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{"created":"2022-01-31T14:05:37.666341+00:00","id":"lit19187","links":{},"metadata":{"alternative":"Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hensen, Victor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"In: Handbuch der Physiologie. Band 3: Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, edited by Ludimar Hermann, 1-142. Leipzig: F. C. W. Vogel","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Von\nProf. V. HENSEN in Kiel.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.\nI","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n\n","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"EINLEITUNG.\nIn der heutigen Bearbeitung der Physiologie des Ohres findet die \u00e4ltere Literatur wenig Raum; wenn man jedoch von Haller\u2019s Elementa physiologiae IV. Lausannae 1763, Einsicht nehmen will, wo ein sehr vollst\u00e4ndiger Literaturnachweis gegeben ist, wird man erkennen, dass grosse experimentelle und philosophische Arbeiten unserer Vorfahren n\u00f6thig und unentbehrlich waren, um den jetzigen Standpunkt unseres Wissens zu schaffen. Wie Haller sich in manchen St\u00fccken auf Euler\u2019s Arbeiten st\u00fctzen konnte, fand Joh. M\u00fcller\u2019s, (Physiologie 1840) unsere Kenntnisse sehr f\u00f6rdernde Bearbeitung des Gegenstandes, in den verschiedenen Versuchen von Savart und in Chladni\u2019s Akustik (Leipzig 1802), namentlich aber in der Wellenlehre der Gebr\u00fcder Weber (Leipzig 1825) einen Anhalt. Den sp\u00e4teren physiologischen Bearbeitungen von Rinne (Prager Vjsehr. 1855), Harless (Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. IV. 1853), Ludwig (Lehrb. d. Physiol. 1858) u. A. standen namentlich die Arbeiten von Seebeck (Dove\u2019s Repert. VIII. Akustik) zur Seite. W\u00e4hrend dann auf der einen Seite Corti\u2019s (Ztschr. f. wiss. Zool. III) und Max Schultze\u2019s (M\u00fcller\u2019s Archiv 1850) histologische Arbeiten die Kenntnisse des Labyrinths zeitigten, begann andererseits Helmholtz im Anschluss an Ohm\u2019s Klanganalyse (Ann. d. Physik. LIX. u. LXII) seine Th\u00e4tigkeit auf akustischem Gebiet. Man findet dieselbe am vollkommensten dargelegt in der, jetzt in vierter Auflage erschienenen \u201eLehre von den Tonempfindungen\u201c (Braunschweig 1878). Helmholtz hat die Physiologie des Ohrs so tief und zugleich so umfassend bearbeitet, dass seine Lehren dies Gebiet mit Recht beherrschen. Hinzugekommen sind zu seinen Arbeiten, um Einiges zu nennen, die experimentellen Pr\u00fcfungen der Bewegungen des Paukenapparates, deren Mach sich in verschiedenen Aufs\u00e4tzen besonders angenommen hat, und die Untersuchungen von Preyer \u00fcber die Feinheit der Empfindungen, w\u00e4hrend A. v. Oettingen die physiologische Theorie der Musik weiter gef\u00fchrt hat.\nl*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nEine kurze Definition der Vorg\u00e4nge, mit welchen sich die Physiologie des Geh\u00f6rorgans zu besch\u00e4ftigen hat,' ist uns in Newton\u2019s1 Principien \u00dcbermacht. Der Schall, heisst es dort, ist die, der Luft mitgetheilte und an das Ohr \u00fcbertragene, zitternde und vibrirende Bewegung der Partikel des t\u00f6nenden K\u00f6rpers.\nSchall ist der allgemeinste Ausdruck f\u00fcr diejenige Bewegung, welche unser Geh\u00f6rorgan empfindet. Jede genauere Beachtung derselben l\u00e4sst uns den Schall entweder als Ton oder als Ger\u00e4usch oder als Gemisch beider bezeichnen.\nDer Tou.\nWenn ein materieller Punkt durch \u00e4ussere Kr\u00e4fte aus seiner Gleichgewichtslage entfernt worden ist, so f\u00fchrt er, losgelassen, nach Analogie eines Pendels, Schwingungen um seine Ruhelage aus. Den Abstand des \u00e4ussersten Punkts seiner Bahn von dem Ort der Ruhelage, nennt man die Amplitude seiner Schwingung, die doppelte Amplitude, seine Elongation. Die Zeit, welche der Punkt braucht, um von einer Stelle seiner Bahn aus wieder auf dieselbe Stelle mit derselben Bewegungsrichtung, mit welcher er den Lauf begann, zur\u00fcckzukehren, bezeichnet man als Schwingungsdauer einer Schwingung (franz\u00f6sisch vibration double v. d.). Eine halbe Schwingung (vibration simple) vollf\u00fchrt der Punkt in der halben Schwingungsdauer. W\u00e4hrend der Zeit einer Schwingung wird er jeden Theil seiner Bahn zweimal durchlaufen, jeden Endpunkt einmal ber\u00fchren m\u00fcssen, wenn, was hier nur interessirt, seine Bahn auf einer geraden Linie liegt. Der Bewegungszustand des Punktes wird als Schwingungsphase bezeichnet, Dieser Ausdruck umfasst 1) die Angabe des Orts auf der Bahn, 2) die Richtung, in welcher sich der Punkt in dem gedachten Augenblick bewegt. Der Ort der Gleichgewichtslage wird als O-Punkt angesehen ; es ist gleichg\u00fcltig, welchen Theil der Bahn man als positiv betrachtet, bei graphischen Darstellungen pflegt man den oberen, eventuell den nach rechts gehenden Theil der Bahn positiv zu nehmen.\nDie um eine halbe Schwingungsdauer von einander entfernten Phasen nennt man entgegengesetzte. Der in diesen beiden Phasen sich befindende Punkt bewegt sich mit gleicher Geschwindigkeit aber in entgegengesetzter Richtung, und die betreffen-\n1 Newton , Philosophiae naturalis principia mathematica. Genevael740. Tom. R. p. 348.","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Toncurve.\n5\nden Orte liegen in gleicher Entfernung von dem O-Punkt der Bahn oder in diesem.\nDie Form der Schwingung eines Punktes und weiterhin von Punktreihen, ist durch mathematische Formeln, die eine bequeme Anwendung gestatten, festgestellt.\nWenn ein Punkt unter den Einfl\u00fcssen, welche bei den die Luft durchlaufenden Tonwellen zur Geltung kommen, schwingt, so wird der Ort dieses Punktes f\u00fcr jeden Augenblick gefunden durch die\nGleichung\ny = a sin 2 n \u2014\u2022\n0)\nworin y seinen Abstand von der Gleichgewichtslage, a die Amplitude 7t = 180 \u00b0, t der beliebig zu w\u00e4hlende Moment ist, f\u00fcr welchen die Lage bestimmt werden soll. F\u00fcr den Anfang der Schwingung ist t = 0 zu setzen. T ist die Schwingungsdauer. F\u00fcr den Werth 1 1\n-jt schreibt man h\u00e4ufig n also T= \u2014 giebt n = 10, und die Formel wird y = a sin 2 rent, a = 2, t = 0,01\" giebt y = 2 \u2022 sin 36 \u00b0 = + 1,18 mm.\nIn derselben Weise bestimmt sich die Geschwindigkeit v des Punkts zur Zeit t durch:\n2 n\tt\tre),\nv\u2014. a cos 2 n \u2014........................(2J\nDie einem Molekel mitgetheilte Bewegung pflanzt sich in elastischen Massen auf das folgende fort. Bei der Untersuchung dieses Vorgangs ist bis vor Kurzem die Eigenbewegung der Molek\u00fcle vernachl\u00e4ssigt worden; in der That wird sie durch die Bewegung der Nachbarmolekel so v\u00f6llig compensirt, dass wir jedes Molekel als ruhend ansehen d\u00fcrfen. (Bei Fortbewegung ganzer Massen, z. B. Luftstr\u00f6mungen \u00e4ndert sich die Fortbewegung des Stosses.)\nWenn die Bedingungen der Gleichgewichtslage und des Stosses f\u00fcr alle Theile einer Molekelreihe dieselben sind (wie in freien B\u00e4umen) so wiederholt jedes folgende Molekel genau die Schwingungen des vorhergehenden mit dem Unterschied, dass das erstere ein wenig sp\u00e4ter beginnt wie letzteres.\nWegen einer ganz bestimmten Beziehung zwischen Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Stosses und Schwingungsdauer l\u00e4sst sich dieser Vorgang in die oben gegebene Formel einbegreifen.\nDie Geschwindigkeit der Fortpflanzung ist f\u00fcr die verschiedenen Tonh\u00f6hen constant. Wird der Weg um welchen sich der Stoss in der Sekunde fortbewegt mit c bezeichnet und festgesetzt, dass in dem beliebig kleinen Zeittheil t die Schwingung (Stoss) sich von einem","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nbis zum n\u00e4chsten Molekel um die Wegestrecke \u00a7 fortpflanze dann besteht die Gleichung\tct = '\u00c7.\nda t sehr klein, wird eine ganze Zahl m so gew\u00e4hlt werden k\u00f6nnen, dass\n?nr \u2014 T\ndie Schwingungsdauer eines zu untersuchenden Tons ist. Dann ist\nciriT = m'\u00a3, = cT,\nd. h. w\u00e4hrend einer Schwingung\u2019sdauer T durchl\u00e4uft die Bewegung die Strecke m \u00a3, es werden alle auf dieser Strecke liegenden Molekel den Anstoss successive erhalten haben, welcher zur Zeit t\u2014O am Anfang der Strecke m \u00a3 eintraf. Hatte das am Anfang liegende Molekel gerade eine Schwingung vollendet, so wird das am Ende von m \u00a3 liegende im Begriff sein mit einer Schwingung zu beginnen. Alle dazwischen liegenden Molekel werden successive in allen Schwingungsphasen, die bei Pendelschwingungen Vorkommen, begriffen sein, jedes wird aber eine andere Phase haben. Diese, durch eine grosse Reihe von Molekeln repr\u00e4sentirte volle Schwingung wird als Welle bezeichnet. Ihre L\u00e4nge X ist durch die Formel\n,\t.\tX = c T.........................(3)\nbestimmt.\nDa in einem Wellenzuge jedes folgende Molekel um soviel sp\u00e4ter zu schwingen beginnt, wie die Wegstrecke, welche der Stoss von Molekel zu Molekel zu durchlaufen hat, an Zeit erfordert, so\nwird seine Phase getroffen, wenn von dem Ausdruck -j, die betref-\nfende Zeit oder, was dasselbe ist, die zwischen dem ersten und den folgenden Molekeln befindliche Wegstrecke abgezogen wird. Da jede Welle die Wiederholung der fr\u00fcheren ist, gen\u00fcgt es f\u00fcr die Bestimmung eines Wellenzuges den variablen Bruchtheil einer Wellenl\u00e4nge d. i. den Ausdruck j als Minuendus f\u00fcr ^ einzusetzen, also\nzu schreiben:\ny = a sin 2 n\nv = a\n2 n\nT~\nCOS 2 n\n(4)\n(5)\nDiese Formeln behalten G\u00fcltigkeit f\u00fcr jeden numerischen Werth von x. F\u00fcr das, die Bewegung beginnende Molekel ist x = 07 die Formeln nehmen die Gestalt von 1 u. 2 an. F\u00fcr alle vorhergehenden hat x den Abst\u00e4nden entsprechende Werthe, doch ist zu beachten, dass sin (a \u00b1 2 n tc) oder cos [a \u00b1 2 n 7t) = sin. a u. cos. a, wenn n eine ganze Zahl. Die Werthe von x welche zwischen 0 u. X liegen, geben also schon alle vorkommenden Werthe.' Wird f\u00fcr x eine Constante gesetzt, so wird dadurch der Anfang der Bewegung gegen\u00fcber","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Intervalle.\n7\nder Formel 1 um eine entsprechende Phase verschoben. Graphisch l\u00e4sst sich die Formel 4 nicht darstellen, weil sie die Welle in ihrem steten Wechsel giebt, doch kann man die Phasen z. B.\nhxiren wie dies in Fig. 1 geschehen ist.\na\n: \u2022 \u2022\u2022\u2022 t\nA. Eine Anzahl von Lagen des schwingenden Punktes a sind mit H\u00fclfe einer Zw\u00f6lftheilung des Kreisbogens f\u00fcr 12 Phasen nach Formel 1 gezeichnet, dabei ist a = 6 mm. genommen. Der Punkt wird die Transversalwelle C verzeichnen, wenn an ihm eine Fl\u00e4che in der Richtung der Abscisse B in gleichm\u00e4ssiger Geschwindigkeit vorbeigezogen wird, die Ordinaten y stehen auf V12 der Wellenl\u00e4nge. Eine Reihe wie bei D angeordneter Molekel w\u00fcrde nach demselben Gesetz bei dem Durchgang einer Welle der angegebenen Amplitude eine zu Verdichtung und Verd\u00fcnnung f\u00fchrende Verschiebung erleiden, wie solches durch die Reihe E dargestellt ist.\nDie T\u00f6ne machen je nach der absoluten Geschwindigkeit ihrer Oseillationen einen verschiedenen Eindruck auf unser Ohr ; die langsamer schwingenden sind tiefer wie die rascher schwingenden. Man unterscheidet unter allen m\u00f6glichen T\u00f6nen gewisse durch bestimmte Abst\u00e4nde \u2014 Tonstufen \u2014 von einander getrennte T\u00f6ne. Eine Hauptstufe ist die Octave, weil die sie abgrenzenden beiden T\u00f6ne sich jedem Ohr als h\u00f6chst verwandte darstellen. Sie umfasst alle Schwingungen, welche zwischen einfacher und doppelter Oscillationsgeschwindigkeit liegen. Innerhalb jeder Octave werden durch die Tonleiter noch 7 ungleich breite Stufen unterschieden, n\u00e4mlich:\nC : D : E : F : G : A : H : C\nDie obere Reihe giebt den Bruch an, mit welchem der Grundton zu multipliciren ist, um die Schwingungszahl des betreffenden Tons","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nzu erhalten, die untere Reihe giebt die Gr\u00f6sse des Intervalls der einzelnen Tonstufen.\nDie absoluten Schwingungszahlen (v. d.) nehmen die Physiker wie folgt an:\nGebr\u00e4uchliche T\u00f6ne (Tab. I.).\nNamen\t\tContra- Octave.\tGrosse Octave.\tUnge- strichene Octave.\tEinge- strichene Octave.\tZweige- strichene Octave.\tDreige- strichene Octave.\tVierge- strichene Octave.\n( o a 2 o S\u00e4 \u2022\u201c\tO CO\tCi\u2014 Hi\tC-H\tc \u2014 h\tc' \u2014 h'\tc\"\u2014 h\" '\tI\t\n1* GQ\tO\t\t\t\t\t\t\t\n\t\t\t\t\t| r\t+\u00e4L\t8 va \u00a3 GL\t^ F\n\t\trv\t.\t\ti v\u2014\t\t\t\n\t\t\t1-\t\t\t\t\t/Lr\t&-\tj\u2014&\u2014-\u2014\t'\t1\n\t\t\t!\u2014I\u2014&\u2014\t1 CS\tM\u2014i\u2014|h-\t\t\t\n\t\t\t\t\t; V\t\t\t\nut.\tc.\t- 33\t66\t132\t264\t528\t1056\t2112\nRe.\tD.\t37,125\t74,25\t!\t148,5\t297\t594\t1188\t2376\nMi.\tE.\t41,25\t82,5\t165\t330\t660\t1320\t2640\nFa.\tF.\t44\t1 88\t176\t352\t704\t1408\t2816\nSol.\tG.\t49,5\t99\tI 198\t396\tI 792\t1584\t3168\nLa.\tA.\t55\t110\t220\t440\t880\t1760\t3520\nSi.\tH.\t61,875\t! 123,75\t1 247,5\t! 495\t1 990\t1980\t3960\nZusammensetzung von Schwingungen.\nDie bisher besprochene Bewegung, deren Form eine- Sinuscurve darstellt, kommt in der Natur fast nicht vor; in der Regel greifen gleichzeitig mehrere Kr\u00e4fte den schwingenden Punkt an, wodurch die Form der Bewegung complicirter wird. Sind die entstehenden Bewegungen einander parallel, so sum mir en sie sich einfach. Wenn also zurZeit t ein Punkt in Folge der einzelnen St\u00f6sse die Ordinateny\u2014 y\u2018 + y\"\u2014............yn haben w\u00fcrde, so w\u00e4re bei gleich-\nzeitiger Wirkung aller die resultirende Ordinate I\ni = y \u2014 y 4- y\" \u2014...........\nDurch solche Summirung kann die Bewegung h\u00f6chst verwickelt werden.\nTheilt\u00f6ne.\nWenn sich der langsamsten Schwingung sogleich eine Reihe von T\u00f6nen der genau doppelten, dreifachen, \u00fcberhaupt vielfachen","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Theilt\u00f6ne.\n9\nSchwingungsgeschwindigkeit hinzugesellt, so gestaltet sich der Ausdruck des Vorgangs f\u00fcr den einzelnen Punkt nach folgender Form :\ny = a sin 2\t+ b sin 4 n -j- c sin 6 n -f- \u2022 \u2022 \u2022 p sin 2 n n ~ (6)\nM'\nDie Bewegung ist also die Resultante so vieler einfacher Schwingungen, wie Glieder auf der rechten Seite befindlich sind und die Ge-\nsammtheit dieser Glieder nach ihrer Periode und Amplitude bestimmt die Form der Bewegung. Jedes einzelne Glied bezeichnet man als\n* Fig. 2 a' af Abscissenaxe, a 1b 2., c 3. Theilton von 11 mm. Amplitude zu der Toncurve d vereint, halbe Wellenl\u00e4nge bei A. Fig. 3 giebt die Curve der 8 ersten Theilt\u00f6ne alle mit einer Amplitude von 5 mm.","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nTheil- oder Partialton und benennt es als 1., 2., 3., 4. Glied, je nach der Ordnungszahl, die ihm in der geschlossenen Theiltonreihe zukommt. Ist z. B. CiC (Tab.I) der erste Th\u00e9ilton, so sind C\u2014G, c, e. g die 5 folgenden, c\u2018, d\u2018, e\u2018 der 8. bis 10., h\u2018 c\u2018 der 15. und 16. Theilton. Den zweiten Theilton bezeichnet man als ersten harmonischen Oberton, den dritten als zweiten h. Oberton u. s. w.\nNach Fig. 2 und 3 l\u00e4sst sich der Gang der Bewegung \u00fcbersehen. Bei gen\u00fcgender St\u00e4rke der Obert\u00f6ne erh\u00e4lt die Welle so viel Gipfel, wie die Ordnungszahl des h\u00f6chsten Theiltons angiebt. Je mehr T\u00f6ne, desto flacher werden die Gipfel in der Mitte, desto h\u00f6her und st\u00e4rker am Anfang und Ende der Periode. In Folge der Wirkung des ersten Theiltons schneidet die Axe der Welle die Abscisse unter spitzem Winkel in der Wellenmitte, wo stets die Ordinate = 0 ist.\nFig. 4. Die ausgezogene Linie ist Welle des Duraceords, n\u00e4mlich Grundton, gr. Terz, Quinte, Octave. Die gestrichelte Linie IV, VIII ist die combinirte Curve von Grundton und erstem Oberton (Octav) Curve V punktirt, ist gr. Terz, Curve VI doppeltpunktirt, die Quint.\nFallen Theilt\u00f6ne ganz aus, so \u00e4ndert sich die Gestalt der Curve\nerheblich. So entsteht z. B. die Figur 4 aus der Gleichung\nt\tt\tt .\tt\ny = sm 8 n \u2014 -f- sin 10 n \u2014 -f- sin 12 n \u2014 -{- sm 16 n \u2014\nin welcher die Amplitude zu 11 mm genommen ist.\nEs ist dies also eine Theiltoncurve, in welcher 1., 2., 3. und","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Combinirte Wellenbewegung.\n11\n7. Ton fehlen. Trotzdem ist die Wellen-\nt\nl\u00e4nge diejenige des Grundtons, sin 2 7t ^\naber die Wellenaxe geht jetzt in der Abscisse. Es k\u00f6nnen acht Gipfel unterschieden werden, doch sind zwei in Folge Ausfallens des 7. Theiltons nur als Wendepunkte angedeutet.\nWenn die Amplituden sich ver\u00e4ndern, tritt eine so erhebliche Umgestaltung der Bewegung ein, dass das Auge die Aehn-lichkeiten schwer erkennt. Es wird gen\u00fcgen, dies an zwei Beispielen zu de-monstriren.\nAuf nebenstehenden Curven hat eine Stimmgabel auf der berussten Fl\u00e4che einer zweiten, welche in A die Octave, in B die Quinte angab, die Schwingungen geschrieben, mit ihrer Spitze darauf hingleitend. Der Grundton und der h\u00f6here Ton haben bei 1 u. 3 ihre Schwingungen/?//1 sich gezeichnet, die Amplitude des ersteren nimmt von oben nach unten gehend ab, die des letzteren zu. Die aus beiden Schwingungen resultirende Bewegung ergibt die Curve 2. Da dieCurve 3 von der zweiten Stimmgabelbranche geschrieben werden musste, ist ein geringer Fehler ihrer relativen Lage wahrscheinlich. Die Curve I? wird schon durch sehr geringe Intensit\u00e4t der Quint beeinflusst. In Curve A \u00e4ndert sich zun\u00e4chst die Form der Welle sehr wenig ; erst bei einer gr\u00f6sseren Intensit\u00e4t des Obertons tritt der zweite Wendepunkt auf.*\n* Durch Construction kann man solche Curven kaum darstellen, die Rechnung ergiebt Folgendes :\nF\u00fcr y = ci sin 2 tc -f- b sin 4 n ist die Kr\u00fcmmung = yn 3\n(i ~f~yn)\nDer Zeichenwechsel, welcher den Wendepunkt anzeigt, kann nur vom Z\u00e4hler abh\u00e4ngen, wird also f\u00fcryn \u2014 0 erfolgen. Es ist\nFi?. 5.","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nJede Combination von T\u00f6nen l\u00e4sst sich nach Analogie des Accordes als Summirung einiger zu einem gemeinsamen Grundton geh\u00f6renden Theilt\u00f6ne auffassen, sobald man kleinste Bruchtheile der Schwingungen ausser Acht l\u00e4sst, doch kann dabei die Wellenl\u00e4nge des Grundtons eine sehr grosse werden. Der Grundton der Combination 1000 und 1001 ist 1, mit der Wellenl\u00e4nge von 1000 Wellen des Tons 1000.\nPh \u00e4sen v er sch ieb un g.\nBisher ist angenommen, dass die combinirten Schwingungen gleichzeitig beginnen. Wenn zwei, in verschiedener Entfernung stehende Tonquellen gleichzeitig in Wirksamkeit treten, oder wenn die T\u00f6ne Resonanzr\u00e4ume durchlaufen, ehe sie an das Trommelfell gelangen, findet solche Gleichzeitigkeit nicht mehr statt. Der An-fangstheil der einen Welle wird dann im Allgemeinen gegen denjenigen der anderen verschoben sein und die resultirende Bewegung kann sehr bedeutende Ver\u00e4nderungen, gegen\u00fcber den bisher besprochenen Formen erleiden. Die einzelnen F\u00e4lle m\u00fcssen gesondert werden.\nGleich hohe T\u00f6ne, welche unter Verschiebung ihrer Phase zur Wirkung kommen, ergeben eine Welle, deren Amplitude, je nachdem, zwischen der Summe oder Differenz der Amplituden beider sich h\u00e4lt, also bei gleichen Amplituden zur 0 herabsinken kann.\nDie Gleichung der Bewegung w\u00fcrde sein\ny = a sin 2 n\nDie Bedeutung der Buchstaben ist die fr\u00fchere, cp und cp\u2018 sind echte Br\u00fcche und die Differenz {cp \u2014 cp\u2018) tz ist der Werth, um welchen der eine Ton dem anderen in der Phase voraus ist. cp = cp1 giebt vollst\u00e4ndige Addirung der Ordinaten der Welle, cp \u2014 cp' = 1/2 zeigt an, dass der eine Ton gegen den anderen um eine halbe Wellenl\u00e4nge verschoben ist, Wellenberg steht gegen Wellenthal, die Ordinaten subtrahiren sich durchgehend. F\u00fcr jede Phasenverschiebung gilt \u00fcbrigens die Gleichung\n2 7t\t2 7t t , , 4 TT\t4 7t t\nT\t2nt\nyn wird 0 f\u00fcr x = \u2014 und f\u00fcr a\u20148b wenn \u2014 71\nso lange also a > als Sb kann der zweite Wendepunkt nicht eintreten.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Phasenverschiebung.\n13\nA sin 2 77\t+ \u00ae) = a si\u00fc 2 n -f- yj + ft' sin 2 71 (y + <]P j (7)\nwo sich der Ausdruck links durch die Gleichungen A sin 2 n & = a sin 2 n q -f- a' sin 2 nq/\n^ cos 2 7i = a cos 2 7T ^ + r/ cos 2 7r qf\nbestimmt.*\nT\u00f6ne verschiedener H\u00f6he geben nicht mehr eine so vollkommene Interferenz.\nBei Intervallen bis zur Quint kann noch die Amplitude des tieferen Tons unter die ihm zukommende Amplitude herabgedr\u00fcckt werden, aber im Verlauf der Welle des Theiltons 1 muss sowohl eine Addition wie Subtraction stattfinden. Bei gr\u00f6sseren Intervallen ist die Welle des h\u00f6heren Tons bereits relativ so kurz, dass eine Subtraction und Addition schon im Verlauf einer Welle des Grundtons stattfindet.- Die resultirende Welle kann also nicht mehr eine geringere Amplitude als diejenige des Grundtons annehmen. Man macht sich dies leicht mit H\u00fclfe einfacher Construction der drei Wellen klar.\nBei den Phasenverschiebungen ungleich hoher T\u00f6ne \u00e4ndert sich die Form der Welle bedeutend. Die positive und die negative Welle, welche ohne Phasenverschiebung die eine das Spiegelbild der anderen ist, h\u00f6ren auf symmetrisch zu sein. Die O-Punkte verschieben sich, die Wellen-Berge und -Th\u00e4ler verlagern sich und werden un-\n* Die Gleichung 7 nach der Sinusregel aufgel\u00f6st giebt:\n/ .\t2 nt\n2 nt .\nA ( sin ~y~ cos 2 n O -f- cos -y- sin 2 n (D \\ = a (sin \u2014\u2014 cos 2 n q -f-\n2 ni .\n2 n t\n. 2 nt\n2 nt .\ncos \u2014- sin 2 nqj + a ^sin ^-- cos 2 nq1 2 * 4 -f- cos ^ sin 2 nq'j oder\n0 = {a cos 2 n q + ar cos 2 n q>' \u2014 A cos 2 n (D) sin -\n2 nt\n-j- (a sin 2 nq a' m\\2 nq\u2019 \u2014 A sin 2nO) cos\nsetzen wir hier t \u2014 0, so wird\n.\t2 nt\t2nt\nsm ~y~ = 0. cos TjT = 1 also\nT\nA sin 2 7T Q) \u2014 a sin 2 n q -f- af sin 2 n qr\nT\nsetzen wir\tt = \u2014\n4\nso wird\t2 nt\t2 nt\ncos ^\u2014 = 0. sin - -\t= 1 also\nA cos 2 n (P = a cos 2 n q -f- o! cos 2 n qr woraus zugleich die Richtigkeit der Gleichung 7 ersichtlich ist.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton.\nsymmetrisch. F\u00fcr das Auge wird diese Aenderung allerdings nur bei Combinationen innerhalb der Doppeloctav recht auffallend und auch hier k\u00f6nnen sehr viele verschiedene Wellenformen nicht erzeugt werden, weil kleine Phasenverschiebungen keinen recht sichtbaren Einfluss haben. Sobald jedoch mehr als zwei T\u00f6ne combinirt werden, wird es auch dem besten Kenner derartiger Curven nicht m\u00f6glich, sie ohne Messen und Rechnung einigermassen in ihre Compo-ncnten zu zerlegen.\nEin Bild solcher Phasenverschiebungen giebt die nachstehende Figur.\nB.\nA.\nFig. 6. A combinirte Welle, liervorgegangen aus dein 9. und 17. Theilton. Das Bild giebt die Phasenverschiebungen zwischen Grundton und Octav in allen Stufen, welche f\u00fcr das Auge erheblichere Unterschiede zeigen. Die Curve w\u00fcrde ann\u00e4hernd genau aus der Combination der beiden ineinander geschriebenen Toncurven B hervorgehen.\nDie Combinationst\u00f6ne.\nUnter Umst\u00e4nden entstehen aus der Combination zweier T\u00f6ne Wellen, welche complicirterer Art als diejenigen sind, welche wir* bisher betrachtet haben. Die ver\u00e4nderte Form macht sich dem Ohr durch das Auftreten neuer T\u00f6ne, der von Sorge zuerst entdeckten Combinationst\u00f6ne bemerklich. Die bisher gegebenen Formeln und Curven sind unter der Annahme abgeleitet, es sei die Verschiebung der schwingenden Punkte so klein, dass nur die erste Potenz der Verschiebung auf die Bewegungsform von merklichem Einfluss sei. Wenn die durch den Anstoss bewirkte Verschiebung gross ist, so gewinnt auch das Quadrat der Verschiebung Einfluss auf die re-sultirende Bewegung. Die Kraft k, welche einen Punkt, der in der \u00e6 Axe oscillirt, beherrscht, hat dann nicht mehr die Form\nk = ay\nvon welcher die Bewegung bisher abgeleitet wurde, sondern\nk=ay + by2\nwo a und b Constanten sind.\nTritt in Folge des Einflusses zweier T\u00f6ne (Schallwellenz\u00fcge) die wir sin (p t) und sin (q t) nennen wollen, deren Schwingungszahl also p u. q per Sec. ist, eine entsprechend starke Verschiebung des schwingungsf\u00e4higen Punktes ein, so ergiebt die Rechnung (6-BeiLXII) dass die resultirende Bewegung durch eine gr\u00f6ssere Reihe periodischer Glieder (Cosinusglieder) ausgedr\u00fcckt werden muss, jedem dieser Glie-","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Combinationst\u00f6ne.\n15\nder entspricht ein Ton. Die Reihe der Schwingungszahlen der Glieder ist p, q, 2p, 2q, (p\u2014q) (p+q) 3p, 3q, (2p-\\-q), (2p\u2014q), (p-j-2q)t (p \u2014 2q) 4p, 4 q . . . Nicht jeder dieser T\u00f6ne muss geh\u00f6rt werden, manche sind verschwindend schwach oder liegen einander zu nahe um gesondert zur Wahrnehmung zu kommen, oder es fallen auch, z. B. f\u00fcr Grundton und Octav viele Glieder zusammen. Die nicht eingeklammerten Werthe sind identisch mit Theilt\u00f6nen; unter den eingeklammerten Werth en geh\u00f6ren die aus den Differenzen entstandenen Schwingungszahlen Combinationst\u00f6nen an, welche als Differenzt\u00f6ne bezeichnet werden, die anderen aus Summirungen hervorgehenden, bezeichnet man als Sum mat ions t\u00f6ne.\nDie Differenzt\u00f6ne hatte H\u00e4llstr\u00f6m - in folgende Rubriken geordnet :\n(Tab. II.)\nT\u00f6ne\np> q p\u2014q>p 2 p\u2014q,q\nCombinationst\u00f6ne P\u2014Q 1-2 p\u2014q 2.\n2\t(p-q) 3.\n3\tp\u2014 2q 4.\nund man spricht dementsprechend von Differenzt\u00f6nen 1., 2..n. Ord-\nnung. Sind neben den Grundt\u00f6nen noch Theilt\u00f6ne vorhanden oder durch die Combination entstanden, so werden sich auch Differenzt\u00f6ne der Obert\u00f6ne bilden.\nDie Summationst\u00f6ne sind meistens recht schwach, sie sind von Helmholtz2 3 entdeckt und waren ihm eine wichtige Handhabe, um den Nachweis zu f\u00fchren, dass unser Ohr die Glieder, aus welchen sich eine combinirte Tonbewegung zusammensetzt, einzeln zu erkennen verm\u00f6ge. Wenn neuerdings von Appunn4 gefunden wird, dass der erste Summationston nicht auftritt, wenn unter sonst g\u00fcnstigen Bedingungen die zweiten Theilt\u00f6ne 2p, 2q im Klang fehlen und der Summationston daher f\u00fcr identisch mit dem Differenzton 2p \u2014 (p \u2014 q) =p-\\-q gehalten wird, so zeigt sich die Schwierigkeit des objectiven Nachweises des Summationstones, aber das gen\u00fcgt nicht, um den mathematischen Nachweis des Vorhandenseins von Summationst\u00f6nen zu ersch\u00fcttern.5\nAllerdings ist es nicht allein die Gr\u00f6sse der Bewegung, von\n2\tH\u00e4llstr\u00f6m, Ann. d. Physik. XXIV. S. 444.\n3\tHelmholtz, \u00fcb. Combinationst\u00f6ne, Ann. d. Physik XCIX. S. 497, Monatsber. d. Berliner Acad. 22. Mai 1856.\n4\tPreyer\u2019s Combinationst\u00f6ne, Sitzgsber. d. Jenaischen Gesellsch. 1878.\n5\tNeuerdings ist Preyer, akustische Untersuchungen 1879, Samml. 2. Reihe. 4. Heft, ausf\u00fchrlich auf diesen Gegenstand zur\u00fcckgekommen. Ich bedauere dieErgeb-","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Ger\u00e4usche.\nwelcher das Entstehen der Combinationst\u00f6ne abh\u00e4ngt. Dieselben werden am leichtesten erzeugt, wenn die beiden Tonquellen r\u00fcckw\u00e4rts auf einen gemeinschaftlichen Resonanzraum (Windkasten der Sirene, Blasebalg der Pfeifen) wirkend, in innigste Wechselbeziehung treten. Die Wahrnehmung wird noth wendig durch die Intensit\u00e4t der combinir-ten T\u00f6ne erschwert. Um die Differenzt\u00f6ne kennen zu lernen, empfiehlt es sich, sehr hohe Orgelpfeifen, deren Grundton unser Ohr schon relativ schwach erregt, zu combiniren, dann treten die tieferen Differenzt\u00f6ne \u00fcberraschend stark hervor. Hat man so die Erscheinung kennen gelernt, wird man die im Voraus zu berechnenden T\u00f6ne auch in niederen Lagen der Scala leicht finden. Uebrigens h\u00f6rt unser Ohr nicht selten (stets! nach Pkeyek) Combinationst\u00f6ne, welche im Luftraum nicht vorhanden, daher durch Tonverst\u00e4rkungsapparate nicht nachzuweisen sind. Dann entstehen die geh\u00f6rten Bewegungen erst im Trommelfell, was bei Besprechung desselben er\u00f6rtert werden wird.\nGer\u00e4usche.\nDie Analyse der Ger\u00e4usche ist bis jetzt wenig ausgebaut. Die Lehrb\u00fccher der Physik enthalten dar\u00fcber fast nichts und in der Physiologie hat man sich nur mit der Art, in welcher die Ger\u00e4usche der Sprache erzeugt werden, eingehender besch\u00e4ftigt. F\u00fcr das Geh\u00f6r sind jedoch die Ger\u00e4usche eine sehr wichtige Quelle der Erregung. Da man nach den Erfahrungen mit dem BELL\u2019schen Telephon weiss, dass freischwingende, d\u00fcnne, membranartige Platten im Stande sind die Ger\u00e4usche zu reproduciren, kann man mit H\u00fclfe gut ged\u00e4mpfter Membranen diese Bewegungen studiren. Helmholtz6 charakterisirt die Ger\u00e4usche im Wesentlichen folgendermassen. Es zeigt sich im Allgemeinen, dass im Verlauf eines Ger\u00e4usches ein schneller Wechsel verschiedenartiger Schallempfindungen eintritt. Das Rasseln des Wagens auf dem Pflaster, das Pl\u00e4tschern und Brausen der Wasserf\u00e4lle und Meereswogen, das Rauschen der Bl\u00e4tter zeigt \u00fcberall einen raschen und unregelm\u00e4ssigen aber deutlich erkennbaren Wechsel stoss weise auf blitzend er, verschiedenartiger Laute. Mit H\u00fclfe\nnisse seines Werks nicht mehr dem Text einf\u00fcgen zu k\u00f6nnen, da derselbe bereits am 1. Jan. 1879 abgeschlossen und abgeliefert war.\nPreyer findet, dass die Combinationst\u00f6ne \u00fcberhaupt nicht objectiv wahrnehmbar zu machen sind, da ihm der Nachweis mit den Mitteln, welche ihm am feinsten erscheinen, Resonatoren und sehr gut schwingenden Stimmgabeln, nicht gelang. Diese T\u00f6ne m\u00fcssen daher im Ohre (oder \u00e4hnlich gebauten Theilen) entstehen. Er best\u00e4tigt, dass der geh\u00f6rte Summationston (a + \u00df) sich bisher stets als Differenzton\nn\u00df\u2014[(n \u2014 l)\u00df\u2014a]\nerkl\u00e4re.\n6 Helmholtz, die Lehre von den Tonempfindungen. S. 14. Braunschweig 1870.","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Ger\u00e4usche. Schwebungen.\n17\nvon Resonatoren kann man aus derartigen und anderen Ger\u00e4uschen einzelne T\u00f6ne deutlicher zur Wahrnehmung bringen, auch kann man Ger\u00e4usche aus musikalischen Kl\u00e4ngen zusammensetzen, z. B. wenn man s\u00e4mmtliche Tasten eines Claviers innerhalb der Breite von einer oder zwei Octaven gleichzeitig anschl\u00e4gt. Aus der unregelm\u00e4ssig wechselnden Empfindung des Ohrs bei den Ger\u00e4uschen l\u00e4sst sich schliessen, dass bei diesen auch die Ersch\u00fctterungen der Luft eine unregelm\u00e4ssig sich ver\u00e4ndernde Art der Bewegung sein m\u00fcsse.\nDiese Auffassung hat bisher nur Best\u00e4tigung erhalten; man muss sich also die Ger\u00e4usche aufs innigste mit Tonschwingungen verbunden denken, die, l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit aufblitzend, durch Pausen absoluter oder relativer Stille unterbrochen werden.\nMan kann etwa drei Kategorien ungemischter Ger\u00e4usche unterscheiden, n\u00e4mlich 1) Schwebungen, 2) Knall, 3) zischende Ger\u00e4usche, aber sie bilden Ueberg\u00e4nge untereinander und umfassen nicht alle Bewegungsformen der Ger\u00e4usche, weil auch ganz kurz dauernde Tonschwingungen nur als Ger\u00e4usch zur Wahrnehmung kommen.\nSchwebungen.\nWenn periodische Bewegungen, welche in einem engeren Ver-h\u00e4ltniss als dem der Quint zu einander stehen, (also in einer Obertonreihe den benachbarten Theilt\u00f6nen 3. und h\u00f6herer Stelle angeh\u00f6ren), gemeinsam erklingen und die Luft oder sonstige, f\u00fcr jede Mitschwingung geeignete K\u00f6rper in Bewegung setzen, so entsteht die Erscheinung der Schwebungen. Innerhalb der Wellenl\u00e4nge des zu den Theilt\u00f6nen geh\u00f6renden Grundtons tritt n\u00e4mlich eine derartige Interferenz der Bewegung ein, dass die Ordinaten im ganzen Verlauf von ein oder mehreren Wellen der betreffenden Theilt\u00f6ne sich subtrahiren, also die Amplitude der aus den beiden T\u00f6nen sich zu-sammensetzenden Tonwelle eine geringere wird, wie diejenige der st\u00e4rkeren\u00ab der beiden Einzelwellen. Daf\u00fcr tritt an einem anderen Ort der Welle des Grundtons, und zwar um eine halbe Wellenl\u00e4nge von der Stelle der Schw\u00e4chung entfernt (resp. um die Zeit einer halben Schwingung sp\u00e4ter) eine entsprechende Verst\u00e4rkung der Par-tiarwelle auf. Diese Ver\u00e4nderungen in den Amplituden (resp. der Intensit\u00e4t) sind um so bedeutender 1) je n\u00e4her die Schwingungszahlen der combinirten T\u00f6ne einander stehen, 2) je mehr gleich die Amplituden beider T\u00f6ne sind.\nDie Art der Bewegung wird aus der folgenden Curve zu entnehmen sein.\nHandbuch der Physiologie. Bd. III a.\n2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18 Hensen, Physiologie d. Geh\u00f6rs. Einleitung. Der Ton. Ger\u00e4usche. Schwebungen.\nFig. 7. Interferenz der Theilt\u00f6ne 50 und 51 mit nahe gleicher Amplitude. Die Wellenl\u00e4nge des (fehlenden) Grundtons tritt sehr deutlich hervor.\nb a\tfr\tp\ndj c~\nFig. 7.\nJe nach der H\u00e4ufigkeit mit welcher in der Zeiteinheit der Wechsel in der Amplitude eintritt ist die Wirkung auf unser Ohr verschieden. Bei langsamem Wechsel, bis etwa 10 mal die Secunde haben wir, abgesehen von einer kleinen Schwankung der Tonh\u00f6he, die Empfindung rythmischer Schwellungen (Schl\u00e4ge) des Tons. Bei rascherem Wechsel tritt, wie Helmholtz (6, &-^schnitt) jm Gegensatz zu fr\u00fcheren Ansichten, welche Differenzt\u00f6ne und Schwebungen f\u00fcr gleich hielten, erkannt und scharf betont hat, das Ger\u00e4usch des Schnarrens, Knatterns, Knarrens, Schwirrens als Begleitung der T\u00f6ne auf. Bei noch gr\u00f6sseren Geschwindigkeiten von 40 bis 130 Schl\u00e4gen bleibt nur noch eine Rauhigkeit an den T\u00f6nen haften. Finden sich neben den schwebenden T\u00f6nen noch andere, so h\u00e4ngt es von den relativen Intensit\u00e4ten ab, ob die Ger\u00e4usche hervortreten. Die Erfahrung lehrt, dass auch in diesem Falle Schwebungen leicht bemerkt werden. Die einzelne Note eines Toninstrumentes kann schon Schwebungen geben, denn in einer Reihe von Theilt\u00f6nen liegen diejenigen vom 8. angerechnet bereits so eng zusammen, dass bei ihnen in nicht zu grosser Tonh\u00f6he Schwebungen sehr h\u00f6rbar werden. Ausserdem fallen die unharmonischen Obert\u00f6ne*, wie solche von den musikalisch weniger gebrauchten Stimmgabeln, Blechinstrumenten, Pauken u. s. w. erzeugt werden, untereinander -und mit harmonischen Obert\u00f6nen so nahe zusammen, dass starke St\u00f6sse resp. die oben genannten Ger\u00e4usche entstehen.\nIn F\u00e4llen, wo die Instrumente einen starken, an Obert\u00f6nen reichen, Schall geben, sowie bei verstimmten Accorden treten die Schwebungen lebhaft hervor. Dies ist z. B. bei aufschlagenden Zungenpfeifen, welche nach Helmholtz die Obert\u00f6ne bis zum 16. und 20. stark h\u00f6ren lassen, in hohem Maasse der Fall. Dieselben haben einen sehr scharfen, schneidenden und schwirrenden Klang. Bei auf-\n* Diese T\u00f6ne verhalten sich hei den verschiedenen Instrumenten sehr ungleich, bei Stimmgabeln ungef\u00e4hr wie die Quadrate der ungraden Zahlen, bei Glocken wie die Quadrate der Zahlenreihe. Wenn Scheiben, Schwingungen mit mehreren Durchmessern und Kreisen machen, so entstehen z. B. nach einer von Helmholtz (6- s.123) gegebenen Tabelle in derN\u00e4he des 6. harmonischen Theiltons drei unharmonische T\u00f6ne, die kaum um das Intervall eines Yierteltons voneinander entfernt liegen.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Ger\u00e4usche. Schwebungen. Knall.\n19\ngesetztem Sehallbecher wird der Ton blockend und b\u00f6lkend, so dass die genannte Ger\u00e4uschempfindung, welche den Ton fast \u00fcberw\u00e4ltigt, vielleicht auf complicate Schwebungsformen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.\nDer Knall.\nEs wird von Physikern 7 der Knall als eine augenblickliche Wirkung bezeichnet, nach deren Entstehung eine einzige, sehr rasche und starke Hauptbewegung vorhanden ist, doch sei Grund anzunehmen, dass diese von einer Reihe an St\u00e4rke schnell abnehmender Nebenschwingungen begleitet sei. Nach Schmidekam\u2019s 8 Untersuchungen bringt jede instrumentelle Ber\u00fchrung des Trommelfells die Empfindung des Knalls hervor. Wenn man das Ohrl\u00e4ppchen vor den Geh\u00f6rgang legt und rasch anpresst entsteht ein dumpfer Knall, der st\u00e4rker und h\u00f6her sich wiederholt, wenn man den Gang pl\u00f6tzlich wieder frei-giebt. Beobachtet man die Knallbewegung mit H\u00fclfe einer vor K\u00f6niges Kapseln brennenden Gasflamme (Vokalflamme) in dem rotiren-den Spiegel (Fig. 28), so erkennt man, dass die feinen Kautschukmembranen, welche das ausstr\u00f6mende Gas von der ersch\u00fctterten Luft trennen, mit mehreren, oft bis 10 Schwingungen, auf den Knall rea-giren, deren erste bei weitem die gr\u00f6sste ist und ein sehr tiefes Wellenthal zeigt. Eine \u00e4hnliche Bewegung kn\u00fcpft sich an die Verschlusslaute p, b, k, t. Die graphischen Darstellungen gestatten ein genaueres Studium; die Variation in Intensit\u00e4t und Schwingungsgeschwindigkeit sind sehr mannichfaltig, auch gesellen sich Theilwellen hinzu. Es d\u00fcrfte dieser Ger\u00e4uschgruppe eine gr\u00f6ssere Bedeutung f\u00fcr unsere Geh\u00f6rwahrnehmungen zukommen, als gew\u00f6hnlich angenommen wird.\na.\tb.\tc.,\nD.\nFig. 8.\nGer\u00e4usche mit nicht sehr stark ged\u00e4mpfter, schwach gespannter Membran geschrieben. Die Sinuscurve r\u00fchrt von einer Orgelpfeife\n7\tMousson, Die Physik auf Grundlage d. Erfahrung. Thl. 1. S. 306. Z\u00fcrich, Schulthess 1871.\n8\tSchmidekam, Studien. Arbeit, d. Kieler physiolog. Instituts. Schwer. 1869.","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. Einleitung. Ger\u00e4usche. Zischen.\nvon 200 Schwing, d. Sec. her. A Knall eines Z\u00fcndh\u00fctchens mit secund\u00e4ren Wellen grosser Geschwindigkeit. B Knall durch zwei aneinander schlagende Holzplatten, C durch zwei B\u00fccher erzeugt, die Wellen sind von etwas geringerer Geschwindigkeit. I) das Wort schock, worin das o von einer Tonh\u00f6he, f\u00fcr welche die schwach ged\u00e4mpfte Membran nicht abgestimmt war.\nZischen.\nDie Zischlaute d\u00fcrften zu den besonders unregelm\u00e4ssigen Bewegungen geh\u00f6ren, wie obige Curve, die jedoch noch durch Eigenschwingungen der Membran etwas untreu geworden ist, zeigt. Zischende Ger\u00e4usche sind theils Reihen kleinster Explosionen (z. B. das in keisser Pfanne zischende Fett), theils unregelm\u00e4ssige Unterbrechungen leise t\u00f6nender Luftstr\u00f6mungen (Zischlaute). Es ist wahrscheinlich, dass sehr rasche Schwingungen der Lufttheile beim Zischen mitwirken, solche werden durch die graphischen Apparate noch nicht gen\u00fcgend wiedergegeben. Wenn man Gas unter so starker Pressung aus einem Brenner str\u00f6men l\u00e4sst, dass eine geringe Vermehrung der Pressung ein Brausen der Flamme verursacht, so tritt das Brausen sogleich ein, wenn man zischt. Diese sog. sensitiven Flammen zeigen dann dieselbe Erscheinung, wenn man sehr hohe T\u00f6ne auf sie einwirken l\u00e4sst. Wenn also nicht etwa eine grosse Unregelm\u00e4ssigkeit der Luftbewegung, auch wenn sie langsam geschieht, das Ausstr\u00f6men des Gases st\u00f6rt, was immerhin m\u00f6glich w\u00e4re, so w\u00fcrde die sensitive Flamme das Vorhandensein rascher Schwingungen in den Zischlauten erweisen.\nDie Funktionen des Geh\u00f6rs.\nMan kann an dem Geh\u00f6rorgan als physiologisch - anatomische Gruppen unterscheiden:\n1)\tDen die Schallbewegung empfangenden und \u00fcbertragenden Apparat, bestehend aus dem \u00e4usseren und mittleren Ohr.\n2)\tDen die Schallbewegung analysirenden und in Nervenerregung umsetzenden Apparat, das Labyrinth.\n3)\tDen die gesetzte Erregung empfindenden und wahrnehmenden Apparat, den Nerv, acusticus und dessen Verbreitungsbezirk im Gehirn.\nDiese Eintheilung giebt die Grundlinien f\u00fcr den Gang der nachfolgenden Darstellung.","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Mittleres Ohr, phylogenetische Entwicklung.\n21\nERSTES CAPITEL.\nDie Functionen des \u00e4usseren u. mittleren Ohrs.\nEin Ueberblick \u00fcber die phylogenetische Entwicklung der Theile ergiebt, dass bei Akalephen, W\u00fcrmern und Mollusken, auch bei vielen Fischen keine Einrichtung gefunden ist, welche dem mittleren Ohr functioneil an die Seite zu stellen w\u00e4re. Bei den h\u00f6heren Krebsen findet sich, soweit nicht die H\u00f6rapparate frei an der Oberfl\u00e4che stehen, entweder (Makruren) eine freie Communication des Geh\u00f6rbl\u00e4schens mit dem Wasser oder (Brachyuren) es sind die geschlossenen H\u00f6rbl\u00e4schen an bestimmter Stelle nur durch eine d\u00fcnne Haut vom umgebenden Medium getrennt.9\nBei den Heuschrecken finden sich membranartige Bildungen (Acridier)10 und selbst Hohlr\u00e4ume, die der Schall zu durchlaufen hat, ehe er die Membran und durch diese die Endapparate trifft (Locu-stiden)1F\nBei manchen Fischen sind Zuleitungsapparate beschrieben worden, theils Kan\u00e4le, die vom Labyrinth bis dicht an die Haut f\u00fchren \u2014 Selachier \u2014, theils solche von der Schwimmblase zum Labyrinth, endlich bewegliche Knochenreihen zwischen beiden \u2014 Karpfen \u2014, doch ist die Deutung nicht sicher zu geben.12\nBei vielen Amphibien und Reptilien bildet eine, mit knorpeliger oder kn\u00f6cherner Lamelle (Operculum) geschlossene Fenestra ovalis den ganzen Zuleitungsapparat. Bei anderen Thieren dieser Classen und bei den V\u00f6geln tritt Trommelfell, Columella, Paukenh\u00f6hle und Tuba Eustachii hinzu.13\nBei Reptilien und V\u00f6geln tritt zuweilen ein \u00e4usserer Geh\u00f6rgang auf; die Function desselben d\u00fcrfte mehr die einer Ohrmuschel sein.\n9\tHensen, Stud. \u00fcb. d. Geh\u00f6rorgan d. Dekapoden. Ztschr. f. wissensch. Zool. XIII. S. 319.\n10\tEntdeckt von v. Siebold, am genauesten beschrieben v. Osc. Schmidt, Arch, f. microscop. Anat. II. S. 195.1875.\n11\tHensen, Geh\u00f6rorg. v. Locusta. Ztschr. f. wissensch. Zool. XYI. S. 170.\n12\tE. H. Weber, de aure et auditu hominis et animalium. Lips. 1820 hat diese Bildungen der Mehrzahl nach entdeckt und f\u00fcr die Schallzuleitung in Anspruch genommen, doch hat Hasse, Anat. Studien. S. 583. Leipzig, Engelmann, 1873 diese Ansicht nicht best\u00e4tigen, aber auch nicht v\u00f6llig eliminiren k\u00f6nnen.\n13\tJoh. M\u00fcller, Handb. d. Physiol. II. S. 414. Coblenz 1840.\nAm ausf\u00fchrlichsten sind neuerdings diese Verh\u00e4ltnisse von Hasse (12) besprochen.","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nAuffallend ist, dass das Operculum bei den Urodelen mit dem-Ende, welches bei den h\u00f6her entwickelten Thieren im Trommelfell inserirt ist, h\u00e4ufig mit dem Os quadratum so fest verw\u00e4chst, dass an eine isolirte Schwingung dieses Theiles nicht gedacht werden kann.14\nBei den Cetaceen gehen \u00e4usserer Geh\u00f6rgang und Trommelfell verloren, dagegen entwickeln sich Luftr\u00e4ume in der Tuba und es geht eine membran\u00f6se Lamelle von den Resten des Trommelfells aus durch die Paukenh\u00f6hle in senkrechter Richtung gegen das Foramen ovale; diese vertritt das Trommelfell. An diese Lamelle inserirt sich der sehr massive Hammer. Das Labyrinth ist durch Luft und Fett sorgf\u00e4ltig isolirt.\nBei manchen S\u00e4ugethieren ist die Paukenh\u00f6hle zu einem grossen Hohlraum \u2014 bulla ossea \u2014, der h\u00e4ufig als Resonanzraum aufgefasst wird, umgestaltet, Dabei macht der ganze Bau der Theile mehr den Eindruck des zarten und vollendeten, als derjenige vom Menschen und den Affen der alten Welt.\nBei Insectivoren und einigen Nagern tritt durch den Steigb\u00fcgel hindurch die Carotis externa, eine f\u00fcr die Physiologie des Ohrs ziemlich unverst\u00e4ndliche Eigenth\u00fcmlichkeit.\nIndem ich die Verh\u00e4ltnisse an Pr\u00e4paraten pr\u00fcfe, werde ich geneigt, die functioneile Entwicklung etwa wie folgt zu pr\u00e4cisiren.\nEs wird erstrebt den Schallwellen einen einzigen Weg zum Labyrinth anzuweisen. Dies erfordert bei Wasserthieren besondere Iso-lirung und scheint schwer erreichbar. Bei Landthieren ist durch die Columella eine sehr vollkommene Isolirung erreicht, zugleich wird der Apparat leichter und zarter gebaut, je ausschliesslicher der Aufenthalt in der Luft genommen wird (V\u00f6gel). Bei den S\u00e4ugethieren wird das in dieser Richtung Erreichte theilweise wieder aufgegeben, da hier mehrere oft recht plumpe Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, die weniger vollkommen isolirt sind, hinzutreten. Dadurch wird neben gr\u00f6sserer Festigkeit eine erhebliche D\u00e4mpfung, sowie die M\u00f6glichkeit gewonnen, durch Muskelkr\u00e4fte einen Wechsel der Spannungen zu bewirken.\nI. Die Ohrmuschel.\nVon den Functionen der W\u00e4rmeregulirung und der mimischen Th\u00e4tigkeit des Ohrs wird hier abgesehen. Die auffallenden Bewegungen der Ohrmuschel vieler Thiere, z. B. des lauschenden Pferdes,\n14\tR. Wiedeesheim, Das Kopfskelett der\u00fcrodelen. S. 134 u. 153. Leipzig. Engelmann 1877. Abdr. a. d. Morph. Jahrb. III.\n15\tClaudius . Physiol. Bemerkungen \u00fcber das Geh\u00f6rorgan der Cetaceen. Kiel. Schwer. 1858.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Die Ohrmuschel.\n23\nwar Weranlassung die acustische Function dieses Tlieils zu untersuchen. Es entstand die Frage, ob die Wahrnehmung der Richtung der Schallquelle, ob ferner eine bessere Zuleitung des Schalls zum Trommelfell durch die Muschel vermittelt werde. Die daf\u00fcr sprechenden Resultate der Untersuchungen lauten zweifelhaft, die dagegen sprechenden sind pr\u00e4ciser.\nEsser 16 wies bereits nach, dass eine Reflexion der Schallstrahlen von den einzelnen Theilen der Ohrmuschel \u00fcberwiegend zu einem Eindringen derselben in den G-eh\u00f6rgang nicht f\u00fchre. Harless17 fand, dass durch festes Einsetzen eines V2\" langen Glasrohrs in den Geh\u00f6rgang die Schallwahrnehmung selbst dann nicht geschw\u00e4cht w\u00fcrde, wenn der Schallerreger weit ausserhalb der Richtung der Axe des Geh\u00f6rgangs lag. Mach 18 hat ein Ohr mit Geh\u00f6rgang aus Gyps nachgeformt und mit Trommelfell versehen, er untersuchte dann mit einem akustischen'Taster (ein zugespitztes Glasrohr, welches mittelst Kautschukschlauch in seinen Ohrgang gesteckt war), ob je nach der Schallrichtung verschiedene Theile des Trommelfells verschieden afficirt seien. Es fand sich kein Unterschied. Ueberdies hat derselbe Autor19 nachgewiesen, dass bei so kleinen Fl\u00e4chen, wie die Muschel sie darbietet, sowohl auf Grundlage des HuYGHEN\u2019schen Prinzips der Brechung und Reflexion, als auch nach von ihm ausgef\u00fchrten Versuchen, von einer regelm\u00e4ssigen Reflexion einigermassen langer Tonwellen nicht die Rede sein k\u00f6nne. Schneider20 hat die Ohrmuschel innen und aussen ganz mit einer Wachsmasse ausgef\u00fcllt und nur den Geh\u00f6rgang frei gelassen. Der Ton erscheint dann bei geeigneter Richtung des Geh\u00f6rganges eher verst\u00e4rkt wie vermindert. Dagegen wird die Richtung der Axe des Geh\u00f6rgangs f\u00fcr die Deutlichkeit der Wahrnehmungen von gr\u00f6sserer Wichtigkeit. Wenn sich aus seinen Beobachtungen etwas entnehmen l\u00e4sst, ist es das, dass bei intakter Ohrmuschel die Richtung des Ohrs gegen die Schallquelle auf die Deutlichkeit der Wahrnehmung weniger Einfluss hat, als wenn der Gang mit scharfer runder Oetfnung m\u00fcndet. Stets wird der Schall am deutlichsten vernommen, wenn er von der Seite her einf\u00e4llt, auch bleibt es eine offene Frage, ob nicht Schwingungen von mehr als 1000 mal d. Sec. durch Reflexion an der Muschel concentrirt werden k\u00f6nnen.\n16\tEsser, Memoire. Annales des sciences naturelles, p. 1. 1832.\n17\tHarless, Artikel \u201eH\u00f6ren^ in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. IV. 1853.\n18\tMach, Bemerkungen \u00fcb. d. F unction d. Ohrmuschel. Arch. f. Ohrenheilkunde. S. 72. 1874.\n19\tMachu. Fischer. D. Reflexion u. Brechung d. Schalls. Ann. d. Physik. S.421.\n1873.\n20\tJ. A. Schiceider. Diss. Marburg 1855.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nRinne 21 experimentirte mit dem Picken einer Uhr bei mit Brod-teig ausgef\u00fcllter Muschel, er fand\nH\u00f6rweite freie Muschel gef\u00fcllte Muschel\nVorn\nRechts\nLinks\nHinten\nso dass in diesem Fall der Einfluss der Ohrmuschel demonstrirt ist.\nEs kann wenig in Betracht kommen, unter welchem Winkel das Ohr zum Kopf steht. Wenn Buchanan'22 nach Messung an 100 Individuen zu der Ansicht gekommen ist, dass stark abstehende Ohrmuscheln ein besseres Geh\u00f6r bewirken oder anzeigen und wenn man bei Musikern in der That nicht selten abstehende Muscheln findet, so d\u00fcrfte dies wohl auf den intensiven Gebrauch des Ohrs und seiner Muscheln zur\u00fcckzuf\u00fchren sein.\nHarless (1t) ist der Ansicht, dass die Ohrknorpel durch den Schall in Molekular Schwingungen gerathen k\u00f6nnen und so eine Fortleitung der Schallbewegung in den Geh\u00f6rgang hinein stattfinden k\u00f6nne. In den Versuchen von Schneider w\u00e4re diese Uebertragung jedenfalls sehr erschwert gewesen, eine unbefangene Pr\u00fcfung l\u00e4sst aber den Ausfall jener Fortleitung nicht erkennen. Die Versuche von Rinne sprechen dagegen f\u00fcr die Mitschwingung der Knorpel. J. M\u00fcller (13) findet, dass Pfeifen, welche mit einer Membran versehen sind und die Muschel ber\u00fchren, merklich verst\u00e4rkt geh\u00f6rt werden, auch mit dem Stiel an den Ohrknorpel gesetzte Stimmgabeln werden von hier aus ebensogut vernommen, als wenn sie in der N\u00e4he des Ohrs auf die Kopfhaut aufgesetzt werden.\nDie Muschel ist also wohl nicht ganz gleichg\u00fcltig f\u00fcr die Geh\u00f6rsch\u00e4rfe und die Geh\u00f6rswahrnehmungen, aber ihre Leistungen sind klein.\nII. Der Geh\u00f6rgang.\nL\u00e4nge vom inneren Rande der Concha gemessen 24mm., knorpliger^ noch in der Haut liegender, mit Incisurae Santorini versehener Theil 8, kn\u00f6cherner 16 mm. Durchmesser des ersteren 5 und 8, des letzteren 6 und 10 mm. Die Haut, im knorpeligen Theil mit glandul. cerumin. versehen, ist 1,5, am Trommelfell 0,1 mm. dick. Nerven: Ram. meat, audit, extern, vom Auriculo-temporal des Trigeminus und Ram. auricul. N. vagi. Bewegung des Kiefers bewirkt eine kleine Aenderung im Querschnitt des knorpligen Geh\u00f6rgangs (17).\n21\tRinne, Ztschr. f. rat. Med. (3) XXIV. S. 12. 1865.\n22\tBuchanan, Meckel\u2019s Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 488. 1828.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Der Geh\u00f6rgang. Resonanz.\n25\nDer Geh\u00f6rgang sch\u00fctzt das Trommelfell gegen von aussen drohende Gefahren. Er ist so gewunden, dass das Trommelfell in grader Linie nicht erreicht werden kann, wenn nicht der knorplige Geh\u00f6rgang gestreckt und nach oben hinten gezogen wird. Der \u00e4ussere Theil des Ganges ist von empfindlichen Wollhaaren bekleidet, leise Ber\u00fchrung derselben wird als l\u00e4stiger Kitzel empfunden. Leise Ber\u00fchrung der mittleren Theile des Ganges erzeugt ein starkes Unlustgef\u00fchl, wie solches, die tieferen Theile der Mundh\u00f6hle kaum ausgenommen, an den anderen Ostien des K\u00f6rpers nicht oder nicht so energisch und vom Vordringen abmahnend angetroffen wird (u. A. Schmidekam 8). Unter Umst\u00e4nden kann sich dies Gef\u00fchl zu Uebelkeit und Ohnmachtsanf\u00e4llen steigern. Weil \u00e4hnliche Zust\u00e4nde durch die Vagus\u00e4ste des Magens hervorgerufen werden k\u00f6nnen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Barn, auricul. N. vagi diese Empfindung ausl\u00f6sen.\nW\u00e2hr\u00eand die innerste Abtheilung des Geh\u00f6rgangs zwar fettig aber trocken ist, wird die \u00e4ussere von Ohrenschmalz \u00fcberzogen. Dies Excret ist eine Mischung von Sebum, Schweiss und Zellen der Epidermis und der Dr\u00fcsen, nebst H\u00e4rchen. Es enth\u00e4lt einen in Wasser l\u00f6slichen, gelben, bitteren Stoff, der schon in den Schweissdr\u00fcsen gesehen wird und von dem zu sagen ist, dass er nicht die Reactio-nen von Gallenbestandtheilen giebt.23 Nach Petrequin 24 h\u00e4ngt die Consistenz des Schmalzes von dem Gehalt an Kaliseifen ab. Eine direkte Beziehung dieses Stoffs zum H\u00f6rverm\u00f6gen, an welche Buchanan und A. glaubten, ist nicht anzunehmen. Ausser dem Acarus folliculorum ist nur selten ein Thier (Insectenlarven, Sarcophaga sp.) im Geh\u00f6rgang gefunden. Da derselbe so leicht zug\u00e4ngig ist und sein muss, mag das Cerumen einen Schutz gegen solche Eindringlinge abgeben. Normal h\u00e4uft sich kein Sekret am Trommelfell an; was dieses davor sch\u00fctzt, ist unbekannt.\nDurch die L\u00e4nge des Ganges werden Trommelfell und Paukenh\u00f6hle gegen schroffen Temperaturwechsel gesch\u00fctzt. Nach Mendel25 ist der Geh\u00f6rgang 0,3\u00b0 niederer temperirt als der Mastdarm.\nResonanz des Geh\u00f6ryaiujs.\nWenn ein Stoss die Luft vor dem Geh\u00f6rgang trifft, wird der selbe ohne Schwierigkeit durch die Luft des Geh\u00f6rgangs bis zum\n23\tK\u00f6LLiKER,Microscop. Anat.II. S. 176. Leipzig, Engelmann, 1850 und Berzelius, Thierchemie \u00fcbersetzt v. W\u00f6hler. S. 536. Leipzig 1840.\n24\tPetrequin, Compt. rend. I. S. 940. II. S. 987. Paris 1869. In dem h \u00e4rter en Cerumen der Greise findet sich mehr unl\u00f6sliche Materie 17:12. Im Cerumen des Hundes. Kalk-, des Pferdes, Magnesia-Seife.\n25\tMendel, Arch. f. pathol. Anat. LXII. S. 132. 1875.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. I. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nTrommelfell fortgepflanzt und von dort theilweise wieder nach aussen zur\u00fcckgeworfen werden. Dieser Vorgang kann jedoch unter Umst\u00e4nden durch Bildung stehender Wellen eine Modification erleiden. Helmholtz (6- s-175) hat n\u00e4mlich darauf aufmerksam gemacht, dass gewisse hohe T\u00f6ne im Ohre stark resoniren, was aufh\u00f6rt, resp. sich \u00e4ndert, wenn man den Gang k\u00fcnstlich verl\u00e4ngert oder das Trommelfell anspannt. Es handelt sich hier also um Resonanz des Geh\u00f6rgangs, aber dieselbe h\u00e4ngt nicht allein von dessen L\u00e4nge und Weite, sondern auch von dem Zustand des Trommelfells vielleicht auch dem Luftraum im Cavum tympani ab.* Man hat bei diesen T\u00f6nen neben der gr\u00f6sseren St\u00e4rke eine schwirrende Empfindung im Ohr. Da man dieselbe Empfindung hat, wenn tiefere T\u00f6ne \u00e4usserst stark (vom Windkasten der Sirene) in das Ohr geleitet werden (8), so wird letztere Empfindung auf grosse Excursionen des Trommelfells und der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zu beziehen sein. Der Geh\u00f6rgang wird allemal, wenn die betreffenden T\u00f6ne in einer Klangmasse Vorkommen, dieselben durch Resonanz verst\u00e4rken. Wir werden daher solchen Schall in etwas anderer Weise vernehmen m\u00fcssen, als er in der \u00e4usseren Luft vorhanden ist.\nIII. Cranio-tympanale Leitung.\nAn den Geh\u00f6rgang kn\u00fcpft sich eine f\u00fcr die Lehre von der Kopf-knochenleitung wichtige Erfahrung.26 Wenn man eine schwingende, ziemlich dicht an das Ohr gehaltene Stimmgabel eben nicht mehr h\u00f6rt, bemerkt man den Ton wieder, wenn man ihren Stiel an die Z\u00e4hne setzt, verschwindet dann der Ton, so h\u00f6rt man ihn von neuem, wenn man den Geh\u00f6rgang eines Ohres schliesst und zwar in diesem Ohr (Rinne27); verklingt er auch dann, so tritt er noch wieder auf, wenn der entsprechend geformte Stiel in den\u2019 \u2019Geh\u00f6rgang hineingeschoben wird.**\nDie Eigent\u00fcmlichkeit, dass von den Kopfknochen aus die Gabel so gut geh\u00f6rt wird, hat man urspr\u00fcnglich durch die Annahme einer directen Uebertragung der Schallwellen auf das Labyrinth, die\n* Helmholtz (6) findet als Resonanzton f\u00fcr sein rechtes Ohr c[V. f\u00fcr sein linkes f1V, ich finde rechts dlv, links a1V, eine Frau hatte rechts f1V, links g1V. Durch Spannung d. Trommelfells konnte Schapringer (\") den Eigenton von 5340 auf 3700 Schwingungen herabsetzen.\n26 Wheatstone. Quarterly Journ. of Science. N. S. II. 1827. hat. wie es scheint, die Beobachtung zuerst gemacht.\n** Eine Stimmgabel von 1000 Schwingungen h\u00f6re ich z. B. an den Z\u00e4hnen 4\", nach Schluss des Ohrs weitere 4\", in den Geh\u00f6rgang geschoben noch l bis 3\". Das Ohr muss nat\u00fcrlich gesund sein, auch ist zu bemerken, dass im Alter sich diese Wahrnehmungen verschlechtern.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Cranio-tympanale Leitung.\n27\nscheinbar g\u00fcnstigste Bedingung intensiver Tonzuleitung, erkl\u00e4ren wollen. Diese Ansicht kann nicht aufrecht erhalten werden. Rinne 27 wies nach, dass eine Verengerung des Geh\u00f6rgangs schon sehr merklich, ein vollst\u00e4ndiger Verschluss des Ohrs ohne Compression der Luft im Gange, am lebhaftesten die Verst\u00e4rkung des Geh\u00f6reindrucks hervorrufe. Lucae28 hat durch directes Experiment mittelst graphischer Methode, nach dem Vorgang von Politzer, nachgewiesen, dass Trommelfell und Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen bei Zuleitung des Tons vom Warzenfortsatz in Schwingung gerathen und zwar am st\u00e4rksten bei uncomprimirter Luft. Politzer29, welcher \u00fcber den Gegenstand viele Experimente gemacht hat, weist darauf hin, dass der Proc. Folianus des Hammers (der ja in der That im Alter fehlt) bei der Knochenleitung aufs Tympanum wirksam sein d\u00fcrfte. Er hat deutlich nachgewiesen, dass der Ton nicht direct von den Sch\u00e4delknochen zum Os petrosum, sondern auf dem Umwege : Trommelfell, Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, Foramen ovale dorthin gelange. Das Labyrinth wurde n\u00e4mlich mit Luft gef\u00fcllt, wieder verschlossen und vom Porus acusticus internus aus auscultirt. Der von dem Knochen aus zugeleitete Ton wurde schw\u00e4cher geh\u00f6rt, sobald das Ambos-Steigb\u00fcgel-Gelenk getrennt wurde, darauf konnte die Wahrnehmung des Tons deutlich verst\u00e4rkt und geschw\u00e4cht werden, wenn der Ambos abwechselnd an den Steigb\u00fcgel angelegt und wieder entfernt wurde. Nach Schmidekam (8) ist die Tonwahrnehmung vom Sch\u00e4del aus besonders gut bei v\u00f6llig mit Wasser gef\u00fclltem, \u00e4usserem Geh\u00f6rgang.\nDa die Knochenleitung unbestreitbar zu einem sehr erheblichen Theil durch den Apparat der Paukenh\u00f6hle zu dem Labyrinth geht, d\u00fcrfte es richtig sein den Ausdruck cranio-tympanale Leitung f\u00fcr den Vorgang festzuhalten. In wie weit eine directe Knochenleitung Geh\u00f6rempfindung hervorbringt, ist noch unerforscht.\nDie Wirkung eines lockeren Verschlusses des Geh\u00f6rgangs wollte Rinne dadurch erkl\u00e4ren, dass hier die st\u00f6rende Reflexion der Tonwelle an der offenen M\u00fcndung vermieden werde; jedoch die Reflexion an geschlossener M\u00fcndung kann ebensowohl zu St\u00f6rungen durch Interferenz der Wellen f\u00fchren. Mach 30 hat dagegen durch Auscultation den Nachweis gef\u00fchrt, dass bei Knochenzuleitung der Ton\n27\tRinne, Prager Vjschr. f. pract. Heilk. I. S. 71. 1855.\n28\tLucae, a) Arch. f. pathol. Anat. XXV. S. 332. 1862. b) Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. f. Ohrenheilkunde I. S. 303. 1864. Ferner \u00fcber diese Frage c) Centralbl. f. d. med Wiss 1863. No. 40, 4L d) daselbst 1865. No. 13 und Arch. f. pathol. Anat. XXIX. S.33.1864.\n29\tPolitzer, Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. I. S. 318. 1864.\n30\tMach a) Sitzgsber. d. Wiener Acad. 2.Abth. S. 283.1863. b) ebenda 2. Abth S. 342. 1864.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. I. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nmit erheblicher St\u00e4rke aus dem Geh\u00f6rgang heraus in die Luft entweiche , und er wie Politzer finden in der Verhinderung dieses Austritts den Grund der verst\u00e4rkten Schallwahrnehmung bei Verschluss des Ohrs. Wird durch st\u00e4rkeren Druck auf die Luft des Ganges, das Trommelfell aus der normalen Stellung gebracht, so wird der Ton wieder schw\u00e4cher geh\u00f6rt, was nach dem Gesagten nicht mehr auffallen kann.\nWenn Schallwellen vom Knochen aus sich dem mittleren Ohre stark mittheilen, so wird dieser Process auch in umgekehrter Richtung vor sich gehen m\u00fcssen. Wirklich findet Mach, dass der in ein Ohr dringende Ton aus dem anderen wahrnehmbar herausklingt. Daraus ist zu entnehmen, dass die noch so vollkommene Verschliessung eines Ohres niemals das Verm\u00f6gen desselben, \u00e4ussere Tonquellen wahrzunehmen, auf heben kann, so lange das Trommelfell des anderen Ohres frei funetionirt.\nIV. Die Functionen des mittleren Ohrs.\nIm Bereich des mittleren Ohrs werden die akustischen Schwingungen der Luftmolek\u00fcle auf den festen Leitungsapparat \u00fcbertragen und von diesem dem Labyrinth zugef\u00fchrt. Die anatomischen Theile, welche direct f\u00fcr diesen Process zur Verwendung kommen, sind das Trommelfell und die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Accessorische Bedeutung haben dabei die Trommelh\u00f6hle, die Muskeln der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen und die Tuba Eustachii, welche sp\u00e4ter besprochen werden.\n1. Bau des Trommelfells mul der Kette der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen.\nIndem die bis jetzt als functionell wichtig erkannten Einrichtungen dargelegt worden, ist die allgemeine Bekanntschaft mit dem Bau der Theile vorausgesetzt.*)\n* Die zahlreichen anatomischenNachweise werden hier vereint im V or-aus zusammengestellt :\n31\tJosef Gruber, D. feinere Bau d. Ringwulstes am Trommelfell. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 2. Berlin 1869.\n32\tHelmholtz, D. Mechanik d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen u. d. Trommelfells. Arch. f. d. ges. Physiol. I. S. 1.\n33\tTr\u00f6ltsch, Beitr. z. Anat. d. menschl. Trommelfells. Ztschr. f. wiss. Zool.\n1858.\n34\tHyrtl, Yergl. anat. Unters, \u00fcb. d. innere Geh\u00f6rorgan. Prag. Ehrlich. 1845.\n35\tTrautmann. D. gelbe Fleck am Ende des Hammergriffs. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. S. 99. 1876.\n36\tGerlach, microsc. Studien a. d. Gebiet d. menschl. Morphologie. Erlangen, Enke, 1858.\n37\tToynbee, On the structure of the Membrana tympani. Philosophical Transactions 1851.\n38\tKessel, D. \u00e4ussere u. mittlere Ohr in Stricker, Lehre v. d. Geweben. Leipzig, Engelmann. 1872.","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Bau des Trommelfells.\n29\nDas Trommelfell inserirt sich in einer Rinne des Knochens, welche mit Faserknorpel ausgelegt ist (31). Die Rinne, welche oben offen und mit dem Rivm\u2019schen Ausschnitt (Helmholtz 32) versehen ist, verl\u00e4uft spiral, so dass der Trommelfellansatz hinten oben mehr la-\nteral steht, wie vorn oben. Ein legtes Planum schneidet die Axe dei offenen Winkel von etwa 150\u00b0. Das Planum beider Ohren convergirt in der Weise, dass es sich unten unter einem Winkel von 125 bis 135\u00b0, nach vorn unter spitzem Winkel schneiden w\u00fcrde. Oben, wo die Knochenrinne fehlt, geht die Haut des Geh\u00f6rgangs mit etwas verst\u00e4rkten Faserz\u00fcgen ohne Absatz als Membr. flaccida Shrapnelli bis zum Proc. brevis mallei heran.\nDie l\u00e4ngere Axe der ovalen Trommelfellringebene geht von hinten oben nach vorn unten und misst\nurch den Trommelfellansatz ge-Geh\u00f6rgangs in einem nach unten\nnr\tTi\tt n 1 Hg. 9- Schematische Darstellung der Fl\u00e4che des\ny,D 10 mm., Ule Kurze, Claraut senk- linken Trommelfells vom Geh\u00f6rgang aus, viermal Q\t/oo\\ A-1\ti\tvergr\u00f6ssert. Der dunkelste in der Tiefe liegende\nrecnte, \u00f6 mm. Abgesehen von Theil ist der Umbo. \u00ab der Hammerkopf, der helle \u2022 A. m\tn Fleck darunter sein Proc. brevis sc. obtusus, zwi-\n\u00fcem ganz moamcirteil 1 rommelteil sehen ihm, dem oberen Rande des Trommelfells r>ij\t! i\tT\u00ab.. und cd liegt die Membr. flaccida. b Ambos, des-\nCiei ^etaceen, SCllWanken die tur Sen langer Fortsatz durchseheint, e Hammer-Am-o.. .or\ti bosgelenk. ax Drehungsaxe der beiden Knochen.\nverschiedene oaugethiere angegebenen (34) gr\u00f6ssten Durchmesser zwischen F eisennase).\n(L\u00f6we) und 1,6 mm. (Huf-\n39\tPrussack, Zur Anat. d. menschl. Trommelfells. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. III. S 255\n1867.\n40\tBrunner. Beitr\u00e4ge z. Anat. u. Histologie d. mittleren Ohrs. Leipzig. Eno-el-\nmann. 1S70.\t1 \u00b0\t8\n41\tGruber j anat.-physiol. Studien \u00fcb. d. Trommelfell u. d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Wien, Gerold. 1867.\n42\tPolitzer, Wochenbl. d. k. k. Gesellschaft d. Aerzte. Wien 1868 (nicht eingesehen).\n43\tR\u00fcdinger, Notizen \u00fcb. d. Histologie d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde 1869.\n44\tUrbantschitsch. Z. Anat. d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. XL S. 1.\n45\tR\u00fcdinger, Beitr\u00e4ge z. Histol. d. Geh\u00f6rorgans. M\u00fcnchen 1870. Ausz\u00fcge in Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. 1871 u. 73.\n46\tBrunner, D. Verbindung d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Arch. f. Augen- u. Ohrenheilkunde. 1873.\n47\tMaGNUs, Beitr. z. Anat. d. mittl. Ohrs. Arch. f. pathol. Anat. XX. 1861.\n48\tWeber-Liel, Verhandl. d. physiol. Gesellsch. Berlin. 2. Jan. 76.\n49\tEysell, Beitr. z. Anat. d. Steigb\u00fcgels. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. V. S. 237. 1870.\n50\tHenke, D. Mechanismus d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. Ztschr. f. rat. Med. 1868.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nDas Trommelfell bildet einen nach dem Geh\u00f6rgang zn ge\u00f6ffneten, schr\u00e4g abgeschnittenen, unregelm\u00e4ssigen Trichter von etwa 125\u00b0 Oeff-nung, dessen Spitze (Umbo) an der Spitze des Hammergriffs liegt. Der untere Theil der Trichterwand, dessen Fl\u00e4cheninhalt fast einDritttheil des Ganzen ausmacht, steht nahe senkrecht zur Axe des Geh\u00f6rgangs, der obere fast parallel derselben. Die Meridianlinien des Trichters springen etwas convex gegen die H\u00f6hlung desselben vor. Mit dem Hammergriff und zwar namentlich dem Ende desselben, verw\u00e4chst das Trommelfell fest ; seine Radialfasern gehen in das Perichondrium einer an der Kante des Hammergriffs liegenden Knorpelmasse (35) ein.\nAn der kaum 0,1 mm. dicken Membran kann man 6 Lamellen unterscheiden, von aussen nach innen 1) Epidermis, 2) Corium, 3) Lamelle der radialen, 4) Lamelle der circul\u00e4ren Fasern, 5) Schleimhaut mit eigenth\u00fcmlichen Gef\u00e4sspapillen, 6) Pflasterepithel. Beachtens-werth ist, dass die Lamelle mit Radialfasern sich recht leicht von derjenigen mit Circul\u00e4rfasern trennen l\u00e4sst. Erstere ist nach dem Umbo zu dicker, letztere ist hier nicht deutlich, an der Peripherie m\u00e4chtiger, fehlt aber wieder dicht an der Knochenrinne (36). Die Radialfasern sind steife, an die Fasern im Faserknorpel erinnernde, sich nur unter spitzem Winkel an einander legende Bildungen, denen \u00fcbereinstimmend eine geringe Dehnbarkeit nachgesagt wird. Nicht dasselbe gilt f\u00fcr die Circul\u00e4rfasern, welche nach ihrer Losl\u00f6sung sich verk\u00fcrzen (37). Sie gehen nach Tr\u00f6ltsch (33) oberhalb des Proe. obtusus lateral, unterhalb desselben medial \u00fcber den Hammergriff hin, ohne sich anzusetzen, doch sind die Autoren dar\u00fcber verschiedener Ansicht (38~4'2). Elastisches Gewebe ist im Trommelfell kaum nachweisbar (32). Aus einer Spannung der Circul\u00e4rfasern w\u00fcrde sich die trichterf\u00f6rmige Gestalt der Membran, die f\u00fcr das Lumen des Ganges zu gross ist, herleiten lassen. Das eigentlich die Form gebende ist jedoch der Hammergriff. Ueber die Mitte der Membran nach unten \u00fcbergreifend, giebt er dem Umbo seine excentrische Lage, etwas gekr\u00fcmmt und mehr in dem vorderen Abschnitt verlaufend, theilt er das mittlere Dritttheil des Trommelfells ungleich; endlich durch den Proc. obtusus das obere Dritttheil vortreibend, ertheilt er dem Ganzen eine recht unregelm\u00e4ssige Gestaltung. Helmholtz (32) hat jedoch durch die Methode der h\u00f6heren Analysis gezeigt, dass die Form des menschlichen Trommelfells unter Annahme einer, durch Luftdruck allein gespannten Membran mit unausdehnbaren Radialfasern ann\u00e4hernd als Theil einer bestimmten Fl\u00e4che 4. Grades sich darstellt.\nDie Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zeigen bei den S\u00e4ugethieren man-","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Anordnung des Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen.\n31\nBei den Cetaceen von massivstem sind sie bei den Nagern sehr zart ;\n-LS:'::;\nnichfaehe Gestaltunterschiede (34). und am meisten gedrungenem Bau, die des Menschen stehen mehr auf Seite der massiveren Formen. Aus der Form der Kn\u00f6chelchen sind aber kaum Momente f\u00fcr die Physiologie zu entnehmen. Sie bestehen aus spongi\u00f6ser Substanz i und sind mit ziemlich compacter Rindenschicht versehen.\nDer Hammer steht mit der schmalen \u00fcberknorpelten Kante seines, in sagittaler Richtung com-primirten, etwas gedrehten Manubriums im Trommelfell, nur am Knorpel des Proc. obtusus scheint die Verbindung lockerer zu sein.\nVon letzterer Stelle aus biegt sich der Hals des Hammers medial-w\u00e4rts stark ab. Hierher gehen vom Rande des RiviNi\u2019schen Ausschnitts aus Bandmassen, deren Verh\u00e4ltnisse physiologisch wichtig sind. Dieselben werden erl\u00e4utert durch die Fig. 11.\nUnter dem von der Spina tym-panica major entspringenden und zum Hammer verlaufenden Lig. an-terius mallei der Autoren liegt der Processus Folianus, den ich mit Urbantschitsch (44) beim Erwachsenen noch ziemlich h\u00e4ufig finde, weiter unten verl\u00e4uft die Chorda tym-pani. Das zweite, von Helmholtz (32) als Lig. mallei externum be-zeichnete Band geht vom Rande des RiviNi\u2019schen Ausschnitts aus zum Hammer hin\u00fcber. Ueber diesem Bande und mit ihm parallel geht eine Schleimhautfalte von der Wand des Cavum tympani zu Ambos und Hammer, durch welche zwei als vordere und hintere Trommelfelltaschen bezeichnete Schleimhautausbuchtungen von einander geschieden werden. Ein Lig. superius Fig. 10 L. S. beschr\u00e4nkt die Beweglichkeit der Kn\u00f6chelchen nach abw\u00e4rts, wie \u00fcberhaupt alle B\u00e4nder st\u00e4rkere Bewegung der Kn\u00f6chelchen in jeder Richtung aus-schliessen. Helmholtz unterscheidet als Axenband des Hammers\nFig. 10. Durchschnitt des Geh\u00f6rgangs und der Trommelh\u00f6hle dicht hinter dem Hammerstiel und in der Richtung desselben, vom linken Ohr, viermal vergr\u00f6ssert. G Geh\u00f6rgang, durch das Trommelfell gegen das Cavum tympani C abgegrenzt. S der .Steigb\u00fcgel mit seiner Nische und dem Sehnenansatz des Stapedius, das Foramen ovale liegt noch unverletzt nach vorn von der Schnittfl\u00e4che. Die Schnittfl\u00e4chen des Knochens sind \u00fcberall punktirt, ebenso die Fl\u00e4che des Ambos wo der kurze Fortsatz desselben abgeschnitten ist, derselbe w\u00fcrde auf den Betrachtenden hin verlaufen sein. Am Ambosk\u00f6rper sieht man beiderseits die Sperrz\u00e4hne vorspringen. H der Hammer, an dessen Halse bei L eine Leiste vorspringt, an welche sich die Ligamente ansetzen. An der Wand des Cavum tympani, der Leiste L gegen\u00fcber, sieht man die Reste dieser Ligamente. Zwischen dem langen Fortsatz des Ambos und dem Hammerstiel sieht man die Sehne des Tensor tympani. Umbo, Proc. obtusus und Membr. flaccida zwischen letzterem und der Wand des Geh\u00f6rgangs sind ohne Signatur kenntlich. LS Ligamentum superius.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\ndie am weitesten nach hinten liegenden Fasern des Lig\\ externum (yergl. Fig. 11) zugleich mit dem vordersten innersten Faserzug-des\nLig. anterius auf Grund des Nachweises, dass 1) die einzelnen Faserz\u00fcge der Ligamente bei den Bewegungen des Hammers sich sehr verschieden spannen, also functioneil voneinander geschieden werden k\u00f6nnen, 2) die Drehungsaxe des Hammers ann\u00e4hernd in der Richtung der genannten Fasern verl\u00e4uft, 3) der vom Ambos gel\u00f6ste Hammer selbst nach der Durchschneidung des Tensor tympani mit H\u00fclfe der genannten Ligamente noch ziemlich gut in seiner normalen Stellung befestigt erscheint. Angesichts der ziemlich betr\u00e4chtlichen Knickung gegeneinander, welche diese Bandtheile in der Regel auf-weisen, ist es schwer dieser Ansicht \u00fcber ihre Function v\u00f6llig zuzustimmen. Vielleicht d\u00fcrfte das Lig. externum nur als Hemmungsband gegen eine starke, medianw\u00e4rts gerichtete, Bewegung des Hammerkopfes, und als Haftband gegen die Pressung, welche das Trommelfell auf den Proc. obtusus aus\u00fcbt, aufzufassen sein.\nDer Hammer artikulirt mit dem Ambos durch ein etwas eigen-thiimliches Sperr gelenk, welches, nachdem schon Rinne (2t) auf die Eigenthtimlichkeit desselben aufmerksam gemacht, von Helmholtz eingehend beschrieben und zuerst physiologisch gew\u00fcrdigt ist.* Denkt man sich vor das Gelenk des Ambos A Fig. 12 einen Cylinder B (etwa eine Wachskerze) senkrecht durch die Ebene des Papiers gehend gestellt, denkt man ferner diesen Cylinder, ohne von dem Ambosgelenk entfernt zu sein, um die Axe ax in der Richtung des Pfeils bis zur neuen Stellung B' gedreht, so wird sich die Gelenkfl\u00e4che des\nFig. 11. Fast horizontaler Durchschnitt durch das Cavum tympani, CT des rechten Ohrs, viermal vergr\u00f6ssert. Der Schnitt geht dicht \u00fcber dem Rivini\u2019schen Ausschnitt senkrecht gegen die Ebene der Fig. 10 und um ein geringes h\u00f6her wie die Linie ax dort, welche in dieser Fig. wieder angegeben ist. H medialer Rand der Schnittfl\u00e4che des Hammerkopfs. A Ambos, dessen kurzer Fortsatz angeschnitten ist und durch Bandmasse befestigt mit der Spitze in seiner Knochennische ruht. Der mediale Gelenkzahn des Ambos ist von dem Schnitt grade getrotfen. Von der Spina major, Sp. m. der Wand des Cavum tympani geht das Ligamentum anterius, Lg. a. zum Hammer sieh bis zum Lig. laterale des Hammer-Ambosgelenks fortsetzend. lieber dem Rivi-ni'schen Ausschnitt geht zum Hammer ein Ligamentum externum, Lg. ext., welches \u00e4hnlich wie das Lig. anterius aus einer hohen, rings in gr\u00f6sserer Ausdehnung von der Knochenwand entspringenden Fassermasse sich zusammensetzt. Die kanalf\u00f6rmige Oeffnung zwischen beiden Bandmassen f\u00fchrt auf die Membr. flaccida.\n* Obgleich die physiologische Wahrheit der Darstellung von Helmholtz leicht zu best\u00e4tigen ist, gelang es mir nicht die anatomische Darstellung in Wort und Bild so zu verstehen und zu best\u00e4tigen, dass ich sie hier wiedergeben k\u00f6nnte. Die Beschreibung ist also den eigenen Pr\u00e4parationen entnommen worden, ich mache aber darauf aufmerksam, dass wahrscheinlich mancher Leser aus der von Helmholtz\u2019s Meisterhand gelieferten Beschreibung (32) ein besseres Verst\u00e4ndniss gewinnen kann.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Hammer-Ambos-Gelenk.\n33\nAmbos eine Gangfl\u00e4che in den Cylinder, welcher den Hammerkopf repr\u00e4sentiren m\u00f6ge, eingegraben haben. In dieser Weise ist in dei That die Gelenkfl\u00e4che zwischen Hammer und Ambos beschaffen. Solches Gelenk hat die Eigenth\u00fcmlich-keit, dass es sich gegen jede in Richtung des Pfeils weitergehende Bewegung sperrt und dabei entweder eine Defor-mirung des Cylinders oder ein Mit nehmen des Ambos erfolgen muss, w\u00e4hrend der R\u00fcckw\u00e4rtsbewegung in die alte Lage B nat\u00fcrlich kein Hinderniss erw\u00e4chst. Die Theile, welche der Vorw\u00e4rtsbewegung Widerstand leisten, werden als Sperrz\u00e4hne bezeichnet. Sperrzahn des Hammers ist also die Cylinder-fl\u00e4che bei S. Sperrz\u00e4hne des Ambos sind die beiden Ecken seiner Gelenkfl\u00e4che Fig. 11 s. Eine Vergleichung der Figuren 11 und 12 unter Ber\u00fccksichtigung der Drehungsaxe ax wird deutlich machen, dass der Hammerkopf sich nicht lateralw\u00e4rts, oder was dasselbe ist, das Trommelfell sich nicht medialw\u00e4rts bewegen kann, ohne die Gelenkfl\u00e4chen fest aneinander zu pressen, w\u00e4hrend Bewegung von Hammer und Trommelfell in umgekehrte!* Richtung durch die Form der Gelenke nicht gehindert wird und Ambos-Steigb\u00fcgel nicht mit sich zu reissen brauchte Nach Helmholtz l\u00e4sst sich der Hammer etwa 5\u00b0 zur\u00fcckdrehen ohne den Ambos mitzunehmen; dadurch wird die Gefahr beseitigt, dass der Steigb\u00fcgel aus seiner Nische herausgerissen werde, weil das Trommelfell, das st\u00e4rkste Band des Apparates, erschlafft, und die Bewegung nicht hindert. Diese Verh\u00e4ltnisse lassen sich sowohl am frischen wie am trocknen Knochen demonstriren, es \u00e4ndert wenig, dass sich ein Meniscus von einer Seite her zwischen die Gelenkfl\u00e4chen einschiebt (R\u00fcdinger 45). Die Drehung setzt eine gewisse Schlaffheit der Gelenkb\u00e4nder voraus; deren Fasern gehen, wie schon Brunner (46) andeutete, in der Weise schr\u00e4g von einem Knochen zum andern (Fig. 12, e), dass sie bei der R\u00fcckw\u00e4rtsdrehung erschlaffen. Die Kapsel, welche Ambos und Hammer verbindet, ist schwach, jedoch in den stumpfen Winkeln des Ambosgelenks (Fig. 9 bei d) liegen kurze dicke Seitenb\u00e4nder. Die St\u00e4rke derselben erscheint bei mechanischer Pr\u00fcfung geringer als sie wirklich ist, weil bei jedem Zuge die Gelenkfl\u00e4che als Hypomochlion f\u00fcr einen langen Kraftarm wirkt, weshalb die B\u00e4nder leicht brechen; \u00fcberdies tr\u00e4gt der Luftdruck\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ma.\t3\n\nFig. 12. Schema f\u00fcr die Bildung des Hammer-Ambos-Gelenks. Der Pfeil hei ax geht von rechts \u00fcber der Ebene des Papiers nach links.","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nbei, die Entfernung der Gelenkfl\u00e4chen voneinander zu bindern. Bei den Thieren sind die Verh\u00e4ltnisse dieses Gelenks sehr wechselnd, bei den Meerschweinchen ist dasselbe v\u00f6llig verkn\u00f6chert (34), bei den Wiederk\u00e4uern sind die Fl\u00e4chen flach, dagegen die Gelenkb\u00e4nder sehr massig (4 \u2022').\nDie Spitze des kurzen Ambosschenkels ist an der Wand des Cavum tympani durch einen, m\u00e4chtigen Bandapparat so befestigt (Fig. 11), dass sie den Knochen nicht ber\u00fchrt, sondern um 0,1 bis 0,2 mm davon absteht, durch Pressung jedoch der Knochenwand mehr gen\u00e4hert werden kann. Der ganze Apparat : Spitzenband \u2014 Ambos \u2014 Gelenk \u2014 Hammer \u2014 Lig. mallei anterius hat eine Zugrichtung, welche ziemlich nahe mit der faktischen Drehungsaxe ax zusammenf\u00e4llt, doch bildet er einen nach aussen offenen, stumpfen Winkel. Zu dieser Abweichung von der Graden zwingt der Druck des Trommelfells auf den Proc. obtusus, sowie der Zug des Tensor tympani; beschr\u00e4nkt wird sie durch die Straffheit der B\u00e4nder selbst und durch das Lig. externum und superius. Bei Bewegungsversuchen findet sich, dass, w\u00e4hrend das Trommelfell einw\u00e4rts geht, Hammerkopf und Ambosk\u00f6rper neben der Drehung um die Axe sich etwas senken und etwas nach r\u00fcckw\u00e4rts gehen, dass also eine v\u00f6llig feste Axe f\u00fcr die Bewegung nicht hergestellt ist. Diese kleinen Verschiebungen d\u00fcrften sich aus der ungleichen L\u00e4nge der Radi\u00e4rfasern zwischen Trommelfell-ring und Hammerstiel (Fig. 9) erkl\u00e4ren. Helmholtz leitet die Verschiebungen aus der Lage des Axenbands des Hammers ab; diese Verh\u00e4ltnisse werden sich gegenseitig bedingen und modeln.\nDer lange Schenkel des Ambos, welcher die Bewegung auf den Steigb\u00fcgel zu \u00fcbertragen hat, steigt in der Art nach abw\u00e4rts (vergl. Fig. 9, 13.), dass ein vertikales Planum durch die Axe ax, die Spitze des Manubrium mallei, und durch beide Ambosschenkel gelegt werden kann. In Folge dieser Lagerung kann das Hammer-Ambos-System auf eine rechtwinklige Dreiecksfl\u00e4che reducirt gedacht werden, dessen spitzwinklige Ecken an der Spitze des Manubrium mallei und des kurzen Ambosschenkels liegen, w\u00e4hrend diezwischenden beiden Punkten verlaufende Hypotkenuse Fig. 13 aa die Spitze des langen Ambosschenkels tangirt. Der rechte Winkel liegt im Hammerkopf in der Axe ax, w\u00e4hrend die eine Kathete im Manubrium, die andere in ax verl\u00e4uft.\nDie Hypothenuse kommt als einarmiger Hebel zur Wirkung, das Hypomochlion desselben liegt an der Spitze des kurzen Ambosschenkels, die Spitze des langen Schenkels (Steigb\u00fcgel!) ist Angriffspunkt der Last, die Spitze des Manubrium Angriffspunkt der Kraft, welche senkrecht auf die Ebene des Dreiecks wirkt. Weil keine v\u00f6llig feste","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Steigb\u00fcgel.\n35\nAxe existirt, kann sich das Manubrium f\u00fcr kleine Bewegungen pa-\nrallel mit sich selbst verschieben. L\u00e4nge des Hebels aa zu 94/2 mm. gefunden, den k\u00fcrzeren Arm zwischen den Ambosschenkeln zu 6 Vs mm., daraus folgt, dass die Excursion der Last, also des Steigb\u00fcgels,\n2 3 von der der Manubriumspitze, der Druck auf den Stapes 1l/2 mal die Kraft, welche auf die Spitze des Manubriums wirkt, sein muss.\nRechtwinklig und medialw\u00e4rts geht von der Spitze des langen Ambosschenkels ein Knochenst\u00e4bchen ab, dessen* verbreitertes Ende (Ossiculum Sylvii) dick Uberknorpelt eine convexe Fl\u00e4che bildet, auf welcher der Steigb\u00fcgel, durch einen Meniscus artikulirend, aufsitzt.\nDer Steigb\u00fcgel ist zart gebaut; es macht den Eindruck, als wenn geringe Masse eine Bedingung seiner guten Function sei. Sein Kopf ist durch starke Ligamente (47) und durch Sehnenfasern des Stapedius (45) mit dem Ambos verbunden.\nDie sehr d\u00fcnne, mit Knorpel \u00fcberzogene Basis sitzt in einem kurzen Knochenkan\u00e4lchen, dem ovalenFenster, dessen \u00fcberknor-\nHelmholtz (32) hat die ganze\nFig. 13. Nach Helmholtz, die Hehelwirkung der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zeigend, aa Hypothenuse, PE Processus Folianus, Tt Tensor tympani, b Sperrzahn des Amhos: die Kn\u00f6ehelchen von der Paukenh\u00f6hlenseite gesehen.\nFig. 14. Schnitt durch den Stapes nach Eysell. a Stapesk\u00f6pfchen, b Stapediussehne, c hinterer, d vorderer Schenkel, e Grundplatte, / Knorpelmantel, y vorderer, h hinterer Theil des Fensterrandes, i vordere, k hintere Seite des Lig. annulare proprium.\npelte Fl\u00e4chen einer starken, von der Basis stapedis rings abgehenden, Annularmembran zum Ansatz dienen. Die Membran ist 0,14 bis\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. \u00c4usseres u. mittleres Ohr.\n0,5 mm. dick; in ihrem vordersten Abschnitt, wo sie schr\u00e4g verl\u00e4uft, mindestens 0,1 mm., weiter hinten bis zu 0,015 mm. herab, breit. Der Steigb\u00fcgel findet sich bei den Thieren stets in ligament\u00f6ser Verbin-\ndung mit dem Fenster, nur bei der Seekuh soll eine Verkn\u00f6cherung ein-treten(34), ein Fall der n\u00e4herer Untersuchung bedarf.\nDie Platte des Steigb\u00fcgels hat eine eigenth\u00fcmliche Form.\nEysell\u2019s Figur planimetrisch ausgemessen und nach den gegebenen Maassen reducirt, giebt als Fl\u00e4che der Platte 2,65 \u25a1 mm., der Fenestra 3,8 Qmm., also der An-nularmembran 1,15 Qmm.\nDie Stempelbewegung der Platte wird der Bewegung im Umbo betragen m\u00fcssen, doch fin-\nv. \u201e ..T , _\t_ . .\tdet sie eine Grenze in der Un-\nrig. 15. Nach Eysell,: rechte Basis Stapedis in situ\nvom Vestihulum gesehen, ab obere, bc hintere, cd nacllgiebigkeit der AnnularmeiU-untere, da vordere Seite des Tritts.\tn ~\nbran. Helmholtz hat theils direct durch, in die Membran eingepflanzte, als F\u00fchlhebel dienende Nadeln, theils indirect, durch eine, in einen Halbcirkelkanal eingekittete, mit Wasser gef\u00fcllte R\u00f6hre, das Verschiebungsmaximum bestimmt und dasselbe zu 0,056 bis 0,073 mm. gefunden, eine Zahl, die anderweit (8) best\u00e4tigt wurde. Henke (50) hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Drehung des Hammers der lange Ambosfortsatz gehoben, somit die Steigb\u00fcgelplatte etwa in der 3 mm. Axe Fig. 15 gedreht, und mit dem Rande ab in das Labyrinth hineingepresst werde. Obgleich die Drehpunkte, von welchen dabei ausgegangen wurde, nicht ganz richtig genommen sein d\u00fcrften, ist die Thatsache einer, die Stempelbewegung begleitenden, kleinen Drehung der Platte richtig und mehrfach best\u00e4tigt (42-8).\n2. Die Functionen des Trommelfells und der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen.\nEs ist die mechanische Aufgabe des Apparats, die Bewegung der, das Trommelfell treffenden Luftmolek\u00fcle, welcher grosse Amplitude aber geringe Kraft beizumessen ist, umzuwandeln in eine Bewegung von geringer Amplitude aber grosser Kraft, und diese Bewegung m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig an die Labyrinthfl\u00fcssigkeit abzugeben. Wir haben zu verfolgen wie diese Aufgabe erf\u00fcllt wird.\nEbene Membranen werden wegen ihrer, im Verh\u00e4ltniss zur Masse grossen Fl\u00e4che, durch St\u00f6sse, welche sie auf der ganzen Oberfl\u00e4che einer Seite treffen, leicht in Bewegung gesetzt, jedoch nur so lange","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Membranschwingungen.\n37\nihre Tr\u00e4gheit allein das der Bewegung widerstrebende Moment ab-giebt. Kommen Bewegungshindernisse anderer Art hinzu, z. B. Befestigung der Membran, Anspannung oder Belastung derselben, so machen sich diese Einfl\u00fcsse sehr kr\u00e4ftig in Bezug auf die resul-tirende Bewegung geltend. Savart51 fand bei Versuchen mit Membranen von mehreren Decimetern Gr\u00f6sse, dass sie f\u00fcr verschiedene T\u00f6ne sehr leicht mitschwingen, und dass sich dabei, je nach der Tonh\u00f6he derselben, Knotenpunkte und -Linien mannichfaltiger Art bilden. Bei kreisrunden Membranen finden sich als Knotenstellen Radien und Kreise. Helmholtz (6- s-7\u00b0) giebt als Beispiel f\u00fcr die 5 niedrigsten Eigent\u00f6ne einer solchen Membran folgende Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr den Grundton = 1 an.\nGrundton 1. Kreis 2. Kreis 1. Durchmesser 1. Durchmesser u. 1. Kreis 2. Durchmesser\n1\t2,29\t3,599\t1,59\t2,92\t2,14\nDie Obert\u00f6ne einer t\u00f6nenden Membran sind also unharmonisch. Die Eigenschaft in verschiedene schwingende Abtheilungen sich zerlegen zu k\u00f6nnen, hat zur Folge, dass eine, aus einer Reihe harmonischer Theilt\u00f6ne bestehende, Bewegung, von der Membran nicht so wird wiederholt werden k\u00f6nnen, wie die Luft sie ihr bringt. Es wird die Amplitude des einzelnen Theiltons (und \u00fcberhaupt der T\u00f6ne der Skala) um so mehr verringert wiedergegeben, je weiter sich seine Schwingungszahl von derjenigen des n\u00e4chststehenden Theiltons der Membran entfernt, und dieser Abstand muss, weil die Theilt\u00f6ne der Membran unharmonisch sind, f\u00fcr die verschiedenen harmonischen T\u00f6ne der die Schwingung erregenden Bewegung sehr ungleich aus-fallen (Seebeck52).\nDas Ohr bietet aber die An- und Abschwellung seiner Intensit\u00e4tsempfindung, welche man nach Obigem erwarten sollte, nicht dar, wovon man sich mit H\u00fclfe eines Fortepiano vergewissern kann. Es entsteht daher die Frage, wie sich diese Erfahrung mit den erw\u00e4hnten Verh\u00e4ltnissen vereinbart?\nA) Mechanik des Mitschwingens.\nZum Verst\u00e4ndnis der Sache ist es n\u00f6thig auf die Mechanik des Mitschwingens, welche ohnehin f\u00fcr die Functionen des Labyrinths von grosser Wichtigkeit ist, n\u00e4her einzugehen.\nBei dem Mitschwingen handelt es sich im Allgemeinen um eine\n. 51 Savart, Magendie\u2019s Journ. de physiol, exper. et pathol. p. 183. 1824, und gleichlautend Ann. d. chim. et physique p. 1. 1824.\n52 Seebeck, Dove\u2019s Repert. d. Physik. VIII. S. 63. 1849. Akustik. Referat u. theilweise Cit\u00e2t aus Ann. d. Physik. LXII u. LXVIII. S. 289 u. 449. 1844. u. 46.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nmehr oder weniger weitgehende Sum mir un g kleiner, von einem in Bewegung befindlichen K\u00f6rper ausgehender, St\u00f6sse, durch einen zweiten K\u00f6rper, welcher dieselben empf\u00e4ngt. Helmholtz ((6-s-6\u00f6) giebt als Beispiel den Mechanismus der Kirchenglocken, bei welchen sehr grosse Massen durch kleine, periodisch angebrachte St\u00f6sse schliesslich in starke Schwingungen versetzt werden. Um die in einer Axe aufgeh\u00e4ngte Masse in Bewegung zu bringen, gen\u00fcgt es, dass jeder neue Anstoss der, vom ersten Stoss mit sehr geringer Geschwindigkeit bewegten, Masse, eine Beschleunigung ertheile. Jeder Anstoss wird so lange die Geschwindigkeit der Glocke vermehren, bis ihre Elongation so gross geworden ist, dass die, zugleich mit der Elongation wachsende, Reibung, in der Zwischenzeit der St\u00f6sse die gewonnene Geschwindigkeit vernichtet. Ob l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Pausen beim Ziehen der Glocke eintreten, ist nur insofern von Bedeutung, als der Reibung mehr Zeit bleibt, die gesetzte Bewegung zu vernichten. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Periode der Z\u00fcge sich nach derjenigen der Eigenschwingung der Glocke richte. Geschieht dies nicht, so summiren sich die Z\u00fcge nur im Verlaufe k\u00fcrzerer Zeit oder es findet gar keine Summirung mehr statt. Wenn die Z\u00fcge doppelt (oder -fc) mal so rasch erfolgen wie die Schwingungen, hebt die Wirkung des zweiten Zuges sogar diejenige des ersten v\u00f6llig auf. Der Fall des Auftretens von Pausen interessirt hier weniger, weil Derartiges bei dem continuirlich, aber in wechselnder Richtung wirkenden Andrang der, in Sinusschwingungen befindlichen, Luftmolekel nicht leicht vorkommt.\nDie Theorie des Mitschwingens gaben Seebeck (52) und sp\u00e4ter Mach53, sowie f\u00fcr den besonderen Fall des Mitschwingens von Stimmgabeln, unter Einwirkung des von einer zweiten Gabel unterbrochenen, einen Eisenkern umkreisenden galvanischen Stroms, 'Helmholtz\n(5. Beil. IX).\nWenn feste K\u00f6rper in widerstehenden Medien, z. B. in Luft, schwingen, so \u00e4ndern sich die Formeln (1) und (2) (v. S. 5) etwas. Wenn auf einer Membranfl\u00e4che f die Luft mit dem Druck Df lastet, so wird, wenn sich die Fl\u00e4che mit der Geschwindigkeit v bewegt, die Luft\nvor ihr um \u2014 verdichtet, hinter ihr um ebensoviel verd\u00fcnnt, c be-c \u201e\ndeutet dabei die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls und k die specifische W\u00e4rmecorrection. Die Platte wird demnach\n53 Mach. Zur Theorie des Geh\u00f6rorgans. Sitzgsber. d. Wiener Acad. Math.-anat. Classe. Wien 1863.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Theorie des Mitschwingens.\n39\nkv\nvon hinten den Druck Df\\ 1-------\u2014\n\\ c\nvon vorne den Druck D f \\ l-\\- \u2014\n= \u2014 2 D f \u2014 c\nerleiden. Der Unterschied ist die, der Bewegung sich entgegensetzende, Kraft. Bezeichnet man die durch die Masse M der Platte oder Mem-\n2Dfk\nbran dividirte Constante\nM\nmit b, so ergiebt sich als einfachste\nForm der Schwingung die Gleichung:\n\u2014bt .\t~\t^\ny = e a sin 2 n \u2014\n(8)\nHier ist e die Basis des nat\u00fcrlichen Logarithmensystems, die Werthe der anderen Bezeichnungen sind dieselben wie fr\u00fcher. Da der Divisor ebt mit der Zeit in geometrischer Progression w\u00e4chst, wird y rasch sehr klein. Ein in dieser Form schwingender K\u00f6rper \u201e klingt ab Diese Schwingung, mit welcher er abklingt, bezeichnet man als den Eigen-t o n des K\u00f6rpers. Dieser ist ein wenig verschieden von demjenigen Ton, welchen er ohne Reibung und einmal angeschlagen geben w\u00fcrde und den man als Ton st\u00e4rkster Resonanz bezeichnet. Die Schwingungszahl\ndes letzteren ist gegeben durch den Ausdruck y \u2014, die des ersteren\ndurch den Ausdruck\ty-------------\n\u2014 y a'2m \u2014 4- b\u00b1 m 1\t4\nwo m die Masse des schwingenden Punktes und \u00f62 die Elasticit\u00e4ts-constante ist. Der Unterschied beider Ausdr\u00fccke kann vernachl\u00e4ssigt werden, sobald b klein ist.\nUm einen solchen K\u00f6rper f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit in Schwingung zu erhalten, bedarf es einer, w\u00e4hrend dieser Zeit einwirkenden, periodischen Kraft. Werde diese Kraft durch schwingende Luftmolek\u00fcle ausge\u00fcbt, so wird sie abh\u00e4ngig sein von deren Masse und periodischer Geschwindigkeit. Wir werden daher f\u00fcr dieselbe nach Formel (2) den Ausdruck\nam\n2 n\tt\nYrcos27ifr\nbilden k\u00f6nnen, m bedeutet die Masse des schwingenden Lufttheil-chens, T dessen Schwingungsdauer. Dann wird die Gleichung* f\u00fcr die unter Einwirkung des Anstosses. schwingende Masse werden:\n* Die Gleichung resultirt aus der Integration der Differentialgleichung d2y\nm \u2014nr \u2014\ndt2\n\u25a0= \u2014 aly -\nb^dy\t. t\nSt + C Sln 2 * T\nwobei ich die von Seebeck gegebene Form der Aufl\u00f6sung benutzt habe.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\ny = A sin 2 n ( \u2014 -f- 3 ) -f e\n- bt\nB sin 2 U\nT\n\u2014 3\n(9)\nwo A =\nam\n(r-T?) + b>\nT 2 _ T2)\nTATt und tang 3- \u2014 n\nbT2Ty\nTi ist die Schwingungsdauer der Luft, T diejenige der Membran, von 3 h\u00e4ngt die Phasenverschiebung der resultirenden Schwingung ab. Das zweite Glied rechts der Gl. 9 wird wegen des Co\u00ebfficienten ebt rasch verschwindend klein. Bei gen\u00fcgend grossem b wird es nicht einmal die erste Schwingung stark beeinflussen. Wir gehen also auf die Bedeutung dieses Gliedes hier nicht ein. Sobald es verschwunden ist, schwingt die Membran in derselben Periode, wie der anstossende K\u00f6rper, aber mit ver\u00e4nderter Phase und Amplitude. Letztere wird gross sein wenn T\\ = T ist; dann f\u00e4llt n\u00e4mlich in dem f\u00fcr A gegebenen Werth das erste Glied im Nenner fort und es wird A = -^-.\nImmer wird die Amplitude durch die D\u00e4mpfung verkleinert. Aende-rungen des Werth es\tn2\nJ\u2019i J1 2 t-* l 1 )\nwerden f\u00fcr eine Membran, so lange deren Spannung nicht wechselt, nur durch Aenderungen von Ti, also durch Erh\u00f6hung oder Vertiefung des erregenden Tons eintreten k\u00f6nnen. Wenn b gross ist gegen\n712\n-----(T2\u2014T\n1 1\nwird eine Aenderung von T\\ wenig Einfluss auf die Gr\u00f6sse von A haben k\u00f6nnen. Es bleibt dann zwar die Amplitude immer recht klein, aber sie ist f\u00fcr verschiedene T\u00f6ne gleicher St\u00e4rke nahe gleich gross. W\u00e4re, um ein Beispiel zu geben, die Abstimmung einer Membran sehr hoch T = V40000\", so w\u00fcrden die Werthe von A f\u00fcr T\u00f6ne zwischen lil0 bis V200\" sich nicht erheblich und zugleich sehr continuirlich \u00e4ndern. Noch mehr wird dies der Fall sein wenn gleichzeitig die D\u00e4mpfung stark ist.54\n54 Von Christiani (Verhandl. d. physiol. Gesellsch. in Berlin, 18. April 1879) ist k\u00fcrzlich die Theorie des Mitschwingens von Neuem der mathematischen Analyse unterworfen worden, und zwar besonders f\u00fcr den Fall, dass die D\u00e4mpfung gross genug sei, um die Bewegung, \u00e4hnlich wie bei den ged\u00e4mpften und astatisirten Magneten (du Bois-Reymond\u2019s), grade aperiodisch zu machen. Erfindet, dass f\u00fcr diesen Fall der Resonanzbereich 5\u2018At Octaven betr\u00e4gt, wenn ein Zehntel der Maximalresonanz als obere und untere Grenze des Mitschwingens gilt. Dies f\u00fcr das Trommelfell ohne Accommodation angenommen, w\u00fcrde der Resonanzbereich 5 Octaven betragen, aber von der Mitte dieses Bereichs aus w\u00fcrde die Intensit\u00e4t des Mitschwingens nach oben und unten gleichm\u00e4ssig und allm\u00e4hlich bis auf 110 heruntergehen, wenn das Trommelfell grade bis zur Aperiodicit\u00e4t ged\u00e4mpft w\u00e4re. Die Arbeit konnte f\u00fcr den Text nicht mehr benutzt werden.","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Schwingung des Trommelfells.\n41\nB) Anwendung der Theorie des Mitschwingens auf das Trommelfell.\nDas Trommelfell ist den, \u00fcber das Mitschwingen der Membranen gegebenen Regeln, unterworfen. Man kann sich also vorstellen, dass bei einer etwaigen phylogenetischen Entwicklung zur Wahl gestellt war, ob eine grosse Empfindlichkeit f\u00fcr einige T\u00f6ne, neben grosser Unempfindlichkeit f\u00fcr andere benachbarte, f\u00fcr das Ohr zur Verwendung kommen k\u00f6nne, oder ob grosse Gleichm\u00e4ssigkeit, aber zugleich Unempfindlichkeit, des schall\u00fcbertragenden Apparates vorzuziehen sei. Es w\u00fcrde ja denkbar sein, dass im Labyrinth oder Gehirn Einrichtungen geschaffen w\u00e4ren, welche die Ungleichm\u00e4ssigkeit der Ueber-tragung mittelst abgestimmter Membranen, durch Erh\u00f6hung und Verminderung der Empfindlichkeit der Endapparate, bis zu der thats\u00e4chlich vorhandenen Gleichm\u00e4ssigkeit der Intensit\u00e4tsempfindung compensir-ten. Dann aber w\u00fcrde eine kleine Verstimmung des Trommelfells den ganzen Mechanismus aufs st\u00e4rkste gef\u00e4hrden. Die Erfahrungen der Pathologen \u00fcber Krankheiten des Trommelfells, und Versuche Schmidekam\u2019s (8) \u00fcber das H\u00f6ren, w\u00e4hrend das Trommelfell durch Ber\u00fchrung mit einer Sonde verstimmt war, lassen nicht erkennen, dass die eintretenden St\u00f6rungen der Art sind, wie es letztere Annahme erfordert.\nAusserdem w\u00fcrde dabei durch Summirungder St\u00f6sse eine Eigenschwingung des Trommelfells eintreten k\u00f6nnen. Diese w\u00fcrde stattfinden, wenn die mittlere Amplitude der Membran, multiplicirt mit ihrer Masse, gr\u00f6sser w\u00fcrde, als die Amplitude der vor dem Trommelfell schwingenden Luftmolekel, multiplicirt mit deren Masse. In solchem Falle w\u00fcrden wir fast nur den, der Abstimmung der Membran entsprechenden Klang vernehmen, die Membran w\u00fcrde selbstt\u00f6nend werden, was f\u00fcr die objectiven Wahrnehmungen sehr hinderlich sein m\u00fcsste, und nicht beobachtet wird.*\nEs ist also eine gr\u00f6ssere Gleichm\u00e4ssigkeit mit gr\u00f6sserer Unempfindlichkeit des Apparates f\u00fcr den Menschen gew\u00e4hlt worden. Die daf\u00fcr zu stellenden Anforderungen k\u00f6nnen in zwei Weisen befriedigt werden, n\u00e4mlich durch sehr hohe Abstimmung, oder durch starke D\u00e4mpfung. Die erstere Weise, an die Savart (5l) gedacht hat, w\u00fcrde eine so hohe Abstimmung des Trommelfells erfordern, dass der entsprechende Ton ganz, oder beinahe, ausserhalb der f\u00fcr uns wahrnehmbaren T\u00f6ne liegen m\u00fcsste. Dann w\u00fcrde aber der Werth der Amplitude (A Formel 9) wegen des grossen Einflusses der Membranabstimmung T im Nenner, ein sehr geringer werden. Nach den Verh\u00e4ltnissen des Trommelfells kann eine hohe Abstimmung \u00fcber-\n* Bei unged\u00e4mpften Membranen h\u00f6rt man sehr leicht den Eigenton mitklingen.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nhaupt nicht angenommen werden. Je kleiner n\u00e4mlich die Fl\u00e4chen-ausdehnung, je dicker und unnachgiebiger die Substanz und je gr\u00f6sser die Spannung einer Membran ist, desto h\u00f6her wird ihr Eigenton sein.\nUnser Trommelfell hat eine im Verh\u00e4ltnis zur Dicke nicht kleine Fl\u00e4che, es ist zwar unnachgiebig, aber daf\u00fcr ist seine Spannung eine sehr geringe, so dass kein hoher Eigenton zu erwarten ist. Wir kennen zwar seine Abstimmung noch nicht, aber die genannten Eigenschaften des Tympanum lassen sich genau nachweisen.\nAls Gruber 55 die Spannung des Trommelfells untersuchte, fand er, dass das hintere Segment, namentlich im oberen Quadranten, besonders nachgiebig ist, dass kleine Einschnitte in die Membran nicht klaffen, und dass man den Hammer ganz aus dem Trommelfell l\u00f6sen k\u00f6nne, ohne dass dieses seine Gestalt \u00e4ndere. Diese That-sachen lassen sich leicht best\u00e4tigen und m\u00f6chte ich hinzuf\u00fcgen, dass der abgetrennte, dem Trommelfell wieder angelegte Hammerstiel sich diesem vollst\u00e4ndig anf\u00fcgt; ferner dass, sobald man am intacten Trommelfell den Hammer auch nur ein Minimum lateralw\u00e4rts dr\u00fcckt, feine Radi\u00e4rfalten, bei st\u00e4rkerem Druck gr\u00f6bere Circul\u00e4rfalten entstehen; sobald aber Falten auftreten, ist schon die Stellung, in welcher die Membran gespannt ist, \u00fcberschritten.\nDemnach wirkt auf das Trommelfell kein \u00e4usserer Zug, sondern dasselbe wird in seiner Stellung lediglich durch seine Steifigkeit erhalten. Ein Goldschl\u00e4gerh\u00e4utchen, auf einen Rahmen gespannt, benetzt und wieder getrocknet, hat eine durch aufgestreuten Sand leicht erkennbare Abstimmung. Dasselbe H\u00e4utchen, wieder befeuchtet und mit H\u00fclfe eines Conus \u00e4hnlich gew\u00f6lbt wie das Trommelfell, beh\u00e4lt getrocknet, verm\u00f6ge seiner Steifigkeit, diese Form. Pr\u00fcft man es jetzt auf seine Abstimmung, so findet sich, dass dieselbe \u00fcber zwei Octaven tiefer liegt wie im vorigen Fall. Es wird der Schluss erlaubt sein, dass auch das Trommelfell verm\u00f6ge seiner trichterf\u00f6rmigen Gestalt eine relativ tiefe Abstimmung habe.* *) Vielleicht erzeugt man seinen Eigenton, wenn man Luft in den Geh\u00f6rgang f\u00e4chelt. Der dabei auftretende Ton ist nicht genau zu bestimmen, aber kann gewiss nicht h\u00f6her sein als 700 Schwingungen. Savart\u2019s Ansicht entspricht demnach nicht den wirklich vorkommenden Verh\u00e4ltnissen; ja es kann zweifel-\n55 Gruber, Ueber d. normalen Spannungsverh\u00e4ltnisse d. menschl. Trommelfells. Monatschr. f. Ohrenhe\u00fckunde. No. 5. 1877.\n/ a2\n* Der Resonanzton ist nach Ir\u00fcherem 1/-wenn, wie beim Trommelfell, die\nV m\n\u00e4ussere Spannung wegf\u00e4llt, h\u00e4ngt a2 nur noch von der Steifigkeit der Membran ab ist also relativ zu m viel kleiner, als wenn noch die \u00e4ussere Spannung bei den Schwingungen stark mitwirkte. Die Schwingungszahl des Resonanztons wird daher gering sein m\u00fcssen.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Schwingung des Trommelfells.\n43\nkaft sein, ob einer so unsymmetrischen Membran \u00fcberhaupt eine pr\u00e4-cise Abstimmung zukomme.\nEine starke, durch die Kn\u00f6chelchen und das Labyrinthwasser bewirkte D\u00e4mpfung, bezeichnete Seebeck (52) und nach ihm Mach (53) als die Ursache der Gleichm\u00e4ssigkeit unserer Tonwahrnehmung. In Folge solcher D\u00e4mpfung wird also die Amplitude der Schwingungen sehr verringert, aber es wird die Wirksamkeit einer Abstimmung der Membran in dem Maasse zur\u00fccktreten, wie die D\u00e4mpfung \u00fcberwiegt. Je niedriger der Eigenton der Membran ist, desto geringer braucht die D\u00e4mpfung zu sein, um den Einfluss der Abstimmung zu eliminiren und die Bewegung, nachdem der Membran ein einzelner Stoss ertkeilt ist, \u00e4hnlich wie bei einem ged\u00e4mpften Magneten, aperiodisch zu machen.\nBei den etwas eigent\u00fcmlichen Verh\u00e4ltnissen des Schallleitungsapparates lassen sich die Bedingungen noch nicht so \u00fcbersehen, dass eine genauere Ausbildung der von Seebeck gegebenen Darlegung, namentlich was den Einfluss der etwa vorhandenen Theilt\u00f6ne des Trommelfells betrifft, zu geben w\u00e4re. Der Einfluss der ungleick-m\u00e4ssigen Nachgiebigkeit, der ovalen Gestalt und geneigten Lage des Trommelfells, sowie der unsymmetrischen Insertion des Hammerstiels, ist noch nicht gepr\u00fcft. Diese Verh\u00e4ltnisse finden sich \u00fcbrigens nach Moldenhauer55 \u00e4hnlich bei Reptilien und V\u00f6geln, und sind bei vielen S\u00e4ugetieren mindestens so auffallend wie beim Menschen, d\u00fcrften also nicht unwichtige sein.\nUeber den mechanischen Effect der Convexit\u00e4t der Trommelfell-Meridiane und \u00fcber denjenigen der trichterf\u00f6rmigen Einziehung (die bei V\u00f6geln zu einer Vorw\u00f6lbung umgestaltet ist) hat Helmholtz (32) Aufschl\u00fcsse gegeben. Er weist nach, dass eine relativ betr\u00e4chtliche Verschiebung der Fl\u00e4che des Trommelfells in Richtung des auf sie wirkenden Luftdrucks, eine verk\u00e4lt-nissm\u00e4ssig kleine Verschiebung der Hammerspitze bedingt. Daraus folgt nach dem allgemeinen mechanischen Gesetz der virtuellen Geschwindigkeit, dass schon ein verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig geringer Werth des Luftdrucks einer verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grossen, am Hammergriff angebrachten Kraft, das Gleichgewicht halten, beziehentlich eine solche ersetzen wird.\nBetrachtet man eine einzelne Radi\u00e4rfaser des Trommelfells, deren\n56 Moldenhauer . vergleichende Histologie d. Trommelfells. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. XIII. S. 113. 1878.\nFig. 16. Schematischer Durchschnitt des Trommelfells nebst Construction zur Erl\u00e4uterung des Nachfolgenden.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nrelative Unausdehnbarkeit angenommen wird, und nennt dieselbe l (Fig. 16); nennt man ferner die dazu geh\u00f6rende Sehne l und den Abstand der Mitte des Bogens von der Mitte der Sehne s, so wird die Gleichung\t8 s2\n/_a=it\nGeltung haben.\nI \u2014 1 ist die Gr\u00f6sse, um welche die beiden Enden des Bogens sich einander n\u00e4hern, wenn letzterer sich st\u00e4rker w\u00f6lbt; es ist also auch die Bewegung, welche der Hammerstiel dabei machen w\u00fcrde, wenn er allein unter Wirkung der betreffenden Faser st\u00e4nde, s ist die Verschiebung der Mitte der Faser. Wenn nun s verschwindend klein ist im Vergleich mit /, so ist die Gr\u00f6sse l\u2014 l eine unendlich kleine Gr\u00f6sse zweiter Ordnung, verglichen mit s ; letzteres wird sich also stark ver\u00e4ndern m\u00fcssen, wenn die Faserenden sich um etwas n\u00e4hern und entfernen sollen.\nDie Kraftverh\u00e4ltnisse findet Helmholtz aus folgender Betrachtung. Wenn man sich die \u00fcberall gleichgekr\u00fcmmte Faser l bis zum Halbkreis mit dem Radius r verl\u00e4ngert denkt und sie f\u00fcr jede L\u00e4ngeneinheit mit dem Druck p belastet, dann m\u00fcssen die, die beiden Enden der Faser spannenden Kr\u00e4fte, welche wir mit 21 bezeichnen, dem Druck das Gleichgewicht halten, der auf den ganzen Durchmesser des Halbkreises in gleicher Breite wie sie die Faser hat, ausge\u00fcbt wird, d. h. der Gr\u00f6sse 2rp. Daraus folgt:\n2 t \u20142 rp, oder t = rp.\nJe gr\u00f6sser also r ist, desto gr\u00f6sser wird die, durch Aenderung des Luftdrucks auf die Faser bewirkte,Spannungs\u00e4nderung derselben sein; diese aber ist es, welche die Schallersch\u00fctterungen auf den flammer \u00fcbertr\u00e4gt.\nBei Versuchen, die, in Folge einer Luftdruckschwankung auftretende Bewegung von Hammer und Trommelfell zu messen, welche so ausgef\u00fchrt wurden, dass ein Manometer in den mit Wasser gef\u00fcllten Geh\u00f6rgang eingesetzt, und vom Steigb\u00fcgel aus die Bewegung veranlasst wurde, fand sich, dem Obigen entsprechend, dass die Fl\u00e4che des Tr ommelfells wenigstens dreimal so starke Excursionen machte, als der Hammergriff, welcher sie in Bewegung setzte.\nDie Wirkung aller Fasern des Trommelfells auf den Hammer ist von Helmholtz zun\u00e4chst nur f\u00fcr eine regelm\u00e4ssig geformte Membran abgeleitet. Eine solche sei kreisrund, in der Mitte kegelf\u00f6rmig eingezogen und ringsum symmetrisch gestaltet, bilde also eine Rotationsfl\u00e4che, deren Durchschnitt in der Fig. 16 gegeben sei. Ist eg die Axe, R der Radius des Randkreises, ferner a der Winkel, den","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Schwingung des Trommelfells.\n45\ndie in der Ebene der Zeichnung gezogene Tangente an der Spitze der Membran mit der Axe macht und \u00df der Winkel, den die entsprechende Tangente eines Randpunktes der Membran mit der Axe macht, ist endlich p der Luftdruck, so findet sich die Kraft /*\u2019, welche an dem Centrum der Membran angebracht werden muss um dem Luftdruck das Gleichgewicht zu halten, aus der Formel\n^ pnR^cosa cos \u00ab \u2014 cos \u00df\nJe kleiner also der Unterschied zwischen a und \u00df, d. h. je flacher gespannt die Membran ist, desto gr\u00f6sser wird die Kraft k. Aber die Kraft w\u00e4chst auch, und zwar wie cos a, wenn die Winkel a und \u00df bei gleichbleibender Differenz cos a \u2014 cos \u00df kleiner werden, d. h. wenn die Spitze der Membran st\u00e4rker eingezogen wird.\nUm die akustische Wirkung solcher Membranen zu pr\u00fcfen, con-struirte Helmholtz den Apparat Fig. 17.\ne\nr a o9.\t1 V7\tA {\ty\tj i\n\u00ae\u2014pr\tt f'\\\t' \u00e4\t\nFig. 17. Die dem Trommelfell \u00e4hnlich geformte Membran sitzt auf dem Cylinder e, vor demselben ist eine Saite ab ausgespannt, \"welche hei c behufs der Verk\u00fcrzung des St\u00fcckes bc \u00fcber einen Steg l\u00e4uft, der auf einem Bleiklotz steht: letzteres um die Tonubertragung auf das Grundbrett A zu verhindern. Bei / ist ein St\u00e4bchen zwischen Saite und Membran gestellt, welches durch einen Steg auf dem Bleiklotz d getragen wird und welches die Verbindung zwischen Membran und Saite herstellt.\nDie Versuche ergaben, dass wirklich durch diese Verbindung der Ton derSaite sehr kr\u00e4ftig an die Luft \u00fcbertragen wird, namentlich bei hohen T\u00f6nen (der viergestrichenen Octave). Umgekehrt \u00fcbertr\u00e4gt sich leicht eine Tonbewegung in der Luft an die Saite, am besten wenn der Eigenton der Saite mit dem Eigenton der R\u00f6hre gleich ist; aber auch sonst kommen auf die Saite gesetzte Reiter von Papier leicht in Bewegung.\nDie trichterf\u00f6rmige Gestalt des Trommelfells giebt zur Entstehung von Combinationst\u00f6nen und Theilt\u00f6nen im Leitungsapparat und Labyrinth Anlass. Es ist nachgewiesen, vgl. S. 15, dass man unter Umst\u00e4nden diese T\u00f6ne h\u00f6rt, wo kein H\u00fclfsmittel deren objektives Auftreten im Luftraum nach weisen l\u00e4sst. Der Grund f\u00fcr die Umwand-","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nlung einfacher Tonbewegungen in diese complicirteren Formen liegt in Folgendem. Die Combinationst\u00f6ne treten, auf wenn die Kraft k nicht mehr die Form hat:\nk \u2014 ay\nsondern\tk \u2014 ay-\\-by2.\nLetztere Gleichung fordert, dass f\u00fcr \u2014y7 d. h. bei der negativen Phase der Bewegung, die Kraft k nicht nur ihr Vorzeichen, sondern auch ihren absoluten Werth \u00e4ndere; denn statt y \u2014y gesetzt, haben wir\n\u00a3 = \u2014 ay + by2.\nBei st\u00e4rkeren Excursionen muss sich das Trommelfell spannen wenn es nach einw\u00e4rts geht, wirft dagegen Falten, wenn es die Ruhelage nach aussen zu merklich \u00fcberschreitet. Dies Verhalten entspricht also den Bedingungen der 2. Gleichung und es f\u00fchrt insofern mit mathematischer Nothwendigkeit zum Auftreten der bei der Besprechung der Combinationst\u00f6ne S. 15 gegebenen Tonreihe.57\nEs er\u00fcbrigt noch, die D\u00e4mpfung n\u00e4her zu w\u00fcrdigen. Das Trommelfell hat an sich eine kleine Masse, zu deren D\u00e4mpfung ein nur kleiner Werth von b ausreichen w\u00fcrde. Jedoch insoweit es noch durch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen belastet ist, tritt auch eine Vermehrung der in Rechnung zu ziehenden Masse des Systems ein. Nach Seebeck ist die D\u00e4mpfung gegeben 1) durch das Wasser des Labyrinths, 2) durch die Geh\u00f6rkn\u00f6chelchenkette. Die letzteren werden d\u00e4mpfend wirken, weil sie durch B\u00e4nder gehalten und in ihren Mitschwingungen gehemmt werden. Da die B\u00e4nder, wie wir gesehen, relativ starke Theile sind, k\u00f6nnte die Ansicht berechtigt erscheinen, dass, da sie selbst eine Abstimmung* * haben, diejenige des kaum gespannten Trommelfells dem gegen\u00fcber zur\u00fccktreten w\u00fcrde. Diese Abstimmung w\u00fcrde wegen der K\u00fcrze und Dicke der B\u00e4nder vielleicht sogar die, von Savart f\u00fcr den Leitungsapparat verlangte H\u00f6he, haben k\u00f6nnen. 'Um die Verh\u00e4ltnisse zu pr\u00fcfen, wurde von mir an eine trichterf\u00f6rmige Membran ein Metallstreifen als Hammer befestigt, und die Axe desselben durch kurze, kr\u00e4ftig zu spannende Eisendr\u00e4hte hergestellt, s. Fig. 18. Die Abstimmung dieser Dr\u00e4hte ist eine sehr hohe, aber es l\u00e4sst sich nicht nachweisen, dass die Wiedergabe hoher T\u00f6ne bei dieser Einrichtung besonders beg\u00fcnstigt sei. Der Apparat wirkt aber sowohl als Logograph wie als Phonograph recht gut, was nur der D\u00e4mpfung zu verdanken ist. Immerhin h\u00e4tte diese noch etwas st\u00e4rker sein\n57 J. J. M\u00fcller, Ueb. d. Tonempfindung. Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d.Wiss. XIII. S. 115 bat eingebende Untersuchungen \u00fcber die Ver\u00e4nderungen, welche ein Klang in Folge dieser Verh\u00e4ltnisse erleidet, gemacht, es handelt sich um sehr kleine Modifikationen hinsichtlich deren auf das Original verwiesen werden muss.\n* Weiteres \u00fcber diese Abstimmung siehe S. 49.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Combinationst\u00f6ne. Beobachtung der schwingenden Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen.\n47\nk\u00f6nnen, denn die Bewegung der angestossenen Membran war noch nicht aperiodisch. Daraus ergiebt sich, dass die Fesselung der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen, so stark die Bandmassen auch sind, gewiss nicht geringer h\u00e4tte sein d\u00fcrfen, dass aber eine scharfe Abstimmung des Apparats durch die B\u00e4nder nicht bewirkt wird.\nC) Directe Beobachtungen der Schwingungen des Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen\napparats.\nEs sind eine Reihe von Beobachtungen \u00fcber die Schwingungen des Apparates in der menschlichen Paukenh\u00f6hle gemacht worden. Bei denselben ist hervorzuheben , dass die Muskelelasticit\u00e4t nothwendig gegen den normalen Zustand ver\u00e4ndert war, und dass in der Regel die Tonwellen wegen Er\u00f6ffnung des Cavum tympani, das Trommelfell auch von der inneren Seite, wenn gleich mit verminderter Kraft, trafen. Die Beobachtungen wurden mittelst Zuleitung des, stets sehr kr\u00e4ftigen Tons in den \u00e4usseren Geh\u00f6rgang, angestellt, indem man entweder R\u00f6hren oder\nFig. 18. A Tonzuleitungsapparat f\u00fcr Untersuchungen der Schwingungen im Wasser, derselbe Apparat dient, je nachdem man die Spitze a des Hammers b mit einer spitzen Feder oder mit einem festen Stift armirt, als Logograph oder als Phonograph, c das Trommelfell, e die Axe des Hammers, aus zwei Dr\u00e4hten bestehend, die den als Hammer dienenden Metallhebel umspannt halten. Ein Durchschnitt des Gelenks ist bei B gegeben, man sieht wie die den Hammer darstellende Metallplatte b von zwei Dr\u00e4hten umfasst wird, welche durch die Schraube d gespannt werden. Von dem Rohr f aus wird der Ton zugeleitet. g ist ein mit Wasser gef\u00fcllter Kasten, dessen Boden durch eine Glasplatte geschlossen wird, h ein mit einer Membran \u00fcberzogener Tubulus zur Ableitung der Schallbewegung aus dem Wasser. i eine Nadel, auf welche das zu untersuchende Object befestigt wird. Die Nadel wird jedoch durch einen, hier nicht sichtbaren Tubulus von der Seite her mit H\u00fclfe eines Korks in den Kaum eingef\u00fchrt. Die verschiedenen Schrauben dienen zur genauen Einstellung und Befestigung der Theile.\nResonatoren in ihn fest einf\u00fcgte.\nDie ersten Versuche bat Politzer (29-s-59) gemacht, welchem es gl\u00fcckte, durch, auf Hammer und Ambos geklebte F\u00e4den, recht deutliche Curven auf einen berussten rotirenden Cylinder schreiben zu lassen. Einfache T\u00f6ne, Schwebungen und etwas zusammengesetzte Schwingungen wurden so gezeichnet. Aehnliche Erfolge hatte auch Blake58, der das Trommelfell zur Benutzung als Logograph empfiehlt, Buck59 hat die Schwingungen an den Schwingungslinien, welche\n58\tClarence Blake, Ueb. d. Verwerthung d. Mernbr. tymp. als Phonoautograph und Logograph. Arch. f. Augen- u. Ohrenheilkunde. V. S. 434. 1876. Interessant ist. dass der Erfinder d. Telephons, Graham Bell, sich bei den Versuchen betheiligte.\n59\tBuck, Ueb. d. Mechanism, d. Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen. II. Ebenda 1870.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\ndurch gl\u00e4nzende Punkte an den Kn\u00f6chelchen entstehen, mikroskopirt. Die Excursionsweite des Hammerkopfs ging bis 0,43 mm. Ein doch recht beachtenswerter Befund ist, dass bei kleineren Schwingungen oft dieselbe Amplitude an Hamm er k\u00f6pf und Steigb\u00fcgel gefunden wurde; andere Male dagegen nur *9 derselben. Die Bewegungsrichtungen entsprechen nicht besonders gut den yon Helmholtz gelehrten Ansichten, jedoch erkl\u00e4rt Buck diese in den Einzelheiten nur best\u00e4tigen zu k\u00f6nnen, was uns gen\u00fcgen kann. Hensen (S- s- 100), der schon vor Buck in dieser Weise und zwar von der unteren Wand des Cav. tymp. aus, untersucht hatte, bemerkt, dass das Trommelfell sich st\u00e4rker bewegte als das Manubrium, und dass die Schwingung dieser Theile nicht um ihre Ruhelage, sondern um einen etwas einw\u00e4rts davon gelegenen Punkt vor sich ging. Mach und Kessel (60> 61*62) haben mit H\u00fclfe eines stroboscopischen Verfahrens die genauesten Nachrichten gegeben. Ein Heliostat warf die Sonnenstrahlen durch einen Spalt auf das Pr\u00e4parat, jedoch ein zweiter Spalt, welcher auf einer schwingenden Stimmgabel angebracht war, schnitt die Strahlen periodisch ab, so dass das Pr\u00e4parat nur kurze Zeit und so oft wie die Stimmgabel eine Schwingung vollendete, beleuchtet wurde ; dem Geh\u00f6rgang wurde dann mit H\u00fclfe eines Schlauches, von einer, der Stimmgabel nahe gleich gestimmten Orgelpfeife aus, der Ton zugef\u00fchrt. Man sah daher den beobachteten Punkt alle Phasen seiner Schwingung allm\u00e4hlich durchlaufen. Auch an dem Trommelfell des lebenden Menschen konnten auf diese Weise die Schwingungen beobachtet werden. Dies geschah mit umstehendem Apparat Fig. 19.\nDa die am Lebenden gemachten Beobachtungen zu keinem anderen Resultat f\u00fchrten, als diejenigen am Pr\u00e4parat, gen\u00fcgt es, \u00fcber die letzteren zu berichten. Bei Ankunft der Verdichtungsphase flacht sich das Trommelfell, vom Umbo her beginnend, ab und wird sogar schwach concav. Diese Bewegung soll bei den l\u00e4ngeren hinteren Fasern des Trommelfells l\u00e4nger fortdauern, wie bei den vorderen. Der Hammerstiel geht von vorn aussen, nach hinten innen, und dreht sich so, dass die Spitze des Proc. obtusus von oben nach unten und hinten gef\u00fchrt wird. Dabei werden am Kopf die medialen oberen Gelenkr\u00e4nder von einander entfernt, die Gelenkkapsel w\u00f6lbt sich an dieser Stelle vor, w\u00e4hrend sie auf der entgegengesetz-\n60\tKessel, Ueb. d. Einfluss d. Binnenmuskeln d. Paukenh\u00f6hle. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. S. 80. 1874.\n61\tMach u. Kessel, Beitr\u00e4gez.Topographie u. Mechanik d. Mittelohrs. Sitzgsber. d. Wiener Acad. III. Wien 1844.\n62\tDieselben. Versuche \u00fcb. Accommodation d. Ohrs. Ebenda 1872 u. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. S. 121.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtung der schwingenden Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen.\n49\nt m\u2014\nten Seite in Folge von Verschiebung des Meniscus und der Synovia einsinkt. Der Hammer schleift etwas auf dem Ambos, in der negativen Phase geschieht letzteres jedoch in viel h\u00f6herem Grade. Die Spitze des kurzen Ambosfortsatzes macht einfache Rotationsbewegungen.\nDas Ossiculum Sylvii schleift auf dem Steigb\u00fcgel; es bewegt sich nach innen und zugleich nach vorn und oben. Der ganze Fusstritt des Steigb\u00fcgels wird labyrinthw\u00e4rts gedr\u00e4ngt, am ausgiebigsten an dem vorderen Theil, dann auch am oberen Rande, zuweilen ist seine Bewegung schraubenf\u00f6rmig.\nF\u00fcr manche Fragen entscheidend ist die Beobachtung, dass die Membran des runden Fensters nach aussen geht, wenn der Steigb\u00fcgel sich nach innen bewegt.\nDie Bewegungen waren z. B. in einem Falle bei Druckschwankungen von + 0,0053 Atmosph\u00e4ren und 256 Schwingungen am Umbo 0,5, Ham-merkopf 0,32, .Steigb\u00fcgelk\u00f6pfchen 0,06 mm.\nWeber Liel 63 hat bei Beobachtung der Steigb\u00fcgelplatte vom Labyrinth aus bei geschlossener Paukenh\u00f6hle gefunden, dass die Circular-m e m b r a n sch on bei leisen T\u00f6nen deutlich schwinge, w\u00e4hrend die Fussplatte selbst noch keine Bewegung erkennen Hess. Auffallender Weise ist grade ein solches Verhalten von Riemann 64 als ein, den Klang sehr entstellendes, aufgefasst worden.\nBez\u00fcglich einer Abstimmung der Theile des Leitungsapparates hat Mach (53) durch Rechnung erwiesen, dass f\u00fcr die einzelnen Theile:\nTrommelfell, Hammer, Ambos, Steigb\u00fcgel, Labyrinthwasser, ja vielleicht f\u00fcr die einzelnen Axen ihrer Bewegung, besondere Abstimmungen anzunehmen seien, deren Einfluss auf die Schwingungen von dem Grade ihrer D\u00e4mpfung abh\u00e4ngt. In der That fand Hensen (S-s-8':), dass bei der directen Zuleitung des Tons einer Sirene in sein Ohr, bei dem Durchlaufen der Tonreihe eine Anzahl stark markirter Schwellungen eintrat, f\u00fcr die eine \u00e4ussere Ursache nicht zu finden war. Die zu starken T\u00f6ne wirkten jedoch\n63\tWeber Liel, Membr. tympan, secund. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 1, 4, 5. 1876.\n64\tBiemakn, Mechanik d. Ohrs. Ztschr. f. rat. Med. XXIX. S. 129.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.\t4\nFig. 19. Der in den Geh\u00f6rgang des gut fixirten Kopfes eingef\u00fchrteTrieh-ter aa -warf mit H\u00fclfe der Linse d und des hei c durchsichtigen Spiegels bb Sonnenlicht auf das Trommelfell, w\u00e4hrend durch die Oeffnung e der Ton zugeleitet wurde. Die Linse g entwarf ein Bild des mit Goldbronce best\u00e4ubten Trommelfells bei t\u2018 und dieses wurde mi-croscopisch beobachtet. h Trieb.","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nverletzend auf das Ohr, so dass die Versuche nicht gen\u00fcgend wiederholt werden konnten. Die directe Beobachtung der Kn\u00f6chelchen, sei es mit H\u00fclfe des Microscops, sei es mit aufgeklebten F\u00fchlhebeln angestellt, ergab f\u00fcr T\u00f6ne verschiedener H\u00f6he, aber \u00e4hnlicher Intensit\u00e4t ein sehr verschiedenes Mitschwingen, von kaum merklicher Bewegung bis zu \u00fcberraschend starken Elongationen. Die st\u00e4rkeren Schwingungen traten keineswegs gleichzeitig in allen drei Kn\u00f6chelchen auf, sondern es betheiligten sich daran, nat\u00fcrlich unter entsprechender Gleitung in den Gelenken, jeweilig das eine oder das andere vorwiegend. Diese Verschiedenheit des Mitschwingens ist bei den Maassangaben aller Beobachter nachzuweisen, doch wurde sie am eingehendsten von Schmidekam (s) verfolgt. Da unser Ohr bei weniger intensiven T\u00f6nen von dieser Ungleichm\u00e4ssigkeit kaum etwas empfindet, w\u00fcrde man schliessen k\u00f6nnen, dass die D\u00e4mpfung stark genug sei, um Eigenschwingungen geringer Amplitude rasch unmerklich zu machen, aber es bleibt die M\u00f6glichkeit offen, dass den Binnenmuskeln des Ohrs dabei eine Rolle zuMle.\nFast alle diese Beobachtungen, so m\u00fchevoll und dankenswerth sie sind, k\u00f6nnen doch nur als erste Ann\u00e4herungen an die Beobachtung normaler Vorg\u00e4nge bezeichnet werden, denn stets handelt es sich um T\u00f6ne \u00fcbergrosser Intensit\u00e4t, um todte Theile oder ung\u00fcnstige Lage des lebenden Trommelfells, um ge\u00f6ffnete Paukenh\u00f6hle oder Labyrinth, um Einwirkung ungew\u00f6hnlicher Resonanzverh\u00e4ltnisse und zuweilen um Belastung der Theile mit F\u00fchlhebeln, welche eigene Abstimmung haben. Im Ganzen stehen die Resultate der physiologischen Untersuchung im Einklang mit den physikalischen und anatomischen Voraussagen.\nD) Molekular- und Massen-Schwingungen.\nLange Zeit hat eine Differenz der Ansichten bestanden, welche dahin ging, dass die Einen, nach dem Vorgang von Eduard Weber65 annahmen, die eigentliche Uebertragung des Schalls gesch\u00e4he durch Massenschwingung des ganzen Leitungsapparates, die Anderen aber, namentlich Joh. M\u00fcller (13) und mit ihm die meisten vergleichenden Anatomen, denen die im Wasser lebenden Thiere so nahe liegen, gegen diese Annahme Bedenken hatten und glaubten, es m\u00fcssten Molekularschwingungen (Longitudinalschwingungen) die Rolle der Schall\u00fcbertragung \u00fcbernehmen.\nEs ist richtig, dass die entstehende Bewegung, wenn der Zug der schwingenden Trommelfellfasern die Molek\u00fcle des Hammers trifft, sich im Hammer nach allen Richtungen fortpflanzen muss. Es wer-\n65) Ed. Weber, Ueb. d. Zwecke d. Fenestr. rot. Ber. \u00fcb. d. 19.Versamml. dtscbr. Naturf. S. 83. 1841 u. Ber. d. s\u00e4chs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Klasse. 1851.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Molekularschwingungen.\n51\nden dann die freistehenden Theile, \u00e4hnlich wie dies am Stiel einer Stimmgabel microscopisch zn beobachten ist, normal gegen die Oberfl\u00e4che stossen, es werden also Molekularschwingungen auftreten. Dass diese sich bei den Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen wirklich finden, scheinen Beobachtungen Schmidekam\u2019s (8) zu- erweisen, denen zufolge aufgeklebte F\u00fchlhebel nach Tonh\u00f6he die Richtung ihrer Schwingungen ver\u00e4ndern. Es ist aber zu bedenken, dass von allen diesen Bewegungen nur diejenigen zur Verwerthung kommen, welche sich nach dem Labyrinth hin fortpflanzen. Die Berechnung eines speciellen Falls zeigt vielleicht am deutlichsten, dass in genannter Richtung Massenbewegung erfolgen muss. Nehmen wir die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Knochen zu 2000 Metern (in Stahl ist sie c. 5000 M.) und ziehen den f\u00fcr die Wahrnehmung schon zu hohen Ton von 40000 Schwingungen in Rechnung, so ergiebt sich dessen Wellenl\u00e4nge im Knochen zu 50 mm. Die Dicke des Hammerstiels zu 1 mm. genommen, berechnet sich, dass von dem Moment an, wo der Stoss die laterale Fl\u00e4che desselben trifft bis zu dem, wo er an seiner medialen ankommt, der 50. Theil einer Schwingung abgelaufen sein wird. W\u00e4hrend 24 solcher Zeittheil-chen wirkt auf alle Molek\u00fcle des Hammers der Druck, im 25. auf einen Theil derselben Zug, auf den anderen Druck dann in 24 Zeit-theilen auf alle Zug. Weil also alle Molek\u00fcle fast stets in gleicher Richtung gedr\u00e4ngt werden, wird sich die ganze Masse des Hammers und ebenso die der anderen Kn\u00f6chelchen in die gleiche Bewegung setzen m\u00fcssen. Da dies schon f\u00fcr die T\u00f6ne k\u00fcrzester Wellenl\u00e4nge gilt, sind wir berechtigt im Allgemeinen von den Formver\u00e4nderungen, welche die Kn\u00f6chelchen in ihrem Inneren erleiden, abzusehen. Riemann (64) fordert zwar wegen der ungemeinen Kleinheit noch h\u00f6rbarer Druckschwankungen, absolute Treue in der Wiedergabe derselben und glaubt, dass schon Temperaturschwankungen in der Pauke die Treue der Massenschwingungen st\u00f6ren k\u00f6nnten; aber einerseits geschieht die Uebertragung doch anders, wie er dieselbe sich scheint vorgestellt zu haben, andererseits wird in der That, wie Helmholtz (32) bemerkt, eine absolute Treue der Wiedergabe sich nicht finden und gen\u00fcgt es, um gute Wahrnehmungen zu erlangen, wenn nur immer dieselben kleinen St\u00f6rungen unter denselben Bedingungen sich in gleicher Weise wiederholen.\nE) Belastung des Trommelfells.\nEs sind noch einige Experimente zu erw\u00e4hnen, welche sich auf Belastung des Trommelfells beziehen. Bei einer t\u00f6nend schwingendem Membran w\u00fcrde Ber\u00fchrung oder Belastung \u00e4usserst st\u00f6rend\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nwirken, bei immer nur mitschwingenden ged\u00e4mpften Membran wird dies weniger der Fall sein. In der That fand Schmidekam (s), dass Ber\u00fchrung des Trommelfells durch federnde Sonden die Schall-Wahrnehmung nicht hinderte, w\u00e4hrend jede Ber\u00fchrung der Sonde sehr stark vernommen wurde. F\u00fcllung der Geh\u00f6rg\u00e4nge mit Wasser und Untertauchen hat nach Weber (65-s-3\u00b0) den Verlust des Verm\u00f6gens, zu unterscheiden von welcher Seite ein Ton komme, zur Folge. (Vermuthlich wegen der grossen L\u00e4nge der Schallwelle im Wasser und wegen Enge des Bassins.) Nach Schmidekam tritt ausserdem ein 1. starke osteo-tympanale Leitung; (man m\u00f6chte glauben, weil die Wassermasse im Geh\u00f6rorgan den Schall besser aufnimmt und dem Trommelfell zuf\u00fchrt, als sonst die Luft); 2. bedeutende Schw\u00e4chung der Empfindung der eigenen lauten Sprache, w\u00e4hrend die eigene Fl\u00fcstersprache noch gut vernommen wird. Dies erkl\u00e4rt sich vielleicht dadurch, dass durch die Wasserbelastung nicht nur die Spannung, sondern mehr noch die D\u00e4mpfung des Trommelfells vermehrt wird. Diese D\u00e4mpfung schadet wahrscheinlich der Wahrnehmung von Ger\u00e4uschen nicht viel, w\u00e4hrend die Suminimng der Bewegung, welche bei regelm\u00e4ssigen Tonschwingungen eintritt, durch die D\u00e4mpfung sehr herabgesetzt wird.\n3. Trommelh\u00f6hle und Tuba Eustaehii.\nDie Paukenh\u00f6hle der S\u00e4uger ist von sehr wechselnder Gestalt. Bald von \u00fcberraschender Ausdehnung, bald relativ klein, obgleich nie sehr klein, oft mit glatten W\u00e4nden versehen, aber h\u00e4ufiger innen rauh oder mit kleinen und grossen Zellenr\u00e4umen bekleidet, ja selbst in zwei oder drei fast v\u00f6llig von einander getrennte B\u00e4ume getheilt. Vereinzelt communiciren die Pauken beider Ohren. Aus diesen Verh\u00e4ltnissen sind physiologische Schl\u00fcsse bisher nicht gezogen, es sei denn der, dass der besonderen Gestalt der H\u00f6hle kein grosses Gewicht beizulegen sei.\nDie theoretischen Forderungen, welche an diesen Theil zu stellen sind, hat Mach66 in klarer Weise entwickelt. F\u00fcr die Trommelfellschwingungen, sagt er, wird der gr\u00f6sste Nutzeffekt erzielt wenn dasselbe von einer Seite m\u00f6glichst gegen die Schallwellen gesch\u00fctzt ist. Die H\u00f6hle darf nicht zu flach sein, denn bei geringer Tiefe werden schon durch kleine Trommelfellexcursionen bedeutende Expansivkr\u00e4fte der eingeschlossenen Luft geweckt, dagegen k\u00f6nnte eine gr\u00f6ssere Trommelh\u00f6hle von regelm\u00e4ssiger (nicht von Zellen durchsetzter) Form wegen der Resonanz nachtheilig werden.\n66 Mach u. Kessel, Die Function d. Trommelh\u00f6hle u. Tuba. Sitzgsber. d. Wiener Acad. 3. Abth. 1872.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Trommelh\u00f6hle, Tuba Eustachii.\n53\nDie Ver\u00e4nderungen, welche die Luft in der Paukenh\u00f6hle erf\u00e4hrt, sind nicht untersucht. Wir d\u00fcrfen mit L\u00f6wenberg67 dessen sicher sein, sie mit Wasserdampf ges\u00e4ttigt zu finden, auch wird in Folge Wirkling der gef\u00e4ssreichen Oberfl\u00e4chen eine Vermehrung der Kohlens\u00e4ure und Verminderung des Sauerstoffs eintreten. Es kommt jedoch ferner in Betracht, dass ein osmotischer Strom durch das Trommelfell gehen d\u00fcrfte, und dass eine periodische Communication mit der Nasenluft durch die Tuba vermittelt wird.\nUeber die Tuba Eustachii haben namentlich die Ohren\u00e4rzte sehr eingehende Untersuchungen angestellt, da sie den einzigen practi-cabeln, und zugleich einen h\u00e4ufig erkrankten, Zugang zur Paukenh\u00f6hle bildet.\nDie Tuba, hervorgegangen aus dem inneren Theil der ersten Kiemenspalte, ist ein 35 mm. langer Kanal, welcher aus einem 11 mm. langem kn\u00f6chernen und 24 mm. langen knorpelig-h\u00e4utigen Theil besteht. Das Ostium tympanicum liegt nach vorn und ziemlich nahe am Dach der Paukenh\u00f6hle ; das Ostium pharyngeum im Pharynx, in gleicher H\u00f6he mit dem hinteren Ende der unteren Nasenmuschel. An der Uebergangsstelle zwischen Knorpel und Knochen ist die Tuba am engsten, 2 mm. hoch und 1 mm. breit, die Paukenm\u00fcndung hat 5 mm. H\u00f6he und 3 mm. Breite ; das Ostium pharyngeum 9 mm. H\u00f6he und 5 mm. Breite.\nDie Schleimhaut der Tuba tr\u00e4gt ein geschichtetes Flimmerepi-thelium, welches in der Lichtung nach dem Pharynx zu arbeitet. Im submuc\u00f6sen Gewebe finden sich namentlich in der N\u00e4he des unteren Randes des Tubenspaltes, erhebliche Mengen von Schleimdr\u00fcsen, ausserdem, nach Gerlach68, Balgdr\u00fcsen. An der medialen Wand des Ganges liegt eine Knorpellamelle, welche an dem tympanalen Ende mit der Bandmasse des Foramen lacerum anterius verwachsen ist, nach dem Pharynx zu sich von der Sch\u00e4delwand frei macht, und welche sich mit ihrem oberen Rande lateralw\u00e4rts \u00fcber den Tubenkanal hin\u00fcberbiegt, so dass sie im Durchschnitt eine hakenf\u00f6rmige Gestalt zeigt.\nAn dieser Knorpelkante, oder nach Tr\u00f6ltsch99 noch mit von der Tubenschleimhaut, entspringt der Tensor palati, w\u00e4hrend ohne Verbindung mit letzterer der Levator unterhalb des Tubenkanals ver-\n67\tLoewenberg, Rechange des gaz d. 1. caisse d. Tympan. Memoire pr\u00e9sent\u00e9 \u00e0 l\u2019Acad\u00e9mie. 20. nov. 1876. Progr\u00e8s m\u00e9dical 1S77.\n68\tGerlach, Zur Morphologie d. Tuba. Sitzungsber. d. phys.-med. Societ\u00e4t zu Erlangen 1875.\n69\tTr\u00f6ltsch, Beitr\u00e4ge zur anat.-physiol. W\u00fcrdig, der Tuben- u. Gaumenmus-culatur. Arch. f. Ohrenheilkunde. I. S. 15. 1864.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nHensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nl\u00e4uft. Ueber die Gestalt des Kanals, welche an Durchschnitten mi-croscopirt worden ist, scheint eine definitive Uebereinstimmung noch nicht erreicht zusein. W\u00e4hrend R\u00fcdinger auf Grund zahlreicher vergleichend anatomischer Arbeiten 70 behauptet, dass, abgesehen von einer kurzen Strecke am tympanalen Theil des Tubenknorpels, der Tubenkanal in seinem Theil unter dem Knorpelhaken offen stehe, haben andere, wie z. B. Tr\u00f6ltsch, diese Angabe nicht best\u00e4tigen k\u00f6nnen, sondern vertreten die Ansicht, dass in der Ruhe und in der Norm die W\u00e4nde des Kanals sich \u00fcberall ber\u00fchren.\nDas Schlundostium ist durch den Finger und durch Rhinoscopie, welche theils nach dem Vorgang von J. Czermak71, mit nach oben gewandtem und etwas modificirtem Kehlkopfspiegel, theils bei etwas weiten Naseng\u00e4ngen von dort aus, mit H\u00fclfe intensiver Lichtquellen ausgef\u00fchrt wird, zur Beobachtung zu bringen. Dasselbe ist Gegenstand eingehender Studien geworden, jedoch gen\u00fcgt es f\u00fcr die Physiologie aus der folgenden Figur S. 55 nach Zaufal 72 und deren Erkl\u00e4rung sich zu instruiren; wir werden darauf bei Besprechung der Tubenbewegung zur\u00fcckkommen.\nIn die Tuba kann bekanntlich leicht ein Katheter eingeschoben werden, aber auch bis in das Cav. tympani hat man feine R\u00f6hren zu f\u00fchren vermocht.\nA) Function der ruhenden Tuba.\nMach und Kessel (66) haben an Geh\u00f6rpr\u00e4paraten experimentell nachgewiesen, dass eine gleichzeitige Zuleitung des Schalls von der Tuba und dem Geh\u00f6rgang aus, die Bewegung des Trommelfells herabsetzt oder verhindert; ein Resultat, welches mit der Theorie v\u00f6llig im Einklang steht. Die ruhende Tuba w\u00fcrde demnach die Function\n70\tR\u00fcdinger. Die Ohrtrompete in Stricker\u2019s Lehre v. d. Geweben und Monatsschrift f. Ohrenheilkunde. 1867 u. 68.\n71\tJ. Czermak, Der Kehlkopfspiegel u. seine Verwerthung. Leipzig 1860.\n72\tZaufal. Die normalen Bewegungen d. Rachenm\u00fcnd. d. Eustachischen R\u00f6hre. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. u. X. 1875 u. 76.\nFig. 20. Querschnitt der knorpligen Ohrtrompete, etwa in der Mitte ihres Verlaufs (nach v. Tr\u00f6ltsch). C'm Medialer Knorpel. CI Lateraler Knorpel (Knorpelhaken). Tm H\u00e4utiger Tuhenabsehnitt nach unten in die Fascia salpingo - pharyngea Fsp \u00fcbergehend. il Dr\u00fcsenreiche Schleim u aut am medialen Knorpel. Mss Muse, spheno-salpingo-staphylinus, sc. Tensor palati. Lp Muse, petro-salpingo-staphylinus si Levator palati.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Die Tuba in der Ruhe.\n55\nhaben, vermittelst der Flimmerh\u00e4rchen als Abzugskanal f\u00fcr etwa in der Paukenh\u00f6hle sich anh\u00e4ufende Fl\u00fcssigkeit zu dienen. Dieser Strom ist jedenfalls schwach, denn man hat ihn z. B. beim Einf\u00fchren von Milch in die Paukenh\u00f6hle noch nicht beobachtet, aber es ist nicht einzusehen, wie er fehlen sollte. Die Tuba hat ferner einen, wenngleich wenig festen, Verschluss gegen die Luft des Schlundraumes zu bilden. Nachdem Toynbee 73 letzteren Sachverhalt scharf betont hatte, wurde\nFig. 21. Halbschematiscb. A Tuba geschlossen. B Tuba offen. N Nasenscheidewand. Eh Erh\u00f6hung an derselben. Cho Cboane. Rm untere Nasenmnscbel, hier rudiment\u00e4r. Hph Hintere Pharynxwand. Rg Kosenm\u00fcllor'sche Grube. Tw Tubenwulst. To Tubenostium. Hk Haken. Hkf Hakenfalte. Wf Wulstfalte. Lw Levatorwulst.\nvon mehreren Seiten Bedenken dagegen erhoben. Lucae 74 und Schwartze75 beschreiben n\u00e4mlich Respirationsbewegungen des Trommelfells, welche auf ein Offenstehen der Tuba, w\u00e4hrend eines Abschnitts dieses Aktes, bezogen werden m\u00fcssen. Es lassen sich aber diese Bewegungen an der Mehrzahl gesunder Ohren nicht mit gen\u00fcgender Deutlichkeit nachweisen, und f\u00fcr das, was man sieht, kommt in Betracht, dass kleine Druckschwankungen schon durch Lumen\u00e4nderungen der Tuba ohne Er\u00f6ffnung derselben, und durch die mit der Respiration wachsende F\u00fcllung der Gefasse an der ausgedehnten Oberfl\u00e4che des Cavum tymp. hervorgerufen werden k\u00f6nnen. Die Dichtigkeit des Tubenverschlusses gegen \u00e4usseren Druck erweist sich als ziemlich erheblich. Beim Aufenthalt in R\u00e4umen mit comprimirter Luft kann n\u00e4mlich eine ziemlich schmerzhafte Spannung des Trommelfells (Druck \u00fcber 100 mm. Hg) eintreten, ohne dass Luft durch die normale Tuba hindurch gepresst und so die Spannung behoben wird (Magnus76, Hartmann77). In anderen F\u00e4llen,WEBERLiEL78,\n73\tToynbee. Diseases of the ear. p. 133. 1852. (Nicht eingesehen.)\n74\tLucae. Respirationsbeweg, d. Trommelfells. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. I. S. 96.1865.\n75\tSchwabtze. Respir\u00e2t.-Beweg, d. Tr. Ebenda S. 139.\n76\tMagnus. Verhalten d. Geh\u00f6rorg. in comprimirter Luft. Ebenda I. S. 269.\n77\tHartmann, Experimentelle Studien \u00fcb. d. Function d. Eustachischen R\u00f6hre. Leipzig, Veit, 1879.\n78\tWeber Liel, Zur Physiol, d. Tuba. Monatsschr. No. 7. 1868.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nist allerdings ein allm\u00e4hlicher Ausgleich ohne absichtliche Er\u00f6ffnung der Tuba beobachtet worden, aber dieser ging doch so langsam, dass von einem wirklichen Offenstehen nicht die Rede sein kann. Durch Compression der Luft in Mund und Nase kann man deren Durchtritt durch die Tuba erzwingen und f\u00fchlt dann, dass eine Anspannung des Trommelfells eintritt (der sog. ValsalvAsche Versuch), man bemerkt dabei aber stets, dass die Luft bei einem individuell wechselnden Druck (nach Hartmann zwischen 20 u. 50 mm. Hg) pl\u00f6tzlich eindringt. Die Entleerung der Luft vom Cavum nach aussen geht dagegen viel leichter, und bei st\u00e4rkeren Druckschwankungen unter Bildung von Schleimblasen, vor sich.\nWir wissen, dass die Schallwellen ohne merkliche Schw\u00e4chung zu dem Trommelfell durch den \u00e4usseren Geh\u00f6r gang selbst dann Vordringen, wenn derselbe fast ganz mit Epithelien u. s. w. verstopft ist, durch die Tuba dringt dagegen kein Ger\u00e4usch ein. Wenn n\u00e4mlich t\u00f6nende K\u00f6rper durch den Mund dem Ostium tubae gen\u00e4hert werden, so werden sie desto undeutlicher vernommen, je tiefer sie eingef\u00fchrt werden. Sobald die Tuba er\u00f6ffnet wird, \u00e4ndert sich dies, namentlich tritt die, mit dem Namen Autophonie bezeichnete Erscheinung ein, dass n\u00e4mlich dabei die eigene Sprache stark hallend im Inneren des Ohrs vernommen wird.79 Auch von Anderen kann auscultatorisch ein auffallendes Heraussprechen aus dem Ohr des Betreffenden geh\u00f6rt werden.80 Man hat diese Erscheinung beim G\u00e4hnen. Einzelne Autoren haben die Erfahrung gemacht, dass sie willk\u00fcrlich die Autophonie bei sich eintreten lassen k\u00f6nnen.\nNach diesen Erfahrungen steht fest, dass die Tuba weder dicht geschlossen ist, noch weit offen steht. Will man die Norm noch enger begrenzen, so ist der leichte Verschluss mehr normal, als ein noch so geringes Klaffen. Bei den Cetaceen steht die' Tuba offen.\nB) Bewegung der Eustachischen R\u00f6hre.\nUngleichheit des Luftdrucks innen und aussen am Trommelfell w\u00fcrde die Spannung desselben \u00e4ndern. Man kann die Ungleichheit k\u00fcnstlich durch den negativen oder positiven, von Politzer modi-ficirten Valsalva\u2019sch en Versuch erzeugen, d. h. w\u00e4hrend des Schluckaktes treibt man die Luft von der verschlossenen Mundh\u00f6hle aus durch Pressung in die Trommelh\u00f6hle ein, oder zieht sie durch Verd\u00fcnnung mittelst intendirter Inspiration bei verschlossenen Ostien heraus. Seit Joh. M\u00fcller (13) ist es bekannt, dass die durch\n79\tPoorten, R\u00fcdinger, Flemming. Monatsschrift No. 9. 1872. No. 2. 1874. No. 6. 1875 und Yule, Journ. of Anat. and Physiol. 1874. (Nicht eingesehen.)\n80\tGruber, Monatsschr. No. 8. 1868.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Die Tuba in der Bewegung.\n57\nden Luftdruck ver\u00e4nderte Spannung des Trommelfells eine Ver\u00e4nderung der H\u00f6rf\u00e4higkeit herbeif\u00fchrt; im Allgemeinen erfolgt wohl eine Abnahme derselben, die aber am auffallendsten f\u00fcr tiefere T\u00f6ne ist. Die Verschiedenheit des Luftdrucks wird bei verschlossenen Tuben offenbar bei jeder Aenderung des atmosph\u00e4rischen Drucks eintreten m\u00fcssen, ferner in Folge einer Luftresorption oder Exhalation in der Paukenh\u00f6hle. Die ungleiche Spannung der Luft wird sich ausgleichen, sobald die Tuba sich \u00f6ffnet; da aber nennenswerthe Aenderungen des \u00e4usseren Luftdrucks sich in der Pegel nur langsam machen, wird es gen\u00fcgen, wenn nur die Tuba von Zeit zu Zeit sich \u00f6ffnet. Die Herstellung einer zeitweiligen Verbindung zwischen Trommelh\u00f6hle und Rachen ist demnach eine dritte Aufgabe, welche die Tuba zu erf\u00fcllen hat ; wir werden Bedingungen und Mechanismus dieses Processes zu untersuchen haben.\nDie Versuche der Ohren\u00e4rzte \u00fcber den Grad des Drucks, welcher bei verschiedenen Bewegungen im Rachenraum n\u00f6thig ist, um Luft aus der Nase in die Pauke zu treiben, zwingen dazu, verschiedene Grade der Ann\u00e4herung zur Er\u00f6ffnung der Tuba anzunehmen. Starke Respiration, Phonation (das Wort: huk, Gruber81), endlich der Schluckakt (Toynbee82, Politzer83), w\u00fcrden die drei Stufen dieser Reihe sein. Beim Schlucken dringt die Luft jedenfalls am leichtesten in die Paukenh\u00f6hle; als Hartmann (7T) den daf\u00fcr erforderlichen manometrischen Druck zu bestimmen suchte, fand er zwar noch im Minimum 30 mm. Wasserdruck, aber er macht geltend, dass ein, durch den VALSALVA\u2019schen Versuch gespanntes Trommelfell nach dem Schluckakt v\u00f6llig in die normale Stellung zur\u00fccktrete. Insofern hier die Spannkr\u00e4fte geschaffen waren, welche die schwach schliessende Tuba durch Druck \u00f6ffnen konnten, ist die Beobachtung noch nicht streng daf\u00fcr beweisend, dass die Tube sich aktiv er\u00f6ffnet. Nur die Autophonie d\u00fcrfte voll beweisend f\u00fcr aktive Er\u00f6ffnung sein, aber sie ist beim Schluckakt nicht wohl zu pr\u00fcfen.\nLucae84, der mit Anderen den Zustand der Tuba noch genauer pr\u00e4cisiren will, als in Obigem geschehen und auf dessen De-ductionen daher verwiesen werden muss, bemerkt, dass sowohl Saugen wie starker Exspirationsdruck (Schneuzen) die Luft in der Pauke bewege, sowie dass beim Schlucken zuerst ein positiver, dann ein negativer Druck dort entstehe. (Letzteres zuerst von Politzer beobachtet.)\nSI Gruber. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 10 u 11. 1875.\n82\tToynbee, Proceedings of the Royal Society. 1853. (Nicht eingesehen.)\n83\tPollitzer, Beleuchtungsbilder d. Trommelfells. S. 13\u00ab. 1865.\n84\tLucae, Arch. f. pathol. Anat. a. LXIY. S. 476. 1875. h. LXXIY. 1878.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58 Hensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nUeber die Bewegung des Ostium pharyngeum existiren zahlreiche rhinoscopische Beobachtungen an besonders dazu geeigneten normalen und pathologischen F\u00e4llen; unsere Darstellung wird sich an die Beschreibung von Zaufal (72) und Michel (85) halten.\nBeim Schlucken und in Begleitung der Erhebung und Senkung des weichen Gaumens \u00e4ndert sich das Ostium in auffallender Weise (Fig. 21 B S. 55). Den Anfang der Bewegung scheint die Plica salpingo-palatina zu machen, welche etwas lateral ausweicht und sich st\u00e4rker kr\u00fcmmt. Darauf geht der Tubenwulst r\u00fcckw\u00e4rts nach der Mittellinie zu und etwas nach oben. Gleichzeitig zieht sich die Pars ptery-goidea des oberen Schlundkopfschn\u00fcrers zusammen und bildet einen Wulst zur Seite der Raphe. Im Tubenostium, und zwar am Boden desselben, erhebt sich eine First, welche von dem contrahirten Levator palati herr\u00fchrt. Nun erst tritt der Augenblick ein, wo die Tubenspalte sich er\u00f6ffnet, dieselbe klafft unten zuerst und am weitesten, sie hat dabei die Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze sich in eine, den oberen Abschnitt der Tubenspalte bezeichnende Linie auszieht.\nMit dieser Beschreibung d\u00fcrfte es \u00fcbereinstimmen, wenn Lucae (S4b) findet, dass die Er\u00f6ffnung der Tuba im Beginn des Hinunterschluckens, wo der weiche Gaumen herabsinkt, stattfindet.\nOb die beschriebenen Bewegungen zu einer Er\u00f6ffnung des ganzen Tubenkanals f\u00fchren, l\u00e4sst sich nicht entscheiden. Diejenigen, welche willk\u00fcrlich die Tuba zu er\u00f6ffnen verm\u00f6gen, so z. B. Flemming (79) sprechen von einem vorbereitenden Akt, der von einem knackenden Ger\u00e4usch begleitet sei, und von der definitiven Er\u00f6ffnung. Allerdings sahen wir, dass auch an dem Ostium eine Reihenfolge von Processen sich ab wickelt, so dass die M\u00f6glichkeit, es sei das Beobachtete schon die Er\u00f6ffnung des ganzen Kanals,'wenigstens offen zu halten ist. Dabei w\u00fcrden dann also die S c h 1 u n d s c h n \u00fc r e r eine wesentliche Rolle spielen. Seit Tourtual\u2019s 86 Arbeit hat man den Levator und Tensor veli palatini in Beziehung zur Bewegung der Tuba gebracht. Politzer87 wies nach, dass beim Hunde die Er\u00f6ffnung durch Reizung des Trigeminus im Sch\u00e4del zu bewirken sei. Die in dem einen untersuchten Fall am abgetrennten Sch\u00e4del beobachtete Bewegung sei auf die Th\u00e4tigkeit des Tensor veli zu beziehen gewesen, der vom Trigeminus innervirt werde. Tr\u00f6ltsch (6ft) ver-\n85\tMichel. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 11. 1875.\n86\tToubtual, Neue Untersuchung, \u00fcb. d. Bau d. menschl. Schlundes u. Kehlkopfes. Leipzig 1846.\n87\tPolitzee, Beziehg. d. Trigeminus z. Eustachischen Ohrtrompete. W\u00fcrzb. na-tunv. Ztschr. S.92. 1861.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Er\u00f6ffnung der Tuba. Tensor tympani.\n59\ntritt lebhaft auf Grund anatomischer Studien die er\u00f6ffnende Function dieses Muskels, indem er betont, dass derselbe nicht nur an der Knorpelkante, sondern auch an der Schleimhaut entspringe und an dem Hamulus pterygoideus einen festen Halt f\u00fcr den Zug auf die Tuba habe. Mit Henle 88 finde ich die Zugrichtung des Muskels f\u00fcr die Function als Er\u00f6ffner der Tuba recht ung\u00fcnstig, es sei denn, dass letztere stark medialw\u00e4rts gezogen worden sei, ehe er angreift. Wenn gar, wie es R\u00fcdinger (70) stets fand, der Tensor nur von der lateralen Knorpelkante entspringt, d\u00fcrfte die Kraft, welche dann die Er\u00f6ffnung durch den Muskel erfordern w\u00fcrde, die Grenzen seiner Leistungsf\u00e4higkeit \u00fcberschreiten.\nDie Frage liegt so schwierig, dass zur Entscheidung eine vivi-sectorische Untersuchung unentbehrlich erscheint. Inzwischen ist daran zu erinnern, dass die Tuba bei den kaltbl\u00fctigen Wirbelthieren (so wie bei* den Cetaceen) weit offen steht und daher ein ausgepr\u00e4gter Muskelmechanismus aus phylogenetischen Gr\u00fcnden nicht zu erwarten ist.\n4. Tensor tympani und Stapedius.\nDie relativ m\u00e4chtigen Muskeln der Paukenh\u00f6hle sind quergestreift. Der Tensor, 2,2 cm. lang89, in einem kn\u00f6chernen Halbkanal parallel der Tuba verlaufend, ist von einer starken Scheide umgeben. Indem seine Sehne rechtwinklig umbiegend, sich aus dem Knochenkanal heraus durch das Cavum tympani an den Hammerstiel begiebt und sich etwas unterhalb des Proc. brevis ansetzt (Fig. 10 S. 31), strahlt sie namentlich \u00fcber den vorderen Rand des Hammers aus (Gruber 4 ')\u2022 Die Scheide des Muskels \u00fcberkleidet, nachdem sie sich an den Proc. cochleariformis fixirte, die Sehne mehr oder weniger fest (Toynbee, 37) und bewirkt, dass die Beweglichkeit der Sehne (beim Menschen!) eine sehr beschr\u00e4nkte wird (Magnus 4T), ohne dass deshalb, nach Ansicht der meisten Untersucher, die Einwirkung des Muskels auf das Trommelfell aufh\u00f6rte. Der Muskel zieht das Trommelfell nach innen, ohne dabei den Hammer erheblich um seine Queraxe zu drehen. Er giebt, wie Helmholtz (32) hervorhebt, schon in der Ruhe dem ge-sammten Trommelfell-Bandapparat eine, von der Elasticit\u00e4t des Muskels abh\u00e4ngende Spannung, welche ein Schlottrigwerden des Apparates verhindert.\nDie Innervation des Muskels geschieht, wie Politzer 90 experi-\n88\tHenle, Handb. d. systemat. Anatomie. IL S. 117. 1862.\n89\tWeber, Muscul. tensor tymp. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 10. 1872.\n90\tPolitzer. Beitr. z. Physiol, d. Geh\u00f6rorgans. Sitzungsber. d. Wiener Acad. S.427. 1861.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nmentell nachgewiesen hat, durch den Trigeminus, welcher einen Zweig durch das Ganglion oticum an den Muskel abgiebt. Voltolini91 best\u00e4tigt dies, findet aber, dass auch der Facialis den Muskel inner-vire, doch w\u00fcrden nach Politzer Stromesschleifen im Trigeminus an letzterer Angabe Schuld tragen. Das experimentelle Verfahren, von Yoltolini92 angegeben, ist Folgendes. Der Kopf wird von dem Rumpf des frisch get\u00f6dteten Thiers (untersucht sind Hund, Schaaf, Kalb, Kaninchen, Katze und Meerschweinchen) abgenommen, das Gehirn entfernt und die Bulla ossea gen\u00fcgend er\u00f6ffnet, um den Hammergriff oder was sonst gew\u00fcnscht wird, zu \u00fcbersehen.\nDie Reizbarkeit besteht gen\u00fcgend lange, namentlich wenn die Theile warm gehalten werden. Um die Bewegung zu beobachten wird das Trommelfell rings Umschnitten, oder ein Manometer luftdicht in den Geh\u00f6rgang gef\u00fcgt oder endlich ein Fiihlhebel (Heftpflaster) an die Theile geheftet.\nDer Stapedius, welcher aus seiner Knochenkammer von hinten her seine Sehne an den Kopf des Steigb\u00fcgels und z. Th. an das Ossiculum Sylvii sendet, wird von dem Facialis versorgt, wie anatomisch und von Politzer (90) experimentell nachgewiesen ist. Er bewegt den Steigb\u00fcgeltritt so, dass derselbe mit seiner vorderen Peripherie in das Cavum tympani, mit der hinteren ein wenig in das Labyrinth vorr\u00fcckt. Zugleich spannt sich die Circularmembran ringsum. Politzer 93 (90), der theils an Pr\u00e4paraten, theils am noch reizbaren Hundekopf die Verh\u00e4ltnisse pr\u00fcfte, erkl\u00e4rt den Stapedius f\u00fcr einen Antagonisten des Tensor. Wenn er wirkt, bewegt sich das Trommelfell nach aussen (erschlafft), und wenn der Druck im Labyrinth an dem, in einen Halbcirkelkanal eingesetzten Manometer gemessen wird, zeigt er sich vermindert.\nFast alle Beobachter, welche die Schwingungen der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen untersuchten, haben auf den Einfluss der Muskeln dabei geachtet, doch haben Kessel (60) und Mach (62), nach den bereits angegebenen Methoden, besonders genaue Resultate erhalten. Die zur Tonzuf\u00fchrung benutzten Orgelpfeifen hatten zwischen 256 und 1024 v. d. Der Muskelzug wurde durch eine, soweit angegeben, schwache (3 Gramm) Belastung der mit H\u00fclfe eines Fadens verl\u00e4ngerten Sehne ersetzt. Bei Tenotomie des Tensors vermehren sich die Schwingungen des Trommelfells um ein Viertel. Bei Anspannung desselben verhalten sich die verschiedenen Theile der Membran verschieden\n91\tYoltolini,Welches Nervenpaar innervirtd. Tensor? Arch, f.path. Anat. LXV.\n92\tDerselbe, Anat. u. pathol.-anat. Unters. Arch. f. pathol. Anat. XVIII. S. 42.\n93\tPolitzer, Zur Anatomie d. Geh\u00f6rorgans. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. S. 15S. 1875.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Ausspannung d. Tensor in d. todten Ohr.\n61\nund zwar entsprechend der etwas verschiedenen Spannung, welche die einzelnen Fasern dabei gewinnen. Bei einfachen T\u00f6nen vermindert sich die Schwingung beim Zug des Tensor und zwar mehr in den vorderen wie in den breiteren, hinteren Partien. Als Grundton und Octave zugeleitet wurden, stellte Ziehen am Stapedius die Bewegung; etwas wieder her. Beim Ziehen am Tensor wird am vorderen Theil Grundton und Octave verl\u00f6scht, am hinteren Abschnitt erlischt zuerst die Octave; an der Membr. flaccida (mittlerer Sector Kessel) erlischt, wenn der Zug \u00fcberhaupt dazu ausreicht, zuerst der Grundton. Die sp\u00e4ter (62) am Hammerkopf angestellten Versuche stimmen mit obigen Resultaten nur mittelm\u00e4ssig \u00fcberein. Bei Anspannung des Tensor tritt die, von dem tieferen Ton hervorgerufene Schwingung bei weitem leichter und auffallender zur\u00fcck, wie diejenige des h\u00f6heren Tons, namentlich wenn als letzterer nicht die Octave, sondern der vierte Theilton zur Verwendung kommt. In anderen Worten: die Anspannung des Tensor schw\u00e4cht innerhalb der untersuchten Grenzen die h\u00f6heren T\u00f6ne merklich weniger wie die tiefen. Die Anspannung der Sehne des Stapedius hatte keinen merklichen Einfluss auf die Schwingungen.\nDiese Versuche am todten Ohr k\u00f6nnen \u00fcber die Function des lebenden Muskels noch nicht entscheiden, zur Auffindung derselben sind wir auf die Hypothese und den direct en Versuch angewiesen.\nDie \u00e4lteren Autoren, denen f\u00fcr die Wirkung von Binnenmuskeln in einem Sinnesorgan nur die Iris einen Anhaltspunkt gew\u00e4hrte, neigten sich der Ansicht zu, dass durch die Binnenmuskeln die Bewegung des Schallzuleitungs - Apparates ged\u00e4mpft werde (harless\u00eet. s. 381, 384). \u00a3s erga]j sich allerdings bald, dass momentanen Schallersch\u00fctterungen nicht rasch genug durch die Muskelth\u00e4tigkeit werde vorgebeugt werden k\u00f6nnen. Unser Trommelfell muss und kann in der That selbst den Knall moderner Gesch\u00fctze in grosser N\u00e4he wenigstens einige Male ohne Nachtheil ertragen. Es ging dann die Ansicht dahin, dass die, in Folge solcher St\u00f6sse eintretenden st\u00f6renden Nachschwingungen, w\u00fcrden ged\u00e4mpft werden k\u00f6nnen. Es wurde aber auch schon den Muskeln das Verm\u00f6gen, einzelne T\u00f6ne zu schw\u00e4chen, andere hervorzuheben, zugeschrieben. Seit Wollaston\u2019s 94 und Joh. M\u00fcller\u2019s (13> s- 436> Versuchen ist es n\u00e4mlich bekannt, dass bei Spannung des Trommelfells (mittelst des Valsal-vA\u2019schen Versuchs) tiefere T\u00f6ne undeutlicher geh\u00f6rt werden, w\u00e4h-\n94 Wollaston, Philosoph. Transactions, p. 310. 1820.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nrend die h\u00f6heren wenigstens nicht schw\u00e4cher, vielleicht absolut st\u00e4rker wirken.\nEs wurde n\u00e4her gelegt, diese Accommodation f\u00fcr verschiedene Tonh\u00f6hen anzunehmen, als der Accommodationsvorgang im Auge genauer bekannt wurde. Namentlich Mach (59) hat diese Annahme verfolgt. Er hat in diesem Sinne eine leicht zu wiederholende Beobachtung gedeutet.95 Schl\u00e4gt man eine Reihe von T\u00f6nen, z. B. den vollen Accord, am Fortepiano an und setzt dann in aufsteigender Reihe eine Taste nach der anderen in Ruhe, so klingt jedesmal der n\u00e4chst h\u00f6here Ton verst\u00e4rkt ins Ohr. Dabei geht, wie ich finde, die Klangfarbe verloren, der Ton klingt wie ein Oberton, also eine reine Sinusschwingung. Es ist nicht deutlich erkennbar ob und inwieweit der Accommodation bei dieser Wahrnehmung eine Rolle zukommt.\nL. Fick96 hat geglaubt, dass bei Contraction der Kaumuskeln der Tensor sich mit bewege und st\u00fctzte diese Ansicht namentlich dadurch, dass dabei an einem in den Geh\u00f6rgang eingesetzten Manometer eine negative Druckschwankung beobachtet werde. Diese Druckschwankung scheint jedoch andere Ursachen haben zu m\u00fcssen, da Luc AE 97 dabei eine begleitende Einziehung des Trommelfells nicht finden konnte. Lucae glaubt jedoch die Mitbewegung des Tensor aufrecht erhalten zu k\u00f6nnen, indem er sich auf die Ansicht von Gruber 98, dass der Hammer etwas nach einw\u00e4rts gehen k\u00f6nne ohne das Trommelfell mitzunehmen, beruft.\nBei diesem Versuch werden s\u00e4mmtliche musikalische T\u00f6ne, namentlich die tiefsten und h\u00f6chsten (Tab. I) deutlicher geh\u00f6rt.\nWenn man eine Gruppe der mimischen Gesichtsmuskeln, namentlich den Orbicularis palpebr. innervirt, so l\u00e4sst sich nach Lucae das Einstrahlen dieser Impulse in die Bahn des N. stapedius nackweisen. Es w\u00e4chst n\u00e4mlich dabei der Druck im Geh\u00f6rgang. An Trommelfellen, an denen die pathologische, sog. hintere Trommelfellfalte sich findet, verstreicht diese in Folge einer Ausw\u00e4rtsbewegung des Leitungsapparates. W\u00e4hrend dieses Vorgangs werden die musikalischen T\u00f6ne schw\u00e4cher geh\u00f6rt, nur T\u00f6ne von mehr als 10000 Schwingungen kommen verst\u00e4rkt zur Wahrnehmung. Schon \u00f6fter sind Bewegungen an der Tuba, mit denen Lumensver\u00e4nderungen der Pauken-\n95\tMach, Bemerk, \u00fcber d. Accommodation d. Ohrs. Sitzgsber. d. Wiener Acad. S. 343. 1865.\n96\tL. Fick, Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 526. 1850.\n97\tLucae, Die Accommodation o. d. Accommodationsst\u00f6rungen d. Ohrs. Berliner klin. Wochenschr. No. 14. 1874.\n98\tGruber, Anat.-physiol. Studien \u00fcber d. Trommelfell. 'S. 38. Wien 1867.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Abnorme Th\u00e4tigkeit des Tensor.\n63\nh\u00f6hle verbunden sein k\u00f6nnen, auf Th\u00e4tigkeit der Binnenmuskeln bezogen. In Anbetracht der sehr labilen Stellung der Trommelfellausbuchtungen k\u00f6nnten die vorstehenden Beobachtungen auf Tubenbewegung zur\u00fcckzuf\u00fchren sein, aber es zeigt sich, dass sie doch wohl den Stapedius betroffen haben.\nDie Contraction des Tensor ist bei einzelnen Individuen willk\u00fcrlich. Die dabei zu machenden Beobachtungen sind am ausf\u00fchrlichsten von Schapringer 99 beschrieben worden. Bei der willk\u00fcrlichen Einziehung des Trommelfells entsteht ein Druckgef\u00fchl im Ohr und es werden starke Muskelger\u00e4usche* * geh\u00f6rt. Man konnte die Bewegung des Trommelfells sowohl direct deutlich sehen, als auch mittelst des eingef\u00fchrten Manometers beobachten. Bei dieser Th\u00e4tigkeit des Tensor wurden die tiefsten T\u00f6ne bis zu etwa 70 Schwingungen ganz ausgel\u00f6scht, von da an erschienen sie geschw\u00e4cht und leerer in der Klangfarbe, bei noch h\u00f6heren T\u00f6nen verlor sich dies und T\u00f6ne der dreigestrichenen Octave (1000\u20142000 Schw.) erschienen, trotz der begleitenden Muskelger\u00e4usche verst\u00e4rkt. Wenn sein Ohr mittelst eines, in den Geh\u00f6rgang luftdicht eingef\u00fchrten Kautschukschlauches von einem zweiten Beobachter auscultirt wurde, erschien f\u00fcr diesen, nicht aber f\u00fcr Schapringer selbst eine Verst\u00e4rkung von 310 Schwingungen an unzweifelhaft (der Ton wurde von den Z\u00e4hnen aus zugeleitet). Diese Erfahrung versuchte man durch die Annahme zu erkl\u00e4ren, dass die Schwingungen des Trommelfells, nicht aber die, des, durch den Muskel fixirten Hammers, vermehrt worden seien. Die h\u00f6heren Theilt\u00f6ne einer Theiltonreihe wurden bei Einziehung des Trommelfells unvergleichlich deutlicher vernommen, wie ohne Einziehung desselben.\nAlles Bisherige trifft zwar die Contraction der Muskeln, aber ein Nachweis \u00fcber die a priori anzunehmende Th\u00e4tigkeit derselben beim H\u00f6ren ist darin nicht enthalten. An dem, in Schapringer\u2019s Geh\u00f6rgang eingef\u00fcgten Monometer, der deutlich die Einziehung des Trommelfells erkennen liess, konnte beim wechselnden Horchen auf hohe und tiefe T\u00f6ne nicht die geringste Bewegung bemerkt werden. Die gleiche Erfahrung hatte Mach (53) an sich selbst und Anderen gemacht. Derselbe hat es dabei jedoch nicht bewenden lassen, sondern hat mit dem Apparat Fig. 19 und stro-boscopischen Verfahren (6'2) das Trommelfell des Lebenden untersucht; aber auch bei diesen Versuchen gl\u00fcckte es nicht, bei der Zu-\n99 Schapringer, Ueb. d. Contraction d. Trommelfellspanners. Sitzgsber. d. Wiener Acad. S. 571. 1870.\n* lieber diese s. die subjectiven Ger\u00e4usche.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 1. Cap. Aeusseres u. mittleres Ohr.\nleitung der T\u00f6ne zum Ohr irgend eine Einziehung oder sonst auf Muskelaction deutende Bewegung, wahrzunehmen.\nAuf Grund dieser negativen Erfahrungen und nachfolgender Erw\u00e4gungen glaubte Hensen(100) eine andere Wirkungsweise des Tensor erwarten zu d\u00fcrfen. Da die Muskeln quergestreift sind, kann ihnen eine sehr rasche Action zugemuthet werden. Es d\u00fcrfen dabei aber nicht mehr wie zwei oder h\u00f6chstens drei Zuckungsst\u00f6sse sich folgen, wenn der Muskelton vermieden werden soll. Dieser Ton wird n\u00e4mlich beim gew\u00f6hnlichen H\u00f6ren nicht bemerkt, w\u00e4hrend wir doch wissen, dass er beim Tetanus des Tensor auftritt. Die Spannung des Tensor wird die Abstimmung des Trommelfells erh\u00f6hen m\u00fcssen, also die Empfindung hoher T\u00f6ne versch\u00e4rfen, die der niedrigsten T\u00f6ne wahrscheinlich verschlechtern. Durch Spannung des Trommelfells tritt aber die D\u00e4mpfung relativ zur\u00fcck, es schwingt also nicht so rasch ab. Es scheint daher (und Erfahrungen an anderen Membranen best\u00e4tigen dies), dass die Spannung des Tensor f\u00fcr die Wahrnehmung der, aus kurz dauernden St\u00f6ssen bestehenden Ger\u00e4usche, ung\u00fcnstig wirken m\u00fcsse, w\u00e4hrend sie die Summirung der Beihen regelm\u00e4ssiger Schwingungen, also der T\u00f6ne im Allgemeinen beg\u00fcnstigen d\u00fcrfte. Da z. B. beim Sprechen den Vokalen sehr h\u00e4ufig Ger\u00e4usche (Consonanten) voraufgehen, da sogar, wie wir sp\u00e4ter sehen werden, die zwei oder drei ersten Schwingungen eines Tones noch nicht gen\u00fcgen, um eine Tonempfindung hervorzurufen, d\u00fcrfte an die M\u00f6glichkeit gedacht werden, dass der Muskel nur zu Anfang jeder Schallerregung in einzelnen St\u00f6ssen zucke. Auf diese Weise w\u00fcrden sich auch die Misserfolge der fr\u00fcheren Beobachter erkl\u00e4ren, da bei deren Methode sehr wohl eine so kurze, in den Anfang jedes Versuchs fallende, Bewegung des Trommelfells entgehen kann.\nUm die Bewegung zu studiren wurde an curarisfrten Tkieren (Hund und Katze) die Paukenh\u00f6hle von unten er\u00f6ffnet und in die Sehneninsertion des, bei diesen Thieren nicht von Knochen umschlos-senen.Muskels, eine feingefeilte N\u00e4hnadel eingestossen. Jede Bewegung des Muskels wurde durch deren freies Ende in vergr\u00f6ssertem Maasse wieder gegeben. Bei den Versuchen entstand der Erwartung entsprechend bei jedem Ger\u00e4usch, jedem Toneinsatz, beinahe jeder Sylbe, ein Ausschlag der Nadel. Dagegen konnte ein Tetanus nicht erzeugt werden. Beim Anhalten eines Tons kam die Nadel zur Ruhe, zeigte dann aber sogleich Zuckungen an, sobald neue Ger\u00e4usche hinzutraten. Tiefe T\u00f6ne von unter 200 Schwingungen, selbst wenn sie\n100 Hensen, Beob. \u00fcb. d. Th\u00e4tigkeitd. Trommelfellspanners. Areb. f. (Anat. u.) Physiol. S. 312. 1878.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Physiologische Th\u00e4tigkeit des Tensor und Stapedius.\n65\nunmittelbar ins Ohr geblasen wurden, geben keine oder nur zweifelhafte Bewegungen der Nadel, hohe Pfeifen von 3000 und mehr Schwingungen, selbst wenn sie ausserhalb des Versuchsraums und in mehr wie 10 Meter Entfernung angeblasen wurden, erregten den Tensor kr\u00e4ftig. Die Reactionszeit des Muskels wurde in vorl\u00e4ufigen Versuchen bestimmt, sie betrug 0,092 und 0,075 Sec. im Mittel, sie d\u00fcrfte unter normalen Verh\u00e4ltnissen k\u00fcrzer sein.\nNach diesen Erfahrungen scheint also der Tensor auf reflecto-rischem Wege durch das Eintreten einer Trommelfellschwingung, nicht aber durch das Andauern derselben erregt zu werden. Es lassen sich \u00fcber den m\u00f6glichen Sinn dieses Verhaltens nur Vermuthungen aussprechen. Dass durch die Zuckung eine genaue Abstimmung des Trommelfells f\u00fcr den erregenden Ton, wenngleich nur auf kurze Dauer bewirkt werde, w\u00e4re eine Hypothese, die einen zu compli-cirten Mechanismus verlangt um wahrscheinlich zu sein. Es ist aber von Mach (62) die mathematisch noch nicht untersuchte Beobachtung gemacht worden, dass das Trommelfell leichter f\u00fcr h\u00f6here T\u00f6ne mitschwingt, wenn es zuvor durch tiefere T\u00f6ne in Bewegung gesetzt wurde. Ist dies, wie nicht zu bezweifeln, richtig, so wird es wohl zweckm\u00e4ssig sein, das Trommelfell beim Ert\u00f6nen eines Klanges die verschiedenen Grade von Spannung durchlaufen zu lassen, weil dabei die passendste Spannung getroffen werden muss. Die in diesem Moment auftretenden Schwingungen dauern dann leichter fort, auch wenn das Trommelfell nachtr\u00e4glich sich wieder verstimmt. Analoge Erfahrungen lassen sich an spannbaren, ebenen Membranen gewinnen.\nDie Zuckungen des Tensor erfolgen noch, wenn dessen Sehne abgeschnitten worden ist, werden also nicht durch Ersch\u00fctterungen des Trommelfelles als eine Art von Sehnenreflexen hervorgerufen.\nIn Bezug auf die Th\u00e4tigkeit des Musculus stapedius ist bereits erw\u00e4hnt worden, dass Lucae (9T) eine Contraction desselben bei starker Innervation des Orbicularis palpebrarum findet. Dabei beobachtet er eine Abschw\u00e4chung des H\u00f6rens s\u00e4mmtlicher musikalischen T\u00f6ne, eine Verst\u00e4rkung derjenigen von 10000 und mehr Schwingungen. Es ist mir neuerdings einmal gegl\u00fcckt, beim Hunde eine Nadel durch die Sehne des Stapedius zu f\u00fchren. Die Nadel stand mit ihrer Spitze in dem Nervus facialis. So lange der Musculus tensor tym-pani intact war zuckte sie energisch bei Angabe aller T\u00f6ne, wahrscheinlich in Folge mechanischer Bewegung der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen durch ersteren Muskel. Nach Durchtrennung der Sehne des Tensor zuckte die Nadel im Stapedius nur noch bei Angabe hoher T\u00f6ne\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ula.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\tHen sen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\netwa von 7000 Schwingungen an. Bei tieferen T\u00f6nen wurde der Ausschlag undeutlich und gewiss wirkten die T\u00f6ne der grossen und Contra-Octave gar nicht.*\nZWEITES CAPITEL.\nDie Functionen des Labyrinths.\nDie Geh\u00f6rempfindung wird in dem h\u00e4utigen Labyrinth ausgel\u00f6st. Dasselbe liegt in einer fast ganz geschlossenen Knochenh\u00f6hle, von welcher es nur einen kleinen Theil ausf\u00fcllt. Der restirende Raum der H\u00f6hlung ist von der Perilymphe erf\u00fcllt. Diese, bei dem allm\u00e4hlichen Schwund embryonalen Gallertgewebes entstanden, enth\u00e4lt nach D\u00e4nhardt 101, der namentlich den Dorsch untersuchte, 2\u00b0/o feste Bestandtheile, darunter durch Minerals\u00e4uren, aber nicht durch Kochen, f\u00e4llbares Eiweiss, ferner Schleim und einen durch Salpeters\u00e4ure und Ammoniak sich dunkel kirschroth f\u00e4rbenden Be-standtheil; bei den Fischen ist sie gallertig. Es m\u00f6ge gleich hinzugef\u00fcgt werden, dass die d\u00fcnnfl\u00fcssige Endolymphe der Kan\u00e4le 1,5 % fester Stoffe enthielt, darunter wenig Schleim und kein Eiweiss.\nDer Knochen des Felsenbeins zeichnet sich durch grosse H\u00e4rte und Dichtigkeit vor anderen Knochen aus, jedoch der Knochen\u00fcberzug des Labyrinthes ist bei manchen Thieren stellenweise so schwach und verletzlich, dass man diese H\u00e4rte nicht wohl als f\u00fcr das Geh\u00f6r wichtig auffassen kann.\nEine der Oeffnungen der Knochenkapsel ist durch die Membrana tympani secundaria abgeschlossen. Dies ist eine eigent\u00fcmlich geformte, aus einer Membr. propria, \u00e4usserem und innerem Bindegewebs\u00fcberzug bestehende Membran. Nach Weber Liel 102 liegt ihr Ansatz an dem tympanalen Rande der Fenestra rotunda, greift aber ausserdem weit nach dem ovalen Fenster hin aus, so dass er sich bis zum Anfang des h\u00e4utigen Schneckenkanals erstreckt. Die\n* J. Budge hat (Arch. f. d. ges. Physiol. IX. S. 460) versucht, den Stapedius in Beziehung zur Erhaltung des Gleichgewichts zu bringen, es muss daf\u00fcr auf das Original verwiesen werden.\n101\tD\u00e4nhardt, Endolymphe u. Perilymphe. Arbeit d. Kieler physiol. Instituts. S. 103.\n102\tWeber Liel, Z. Function d. runden Fensters. Centralbl. f. med. Wiss. No. 2. 1876 und Monatsschr. f. Ohrenheilkunde. No. 1,3 u. 4. 1876.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Membrana tympani secundaria.\n67\nMembran buchtet sich tief in die Scala tympani hinein und liegt, wie dies in Reichert\u2019s 103 Abbildungen gut gesehen wird, dem Schneckenkanal in ihrem hinteren Abschnitt so dicht an, dass ein nur 1/io mm. weiter Spalt zwischen ihr und der Membrana basilaris bestehen bleibt. Eine Spannung kommt der Membran nicht zu, doch ist sie nach Weber-Liel so tief eingezogen, dass sie nicht viel tiefer eingedr\u00fcckt, dagegen nach Er\u00f6ffnung des Labyrinths stark nach der Paukenh\u00f6hle zu vorgetrieben werden kann.\nNach dem Vorgang von Joh. M\u00fcller ging fr\u00fcher die Ansicht dahin, dass die Membran den Schall direkt, namentlich zur Schnecke leiten k\u00f6nne. Der oft sonderbar getheilte Bau der Trommelh\u00f6hle mancher Thiere, bei denen die eine der beiden H\u00f6hlen allein f\u00fcr das runde Fenster bestimmt zu sein scheint, konnte in diesem Sinn gedeutet werden. Ferner schien das Experiment mit der sog. M\u00fcl-LER\u2019schen Flasche daf\u00fcr zu sprechen. In dieser sind drei mit Membranen versehene Oeffnungen angebracht, die eine, das Trommelfell, f\u00fchrt vermittelst eines Stabes, der Columella, zu der Membran der zweiten Oefifnung, w\u00e4hrend die dritte, die Fenestra rotunda, nur mit Membran versehen ist. Der Schall ward nach M\u00fcller vom Trommelfell aus durch die Columella dem Wasser, in welches die Flasche halb eingetaucht war, gut zugef\u00fchrt, aber auch, wenn gleich weniger gut, durch die freie Membran. Schmidekam(s) fand die Leitung auf letzterem Wege recht undeutlich; die ganze Einrichtung ist aber nur eine rohe Nachahmung der Verh\u00e4ltnisse des Geh\u00f6rorgans. Die Ansicht hat \u00fcberhaupt nur ein historisches Interesse, seitdem Mach und Kessel61 wie S. 49 erw\u00e4hnt, nachgewiesen haben, dass die Membr. secundaria von dem Steigb\u00fcgel aus in Bewegung gesetzt wird und in vollst\u00e4ndiger Abh\u00e4ngigkeit von der Bewegung der Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen steht. Nur wenn deren Reihe unterbrochen worden ist, k\u00f6nnte von einer Zuleitung des, Schalls durch die Fenestra rotunda die Rede sein.\nDurch den Aquaeductus cochleae, einen engen Gang in der Scala tympani, dicht vor dem runden Fenster, wird der Perilymphe ein Ausgang aus dem kn\u00f6chernen Labyrinth oflfengehalten. Der x\\quaeductus m\u00fcndet neben der Fossa jugularis und communient hier mit dem Subarachnoidalraum. Nachdem schon Huschke 104 diesen Zusammenhang vermuthet hatte, ist durch Weber-Liel 105 beobachtet, dass man an frischen Pr\u00e4paraten von der \u00e4usseren M\u00fcndung des\n103\tReichert, Anatomie d. Geh\u00f6rschnecke. Abhandl. d. Berliner Acad. 1864.\n104\tHuschke, Beitr\u00e4ge z. Physiologie. S. 23. 1824.\n105\tWeber-Liel, Berliner klin. Wochenschr. 1877. No. 44.","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68 Hessen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nAquaeductus aus die Schnecke mit gef\u00e4rbter Fl\u00fcssigkeit f\u00fcllen k\u00f6nne, wenn die Luft im \u00e4usseren Geh\u00f6rgang wiederholt verd\u00fcnnt wird. Jedesmal wurde dabei Fl\u00fcssigkeit in die Schnecke hineingesogen. Es wird also jeder Druck im Labyrinth sich gegen den Fl\u00fcssigkeitsdruck im Subarachnoidealraum allm\u00e4hlich ausgleichen.\nI. Das h\u00e4utige Labyrinth.\nHalbcirkelf\u00f6rmige Kan\u00e4le, Otolithens\u00e4cke und h\u00e4utiger Schneckenkanal bilden von der Perilymphe abgeschlossene Hohlr\u00e4ume mit bindegewebiger Wandung und innerer, von dem Ektoderm abstammender Epithelauskleidung. Das Bindegewebe ist in der Structur dem Gewebe der Cornea \u00e4hnlich, doch wegen der Feinheit der Theile scheinbar weicher; es ist an der Crista acustica der Halbcirkelkan\u00e4le an den Ma-culis der Otolithens\u00e4cke und an\nFig. 22. Schema des h\u00e4utigen Labyrinths: a horizon- den SOg. HuSCHKE Sehen Z\u00e4htaler, b vorderer, c hinterer vertikaler Bogengang mit\t.\t, o i ^ ^\t_i,x\nAmpullen, Crista acustica und deren Nerven n, d Aquae- nen in (1er DC\u00dcneCKe VeiOlCKT ductus vestihuli, mit seinen Schenkeln den Utriculus e,\t, , ,\t. , ,\to i\nund Saeculus rotundus /, verbindend. Von letzterem Und Clanei' reSlStentei\u2019. \u00f6eni geht der Canalis reunions g zum h\u00e4utigen Schnecken- ,\t.\tt\nkanal h, dessen Radix sehr schmal ist, der aber bis zum d\u00fcnn ISt eS an der rtEISS\u00cesER -\nCupelblindsack i hin sich mehr und mehr erweitert. -, ,r ,____.\tr, r -,\nDer Schneckennerv k tritt \u00fcberall an den, dem Cen- SChen Membran in del SCimeCKe, trum der Schneckenspirale zugekehrten Rand des\t,\t\u00ab\t.\tm -rp .\nSchneckenkanals gradenwegs heran, nur am Blindsack an der ll\u2019eien yCiei r eneSira l\u00e4uft er fast parallel mit dem Canal und l\u00e4sst hier das\t,.\t, i ,\t\\ ttm\u201eV,\u201e dm.\nHeli co t r ema x als Verbindungsweg zwischen tympa- OVallS ZUgekeDltenJ r iaC\u00fce del naleru. vestibul\u00e4rer Fl\u00e4che d. Schneckenkanals frei.\tund an der\n\u00fcberhaupt modificirten Lamina basilaris der Schnecke; an dem Lig. spirale derselben ist es gelockert. Das h\u00e4utige Labyrinth zerf\u00e4llt in zwei scharf gesonderte Theile. Der eine, vordere, besteht aus Schneckenkanal und Saeculus, der hintere aus Utriculus und den Bogeng\u00e4ngen. Nach B\u00f6ttcher\u2019s 106 Entdeckung communiciren beide Theile mit H\u00fclfe des h\u00e4utigen Aquaeductus vestibuli, welcher mit je einem Schenkel in den Otolithens\u00e4cken entspringt und dann als Gang das Os petrosum durchsetzt, um in einem erweiterten Baum neben dem Sinus petrosus inf. zu enden. Bei niederen Wirbelthieren, so, nach Wiedersheim 107, bei den Ascolobaten unter den Sauriern ist die, hier mit Kalkkrystallen ausgef\u00fcllte H\u00f6hlung bis an den Schul-\n106\tB\u00f6ttcher, Entwicklung u. Bau des Geh\u00f6rlabyrinths. Act. Acad. Leopold. XXXV S 34\n107\tWiedersheim, Z. Anat. u. Morphol. d. Phyllodactylus. Morpholog. Jahrb. I.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Beschreibung des Labyrinths.\n69\nterg\u00fcrtel hinunter zu verfolgen und bildet grosse S\u00e4cke, welche nach seiner Ansicht beim H\u00f6ren functioniren.\nDas h\u00e4utige Labyrinth ist theils durch Bindegewebsstr\u00e4nge in der Perilymphe aufgeh\u00e4ngt, theils durch lockere Nerven- und Gef\u00e4ss-polster von der Knochenwand isolirt. An einigen Orten ist jedoch die Anlagerung an den Knochen fester, so nach R\u00fcdinger 108 die der Halbcirkelkan\u00e4le an der convexen Seite der Knochenkan\u00e4le und die des Schneckenkanals. F\u00fcr letzteren wird die engste Verbindung mit den Sch\u00e4delknochen durch den Modiolus vermittelt ; dieser besteht aber aus einem so br\u00f6ckeligen und lockeren Knochengewebe, ist auch so wenig fest mit der kn\u00f6chernen Labyrinthkapsel verbunden (wie Knochenschliffe erweisen), dass eine beschr\u00e4nkte Isolirung der Theile gegen Tonzuleitung durch die Kopfknochen nicht gerade unm\u00f6glich zu sein scheint.\nViele anatomische Details, welche durch fleissige Bearbeiter bekannt geworden sind, stehen zur Zeit noch ohne Beziehungen zu den physiologischen Functionen, wir m\u00fcssen uns auf das, f\u00fcr letztere unmittelbar Wichtige beschr\u00e4nken.\nDie halbcirkeljormigen Kan\u00e4le.\nDie halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le liegen in drei nahezu senkrecht zu einander gestellten Ebenen; wir unterscheiden einen horizontalen, einen hinteren vertikalen oder sagittalen und einen vorderen vertikalen oder frontalen Bogengang. Die L\u00e4nge der Kan\u00e4le betr\u00e4gt etwa 22 mm.\nDie G\u00e4nge sind von Pflasterepithel ausgekleidet, f\u00fcr welches Nerven noch nicht nachgewiesen sind; nur in der als Ampulle be-zeichneten Erweiterung befindet sich ein starker Zweig des Acusti-cus. An dessen Eintrittsstelle bildet die knorpelige Wand des Kanals eine Falte, die Crista, innerhalb deren der Nerv verl\u00e4uft, um aus ihr in das hier verdickte Epithel hineinzutreten. Die innere Oberfl\u00e4che des Epithels der Crista ist von einem Walde feiner starrer H\u00e4rchen bekleidet, deren L\u00e4nge von M. Schultze 109, dem Entdecker dieser Bildungen, zu 0,09 mm. angegeben wird, aber von denen er sagt \u201esie verlieren sich endlich in solcher Feinheit, dass das letzte Ende nicht genau bestimmt werden kann\u201c. Fr. El. Schulze110\n108\tR\u00fcdinger, Das h\u00e4utige Labyrinth in Stricker\u2019s Lehre von clen Geweben.\n109\tM. Schultze, Ueb. d. Endigungsweise d. H\u00f6rnerven. Arch. f. Anat. u. Physiol.\n1858.\n110 Fr. El. Schulze, Zur Kenntniss d. Endigungsweise d. H\u00f6rnerven. Arch. f. Anat. u. Physiol. S. 382. 1863.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nbeobachtete die Verh\u00e4ltnisse an lebenden Fischen und Amphibienlarven. Die H\u00e4rchen, zwar nur bis 0,07 mm. lang, mit verdickter Basis entspringend, gingen mindestens bis zur Mitte des Ampullenlumens. Hensen (9-s-353) best\u00e4tigte diese Erfahrung f\u00fcr Fische und findet neuerdings 111 an 12 bis 15 mm. langen Gobius, die Zahl der H\u00e4rchen nuf jeder Crista zu 480, deren L\u00e4nge zu 0,06 mm.\nFig. 23. L\u00e4ngsdurchsebnitt einer Ampulle von Gobius, ohne Gew\u00e4hr f\u00fcr die Form des Cristaopithels. n der Nerv, in das Bindegewebe der Crista eintretend, a Anhang des Kanals, b Eintrittsstelle der\nAmpulle in den Alveus communis, c das etwas cylindrische Epithel an der freien Wand der Ampulle,\nd die H\u00e4rchen.\nVon Lang 112 ist gefunden worden, dass bei Cyprinoiden, nach Erh\u00e4rtung mit Salpeters\u00e4ure, sich ein schleimig h\u00e4utiges Gebilde, die Cupula terminalis statt der H\u00e4rchen auf der Crista finde, sp\u00e4tere Untersucher fanden kurze H\u00e4rchen und eine Cupula, da jedoch Hensen f\u00fcr Gobius nachgewiesen hat, dass die Cupula durch Reagen-ti en Wirkung aus den H\u00e4rchen entsteht, d\u00fcrfte vorl\u00e4ufig die Darstellung, von Max Schultze als richtig anzuerkennen sein.\nIn Bezug auf die Epithelien der Crista d\u00fcrfte feststehen, dass die H\u00e4rchen von cylindrischen Zellen aus entspringen und dass zwischen diesen Zellen andere, anscheinend indifferenter Natur liegen. Ueber die Art des Nervenendes gehen die Ansichten auseinander; dass die Nerven in die Epithellage hineingehen steht fest. Der Physiologe wird bis zur Einigung der Anatomen aus allgemeinen Gr\u00fcnden annehmen d\u00fcrfen, dass die Nerven derart mit den Epithelien in Verbindung stehen, dass die Ersch\u00fctterungen der H\u00e4rchen auf sie einwirken.\n111\tHensen, Bemerk, gegen d. Cupula terminalis. Arch.f. Anat. u. (Physiol.) 1878.\n112\tLang, D. Geh\u00f6rorgan d. Cyprinoiden. Ztschr. f. wiss.Zool. XIII. S.303. 1863.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Otolithen. Schnecke.\n71\nOtolilhens\u00e4cke.\nDie Otolithen bestehen (l0L s-105) aus etwa 74,5 bis 77,5 % anorganischer Bestandtheile, darunter sehr \u00fcberwiegend kohlensaurer Kalk in Crystallen. Daneben findet sich eine organische Masse, welche mit Schleim verglichen wird; durch letztere werden die Crystall-massen, in den F\u00e4llen, wo nicht Steine sondern Otokonie oder Oto-litkenstaub sich findet, sehr locker zusammengehalten ; dies findet bei den h\u00f6heren Wirbelthieren statt. An der Lagerungsstelle der Otolithen im Utriculus und Sacculus durchsetzen die Nerven an einem rundlichen Fleck (Macula acustica) die bindegewebige Wandung und treten in das hier verdickte Epithel ein. Die Zellen des letzteren tragen H\u00e4rchen gleicher Art wie die der\nCrista, nur sind sie viel k\u00fcrzer.\nDer Otolith wird von diesen H\u00e4rchen getragen, so dass er von ihnen gehalten in der Endolymphe schwebt.\nVon dieser Thatsache kann man sich sehr leicht an durchsichtigen ganz jungen Fischen \u00fcberzeugen,\nderen Otolithen sehr klar sind^und 24 otoiithensack von gobius (Copie aus\ni ir' , 1\tnmfaaat 9 Fig. 24). Die H\u00e4rchen h st\u00fctzen den excen-\nVOn relativ langen H\u00e4rchen umtasst trjgcll aufiiegenden Otolithen o, welcher \u00fcber der j t> ; i;nA,.An F\u00ee.nV.\u00fb,! n?io* Od'l Macula acustica, i/aschwehend gehalten wird, Werden. Bei\u00e4lteienrlbChentrlg. n ^ie jjerven aer Macula im optischen Schr\u00e4gliegt der Stein sehr dicht an der\tschmtt.\nWandung an, aber auch hier tragen ihn die H\u00e4rchen, welche mit ihrer Spitze in einem Saum der die Otolithen zu umgeben scheint, eingeheftet sind.\nDie Schnecke.\nDies complicirteste aller Gebilde des Ohrs zeigt sich bei den niederen Thieren in Bezug auf den Endapparat immerhin einfach gebaut. So ist nach Hasse\u2019s113 Untersuchungen in der Schnecke der V\u00f6gel das Epithel nicht erheblich von dem einer Macula acustica verschieden, nur dass auf ihm keine Otokonie, sondern eine membra-n\u00f6se Cuticularausscheidung liegt. Ein weiterer Unterschied ist, dass das Epithel auf der Membrana basilaris aufsitzt. Bei den S\u00e4ugethie-ren liegen die Verh\u00e4ltnisse schwieriger, weil die Zellen sich weiter differenzirt haben.\nSeit Corti\u2019s Untersuchungen ist \u00fcber die S\u00e4ugethierschnecke so viel gearbeitet worden, dass nicht daran zu denken ist, hier eine\n113 Hasse, Schnecke d. V\u00f6gel. Ztschr. f. wiss. Zool. XVII.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs, 2, Cap. Functionen des Labyrinths.\nW\u00fcrdigung der Detailarbeiten unter denen diejenige von Deiters 114 besonders wichtig geworden ist, vorzunehmen. Ich werde mich bem\u00fchen auf Grund eigener Beobachtungen und Kritiken115 die Verh\u00e4ltnisse durch Hervorhebung des zur Zeit uns Wichtigen in einer f\u00fcr den Physiologen bestimmten Abk\u00fcrzung darzustellen. Ich muss an dieser Darstellung auch den neuesten Untersuchungen gegen\u00fcber festhalten.\nDie 2\\:2 Windungen der kn\u00f6chernen Schnecke werden durch die Lamina spiralis in eine obere (eigentlich vordere), vestibul\u00e4re und untere, tympanale Scala geschieden. Dies geschieht so, dass wenn man die Schnecke abgewickelt und dann der L\u00e4nge nach, senkrecht auf die Lamina spiralis durchschnitten denkt, ein Bild wie das nachstehende Schema entsteht.\nFig. 25. Anfang und Endtheil der abgewickelten Schnecke im L\u00e4ngsschnitt. Sc. vest. Scala vestibuli. Sc. tymjo. Scala tympani bei H das Helicotrema. F.r. Membrana tympani secundaria, dicht dar\u00fcber der Durchschnitt der Lamina spiralis bis zum Helicotrema verlaufend. St. Stapes.\nDurch die mit weiter M\u00fcndung beginnende Scala vestibuli kann man in die Scala tympani nur durch das Helicotrema gelangen. Die Lamina spiralis schliesst im \u00fcbrigen die Scalen v\u00f6llig von einander ab und legt sich auch dem Ende der Scala tympani, an der Fenestra rotunda abschliessend, vor. Die Lamina spiralis zerf\u00e4llt in einen kn\u00f6chernen Theil, der von derAxe, (Modiolus) der Schnecke seinen Ausgang nimmt und in einen h\u00e4utigen, als Membrana basilaris be-zeichneten, welcher die Fortsetzung des kn\u00f6chernen bildet und sich an die Peripherie des kn\u00f6chernen Schneckenkanals ansetzt. Diese Membrana bildet die eine (untere) Wand des im Querschnitt dreieckigen h\u00e4utigen Schneckenkanals, auf ihr ruhen die Nervenenden. Sie befestigt sich nach aussen an einen verdickten, zu einem Bande entwickelten Streifen des Periost, das Ligamentum spirale, welches die \u00e4ussere Wand des h\u00e4utigen Kanals bildet. Auf der Oberfl\u00e4che dieses Ligaments l\u00e4uft ein mit Capillaren erf\u00fcllter Gewebsstreifen, die Stria vascularis; derselbe d\u00fcrfte functioneil mit der Chorioidea des Auges zu vergleichen sein, w\u00e4hrend ein unter der Membrana\n114\tDeiters, Lamina spiral, membr. Bonn, Cohen. 1860.\n115\tHensen, a) Zur Morpholog. d. Schnecke. Ztschr. f. wiss. Zool. XIII. S. 486. 1863. b) Kritiken u. neue Befunde. Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. VI. S. 1. VIL S.64. (1873.) VIII. S. 163. IX. S. 251.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Bau des Schneckenkanals.\n73\nbasilaris hinziehendes Arterienst\u00e4mmchen Fig. 26 A. v. s. mit der Ar-teria centralis retinae vergleichbar erscheint. Die obere Wand des Kanals wird durch die sehr feine Membr. Reisneri abgeschlossen.\nDie der Schneckenaxe zugekehrte. Spitze des dreieckigen Querschnitts ist unregelm\u00e4ssig gestaltet, weil eine schmale knorplige Leiste ins Innere vorspringt. Dieselbe liegt dem Rande der kn\u00f6chernen Lamina spiralis auf und hat wegen ihrer eigenth\u00fcmlichen Form und Schichtung den Namen der HuscHKE\u2019schen Z\u00e4hne erhalten Fig. 26 M, z. Von den bisher genannten Gebilden hat die Membrana basilaris ein besonderes physiologisches Interesse, weil sie als der prim\u00e4r mitschwingende Theil scheint betrachtet werden zu m\u00fcssen. Sie w\u00e4chst n\u00e4mlich von der Wurzel des Kanals an in Breite und zwar von 0,041 bis 0,495 mm. also von 1 auf 12 (w\u00e4hrend die Saiten eines Fortepianos von 1 auf 30 wachsen). Die L\u00e4nge der Membran betr\u00e4gt circa 33,5 mm., doch werden f\u00fcr beide Zahlen gewiss noch Schwankungen nicht unerheblicher Breite gefunden werden. Das Breitenwachsthum ist an der Wurzel des Schneckenkanals rasch, denn in der Strecke von 0,4 mm. verdoppelt sich die Breite. Weiter hinauf geht das Breitenwachsthum langsamer, auch an der Cuppel ist keine raschere Verbreiterung zu bemerken, doch w\u00e4re m\u00f6glich, dass der hier etwas schr\u00e4ge Verlauf der gleich zu besprechenden Saiten der Membran den akustischen Effekt einer rascheren Verbreiterung hervorriefe, auch k\u00f6nnte durch die wachsende Belastung mit Epithel und Membrana Cortii eine tiefere Abstimmung des Theils herbeigef\u00fchrt werden.\nDie Basilarmembran besteht aus 3 Lagen; dem h\u00e4utigen Schneckenkanal zugekehrt findet sich eine Basalmembran br, darunter liegt bei S\u00e4ugern wie bei V\u00f6geln eine einfache Lage im Querschnitt drehrunder Fasern, welche wegen der spiralen Kr\u00fcmmung des Kanals divergirend von der Lippe der Lamina ossea aus nach dem Lig. spirale hin verlaufen, jedoch erst jenseits des inneren Drittels der Membran so weit von einander getrennt liegen, dass sie als besondere Bildung, Streifung der \u201e Zona pectinata \u201c leicht ins Auge fallen. Diese Fasern verlaufen ohne Th eil un g jede f\u00fcr sich und isoliren sich ziemlich leicht. Sie scheinen gleich dick von Anfang bis zur Insertion in dem Ligamentum spirale, sowie in den verschiedenen Theilen der Schnecke. Es kommen etwa vier dieser Seiten auf die Breite eines Bogens. Sie sind in eine glashelle Schicht eingebettet, welche auch noch unter ihnen als dritte Schicht b,n namentlich am \u00e4usseren Theil der Membran bemerkt wird. Ob diese Schicht so weich ist, dass sie die isolirte Schwingung der einzelnen Saiten nicht hindert, war nicht zu entscheiden.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nAuf der Membran ruht die Papilla spiralis Huschke, der Ner-venendapparat. Derselbe ist an der Radix weniger wie 0,057 mm. breit und 0,06 mm. hoch, am Hamulus 0,195 mm. breit und 0,09 mm. hoch. Der Apparat wird durch zwei relativ starre Pfeiler e getragen,\n\nFig. 26. A) Durchschnitt durch den Nervenendapparat der Schnecke. 2 dom h\u00e4utigen Schneckenkana zugekehrter Theil eines Huschke'schen Zahns, n der Nerv, durch einen Spalt der Hahenula perforata in das Epithel tretend, hei ri unter den Bogenfasern als markloser Faserzug weiter nach aussen ausstrahlend; hei n\u201c sendet er behufs Plexusbildung Zweige senkrecht zur Ebene des Fapiers ab. v. s. Vas spirale internum, b Membrana basilaris, b\u2018 Basementmembran, b\u201c Saiten, b\u201c\u2018 glashelles Gewebe unter denselben, c Membrana Cortii oder teetoria. c\u2018 verdickte Unterlage derselben, c\" ebensolche Bildung von der Fl\u00e4che als \u201eh\u00f6ckerige Linie\u201c erscheinend, d Sulcus spiralis mit seinem Epithel. e innere und \u00e4ussere Bogenfaser, die zu denselben geh\u00f6renden Zellen sieht man an ihrer Basis. f Epithel der Zona pectinata. g St\u00fctzzellen, h die Corti\u2019schen oder St\u00e4bchenzellen, der eigentliche Nervenendapparat. Von denselben gehen kurze St\u00e4bchen aus, auf denen die Corti\u2019sche Membran frei aufliegt: in diesen Zellen eigenth\u00fcmliche, mit einem Spiralfaden umwickelte Kapseln. Zwischen diesen Zellen bei i eine der Deiters'schen Haarzellen, gleichsam unentwickelte Bogenform repr\u00e4sentirend. B) Die Strecke zwischen c' und c\u201c von der Fl\u00e4che gesehen, h die St\u00e4bchenzellen von oben gesehen; die St\u00e4bchen sieht man auf denselben als runde Kreise, welche sieh so nebeneinander stellen, dass eine Hufeisenform dadurch gebildet wird, e ist die Platte der inneren, e\u2018 der Kopf der \u00e4usseren Bogenfaser. Dieser sendet einen flachen Fortsatz e\u201c aus, welcher im Verein mit den sog. Phalangen i< i\u2018 die Lamina reticularis bildet, welche dio St\u00e4bchenzellen umrahmt und tr\u00e4gt. Die Phalangen sind m. E. nichts anderes, als die freien Endfl\u00e4chen der Haarzellen, g die innerste St\u00fctzfaser, welche etwas zur Bildung der Lamina reticularis mit beitr\u00e4gt.\nwelchen sich nach aussen eine gefensterte Platte, die Lamina reticularis anschliesst, diese liegt nach aussen den Stiitzzellen an. Letztere werden nach dem Hamulus zu so zahlreich, dass man sie als Belastung der Membran auffassen m\u00f6chte, doch spricht dagegen, dass sie bei Meerschweinchen mit Fett gef\u00fcllt sind.\nAuf je zwei inneren Pfeilern sitzt eine Zelle, welche auf ihrer freien Fl\u00e4che eine Reihe kurzer St\u00e4bchen tr\u00e4gt, drei oder vier \u00e4hnliche Zellen sitzen in den L\u00f6chern der Membrana reticularis. Diese","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Bau des Schneckenkanals.\n75\nsog. CoRTi\u2019schen Zellen sind als der eigentliche Endapparat des Nerven zn betrachten. Ihre St\u00e4bchen sitzen auf einem etwas verdickten Membrantheil, darunter folgt eine Kapsel, die von einem Faden (Nerv?) spiral umwunden ist und die vielleicht als Tastapparat zu deuten w\u00e4re. Die Zelle l\u00e4uft in einen Faden aus, der Neigung hat varik\u00f6s zu werden. Die St\u00fccke der Membrana reticularis h\u00e4ngen mit den sog. DEiTERs\u2019schen Haarzellen zusammen, deren Ende sie bilden. Die Pfeiler und die Membrana reticularis bilden die vielleicht bei starkem Druck nachgiebigen Tr\u00e4ger der CoRTi\u2019schen Zellen.\nAuf dem ganzen Apparat liegt, getragen von den St\u00e4bchen der CoRTi\u2019schen Zellen eine ziemlich m\u00e4chtige Cuticularbildung, die Cor-Ti\u2019sche Membran oder Membrana tectoria c. Diese Haut ist auf den * HuscHKE\u2019schen Z\u00e4hnen ziemlich gut befestigt, nach aussen hin aber sicher ohne Befestigung. Da die Spitzen zerrissener todtenstarrer Muskelfasern sich in sie eindr\u00fccken lassen, m\u00fcssen wir sie als ein weiches Gebilde betrachten. Die den St\u00e4bchen aufliegende Fl\u00e4che derselben hat jedoch einen h\u00e4rteren Ueberzug *c\\ c\", welcher sich absprengen l\u00e4sst und welcher, besonders markirt \u00fcber der Reihe der inneren St\u00e4bchenzellen, hier an der abgel\u00f6sten Membran als h\u00f6ckerige Linie hervortritt.\nAlle diese Verh\u00e4ltnisse machen anatomischerseits die Annahme wahrscheinlich, dass die Erregung durch Anstossen der H\u00e4rchen gegen die Membrana tectoria, oder umgekehrt, erfolge.\nDie Nerven treten durch regelm\u00e4ssig gestellte Spalten in die Papilla spiralis ein; sie verlieren dabei ihr Mark und werden sehr fein. Sogleich nach ihrem Eintritt und dann weiterhin unter dem inneren und dem \u00e4usseren Pfeiler entwickeln sie durch rechtwinklige Anastomosen einen Plexus der zur Annahme longitudinal verlaufender Nerven den Anlass gegeben hat. Den Zusammenhang der Nerven mit den St\u00e4bchenzellen darf der Physiologe f\u00fcr gen\u00fcgend wahrscheinlich gemacht erachten, der genaue anatomische Nachweis daf\u00fcr ist sehr schwierig und kann noch immer angefochten werden.\nII. Die Klanganalyse.\nDie geschilderten Apparate haben die, in der Einleitung besprochenen Wellenbewegungen, als Reiz an die Fasern des N. acusticus zu \u00fcbertragen. Die dabei auftretenden Eindr\u00fccke unterscheiden sich nach Intensit\u00e4t, H\u00f6he und Klang. In diesen Beziehungen tritt also eine Analyse der Welle ein. F\u00fcr H\u00f6he und Intensit\u00e4t kommen die schon S. 37 besprochenen Gesetze des Mitsch win gens in Betracht,","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nhier werden wir uns daher vorz\u00fcglich mit der Erkl\u00e4rung dessen, was unter Klang und Klanganalyse verstanden wird, und was physikali-\nSchnurlauf s und Rolle r. a oberer Sirenenkasten , frei um seine Axe drehbar, mit H\u00fclfe des Zeigers z, der die Gr\u00f6sse der Drehung an-giebt. b Windrohr, durch dessen einen Zweig die Luft Zutritt, w\u00e4hrend aus dem zweiten durch ein Kautschukrohr die periodischen St\u00f6sse aufs intensivste anderen Gegenst\u00e4nden zugeleitet werden k\u00f6nnen, c Resonanzkasten \u00fcber der rotiren-den Scheibe, gleichfalls mit einemAb leitungsrohr. d Z\u00e4hlerwerk, e kleines Rad, welches durch eine Drehung der Schraube an der Axe um einen Zahn vorw\u00e4rts bewegt wird.4* f grosses Rad, welches durch einen hier nicht sichtbaren Vorsprung nach einer vollen Rotation des kleinen Rades um einen Zahn vorw\u00e4rts geschoben wird. Dies erfolgt nach je hundert Drehungen der Axe g der Sirenenscheiben, h die Sirenenscheibe des unteren Sirenenkastens, in derselben finden sieh 5 L\u00f6cherreihen. Die innerste Reihe enth\u00e4lt 4, die \u00e4usserste 18 L\u00f6cher. Diese L\u00f6cher rotiren \u00fcber einer festen, genau in gleicherWeise durchbohrten Platte, welche hier nicht sichtbar ist. Die L\u00f6eherreihen dieser Platte werden durch aneinander liegende, gleichfalls durchbohrte, Ringe f\u00fcr gew\u00f6hnlich geschlossen, da die L\u00f6cher der Ringe nicht unter den L\u00f6chern in der Platte 'liegen. Durch die Stifte t k\u00f6nnen jedoch die einzelnen Ringe so rotirt werden, dass ihre L\u00f6cher unter diejenigen der festen Platte kommen, wo dann die entsprechende Loehreihe der rotiren-d e n Sirenenscheibe so oft von Luft durehstr\u00f6mt wird, wie ihre L\u00f6cher sich \u00fcber denjenigen der festen durchbohrten Scheibe befinden. Dieses Oeff-nen der L\u00f6cher geschieht durch Hineinsehieben des Stiftes t. Derselbe nimmt dann die Stellung t\u2018 an und kann dauernd in die-serStellung gehalten werden, wenn der kleine Vorsprung u hinter den Klotz o gelegt wird.\nFig. 27. Doppelsirene, eingerichtet zur Rotation durch\nsehe Untersuchungen dar\u00fcber lehren, zu besch\u00e4ftigen haben.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Klangfarbe.\n77\n1. Die Klangfarbe und physikalische Klang analyse.\nAls man mit der Sirene genauer zu experimentiren anfing, fiel es auf, dass man in F\u00e4llen, wo zwar die Anzahl der St\u00f6sse in der Sekunde gleich, aber die Art des Stosses h\u00f6chst verschieden war, denselben Ton wahrnahm. Es sind zum Zweck der Untersuchung dieser Verh\u00e4ltnisse sehr verschiedene Sirenen gebaut worden, doch leistet die von Helmholtz construite Doppelsirene, welche Fig. 27 nach einem von mir ein wenig modificirten Exemplar gezeichnet ist, alles Erforderliche.\nDa die Luft nur von einer Seite durchgetrieben wird, fehlt scheinbar die negative Welle. Dieser Mangel trifft alle L\u00f6cherreihen in gleicher Weise, aber es wird die Bewegung der Luft, welche die T\u00f6ne erzeugt nothwendig anders ausfallen m\u00fcssen, wenn die L\u00f6cherreihe 4 einen Ton derselben Tonh\u00f6he giebt wie die L\u00f6cherreihe 18. Da n\u00e4mlich, wie man sieht, die Entfernung zwischen den L\u00f6chern dieser beiden Reihen sehr verschieden ist, so wird bei gleicher Tonh\u00f6he die Unterbrechung des Luftstroms in der weiter auseinander stehenden Reihe 4 der L\u00f6cher einen gr\u00f6sseren Theil der Schwingungszeit T des Tones anhalten, als bei der L\u00f6cherreihe 18. Sollte dieser Unterschied der Luftbewegung f\u00fcr unser Ohr spurlos vor\u00fcbergehen? Ohm 116 unterwarf den Gegenstand einer theoretischen Untersuchung. Er fragte sich n\u00e4mlich, ob die Formeln f\u00fcr einfache Tonschwingungen (s. Formel I und II) auch Geltung haben f\u00fcr so complicirte Schwingungsformen, wie sie von einer Sirene gegeben werden k\u00f6nnen. Die Entscheidung fand er mit H\u00fclfe des Fourier-schen Theorems, nach welchem jede Schwingungscurve sich mathematisch zerlegen l\u00e4sst in Reihen von Sinus- und Cosinuscurven, die als Theilt\u00f6ne aufzufassen sind. Bezeichnet also F(t) irgend eine con-tinuirliche oder discontinuirliche Function von \u00a3, der Zeit, welche ganz beliebige, jedoch reelle Werthe hat von \u2014 / bis t= /, wo/ die halbe Wellenl\u00e4nge bedeutet, so ist zwischen diesen Grenzen\nt\t21 ,\t,\t31\nF[t) \u2014 Ao -f- Ai cos 7T \u2014 -f- A% cos n \u2014-As cos n ...........\nt , _\t.\t21\t_\t.\t31\n-f- B\\ sin ri \u2014\u2014[- Bi sin n \u2014\u2014\\-B% sin n \u2014.....\nHierin sind Mo, Ai und Bi, A2 und Bi u. s. w. lauter von t unabh\u00e4ngige Gr\u00f6ssen, welche durch Rechnung zu finden sind. Der Aus-\n^ru\u00b0k\tAi cos n ~ \u2014F Bi sin n y- * *\nstellt den Grundton die zu A2B2 geh\u00f6rigen Werthe den 2. Theilton\n116 Ohm, Ann. d. Physik LIX. S. 513. LXII. S. 1.\n* Der Ausdruck kann auch da cos a = \u2014 sin (a\u201490), geschrieben werden :","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nu. s. w. dar. Die bei den St\u00f6ssen resultirende Luftbewegung mit H\u00fclfe dieser Formel analysirt, ergab sich von solcher Form, dass je nach Lagerung der L\u00f6cher und Art des Anblasens (ob einseitig oder successiv von beiden Seiten) verschiedene Theilt\u00f6ne und diese in verschiedener St\u00e4rke darin vorhanden sein m\u00fcssen. Auf Grund dieser Untersuchung sprach Ohm aus, dass, wenn unser Ohr nur einfache Sinusschwingungen als Ton auffasse, wir in dem Sirenenton mehrere T\u00f6ne erkennen m\u00fcssten; sei letzteres nicht der Fall und sei f\u00fcr ein solches Unverm\u00f6gen keine anderweite Erkl\u00e4rung zu gewinnen, so werde damit die Definition des Tons als Sinusschwingung als unrichtig erwiesen.\nDem entgegen fand Seebeck (52) experimentell, dass die rechnungs-m\u00e4ssigen Theilt\u00f6ne zur Verst\u00e4rkung des Grundtons mit beitr\u00fcgen und wenn \u00fcberhaupt, nur verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig schwach geh\u00f6rt w\u00fcrden. Er fand aber ferner, dass sie nicht nur den Grundton verst\u00e4rkten, sondern auch auf den Charakter seines Klanges, welcher imUebrigen der zu Grunde liegenden Bewegung nach, nicht bekannt sei, Einfluss \u00fcbten.\nSo blieb die Sachlage seit 1849 stehen bis Helmholtz (6) den Gegenstand aufnahm. Er fand Ohm\u2019s Voraussagen best\u00e4tigt, gab aber zugleich die Erkl\u00e4rung von Seebeck\u2019s Befunden. Ein ge\u00fcbtes und aufmerksames, oder mit Resonatoren bewaffnetes Ohr, vermag n\u00e4mlich in der That die einzelnen Theilt\u00f6ne, wie sie nach den Fourier-schen Reihen verlangt werden, zu unterscheiden, ein unge\u00fcbtes Ohr bemerkt sie jedoch nicht, sondern hat nur die Wahrnehmung eines Tons von besonderem Klang, je nach Beschaffenheit (Zahl, Lage und Intensit\u00e4t) der vorhandenen Theilt\u00f6ne. Der Klang oder die besondere F\u00e4rbung des Tons ist bedingt und ist ausschliesslich die Wirkung der, dem Grundton zugesellten Obert\u00f6ne, je nach ihrer verschiedenen Zahl, H\u00f6he und Intensit\u00e4t.\nHelmholtz hat diesen seinen wichtigen Befund eingehend empirisch begr\u00fcndet. R\u00f6hren, Hohlkugeln oder Hohlcylinder wurden mit einer \u00e4usseren Oefifnung und einer zweiten M\u00fcndung, welche genau in den Geh\u00f6rgang passte, versehen. Die Luft in diesen Apparaten kommt bei Angabe des Tons, welcher beim Anblasen der R\u00f6hre erhalten wird, durch Resonanz in starke Schwingung und wirkt entsprechend auf das Trommelfell ein. Man bezeichnet daher diese Apparate als Resonatoren. Sie resoniren f\u00fcr alle anderen T\u00f6ne, namentlich f\u00fcr die harmonischen Obert\u00f6ne gar nicht\nworaus sich unter Ber\u00fccksichtigung der Formel 7 ergiebt, dass damit eine einfache Sinusschwingung ausgedr\u00fcckt wird.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Physikalische Klanganalyse.\n79\noder nur schwach, auch ist ihre Wirkung desto st\u00e4rker und desto genauer umgrenzt, je enger ihre \u00e4ussere Oeffnung ist. Man kann sich von diesen Resonatoren eine den Theilt\u00f6nen eines Grundtons entsprechende Reihe darstellen und mit H\u00fclfe derselben Kl\u00e4nge, die auf den betreffenden Grundton angegeben werden, analysiren. Das Resultat des Versuchs ergiebt f\u00fcr jeden Klang eine entsprechend andere Zusammensetzung seiner Theilt\u00f6ne, wie des Weiteren bei der Physiologie der Sprache auseinander gesetzt wird. In der Natur\nFiff. 28. a Kesonator. b Kapsel nach K\u00f6nig, im Durchschnitt. Die Membran b\u2018 trennt die Luft von dem durchstr\u00f6menden Leuchtgas, der Ton ersch\u00fcttert dieselbe und setzt das Gas unter positiven oder negativen Ueberdruck. c Der rotirende Spiegel mit dem Flammenbild.\nkommt nicht leicht ein Ton ohne Beit\u00f6ne vor, selbst die Ger\u00e4usche enthalten viele T\u00f6ne.\nAuch ohne das Ohr zu H\u00fclfe zu nehmen, kann man mit H\u00fclfe der Resonatoren die Zusammensetzung des Klangs aus Tonreihen demonstriren. Wenn man n\u00e4mlich an das, f\u00fcr den Geh\u00f6rgang bestimmte Ende eines Resonators einen mit einer Membran \u00fcberspannten Trichter ansetzt und auf die Membran leichte K\u00f6rper bringt, so ge-rathen diese in Bewegung, sobald eine dem Eigenton des Apparats entsprechende Pendelschwingung in einer Klangbewegung vorkommt. Eleganter wird der Versuch, wenn man den Resonator mit einer Kapsel nach K\u00f6nig verbindet, deren Brenner anz\u00fcndet und das Bild der Flamme in einem rotirenden Planspiegel beobachtet.\nMan \u00fcberzeugt sich, dass der Resonator stets eine einfache Sinus-","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nSchwingung erzeugt, denn wenn die Kapsel direct angesprochen wird, gestaltet sich das Bild der Flamme sogleich weit complicirter.\nOhne H\u00fclfsmittel wird ein Theilton am leichtesten geh\u00f6rt, wenn man auf dem Monochord zwei Saiten so nahe gleich stimmt, dass sie weniger wie eine Schwebung in der Secunde geben; reisst man ihre Mitte, so schl\u00e4gt der 3. Theilton fast dreimal, der 4. fast viermal u. s. w. in der Secunde und das Ohr h\u00f6rt den lauteren dieser schwebenden Theilt\u00f6ne leicht heraus. Reisst man zwei gleichgestimmte Saiten (von etwa 1 Meter L\u00e4nge) nahe dem Ende und ber\u00fchrt sie in V2, Vs bis V12 ihrer L\u00e4nge einen Augenblick leise mit den Fingern, so verschwindet der Klang der Saiten und es bleibt nur der Ton merklich, und noch in der Entfernung wahrnehmbar, welcher an der ber\u00fchrten Stelle einen Knoten hatte. Alle T\u00f6ne, welche an der ber\u00fchrten Stelle keinen Knoten haben, m\u00fcssen, wie Theorie und Praxis nachweisen, verschwinden, aber die breite Fl\u00e4che der Finger d\u00e4mpft zugleich die h\u00f6heren Theilt\u00f6ne desselben Knotens stark ab, weil ihr Knotenpunkt nicht isolirt genug getroffen wird. Die von dem Klang isolirten T\u00f6ne machen einen sehr charakteristischen Eindruck der Reinheit und wenn man diesen beachtet, h\u00f6rt man viel leichter die einzelnen T\u00f6ne im ganzen Klang. Uebrigens ist der Klang solcher Saiten je nach Art, St\u00e4rke und H\u00e4rte des Anschlags sehr verschieden. Dies r\u00fchrt von der, unter jenen Einfl\u00fcssen verschiedenartigen Beimengung der Obert\u00f6ne her, vgl. S. 82 Tab. III.\nDie Klangbewegung kann in manchen F\u00e4llen durch das Vibra-tionsmikroskop analysirt werden. Es ist dies ein, auf der Branche einer Stimmgabel aufgesetztes Objectiv oder besser Okular eines dar\u00fcber resp. darunter senkrecht aufgestellten Mikroskops. Ist der Grundton eines schwingenden festen K\u00f6rpers synchron mit den Schwingungen der Stimmgabel und ist die Richtung, in welcher letztere schwingt, parallel zur Ebene des schwingenden markirten Punktes, aber rechtwinklig gegen dessen Schwingungen, so bildet der Punkt eine Curve von in sich abgeschlossenem Verlauf. Diese Curve, die nat\u00fcrlich die Folge der rasch sich wiederholenden Ortsver\u00e4nderungen des Punktes selbst und seines Bildes ist, scheint auf einer Cylinderfl\u00e4che gezeichnet zu sein. Denkt man sie abgewickelt, so erh\u00e4lt man solche Curven, wie sie in der Einleitung gegeben worden sind. Die Anwendbarkeit dieser Art von Analysen ist jedoch beschr\u00e4nkt.\nEine fernere M\u00f6glichkeit der Klanganalyse bietet die phonautographische Untersuchung. Dabei verzeichnet der schwingende Theil, meistens eine Membran, mit H\u00fclfe eines Haares oder einer biegsamen Feder seine Schwingungen auf einem berussten Cylinder. Der bis-","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Klanganalyse. Einfache T\u00f6ne.\n81\nher meistens gebrauchte ScOTT-K\u00f6NiG\u2019sche Phonautograph leidet sein-unter den Eigenschwingungen und der nothwendigen Abstimmung seiner Membran, da complicirte Toncurven nicht gut und richtig wiedergegeben werden. Dagegen geben Apparate mit starker D\u00e4mpfung, wie z. B. der E\u00fcDissON\u2019sche Phonograph, die Schwingungen weit richtiger, aber zugleich kleiner wieder, die Untersuchung der Curven desselben ist jedoch erst vor Kurzem in Angriff genommen worden.\nEinen wichtigen Schritt in einer anderen Richtung haben wir wiederum Helmholtz zu verdanken. Es ist demselben n\u00e4mlich gelungen, gewisse Kl\u00e4nge aus einfachen T\u00f6nen zu componiren. Stimmgabeln haben sehr schwache harmonische Obert\u00f6ne, und Resonatoren von Kugelform haben nur unharmonische Obert\u00f6ne welche nicht mit denen, welche Stimmgabeln gleicher Abstimmung geben, \u00dcbereinkommen.\nWenn daher eine Stimmgabel, unter Verhinderung der Leitung ihres Schalls auf feste Fl\u00e4chen, zum Schwingen gebracht und vor einen entsprechenden Resonator gestellt wird, so resonirt allein der Grundton; man h\u00f6rt ihn als leeren Ton und so klangfrei wie dies die Einrichtung unseres Ohres nur zul\u00e4sst. F\u00fcr den Versuch wurde eine Reihe von Stimmgabeln, welche auf die T\u00f6ne einer zusammenh\u00e4ngenden Reihe von Theilt\u00f6nen abgestimmt waren, vor Resonatoren gestellt und durch Elektromagneten in Schwingungen versetzt. Die Resonatoren konnten nach Willk\u00fcr halb oder ganz geschlossen werden, so dass einzelne der Theilt\u00f6ne ausfielen oder schwach oder stark geh\u00f6rt wurden. Es ergab sich das wichtige und beweisende Resultat, dass auf diese Weise Kl\u00e4nge (es wurden namentlich die Kl\u00e4nge der Vokale untersucht) nach Willk\u00fcr aus einfachsten T\u00f6nen erzeugt werden k\u00f6nnen. Aehnlichen Erfolg hat Appunn117 mit H\u00fclfe von Zungenpfeifen gehabt.\nAls Beispiel der Intensit\u00e4ten der Theilt\u00f6ne in einem Klang m\u00f6ge folgende, von Helmholtz (6- s- 135) berechnete, Tabelle (S. 82) dienen. Dieselbe enth\u00e4lt in ihrer 3., 4. und 5. Columne die Kl\u00e4nge, welche ein Fl\u00fcgel in seinen tiefsten T\u00f6nen bis zur zweigestrichenen Octave giebt.\nDie theoretische Intensit\u00e4t ist nicht strenge identisch mit der Intensit\u00e4t, welche der Ton f\u00fcr unsere Wahrnehmung hat, letztere wird f\u00fcr die Obert\u00f6ne zum gr\u00f6sseren Theil h\u00f6her wie hier angegeben, sein. Immerhin kann dies Beispiel als eine Ann\u00e4herung betrachtet werden. Das Verschwinden des 7. Theiltons r\u00fchrt daher, dass der Hammer auf dessen Knotenpunkt trifft.\nNach den vorliegenden Erfahrungen sind die Kl\u00e4nge wie folgt zu charakterisiren.\n117 Vgl. Wolf, Sprache und Ohr. S. 11. Braunschweig, Vieweg. 1871.\nHandbuch, der Physiologie. Bd. lila.\t\u00d6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nTheoretische Intensit\u00e4t der Partialt\u00f6ne. (Tab. III.)\nAnschlag in der Saitenl\u00e4nge\t\t\t\t\t\t\n\t\tAnschlag durch den Hammer des Instru-\t\t\t\tAnschlag mit\nOrdnungs-\tAnschlag\tments\t, dessen Ber\u00fchrung dauert :\t\t\t\n\t\t3 /,\t3/,\u201e\t3.\t3 /aa\teinem ganz\nzahl des\tdurch\t/7\t/10\t|\t/14\t1\t\n\t\tvon der Schwingungsdauer des\t\t\t\tharten\nPartialtons.\tReissen\t\tGrundtons\t\t\tHammer\n\t\tc\"\tg'\tCi-c'\t\t\n1\t100\t100\t100\t100\t100\t100\n2\t81,2\t99,7\t189,4\t249\t285,4\t324,7\n3\t56,1\t8,9\t107,9\t242,9\t357,0\t504,9\n4\t31,6\t2,3\t17,3\t118,9\t259,8\t504,9\n5\t13,0\t1,2\t0,0\t26,1\t108,4\t324,7\n6\t2,8\t0,01\t0,5\t1,3\t18,8\t100,0\n7\t0.0\t0,0\t0,0\t0.0\t0.0\t0,0\n1)\tKl\u00e4nge einfachster T\u00f6ne (Stimmgabeln vor Resonatoren, weite, gedeckte Orgelpfeifen) sehr weich, angenehm und ohne Rauhigkeiten, aber unkr\u00e4ftig und in der Tiefe dumpf.\n2)\tKl\u00e4nge mit Obert\u00f6nen bis zum 6. hinauf, sie sind klangvoller und musikalischer. Dabei sind sie, so lange die h\u00f6heren Obert\u00f6ne fehlen, v\u00f6llig wohllautend und weich, sowie reich und pr\u00e4chtig. (Fortepiano, offene Orgelpfeifen, Horn und weichere T\u00f6ne der menschlichen Stimme.)\n3)\tWenn nur ungradzahlige Theilt\u00f6ne da sind, wird der Klang hohl, bei gr\u00f6sserer Zahl von Obert\u00f6nen n\u00e4selnd und je nach Ueber-wiegen des Grundtons voller oder leerer. (In der Mitte angeschlagene Saiten, Clarinette, enge gedeckte Orgelpfeifen.)\n4)\tWenn die h\u00f6heren Theilt\u00f6ne jenseits des 7. sehr deutlich sind, wird der Klang scharf und rauh. Die Rauhigkeiten werden verursacht durch Dissonanzen zwischen den zu eng liegenden Obert\u00f6nen. Diesen Klangcharakter haben in mehr oder weniger ausgepr\u00e4gter Weise die Streichinstrumente, die meisten Zungenpfeifen, Oboe, Fagott, Physharmonica und menschliche Stimme. Sehr kr\u00e4ftig wirken Trompeten und andere \u201e schmetternd\u201c klingende Blechinstrumente. Bei denselben d\u00fcrften viele dissonirende Obert\u00f6ne anf-treten.\n2. Wirkung der Phasenverschiebungen.\nWenn in der Reihe der Theilt\u00f6ne sich Phasenunterschiede ^in-stellen, also die Curve die Formel hat","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung bei Phasenverschiebung.\n83\nV = a sin 2 n ^ \u2014 yj + b sin 4 n \u2014 y j...................\nso complicirt sich die Form der Gesammtbewegung ausserordentlich. Es fragt sich oh die Aenderung, welche eine Klangbewegung durch Phasenverschiebung erleidet, auf unser Ohr einen Eindruck irgend welcher Art macht. Man sollte denken, dass dies der Fall sein m\u00fcsse.\nZur Entscheidung der Frage benutzte Helmholtz seinen, S. 81 beschriebenen, Resonatorenapparat. Die mathematische Untersuchung ergiebt, dass bei jeder Verstimmung eines Resonators seine Resonanz gegen den zugeh\u00f6rigen Ton nicht nur geschw\u00e4cht wird, sondern dass zugleich die Phase der Schwingung, welche von dem Resonator ausgehend unser Ohr trifft, sich \u00e4ndert.\nBei tieferer Abstimmung des Resonators tritt die Phase der gr\u00f6ssten Geschwindigkeit etwas fr\u00fcher ein, wie diejenige, der vor dem Resonator schwingenden Gabel, bei h\u00f6herer Abstimmung tritt sie sp\u00e4ter ein. Da die Stimmgabeln alle in gleichen Phasen schwingen, weil sie durch den, von einer Unterbrechungsgabel, welche nach \u00e4hnlichem Princip wie der NEEF\u2019sche Hammer den Strom schliesst und unterbricht, geregelten galvanischen Strom ihre regelm\u00e4ssigen Anst\u00f6sse erhalten, sind wir auch der Un Ver\u00e4nderlichkeit ihrer Phasen sicher. Man hat durch Verengung (Deckung) der M\u00fcndung eines Resonators, welches Verfahren diesen tiefer stimmt, die M\u00f6glichkeit in der Hand einen Theilton zu schw\u00e4chen und zugleich in seiner Phase zu verschieben. Man kann aber auch durch Entfernung der Gabel vom Resonator den Ton nur schw\u00e4chen ohne dabei die Phase merklich zu ver\u00e4ndern. Die Combination beider Verfahrungsweisen l\u00e4sst die Phasenverschiebung abstrahiren.\nDie nach diesem .Verfahren von Helmholtz (6) angestellten Versuche ergaben ihm, dass die Klangfarbe des musikalischen Theils eines Klangs nur abh\u00e4ngt von der Zahl und St\u00e4rke der Theilt\u00f6ne, nicht von ihren Phasenunterschieden, welche einen wahrnehmbaren akustischen Effekt nicht geben.\nDieselbe Erfahrung macht man, wenn zwei mit Spiegeln versehene Stimmgabeln nach Lissajous\u2019 118 Methode durch das Auge auf ihre Schwingungen controllirt werden. Man sieht den, in beiden gespiegelten Leuchtpunkt allm\u00e4hlich die verschiedenen Formen durchlaufen, welche den Phasenunterschieden der beiden Stimmgabeln entsprechen, man h\u00f6rt aber keine, diesen Phasendifferenzen entsprechende Aenderung des Klangs, sondern h\u00f6rt, bei gen\u00fcgend raschem Wechsel, nur die durch Interferenz hervorgerufene Schwebung.\n118 Lissajous, Ann. d. Chemie. 3. Ser. LI. S. 147.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nWenn man eine Reihe von drei oder mehr Theilt\u00f6nen auf eine K\u00f6NiG\u2019sche Kapsel vor rotirendem Spiegel einwirken l\u00e4sst, macht man die gleiche Erfahrung. Man kann den Ton von den Knotenpunkten gut gestimmter Orgelpfeifen nehmen, da die Abstimmung derselben weder genau genug zu machen ist, noch genau genug bleibt, um Phasenverschiebungen w\u00e4hrend des Versuchs auszuschliessen, oder man kann die T\u00f6ne von dem Windkasten der Doppeltsirene nehmen und die obere Sirene drehen. Das Ohr bemerkt bei dem Versuch keine Aenderung der Klangfarbe, w\u00e4hrend das Auge gleichzeitig die auffallendsten Ver\u00e4nderungen des Flammenbildes vor sich gehen sieht. Diese Beobachtungen beziehen sich nur auf die 8 bis 9 ersten Theil-t\u00f6ne eines Klanges, es ist nicht unm\u00f6glich, dass bei den h\u00f6heren Theilt\u00f6nen Phasenverschiebungen f\u00fcr den Klang von Bedeutung werden, namentlich deshalb, weil diese T\u00f6ne so dicht liegen, dass sie sich dabei sehr verst\u00e4rken, oder auch gegenseitig ausl\u00f6schen k\u00f6nnen.\nDas wichtigste Resultat dieser Untersuchungen bleibt nichts desto-weniger bestehen, dass n\u00e4mlich unser Ohr ungleich dem Auge, nicht die Form der Schwingungen als solche empfindet, sondern sie in die einzelnen Sinusschwingungen, aus denen sie resultirt, zerlegt. Ob das Maximum der einen oder anderen dieser einzelnen Schwingungen ein wenig fr\u00fcher oder sp\u00e4ter innerhalb der Periode des Grundtons liegt, wird nicht direct empfunden.\n3. Empfindung der Schwebungen.\nWir haben S. 12 gesehen, dass bei Phasenverschiebung zweier gleichen T\u00f6ne die Bewegung sich zu einer einfachen Sinuscurve mit einer Amplitude zwischen 0 und der Summe der Amplituden beider T\u00f6ne, combinirt. Die so entstehende Curve bietet weder f\u00fcr unser Ohr, noch f\u00fcr die mathematische Analyse, Anhalt zu weiterer Zergliederung. Sobald jedoch zwei verschiedene T\u00f6ne sich nach Intensit\u00e4t und Tonh\u00f6he so nahe stehen, dass die Bewegung zeitweilig fast ausgel\u00f6scht werden kann, tritt ein zweifaches ein.\nEinmal stellt sich ein Schwanken in der Tonh\u00f6he, der sog. RADAu\u2019sche Variationston, ein.* Dabei liegt im Maximum der Tonst\u00e4rke die Tonh\u00f6he zwischen derjenigen der beiden T\u00f6ne, von denen\n* Sei die Geschwindigkeit der Bewegung v = A sin [Mt) -f B sin wobei A> B, so wird nach Helmholtz G- Beil.xiv\n{M\u2014N)B\nim Maximum\nM-31 +\nA-\\- B A\u2014B\n= N + = IV +\nA t + c)\ndie Schwingungszahl {3I\u2014J\\)A A-\\- B {31- N) A A\u2014B '\nim Minimum","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Empfindung der Schwebungen.\n85\nwir den niederen N und den h\u00f6heren M nennen wollen, beim Minimum ist sie h\u00f6her wie My wenn dies der st\u00e4rkere Ton ist, dagegen niederer als iV, wenn N st\u00e4rker ist.\nZweitens werden die Maxima als Tonst\u00f6sse oder Schl\u00e4ge, die Minima als Tonpausen sehr deutlich geh\u00f6rt. Hier wird also neben der etwa vorhandenen klanganalytischen Th\u00e4tigkeit noch eine zweite Empfindung im Ohr erzeugt; es bleibt jedoch die Frage noch offen, ob hier wirklich eine zweite Art der Reaction unseres Ohrs vorliege.\nMan war l\u00e4ngere Zeit geneigt sich der Ansicht von Thomas Young anzuschliessen, nach welcher sich die, durch Schwebungen verursachten St\u00f6sse, \u00e4hnlich wie die Luftst\u00f6sse der Sirene zu der Empfindung eines Tons zusammensetzen, wenn sie sich so rasch folgen, als zur Bildung eines wahrnehmbaren Tons erforderlich ist. In der That h\u00f6rt man in diesem Falle T\u00f6ne (die sog. Combinationst\u00f6ne und Stosst\u00f6ne, K\u00f6nig) , unter denen die leichter h\u00f6rbaren sich ihrer Schwingungszahl nach so verhalten, wie Young\u2019s Ansicht dies verlangt. Wenn also zwei T\u00f6ne von z. B. 1000 und 1044 Schwingungen gleichzeitig angegeben werden, so kommen ihre Wellen 44 mal in der Sekunde zur Deckung und ebenso oft zur Interferenz, geben also 44 Schwebungen und man h\u00f6rt zugleich den Ton F (44 Schwingungen). Dennoch kann die Ansicht von Young nicht in voller Ausdehnung f\u00fcr richtig erkl\u00e4rt werden.\nDas Trommelfell macht n\u00e4mlich, wie Politzer experimentell erwiesen hat, die Curve der Schwebungen genau mit. Ein Theilchen desselben w\u00fcrde also bei den Schwebungen sich etwa so bewegen, wie die nachfolgende Curve zeigt.\nFig. 29. Sei a die Ruhelage, so wird das Trommelfell im Verlauf einer Schwebung die, etwa 44 Schwingungen zwischen b und b\u2018 vollziehen, aber nicht, wie man nach dem akustischen Eindruck zu glauben geneigt ist, eine Nebenbewegung in Form der Welle des Differenztons, also bdd'b1 mit dem Maximum oder Minimum bei d resp. d\\ oder auch eine Wellenbewegung b db\u2018 c2 resp. cd\u2018b\u2018b2\nvollf\u00fchren.\nEin wirklicher Tonstoss von der Wellenl\u00e4nge des ersten Differenztons w\u00fcrde sich als Sinuscurve cdd\u2019b' der vorhandenen Bewegung zuaddiren m\u00fcssen, davon ist aber in der vorliegenden Curve gar nichts zu bemerken. So ist also die genauere Betrachtung einer Schwebungscurve der Ansicht von Young nicht g\u00fcnstig!\nAusserdem ist sicher gestellt, dass 40 und weniger Luftst\u00f6sse,","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nwelche unser Trommelfell treffen, als Ton zur Wahrnehmung kommen, w\u00e4hrend nach Helmholtz 130 Schwebungen und den Schwebungen \u00e4hnliche Tonst\u00f6sse noch als solche empfunden werden.\nUm recht deutliche Schwebungen zu erhalten, ist es n\u00f6thig 1) die beiden interferirenden T\u00f6ne gleich stark zu machen, damit sie sich v\u00f6llig ausl\u00f6schen k\u00f6nnen, 2) die Tonintervalle klein zu nehmen, damit die interferirenden Wellen sich m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig decken. Das Intervall eines halben Tons erf\u00fcllt letztere Bedingung gen\u00fcgend. Nehmen wir das Intervall h cr (247,5 und 264 Schwingungen) so erhalten wir 161,2 Schwebungen in der Sekunde, A'c\" giebt 33 h\"crfr 66, h'\"c1Y* 132 Schwebungen. Beobachtet man diese Reihe an passenden Toninstrumenten, etwa an Orgelpfeifen, so verschwindet zwar schon unter 16 Schwebungen die M\u00f6glichkeit der gesonderten Wahrnehmung der St\u00f6sse, aber den T\u00f6nen bleibt ein Rollen, Schnarren und eine charakteristische Rauhigkeit anhaften, welche noch unzweifelhaft bei 132 Schwebungen besteht, obgleich sie hier unmerklich zu werden beginnt.\nWenn zwei Sekundenpendel zusammenschlagen, kann das Ohr bis zu nahe Vioo\" bestimmen, ob ihre Schl\u00e4ge Zusammentreffen oder nicht. Man kann auch eine Zungenpfeife hohen Tons in den Windkasten einer Sirene bringen und von dort anblasen. Wenn dann eine L\u00f6cherreihe ge\u00f6ffnet wird, trifft der Ton nur dann das Ohr, wenn die Oeffnung der Scheibe die L\u00f6cherreihe passirt. Dabei wird dieser k\u00fcnstlich unterbrochene Ton ebenso rauh und knarrend, wie rasch schwebende T\u00f6ne, und kann als solcher weit \u00fcber die Grenzen der Anzahl von Tonst\u00f6ssen, welche f\u00fcr die Bildung eines tiefen Tons erforderlich sind, wahrgenommen werden.\nSomit ist es sicher, dass die Schwebungen als solche sich nicht in einen Ton verwandeln k\u00f6nnen. Es wurde bereits S. 46 besprochen, dass und weshalb bei gen\u00fcgender Tonst\u00e4rke unter den in Rede stehenden Verh\u00e4ltnissen Combinationst\u00f6ne entstehen, neuerdings hat K\u00f6nig119 nachgewiesen, dass dabei noch in anderer Weise T\u00f6ne, welche er als Stosst\u00f6ne bezeichnet, auftreten, auch Dennert 120 machte \u00e4hnliche Befunde. K\u00f6nig experimentirte mit sehr starken Stimmgabeln vor Resonatoren und schloss demnach (vgl. S. 81) die objectiven Obert\u00f6ne aus. Er fand, abweichend von fr\u00fcheren Beobachtern, dass noch weit gr\u00f6ssere Intervalle als man fr\u00fcher annahm, Intervalle von 1:8 und selbst 1:10, St\u00f6sse geben k\u00f6nnen. Diese St\u00f6sse lassen sich nach K\u00f6nig weder aus den Theilt\u00f6nen, noch aus den\n119\tK\u00f6nig, Ann. d. Physik. XL VIL S. 177. 1876.\n120\tDennert, Arch. f. Ohrenheilkunde. XII. S. 191.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Stosst\u00f6ne.\n87\nCombinationst\u00f6nen erkl\u00e4ren, da solche auszuschliessen sind. Es werden z. B. bei der Combination des Tons von 64 und 510 Schwingungen 2 St\u00f6sse geh\u00f6rt. Um diese aus dem Differenzton zu erkl\u00e4ren, haben wir 510 \u2014 64 = 446 v. d. 1. Differenzton, 446\t64 = 382 v. d.\n2. D.-T., 382 \u2014 64 = 318 v. d. 3. D.-T., 318 \u201464 = 254 y. d. 4. D.-T., 254 \u2014 64 = 190 v. d. 5. D.-T., 190 -64=126 v. d. 6. D.-T., 126 \u2014 64 = 62 Schwingungen, 7. Differenzton, welcher 2 Schl\u00e4ge mit dem Crundton 64 v. d. giebt. Eine solche Reihe von Differenzt\u00f6nen ist kaum glaublich, auch muss der Ton 510 eine so geringe Intensit\u00e4t haben, wenn die Schl\u00e4ge am deutlichsten werden sollen, dass er sich zur Hervorbringung von Combinationst\u00f6nen wenig eignet; endlich ist von allen jenen Differenzt\u00f6nen nichts zu h\u00f6ren.\nDas Resultat von K\u00f6nig\u2019s ausf\u00fchrlichen Untersuchungen ist, dass die Anzahl der St\u00f6sse zweier T\u00f6ne n und nf gleich dem positiven\nund \u201enegativen\u201c Rest der Division \u2014 ist, d. h. gleich den Zahlen\nm und m\\ die man erh\u00e4lt, indem man: n' \u2014 hn-\\-m = {h -}- 1) n \u2014 mr sagt, wo h der Quotient der Division ist, welche den Rest m er-giebt. Die Sache verh\u00e4lt sich folglich so, als wenn die St\u00f6sse von denjenigen zwei Obert\u00f6nen h u. h + 1 des tiefen Tons n herr\u00fchren, zwischen welche der h\u00f6here Ton n' f\u00e4llt, die st\u00e4rkeren Schl\u00e4ge r\u00fchren dann von dem n' n\u00e4her gelegenen der beiden Obert\u00f6ne her. Sowohl die St\u00f6sse m als auch diejenigen m' gehen bei gen\u00fcgender Intensit\u00e4t der prim\u00e4ren T\u00f6ne und hinreichender Anzahl, in Stosst\u00f6ne \u00fcber. Auch Intermittenzen eines Tones k\u00f6nnen in einen Ton \u00fcbergehen, wie mit H\u00fclfe einer Sirene und einer unter der Sirenenscheibe t\u00f6nenden Stimmgabel gezeigt wird. Man h\u00f6rt einen Ton, welcher so viel Mal schwingt, wie die L\u00f6cher die Stimmgabel passiren, so lange nur der Ton der Stimmgabel h\u00f6her ist, als der Sirenenton. Die Combinationst\u00f6ne sind viel schw\u00e4cher, als die Stosst\u00f6ne.\nDiese Resultate scheinen denjenigen von Helmholtz zu widersprechen, jedoch es ist als ein wesentlicher Umstand zu ber\u00fccksichtigen, dass die Schwebungen sich nicht v\u00f6llig in einen Stoss-ton umwandeln k\u00f6nnen, sondern dass stets, und zwar wie es scheint sehr laut, die knarrenden Ger\u00e4usche den Ton begleiten. Es l\u00f6sen sich also die St\u00f6sse nur the il-weise in T\u00f6ne auf. Die Stosst\u00f6ne sind wichtig f\u00fcr die sp\u00e4ter zu besprechende musikalische Theorie, hier ist nur hervorzuheben, dass die Stossbewegung, in einer noch nicht ganz durchsichtigen Weise wohl eine Sinusschwingung der Tongeschwindigkeit m und ?nr, sei cs in der Luft, sei es im Geh\u00f6rapparat, mit hervorbringt. Der f\u00fcr uns","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nwichtige Satz, dass die Schwebungen an sich als Ger\u00e4usche bemerkt und als solche bis zu 130 St\u00f6ssen in der Sekunde wahrgenommen werden, bleibt unver\u00e4ndert bestehen.*\n4. Kleinste Anzahl der als Ger\u00e4usch oder Ton wahrnehmbaren Tonseh wingungen.\nNur bei einer gewissen Anzahl sich folgender Schwingungen kommt ein Ton als solcher zur Wahrnehmung. Mach 121 brachte ein Toninstrument in einen tondicht geschlossenen Kasten und leitete den Ton durch ein Rohr einerseits an eine K\u00f6Nict\u2019sche Kapsel mit Brenner, andererseits bis nahe an das Ohr des Beobachters. Von letzterem wurde aber das Rohr durch eine Pappscheibe getrennt. Diese Scheibe war drehbar und wurde mit einem radialen Ausschnitt von ver\u00e4nderlicher Winkelbreite versehen. Sie trug an diesem Ausschnitt einen Spiegel, welcher das Bild des Brenners zu sehen erlaubte so lange der Ausschnitt am Kopfe vorbeiging. Es wurde daf\u00fcr gesorgt, dass man durch diesen Ausschnitt gleich viel Schwingungen sah und h\u00f6rte. Die Versuche ergaben, dass erst bei 4 bis 5 Schwingungen ein Ton von bestimmter H\u00f6he erkennbar wurde, bei 2 bis 3 Schwingungen h\u00f6rte man nur einen trocknen Schlag. K\u00f6nig (119) liess den Ton eines Instrumentes durch die L\u00f6cherreihe der Sirene gehen und kam dabei zu \u00e4hnlichen Resultaten.\nExner 122 f\u00fchrte den Ton aus einem Resonator mit H\u00fclfe eines\n* Preyer (5) hat die Untersuchungen von K\u00f4n\u00eeg aufgenommen, im Wesentlichen best\u00e4tigt und n\u00e4her analysirt. Helmholtz war zur Erkl\u00e4rung der Klangwahrnehmung und somit der Erkenntniss der physikalischen Einrichtung unseres Labyrinths auf dem Wege gelangt , dass er die Ansicht von Thomas Young, die Combinationst\u00f6ne seien Stosst\u00f6ne, widerlegte. Preyer sieht sich veranlasst, die Combinationst\u00f6ne wieder als Stosst\u00f6ne zu bezeichnen. Er findet n\u00e4mlich, dass die drei Gr\u00fcnde, welche Helmholtz f\u00fcr seine Ansicht geltend machte, nicht mehr haltbar seien/ Diese Gr\u00fcnde waren, dass 1) die Summationst\u00f6ne nicht aus St\u00f6ssen entstehen k\u00f6nnen ; 2) die Combinationst\u00f6ne unabh\u00e4ngig vom Ohr existiren k\u00f6nnten ; 3) jene Ansicht nicht vereinbar sei mit dem, durch sonstige Erfahrungen best\u00e4tigten Gesetz, dem zufolge das Ohr (Schnecke) nur diejenigen T\u00f6ne empfindet, welche einfachen pendelartigen Schwingungen der Luft entsprechen.\nIndem Preyer so auf Young zur\u00fcckgreift, gewinnt es den, wie ich glaube nicht beabsichtigten, Anschein, als wenn die Klanganalyse des Ohrs dabei in Frage gestellt w\u00fcrde. Wir k\u00f6nnen jedoch von dem Labyrinth nur verlangen, dass es die Klangbewegung analysire, welche das Trommel feit ihm bringt, und den Bau des letzteren haben wir nunmehr als so eigenartig erkannt, dass sichmithoher Wahrscheinlichkeit behaupten l\u00e4sst, es sei ihm eigenth\u00fcmlich, eine Quote der Intensit\u00e4tsschwankungen (vgl. Fig. 29) in Wellen der Combinationst\u00f6ne umzuwandeln. Uebrigens ist nicht zuzugeben, dass Combinationst\u00f6ne nicht objectiv nachzuweisen seien. K\u00f6nig (1u) hat die Stimmgabeln, welche Stosst\u00f6ne geben, schreiben lassen, und da zeigen die Curven der paaren Theilt\u00f6ne unzweideutig Tonwellen der Differenzt\u00f6ne, die folglich auch in der Luftbewegung vorhanden sein m\u00fcssen; ob alle, l\u00e4sst sich wegen der ungleichm\u00e4ssigen Schrift der abschwingenden Gabeln nicht erkennen.\n121\tMach, Physikalische Notizen. Lotos, August 1873.\n122\tExner, Arch. d. ges. Physiol. XIII. S. 228.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Reactionszeit.\n89\nKautschukschlauch s dem in einem anderen Zimmer sitzenden Beobachter zu. Der Schlauch wurde durch einen, in seiner Bewegung genau registrirten Hebel, w\u00e4hrend gemessener Zeiten ge\u00f6ffnet. Die Untersuchung wurde mit T\u00f6nen von 128 und 64 v. d. angestellt. Der erstere Ton brauchte 16,9\u201417, der letztere 16,8 v. d. um als Ton geh\u00f6rt zu werden. Das Maximum der Intensit\u00e4t wurde erst bei 38 bis 51 Schwingungen geh\u00f6rt. Diese Zeiten sind auffallend lang.\nDenselben Gegenstand haben v. Kries und Auerbach 123 in m\u00fchsamer Untersuchung verfolgt. Sie bestimmten mit H\u00fclfe eines elektromagnetischen Registrirapparates die Zeit der psychophysischen Vorg\u00e4nge. Jenes Kapitel ist in diesem Abschnitt der Physiologie nicht abzuhandeln, jedoch m\u00f6gen hier die das Ohr betreffenden Ergebnisse kurz mit erw\u00e4hnt sein.\nEs l\u00e4sst sich die Zeit bestimmen, welche zur einfachen Registri-rung eines Geh\u00f6reindrucks gebraucht wird, in diesem Zeitabschnitt sind zusammengefasst die Vorg\u00e4nge der Schallleitung, der Nervenerregung im Labyrinth, Leitung in der sensiblen Nervenbahn, Pro-cesse in den Ganglien, Leitung in den motorischen Nerven, Stadium der latenten Reizung und Anfang der Muskelcontraction.\nDie sehr ge\u00fcbten Beobachter erhielten als Mittel bei Reaction\nauf den Knall des Inductionsfunkens\nAuerbach 0,122 Sekunden Kries\t0,120\t\u201e\nfr\u00fchere Beobachter bei verschiedenen akustischen Signalen Hirsch 0,149 Sekunden Hankel\t0,151\t\u201e\nDonders\t0,180\t\u201e\ny. Wittich\t0,182\t\u201e\nWundt\t0,128\t,,\nExner\t0,136\t\u201e\nWenn das Signal erst gegeben werden durfte, nachdem unterschieden war, ob ein Ger\u00e4usch (Knall) ein h\u00f6herer (c. 640 v. d.) mittlerer oder tieferer (c.'400 v. d.) Ton angegeben worden, der Schall also analysirt worden war, fielen die Zeiten l\u00e4nger aus, als Mittel einiger Versuche um 0,023 und 0,046 Sek. l\u00e4nger. Die einfachen Reactions-zeiten stellten sich dabei wie folgt:\nFunke hoher Ton mittl. Ton tiefer Ton* * Auerbach\t0,198\"\t0,218\"\t0,227\"\t0,236\"\nKries\t0,194\t0,208\t0,236\t0,237\n123 v. Kries u. Auerbach, Arch. f. (Anat.) u. Physiol. 1877. S. 297.\n* Es handelt sich hier um leise T\u00f6ne und wahrscheinlich auch um schwache Inductionsfunken, da starke Funken von den Beobachtern rascher geh\u00f6rt wurden. Die gegebenen Versuchswerthe sind von mir in Sekunden umgerechnet worden.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nEs scheint demnach das Ger\u00e4usch etwas rascher geh\u00f6rt zu werden. Das Erkennen m\u00f6glichst einfacher T\u00f6ne dauert bei A. 0,019\u2014 0,034 Sek., bei K. 0,049\u20140,053 Sek.\nUnter Reserve wegen der Complication der Versuche kommen die Verfasser zu der Vorstellung, dass 9 bis 10 Schwingungen gewisser Intensit\u00e4t stattfinden m\u00fcssen um eine Erregung zun\u00e4chst noch unbestimmten Charakters auszul\u00f6sen, eine weitere Anzahl von 10 Schwingungen ist erforderlich um den Ton zu erkennen.\nEs ist hier noch einer Arbeit von Pfaundler 124 zu gedenken. Derselbe fand mit H\u00fclfe eigenth\u00fcmlicker, im Original zu vergleichender Anordnung der L\u00f6cher und der Anblaser\u00f6hren einer Sirenenscheibe, dass im Minimum zwei Schallimpulse gen\u00fcgen k\u00f6nnen um die Empfindung eines Tons hervorzurufen, doch h\u00e4lt er seine Versuche wegen der Unreinheit der Sirenent\u00f6ne f\u00fcr nicht ganz einwurfsfrei.\nMan sieht dass die Entscheidung \u00fcber die vorliegende Frage noch suspendirt werden muss.\nIII. Ableitung der physischen Einrichtung des Labyrinths.\nDie mitgetheilten Erfahrungen \u00fcber die Leistungen des Ohrs dienten Helmholtz dazu, den f\u00fcr unsere H\u00f6rempfindung stattfindenden Mechanismus und die Anforderungen, welche an die anatomischen Theile gestellt werden m\u00fcssen, zu formuliren. Da das Ohr nicht im Stande ist einen Wechsel der Schwingungsform, wie solcher bei Phasenverschiebungen erfolgt, zu unterscheiden, was bei entsprechenden graphischen oder Relief-Darstellungen dem Auge und dem Tastgef\u00fchl leicht ist, d\u00fcrfen wir im Ohr nicht einen eigentlichen Tast-apparat erwarten. Dagegen vermag das Ohr, was das Auge nicht unmittelbar kann, die Klangfigur in die einzelnen Theilt\u00f6ne zu zerlegen. Wenn wir uns in der Natur nach Analogien f\u00fcr solche Zerlegung zusammengesetzter periodischer Bewegungen in Reihen von Sinusschwingungen umsehen, so finden wir keinen anderen Vorgang als die Erscheinung des Mitschwingens. Hierbei sind nat\u00fcrlich nur feste K\u00f6rper in Betracht zu ziehen. Eine gen\u00fcgend grosse Reihe von Stimmgabeln, ein Klavier ohne D\u00e4mpfer, wird durch einen hinreichend stark einwirkenden Klang in Mitschwingung gerathen, und zwar werden alle die Saiten und nur die Saiten, welche den einfachen, im Klang enthaltenen T\u00f6nen entsprechen, mitschwingen. Hier findet sich also eine\n124 Pfaundler, Sitzgsber. d. Wiener Acad. LXXIV. S. 561. 1877.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Forderungen an die Einrichtung des Labyrinths.\n91\n\u00e4hnliche Trennung der periodischen Bewegung in einfache Compo-nenten auf rein mechanischem Wege, wie wir dieselbe vom Ohr erwarten d\u00fcrfen. Bei dem Clavier findet sich dadurch eine Unvollkommenheit, dass die Saiten bei naher Tonquelle ziemlich leicht in ihren Obert\u00f6nen mitschwingen (was durch Belastung der Mitte zu vermeiden w\u00e4re) und dass die Intervalle der Klaviert\u00f6ne zu grosse sind. Davon abgesehen, k\u00f6nnte dem tastenden Finger verrathen werden, welche einzelnen T\u00f6ne in einem Klang enthalten sind ; wir w\u00fcrden so den Klang direct analysiren k\u00f6nnen. Denkt man sich mit jeder Saite einen Nerven der Art verbunden, dass er durch Schwingungen derselben gereizt werde, verschieden stark, je nach der Amplitude der Schwingungen, so w\u00fcrde damit der Grundriss einer Einrichtung gegeben sein, welche die f\u00fcr eine Klanganalyse erforderlichen Bedingungen erf\u00fcllt. Wir werden also nach einer Reihenfolge abgestimmter Apparate zu suchen haben, deren jeder seinen besonderen Nerven habe.\nWollten wir dagegen den Nerven die F\u00e4higkeit zuschreiben, die Anzahl der Ersch\u00fctterungen welche ihn treffen, einzeln zu empfinden und daraus die Tonempfindung zu gestalten, so w\u00fcrde f\u00fcr die Klanganalyse nichts damit gewonnen sein. Denn die Anzahl der St\u00f6sse, welche von einem Klang ausgehen, kann diejenige des h\u00f6chsten Theiltons und wenn dieser zu schwach ist, diejenige eines der niederen Theilt\u00f6ne sein und nur diesen Ton w\u00fcrden wir h\u00f6ren, nicht den Klang.\nIst die von Helmholtz vertretene Ansicht richtig, so m\u00fcssen noch weitere Angaben \u00fcber die Abstimmung der Theile Geltung haben. Der- Vorgang des Mitt\u00f6nens ist n\u00e4mlich verschieden, je nachdem der K\u00f6rper lange nacht\u00f6nt oder seine Bewegung schnell verliert. K\u00f6rper, welche lange nacht\u00f6nen sind unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen des Mitt\u00f6nens in hohem Grade f\u00e4hig. Bei solchen k\u00f6nnen sich die kleinen St\u00f6sse der Einzelschwingungen des erregenden Tons in langer Reihe summiren, und dies wird geschehen, wenn diese St\u00f6sse genau synchron mit dem Ton st\u00e4rkster Resonanz des mitschwingenden K\u00f6rpers sind. Findet letzteres nicht statt, so werden sehr bald die positiven Phasen des einen, mit den negativen Phasen des anderen K\u00f6rpers coincidiren, wodurch die vorhandene Mitschwingung gehemmt, statt gef\u00f6rdert wird.\nSchwingt dagegen ein solcher K\u00f6rper rasch ab, kommt er z. B. schon nach 10 Schwingungen ann\u00e4hernd zur Ruhe, wenn jeder An-stoss auf h\u00f6rt, so kann der einzelne Anstoss nicht \u00fcber 10 Schwingungen hinaus nachwirken, und daher kommt es nicht darauf an, ob","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nder 10. Anstoss auf eine merklich andere Schwingungsphase des abschwingenden K\u00f6rpers treffen w\u00fcrde, wie der erste, wenn nur der 2., 3. u. s. w. Anstoss den K\u00f6rper beinahe in richtiger Phase und der 10. ihn wenigstens in einer die Schwingung nicht hemmenden Weise trifft. In solchem Fall wird also der anstossende Ton schon etwas von dem Resonanzton des schwingenden K\u00f6rpers abweichen d\u00fcrfen, ohne einen viel geringeren Effekt, als ein genau \u00fcbereinstimmender Ton, hervorzubringen, es wird aber der resonirende K\u00f6rper \u00fcberhaupt nicht in starke Mitschwingungen versetzt werden k\u00f6nnen.\nZur Uebersicht des Zusammenhangs dieser Verh\u00e4ltnisse hat Helmholtz eine Tabelle berechnet. Ein mitschwingender K\u00f6rper, welcher von einer, seinem Resonanzton gleichgestimmten Tonquelle zu einer Intensit\u00e4t des Mitschwingens =100 gebracht ist, wird ausschwingend, fr\u00fcher oder sp\u00e4ter, je nach dem Grade seiner D\u00e4mpfung, auf Vio der fr\u00fcheren Intensit\u00e4t gekommen sein. Derselbe K\u00f6rper wird durch eine, bis auf einen gewissenGrad verstimmte Tonquelle zum T\u00f6nen in Vio der Intensit\u00e4t 100 gebracht werden. Beides h\u00e4ngt nach dem Obengesagten zusammen und dieser Zusammenhang ist nach der Rechnung folgender.\nTab. IV.\nDifferenz der Tonh\u00f6he, durch welche die Intensit\u00e4t des Mitschwingens auf \u2019/io reducirt wird.\tZahl der Schwingungen, nach welchen die Intensit\u00e4t des abklingenden Tons auf '/io reducirt wird.\n1. Ein achtel Ton ....\t38,00\n2. Ein viertel Ton ....\t19,00\n3. Ein halber Ton . . . .\t9,50\n4. Drei viertel Ton. . . .\t6,33\n5. Ein ganzer Ton ....\t4,75\n6. F\u00fcnf viertel Ton. . . .\t3,80\n7. Kleine Terz (3/2 Ton) .\t3,17\n8. Sieben viertel Ton . .\t2,77\n9. Grosse Terz (2 T\u00f6ne) .\t2.37\nEs wird zu fragen sein, welche dieser D\u00e4mpfungsstufen der tonempfindende Apparat unseres Ohres haben wird ? Da zwei rasch nach einander angeschlagene T\u00f6ne, namentlich wenn die Anschl\u00e4ge wie beim Trillern sich wiederholen, vom Ohr nur dann deutlich und gesondert wahrgenommen werden k\u00f6nnen, wenn die erste Tonerregung nahe verschwunden ist sobald die zweite erfolgt, so ist hier ein Moment gegeben, das als Grundlage der Pr\u00fcfung unserer mitschwingenden Labyrinththeile dienen kann. Da zwei, um das Intervall eines 4 halben Tons von einander abstehende Kl\u00e4nge, einen scharfen Miss-","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Die D\u00e4mpfung des Klangapparates im Labyrinth.\n93\nklang geben, wenn sie gleichzeitig erklingen, muss nothwendig dasselbe entstehen, wenn sie so rasch hintereinander angeschlagen werden, dass die Empfindung des einen Tons noch nicht gen\u00fcgend erloschen ist, sobald diejenige des anderen schon gen\u00fcgend stark entwickelt ist. Dieser Fall findet sich beim Trillern im Allgemeinen nicht, doch steht zu erwarten, dass gerade dabei die Bedingungen f\u00fcr sein Eintreten zu erzielen sein werden. Die Untersuchung birgt manche praktische Schwierigkeiten, sowohl bez\u00fcglich der Technik und der Zeit des objectiven Yerklingens des Tons, als auch weil durchstehend gleich stark wirkende T\u00f6ne zur sicheren Vergleichung n\u00f6thig sind. Helmholtz sucht jedoch auf diesem Wege zu einer ann\u00e4hernden Entscheidung zu kommen und macht deshalb die Annahme, dass ein Abklingen bis auf 1/i o der durch die betreffenden T\u00f6ne gesetzten Erregung ausreiche, um die Nervenreizung gen\u00fcgend verschwinden zu lassen. Er findet, dass jeder der beiden T\u00f6ne beim Trillern etwa 5 mal die Sekunde angeschlagen werde, und dass auf zahlreichen f\u00fcr den Zweck untersuchten Instrumenten Triller vom A mit 110 Schwingungen abw\u00e4rts schlecht klingen und von keinem K\u00fcnstler gut ausgef\u00fchrt werden k\u00f6nnen.\nMan kann also sagen : da beim Trillern auf A B das A nach Vs Sekunden neu angeschlagen wird, muss der beim A mitschwingende Theil nach 11 \u00b0/5, also 22 Schwingungen schon sehr merklich leise schwingen, wenn das A uns als von Neuem angeschlagen erscheinen soll. Nehmen wir an es schwinge bis 1/i o der urspr\u00fcnglichen Intensit\u00e4t ab, so w\u00fcrde es der 2. Reihe in Tab. IV angeh\u00f6ren; die D\u00e4mpfung w\u00fcrde also so gross sein, dass der um 1/,4 Ton erh\u00f6hte oder verringerte zugeh\u00f6rige Ton eine Mitschwingung bis zum eben Merklichen hervorrufen kann. Um mit dem B keinen Misston zu geben, muss er aber schon nach Vio Sekunde, also nach 11 Schwingungen wenig merklich geworden sein. Es ist daher richtig, mit Helmholtz anzunehmen, dass die D\u00e4mpfung etwa der 3. Stufe Tab. IV, in welcher die Differenz eines halben Tons die Schwingung auf Vio herabsetzt, entspreche. Unter dieser allerdings noch sehr willk\u00fcrlichen Annahme l\u00e4sst sich folgende Tabelle f\u00fcr die Intensit\u00e4t des Mitschwingens berechnen.\nDifferenz der Tonh\u00f6he.\tIntensit\u00e4t des Mitschwingens.\n0,0\t100\n0,1\t74\n0,2\t41","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Funetionen des Labyrinths.\nDifferenz der Tonh\u00f6he.\tIntensit\u00e4t des Mitschwingens.\n0,3\t24\n0,4\t15\nhalber Ton\t10\n0,6\t7,2\n0,7\t5,4\n0,8\t4,2 .\n0,9\t3,3\nganzer Ton\t2,7\nAuch die Empfindungen der Schwebmujen werden von Helmholtz auf die Mitschwingung der elastischen Theile bezogen. Er hebt(6> s-272) hervor, dass Schwebungen im Ohr nur bestehen k\u00f6nnen, wenn zwei angegebene T\u00f6ne in der Scala nahe genug liegen um ein elastisches Nervenanh\u00e4ngsel gleichzeitig in Mitschwingung zu versetzen, wo dann nat\u00fcrlich je nach der Phase entweder Verdoppelung oder Ausl\u00f6schung der Bewegung eintreten wird. Die Richtigkeit dieses Satzes ist unbestreitbar und gewiss wird ein rascher Wechsel der Schwingungen f\u00fcr das Ohr ebensowenig eine harmonische Empfindung aufkommen lassen, wie eine intermittirende und flackernde Beleuchtung dem Auge angenehm ist.\nExner 125 glaubt, dass f\u00fcr die Empfindung der St\u00f6sse und wohl aller Ger\u00e4usche, der Apparat f\u00fcr die Klanganalyse w\u00fcrde ausreichen k\u00f6nnen. Nachdem er gefunden hat, dass die kleinsten wahrnehmbaren Zeitdifferenzen sich auf 0,002 Sekunden belaufen, weist er nach, dass eine auf den Ton 4000 abgestimmte Faser unter Annahme des 3. D\u00e4mpfungsgrades Tab. IV schon 8 Schwingungen in 0,002 Sekunden machen w\u00fcrde, also gen\u00fcgend ged\u00e4mpft sein w\u00fcrde, um durch einen zweiten Stoss eine neue Erregung zu setzen. Der elektrische Funke mit dessen H\u00fclfe obige Zahl erlangt wurde, bringt nach Untersuchungen von T\u00f6pler 126 in der Luft nur einen einfachen Stoss hervor, dagegen erzeugt ein einzelner, ja selbst mehrere Tonst\u00f6sse, wie wir sehen noch keine Tonempfindung. Daraus m\u00fcsse man den Schluss machen, dass doch der Klangapparat nicht den Knall des Funkens werde zur Wahrnehmung bringen k\u00f6nnen. Diesem Bedenken stelle sich jedoch die Beobachtung gegen\u00fcber, dass bei Variation der Schnelligkeit, mit welcher sich Funkenreihen folgen, die Empfindung eines h\u00f6her oder tiefer Werdens des Ger\u00e4usches deutlich eintrete. Diese Erfahrung w\u00fcrde entweder denn doch auf die Be-\n125\tExner, Arch. f. d. ges. Physiol. XI. S. 417.\n126\tT\u00f6pler, Beobachtungen nach einer neuen opt. Methode. Bonn, Cohen. 1864.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Das Organ f\u00fcr die Schwebungen.\n95\ntheiligung des klangempfindenden Apparates deuten, oder sie w\u00fcrde auf einen zweiten Apparat, der gleichfalls H\u00f6hen- und Tiefenempfindung heryorzurufen vermag, zu beziehen sein. Zwei verschiedene Endapparate von Sinnesnerven, welche beide die gleiche Empfindung der Tonh\u00f6he hervorrufen, stimmen nicht mit unseren Kenntnissen von den Sinnesorganen \u00fcberein und widersprechen den \u201eGesetzen der specifischen Sinnesenergie\u201c. Setze man voraus, dass das Zustandekommen und der Grad der Erregung in der Nervenfaser nicht allein abh\u00e4nge von der Elongation der aus ihrer Gleichgewichtslage gef\u00fchrten, abgestimmten Faser, sondern auch von der Geschwindigkeit ' mit welcher diese Faser ihre Bewegung ausf\u00fchre, so liege darin eine Erkl\u00e4rung der stosspercipirenden Th\u00e4tigkeit des Klangapparates.\nIn Verfolgung dieser M\u00f6glichkeit weist Exner nach, dass der erste Ausschlag einer verschieden abgestimmten Feder, welche j durch einen Wasserstrahl constanter Periodicit\u00e4t angesprochen wird, stets nahe dieselbe Form hat, m\u00f6ge auch die sp\u00e4tere Schwingungsform noch so sehr unter dem Einfluss der jeweiligen Abstimmung der Feder stehen. Es bringe daher der erste Anstoss in allen Fasern des Klangapparates dieselbe erste Schwingung, n\u00e4mlich von der Wellenl\u00e4nge des einwirkenden Tons hervor. Bei sehr kurzen Schallwellen, wie die des elektrischen Funkens (3 mm nach T\u00f6pler) werde die erste Bewegung der Faser sehr schroff und steil sein m\u00fcssen und\n*\tdaher wohl eine besondere Empfindung ausl\u00f6sen k\u00f6nnen.\nWir gerathen hier auf ein sehr dunkles Gebiet, das aber doch, so weit unsere Kenntnisse gestatten wollen, besprochen sein muss. Der Knall des Funkens bringt nach Exner\u2019s Untersuchungen eine _ jedenfalls sehr kleine Bewegung des Trommelfells hervor; man kann einsehen, wie eine solche stark genug sein kann um bei Wiederholungen eine einzelne Saite mitschwingen zu machen, aber die Erregung aller Theile des Klangapparates zugleich scheint wenig wahr-\n*\tscheinlich, auch w\u00fcrde dann durch Nachschwingung in den tiefer gestimmten Theilen der zweite Funke verl\u00f6scht werden m\u00fcssen. Eine sehr pl\u00f6tzliche Bewegung wird ebensowohl durch einen Ton starker Amplitude wie durch eine sehr kurze Welle hervorgebracht werden, wie soll der Nerv beides unterscheiden? K\u00f6nnte er dies, so w\u00fcrde er auch Pha-\n' senverschiebungen bemerken k\u00f6nnen, da dabei die Steilheit der Ge-sammtwelle sich bedeutend \u00e4ndert. Die Unterscheidung der Tonh\u00f6he scheint aus zwei Gr\u00fcnden nicht solche Beweiskraft zu haben, wie oben angenommen. Es ist n\u00e4mlich die M\u00f6glichkeit nicht ausgeschlossen, dass das Trommelfell auf den einfachen Stoss, falls derselbe denn wirklich einfach ist, was neuere Untersuchungen nicht recht best\u00e4tigen,","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nNachschwingungen mache, namentlich aber scheint die Entstehung von K\u00f6nig\u2019s Stosst\u00f6nen oder wenn man lieber will von Combina-tionst\u00f6nen bei Versuchen mit Reihen von Funken, wohl unvermeidlich zu sein. Ferner ist die Empfindung der H\u00f6he und Tiefe der T\u00f6ne nicht nothwendig unmittelbar mit dem Klangapparat verkn\u00fcpft. Jeder Ton erweckt sein besonderes Gef\u00fchl wie J. J. M\u00fcller (57) eingehend begr\u00fcndet hat, aber die Tonh\u00f6he spielt dabei keine unmittelbare Rolle. Einfache Leute mit gutem Geh\u00f6r nennen die T\u00f6ne je nach der H\u00f6he grob oder fein, ihnen ist der besondere Klang mit diesen Eigenschaften behaftet, aber nicht damit identisch. Zur Entscheidung ob ein Ton h\u00f6her oder tiefer sei, wird sehr h\u00e4ufig der Grad der Anstrengung untersucht, welche der Kehlkopf macht, indem er beide T\u00f6ne zu reproduciren sucht. Ob daher die H\u00f6he und Tiefe des Tons eine einfache Empfindung und nicht vielmehr ein complicirterer Act, bei dem das Ged\u00e4chtniss wesentlich mitwirkt, eine Wahrnehmung ist, erscheint noch zweifelhaft.\nEs entsteht aber die weitere Frage, ob ein gesonderter Apparat f\u00fcr die Empfindung der St\u00f6sse und Ger\u00e4usche angenommen werden kann ?\nEs ist klar, dass ein und derselbe elastische K\u00f6rper durch die interferirenden Wellen bewegt werden muss, wenn wir die Schwebungen, welche zwei T\u00f6ne mit einander geben, empfinden sollen, aber es scheint darum doch nicht nothwendig zu sein auf die ab gestimmt en Organe des Labyrinths, auf den Klangapparat zur\u00fcckzugreifen. Das Trommelfell erf\u00fcllt n\u00e4mlich bereits die oben gestellte Bedingung und vielleicht h\u00e4ngt es schon von dem Grade der D\u00e4mpfung und der Ungenauigkeit seines Mitschwingens ab, wenn sehr rasche St\u00f6sse kaum wahrgenommen werden. Durch das Trommelfell werden die Schwebungen dem Labyrinthwasser mitgetheilt und es ist gewiss nicht zu bezweifeln, dass auch die abgestimmten Theile davon ergriffen werden k\u00f6nnen, jedoch werden die Intervalle etwas gross, wenn es sich um die Mitschwingung ein und desselben Theils handelt. Schweben z. B. a und h miteinander, so w\u00fcrde die Faser f\u00fcr b am st\u00e4rksten in Schwebungen versetzt werden m\u00fcssen, sie w\u00fcrde jedoch, weil sie durch jeden der beiden T\u00f6ne nur Vio mal so stark wie es sein k\u00f6nnte, erregt wird, immer nur schwach mit-schwingen und es scheint, dass wir den Ton b m\u00fcssten schwebend h\u00f6ren k\u00f6nnen, w\u00e4hrend wir in der-That wechselnd a und h h\u00f6ren. Um ein Urtheil \u00fcber den Einfluss der Verschiedenheit sich rasch folgenden Schalls auf das Unterscheidungsverm\u00f6gen zu gewinnen, ersuchte ich den Observator hiesiger Sternwarte, Dr. Peters, um eine","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Das Organ f\u00fcr die Schwebungen,\n97\nbez\u00fcgliche Vergleichung einiger, ihm in grosser Anzahl zur Verf\u00fcgung stehender Chronometer. Derselbe hatte die G\u00fcte mir folgende Tabelle mitzutheilen. Es wurden die Coincidenzen je zweier Chronometer beobachtet und berechnet und diese Chronometer waren so gew\u00e4hlt, dass die St\u00e4rke des Schlages nahe gleich war, w\u00e4hrend bei 1 der Klang sehr nahe gleich, bei 2 wenig verschieden, bei 3 ziemlich stark verschieden und bei 4 sehr verschieden war. S\u00e4mmtliche Uhren schlagen halbe Sekunden. Die erste Beobachtungsreihe ist voll wiedergegeben, von den drei anderen sind nur die Fehler angegeben.\nTab. VI.* *\nNo.\t1. (Knoblich No. 1816,\t\t\t. \u2014 Tiede No. 106.) |\t\tNo. 2\tNo. 3\tNo. 4\n| Beobachtet\t\t\tBerechnet\t\tF ehler\tFehler\tFehler\tI F ehler\nh.\tm.\ts.\th. m.\ts.\ts.\ts.\ts.\ts.\n13\t40\t35\t13 . 40\t33,53\t1,47\t+ 0,34\t\u2014 0,73\t\u2014 1,13\n77\t43\t44\t\u201e\t43\t44,52\t+ 0,52\t+ 1,08\t\u2014 1,86\t+ 0,55\n77\t46\t55\t\u201e\t46\t55,52\t+ 0,52\t\u2014 1,17\t+ 0,02\t\u2014 0,78\n77\t50\t7\t\u201e\t50\t6,51\t\u2014 0,49\t\u2014 0,42\t+ 2,89\t+ 1,89\n**\t53\t17\t\u201e\t53\t17,51\t+ 0,51\t+ 0,32\t+ 0,76\t+ 0,56\n7 '\t56\t27\t\u201e\t56\t28,50\t+ 1,50\t\u2014 0,94\t\u2014 0,37\t\u2014 0,76\n75\t59\t39\t\u201e\t59\t39,49\t+ 0,49\t\u2014 0,19\t+ 0,51\t\u2014 1,09\n14\t2\t51\t14\t2\t50,49\t\u2014 0,51\t+ 0,56\t+ 0,38\t+ 0,58\n\u201e\t6\t2\t\u201e 6\t1,48\t\u2014 0,52\t+ 0,30\t\u2014 0,75\t+ 2,26\nV\t9\t13\t9\t12.48\t\u2014 0,52\t+ 0.04\t\u2014 0,87\t\u2014 2,07\n\t\t\tmittlerer F ehler\t\t+ 0,90\t\u00b1 0,73\t+ 1,36\t\u00b1 1,48\n\t\t\tgr\u00f6sster F ehler\t\t1,47\t1,17\t1,86\t2,26\nEs ergiebt sich dass die besten Beobachtungen diejenigen sind, bei denen der Klang der Tonquellen etwas verschieden war. Bei sehr starker Verschiedenheit wird nach Ansicht des, in diesen Untersuchungen sehr ge\u00fcbten Beobachters, die Aufmerksamkeit leicht einem der beiden Kl\u00e4nge besonders zugewendet und dadurch die Beobachtung gest\u00f6rt.\n* Berechnet nach der Methode der kleinsten Quadrate; als Unbekannte dienten der Fehler der ersten Beobachtung und die mittlere Zwischenzeit zwischen je zwei Coincidenzen. Die gefundene Zwischenzeit war z. B. f\u00fcr No. 1 3 m. 11s., sie ist mit einem Fehler | behaftet, der Fehler der ersten Beobachtung sei z. Dann hat man |13h.\t40 m.\t35 s. = 13 h. 40 m.\t35 s.\t+ z woraus 0 s. =\t+ z\na 113 \u201e\t43 \u201e\t44 \u201e \u2014 13 ,, 43\t\u201e\t46 ,,\t+ 2 +\tI\t\u201e\t0\u201e\t=\t+2 + 2\t+\nJ13 \u201e\t46 \u201e\t55 \u201e =13 \u201e 46\t\u201e\t57 \u201e\t+2 +\t21\t\u201e\t0 ,. =\t+ 2 + 2\t+\t2\n*13.,\t50,,\t7,, =13 \u201e50\t\u201e\t8 \u201e\t+ 2 +\t3\t\u00a7\t\u201e\t0\u201e\t=\t+1+2+3\t|J\nu.s.w. Die Gleichung B, nach der Methode der kleinsten Quadrate aufgel\u00f6st, geben schliesslich f\u00fcr No. 1 z = \u2014 1,47 s., | = 0,006. Diese, in A eingesetzt, geben den berechneten Werth.\nHandbuch der Physiologie. Bd. Ilia.\tI","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nDie Forderung, dass ein und derselbe abgestimmte Theil die Vergleichung am genauesten mache, wird durch obige Reihen nicht gest\u00fctzt. Nicht zu verkennen ist es, dass ein einheitlicher Apparat, der jeden Stoss und jede Stossfolge des Steigb\u00fcgels zur Empfindung br\u00e4chte, grossen Nutzen gew\u00e4hren k\u00f6nnte. F\u00fcr solche Apparate scheint die Erf\u00fcllung folgender Bedingungen unerl\u00e4sslich. Es m\u00fcssen n\u00e4mlich die diesem Apparat zugeh\u00f6renden Ganglienzellen, die, dem Nervensystem zukommende Eigenschaft, sich an continuirlich und gleichm\u00e4ssig treffende Reize zu gew\u00f6hnen und dieselben zu vernachl\u00e4ssigen, in besonders starker Ausbildung besitzen. Da wir wissen, dass das Auge sich viel weniger schnell als das Geruchsorgan an Reize gew\u00f6hnt, so ist gegen eine solche Annahme nicht allzuviel einzuwenden, aber der Beweis, dass wirklich eine so \u00fcberaus rasche Gew\u00f6hnung stattfinde, wird schwierig sein.\nZur Zeit w\u00e4re hier nur eine Eigent\u00fcmlichkeit in der Empfindung der Schwebungen tieferer T\u00f6ne geltend zu machen. Bei Schwebungen von weniger als 30 mal in der Minute verfolgt das Ohr die An- und Abschwellung des Tons sehr vollkommen. Schwebt der Ton aber zwischen etwa 30 bis 180 mal die Minute, so hat man durchaus nicht diejenige Empfindung, welche die Curve Fig. 29 verlangt, sondern der Ton w\u00e4chst wie die Curve von h bis d oder bis zur Mitte, bricht dann aber pl\u00f6tzlich ab, als wenn die Curve schon bei d! so niedrig w\u00fcrde wie sie bei // ist. Die T\u00f6ne \u201e schlagen \u201c und zwar nicht etwa so wie man einen Hammerschlag h\u00f6rt, sondern so wie man den Schlag ausf\u00fchrt, langsam beginnend, rascher werdend und pl\u00f6tzlich endend. Die obige Annahme w\u00fcrde diese auffallende Erscheinung erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, ohne dass den ab ge stimmten Theilen neue Eigenschaften beigelegt werden m\u00fcssen.\nEine interessante Beobachtung \u00fcber die Leichtigkeit mit der sich das Ohr gew\u00f6hnt, berichtete Delboeuf der sich an das Ger\u00e4usch eines Wasserfalls so v\u00f6llig gew\u00f6hnt hatte, dass er beim Horchen darauf glauben konnte, der Wasserfall habe auf geh\u00f6rt, w\u00e4hrend er doch so laut war, dass er es erschwerte, Tischgespr\u00e4che zu f\u00fchren. Diese Beobachtung passt allerdings nur im Allgemeinen auf die vorliegende Frage.\nHaben wir ferner in dem Labyrinth oder an der Labyrinthwand einen Theil, der unbedingt die Bewegung des Wassers mitmachen muss und ist dieser Theil durch Empfindung vermittelnde F\u00e4den mit\n127 Delboeuf, Th\u00e9orie g\u00e9n\u00e9rale de la Sensibilit\u00e9. M\u00e9moires couronn\u00e9s p. l\u2019Acad\u00e9mie de Belgique 1875. p. 38.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Vergleichende Morphologie.\n99\neinem relativ festen Theil verkn\u00fcpft, so w\u00e4re der Ger\u00e4uschapparat gebildet. So w\u00fcrden sich verhalten, einerseits: H\u00f6rh\u00e4rchen und Macula acustica, andererseits als weniger beweglicher Theil: Crista acustica resp. die schwer bewegliche Otolithenmasse.\nEin solcher Apparat w\u00fcrde Toneins\u00e4tze, pl\u00f6tzliche Schwellungen des Tons und St\u00f6sse bis zu einer gewissen H\u00e4ufigkeit anzeigen, dagegen durch periodische Bewegungen von einiger Dauer und H\u00e4ufigkeit kaum erregt werden, weil er sich an dieselben rasch gew\u00f6hnt. Dagegen w\u00fcrde eine solche Klangbewegung, wie Figur 3, allerdings wohl unter Umst\u00e4nden Ger\u00e4uschempfindung veranlassen k\u00f6nnen, ob dies dabei wirklich statt hat, bed\u00fcrfte weiterer Untersuchungen.\nDas Resultat dieser Betrachtungen ist also, dass jedenfalls eine Reihe von Nervenanh\u00e4ngen gesucht werden muss, welche mit einer gewissen D\u00e4mpfung auf die Reihe von T\u00f6nen, die wir h\u00f6ren k\u00f6nnen, abgestimmt w\u00e4re. Daneben ist vielleicht einem zweiten Apparat nachzuforschen, welcher St\u00f6sse und Schwebungen zur Wahrnehmung bringt.*\nIV. Vergleichende Morphologie des Labyrinths und W\u00fcrdigung der Apparate desselben.\nSoll nun nach diesen Apparaten gesucht werden, so tritt die vergleichende Morphologie in ihr Recht, da sich erwarten l\u00e4sst, dass sie die Organe in allen Stufen von gr\u00f6sster Einfachheit an, uns vorf\u00fchrt.\nDie Otolithens\u00e4cke finden sich in sehr grosser Verbreitung. Akalephen und Rippenquallen, W\u00fcrmer, Bivalven, Cephalophoren und Cephalopoden, endlich die Makruren unter den h\u00f6heren Krebsen, weisen viele Ordnungen auf, innerhalb deren Otolithen regelm\u00e4ssig Vorkommen. Bez\u00fcglich der Beschaffenheit dieser Bildungen findet ein ziemlich grosser Wechsel statt. Bei den Knochenfischen, Cephalopoden, Cephalophoren, einzelnen Lamellibranchiern, einigen Krebsen und craspedoten Akalephen finden sich die Otolithen als compacte,, h\u00e4rtere oder sehr weiche, krystallinische Steine; bei den h\u00f6heren Wirbelthieren und den Rochen, bei vielen W\u00fcrmern, Bivalven und Rippenquallen u. a. m. sind es Krystallanh\u00e4ufungen in mehr oder weniger schleimiger Grundlage, die einzelnen Krystalle rhombisch oder mit abgerundeten Spitzen und Kanten; bei vielen Krebsen endlich sind es von aussen aufgenommene und an die Endapparate ge-\n* Preyer(5) vertritt gleichfalls die Ansicht, dass ein besonderer Theil des Ohres f\u00fcr St\u00f6sse u. s. w. in Anspruch zu nehmen sei.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nbrachte feine Sandk\u00f6rnchen, welche bei jeder H\u00e4utung erneut werden m\u00fcssen. Ein physiologischer Grund f\u00fcr die Verschiedenheit des Baus dieser Theile ist nicht anzugeben, wahrscheinlich ist sie nur ein Ausdruck der chemischen Eigent\u00fcmlichkeiten und der Structur des ganzen Organismus ; es ist daher wohl nicht anzunehmen, dass die Gestaltung der Otolithenmasse f\u00fcr den H\u00f6rvorgang Bedeutung habe.\nMan kann eine Gruppe der ruhenden und der durch Cilien bewegten Otolithen unterscheiden. Letztere finden sich bei Cepha-lophoren, Bivalven, W\u00fcrmern, Rippenquallen und selbst noch bei Fischen (Cyclostomen). Die Otolithen drehen sich und schwanken hin und her, wo Otokonie vorhanden ist, stossen die einzelnen Kry-stalle mit einem, in Folge der anzuwendenden Vergr\u00f6sserung, rasch erscheinenden Impulse gegen einander. Ein Vortheil dieser Einrichtung besteht darin, dass die Otolithen v\u00f6llig frei suspendirt gehalten, ein Nachtheil, dass sie, ausser von Schallst\u00f6ssen, auch noch durch die Cilien ersch\u00fcttert werden. Vielleicht sind die St\u00f6sse zu leise, um St\u00f6rungen zu verursachen, vielleicht wird das Thier durch Gew\u00f6hnung dagegen unempfindlich, etwas Sicheres l\u00e4sst sich nat\u00fcrlich nicht aussagen.\nEs ist f\u00fcr die h\u00f6heren Krebse der Befund gemacht, dass die Endapparate, welche den Otolithen tragen, resp. in den Otolithen-sand hineinragen, so weit aus der Form zu entnehmen ist, abgestimmte Apparate sind. Dem Otolithensand des Hummers anliegend sind z. B. 468 Nervenendhaare gez\u00e4hlt, von denen keines die gleiche Gr\u00f6sse hat und die sich in continuirlicher Abstufung folgen. Das gr\u00f6sste ist 0,72, das kleinste 0,14 mm. lang, und da alle anderen Dimensionen \u00e4hnlich abnehmen, ergiebt sich ein Massenunterschied von 140:1. Mit den Dimensionen von Orgelpfeifen verglichen, w\u00fcrde obige Reihe etwa 3 Octaven umfassen. Aelmlick wird der Otolith von Mysis (Fig. 30. A) von 57 Haaren getragen, welche eine Reihe von, auf der einen Seite des Halbkreises, in welchem diese Haare stehen, ziemlich groben, auf der anderen Seite sehr fein werdenden H\u00e4rchen bilden.\nBei den sehr viel feineren und k\u00fcrzeren Otolitkenkaaren der Weicktkiere und Wirbeltkiere sind solche Abstufungen entweder nicht vorhanden oder wegen zu grosser Feinheit der Theile nicht erkannt. Aus Hasse\u2019s Untersuchungen geht hervor, dass die Schnecke sich aus der allm\u00e4hlichen Umwandlung eines Otolithensackes hervorbildet, daher k\u00f6nnte man daran denken, dass dabei eine Trennung von Funktionen eintritt, welche urspr\u00fcnglich alle dem Otolitkensack zukommen, aber dann nat\u00fcrlich minder entwickelt sind.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Geh\u00f6rapparate der Krebse.\n101\nH\u00f6rhaare. Ausser den Otolithen finden sich bei den Krebsen in demselben Raum, welcher die Steine birgt, oder an derselben Stelle (erstes Glied der inneren Antenne), wo sich bei anderen Krebsen Otolithen finden, zuweilen ausserdem an der K\u00f6rperoberfl\u00e4che, frei stehende Nervenanh\u00e4nge, deren Bedeutung als H\u00f6rhaare nach Art, Structur und Anordnung\t/\nals sehr wahrscheinlich bezeichnet werden kann. Diese H\u00e4rchen stehen theils in einer Linie von z. B. bei Car-cinus maenas 40 St\u00fcck, und bestehen aus ausserordent-\nFig. 30. A. Otolithensack von Mysis. a der Otolithensack. b der Nerv, zu einer Yorwulstung im Sack gehend. Der geschichtete Otolith ist ohne Weiteres deutlich. You dem Kranz der Haare, welche ihn tragen und ihm eingewachsen sind, sieht man rechts ein gr\u00f6sseres, links ein kleineres. Yergr\u00f6sserung 70 mal.\nlieh feinen, sehr langen, ann\u00e4hernd gleichgrossen Gebilden (Fig. 30. B), welche den geschlossenen Raum in zwei H\u00e4lften theilen und in sehr vielen Verh\u00e4ltnissen an die H\u00e4rchenbildung in der Ampulle erinnern. An anderen Stellen des geschlossenen Sacks finden sich sehr flache, lanzettf\u00f6rmige H\u00e4rchen verschiedener Gr\u00f6sse auf einem Fleck vereint, an dritter Stelle Bildungen, die in Allem den Otolitkenhaaren gleichen.\nLetztere Form, die bei Mysis z. B. auch auf bestimmten Stellen der K\u00f6rperoberfl\u00e4che vorkommt, zeigt auch Volumensunterschiede, aber doch nicht so auffallend und nicht in so regelm\u00e4ssiger Vertheilung, wie bei den Otolithenhaaren. Der Bau aller dieser Anh\u00e4nge ist so beschaffen, dass eine Ersch\u00fctterung sich wohl in Nervenreizung umsetzen kann, wenn dieselbe gen\u00fcgend rasch und intensiv erfolgt, denn das Nerven-\n6\nFig. 30. B. H\u00f6rha\u00e4r aus dem H\u00f6rsack von Garcinus maenas. a das Haar, an seiner Spitze einen gefiederten Anhang tragend. b Chitinhaut des Buckels, auf dem diese Haare stellen. c fier H\u00f6rnerv, in eine Ganglienzelle e auslaufend, von der aus sich ein Faden / bis in die kuglige d\u00fcnnwandige Auftreibung, mit welcher das Haar beginnt, fortsetzt. Dieser Faden hat in Wirklichkeit die halbe L\u00e4nge des Haars und ist hier nur, der Eaumersparniss wegen, k\u00fcrzer gezeichnet.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\n\u00abnde wird durch Ersch\u00fctterungen des Haars hin und her gerissen. Wenn diese Bildungen als Homologa der Ampullenh\u00e4rchen aufgefasst werden d\u00fcrfen, so deutet die Verschiedenartigkeit ihrer Formen darauf hin, dass mehr Leistungen von diesen Gebilden gew\u00e4hrt werden k\u00f6nnen, als unsere jetzige Einsicht von dem akustisch Erforderlichen, erkennen l\u00e4sst.\nDie Geh\u00f6rorgane der Insecten zeigen eine ganz andere Beschaffenheit, so dass man kaum weiss, oh man sie als zahlreiche Oto-lithenapparate, ob als H\u00f6rhaare deuten soll. Nur das ist physiologisch beachtenswerth, dass z. B. bei Locusta eine regelm\u00e4ssige, auf akustische Abstimmung deutende, Gr\u00f6ssenabstufung der Apparate sehr hervortritt.\nDer Bau der Otolithenapparate und halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le der h\u00f6heren Thiere hat bis jetzt keine besonderen Anhaltspunkte f\u00fcr die physiologischen Anschauungen gegeben, dagegen bietet der com-plicirteste Apparat, die Schnecke, allerdings einige Anhaltspunkte f\u00fcr die Art, wie die physikalischen Desiderate erf\u00fcllt werden.\nNachdem die Ansicht von E. H. Weber128, dass die Schnecke zum H\u00f6ren durch die Kopfknochen Verwendung finde, nicht gen\u00fcgend gerechtfertigt erschien, glaubte Helmholtz (6) in diesem Organ den Apparat f\u00fcr die Klanganalyse suchen zu sollen. Die H\u00f6rsteinchen, in einer schleimigen Fl\u00fcssigkeit suspendirt, seien regelm\u00e4ssiger Schwingungen weniger f\u00e4hig, und eher geeignet, einzelnen St\u00f6ssen nachzugeben, dasselbe gelte wohl auch von den H\u00e4rchen in den Ampullen, da K\u00f6rperchen von so geringer Masse in ihren Bewegungen nicht lange verharren k\u00f6nnen. Es l\u00e4sst sich nicht leugnen, dass die Klanganalyse von sehr ausgedehnter Wichtigkeit f\u00fcr das H\u00f6ren ist, und dass die Ausdehnung, in welcher wir dieselbe benutzen, einen sehr eomplicirten Apparat erforderlich macht, und eine hohe Leistung ist. Daher erscheint die von Helmholtz getroffene Wahl, dem am h\u00f6chsten organisirten, am sp\u00e4testen entwickelten Apparat \u2014 der Schnecke \u2014 diese Aufgabe zuzuschreiben, von vornherein gerechtfertigt.* * Helmholtz exemplificirte die abgestimmten Organe zun\u00e4chst an den Bogenpfeilern, diese sind jedoch an Gr\u00f6sse nicht gen\u00fcgend verschieden (115a), auch zeigten Hasse\u2019s (113) Untersuchungen, dass bei V\u00f6geln, deren H\u00f6rf\u00e4higkeit f\u00fcr Sprache und Ton f\u00fcr manche\n12S E. H. Weber, De utilitate cochleae. Prol. IV. 1829.\n* Ich hatte fr\u00fcher, z. Th. durch den Befund abgestimmter Theile bei niederen Thieren veranlasst, geltend gemacht, dass der Schnecke wohl eine h\u00f6here Leistung als nur d i e durch T\u00f6ne erregt zu werden, zukomme, da das Mitschwingen auf T\u00f6ne einen relativ einfachen Apparat erfordert. Letzteres ist bei n\u00e4herer Betrachtung f\u00fcr in Wasser schwingende The\u00fce wohl nicht so einfach, und bekenne ich gerne, dass ich jetzt mehr noch wie fr\u00fcher der Darstellung von Helmholtz zustimme.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Abstimmung der Membrana basilaris.\n103\nSpecies erwiesen ist, die Bogenpfeiler g\u00e4nzlich schwinden und von den eigenth\u00fcmlichen Apparaten der Schnecke nur die St\u00e4bchenzellen, die Membr. basilaris und die Membr. Cortii \u00fcbrig bleiben. Hensen hatte schon fr\u00fcher (ll5a) darauf aufmerksam gemacht, dass die Membrana basilaris der abgestimmte Theil sein d\u00fcrfte, da ihr eigent\u00fcmlicher Bau und ihre continuirliche Verbreiterung von Anfang bis zu Ende des Kanals die Annahme nahe legten, dass die einzelnen, den Saiten entsprechenden Radien eine, von den hohen bis zu den tiefen T\u00f6nen hinunter continuirlich fortgehende Abstimmung h\u00e4tten.\nHelmholtz pr\u00fcfte diese Ansicht durch Rechnung. Unter der Annahme, dass die Membran in der mit den Schneckenwindungen parallelen Richtung nicht gespannt sei, sondern nur in der darauf normalen, ergiebt seine, tief in die Mechanik der Elasticit\u00e4tslekre eingehende Rechnung, auf welche hier nur verwiesen werden kann Beil- **), 'Folgendes.\t(/z\nWenn die bewegende Kraft Z einen Theil \u2014 v\t^er von\nder Reibung herr\u00fchrt, und wenn sie einen periodisch ver\u00e4nderlichen Druck A cos (nt) aus\u00fcbt, ergiebt sich, wenn m eine ungerade Zahl\nausdr\u00fcckt und \u2014 Sm die Amplitude der betreffenden Schwingungs-m\nform der Membran sein soll, dass ist:\n&\n11\nIn diesem Ausdruck bedeutet \u2014^ die Schwingungszahl des Tons. ist das Schwingungsmaximum, welches bei bester Ab-\nTi n v\nStimmung gewonnen werden k\u00f6nnte. Q ist die radi\u00e4re Spannung der Membran gemessen in der Einheit, welche der Spannung in der Quadratfl\u00e4che n der Membran das Gleichgewicht halten w\u00fcrde, \u00df ist die Breite der Membran an der betreffenden Stelle und endlich b der Werth von \u00df, welcher der Maximumbedingung von n\u00e4mlich\nm^n^Q\u2014\u00df'lfin2 = 0\nGen\u00fcge leistet.\nSobald v, der Reibungscoefficient, unendlich klein ist, wird Sm nur dann einen endlichen Werth haben, wenn b\u2014\u00df von derselben Ordnung ist wie v. Dies kann nur f\u00fcr sehr schmale Streifen der Membran stattfinden, von denen dann der erste eine, der zweite\nzwei, der dritte drei schwingende Abtheilungen hat, deren L\u00e4nge ~\nV'\nm4 n4 02","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\n\u00fcberall denselben Werth hat. Je gr\u00f6sser v desto breiter werden die schwingenden Abtheilungen. Es wird also jeder Ton auch die Stellen mitschwingen machen, welche den ungraden harmonischen Untert\u00f6nen entsprechen, wenn die Membran gleichm\u00e4ssig belastet, die Knoten also gleichm\u00e4ssig vertheilt w\u00e4ren. Die Intensit\u00e4t derselben w\u00e4re dann\nnoch mit den Factoren \u2014 \u2014---------\u2014- zu multipliciren, w\u00fcrde also\n9 2d m2\t1\t\u2019\n.sehr rasch unmerklich werden. In der That bemerkt man von Mitschwingungen harmonischer Untert\u00f6ne nichts.\nDemnach ist es gerechtfertigt, die Annahme, dass die Membr. basilaris der abgestimmte Theil sei, weiter zu verfolgen. Die Con-sequenz w\u00fcrde sein, dass die aufsitzenden Theile ins Besondere die Papilla spiralis auf und abw\u00e4rts bewegt werden, die auf den Husch-KE\u2019schen Z\u00e4hnen haftende Membrana Cortii w\u00fcrde dagegen, insofern sie nur den St\u00e4bchen der CoRTi\u2019schen Zellen aufruht, nicht mitschwingen, sondern je nachdem, von den St\u00e4bchen in die H\u00f6he gedr\u00fcckt oder losgelassen werden. Dies gilt allerdings nur f\u00fcr den Fall, dass die Membrana Cortii selbst keine nennenswerthe Abstimmung habe, aber das kann wohl angenommen werden. Die Erregung' der Nerven w\u00fcrde nach dem Princip des HEiDENHAiN\u2019schen Tetano-motors geschehen, indem die mit einer Art Tastapparat versehenen (Fig. 25) Endzeilen gegen die, wie wir sahen, an entsprechender Stelle verdichtete Substanz der Membr. Cortii anstossen; den Bogenfasern w\u00fcrde eine gewisse Nachgiebigkeit gegen zu starke St\u00f6sse beizumessen sein. Die Anzahl der Zellen entspricht etwa den Anforderungen, welche empirisch an die Zahl der abgestimmten Theile gestellt werden m\u00fcssen. Die Erregung der Nerven hat an sich nichts specifisches, aber jeder Nerv mit seiner Ganglienzelle ist eine Individualit\u00e4t, welche als solche sich kenntlich macht, und'welche wir mit H\u00fclfe des Ged\u00e4chtnisses als diesem oder jenem Ton zugeh\u00f6rig, wiederzuerkennen verm\u00f6gen.\nEine solche Hypothese zu bilden ist gewiss die Aufgabe der Wissenschaft, aber es w\u00e4re unwissenschaftlich, auf dieselbe ein nen-nenswerthes Gewicht zu legen, so lange die best\u00e4tigenden That-sachen noch so l\u00fcckenhaft sind, wie zur Zeit. Die M\u00f6glichkeit, dass der vorhandene Apparat noch in anderer Weise wirke, als wir es voraussetzen, ist gewiss vorhanden, und es muss nach solchen M\u00f6glichkeiten gesucht werden.* Erweist sich unsere Hypothese nicht\n* Pinne (21) hat sich in eingehender Weise gegen die Hypothese des Mitschwingens der Schneckentheile, wie Helmholtz sie urspr\u00fcnglich formulirte, gewendet. Sein Standpunkt ist dabei der, dass der Nutzen einer Klanganalyse durch das Ohr nicht","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Schallwellen in der Labyrinthfl\u00fcssigkeit.\n105\nhaltbar, so kann nur das eine gew\u00fcnscht werden, dass die Physiologie nicht in die Unm\u00f6glichkeit zur\u00fcckfalle, sich eine plausible Vorstellung \u00fcber die Function der akustischen Organe zu bilden.\nEine nicht unerhebliche Schwierigkeit f\u00fcr unsere Vorstellungen bildet\nDie SchallieeUenleitunij im Wassei* des Labyrinths.\nWir haben gesehen, dass der Steigb\u00fcgel mit grosser Kraft auf die Perilymphe st\u00f6sst ; es ist die Frage zu erledigen, welche Bewegung der Fl\u00fcssigkeit daraus resultirt. W\u00e4re die Labyrinthkapsel allseitig geschlossen, so w\u00fcrde der Stoss, welcher die Fl\u00fcssigkeit trifft, von Molek\u00fcl zu Molek\u00fcl sich fortpflanzend, als Kugelwelle an die Knochenwandungen schlagen und theils durch dieselben weiter gehen, theils reflectirt werden. Um unter diesen Umst\u00e4nden nennenswerthe Verschiebungen der Molek\u00fcle zu erhalten, w\u00fcrden so grosse Kr\u00e4fte erforderlich sein, dass der Steigb\u00fcgel sie kaum liefern k\u00f6nnte. Die Bewegungen desselben w\u00fcrden jedenfalls enorm herabgesetzt werden. Wir betrachten daher mit Helmholtz (3'2) diese Molekularschwingungen, so weit sie \u00fcberhaupt in der nicht ganz geschlossenen Labyrinthkapsel entstehen k\u00f6nnen, als zu klein, um in Betracht zu kommen.\nDa in dem Labyrinthwasser die Dimensionen der ganzen Masse verschwindend klein gegen die Wellenl\u00e4nge sind und die W\u00e4nde des umschliessenden Felsenbeins beim Menschen so fest sind, dass sie den hier in Betracht kommenden, geringen Druckkr\u00e4ften gegen\u00fcber, als absolut fest betrachtet werden d\u00fcrfen, so geschieht aus denselben Gr\u00fcnden, welche S. 50 bei den Geh\u00f6rkn\u00f6chelchen zur Sprache kamen, die Ausbreitung des Stosses so gut wie augenblicklich und das Labyrinthwasser bewegt sich nicht merklich anders, als eine ab-\neinzusehen sei. F\u00fcr die Wahrnehmung eines Accordes w\u00e4re nichts gewonnen, wenn die Nervenfaser a alsPartialsubject f\u00fcr die Wahrnehmung des Tones \u00ab die Nervenfaser b f\u00fcr die des Tones \u00df functionire, denn es m\u00fcsse ein \u00fcber beiden stehendes Subject vorhanden sein, welches bef\u00e4higt ist, aus dem Contact mit den Nervenfasern a und b in gewisser Weise die T\u00f6ne \u00ab und \u00df zu reproduciren. Sei dies doch n\u00f6thig, so sei der ganze hypothetisch statuirte k\u00fcnstliche Mechanismus der Klanganalyse eigentlich \u00fcberfl\u00fcssig. Bewegungen, die doch einmal bestimmt seien, innerhalb unserer Seele zu r\u00e4umlich ungetrennten, rein intensiven Zust\u00e4nden derselben zusammenzu-fliessen , bed\u00fcrften auch wohl zur Erreichung dieses Zieles nicht getrennter Wege. Dem physikalischen Mechanismus von Helmholtz sei ein psychischer Mechanismus entgegenzustellen, durch den die Seele die durch ein und dieselben Nervenfasern un-getheilt zugef\u00fchrten Eindr\u00fccke zerlege.\nDas Herbeiziehen von seelischen Vorg\u00e4ngen, mit denen ja Alles zu erkl\u00e4ren ist, in die Physiologie des Ohrs, welche nur die geordnete Verwandlung von Ton- in Ner-venbewegung und deren Verlauf zu erforschen hat, heisst die Geltung der naturwissenschaftlichen Lehrs\u00e4tze f\u00fcr dies Gebiet leugnen.","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nsolut incompressible und daher der Schallschwingungen unf\u00e4hige Fl\u00fcssigkeit. Sie wird daher von der Steigb\u00fcgelplatte fortgeschoben werden, sobald in dem Labyrinth ein Platz zum Ausweichen vorhanden ist. Orte an denen die Fl\u00fcssigkeit ausweichen kann sind 1) die beiden Oeffnungen des Aquaeductus vestibuli. Indem hier Fl\u00fcssigkeit eintritt wird sie an den Otolith en vorbeistreichen und in die S\u00e4cke Bewegung bringen. Dabei werden nach Helmholtz 129 wohl Wirbelbewegungen in den halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4len entstehen.\nDie Fl\u00fcssigkeit kann 2) ausweichen in die Blutgef\u00e4ssporen des Knochens, 3) in den Aquaeductus cochleae, 4) gegen die Paukenh\u00f6hle durch Ausbuchtung der Membr. tympani secundaria. Dass ein erheblicher Theil des Stosses auf dem letzteren Wege sich ausgleicht, ist namentlich nach Mach\u2019s Untersuchungen, wie wir S. 49 sahen, unzweifelhaft.\nBei solchen Verschiebungen entwickelt die Fl\u00fcssigkeit eine grosse Reibung; wird der Finger in eine Fl\u00fcssigkeit getaucht, welche von einem Ton durchsetzt wird, so f\u00fchlt man diese Reibung sehr deutlich. Daher erscheint es weit bemerkenswerther, wenn ein Nerven-anhang sich unter diesen Einfl\u00fcssen nicht mitbewegt, als wenn er mitschwingt.\nEs ist noch etwas genauer auf die Wasserbewegung in der Schnecke einzugehen. Da die Bewegung bei Tonerregung momentan an der Fenestra rotunda anlangt, kann sie nicht durch das Heli-kotrema gehen, denn w\u00e4re dies der Fall, so w\u00fcrde keine Zeit f\u00fcr die Entstehung einer Druckdifferenz zwischen den beiden Fl\u00e4chen der Membr. basilaris sein oder besser umgekehrt: da die Membr. basilaris nachgiebig ist, wird der Druckausgleich nicht durch das Helikotrema, sondern durch sie hindurch stattfinden. Das Heliko-trema mag zum Druckausgleich bei sehr langsamen'Druck\u00e4nderungen dienen. In der Membr. basilaris werden die abgestimmten Streifen am ausgiebigsten der Wasserbewegung nachgeben, die Stellen der graden Theilt\u00f6ne am wenigsten. Die Frage wird sein: an welchen Stellen die Nervenerregung eintritt? Kann die dicke, auf fester Unterlage sich st\u00fctzende und mit Faserz\u00fcgen (Fig. 26), deren Richtung den Widerstand erleichtert, versehene Membrana Cortii dem Druck der Fl\u00fcssigkeit widerstehen, so w\u00fcrde die Fl\u00fcssigkeit an der d\u00fcnnen Epithelfl\u00e4che der Zona pectinata zuerst einen Eindruck machen, es w\u00fcrde von hieraus der abgestimmte Membranstreifen in Bewegung gesetzt und die St\u00e4bchenzellen w\u00fcrden folglich gegen die Membrana\n129 Helmholtz, Ueb. discontimiirliche Fl\u00fcssigkeitsbewegungen. Monatsber. d. Berl. Akad. 23. April 1868.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Schallwellen in der Labyrinthfl\u00fcssigkeit.\n107\nCortii vibriren. Ist aber letztere Membran gegen Druck nachgiebig, so w\u00fcrde sie \u00fcberall auf die St\u00e4bchen niedergedr\u00fcckt werden; diesem Druck w\u00fcrden die mit dem Ton gleichgestimmten Streifen am leichtesten weichen, die Streifen der jeweiligen graden Obert\u00f6ne am schwersten, die Erregung w\u00fcrde also an letzteren Streifen gesetzt. Mir scheint, dass der Bau der Zona pectinata und ferner die Eigen-th\u00fcmlichkeit, dass die Membrana Cortii diesseits derselben auf h\u00f6rt die erstere Annahme, dass die Bewegung von der Zona pectinata aus beginne, als die wahrscheinlichere erscheinen l\u00e4sst; es bleibt aber zwischen den zwei so verschiedenen Erregungsmodalit\u00e4ten die Wahl leider noch offen.*\nY. Experimentelle Beobachtungen \u00fcber Bewegung der Nervenanh\u00e4nge.\nMikroskopische Beobachtungen \u00fcber die akustischen Bewegungen der Apparate k\u00f6nnen angestellt werden, weil manche niederen Thiere durchsichtig genug sind, um den Geh\u00f6rapparat unverletzt zur Beobachtung zu bringen und weil man an der Verbreiterung der Contour en solcher Theile das Vorhandensein von Schwingungen erkennen kann, ohne jede Schwingung einzeln sichtbar machen zu m\u00fcssen. Leider war bisher die gewonnene Ausbeute sehr gering.\nRanke 130 hat das Geh\u00f6rorgan lebender Heteropoden beobachtet. Die Wand der Ohrblase dieser Thiere ist mit, auf circa 50 isolirten Polstern sitzenden, Cilien versehen. An dem einen Pol der runden, einen grossen Otolithen bergenden Blase sind diese Cilien durch B\u00fcndel starrer H\u00e4rchen, die ohne Zweifel als H\u00f6rhaare zu deuten sind, vertreten. Der Stein f\u00fcllt die Blase bei weitem nicht aus.\nIn der akustischen Ruhe liegen alle Cilien der Innenwand der Geh\u00f6rblase an, der Otolith schwebt in der Mitte der Blase. Bei jedem st\u00e4rkeren Schall schnellen die Cilien (welche lang genug sind, um den Otolithen ausgedehnt zu ber\u00fchren), blitzschnell gegen den Otolithen auf. Dadurch wird derselbe in relativ fester Stellung gehalten und zugleich gegen die Stelle der H\u00f6rh\u00e4rchen angedr\u00e4ngt. Letzteres erkl\u00e4rt sich aus der grossen K\u00fcrze der Cilien jener Seite. Die Schallbewegung w\u00fcrde sich durch Wasser und Wandung der Blase auf die St\u00e4bchen \u00fcbertragen, der Otolith wird bei st\u00e4rkeren\n* Der Eigenton abgestimmter Theile ist im Wasser einige Tonstufen tiefer als in der Luft, es ist aber nicht m\u00f6glich f\u00fcr die Theile des Labyrinths genauere Aussagen zu machen.\n130 J. Ranke, Ztschr. f. wiss. Zool. XXY. Supplementband S. 77.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 2. Cap. Functionen des Labyrinths.\nakustischen Reizen (\u00fcber deren Art nicht berichtet istj in eine Stellung zu den Nervenanh\u00e4ngen gebracht, welche ihm gestattet, gegen sie anzuschwingen. Er wird dabei ebensowohl die Function eines Tetano-motors wie seiner grossen Masse halber, die eines D\u00e4mpfers haben.\nBei einer Nachuntersuchung des Gegenstandes ist es mir nicht gegl\u00fcckt den Otolithen in vollst\u00e4ndiger Ruhe zu sehen, die Thiere waren, wie Ranke verlangt, v\u00f6llig lebenskr\u00e4ftig. Es scheint dass der Otolith bei Ruhe der Cilien auf den Boden der Blase sinken m\u00fcsste, was jedoch nicht beobachtet worden ist. Bei Einleitung des Tons ins Wasser mit H\u00fclfe von Membranen traten h\u00e4ufig die von Ranke beschriebenen Bewegungen auf. Dieselben traten jedoch auch ein, ohne dass eine Tonerregung stattzufinden schien. Es machte den Eindruck als wenn, wie dies auch Claus131 angiebt, die H\u00f6rh\u00e4rchen sehr fein ausliefen, \u00e4hnlich wie an der Crista acustiea von Fischen, so dass ich \u00fcber ihr Ende nicht klar wurde. Es ist wohl m\u00f6glich, dass sie lang genug sind um fortw\u00e4hrend dem Otolithen in k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Strecke anzuliegen.\nAn den H\u00f6rhaaren von Krebsen sind von Hensen (9> s-374> einige Versuche gemacht. Die Thiere (Mysis) reagiren auf jeden Schall sehr lebhaft, so lange man die Versuche nicht zu h\u00e4ufig wiederholt. Es ergab sich bei Beobachtung der H\u00f6rhaare auf der K\u00f6rperoberfl\u00e4che, dass dieselben bei Zuleitung starker T\u00f6ne in Schwingung kamen und dass namentlich der Nerv dabei hin und her bewegt wurde, ferner zeigte sich, dass verschiedene Haare auf verschiedene T\u00f6ne am st\u00e4rksten reagirten. Letzteres Verhalten scheint gar nicht anders zu deuten zu sein als so, dass die Haare als abgestimmte Organe zu betrachten seien, denn die Unvollkommenheiten der Tonzuleitung und des Toninstrumentes mussten alle Theile gleichm\u00e4ssig treffen. Die wirkliche Abstimmung des Haares konnte nicht ermittelt werden, da nur mit einem Klapphorn als Tonapparat experimentirt werden konnte. Einige Beispiele deuten darauf hin, dass es Untert\u00f6ne der wahren Abstimmung waren, welche die Erregung setzten. Die H\u00e4rchen waren jedoch bei keinem gen\u00fcgend starken Ton v\u00f6llig bewegungslos und es ist, wie Helmholtz richtig bemerkt, nur der Nachweis, dass solche Theile schwingen und abgestimmt sein k\u00f6nnen, an diesen Versuchen von Interesse. Rinne (21) hat die Versuche einer genauen Analyse unterworfen, und findet, dass sie sich nicht mit den theoretischen Postu-laten des Mitschwingens abgestimmter Theile decken. Da jedoch nur Sch\u00e4tzungen und keine messenden Versuche vorliegen, gehen\n131 Claus, Arch. f. microscop. Anat. 1876. S. 103.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtung der Bewegung der Nervenanh\u00e4nge.\n109\nseine Anspr\u00fcche an die theoretische Genauigkeit der gegebenen Beispiele zu weit.\nDie genauere Untersuchung bietet weit mehr Schwierigkeiten als sich voraussehen liess, so dass auch erneute Versuche mit besseren Apparaten nur Einiges hinzuf\u00fcgen lassen. Als einfachster und wirksamster Zuf\u00fchrungsapparat des Schalls erweist sich ein Rohr von circa 1 Cm. Lichtenweite, welches mit der Tonquelle m\u00f6glichst direct verbunden und mit einer ganz schlaffen Membran \u00fcberzogen, ins Wasser versenkt wird. Die meisten Versuche sind jedoch mit dem Apparat Fig. 18 gemacht worden.\nDie Reihe der sehr langgestreckten H\u00f6rhaare von Carcinus maenas, welche den H\u00e4rchen der Ampulle in allen Verh\u00e4ltnissen so sehr nahe stehen, konnten nach Er\u00f6ffnung des Geh\u00f6rraums beobachtet werden. Dieselben kommen durch St\u00f6sse, welche das Wasser treffen in s\u2019tarke pendelnde Bewegung, wenn diese periodisch alle 3 Secunden bis etwa 5 mal die Secunde sich wiederholen. Die Bewegung ist die eines im Wasser vertical angeketteten Holzsparrens, welcher nat\u00fcrlich den Fluctuationen des Wassers folgt. T\u00f6ne und Schwebungen verursachten keine nennenswerthen Bewegungen.\nDer Otolith von Mysis zeigt die am meisten auff\u00e4lligen Bewegungen bei Schwebungen und zwar schien es, als wenn die Seite des Steins, welche auf den gr\u00f6sseren H\u00f6rhaaren ruht, bei langsameren, diejenige der feineren H\u00f6rh\u00e4rchen bei rascheren Schwebungen die gr\u00f6sseren Excursionen zeigte. Die Gewinnung genauer Maasse und Zahlen gelang bisher nicht ; wie ich meine, weil die Apparate, Sirene und Orgelpfeifen, mit denen der Ton zugeleitet wurde, noch nicht an Kraft und Regelm\u00e4ssigkeit das leisteten, was f\u00fcr messende Bestimmungen nothwendig ist. Aehnliches gilt f\u00fcr die freien H\u00f6rhaare, von denen manche, wie mir schien, h\u00f6here T\u00f6ne erforderten als der Zeit in gen\u00fcgender Weise zur Verf\u00fcgung standen, w\u00e4hrend andere und zwar gr\u00f6ssere und bestimmte kleinere, durch langsamere Schwingungen von 10 bis 40 die Sec. in starke Mitbewegungen kamen. Dieselben erstreckten sich dann nicht nur auf den Theil, wo der Nerv sich ansetzt (Lingula), sondern das ganze Haar federte auf der kugelf\u00f6rmig erweiterten Ansatzstelle.\nDiese Versuche muss ich als erste Anf\u00e4nge bezeichnen, die vielleicht nur den Weg zur Ausdehnung unserer Beobachtungen angeben, w\u00e4hrend die Physiologie umfassendere Untersuchungen ab warten muss, ehe sie daraus eine Lehre gestalten kann.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nDRITTES CAPITEL.\nDie Leistungen des Geh\u00f6rapparates f\u00fcr seine ersten Ganglienfelder.\nI. Bereich der Tonempfindung.\nDie Grenzen der Tonempfindung nach H\u00f6he und Tiefe sind nicht genau zu bestimmen. Es zeigt sich nemlich, dass die Intensit\u00e4t der T\u00f6ne an den Grenzen unverh\u00e4ltnissm\u00e4ssig gesteigert werden muss, um die Bewegungen als Ton zu empfinden und dass das Unterscheidungsverm\u00f6gen f\u00fcr die verschiedenen T\u00f6ne hier so stumpf wird, dass Verwechslungen schwer zu vermeiden sind. (Dies entspricht \u00fcbrigens der von Hensen f\u00fcr das obere Ende der Papilla spiralis in der Schnecke angegebenen Unvollkommenheit des Baues, die Radix ist wenig studirt.) Da wir also an den Grenzen keine klare Tonempfindung mehr haben, liegt die doppelte Gefahr vor, dass wir Obert\u00f6ne resp. Differenzt\u00f6ne f\u00fcr den Grundton halten, und dass die sehr starke Bewegung die letzten Endapparate noch mit ersch\u00fcttert, obgleich deren Stimmung h\u00f6her resp. tiefer liegt. Solche T\u00e4uschungen scheinen bei den \u00e4lteren Versuchen von Sauveur132, Chladni133, Biot134, Wollaston135 und Savart 136 zu nicht richtigen Resultaten gef\u00fchrt zu haben, da sie durch Schwingungen von Saiten (133 u. 134) oder durch St\u00f6sse eines Zahnrades gegen ein Kartenblatt (136) die Grenzen festzustellen suchten. Depretz 137 und namentlich Helmholtz (6) haben nachgewiesen, dass bei solchen Versuchen mit tiefsten T\u00f6nen die Obert\u00f6ne sehr kr\u00e4ftig zur Wahrnehmung kommen und in der That allein geh\u00f6rt werden. Der Nachweis geschieht namentlich durch Beobachtung der Schwebungszahl, welche die Sirene bei Drehung des oberen Kastens bei den scheinbar tiefsten T\u00f6nen giebt, es zeigt sich dass man die Octave h\u00f6rt.\nUm diese Obert\u00f6ne auszuschliessen, belastete Helmholtz eine Saite in ihrer Mitte durch ein Kupferst\u00fcck, wodurch die n\u00e4her liegenden Theilt\u00f6ne ausgeschlossen werden. Dann beobachtete er die Schwingungen durch einen Schlauch, welcher sein Ohr mit dem rings ge-\n132\tSauveur, Hist, de l\u2019acad. roy d. sciences. Anne 1700. II. \u00e9dit. Amsterd. 1734. Hist. p. 190. (citirt nach Preyer.)\n133\tChladni, Die Akustik. Leipzig 1802.\n134\tBiot, Lehrb. d. Experimentalphysik. Dtsch. v.Fechner. II. S. 13 u. 21. 1829.\n135\tWollaston, Philosophical Transaction, p. 310. London 1820.\n136\tSavart, Ann. d. Physik. 1830 u. 31.\n137\tDepretz, Compt. rend. XX. p. 1215.1845.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Bereich der Tonempfindung.\n111\nschlossenen Resonanzkasten verband. Bei 34 Schwingungen h\u00f6rte die Tonempfindung auf, doch gaben sehr schwere Stimmgabeln bei 9 mm. Amplitude noch eine Tonspur f\u00fcr 28 Schwingungen die Secunde.\nPreyer 13s ist weiter gekommen. Er benutzte eine Reihe von 24 Metallzungen von 8 bis 40 Schwingungen, welche in zum Anblasen eingerichteten K\u00e4sten standen. Bei dem Anblasen wird ein Dr\u00f6hnen unbestimmter Art geh\u00f6rt, l\u00e4sst man die Zungen dann ausschwin-gen, so h\u00f6rt das Ohr einen tiefen, summenden Ton, den man wohl auf die einfachen Schwingungen beziehen muss. Die Tiefe des Tones nimmt zu bis 24 Schwingungen, bei gr\u00f6sserer Tiefe nimmt die Intensit\u00e4t sehr rasch ab, aber w\u00e4hrend bei 14 Schwingungen gar kein Ton zu h\u00f6ren ist, vermag Preyer einen Ton schon bei 16 Schwingungen zu h\u00f6ren, w\u00e4hrend andere Personen dies erst bei 19 bis 23 Schwingungen k\u00f6nnen. Es m\u00fcssen diese Versuche jedoch ge\u00fcbt werden, auch ist die musikalische Bestimmung dieser tiefen T\u00f6ne schlechterdings unm\u00f6glich.\nWie bei den tiefsten T\u00f6nen die Grenze der Tonempfindung immer weiter hinausgeschoben wurde, haben auch die Grenzen f\u00fcr die Empfindung der h\u00f6chsten T\u00f6ne sich erweitert. Chladni und Biot fanden die Grenzen bei 8192 Schwingungen. Wollaston scheint nach Preyer bis 25000 Schwingungen gekommen zu sein, auch war er der erste, welcher mit H\u00fclfe des Zirpens von Grillen die grossen individuellen Verschiedenheiten f\u00fcr die obere Tongrenze des Menschen nach wies. Savart kam mittelst des Zahnrades dazu, wohl 24000 Schwingungen h\u00f6rbar zu machen, w\u00e4hrend Despretz mittelst Stimmgabeln noch 32000 Schwingungen in der Secunde als Ton empfand.\nEs l\u00e4sst sich jedoch die Zuverl\u00e4ssigkeit der Bestimmungen dieser Zahlen bezweifeln, denn das Ohr unterscheidet bei so hohen T\u00f6nen die Intervalle nicht mehr deutlich, und Abstimmung sowie Contr\u00f4le der Instrumente wird schwierig. Man muss daher die Tonh\u00f6he mittelbar feststellen. K\u00f6nig benutzte bei dieser Bestimmung die Beziehung, welche zwischen den Longitudinal- und Transversal-Schwingungen eines Stabes besteht. Ist nemlich A71 die Anzahl der Longitudinalschwingungen des ganzen Stabes, Ar die der Transversalschwingungen, wenn der Stab an zwei Enden aufgelegt ist, l die L\u00e4nge und r der Radius des Stabes, so ist\nDaher\n138 Preyer., Uel). d. Grenzen d. Tonwafirnefimung. Physiol. Abhandl. Jena, Duft. 1876. Neuerdings (5) ist eine weitere Best\u00e4tigung des Befundes mit H\u00fclfe sehr schwerer Stimmgabeln publicirt worden.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nMan braucht daher nur den Longitudinalton eines sehr langen cylindrischen Stabes zu bestimmen, um dann aus demselben St\u00fccke entnehmen zu k\u00f6nnen, welche durch Transversalschwingungen jeden Ton geben m\u00fcssen, dem ihre L\u00e4nge nach obiger Formel entspricht. Es zeigte sich, dass der Ton evin von 32768 Schwingungen fast von Niemandem geh\u00f6rt wurde, wohl aber tiefere T\u00f6ne desselben Stabes. Viele Personen h\u00f6ren Stabt\u00f6ne bis zu 20000, manche nur bis 12000 Schwingungen.\nAppunn hat eine Eeihe von Stimmgabeln, welche bis zu 40460 Schwingungen gehen, eonstruirt und dieselben mit H\u00fclfe von Differenzt\u00f6nen abgestimmt. Es zeigt sich, dass Preyrr und viele Andere den h\u00f6chsten Ton ohne Schwierigkeit h\u00f6ren und dass bis zu ihm hinauf eine Zunahme der Tonh\u00f6he wahrgenommen w'ird. Sonderbarer Weise gesellen sich bei vielen Personen den h\u00f6chsten T\u00f6nen unangenehme Sensationen bei, Schmerz im Ohr, Hautgef\u00fchle im Nacken u. s. w. Die eigentliche Grenze nach Oben scheint mit jenen 40000 Schwingungen noch nicht erreicht zu sein. Die h\u00f6chsten T\u00f6ne k\u00f6nnen kaum stark genug gemacht werden, um das, wie ich glaube etwas rigide, menschliche Trommelfell zum Schwingen zu bringen.\nII. Die TJiiterschiedsempfmdlielikeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\nDie Genauigkeit, mit welcher das Ohr kleine Differenzen in der Zahl der Schwingungen \u00e4hnlicher Tonquellen zu unterscheiden vermag, ist eine sehr grosse. Dies hat sich namentlich durch Preyer\u2019s(13s) Untersuchungen herausgestellt. Bei den Versuchen wird zun\u00e4chst f\u00fcr eine solche Gleichm\u00e4ssigkeit der Tonquelle und Tonangabe gesorgt werden m\u00fcssen, dass ein und derselbe Ton immer als solcher wieder erkannt werden kann; ebenso m\u00fcssen Tonanfang, St\u00e4rke und Abschluss gleichm\u00e4ssig wiederholt werden k\u00f6nnen. Dies wurde von Preyer mittelst eines Tondifferenzapparates von Appunn erreicht, welcher bestand aus 11 Zungenpfeifen von 500 bis 501 Schwingungen mit je Vio Differenz, 6 Pfeifen von 1000 bis 1001 mit je \\b Schwingung Differenz und dann noch den T\u00f6nen 504, 508, 512, 1008, 1016, 1024, 2048, 4096. Dieselben waren mit H\u00fclfe von Schwebungen abgestimmt. Unge\u00fcbte Personen unterschieden innerhalb der Octaven c (128) bis c'\" 1024 v. d. einen Unterschied von 8 bis 16 Schwingungen, Uebung bringt sie bald weiter. Sehr ge\u00fcbte und musikalische Menschen haben eine so nahe \u00fcbereinstimmende Unterschiedsempfindlichkeit, dass pr\u00e4cisere Aussagen gemacht werden k\u00f6nnen.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Unterschiedsempfindlichkeit.\n113\nEs ergiebt sich, dass \u00fcberhaupt nur ein Unterschied von V3 Schwingung erkannt werden kann und auch dies nur in der Gegend von a' bis c\", dar\u00fcber und darunter nimmt das Unterscheidungsverm\u00f6gen ab; \u00fcber cv kommen Irrth\u00fcmer bis zu 100, ja bis 1000 Schwingungen vor. Preyer hat \u00fcber die Empfindlichkeit f\u00fcr Tondifferenzen innerhalb der gebr\u00e4uchlicheren T\u00f6ne folgende Tabelle gegeben. In\nderselben bedeuten: n die Schwingungszahlen, d die Differenz, welche\n1\nn hinzuzuf\u00fcgen ist, um einen Unterschied h\u00f6rbar zu machen : die auf die Einheit reducirte sog. absolute Unterschiedsempfindlichkeit und E=-j die relative Unterschiedsempfindlichkeit.\nn\td\ta\tE\n120\t0,418\t2,39\t287\n490\t0,363\t2,75\t1212\n500\t0,300\t3,33\t1666\n1000\t0,500\t2,00\t2000\nE. H. Weber 139 hat auf Grund fr\u00fcherer Versuche, die von De-lezenne, W. Weber und namentlich Seebeck(52) herr\u00fchrten, erkl\u00e4rt, es komme f\u00fcr die Unterscheidung nicht darauf an, ob innerhalb der gebr\u00e4uchlichen Grenzen die verglichenen T\u00f6ne hoch oder tief l\u00e4gen, denn nicht die Zahl der Schwingungen, sondern das Verh\u00e4ltnis der Zahl der Schwingungen werde verglichen. Diese Aussage, und somit dieser Theil des psychophysischen Gesetzes, best\u00e4tigt sich nach Preyer nicht, denn die relative Unterschiedsempfindlichkeit \u00e4ndert sich, da sie bei 100 Schwingungen etwa 200, bei 1000, 2000 betr\u00e4gt.* Preyer hat ferner die Feinheit des Gef\u00fchls f\u00fcr die Reinheit von Intervallen untersucht. In der folgenden Tab. VIII giebt der Quotient i=n':n die Abweichung vom reinen Intervall/*.\nDie Empfindlichkeit E istoder ^. Um das Empfindlichkeits-\nmaass f\u00fcr die Schwingungszahlendifferenz zu erhalten, diente folgende Betrachtung. Bei den Intervallen kann man nicht die Differenz n\\ \u2014n benutzen, sondern der Fehler wird gemacht, indem sowohl f\u00fcr m wie f\u00fcr n eine Anzahl von ^-Schwingungen mehr oder weniger dem\nEs ist also n\\-\\-x\nrichtigen Intervall angerechnet werden.\nn\\\u2014x n-\\-x\n= r oder\nn\u2014x\ndaraus ergiebt sich\tri[ = + x\nDa x der Fehler an jedem einzelnen Ton ist, so wird\n139 Weber in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. II. S. 560. 1846.\n* F\u00fcr kurz dauernden Schall durch Fall von K\u00f6rpern findet jedoch N\u00f6rr (Zeitschrift f. Biolog. 1879. S. 297) das psychophysische Gesetz best\u00e4tigt.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nIx = 2 n\n(m \u2014 rn) r-f-1\n= -9\nDie folgenden Zahlen sind\ndie gesuchte Schwingungsdifferenz sein, den zahlreichen numerischen Daten Preyer\u2019s entnommen. Das Ur-theil begann bei den angegebenen Verh\u00e4ltnissen unsicher zu werden; um Schwebungen zu vermeiden, mussten die T\u00f6ne successive ange-\ngeben werden.\nTab. VIII.\nIntervall.\tn.\tm.\ti.\tS.\tE.\t\nQuarte (l,333j . . .\t187,58\t251,23\t1,3396\t1,02\t211\t\nQuinte (1,5) ....\t167,68\t251,23\t1,4983\t0,23\t822\tIntervall noch\nkl. Sexte (1,6) . . .\t143,66\t231,41\t1,6108\t1,19\t148\tals zu hoch er-\ngr. Terz (1,25) . . .j\t139,60\t163,68\t1,2437\t0,73\t198\tkannt.\n\t139,62\t175,53\t1,2572\t0,89\t173\t\nkl. Terz (1,20) . . .\t207,54\t251,23\t1,2102\t1,9\t117\t\nOctave (2,0) ....\t500,4\t1001\t2,0004\t0,13\t5000\t\nganzer Ton (1,125).\t215,15\t243,51\t1,1291\t0,85\t274\t\nDiese Beispiele d\u00fcrften dem Urtheile, welches Preyer aus einer gr\u00f6sseren Zahlenreihe erhalten hat, einigermaassen entsprechen, ein genaues Maass l\u00e4sst sich \u00fcberhaupt schwer gewinnen. Bei den tiefsten und h\u00f6chsten T\u00f6nen wird die Unsicherheit sehr gross.\nBei den gebr\u00e4uchlicheren T\u00f6nen ist die Genauigkeit des Urtheils sehr erheblich, namentlich aber ist es \u00fcberraschend, dass die Vergleichung zwischen Grundton und Octave genauer ist, als die, zwischen Grundton und ihm sehr nahe liegenden Schwingungszahlen. Die Mittel zur Vergleichung werden wir uns \u00e4hnlich vorstellen m\u00fcssen wie beim Tastgef\u00fchl. Es handelt sich um Localisirung der Eindr\u00fccke, f\u00fcr welche erforderlich wird 1) ein peripherer Gef\u00fchlsapparat von gen\u00fcgender Feinheit, 2) gen\u00fcgende Entwicklung der Localzeichen, \u00fcber welche hier freilich nichts N\u00e4heres gesagt werden kann, 3) gen\u00fcgende Uebung. Die Pr\u00fcfung auf den Unterschied eines Tons von einem benachbarten w\u00fcrde der successiven Ber\u00fchrung einer Hautstelle und des, derselben n\u00e4chst gelegenen Ortes entsprechen, die Pr\u00fcfung der Intervalle dagegen der Ber\u00fchrung zweier in bestimmter Distanz von einander liegenden Hautstellen. Man h\u00e4tte erwarten k\u00f6nnen, dass letztere Pr\u00fcfung sehr ung\u00fcnstige Resultate ergeben w\u00fcrde, jedoch kann man solche F\u00e4lle, z. B. die Pr\u00fcfung auf Octaven vielleicht mit der Ber\u00fchrung homologer Theile zweier Finger vergleichen. Hier ist die Angabe ob z. B. dieselbe Stelle des Zeigefingers und Mittelfingers ber\u00fchrt worden ist, recht genau und es ist keineswegs leicht, Stellen, die f\u00fcr identisch erkl\u00e4rt werden, mit dem Augenmaass voraus zu bestimmen!","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Das Gef\u00fchl f\u00fcr die Intervalle.\n115\nNach Preyer scheint eine Uebung in der Kenntniss der Intervalle durch die Empfindung der Th eilt\u00f6ne in den Kl\u00e4ngen erworben zu werden; er giebt dar\u00fcber folgende h\u00fcbsche Tabelle\nTab. IX.\nEs tritt auf zuerst bei Theilton\tEs kommt vor bei :\t8\t12\t16\t24 Theil- t\u00f6nen\n2\tOctave\t4 mal\tG mal\t8 mal\t12 mal\n3\tQuinte\t9 - ??\t1 r>\t5 \u00bb\t8 \u00bb\n4\tQuarte\t9 w 5?\t3 \u201e\t4 \u201e\t6 \u201e\n5\tgr. Terz\t1 \u201e\t2\t3 \u201e\t1 \u00bb\n5\tgr. Sexte\t1 \u00bb\t0 u 55\t3 \u201e\t1 \u201e\n6\tkl. Terz\t1 \u201e\t2 \u201e\t2\t1\t5?\n7\tnat\u00fcrl. Sept\ti ,,\t1\t0\t3 \u201e\n8\tkl. Sexte\ti \u201e\t1 \u00bb\t9 - ??\t3 \u201e\nAus dieser Tabelle ersieht man, dass in den Kl\u00e4ngen die verschiedenen Intervalle verschieden h\u00e4ufig und zahlreich auftreten. Die Feinheit unseres Unterscheidungsverm\u00f6gens scheint sich entsprechend der Uebung, welche wir durch das Auftreten der Intervalle erhalten, auszubilden, wenigstens stimmt die Stufenfolge unseres Unterscheidungsverm\u00f6gens mit obiger Reihe auffallend gut \u00fcberein.\nAus der Feinheit unseres Unterscheidungsverm\u00f6gens muss man \u00fcber die Anzahl der abgestimmten Endapparate ein Urtheil gewinnen k\u00f6nnen. Nach Messungen von Hensen w\u00fcrden etwa 16400, nach Messungen von Waldeyer 140 20000 CoRTi\u2019sche Zellen, also gesonderte H\u00f6rnervenenden vorhanden sein. Jeder solchen Zelle entspricht etwa eine Saite der Membrana basilaris; aber freilich ist wegen der verschiedenen Lagerung* nicht jede Zelle als der Nachbarzelle gleich-werthig aufzufassen. Preyer findet, dass ein Ton von n und n + 0,05 Schwingungen besten Falls die Grenze unseres Unterscheidungsverm\u00f6gens bildet. Da wir \u00fcberhaupt von 20 bis 40000 Schwingungen als T\u00f6ne zu unterscheiden verm\u00f6gen, so w\u00fcrde obige Zahl von Nervenenden nicht einmal f\u00fcr die Erkennung des Unterschiedes einer ganzen Schwingung ausreichen. Eine so feine Unterscheidung k\u00f6nnen wir in der That am Anfang und am Ende der Tonreihe nicht machen, es w\u00fcrden von 4000 Schwingungen an vielleicht 400 Nervenenden den empirisch zu machenden Anspr\u00fcchen gen\u00fcgen k\u00f6nnen,, aber wenn je V20 Schwingung auch nur zwischen 400 \u20141200 Schwin-\n140 Waldeyer in Stricker\u2019s Gewebelehre. II. S. 959.","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116 Hensen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\ngungen unterschieden werden soll, w\u00fcrden schon 20. 800=16000 Elemente n\u00f6thig werden. Man k\u00f6nnte zwar mit Helmholtz annehmen, dass die St\u00e4rke des Mitschwingens benachbarter Elemente sehr genau verglichen werde und man sich auf diese Weise ein Urtheil dar\u00fcber bilden k\u00f6nne, ob der Ton einer gewissen Schwingungszahl zwei Endelemente gleich stark, oder ein Element am st\u00e4rksten, zwei Nachbarapparate gleich oder auch verschieden stark errege. Im Allgemeinen haben wir Grund (z. B. nach Erfahrungen \u00fcber das Tastorgan) eine Vereinigung mehrerer anatomischer Elemente zu einer Empfindungseinheit anzunehmen. Denselben eine so grosse Leistung zuzuschreiben, dass dadurch die morphologische Einheit in der angedeuteten Weise zerlegt werde, ist eine Hypothese die man ungerne zulassen wird, denn wir m\u00fcssen verlangen, dass die morphologischen Einheiten weitaus den physiologischen Anforderungen gerecht werden k\u00f6nnen, weil uns eher eine Verschwendung derselben (Peripherie der Netzhaut, Biech- und Geschmackszellen) als zu grosse Sparsamkeit damit in der Natur entgegentritt.\nDie von Preyer gestellten Anforderungen in Bezug auf genaue und feine Abstimmung der einzelnen Theile des Ohrs sind so hoch, dass die meisten Toninstrumente ihnen nicht w\u00fcrden gen\u00fcgen k\u00f6nnen. Daher d\u00fcrfte vielleicht eine gr\u00f6ssere Garantie, wie die in der Abhandlung (138) gegebene, f\u00fcr die Constanz der Zungenpfeifen erw\u00fcnscht sein; namentlich in Bezug auf die Frage, ob zwei behufs der Abstimmung zusammen schwingende Zungenpfeifen sich nicht, \u00e4hnlich wie andere Toninstrumente, ein wenig beeinflussen, sobald sie sehr nahe gleich gestimmt sind.\nIII. Das Gef\u00fchl f\u00fcr Intensit\u00e4tsunterschiede und f\u00fcr kleinste\nIntensit\u00e4ten.\nHier ist die erste Frage : ob die Intensit\u00e4t der Empfindung proportional oder im quadratischen Verh\u00e4ltniss mit der Amplitude w\u00e4chst. Die Physiker nehmen als Maass der Intensit\u00e4t die lebendige Kraft der Bewegung also mv-, Masse mal das Quadrat ihrer Geschwindigkeit. Da die Geschwindigkeit beim Durchgang durch den 0 Punkt von der Amplitude der Schwingung abh\u00e4ngt, so w\u00fcrde die Intensit\u00e4t, wie das Quadrat der Amplitude wachsen m\u00fcssen. F\u00fcr das Ohr liegt die Sache schon deshalb complicirter, weil die Abstimmung und die D\u00e4mpfung des Zuleitungsapparates, die Richtung des Geh\u00f6rgangs und eventuell die Nachgiebigkeit der Bogenfasern in der Schnecke modificirend eingreifen k\u00f6nnen. Helmholtz (6- Abselmitt 9) hat nachgewiesen, dass ein gleicher, die Luft treibender Druck des","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Maass der Intensit\u00e4t.\n117\nBlasebalgs bei langsam rotirender Sirene nur einen schwachen, bei rascherer Rotation bis zu mindestens 880 Schwingungen hinauf, einen unverh\u00e4ltnissm\u00e4ssig gr\u00f6sseren Effect auf unser Ohr hervorbringt.\nSchafh\u00e4utl 141 kam zu der, aus der Wirkung des Tensor tym-pani verst\u00e4ndlichen Erfahrung, dass nur die kurzen Schallst\u00f6sse der sog. krustischen Instrumente f\u00fcr Messungen tauglich seien. Er liess kleine Kugeln aus bestimmbarer Fallh\u00f6he auf wagrechte Glastafeln fallen, w\u00e4hrend sp\u00e4ter Vierordt 142 daf\u00fcr Schiefer- oder Metallplatten benutzte. Dabei ist v2=2gs {s die Fallh\u00f6he, # = 9,81 Meter) also die lebendige Kraft mv*1 = 2 g ms, wenn m die Masse des K\u00f6rpers. Der sog. elementare Antrieb mv wird = mfiigs sein. Schafh\u00e4utl nahm letztere Gr\u00f6sse als Maass der Intensit\u00e4t und Vierordt fand, dass dies Maass in der That das richtigere sei. In einer Reihe von Versuchen machte er den Eindruck, welchen eine fallende Kugel von 36,5 mgr. auf sein Ohr hervorbrachte, durch Aenderung der Fallh\u00f6he dem Eindruck gleich, welchen eine Kugel von 56 mgr. beim Fall aus constanter H\u00f6he machte. Die Berechnung des elementaren Antriebs stimmte in den meisten F\u00e4llen sehr viel besser mit den Aussagen des Ohrs \u00fcberein, als die Berechnung der lebendigen Kraft.\nBez\u00fcglich der unteren Grenze der Empfindung fand Schafh\u00e4utl, dass der Fall eines 1 mm. schweren Korkk\u00fcgelchens aus 1 mm. H\u00f6he noch wahrgenommen werde. Am genauesten scheinen die bez\u00fcglichen Resultate von T\u00f6pler und Boltzmann 142 zu sein. Dieselben bestimmten unter Anwendung der stroboskopischen Methode mit H\u00fclfe von Interferenzstreifen die Gr\u00f6sse der Luftverdichtung, welche am Ende einer gedachten Orgelpfeife von 181 Schwingungen bei con-stantem Druck (40 mm. Wasser) eintritt. Die Bestimmung ergab eine Differenz des Luftdrucks von 0,0124 Atmosph\u00e4ren (c. 130 mm. Wasserdruck) und daraus berechnet sich die Bewegung der Luft nahe bei der Mund\u00f6ffnung der Pfeife zu 2,482 mm. Die Pfeife wurde am Tage unter Fliminirung der St\u00f6rung durch den Wind, ausserhalb der Stadt bis zu 115 Meter Entfernung geh\u00f6rt. Daraus berechnet sich, unter Zuh\u00fclfenahme der, von Helmholtz 144 f\u00fcr das Geschwindigkeitspotential im freien Raum gegebenen Formeln, dass die Luft-excursion am Ohr 0,00004 mm. betrug, bei einer Schwankung des Drucks um eine Wassers\u00e4ule von 0,018 mm. Pro Quadratmillimeter wirkte dabei in der Secunde eine mechanische Arbeit von\n141\tSchafh\u00e4utl, Ueb. Phonometrie.-Abhandl. d. Gesellscb. d. Wissensch. M\u00fcnchen 1853.\n142\tVierordt, Messung d. Schallst\u00e4rke. Ztsehr. f. Biologie. S. 300. 1878.\n143\tT\u00f6pler u. Boltzmann, Ann. d. Physik CXYI. S. 321. 1870.\n144\tHelmholtz, Crelle\u2019s Journ. f. Mathematik. LVII.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nVigo Billionen Kilogrammeter. Das Trommelfell, mit einer Oberfl\u00e4che von 33\u25a1 nun., w\u00fcrde also durch eine Schwingung mit V543 Billionen Kilogrammeter bewegt werden. Eine Kerze w\u00fcrde dem Auge auf dieselbe Distanz bei 33 \u25a1 mm. Pupillenfl\u00e4che etwa 17 mal mehr mechanische Arbeit \u00fcbermitteln. Wir w\u00fcrden aber ein Licht viel weiter sehen k\u00f6nnen, wahrscheinlich aber auch die Pfeife bei Nacht viel weiter zu h\u00f6ren verm\u00f6gen. Die kleinsten h\u00f6rbaren Bewegungen des Trommelfells werden sehr viel kleiner sein m\u00fcssen als obige Gr\u00f6sse von 0,00004 mm., weil die Masse der Luft so viel kleiner ist, wie diejenige des Trommelfells; eine directe Beobachtung so kleiner Verschiebungen geht \u00fcber die Leistung des Mikroskops hinaus, Rayleigh145 berechnet sogar die Amplitude der Lufttheilchen zu 0,000001 mm.\nEs sind bei diesen Bestimmungen der Einheit des H\u00f6rverm\u00f6gens noch viele Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden. So wenig wir f\u00fcr gew\u00f6hnlich die St\u00f6rungen durch umgebende Ger\u00e4usche bemerken, so empfinden wir sie doch l\u00e4stig, sobald ein bestimmtes leises Ger\u00e4usch geh\u00f6rt werden soll. In dieser Richtung sind einige Versuche von A. M. Meyer 146 angestellt, nach welchen ein h\u00f6herer Ton durch einen tieferen (der etwa dreimal so stark war) ausgel\u00f6scht wird, nicht aber umgekehrt. Uebrigens schwankt die Empfindlichkeit des Ohres sehr merklich, so dass z. B. eine abklingende Stimmgabel nicht continuir-lich, .sondern mit Schwankungen leiser wird. Urbantschitsch 147 hat dar\u00fcber einige Beobachtungen angestellt, nach denen sowohl f\u00fcr T\u00f6ne wie Ger\u00e4usche eine unregelm\u00e4ssig wechselnde Empfindlichkeit consta-tirt wurde. Er glaubt daf\u00fcr den Grund im Nervenapparat suchen zu m\u00fcssen, wie ja auch \u00fcber die Retina solche Verdunkelungswellen mit dem Eigenlicht derselben interferirend hinlaufen.\nEinige Beobachtungen deuten darauf hin, dass die' H\u00f6rsch\u00e4rfe f\u00fcr T\u00f6ne und f\u00fcr Ger\u00e4usche nicht immer in demselben Verh\u00e4ltnisse stehe. So berichtet z. B. Schwartze148 von hochgradiger Verkalkung und Vernarbung beider Trommelfelle bei normaler H\u00f6rsch\u00e4rfe f\u00fcr die Ton- und Fl\u00fcstersprache mit weitgehendem Unverm\u00f6gen das Ticken einer Uhr zu h\u00f6ren. Aehnlicher F\u00e4lle w\u00e4ren manche zu verzeichnen, es wird aber die physiologische Beobachtung und Beobachtungsmethode noch selbst\u00e4ndig weiter fortschreiten m\u00fcssen, ehe sie aus solchen F\u00e4llen Nutzen zu ziehen vermag.\n145\tRayleigh. Ann. d. Physik. Beibl\u00e4tter. I. S. 500. 1877.\n146\tAlfred, M. Meyer\u2019s Nature. Vol. XIV. No. 354.\n147\tUrbantschitsch, Centralbl. f. med. Wiss. No. 37. S. 625. 1875.\n148\tSchwartze, Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. I. S. 142.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Die individuelle Geh\u00f6rsch\u00e4rfe.\n119\nIV. Bestimmung der individuellen Geli\u00f6rseli\u00e4rfe.\nAehnlich wie manche andere Sinnesorgane ist auch das Ohr verschiedener Individuen sehr verschieden feinf\u00fchlig. Dieser Unterschied tritt auf freiem Felde, hei der Jagd u. s. w. oft auffallend hervor, w\u00e4hrend er in dem Leben der St\u00e4dte unmerklich wird und sogar durch die F\u00e4higkeit, von st\u00f6renden Ger\u00e4uschen zu abstrahiren, \u00fcbercom-pensirt werden kann. Die Apparate zur Bestimmung der H\u00f6rsch\u00e4rfe leiden unter der Schwierigkeit, einen Schallapparat von bekannter, nicht zu grosser, lebendiger Kraft, oder doch wenigstens von v\u00f6lliger Constanz und einer, mit anderen gleichen Apparaten vergleichbaren Leistung, herzustellen. Ausserdem ist die Richtung des Ohrs gegen die Tonquelle von Wichtigkeit. Immerhin wird dem praktischen Bed\u00fcrfnis durch die gebr\u00e4uchlichen Apparate einigermaassen gen\u00fcgt. Es wird die Schallquelle in solche Entfernung gebracht, dass sie anf\u00e4ngt, h\u00f6rbar zu sein. Wenn der Schall von einem Punkte aus sich gleich -m\u00e4ssig im Raum vertheilt, so verh\u00e4lt sich seine lebendige Kraft umgekehrt wie das Quadrat der Entfernung der Schallquelle von dem Ort des Horchens. H\u00f6rt also ein normales Ohr N die Schallquelle in 3 m. Entfernung, ein anderes in nur 80 cm., so ist\n1 _ 1\n3002 1 8\u00cf\u00cf2\nN: x. 64 N= 900 x.\nDie H\u00f6rsch\u00e4rfe des kranken Ohres x w\u00fcrde also 0,071 A sein.\nEs d\u00fcrfen bei diesen Versuchen weder die W\u00e4nde durch Reflexion des Schalles einwirken, noch, wie bei den Stimmgabeln, Interferenzen von den Fl\u00e4chen des Schallinstrumentes aus gebildet werden. Ausserdem kann die Rechnung nur f\u00fcr gr\u00f6ssere Entfernungen gelten, da nur f\u00fcr diese die Schallquelle als Punkt betrachtet werden kann. Endlich macht die Intensit\u00e4tscurve bei Anlegung des Apparates an das Ohr eine so starke Inflexion, dass jede Vergleichbarkeit aufh\u00f6rt. Durch diese Verh\u00e4ltnisse wird Knapp\u2019s 149 Vorschlag, die H\u00f6rsch\u00e4rfe in Bruchtheilen der Normalh\u00f6rweite auszudr\u00fccken, in der Ausf\u00fchrung minder empfehlenswerth.\nAls constante Schallquellen dienen Pendelschl\u00e4ge von Uhren; .ausserdem hat Politzer150 einen Schallhammer mit stellbarer Hubh\u00f6he empfohlen, auch w\u00fcrden gewiss sonstige Fallapparate mit Vortheil zu verwenden sein. Von Lucae151 ist ein Phonometer construira welches die St\u00e4rke des Exspirationshauches misst, und daher gestattet, mit H\u00fclfe der Sprache, deren Intensit\u00e4tsschwankungen\n149\tKnapp, Arch. f. Augen- u. Ohrenheilkunde. III. 1. S. 186.\n150\tPolitzer, Arch. f. Ohrenkeilkunde. XII. S. 104.\n151\tLucae. Ibid. S. 282.","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nein Maass in der Aussage des Phonometers finden, Pr\u00fcfungen der H\u00f6rsch\u00e4rfe vorzunehmen.\nVon Conta15'2 und nach ihm von Magnus153 ist versucht worden, aus der Zeit, welche angeschlagene Stimmgabeln brauchen, um bis zum Unh\u00f6rbaren abzuklingen, die H\u00f6rsch\u00e4rfe zu bestimmen. In der That, wenn man den Stiel so formt, dass er leicht in den Geh\u00f6rgang eingesetzt werden kann und dann an einem aufgesetzten Zeiger die Breite der Schwingung markirt, also den Anfang der Zeitmessung bestimmt, w\u00fcrde das Verfahren einfach und exact sein. Leider ergeben mir genaue Messungen an 3 Stimmgabeln von 256 v. d., dass das logarithmische Decrement hier keine Constante ist, sondern bis zu einer Elongation von 0,07 mm. an und bei einer schweren Stimmgabel von 0,8 mm. an abnimmt (Log. des Decrements: 0,000028 resp. 0,000285), um dann wieder recht merklich, und zwar mindestens auf Log. des Decrements: 0,000047 resp. 0,00069, zu wachsen.\nVielleicht versprechen Versuche, welche Hartmann 154 mit H\u00fclfe des, durch Inductionsstr\u00f6me bewegten Telephons anstellt, bessere Resultate. Preyer155 verwendet f\u00fcr Pr\u00fcfung des Geh\u00f6rs ein Telephon und einen Rheostaten, durch welche ein constanter Strom geleitet ist. Der Contact wird durch eine Quecksilberverbindung hergestellt, man h\u00f6rt bei Schluss (und Oeffnung) ein leises Ticken, welches sich bei sehr schwachem Element so weit verringern l\u00e4sst, dass nichts mehr geh\u00f6rt wird. Hughes* * l\u00e4sst einen unterbrochenen Strom in entgegengesetzter Richtung durch zwei prim\u00e4re Rollen gehen, legt zwischen beide die mit dem Telephon verbundene secund\u00e4re Rolle und stuft, durch Verschiebung derselben, den Ton bis zur geringsten St\u00e4rke ab. Dies Verfahren d\u00fcrfte sich am besten bew\u00e4hren.\nVerst\u00e4rkungsapparate\nf\u00fcr den Schall sind nach zwei Richtungen hin construirt worden. Es kann die Schallquelle virtuell dem Ohr n\u00e4her gebracht werden, wenn von diesem ein Rohr bis zu ihr hingef\u00fchrt resp. diese selbst in das Rohr eingeschlossen wird. Dabei tritt ein sehr viel gr\u00f6sserer Theil der Schallbewegung an das Ohr, namentlich wenn das Rohr den Geh\u00f6rgang hermetisch abschliesst. Da aber denn doch die Wandungen z. B. der Gummischl\u00e4uche den Schall recht stark nach aussen leiten, findet diese Art der Verst\u00e4rkung bald eine Grenze. K\u00f6nnten die\n152\tConta. Arch. f. Ohrenheilkunde. I. S. 107.\n153\tMagnus, Ibid. V. S. 127.\n154\tHartmann, Verhandl. d. physiol. Gesellschaft zu Berlin 11. Jan. 1878. Arch, f. (Anat. u.) Physiol. 1878.\n155\tPreyer, Sitzgsber. d. Jena\u2019schen Ges. f. Med. 21. Febr. 1879.\n* Hughes, Nature 1879. S. 77 u. 102.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Verst\u00e4rkungsapparate.\n121\nSchallquellen durch feste K\u00f6rper direct mit dem Trommelfell verbunden werden, so w\u00fcrde dadurch nach Schmidekam(8), welcher solche Verbindung durch metallische Sonden herstellte, noch mehr gewonnen sein, aber das Verfahren ist zu schwierig und gef\u00e4hrlich, um praktisch in Betracht zu kommen.\nMittelst Schallbechern, also einer k\u00fcnstlichen Vermehrung der Fl\u00e4che unserer Ohr\u00f6ffnung, wird etwas mehr Schall aufgefangen; jedoch wenn diese Becher nicht sehr gross sind, werden die l\u00e4ngeren Tonwellen kaum in gew\u00fcnschter Weise dem Ohr zugeleitet (vergl. Mach l9). Ausserdem geben diese Apparate durch Bildung stehender Wellen, nach Art der Resonatoren, eine Verst\u00e4rkung bestimmter T\u00f6ne. Diese Verst\u00e4rkung ist aber f\u00fcr das Sprachverst\u00e4ndniss unerw\u00fcnscht und durchaus kein Vortheil. Solche Apparate stellen dagegen die Ohrmuschel zuweilen g\u00fcnstiger f\u00fcr Auffangung in der N\u00e4he erzeugten Schalls, als sie von Natur stehf, und dies scheint einigen Nutzen zu gew\u00e4hren.\nEin sehr gebr\u00e4uchliches Verst\u00e4rkungsmittel sind die Resonanzb\u00f6den, leicht bewegliche Fl\u00e4chen, auf welche sich die Schwingungen fester K\u00f6rper \u00fcbertragen und welche durch die grosse Anzahl der in ihnen vibrirenden Oberfl\u00e4chenpunkte die Uebertragung des Schalls an Luft und Ohr sehr vermehren. Durch das sog. Fadentelephon werden zwei solche, weit von einander entfernte Resonanzfl\u00e4chen, welche durch einen dazwischen aufgespannten Faden verbunden sind, nutzbar gemacht, indem man die eine dieser Fl\u00e4chen dem Ohre sehr nahe bringt und daher deutlich h\u00f6rt, was an der anderen Fl\u00e4che geschieht.\nDie neuerdings erfundenen Mikrophone bewirken eine reelle Vermehrung der Schallintensit\u00e4t. Bei denselben verst\u00e4rken und unterbrechen die Schallst\u00f6sse mit dem ihnen eigent\u00fcmlichen Rhythmus galvanische Str\u00f6me, welche auf ein Telephon oder \u00e4hnliche Apparate wirken. Es h\u00e4ngt daher die Schallintensit\u00e4t haupts\u00e4chlich von der St\u00e4rke des Stroms ab. Der Apparat findet Verwendung f\u00fcr Vergr\u00f6s-serung sehr schwacher Schallbewegungen ; f\u00fcr Schwerh\u00f6rigkeit ist davon wenig zu erwarten, weil organische Fehler des Ohrs nicht durch Steigerung der Schallintensit\u00e4t einfach compensirt werden k\u00f6nnen und eine Steigerung des Schalls \u00fcber die St\u00e4rke der, ins. Ohr gerufenen menschlichen Stimme hinaus, zerst\u00f6rend wirken m\u00fcsste.\nV. Entotisclie Geli\u00f6rerreguiigen.\nAbsolut ohne Empfindungen ist unser Ohr wohl nie, denn sobald wir auf dasselbe achten, bemerken wir eine Schallerregung irgendwelcher Art. Das Gef\u00fchl der Stille beruht nicht auf dem v\u00f6lligen","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nRuhezustand unseres Ohrs, sondern es ist eine Abmessung dar\u00fcber, wie leise die Ger\u00e4usche sind, welche unser Ohr h\u00f6rt, bestenfalls die Beachtung des Grades der St\u00f6rung unseres H\u00f6rens durch seine ent-otischen Ger\u00e4usche. Bei weniger scharfer Aufmerksamkeit bemisst man die Stille nach der Leichtigkeit, mit welcher von den Geh\u00f6rwahrnehmungen ganz abstrahirt werden kann. In diesem Falle, der um so leichter eintritt, je weniger L\u00e4rm vorhanden ist, werden wohl die centralen Enden des Nervus acusticus ausser Einfluss gesetzt, was gleichbedeutend ist mit der Abwesenheit oder L\u00e4hmung des Organs.\nEntotische Ger\u00e4usche einiger Intensit\u00e4t treten so leicht in v\u00f6llig normalen Ohren ein oder sie sind so leicht zu erzeugen, dass wir sie als halbphysiologisch gelten lassen m\u00fcssen. Es wird die Aufgabe sein, ihren Ort und ihre Ursache festzustellen. Ein sehr grosser Theil hat seinen Sitz in der Paukenh\u00f6hle. Eines knackenden Ger\u00e4usches, welches in ein Stadium der Er\u00f6ffnung der Tuba f\u00e4llt und beim G\u00e4h nen geh\u00f6rt zu werden pflegt, ist bereits fr\u00fcher Erw\u00e4hnung geschehen. Schmidekam(s) hat dasselbe sehr eingehend behandelt und die Nachweise der zahlreichen Literatur gegeben. Hierher geh\u00f6rt ferner das Muskelger\u00e4usch. Man versteht darunter den dumpfen, von raschen St\u00f6ssen begleiteten Ton, den jeder Leser h\u00f6ren wird, sobald er den Finger in den Geh\u00f6rgang ein wenig einpresst. Da sich ergeben hat, dass dieses Ger\u00e4usch von den Muskeln zum Ohr geleitet wird, findet es sich Bd. I. S. 48 abgehandelt. Helmholtz 150 hat jedoch die Ansicht ausgesprochen, dass der Ton von Eigenschwingungen des Trommelfellapparates herr\u00fchre und C\u20141, wie ihn eine l\u00dff\u00fcssige offene Orgelpfeife giebt, sei ; der Ton werde auch beim Anblasen des Ohrs erhalten. Schmidekam findet freilich, dass auch bei dem durch Wasser belasteten Trommelfell der Ton von den verschiedensten contrahirten Muskeln des Kopfes aus laut erzeugt werde, aber der Ein wand, dass das Trommelfell unter diesen Umst\u00e4nden verstimmt sein m\u00fcsse, der Eigenton also ein anderer sein werde, ist deshalb nicht stichhaltig, weil unsere H\u00f6rsch\u00e4rfe f\u00fcr die Unterscheidung der tiefen T\u00f6ne nicht ausreicht. Wir wissen, dass auch bei tetanischer Contraction des Tensor tympani der Muskelton auftritt. Wenn ich die entotischen Ger\u00e4usche meines Ohrs richtig deute, so w\u00fcrde ein, je weilen ganz ohne \u00e4ussere Veranlassung, zuweilen auch beim Lauschen auf Gesang auftretender Muskelton mit langsamen Einzelst\u00f6ssen (etwa 10 \u201412 in der Secunde) vom Tetanus des Tensor abh\u00e4ngen.\nIn der Stille und beim Verschluss des Ohrs k\u00f6nnen noch andere\n156 HELMHOLTZ.Yerhandl. d. naturhist.-med.Yer. z. Heidelberg IY. S. 153 u. 161.","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Entotische Ger\u00e4usche.\n123\nim K\u00f6rper entstehende Ger\u00e4usche entotisch vernommen werden, so namentlich Pulsationen des Herzens und der Arterien, Inspirationsund Venenger\u00e4usche. Es ist auffallend, dass diese Ger\u00e4usche unter gew\u00f6hnlichen Bedingungen nicht geh\u00f6rt werden, da doch die Carotis im Felsenbein liegt und sogar ein Arterienast an den Steigb\u00fcgel geht! Bei der grossen Empfindlichkeit des Ohrs m\u00f6gen sehr geringe Exsudatmassen schon gen\u00fcgen, um Leitungswege herzustellen, welche dem Paukenapparat in st\u00f6render Weise Bewegungen mittheilen. Ferner ist es mit Recht geltend gemacht, dass St\u00f6rungen in der Ableitung von Bewegungen nach der \u00e4usseren Luft zu, also z. B. abnorme Spannungen des Trommelfells oder der B\u00e4nder, die Ursache sein k\u00f6nnten, dass Brausen und tiefere Ger\u00e4usche, welche ein Ausdruck von im Kopf vorhandenen Bewegungen sind, dem Ohre wahrnehmbar werden.\nEine andere Art entotischer Ger\u00e4usche ist ein hohes Klingen, welches ohne \u00e4usseren Anlass und fast ohne begleitende Gef\u00fchle auf-tritt, eine kurze Zeit gleichm\u00e4ssig anh\u00e4lt und dann langsam verklingt. Man ist geneigt diesen Klang auf eine prim\u00e4re Reizung des Labyrinths zu beziehen und dies findet in dem ganz gleichen Ohrenklingen bei Chininvergiftung eine St\u00fctze. Jedoch selbst in letzterem Falle vermag man durch Zusammenschlagen der Z\u00e4hne das Klingen auf kurze Zeit zu unterbrechen und es steht \u00fcberhaupt so stark unter \u00e4usseren Einfl\u00fcssen, dass man das Urtheil \u00fcber den Sitz des Leidens bis auf genauere Nachweise suspendiren kann. Die Ohren\u00e4rzte finden einen gewissen Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Ohrenklingens und Gef\u00e4ssinjectionen, letztere werden sowohl bei Chininwirkung1''7, wie bei Tinnitus aurium 158 beobachtet. Es ist gewiss m\u00f6glich, dass in den kleinen Gef\u00e4ssen durch Reibung des Blutes leise T\u00f6ne entstehen, die bei directester Zuleitung zum Ohr, bei g\u00fcnstigster Spannung z. B. der Steigb\u00fcgelmembran, h\u00f6rbar werden k\u00f6nnen. Da aber der Tinnitus eine sich ziemlich gleichbleibende Tonh\u00f6he hat, so wird auch hier die Zuleitung durch den Stapes, die Fenestra rotunda oder wenigstens das Labyrinthwasser postulirt werden m\u00fcssen, so lange nicht Grund zu der Annahme ist, dass nur ein an bestimmter Stelle der Membr. basilaris anliegendes Gef\u00e4ss die Ersch\u00fctterung bewirke, was ja h\u00f6chst unwahrscheinlich ist. Wenn das Labyrinth durch ein einfaches hohes Klingen auf Reizung reagirte, w\u00fcrde sich dies schlecht mit unseren sonstigen Ansichten verein-\n157\tWeber-Liel. Deutsche Ztschr. f. prakt. Med. 1875. No. 19 (nach Tenotomie des Tensor tympani bleibt d. Ohrenklingen bestehen). Roosa, Monatssehr. f. Ohrenheilkunde. No. 3. 1876.\n158\tTheobald. Ibid. No. 2. 1876.","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nbaren lassen, denn es w\u00e4re nicht einzusehen, weshalb immer so wenige, und zugleich nahe dieselben CoRTi\u2019schen Zellen dabei erregt werden sollten. Ueberhaupt st\u00e4nde das Auftreten eines dauernden Klanges gleich bleibender H\u00f6he nicht inUebereinstimmung mit den Erfahrungen \u00fcber die Reizerscheinungen in anderen Sinnesorganen. F\u00fcr die Haut finden wir, dass subjectives Jucken und Schmerzen so mannichfaltig wie m\u00f6glich sind, subjective Geschmacks- und Geruchsempfindungen kennen wir bei Gesunden \u00fcberhaupt nicht in constanter Wiederholung, und die Reizung der Retina, wenn sie zu subjectiven Lichterscheinungen f\u00fchrt, ist durch den steten Wechsel der Farben- und Lichterscheinungen qu\u00e4lend. Von alle diesem haftet dem gew\u00f6hnlichen Ohrenklingen nichts an! Man hat sehr allgemein die Annahme einer Vermehrung des Drucks im Labyrinth zur Erkl\u00e4rung der subjectiven Ger\u00e4usche, nerv\u00f6ser Taubheit u. s. w. herbeigezogen, aber so sicher wir den analogen Vorgang beim Auge kennen, so wenig l\u00e4sst sich zu Gunsten eines solchen beim Labyrinth sagen, denn das Labyrinth ist nicht in dem Sinne abgeschlossen w7ie das Auge ; die Membr. tym-pani secundaria kann dem Druck sehr ausgiebig weichen, der Aquaeductus vestibuli und cochleae bilden freie Communications\u00f6ffnungen nach aussen und die Nervendurchg\u00e4nge bieten dem Druck keine so blosgelegte Fl\u00e4che, als die der Papilla Nervi optici es ist. Der Beweis f\u00fcr das Vorkommen eines erh\u00f6hten Drucks im Labyrinth ist nicht gef\u00fchrt worden und es l\u00e4sst sich nicht einmal angeben, wie dieser Beweis zu f\u00fchren w\u00e4re, wenn einmal alle Oeffnungen des Labyrinths sich dur\u00f6h Exsudate vermauert finden sollten!\nEs soll mit Obigem nat\u00fcrlich nicht geleugnet werden, dass Reizungen im Labyrinth oder dem Nervenapparat halbphysiologisch Vorkommen k\u00f6nnen, dieselben scheinen mir aber bis jetzt nicht gen\u00fcgend nachgewiesen zu sein.\nEinige merkw\u00fcrdige Beobachtungen \u00fcber Ausfall und Verstimmung von T\u00f6nen sind hier noch zu erw\u00e4hnen. Magnus159 hat die Analyse eines Falls gegeben, in welchem die T\u00f6ne d' \u2014 h\u2019 f\u00fcr gew\u00f6hnlich nicht geh\u00f6rt wurden, aber allerdings mit H\u00fclfe von Resonatoren noch h\u00f6rbar gemacht werden konnten. In diesem Falle stellte sich das Geh\u00f6r wieder her. Ebenso bei einem Kapellmeister, welchem in Folge eines Schlages die Empfindung f\u00fcr die Bassnoten verloren ging. Ein Componist verlor durch den Pfiff einer Locomotive das Geh\u00f6r f\u00fcr den Diskant dauernd.\nPhysiologisch interessanter sind die F\u00e4lle von Verstimmung des\n159 Magnus, Tk\u00f6ltsch\u2019s Arch. IL S. 268. 1867.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Diplainsie. Nachempfindung.\n125\nGeh\u00f6rorgans. Wittich 160 hat an sieh selbst in Folge einer Entz\u00fcndung des Mittelohrs die T\u00f6ne der eingestrichenen Octave mit dem kranken Ohr um V2 Ton h\u00f6her als mit dem gesunden wahrgenommen.161 - Also f\u00fcr\u00ab h\u00f6rte er b oder es war nach unserer Hypothese, die auf b abgestimmte Saite so viel schlaffer geworden oder so durch Exsudat belastet, dass sie nur noch auf \u00ab stimmte, nach der Hypothese m\u00fcsste aber jetzt \u00ab an zwei Orten der Schnecke, als \u00ab und b gar nicht deutlich geh\u00f6rt werden. Zugleich wurde eine gewisse Tontaubheit bemerkt, denn das Ger\u00e4usch einer anschlagenden Glocke konnte auf weitere Strecken geh\u00f6rt werden, wie deren Ton.\nEs ist eine kleine Differenz der Tonh\u00f6he beim H\u00f6ren mit dem rechten und dem linken Ohr von mehreren Beobachtern 162 bemerkt worden, doch stimmen diese Beobachtungen in Bezug auf Constanz des Unterschiedes nicht gut \u00fcberein.\nVI. Nachempfi 11 (lung und Mitempfmdung.\nNachempfindungen, wie sie das Auge in Form von Nachbildern so leicht giebt, sind vom Ohre nicht h\u00e4ufig beobachtet. Nur der Fall, dass gewisse Melodien nicht \u201elos zu werden\u201c sind, tritt h\u00e4ufig auf. In diesem Falle ist es jedoch mehr der Rhythmus und Tonfall der sich wiederholt, der eigentliche lebendige Klang tritt weniger hervor; es handelt sich dabei wohl mehr um entferntere Gangliengruppen, nicht um Nachempfindung des eigentlichen Geh\u00f6rapparates. Preyer (138) berichtet nach langdauernder Einwirkung eines Tons als Nachempfindung ein lautes Pl\u00e4tschern wiederholt und Minuten lang geh\u00f6rt zu haben, wie auch die Empfindung der Schwebungen sich ihm leicht reproducirt. P. Jacobs 163 hat in \u00e4hnlicher Richtung Versuche angestellt.\nAuch eigenth\u00fcmliche Mitempfindungen kommen vor, wir erw\u00e4hnten deren schon bei Besprechung der h\u00f6chsten T\u00f6ne. Ausserdem wird beobachtet, dass sich den T\u00f6nen und Accorden bei einzelnen Menschen lebhafte Farbenempfindungen in der Art zugesellen, dass bestimmte Farben und bestimmte T\u00f6ne zusammengeh\u00f6ren.164\n160\tWittich, K\u00f6nigsberger med. Jahrb\u00fccher. III. S. 40.\n161\tEine \u00e4hnliche Beobachtung machte E. H. Weber an sich, wor\u00fcber Mach, Sitzgsber. d. Wien. Acad. 1864. Ueb. einige d. physiol. Akustik angeh\u00f6rige Erschein.\n162\tFessel, Ann. d. Physik. XXL S. 189 u. 510. 1860. Fechner. Ibid. S. 500. Knorr, Ibid. XXIII. S. 310. 1861.\n163\tP. Jacobs, De auditus fallacis. Dissert. Bonn 1832. (Mir nicht zug\u00e4nglich.)\n164\tNussbaumer, Wiener med. Wochenschr. 1873. No. 1\u20143.","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126 Hensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 3. Cap. Leistungen des Geh\u00f6rapparates.\nYII. Geh\u00f6rhallucinationen\nsind im Traum h\u00e4ufig*, auch werden pl\u00f6tzliche Empfindungen des Ohrs bei Tage oft dahin gedeutet, als werde gerufen, als sei an die Th\u00fcr geklopft. Bei Irren sind Geh\u00f6rhallucinationen vielleicht in Verbindung mit entotischen Ger\u00e4uschen h\u00e4ufige und schwere Leiden.\nVIII. Galvanische Reizung.\nDas Ohr liegt der Anbringung von galvanischen Reizungen nicht g\u00fcnstig, wenig Stromesschleifen werden dem Endapparat oder dem N. acusticus zugef\u00fchrt werden k\u00f6nnen und man kann nicht wissen, was bei den Versuchen gereizt wird. Constante Str\u00f6me geben bei gen\u00fcgender St\u00e4rke, namentlich wenn man die Kathode in den Geh\u00f6rgang bringt, die Empfindung eines Klanges, sowohl bei Schluss wie bei Dauer des Stroms, doch werden dabei auch zischende und anderweite Ger\u00e4usche empfunden, auch bleiben st\u00f6rende Nebenempfindungen nicht aus. Versuche bestimmte Regeln zu finden, nach welchen die Reaction beim gesunden, eventuell beim kranken Ohr, verlaufe, sind mehrfach gemacht worden, scheinen aber zu nicht befriedigenden Resultaten gef\u00fchrt zu haben.105\nVIERTES CAPITEL.\nDie Gfeh\u00f6rwahrnehmimgen.\nEs ist schon fr\u00fcher dargelegt worden, dass die Wahrnehmung des Klanges aus der Empfindung der Theilt\u00f6ne hervorgehe. Letztere werden in den gew\u00f6hnlichen F\u00e4llen so vollst\u00e4ndig unterdr\u00fcckt, dass wir die Theilt\u00f6ne garnicht bemerken, ja sogar die absolute Tonh\u00f6he z. B. beim Sprechen, wenig beachten, sondern nur das Zusammenwirken aller als einen Klang bestimmter Farbe (und weiterhin den Wandel des Tonfalls) wahrnehmen. Aehnlich also, wie wir uns der bunten Fl\u00e4chen eines Feldes, einer Stadt, eines Gem\u00e4ldes, nicht als\n165 Vgl. Brenner, Arch. f.pathol. Anat. XXVIII. 1. u. 2 und besond. Schwartze, Tr\u00f6ltsch\u2019s Archiv I. 144.","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Consonanz und Dissonanz.\n127\nfarbiger Fl\u00e4chen bewusst werden, sondern sie sogleich als Gegenst\u00e4nde bestimmter Art auffassen, so nehmen wir auch die Theilton-gruppen als Kl\u00e4nge wahr. Wir d\u00fcrfen wohl annehmen, dass eine der zum Ohr geh\u00f6renden Sinnesfl\u00e4chen im Centralorgan die Theil-t\u00f6ne zu Gruppen vereint, zuweilen (Composition der Vokale durch Stimmgabeln) wider besseres Wissen, aber entsprechend den empirisch entweder fr\u00fcher oder mit H\u00fclfe anderer Sinnesorgane gleichzeitig, als einheitlich erkannten, Klangquellen. Man darf vermuthen, dass ein von Geburt tauber Mensch, geheilt, in \u00e4hnlicher Weise das H\u00f6ren lernen m\u00fcsste, wie wir wissen, dass geheilte Blinde das Sehen lernen.\ni\nI. Consonanz und Dissonanz.\nUnsere musikalischen Wahrnehmungen unterliegen noch in wei-j terer Beziehung gewissen Regeln. Es ist eine uralte Erfahrung, dass Toncombinationen, welche in einfachen Verh\u00e4ltnissen der Schwingungszahlen stehen, angenehm \u2014 consonant \u2014 andere, welche in complicirteren Verh\u00e4ltnissen stehen, wenig angenehm \u2014 dissonant \u2014 sind. Dies ist zwar dem Einen auffallender wie dem Anderen, aber es findet Niemand eine Consonanz dissonant. Die physikalisch-physiologische Erkl\u00e4rung dieser Thatsache ist von Helmholtz (6) in der Art gegeben worden, dass er nachgewiesen hat, wie der Grad der * Vollkommenheit eines consonanten Intervalls von dem Grade der Abwesenheit von Schwebungen bestimmt ist und wie die Rauhigkeit, welche durch Schwebungen sich dem Klange beimischt das Gef\u00fchl der Lust und Unlust hervorruft. Wenn wir die Schwebungen zu den Ger\u00e4uschen rechnen, k\u00f6nnen wir, da Zischen, Knallen u. s. w. ja auch die Musik nur st\u00f6ren, sagen, jeder Ton jede Tonfolge und jeder Accord ist um so consonanter und \u201ereiner\u201c, je freier er von Ger\u00e4uschen ist. Das Gef\u00fchl der Unlust bei Dissonanzen, welches :\tam st\u00e4rksten bei 30 bis 40 Schwebungen die Secunde hervortritt,\nentspricht der starken und empfindlichen Erregung, welche die Nerven und Nervencentra bei intermittirenden Reizungen erleiden. So sind die Hautnerven empfindlich gegen Kitzel, das Auge leidet unter dem raschen Wechsel der LissAjous\u2019schen Tonfiguren zweier rasch schwebenden Stimmgabeln, und zwar kaum weniger wie das Ohr. Da wir die Vermuthung aufgestellt haben, dass die Otolithen der Apparat f\u00fcr die Empfindung und Wahrnehmung der Schwebungen und St\u00f6sse seien, so k\u00f6nnte man einwenden, dass deren Nerven durch den ihnen ad\u00e4quaten Reiz doch wohl nicht so leicht erm\u00fcdet und \u00fcberreizt werden w\u00fcrden. An sich ist jedoch eine unangenehme","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 4. Cap. Geh\u00f6rwahrnehmungen.\nSensation auch bei ganz ad\u00e4quatem Reiz nicht ausgeschlossen, denn die unangenehmen Ger\u00fcche sind doch gewiss als ad\u00e4quate Reize zu betrachten, da die F\u00e4higkeit, sie wahrzunehmen, gewiss eine er-haltungsm\u00e4ssige Function ist. Aber es kommt hier \u00fcberhaupt ein Anderes in Betracht. Es m\u00fcssen, wie fr\u00fcher erw\u00e4hnt, Endapparate der Schnecke die Schwebungen mitmachen und es ist wahrscheinlich, dass ihre stossende, eine ruhige Absch\u00e4tzung der Intensit\u00e4ten nicht zulassende Bewegung es ist, welche das Gef\u00fchl des Missbehagens erweckt, nicht aber die nebenhergehende Schwingung des Otolithen.\nHelmholtz hat nachgewiesen, dass in allen F\u00e4llen der Dissonanz Schwebungen vorhanden sind und dass die Sch\u00e4rfe der Dissonanz ihren H\u00f6hepunkt bei dem Vorhandensein von 30 bis 40 Schwebungen erreicht. Dabei sind allerdings die Stosst\u00f6ne z. Th. nicht mit ber\u00fccksichtigt, aber dieselben w\u00fcrden wohl eher die Beweisf\u00fchrung von Helmholtz erleichtern, wie erschweren, weil sie die Theilt\u00f6ne entbehrlicher erscheinen lassen, als man bisher annahm.\nSchon der einzelne Klang kann dissonant sein. So w\u00fcrde, abgesehen von etwa vorkommenden, unharmonischen Obert\u00f6nen, Ci von 33 v. d mit 33 Schwebungen scharf dissonant klingen, wenn der 15. und 16. Theilton, die das Verh\u00e4ltniss einer kleinen Secunde 15:16 geben, stark darin entwickelt w\u00e4ren. Bei unseren Toninstrumenten ist aber in der Regel der Theilton vom 6. an, m\u00f6glichst schwach ausgebildet.\nDie consonirenden Intervalle innerhalb der Octave sind 1 : 2 Octave ,2:3 Quinte ,3:4 Quarte, 3 : 5 gr. Sexte ,4:5 gr. Terz ,5:6 kl. Terz. Bei der Octave ist der 2., 4., 6. Theilton des niederen, identisch mit dem 1., 2., 3. des h\u00f6heren Tons, der 3. und 5. des ersteren fallen im Verh\u00e4ltniss der Quinte und Terz zwischen die Theilt\u00f6ne des h\u00f6heren und geben deshalb keine oder nur schwache und rasche Schwebungen. F\u00fcr die Quinte ist der erste gemeinsame Theilton der Ton 2.3 = 6, also der dritte des tieferen der 2. des h\u00f6heren. Der 4. und 5. Theilton des tieferen, der 3. des h\u00f6heren,\n9\t10\nstehen in dem Verh\u00e4ltniss von ^ und y, also dem zweier benachbarter T\u00f6ne zu einander. Dies Intervall ist schon so gross, dass nur in sehr tiefen Lagen der Grundt\u00f6ne, bei stark entwickelten Obert\u00f6nen eine Rauhigkeit bemerkt werden k\u00f6nnte. Bei der Quarte haben wir die erste Coincidenz bei 3.4 = 12. Die Theilt\u00f6ne sind f\u00fcr Ton 3\nund Ton 4\t3. 6. 9. 12. 15.\t18.\n4. 8. 12. 16.\n9 16. also liegt das Verh\u00e4ltniss y schon in tieferer Lage und \u2014 giebt","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Consonanz und Dissonanz.\n129\nziemlich starke Schwebungen, die nur deshalb, weil der 5. und 4. Theilton schwach sind, wenig hervortreten. Die grosse Terz 4:5 hat 20 als erste Coincidenz\n4.\t8.\t12.\t16.\t20.\n5.\t10.\t15.\t20.\nund \u2014- schon beim 4. und 3. Theilton, ist also relativ viel rauher. 15\t7\nDie kleine Terz\n5.\t10.\t15.\t20.\t25.\n6.\t12.\t18.\t24.\nhat \u2014 schon im dritten Theilton, und die scharfe Dissonanz \u2014 im 5. und 4. Theilton ist daher f\u00fcr tiefe Lagen wenig angenehm.\nFig. 31. A.\nSobald in diesen consonanten Verh\u00e4ltnissen kleine Verstimmungen auftreten, werden sogleich Schwebungen bemerklich, und zwar werden diese um so st\u00e4rker, je vollkommener die Obert\u00f6ne bei reiner\nFig. 31. B.\nStimmung coincidiren. Daher sind die reinsten Intervalle zugleich die empfindlichsten, was auch die vorstehenden Curven erkennen lassen.\nDiese Curven geben die Rauhigkeit aus der H\u00f6he der Ordinaten.\nHandbuch der Physiologie. Bd. lila.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 4. Cap. Geh\u00f6rwahrnehmungen.\nSie sind von Helmholtz unter der Annahme berechnet, dass der Klang von der Violine herr\u00fchre, auf je zwei Fasern der Schnecke wirke und dass die Rauhigkeiten existiren zwischen den Grenzen der Schwebungen 0 \u2014 oc, aber bei 30 Schwebungen ihr Maximum erreichen. Die Linien sind jedoch so dick, dass Schwebungsrauhigkeiten von \u00fcber 120 kaum hervortreten. Die den einzelnen Theil-t\u00f6Jien entsprechenden Rauhigkeiten sind f\u00fcr sich angegeben worden, wodurch ihr Einfluss deutlich hervortritt. Die Intervalle sind unter der Annahme genommen, dass c' mit 264 v. d. stets der Grundton sei. Wir finden die consonanten Orte in der durch die Horizontale dargestellten, zwei Octaven durchlaufenden Tonreihe f\u00fcr: kl. Terz, gr. Terz, Quarte, Quinte (!), kl. Sexte, grosse Sexte, verminderte Septime, Octave(!), None (schlecht), grosse None (es\" besser wie kleine Terz), Decime (e\" besser wie gr. Terz), Undecime (f\" schlechter wie die Quarte), Duodecime (sehr gut, aber bei Verstimmung stark dissonant), c' b\" zeigt sich als sehr reines Intervall. Man sieht, dass in den Tastaturinstrumenten ausser dem Ton b' und b\", die f\u00fcr die beste Lage etwas zu hoch liegen, kein brauchbares Intervall mangelt, wenn man vom Grundton c ausgeht und die Stimmung rein ist.\nW\u00e4re als Grundton c'\" 1056 v. d. genommen, so w\u00e4re das Bild ein anderes geworden, namentlich w\u00fcrde die Rauhigkeit 1:1, also zwischen den Grundt\u00f6nen nicht bis g, sondern nur bis d zu verfolgen gewesen sein, weil weiterhin \u00fcber 120 Schwebungen eintreten w\u00fcrden.\nPreyer166 hat die Theorie von Helmholtz mit H\u00fclfe von 11 Stimmgabeln der T\u00f6ne 1000, 1100 .. . 2000 gepr\u00fcft. Die Ober t\u00f6ne dieser Gabeln waren zu hoch, um gut h\u00f6rbar zu sein, da nur schwach angestrichen wurde. Jedes benachbarte Stimmgabelpaar gab 100 Schwebungen, musste also nach Helmholtz\u2019s Theorie dissonant sein und wurde von den Musikern auch daf\u00fcr erkl\u00e4rt. Alle anderen Com-\nbinationen 10: (13, 17, 19), 11 :(13, 14, 15-20) erkl\u00e4rten Musiker\nf\u00fcr nicht dissonant, und obgleich zuweilen die reinen Intervalle bevorzugt wurden, war doch von einem sicheren Urtheil \u00fcber Consonanz und Dissonanz, insofern das Verh\u00e4ltniss kleinster ganzer Zahlen daf\u00fcr die maassgebende Grundlage sein sollte, nicht mehr die Rede. Es ist dies also ein sch\u00f6ner Beweis f\u00fcr die Richtigkeit der von Helmholtz dargelegten Ansichten.*\n166 Preyer, Die Theorie d. musikal. Consonanz. Sitzgsber. d. Jenaischen Ges.\n28. Jan. 1878.\t,\t.\t\u201e ,\n* Preyer l5- s- v,) hat diesem allerdings jetzt eine Beschr\u00e4nkung hmzugel\u00fcgt. Paarweise vereinte T\u00f6ne geben n\u00e4mlich unter Umst\u00e4nden scharf dissonante Kl\u00e4nge,, ohne dass Rauhigkeiten dabei in Betracht gezogen werden k\u00f6nnen. Es dissoniren z. B. zwei T\u00f6ne \u00ab von 1400 und \u00df von 1600 Schwingungen, obgleich alle bei dem Zu-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Consonanz und Dissonanz.\n131\nSchwebungen entstehen \u00fcbrigens noch leichter als es nach dem bisher Gesagten den Anschein hat, denn selbst wenn die Obert\u00f6ne noch nicht schlagen, k\u00f6nnen schon die Differenzt\u00f6ne Schwebungen hervorrufen, und jeden schwebenden Ton h\u00f6rt das Ohr leichter als nicht schwebende T\u00f6ne. Dies findet z. B. bei folgender etwas verstimmten Quinte statt\n200 und 301 v. d. haben Obert\u00f6ne von 400 und 602 v. d.\n301\u2014200 = 101 v. d. der Differenzton 1. Ordnung.\n400\u2014301 = 99 v. d. der Differenzton 2. Ordnung.\n2 Schwebungen.\nSobald mehr wie zwei T\u00f6ne zusammen erklingen, also bei den Accorden werden die Combinationst\u00f6ne von gr\u00f6sserer Wichtigkeit f\u00fcr die Consonanz. In den folgenden Beispielen ist der Accord in halben Noten, der Combinationston der Grundt\u00f6ne in Vierteln, die Combinationst\u00f6ne mit den ersten Obert\u00f6nen in Achteln und Sechzehnteln bezeichnet. Der Strich neben der Note bedeutet, dass dieselbe etwas tiefer ist wie der Scalenton.\nsammenklang m\u00f6glicher Weise entstehenden T\u00f6ne um mindestens 200 Schwingungen von einander abstehen, also das Gef\u00fchl der Rauhigkeit nicht entstehen kann, wegen der zu schnellen Folge der Schl\u00e4ge. Wir haben n\u00e4mlich aus obigen T\u00f6nen mit ihren Obert\u00f6nen Schwingungszahlen von : 200 (\u00df\u2014\u00ab), 400 (2 \u00df\u20142\u00ab), 600 [(2/9\u2014\u00ab) \u2014 (2\u00ab\u2014/?)], 800 [(2\u00df\u20142 a) \u2014 (2 a\u2014\u00df)], 1000 [2\u00ab\u2014(2/9\u2014\u00ab)], 1200 (2 a\u2014\u00df), 1400, 1600, 1800 (2\u00df\u2014a), 2000 [2 \u00df\u2014(\u00df\u20142 a)], 2400 [2 a\u2014(2\u00df\u20142 \u00ab)], 2600 [2 a\u2014[\u00df\u2014 \u00ab)], 2800, 3000 [2 \u00df-(\u00df\u2014a)], 3200. Damit ist die Tonreihe ersch\u00f6pft, sie giebt aber unzweifelhafte Dissonanz. Aehnliche F\u00e4lle, mit selbst noch weiteren Intervallen giebt es viele.\nEs zeigt sich nun, dass bei den consonanten Intervallen ein grosser The\u00fc der aufgez\u00e4hlten Toncombinationen mit den beiden ersten Theilt\u00f6nen coincidirt, dass also die ganze Klangmasse bei den durch die Zahlen 1\u20145 auszudr\u00fcckenden Intervallen wenige, aber stark entwickelte T\u00f6ne enth\u00e4lt. Je mehr einfache T\u00f6ne zugleich auf das Ohr wirken, um so weniger deutlich wird jeder einzelne Ton sein. Je mehr Coinci-denzen unter den T\u00f6nen, die ein Intervall erzeugt, um so gr\u00f6sser die Befriedigung im Gef\u00fchle, je weniger Coincidenzen, um so verwirrender und darum unangenehmer der Eindruck. Dadurch w\u00fcrde sich also, selbst abgesehen von Rauhigkeiten, nach Preyer die Dissonanz erkl\u00e4ren lassen. Er f\u00fcgt diesem die Hypothese hinzu, dass eine der harmonischen Theilung entsprechende, numerische Anordnung der Schneckenfasern anzunehmen sei, welche das Auffinden und Erlernen der Intervalle erleichtern m\u00fcsse.\nPreyer giebt also eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das positiv Angenehme der Consonanz, das gleichfalls positive Gef\u00fchl des Unangenehmen der Dissonanz l\u00e4sst sich aber doch wohl mit geringer Modification im Sinne von Helmholtz aufrecht erhalten. Wenn wir in den angef\u00fchrten F\u00e4llen auch keine Rauhigkeiten mehr wahrnehmen, so sind doch unzweifelhaft Schwebungen in der Luft vorhanden. Sollten diese in unserem Geh\u00f6rorgan wirkungslos bleiben, w\u00e4hrend unser Tastorgan sie noch leicht empfindet? Wenn auch die Otolithen bei z. B. mehr als 130 Schwebungen wegen continuirlicher Erregung nichts mehr zur Wahrnehmung bringen, vorausgesetzt, dass sie die Empfindung des Rauhen ausl\u00f6sen, der To nappa rat wird doch beweglich genug sein, um die Schwebungen mitzumachen! Sollte letzteres nicht etwa das Unangenehme der Empfindung bewirken? Man k\u00f6nnte sogar behaupten, die Rauhigkeit sei an sich dem Ohre ebenso wenig unangenehm, wie dem Auge, aber, da die Rauhigkeit der Dissonanz immer von Schwebungen in der Schnecke begleitet werde, welche in der That, \u00e4hnlich wie flimmerndes Licht f\u00fcr das Auge, unangenehm wirken d\u00fcrften, so werde den Rauhigkeiten mit Unrecht das specifisch Unangenehme in der Dissonanz zugeschrieben, dies r\u00fchre von unbewusster Reizung der Schnecke her.","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 4. Cap. Geh\u00f6rwahrnehmungen.\nDurdreikl\u00e4nge.\nMolldreikl\u00e4nge.\nIn dem ersten Beispiel des Durdreiklangs haben wir die T\u00f6ne:\nDifferenzen zwischen\nGrundt\u00f6ne\tDifferenzen\tObert\u00f6ne\tDifferenzen\tGrund- u.\tObert\u00f6ne\n396\t\u2014\t792\t132 2 mal\t396\t198\n330\t66 2 mal\t660\t660\t528 2 mal\t264 2 mal\n264\t132\t528\t264\t462\t330\nEs treten hier also 5 neue T\u00f6ne auf, von denen zwei nahe und gleichm\u00e4ssig genug sind, um zu schlagen, dieselben sind aber nur sehr schwach. Wenn man die Beispiele in dieser Beziehung durchgeht, findet man, dass bei den Durkl\u00e4ngen die Schwebungen nicht so leicht und von schw\u00e4cheren T\u00f6nen aus entstehen, wie bei den Molldreikl\u00e4ngen, welche letzteren schon bei den Combinationst\u00f6nen der ersten Obert\u00f6ne Schwebungen geben. Deshalb sind die'Mollaccorde geeignet, eine unklare, tr\u00fcbe und rauhe Stimmung auszudr\u00fccken und zu erregen. Freilich gilt das nur f\u00fcr reine Stimmungen, bei tempe-rirter Stimmung leidet die Reinheit der Accorde \u00fcberall.\nHelmholtz hat den Gegenstand sehr eingehend er\u00f6rtert, es muss dar\u00fcber auf sein Werk verwiesen werden. Mit Recht fordert er f\u00fcr den Gesang, die Urquelle der Musik, eine reingestimmte Begleitung, damit der S\u00e4nger aus den entstehenden Schwebungen die Fehler seiner Intonirung erkennen kann107, und nicht durch Schwebungen im Instrument gest\u00f6rt wird. Jetzt kann er bestenfalls zwischen den verschiedenen schwebenden T\u00f6nen w\u00e4hlen, mit welchem Ton er ein reines\n167 Selbst eine wenig ge\u00fcbte Stimme schwebt nach A. Kl\u00fcnder, Diss. Marburg 1872 weniger wie ein Mal die Sekunde.","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Tonicit\u00e4t und Phonicit\u00e4t .\n133\nIntervall bilden will ; eine schwierige Aufgabe, die zugleich undankbar ist, weil befriedigende Reinheit dabei nicht herauskommen kann.\nDie obige Lehre giebt f\u00fcr die Consonanz nur das negative Merkmal der Abwesenheit von Schwebungen.* Oettingen 168 f\u00fcgt dem als positives Merkmal f\u00fcr die harmonische Bedeutung der Accorde und Intervalle, kurz f\u00fcr die Klangverwandtschaften, das Prinzip der Tonicit\u00e4t und Phonicit\u00e4t hinzu. Die tonische Verwandtschaft besteht in der Eigenschaft als Klangbestandtheil eines Grundtons, der als tonischer Grundton bezeichnet wird, aufgefasst werden zu k\u00f6nnen. Dieser Ton bestimmt, wie wir in der Einleitung sahen, auch die Wellenl\u00e4nge der Klangcurve. F\u00fcr das Intervall (cg) ist der tonische Grundton C, f\u00fcr den Dreiklang c \u00eb g ist er ein Unterton von C, nem-lich Ci. Der Dreiklang besteht aus dem 4., 5. und 6. Theilton von Ci. Durch den tonischen Grundton und dessen n\u00e4here Untert\u00f6ne treten die verschiedenen Zusammenkl\u00e4nge in tonische Verwandtschaft.\nPhonicit\u00e4t ist die Eigenschaft eines Accordes oder Intervalls, stets irgend welche, allen T\u00f6nen gemeinsame Partialt\u00f6ne zu besitzen. Der tiefste der allen gemeinsam zukommenden Partialt\u00f6ne ist der phonische Oberton. Alle T\u00f6ne singen diesen Oberton mit und er mag deshalb ziemlich stark hervortreten, cg hat als phonischen Oberton g' und die Reihe von dessen Theilt\u00f6nen gemeinsam.\nEs findet nun eine eigenth\u00fcmliche Reciprocit\u00e4t statt zwischen den Moll- und Dur-Kl\u00e4ngen:\nDur. c \u00eb g hat zum tonischen Grundton Cy = c zum phonischen Oberton h'\" = 15 c Moll, cesg hat zum phon. Oberton g\" = 4 g zum tonischen Grundton Asyy/ = lis g und diese reciproke Symmetrie l\u00e4sst sich durchgehend nachweisen, ist gesetzlich. Es scheint \u00fcberhaupt, dass die Mollaccorde eine engere Beziehung zum phonischen Oberton, die Duraccorde zum tonischen Unterton haben.\nEs kann hier jedoch ebensowenig auf das Gebiet der Musik, wie auf das der Rhythmik eingegangen werden. Nur auf einen Punkt d\u00fcrfte noch aufmerksam zu machen sein.\nDurch die neueren Untersuchungen in der Musik tritt uns immer deutlicher entgegen, dass wir mit Bezug auf Tonfall und Rhythmik unter recht scharfem Zwang physikalisch - physiologischer Gesetze stehen. So lange der Componist das Recht hat, uns zu leiten wie er will, tritt dieser Zwang weniger hervor. Soll aber eine auch dem H\u00f6rer sicher und im Voraus bekannte Absicht erreicht werden , so zeigt sich der Zwang deutlich. Dies findet namentlich dann\n* Und nach Pr\u00eater : beschr\u00e4nkter Anzahl von T\u00f6nen.\n168 A. y. Oettingen, Harmoniesystem in dualer Entwicklung. Dorpat u. Leipzig, Gl\u00e4ser. 1866.","page":133},{"file":"p0134.txt","language":"de","ocr_de":"134\nHessen. Physiologie des Geh\u00f6rs. 4. Cap. Geh\u00f6rwahrnehmungen.\nstatt, wenn ein Schluss gemacht werden soll. Dabei m\u00fcssen besonders Leitt\u00f6ne und Tonica genau beachtet werden, sonst kommt vieles Andere, aber kein befriedigender Schluss zu Stande.\nDasselbe findet f\u00fcr Tonfall und Rhythmus unserer Sprache statt, und hier in einer auch f\u00fcr unmusikalische Menschen sehr auffallenden Weise. Die Worte: kommen wir zum Schluss! k\u00f6nnen beispielsweise als Einleitung des Schlusses einer Rede nur in einer Weise gesprochen werden; Aenderungen des Tonfalls oder des Rhythmus k\u00f6nnen in verschiedener Weise angebracht werden, \u00e4ndern und modi-ficiren dann aber den Sinn jener Phrase, und diese Aenderung ist zwingend und erregt sogleich die Aufmerksamkeit in bestimmter Richtung.\nII. Zeitsinn des Ohrs.\nUeber die F\u00e4higkeit des Ohrs, Zeitunterschiede wahrzunehmen, haben wir von H\u00f6ring 169, Mach 170 und Vierordt 171 einige Bestimmungen. Takte werden von dem Ohr feiner wie von den anderen Sinnen unterschieden. Gepr\u00fcft wurde namentlich der Taktschlag von Metronomen und Pendeln, sowie von Zahnr\u00e4dern. Das Urtheil wird bei Pausen von weniger als 0,3 Sec., rasch zunehmend mit Verringerung der Zeit, unsicher. F\u00fcr 0,3 Sec. wurde ein Unterschied von 3,3 \u00b0/o resp. 5 % noch erkannt, bei langsamer Schlagfolge werden die Fehler in der richtigen Erkenntniss des Taktes gr\u00f6sser, f\u00fcr 1,4 Sec. steigen sie etwa auf das doppelte. Bei Versuchen, die Schlagfolgen zu reproduciren, ergab sich, dass kurze Perioden zu lang, lange zu kurz angegeben wurden; das Urtheil zeigte also nicht nur eine gewisse Unsicherheit, sondern es war auch noch mit einem \u201e constanten Fehler\u201c behaftet. Der Indifferenzpunkt, bei welchem dieser Fehler fortf\u00e4llt, liegt verschieden, je nach der Individualit\u00e4t ; bei drei Personen traf Vierordt ihn bei Perioden von 1,5, 1,4 und 3 Secunden.\nIII. Raimiwalirnelmiuug.\nW\u00e4hrend Geisteskranke geneigt sind, Binnenger\u00e4usche des Ohrs nach aussen zu verlegen, wissen sich Gesunde leicht und mit wenig M\u00fche vor dem Irrthum zu wahren. E. Weber (fi5) glaubte, dass dies, und \u00fcberhaupt die Orientirung \u00fcber die Richtung der Schallquelle, mit H\u00fclfe eines Gef\u00fchls von der Schwingung des Trommelfells erreicht werde. Er fand nemlich, dass man die Richtung, von welcher\n169\tH\u00f6ring, Dissert\u00e2t. T\u00fcbingen 1S64.\n170\tMach. Unters, \u00fcb. d. Zeitsinn d. Ohrs. Sitzgsber. d. Wien. Acad. Febr. 1865. S. 133.\n171\tVierordt, Zeitsinn. T\u00fcbingen 1868. Laupp.","page":134},{"file":"p0135.txt","language":"de","ocr_de":"Raumvahrnehmung.\n135\nder Schall komme, nicht mehr unterscheiden k\u00f6nne, sobald (im Wasser) die Trommelfellbewegung- durch F\u00fcllung der Geh\u00f6rg\u00e4nge mit Wasser verhindert sei. Sghmidekam(s) konnte dieser Ansicht nicht beipflichten, da im Wasser die Richtung, in welcher der Schall kommt, schon nicht mehr zu unterscheiden ist, wenn man ohne F\u00fcllung der Geh\u00f6rg\u00e4nge untertaucht. So v\u00f6llig l\u00e4sst sich \u00fcberhaupt die Luft aus den fettigen Geh\u00f6rg\u00e4ngen nicht entfernen, um das Trommelfell ganz am Schwingen zu hindern.\nEs ist jedoch sicher, dass unterschieden wird, welches Ohr den Schall resp. den st\u00e4rkeren Schall empf\u00e4ngt. Dies ist eins der Mittel, welche namentlich mit H\u00fclfe von Kopfwendungen gestatten, sich im Raume zu orientiren. Von Rayleigh 172 sind unter guten Vorsichts-massregeln am Abend Versuche an einem freien, stillen Platz mit sechs umgebenden Assistenten angestellt worden. Es zeigte sich, dass durchstehend ein Wort und Vokal, wenn in nat\u00fcrlicher Stimme gesprochen wurde, gen\u00fcgte, um die Richtung der Tonquelle bis auf wenige Grade genau angeben zu k\u00f6nnen. Anders verhielt es sich mit T\u00f6nen, welche nicht von Ger\u00e4uschen begleitet waren. An welcher Stelle von zwei zugleich angeschlagenen Stimmgabeln die eine vor den Resonanzkasten gehalten wurde, konnte nicht unterschieden werden, wenn es sich um vorn und hinten, wohl aber wenn es sich um rechts und links handelte.\nDer hierbei in Betracht kommende akustische Schatten er-giebt sich aus dem Verh\u00e4ltniss Wellenl\u00e4nge: Kopfumfang = a (die Vorragung der Ohren nicht mitgerechnet?) wie folgt\nvorderer Pol\thinterer Pol\tAequator\n. 0,690 ....\t. . . . 0,318 ....\t. . . . 0,356\n. 0,503 ....\t. . . . 0,285 ....\t. . . . 0,237\n. 0,294 ....\t. . . . 0,260 ....\t. . . . 0,232\n\u00ab = 14 giebt zwischen den beiden Polen (Ohren) nur einen Intensit\u00e4tsunterschied von l\u00b0o. Da nun eine Stimmgabel von 128 v. d. welche diesem \u00ab entspricht noch richtig localisirt werden konnte, m\u00fcsste man schliessen, dass bei solchen Untersuchungen die Intensit\u00e4tsunterschiede genauer gew\u00fcrdigt werden, als dies bisher die directen Experimente ergeben wollten. Kries und Auerbach (l23) haben eine Reihe von Versuchen gemacht, um die Zeitdauer zu bestimmen, welche zur Localisation eines Schalls erforderlich ist. Auf der Peripherie eines Kreises von c. 60 Cm. Radius, in dessen Centrum der Kopf sich befand, wurden zwei Elektrodenpaare aufgestellt, zwischen denen der\n172 Rayleigh, Nature. Vol. XIY. p. 32.","page":135},{"file":"p0136.txt","language":"de","ocr_de":"136\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. 4. Cap. Geh\u00f6rwahrnehmungen.\nFunke \u00fcberschlug. Die Stellungen wechselten von 120\u00b0 (also zur Seite jedes Ohrs) bis zu 11\u00b0 Abstand. Es musste entschieden werden, an welcher der beiden Elektroden das Ger\u00e4usch entstand. Bei 120\u00b0 Abstand verz\u00f6gerte sich die Reaction durch die Entscheidung um 0,015\u20140,032 Sec., unter den ung\u00fcnstigeren um 0,053\u20140,044 Sec.\nEs l\u00e4sst sich kaum verkennen, dass so genaue und prompte Localisationen sich nicht recht befriedigend aus dem akustischen Schatten, \u2014 der Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung \u2014 erkl\u00e4ren lassen. Es kommt eine eigenth\u00fcmliche Beobachtung von Tarchanoff 173 hinzu, nach welcher bei dem Hindurchleiten intermittirender Str\u00f6me durch an beide Ohren gehaltene Telephone, der Ton genau in die Medianebene des Kopfes verlegt wird und bei kleinsten Intensit\u00e4tsdifferenzen sich etwas aus derselben verschiebt. Man wird immer wieder veranlasst an die eigenth\u00fcmliche Anordnung der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le in drei aufeinander senkrechten Ebenen zu denken und sich zu fragen ob diese Bildungen etwas mit der Localisation im Raum zu thun haben k\u00f6nnten. Wenn man, abgesehen von der craniotympanalen Leitung ein H\u00f6ren durch die. Sch\u00e4delknochen annehmen will, obgleich das Vorkommen dieses Processes nicht erwiesen ist, und selbst wenn man mit der gr\u00f6ssten Freiheit \u00fcber den Gang der akustischen Welle durch die Theile des Sch\u00e4dels disponirt, er\u00f6ffnet sich keine weitere physikalisch-anatomische M\u00f6glichkeit f\u00fcr die Wahrnehmung der Richtung der Tonquelle durch die Kan\u00e4le. Die wenigen Autoren, welche von dieser M\u00f6glichkeit sprechen, haben daher auch keinerlei ernstliche Nachweise dar\u00fcber gegeben, wie sich \u00fcber den physikalischen Vorgang eine Vorstellung gewinnen lasse.\nDie Sch\u00e4tzung der Entfernung scheint nur bei bekannten Kl\u00e4ngen m\u00f6glich zu sein. Hier mag vielleicht in Betracht kommen, dass nach Grinwis 174 die Intensit\u00e4t der Obert\u00f6ne\u2018in grosser Entfernung gegen diejenige des Grundtons erheblich zunimmt und zwar im Quadrat ihrer Reihennummer, der p te Oberton gewinnt eine verh\u00e4ltnissm\u00e4ssige Intensit\u00e4t gegen den Grundton bis zu p- der qte bis zu q2 u. s. w. Da der Klang also nicht nur leiser wird, sondern auch das Verh\u00e4ltniss der Partialt\u00f6ne sich \u00e4ndert, so kann daraus ein Urtheil \u00fcber die Entfernung entnommen werden. Indem Mach (17 j mit H\u00fclfe einer N\u00f6RENBERG\u2019schen R\u00f6hre den Grundton schw\u00e4chte, schien ihm der Ton einer Stimmgabel, und mehr noch der einer\n173\tTarchanoff, St. Petersburger med. Wochenschr. No. 43. 1878. Mir nur aus Referaten bekannt. Die Beobachtung ist von Preyer, Jen. Sitzgsber. 21. Febr. 1879, best\u00e4tigt worden.\n174\tGrinwis, Ueb. cylindr. Schallwellen. Ann. d. Physik. 1877. Beibl. 8.\n175\tMach, Ebenda. CXXIV. S. 331.","page":136},{"file":"p0137.txt","language":"de","ocr_de":"Durchschneidung der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le.\n137\nmenschlichen Stimme, ans gr\u00f6sserer Entfernung herzukommen. Er erkl\u00e4rt die Aenderung des Klanges bei Entfernung aus der Annahme, dass bei Vermehrung der Intensit\u00e4t die Empfindung der tieferen T\u00f6ne, bei Verminderung der Intensit\u00e4t die Empfindung der h\u00f6heren T\u00f6ne \u00fcberwiege.\nANHANG.\nExperimente an den halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4len.\nEine von Flourens 176 1828 gemachte und vollst\u00e4ndig u. A. von Czermak 177 und Vulpian 178 best\u00e4tigte Beobachtung eigenth\u00fcmlicher sch\u00fcttelnder und drehender Kopfbewegungen, welche nach Verletzung der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le eintreten, hat in Folge einer von Goltz179 \u00fcber diese Erscheinungen aufgestellten Hypothese zu einer grossen Zahl von Versuchen und Aeusserungen gef\u00fchrt.\nAm meisten wurde an Tauben experimentirt, n\u00e4chstdem an Fr\u00f6schen, Kaninchen und Fischen.\nBei \u00e4lteren Tauben entfernt man unterhalb des Ansatzes der Nackenmuskeln die \u00e4ussere Lamelle des Occiputs; die Bogeng\u00e4nge liegen in dem spongi\u00f6sen Gewebe frei vor, man er\u00f6ffnet eine kleine Stelle in denselben und durchschneidet dort den h\u00e4utigen Kanal. H\u00e4ufig ist jedoch die Durchschneidung weniger schonend und mit Verletzung hier liegender grosser Venen, sowie des Aquaeductus vestibuli geschehen. Bei Fr\u00f6schen k\u00f6nnen die Kan\u00e4le mit sehr geringer Verletzung sonstiger Theile durchschnitten werden, bei jungen Kaninchen dagegen muss man auf die Fl\u00e4che des Felsenbeins, also mindestens an die Dura herangehen. Genaue Beschreibung der Operationen geben B\u00f6ttcher180, Cyon181 und Anna Tomasewicz. 182\nDie Erscheinungen welche man beobachtet sind zu beziehen auf die directe Verletzung des kn\u00f6chernen und h\u00e4utigen Bogenganges, Verletzung und Erkrankung des Kleinhirns und auf die, in Folge\n176\tFlourens, Compt. rend. 1828 n. 1861.1. p. 673; ferner Recherches experimentales sur les propri\u00e9t\u00e9s d. syst. nerv. p. 438. 1842.\n177\tCzermak, JenaischeZtschr. III. S. 101. 1867.\n178\tVulpian, Le\u00e7ons, Paris. 1866. S. 600.\n179\tGoltz, Arch. f. d. ges. Physiol. III. S. 172. 1870.\n180\tB\u00f6ttcher, a) Kritische Bemerkgn. z. Literatur d. Geh\u00f6rlabyrinths. Dorpat Gl\u00e4ser. 1872. S. 12. (Frosch.) b) Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. S. 1. (Taube.)\n181\tCyon, Methodik der physiol. Experimente. S. 540. Giessen, Ricker. 1876.\n182\tTomaszewicz, Beitr\u00e4ge zur Physiologie d. Ohrlabyrinths. Diss. Z\u00fcrich 1877.","page":137},{"file":"p0138.txt","language":"de","ocr_de":"138\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Anhang. Experimente etc.\ndes Traumas gesetzte, Aenderung in Haltung und Beweglichkeit des Kopfes. Es ist schwierig die verschiedenen Wirkungen und Nachwirkungen dieser Dinge auseinander zu halten. Trotz ausgiebigen Studiums der Literatur, und trotz eigener, seit 10 Jahren gemachter Erfahrungen, kann ich die f\u00fcr eine Schlussfolgerung gen\u00fcgende Basis nicht gewinnen. Am eingehendsten hat B\u00f6ttcher die Versuche vorgef\u00fchrt und auch er findet dass an einen Abschluss noch nicht zu denken sei.\nDie Vorbereitung der Operation f\u00fchrt nicht oder nicht sogleich zu auffallenden Erscheinungen, jedoch gen\u00fcgt nach Berthold 183 das Abfliessen der Perilymphe, um die, auch von anderen (Bornhardt 184, Cyon) beobachtete Unsicherheit des betreffenden Beins bei Tauben zu veranlassen. Druck oder Zug an dem h\u00e4utigen Kanal, der also die Endolymphe bewegt, bewirkt nach Bornhardt (l84) starkes Abdrehen des Kopfes mit etwas pendulirender Bewegung, und zwar beim horizontalen Kanal nach der Seite, beim hinteren verticalen Kanal nach unten. Nach der Durchschneidung h\u00f6ren diese Bewegungen auf oder gehen in entgegengesetzter Richtung vor sich.\nEinseitige Durchschneidungen pflegen nur beim Kaninchen anhaltende Bewegungen hervorzurufen, welche neben einem Schwanken des Kopfes und Vorderk\u00f6rpers in auffallenden Wendungen der Augen bestehen. Cyon 185 besonders hat dieselben studirt und findet, dass Anf\u00e4lle k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Dauer auftreten, in denen die Augen 20 bis 150 mal die Minute oscilliren. Die Durchschneidung des horizontalen Kanals f\u00fchrt die Augen nach vorn und unten, die der verticalen Kan\u00e4le nach hinten und oben. Die Oscillationen der Augen gehen beiderseits in entgegengesetztem Sinne vor sich, und nicht wie beim Nystagmus in demselben Sinne. Nach Durchschneidung des Nerv, acusticus der anderen Seite h\u00f6ren die Oscillationen auf und es bleibt nur eine Spannung in den genannten Richtungen. Das fr eigelassene Thier zeigt Rotationen um die L\u00e4ngsaxe und \u00fcberhaupt schwere Bewegungsst\u00f6rungen, die bei beiderseitiger Durchschneidung gr\u00f6sser und wechselnder zu werden scheinen.\nTauben geben erst bei doppelseitiger Durchschneidung schwerere St\u00f6rungen. Namentlich sind oscillatorische Bewegungen des Kopfes (neben zeitweiser Augen Verdrehung) das constanteste Symptom. Diese Oscillationen werden so heftig, dass der Rumpf davon mit ergriffen wird, das Thier umf\u00e4llt und heftigste unbeholfene Bewegungen macht.\n1 S3 Beethold, Tr\u00f6ltsch\u2019s Arch. IX. S. 77. 1875.\n184\tBornhardt, Arch. f. d. ges. Physiol. XII. S. 471. 1876.\n185\tE. DF Cyon, Ebenda 1863. Compt. rend. 1876 u. 77 und namentlich: Recherches s. 1. fonctions d. canaux semi-circulaires. Th\u00e8se No. 114. Paris 1878.","page":138},{"file":"p0139.txt","language":"de","ocr_de":"Durchschneidimg der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le.\n139\nDas merkw\u00fcrdigste dabei ist, dass die Bewegung bei Durchschnei-dung beider horizontalen Kan\u00e4le in Hin- und Herdrehungen des Kopfes in horizontaler Ebene besteht, bei Durchschneidung der verticalen dagegen der Kopf in der verticalen Ebene dreht. Sind die vorderen unteren Kan\u00e4le durchschnitten, so geht das Thier bei starken Anf\u00e4llen r\u00fcckw\u00e4rts \u00fcber, bei Durchschneidung der hinteren Kan\u00e4le vorw\u00e4rts kopf\u00fcber. Die Bewegungen k\u00f6nnen so lange andauern bis das Thier ersch\u00f6pft ist und k\u00f6nnen durch k\u00fcnstliche Fixirung des Kopfes beruhigt werden, bis eine st\u00e4rkere oder stoss-weise Bewegung sie wieder hervorruft.\nZu diesen Bewegungen k\u00f6nnen sich fr\u00fcher oder sp\u00e4ter ausserordentliche Verdrehungen des Kopfes gesellen, wobei dann die Pendelbewegungen sistiren; ferner St\u00f6rungen des Gangs, Man\u00e8ge oder Rotationsbewegungen, Schw\u00e4che eines Beins oder eines Fl\u00fcgels, oder beides, und nat\u00fcrlich Flugunf\u00e4higkeit. Gew\u00f6hnlich k\u00f6nnen die Thiere das Futter nicht selbst nehmen, sondern picken vorbei, auch ist Erbrechen beobachtet. Bei so stark entwickelten Erscheinungen gehen sie meistens zu Grunde. In diesen schwereren F\u00e4llen wurde so h\u00e4ufigem Ergriffensein des Kleinhirns direct nachgewiesen (i82), dass dasselbe dabei wohl immer angegriffen gewesen sein d\u00fcrfte.\nIn anderen F\u00e4llen sind dagegen die St\u00f6rungen ziemlich unbedeutend, die Pendelbewegungen verlieren sich nach einer Woche und die Thiere werden wie normale. Nach B\u00f6ttcher k\u00f6nnen die pen-dulirenden Drehungen des Kopfes sogar ganz ausbleiben, die Flugf\u00e4higkeit kann ausser gelegentlichem Tummeln gut sein und bald volle Genesung eintreten.\nZuweilen treten erst Stunden nach der Durchschneidung die Bewegungen ein, was ich h\u00e4ufig beobachtet habe.\nBei Fr\u00f6schen zeigen sich die Folgen der Durchschneidung am ruhig sitzenden Thier kaum, oder nur in einer nicht im Voraus zu bestimmenden Drehung des Kopfes, beim Sprung deviirt das Thier, nach der Seite bei Verletzung der horizontalen, in die H\u00f6he und r\u00fcckw\u00e4rts bei Verletzung der verticalen Kan\u00e4le. Beim Schwimmen steht es aufw\u00e4rts in letzterem, schwimmt im Kreise in ersterem Fall. Fische zeigen \u00e4hnliche Verh\u00e4ltnisse.\nDurchschneidung mehrerer oder ungleichnamiger Kan\u00e4le com-pliciren das Bild, ohne mehr Aufschl\u00fcsse zu geben. Die Thiere sollen nach Durchschneidung oder Entfernung der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le noch h\u00f6ren k\u00f6nnen, w\u00e4hrend nach Flourens bei Entfernung der Schnecke Taubheit eintritt. Ob nicht in letzterem Fall die mechanischen Bedingungen des H\u00f6rens so ver\u00e4ndert worden sind, dass kein","page":139},{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Anhang. Experimente etc.\nSchall mehr in das Labyrinth dringen kann, oder ob andererseits im ersteren Fall, durch Entz\u00fcndung empfindlich gewordene Theile eine Schallerregung Vort\u00e4uschen, d\u00fcrfte noch nicht ganz sicher gestellt sein.\nVon Goltz ist bemerkt worden, dass sich nach der Operation das Gleichgewicht der Thiere gest\u00f6rt erweise, \u00e4hnlich wie bei Thieren, welchen der Kopf in verdrehter Haltung fixirt wird oder denen die Muskeln des Nackens so stark verletzt wurden, dass die Kopfhaltung eine abnorme geworden war. Es bleibe dahingestellt, ob die Bogeng\u00e4nge Geh\u00f6rorgane seien, ausserdem aber bildeten sie eine Vorrichtung, welche der Erhaltung des Gleichgewichts diene; sie seien sozusagen Sinnesorgane f\u00fcr das Gleichgewicht des Kopfs und mittelbar des ganzen K\u00f6rpers.\nDie Grundlage f\u00fcr diese Annahme hat sich als nicht haltbar erwiesen, denn die Verdrehung des Kopfes der Tauben ist als Hirnerscheinung anerkannt und die St\u00f6rungen des Gleichgewichts der Fr\u00f6sche, wie Goltz sie beschrieben hat, findet sich nach B\u00f6ttcher bei gut operirten Thieren sicher nicht. Goltz ist der Ansicht, dass die Verth eilung des Drucks in den Bogenkan\u00e4len, die je nach Lage des Kopfes ein wenig verschieden ist, die Ursache der Wirkung der Kan\u00e4le auf die Erhaltung des Gleichgewichts sei. Diese Ansicht hat durch Arbeiten von Mach186, Breuer187 und Crum Brown188 eine Modifikation und weitere Entwicklung erfahren. Es w\u00fcrde sich nicht nur um Druckgef\u00fchle handeln, sondern, \u00e4hnlich wie die Fl\u00fcssigkeit in einem gedrehten Glase sich nicht gleich mit dreht, w\u00fcrde die Endolymphe die, den Kan\u00e4len vom Kopfe aus ertheilten Bewegungen nicht gleich mitmachen, und es w\u00fcrde demgem\u00e4ss Reibung an den W\u00e4nden (Biegung der H\u00e4rchen) entstehen m\u00fcssen, wenn eine Beschleunigung oder ein Bewegungsantrieb die Kan\u00e4lchen trifft. Wenn jedoch fraglich erscheint, ob die Fl\u00fcssigkeit in so engen langen Kan\u00e4lchen bei den in Betracht kommenden schwachen Beschleunigungen in Bewegung kommt, so wird dabei doch jedenfalls eine Aenderung in der Pressung der Fl\u00fcssigkeit gegen die Wandungen zu erwarten sein. Diese Vorg\u00e4nge treten in starker und durch andere Gef\u00fchle kaum contro-lirter Weise beim Schwindel nach Drehbewegungen ein, und w\u00e4hrend die dabei auftretende St\u00f6rung des Gleichgewichts auf die Erregung in den halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4len bezogen wird, erkl\u00e4ren sich umgekehrt die Erscheinungen bei Durchschneidung der Kan\u00e4le aus der Abnormit\u00e4t der dann eintretenden Druck- oder Bewegungsempfindungen.\n186\tMach, Versuche \u00fcb. d. Gleichgewichtssinn. Sitzgsber. d. Wiener Acad. Nov. 1873. Derselbe, Grundlinien d. Lehre v. d. Bewegungsempfindungen. Leipzig 1875.\n187\tBreuer, Jahrb\u00fccher d. Ges. d. Aerzte. Wien 1874 u. 75.\n188\tCrum Brown, On the sense of rotation. Journ. of Anatomy and Physiol. VIII.","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Durchschneidung der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le.\n141\nGegen diese Ansichten, die ja theoretisch wohl begr\u00fcndete sind, macht Cyon(185) geltend, dass die Thiere bei Durchschneidung des N. acusticus nach Rotationen noch durchaus dieselben Schwindelerscheinungen zeigen, wie wenn sie intact w\u00e4ren. Es w\u00fcrden also doch die Druckdifferenzen keine solche physiologische Bedeutung f\u00fcr das Schwindelgef\u00fchl und somit f\u00fcr die Erhaltung des Gleichgewichts haben, als man anzunehmen geneigt war. Auch Tomaszewicz hat in zahlreichen Versuchen gefunden, dass die Schwindelerscheinungen v\u00f6llig unabh\u00e4ngig von den verschiedenartigsten Eingriffen auf das Labyrinth sind.\nCyon stellt die Ansicht auf, dass wir in den Kan\u00e4len ein Organ f\u00fcr den Raumsinn besitzen. Er findet, dass die nerv\u00f6sen Centren der halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le in inniger Beziehung zu dem Centrum des Oculomotorius stehen, und daher ihre Reizung in entscheidender Weise in die Bildung unserer Erfahrungen \u00fcber das Vorhandensein und die Dimensionen des Raums eingreifen kann ; namentlich verm\u00f6ge der Lage der Bogen, welche einigermaassen den drei Coordinaten des Raums entsprechen. Wenn ich die Ansicht Cyon\u2019s richtig verstehe, w\u00fcrde also durch die Gef\u00fchle in den Kan\u00e4len f\u00fcr unseren Kopf und folglich den ganzen K\u00f6rper der festgelegte 0-Punkt der drei Coordinaten des Raums geschaffen werden, von dem aus man den Raum mit H\u00fclfe der Sinnesorgane und deren Bewegungen durchforschen kann. Die von Cyon angewendete Bezeichnung \u201enotion de l\u2019espace\u201c w\u00e4re dann etwa als \u201eBewusstsein unserer Lage im Raum\u201c zu \u00fcbersetzen. Durch die Gef\u00fchle in den halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4len w\u00fcrde also der Theil unseres Selbstbewusstseins eine Erkl\u00e4rung finden, welcher es bewirkt, dass wir nach unserem urspr\u00fcnglichen Gef\u00fchl uns als Mittelpunkt erscheinen, um welchen sich alle K\u00f6rper drehen. Wir kennen aber bis jetzt keinen Fall, wo dies Gef\u00fchl nicht vorhanden oder verloren gegangen w\u00e4re, w\u00e4hrend die halbcirkelf\u00f6rmigen Kan\u00e4le mutkmaasslick bei Taubstummen nicht immer functionsf\u00e4hig sind und in der That derartige Befunde schon verzeichnet sind.*\nEs werden unter dem Namen der MENi\u00c8RE\u2019schen Krankheit189 Leiden beschrieben, welche (als eine Art von Ohrenglaukom) Taubheit und Schwindelgef\u00fchle mit, sofern den ja sehr schwierigen Sectionen zu trauen ist, Erkrankung des Labyrinths, nachweisen. Soweit ich mich habe orientiren k\u00f6nnen, trage ich Bedenken, daraus Thatsachen und Schl\u00fcsse f\u00fcr die Physiologie zu entnehmen.\nEs kann zweifelhaft sein, ob die Durchschneidungen zu L\u00e4hmun-\n* Compt. rend. XXXI. p. 569.\n189 Meni\u00e8re, Gazette m\u00e9dicale de Paris, p. 29, 25, 88, 239, 379, 597.","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nHensen, Physiologie des Geh\u00f6rs. Anhang. Experimente etc.\ngen oder zu Reizungen f\u00fchren. L\u00f6wenberg 190 hat, mit H\u00fclfe der schon von Flourens benutzten Exstirpation des Grosshirns oder mit H\u00fclfe der Narkose, also den Willen des Thiers ausschliessend, gefunden, dass es sich bei den Pendelbewegungen um Reizungserscheinungen reflectorischer Art handelt. Dieselben treten auf als unmittelbare Folge des Eingriffs und wenn \u00e4ussere Anst\u00f6sse reizend wirken. Wir d\u00fcrfen mit Breuer die Reizungen durch den Ausfluss der Endolymphe gesetzt denk\u00e9n, denn dabei wird die Fl\u00fcssigkeit an der Crista acustica vorbeistr\u00f6men. In der That n\u00e4sst die Wunde geraume Zeit hindurch. Die Pendelbewegungen sind, wenigstens f\u00fcr den horizontalen und \u00e4usseren Kanal der Art, dass sie dem Ausfluss und dessen Folgen entgegen wirken, wenn aber beide horizontalen Kan\u00e4le durchschnitten sind, so beschleunigt die Drehung f\u00fcr den einen Kanal die Bewegung der Fl\u00fcssigkeit um ebensoviel, wie sie dieselbe im anderen Kanal hemmt, w\u00e4hrend der Ausfluss f\u00fcr die Vertikalkan\u00e4le zum Ueber-kugeln f\u00fchren muss. Dabei ist es gleichg\u00fcltig, ob die gesetzten Empfindungen Ger\u00e4usche sind oder sonst peinliche Gef\u00fchle. Jedenfalls scheint es noth wendig, eine Beziehung zwischen gewissen Muskelgruppen und den Ampullennerven anzunehmen.\nAls Besonderheit sind noch Beobachtungen \u00fcber dauernde Aen-derung der Kopfhaltung bei Mangel des Labyrinths zu erw\u00e4hnen. Vulpian (l77-s. 002) beschreibt eine solche von einem Hahn und ausf\u00fchrlicher Munk191 von einer Taube, bei welcher rechts nicht die mindeste Spur der Bogeng\u00e4nge vorhanden war, welche sich links normal verhielten. Ueber 6 Monate lang war bei der Taube der Kopf 90\u00b0 um die sagittale Axe nach rechts, 45\u00b0 um die verticale Axe nach links herumgedreht. Der Schnabel stand nach links und vorn, das rechte Auge sah gerade nach oben, das linke nach unten. Die Taube konnte nicht fliegen, war aber sonst normal. Der Hahn hatte sich die Verletzung im Kampf zugezogen, \u00fcber die Vorgeschichte der Taube war nichts zu ermitteln, ihr Tod erfolgte pl\u00f6tzlich. Es ist bis auf Weiteres vielleicht zu glauben erlaubt, dass in diesen F\u00e4llen unbemerkt gebliebene St\u00f6rungen im Gehirn die Erscheinungen mit verursacht haben, da bei Zerst\u00f6rung des Acusticus einer und beider Seiten von solchen Symptomen nichts beobachtet ist. 192 (182)\n190\tL\u00f6wenberg, Arch. f. xlugen- u. Ohrenheilkunde. III. 1872.\n191\tMunk, Verh. d. physiol. Ges. 16. Juli 1878. Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1878.\n192\tSchief, Lehrb. d. Physiol. S. 399. Lahr, Schauenburg. 1858/59.","page":142}],"identifier":"lit19187","issued":"1880","language":"de","pages":"1-142","startpages":"1","title":"Zweiter Theil: Physiologie des Geh\u00f6rs","type":"Book Section","volume":"3"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:05:37.666347+00:00"}