckversuchen an unserem Auge wahrscheinlich machen, so ist eine mechanische Reizung der St\u00e4bchenkuppen, sowie der St\u00e4bchen- und Zapfenaussenfl\u00e4chen durch die beweglichen, spitzen Fuscinnadeln, welche dieselben reiben k\u00f6nnten, denkbar, wenn ein irritabler Bestandtheil der Innenglieder in die cuticu-laren Aussenglieder emporreichen sollte. Freilich w\u00fcrden auf derartigen Erregungen h\u00f6chstens Lichtempfindungen langsameren Verlaufes","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342 K\u00fchne, Physiol. Optik III. 3. Cap. Bedeut, d. photochem. Processe f\u00fcr d. Sehen\noder Nachempfind\u00fcngen beruhen k\u00f6nnen, die, obschon an sich unwesentlich, vielleicht einiges Verst\u00e4ndniss des sonderbaren, ausschliesslichen Vorkommens der scharfnadligen Formen des Fuscins in dem Antheile des epithelialen Pigmentbreies verspr\u00e4chen, der mit den St\u00e4bchen in Ber\u00fchrung kommt und nach vorn zu dringen vermag.","page":342}],"identifier":"lit19186","issued":"1879","language":"de","pages":"235-342","startpages":"235","title":"Erster Theil: Physiologie des Gesichtssinns, Dritter Theil: Chemische Vorg\u00e4nge in der Netzhaut","type":"Book Section","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:05:00.435851+00:00"}