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{"created":"2022-01-31T12:29:51.494369+00:00","id":"lit1938","links":{},"metadata":{"alternative":"Archiv f\u00fcr Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin","contributors":[{"name":"K\u00fchne, Willy","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Archiv f\u00fcr Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin: 564-642,748-835","fulltext":[{"file":"p0564.txt","language":"de","ocr_de":"564\nW. K\u00fchne:\nUntersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nde-\no\tO \u00d6\nrungen der contraktilen Substanzen.\nVon\nDr. W. K\u00fchne.\nDie nachstehenden Untersuchungen, welche ich hiermit im Zusammenhang der Oeffentlichkeit \u00fcbergebe, wurden im Laufe des letzten Winters und des j\u00fcngsten Fr\u00fchjahrs ausgef\u00fchrt. Sie sind als Vorarbeiten einer physiologisch-chemischen Arbeit zu betrachten, welche sich die Aufgabe stellt, den durch die Muskelbewegung bewirkten Stoffwechsel in seiner Beziehung zur Leistung des Thierleibes n\u00e4her zu erforschen. Die feste Ueberzeugung, dass zur gedeihlichen Entwickelung der Physiologie die chemische Untersuchung mit dem physiologischen Experimente Hand in Hand gehen m\u00fcsse, legte vor allen Dingen die Anforderung nahe, das Gebiet derj Reizversuche nach einer Richtung auszudehnen, in welcher sie dem Chemiker als wirkliche Handhabe dienen k\u00f6nnen. Mehr beanspruchen die folgenden Mittheilungen nicht. G\u00fcnstige \u00e4ussere Verh\u00e4ltnisse, namentlich der t\u00e4gliche Verkehr mit meinem Freunde und Lehrer, Herrn Claude Bernard, der mir sowohl im Coll\u00e8ge de France, wie in der Sorbonne ein geeignetes Laboratorium zur ausschliesslichen Verf\u00fcgung stellte, waren die besondere Veranlassung zu diesen physiologischen Studien. Es sei mir darum gestattet, f\u00fcr die erfahrene Gastfreundschaft meinen w\u00e4rmsten Dank bei dieser Gelegenheit auszusprechen.\nI. Ueber die Endigungsweise der Nerven in den Muskeln.\nUm die physiologische Leistung eines Muskels kennen zn lernen, ist es durchaus n\u00f6thig zu wissen, durch welche Ein-","page":564},{"file":"p0565.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 565\nfl\u00f6sse seine Th\u00e4tigkeit erweckt werden k\u00f6nne. Dass in den meisten F\u00e4llen der erregte motorische Nerv diese Rolle \u00fcbernimmt, ist unzweifelhaft, und es ist daher eine der gr\u00f6ssten Aufgaben, den n\u00e4heren Vorgang bei der Uebertragung der Erregung vom Nerven auf den Muskel kennen zu lernen, ln so weiter Ferne dieses Ziel auch noch liegen mag, d\u00fcrfen wir gleichwohl hoffen, den richtigen Weg dahin zu finden. Die anatomische Untersuchung und das Experiment m\u00fcssen beide den Nerven bei seinem Eintritt in den Muskel verfolgen, es wird sich dann zeigen, ob die eine Methode weiter reicht, als die andere. Wir beginnen mit der einfachsten auf Beschauung begr\u00fcndeten :\nAnatomischen Untersuchung.\nSeit l\u00e4ngerer Zeit mit Beobachtungen \u00fcber Reizung der Muskeln besch\u00e4ftigt, bin ich bei dem dazu verwendeten Muse. Sartorius des Frosches auf einen so gl\u00fccklich organisirten Apparat gestossen, dass ich Veranlassung nehmen musste, grade hier die Nervenverbreitung genauer zu studiren. Der Sartorius ist ein Muskel, welcher etwa an seinem mittleren Dritttheil etwas nach unten zu, an der Seite seines inneren scharfen Randes einen einzigen sehr d\u00fcnnen motorischen Nervenstamm (a. Fig. 1) empf\u00e4ngt, der in senkrechter Richtung zum Verlauf der Muskelprimitivb\u00fcndel in denselben eintritt. Schon mit dem unbewaffneten Auge erkennt man, dass der Nerv gleich nach seinem Eintritt mehrfache Thei-lungen erf\u00e4hrt, aus welcher sehr zarte F\u00e4den hervorgehen, die sich nach beiden Seiten hin allm\u00e4lig dem Blicke entziehen. Um diese Theilung besser verfolgen zu k\u00f6nnen, ist es n\u00f6thig, das Mikroskop zu Rathe zu ziehen, und da der Muskel selbst im g\u00fcnstigsten Falle, wenn man \u00fcber \u00e4usserst kleine Fr\u00f6sche disponiren kann, an Durchsichtigkeit mit manchen anderen platten Muskeln nicht wetteifern kann, so muss man ihn vorher so zubereiten, dass er diese Eigenschaft in mehr oder minderem Grade erh\u00e4lt. Sartorii von sehr kleinen jungen Fr\u00f6schen werden nach 24 Stunden in Salzs\u00e4ure von 0,1 pCt. fast so durchsichtig wie Glas und da diese Ver\u00e4nderung vorzugsweise die contractile Substanz und das Bindegewebe betritft, so erscheinen die\nReichert\u2019s u. du Bois -Reymond\u2019s Archiv. 1859.\t37","page":565},{"file":"p0566.txt","language":"de","ocr_de":"566\nW. K ii !) n e :\nt\tNerven darin ausserordentlich deut-\nlich als feine weisse Str\u00e4nge und F\u00e4den, welche mit gr\u00f6sster Leichtigkeit innerhalb des ganzen Muskels verfolgt werden k\u00f6nnen. Das Bild, das sich an einem so hergerichteten Muskel bei 250 f\u00e2cher Vergr\u00f6sserung entfaltet, ist folgendes: Gleich nachdem der Nerv eingetreten, theilt er sich in 2Aeste, einen oberen und einen unteren (c), welche in entgegengesetzter Richtung nach den beiden Enden des Muskels hin ihrem Ziele zugehen. Schon sogleich nach der erstenThei-lung aber weichen wieder einige Fasern (f. f.) von ihrem urspr\u00fcnglichen Wege ab, um sich auf die entgegengesetzte Seite zu begeben, und bei der folgenden Theilupg der beiden genannten Nervenst\u00e4mmchen wiederholt sich dieselbe Anordnung zum zweiten Male in der Weise, dass die f\u00fcr die beiden seitlichen Fl\u00e4chen des Muskels bestimmten F\u00e4den manchmal unter Erzeugung wahrer Kreuzungen (xx) auf die entgegengesetzten Seiten \u00fcbertreten. So entsteht das Bild von Nervenschlingen, in welchen wir nichts weiteres erkennen, als eine hartn\u00e4ckige Neigung zur Blexusbildung, welche allen Nervenst\u00e4mmen gemeinsam ist, und welche sich bis dicht vor dem Ziele oder dem Endappa-\n1) Fig. 1. Ein Sartorius 2'/> Mal vergr\u00f6\u00dfert. Die Zeichnung ist nach mehreren mikroskopischen Bildern zusammengesetzt. A. Die untere spitze Sehne am Kniegelenk. B. Die kurze breite Sehne, mit welcher der Muskel vom Os ilium entspringt.","page":566},{"file":"p0567.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und 'Ver\u00e4nderungen u. s. w. 567\nrate derselben erh\u00e4lt. Seit den folgenreichen Entdeckungen R. Wagner\u2019s aber sind alle diese Bildungen ausschliesslich auf das Bereich der St\u00e4mme und selbst der intramuscalaren St\u00e4mmchen verwiesen. Die eigentliche Endigung der motorischen Nerven besteht in Theilungen der ,einzelnen Primitivfasern, welche sich ohne M\u00fche in allen Muskeln nach-weisen lassen. So ist also auch in dem Sartorius das eben geschilderte Bild der Schlingen auf einen sehr engen Raum beschr\u00e4nkt, indem dasselbe nur in der n\u00e4chsten Umgebung der Nerveneintrittsstelle beobachtet werden kann. Nach beiden Seiten davon, nach oben und unten also, bei der vorwiegenden L\u00e4ngsdimension dieses Muskels, erkennt das Auge aber ein ganz verschiedenes Verhalten. Die einzelnen aus den Schlingen hervorkommenden Primitivfasern (p. p.) beginnen ihren Weg nun gemeinsam mit den Muskelb\u00fcndeln, fast parallel zwischen ihnen liegend fortzusetzen, um immer weiter nach den Endpunkten des Muskels zu, jede einzeln in secun-d\u00e4re R\u00f6hren durch gabelf\u00f6rmige Theilungen zu zerfallen, h\u00e4utig unter Bildung von nachweisbaren terti\u00e4ren R\u00f6hren, welche aus der Theilung der secund\u00e4ren hervorgegangen. Pl\u00f6tzlich aber verschwinden diese Fasern ganz und das beste Mikroskop zeigt in der N\u00e4he der Endpunkte des Muskels selbst mehrere Millimeter vordenselben (inE.E.), garkeineNer-venelemente mehr. Man wird einwenden, dass die Betrachtung des ganzen unzerfaserten Muskels hier nicht mehr competent sei, und ich habe mich deswegen zur feineren Untersuchung eines anderen Verfahrens bedient. Ich kenne kein besseres Mittel, um die Muskeln mit ihren Nerven klarer vor dem Auge auszubreiten, als die Betrachtung ganz frischer noch zuckungsf\u00e4higer Fasern. Ich reisse oder schneide aus dem Sartorius einen langen und schmalen Streifen heraus und isolire die einzelnen Primitivb\u00fcndel mittelst der Nadel der Art, dass sie alle nur in einem Punkte an einander haften bleiben. So kann man an einem frischen und darum sehr weichen Muskel viele einzelne Primitivb\u00fcndel sternf\u00f6rmig um einen Punkt herum gruppiren. Ohne eine Fl\u00fcssigkeit zuzusetzen und ohne das Pr\u00e4parat mit dem Deckgl\u00e4s-\n37*","page":567},{"file":"p0568.txt","language":"de","ocr_de":"568\nW. K ii h n e :\neben zu bedecken, bescbaue ich es hierauf bei starker Ver-gr\u00f6sserung und da findet man dann aufs Sch\u00f6nste viele Nervenfasern ganz isolirt zwischen den Muskelb\u00fcndeln liegen, h\u00e4ufig sogar an den Stellen isolirt, wo die Primitiv-fasern sich theilen, und wenn das Gl\u00fcck den Suchenden beg\u00fcnstigt,_ ereignet es sich auch wohl, dass man eine secun-d\u00e4re Faser an ein Muskelb\u00fcndel herantreten sieht, um mit diesem unter Bildung einer schwachen kolbigen Anschwellung scheinbar zu verschmelzen. Dass diese Verbindung von Muskel und Nerven ziemlich solider Natur sei, konnte ich einige Male dadurch erkennen, dass der Nerv mit dem abgeschnittenen ganz isolirten Muskelprimitivb\u00fcndel eben so gut in der nachtr\u00e4glich zugesetzten Fl\u00fcssigkeit (Na CI von 0,5 pCt.) herumgeschwenkt werden konnte, wie letzteres durch Zerren au der mit dem Nervenstamme noch zusammenh\u00e4ngenden Nervenr\u00f6hre, ohne dass eine Verkn\u00fcpfung durch umliegendes Bindegewebe nachzuweisen gewesen w\u00e4re. Alle Bem\u00fchungen, welche ich angewendet, um in das Muskelrohr hineinzuschauen, blieben indessen erfolglos, da es mir mit keinem Reagens gelingen wollte, den Nerven auf der inneren Seite des Sar-kolemms wieder zu finden. Die Beobachtung ganz frischer Froschmuskeln gestattet also einigermassen den Verlauf der Nerven im Muskel zu erkennen, so lange sich jene ausserhalb des Sarkolemms befinden und deswegen sei hier noch hinzugef\u00fcgt, dass man bei der gewissenhaftesten Durchmusterung aber auch Stellen im Muskel findet, welche niemals Nerven enthalten. Im Sartorius des Frosches ist dies constant der Fall dicht vor den beiden Endpunkten, so zwar, dass der ganze Muskel nervenhaltig befunden wird, mit Ausnahme einer Strecke von 2\u20145 Mm. f\u00fcr das obere breite Ende von 1\u20143 Mm. f\u00fcr den unteren spitzen Zipfel, je nach der Gr\u00f6sse des angewendeten Frosches. Dasselbe, was sich hier bei der Zerfaserung dieser Theile zeigt, tritt ebenfalls sehr deutlich bei der Betrachtung des ganzen mit stark verd\u00fcnnter HCl durchsichtig gemachten Muskels hervor, selbst an gr\u00f6sseren Exemplaren, welche eben so gut untersucht werden k\u00f6nnen, wenn mau sich des einfachen Kunstgriffes bedient, die-","page":568},{"file":"p0569.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 569\nselben ihrer ganzen L\u00e4nge nach mit einem haarscharfen Ra-sirmesser in 2 Platten zu spalten, was ohne wesentliche Zerreissangen von Muskelb\u00fcndeln oder Nervenfasern ausgef\u00fchrt werden kann.\nWeit entfernt dem mitgetheilten Befund irgend welche Bedeutung beizulegen, muss ich noch daran erinnern, dass derselbe Niemanden befremden kann, der \u00fcberhaupt Muskeln auf ihre Nervenverbreitung untersucht hat. Kolli ker behauptet sogar gradezu, dass selbst an dem so \u00e4usserst nervenreichen, bekannten und von Reichert genauer beschriebenen Brusthautmuskel des Frosches Stellen zu finden seien, wo in gr\u00f6sserer Ausdehnung gar keine Nerven verk\u00e4men1), und dass die Nervenverbreitung im Omohyideus des Menschen eine ganz beschr\u00e4nkte, fast nur an der Eintrittsstelle des Nerven gelegene Vorrichtung sei.2)\nDa die letzten anatomischen Formen, durch welche der Nerv mit der contraction Substanz verbunden ist, noch nicht bekannt sind, so l\u00e4sst sich aus dem nicht mehr Sehen oder Aufh\u00f6ren der Nerven, wie es bisher beschrieben ist, nur wenig Verwertbares f\u00fcr die Physiologie schliessen, und ich habe deswegen alle m\u00f6gliche M\u00fche aufgewendet, um das wirkliche intramusculare Ende zu finden. Alle Muskeln der Wirbeltiere zeigten mir immer wieder dasselbe Bild; es war unm\u00f6glich andere Nerven als diejenigen ausserhalb des Sarko-lemms zu sehen, bei den h\u00f6heren Wirbeltieren gelang es nicht einmal, den beim Frosch unzweifelhaften organischen Zusammenhang zwischen der Primitivfaser und dem Muskelprimitivb\u00fcndel isolirt zu erkennen. Das Bindegewebe, welches letztere an einander heftet, ist hier viel derber, und die Isolirung der B\u00fcndel ohne sehr kr\u00e4ftig wirkende Reagentien kaum m\u00f6glich. Trotz alledem gewinnt man leicht die Ueber-zeugung, dass alle Nerven markhaltig sind. Entzieht sich die letzte Ausbreitung dem Blicke, so geschieht dies nie der\n1) K\u00f6lliker, Untersuchungen \u00fcber die Wirkung der Gifte. Virchows Archiv Bd. X. S. 63.\n1) K\u00f6lliker, Handbnch der Gewebelehre.","page":569},{"file":"p0570.txt","language":"de","ocr_de":"570\nW. K\u00fchne:\nArt, dass man zuerst das Mark verschwinden sieht, vielmehr scheinen sich die doppelten Contouren gleichm\u00e4ssig zu verlieren. Eigenth\u00fcmliche Form des Bindegewebes, theils geschl\u00e4ngelte, theils straffe, vielfach anastomosirende Fasern, welche in mannichfachen Windungen die Primitivb\u00fcndel umziehen und welche wohl kaum als k\u00fcnstliche Producte einer ganz homogenen Bindesubstanz betrachtet werden d\u00fcrfen, scheinen Veranlassung zu der Meinung gegeben zu haben, dass die Nerven in den Muskeln Scheide und Mark verl\u00f6ren, so dass sie zuletzt als nackte Axencylinder zwischen den Primitivb\u00fcndeln verliefen. Schiff, der dieser Ansicht huldigt, erw\u00e4hnt \u00fcbrigens selbst, dass jene nackten Axencylinder sehr leicht mit Bindegewebe verwechselt werden k\u00f6nnten. Da er sich aber jeder weiteren Andeutungen enth\u00e4lt \u00fcber die Unterschiede, welche ihn selbst beide Formen trennen Hessen, so muss seine Angabe gewiss mehr f\u00fcr ein subjectives Be-d\u00fcnken, als f\u00fcr das Resultat einer Untersuchung angesehen werden. Bei den Froschmuskeln sieht man ganz bestimmt, dass der Nerv seine Markscheide nicht verliert, \u00fcberall, wo man ihn unzweifelhaft an das Sarkolemm herantreten sieht, besitzt er seine ganz unver\u00e4nderte Structur, ja es scheint sogar, als wenn die Scheide hier meist st\u00e4rker entwickelt sei.\nWenn ich nicht irre, sind es Meissner1) und Munk2), welche bei wirbellosen Thieren zuerst ein unzweifelhaftes Durchbrechen des Nerven durch das Sarkolemm beobachtet haben, Thatsachen, welche bisher noch nicht gen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt worden, bei ihrem grossen allgemeinen Interesse.\nDie ausserordentliche Durchsichtigkeit der Muskeln vieler Wirbellosen, sowie die lange Dauer ihrer Erregbarkeit bestimmte mich auch bei diesen Thierclassen die Ner-venverbreitungen in den Muskeln zu studiren. Durch die herrliche Arbeit Br\u00fccke\u2019s \u00fcber das Verhalten der Muskeln in polarisirtem Lichte, in welcher recht augenscheinlich gezeigt ist, bis zu welcher ausserordentlichen Feinheit die Form erkannt werden kann, wenn alle optischen Fl\u00fclfsmittel mit Geschick dem Objecte angepasst werden, wurde meine Auf-\n1)\tZeitschr. f. w. Zoologie Bd. V\n2)\tG\u00f6ttinger Nachrichten. J. 58. 1.","page":570},{"file":"p0571.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 571\nmerksamkeit namentlich auf die Muskeln der K\u00e4fer hingeleitet. Die contractile Substanz bleibt hier selbst an sehr kleinen isolirten Muskelst\u00fcckchen so lange im Besitze der Erregbarkeit, und bewahrt ihren durchsichtigen Zustand der Art, dass es ganz \u00fcberfl\u00fcssig ist, irgend welche Reagentien anzuwenden, falls man das Innere des Sarkolemms erkennen will. In den tracheenarmen Beinmuskeln von Hydrophile piceus oder von Oryctes nasicornis findet man ein Object, das zur Erkennung des Endapparates des motorischen Nerven ungemein geeignet ist. Um unn\u00d6thiges Zerreissen der Nervenfasern zu vermeiden, thut man gut, die kleinen Muskel-St\u00fcckchen, welche man unter das Mikroskop bringt, sehr schmal, daf\u00fcr aber m\u00f6glichst lang zu nehmen, und dieselben auf dem Objecttr\u00e4ger nur sehr schwach aus einander zu zerren. Ein solches Pr\u00e4parat bleibt dann noch mehrere Stunden in demselben Zustande, wie w\u00e4hrend des Lebens, zumal wenn man es in dem eigenen Blute der Thiere bewahrt. Alle einzelnen Muskelb\u00fcndel zeigen die vielfach beschriebenen wellenf\u00f6rmigen Bewegungen der contractilen Substanz, so dass das Bild ein best\u00e4ndig wechselndes wird. Das Sar-kolemm ist hier von ausserordentlicher Feinheit und wie es scheint, auch ganz structurlos. Hier und da sieht man aber auf demselben eingezogene krause Stelfcn, in deren Umgebung sich lappige Anh\u00e4ngsel finden, mit einem oder mehreren blassen Kernen versehen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass diese Gebilde die Reste von abgerissenen Nerven sind, sie f\u00fchrten mich zuerst dahin, grade hier auf die Letzteren genauer Acht zu geben, und es ist in der That nicht schwer, in einem mit Schonung hergerichteten Pr\u00e4parat eine Menge von Nerven zu finden, welche man eine grosse Strecke weit \u00fcber das Gesichtsfeld verfolgen kann, und welche man endlich an den Ort ihrer Bestimmung ankommen, d. h. mit Zur\u00fccklassung der Scheide das Sarkolemm durchbrechen sieht. Nicht selten ist es mir gelungen, ein Muskelst\u00fcckchen so herauszuschneiden, dass dasselbe noch an einem St\u00fcck des ansehnlichen Beinnerven hing und beide zusammen dann der Beobachtung zu unterwerfen.","page":571},{"file":"p0572.txt","language":"de","ocr_de":"572\nW. K\u00fchne:\nDie Nerven von Hydrophilus piceus lassen eine deutliche kernhaltige Scheide erkennen, welche schwach l\u00e4ngsstreifig ist und den ziemlich dicken Nerven wie ein straffes Gewand umgiebt. Obgleich die Ansicht sehr verbreitet ist, dass die peripherischen Nerven der Wirbellosen mehr den sogenannten grauen sympathischen Fasern des Wirbelthieres entsprechen, muss ich doch ganz bestimmt hervorheben, dass in den unzweifelhaft motorischen Fasern der Beine bei den Insecten ganz entschieden dunkelrandige, markhaltige Frimitivfasern Vorkommen, welche die gr\u00f6sste Masse derselben bilden. Es w\u00e4re m\u00f6glich, dass die motorischen und sensibeln Fasern bei den Wirbellosen verschiedene Structur besitzen, wenigstens ist es unzweifelhaft, dass neben den allgemein bekannten grauen Fasern auch h\u00e4ufig breite markhaltige Vorkommen, wie beim Flusskrebs nach Hae ekel, Remaku. A. oder bei Lamptjris splendidula nach Leydig. Das im Innern der Scheide liegende Mark ist minder gl\u00e4nzend als das der h\u00f6heren Thiere, gerinnt auch in weniger seltsamen Formen als bei jenen, es charakterisirt sich aber immer sehr deutlich gegen die Scheide hin, wo man eine sehr dicke und breite Linie die Grenze bezeichnen sieht. Nach der Axe der R\u00f6hre zu erscheint es schwach granulirt und nur selten sieht man hier hei der Gesinnung nochmals eine zarte dunkle Linie entstehen, welche das Mark von dem Axencylinder abgrenzt. Bei alledem bieten diese Nervenfasern doch immer ein Bild dar, welches sehr viel blasser als bei den Wirbelthieren ist, wenn auch der Strang als Ganzes, in welchem viele solcher Primitivfasern neben und \u00fcber einanderliegen, gar nicht verkannt werden kann. In einem anderen Punkte weichen indessen die motorischen Nerven der K\u00e4fer sehr von denen der h\u00f6heren Thierwelt ab, das ist in Betreff ihrer ausserordentlich zahlreichen Theilungen. Man sieht bisweilen eine Nervenr\u00f6hre in weiten Abst\u00e4nden 5 bis 6 secund\u00e4re Aeste abgeben, welche nicht selten in rechtwinkliger Richtung die Mutterr\u00f6hre verlassen. Nach der Peripherie zu werden sie etwas schmaler, wie auch die secund\u00e4ren Nerven nie so breit sind als die Stammfaser. In der Structur dagegen tritt gar","page":572},{"file":"p0573.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 573\nkeine Ver\u00e4nderung ein, man unterscheidet dicht vor dem Eintritt in das Sarkolemm noch sehr gut Scheide und Mark, ja auch mitunter ohne Anwendung von Reagentien einen ver-h\u00e4ltnissm\u00e4ssig breiten Axencylinder. Nach dem Durchtritt der Nerven durch das Sarkolemm sieht man auf der inneren Seite des Letzteren bei guter Einstellung in der Regel den nackten Axencylinder als ganz kurzen Stumpf in die contractile Substanz hineinragen, dicht daneben aber eine von der klaren einfach brechenden Grundsubstanz der Muskeln unterschiedene tr\u00fcbe Masse, welche mit einer anderen gleich zu beschreibenden Einrichtung in engster Verbindung zu stehen scheint.\nMan erinnert sich, dass Leydig f\u00fcr die Muskeln ein besonderes System von Hohlr\u00e4umen aufgestellt hat, unter welchem er alle bisher in den Muskeln als Kerne oder Muskelk\u00f6rperchen benannten, von der contractilen Substanz verschiedenen Bildungen zusammenfasste Diese Lehre hat durch Kolli ker die heftigsten Angriffe erfahren, der seinerseits Ley di g\u2019s Hohlr\u00e4ume allein auf die Kerne zur\u00fcckf\u00fchrt, sich selbst aber als den Entdecker wirklicher L\u00fccken bezeichnet, in welchen eine feine k\u00f6rnige Masse eingelagert sei. Es kann nicht dar\u00fcber gestritten werden, woran der Eine oder der Andere eine L\u00fccke erkannt habe, denn es ist gewiss, dass der Inhalt der L\u00fccke durch irgend etwas von dem umgebenden Geweben verschieden in der Lichtbrechung oder Durchsichtigkeit gewesen sein m\u00fcsse, da man sie sonst eben nicht h\u00e4tte sehen k\u00f6nnen. Kommen jene K\u00f6rnchenreihen K\u00f6lliker\u2019s nicht in gesonderten Gebilden vor, sondern liegen sie nur einfach in der Muskelsubstanz eingebettet, so ist es schliesslich dasselbe, ob man sagt: eine L\u00fccke mit einem K\u00f6rnchen darin, oder K\u00f6rnchen in der umliegenden Substanz. Nach meinen eigenen Beobachtungen kann ich nicht zweifeln, dass alle 3 Dinge constant in den Muskeln Vorkommen, n\u00e4mlich grosse, bl\u00e4schenartige Kerne, feine reihenweis angeordnete K\u00f6rnchen und endlich L\u00fccken von verschiedener Gr\u00f6sse, in welchen keine K\u00f6rnchen liegen \u2014 Vacuolen.","page":573},{"file":"p0574.txt","language":"de","ocr_de":"574\nW. K\u00fchne:\nDie Va\u00f6uolen sieht man vorzugsweise an ganz frischen Maskein. Sie sind in der Regel spindelf\u00f6rmig, scheinen zuweilen durch einen Canal je 2 oder 3 zusammfenzuh\u00e4ngen und verschwinden durch einen massigen Druck fast alle. Man sieht sie h\u00e4ufig an ganz frischen Froschmuskeln, welche man noch zuckend ohne Deckglas unter das Mikroskop bringt. Legt man das Deckglas auf, so verschwindet der gr\u00f6sste Theil, nur einige wenige bleiben, welche nicht alle dem st\u00e4rkeren Drucke weichen. Immer aber sind diese Vacuolen, selbst wenn sie best\u00e4ndig bleiben, sehr gut von den Kernen zu unterscheiden durch ihren eigenth\u00fcmlichen r\u00f6thlichen Glanz, um so mehr als Froschmuskeln ohne Behandlung mit Reagentien nur sehr schwierig die im Innern liegenden Kerne erkennen lassen. Die Reihen feiner K\u00f6rnchen, welche K\u00f6 1-liker zuerst beschrieben, finden sich in jedem Muskel \u00fcberall in seiner ganzen L\u00e4nge und d\u00fcrften schwerlich \u00fcbersehen werden k\u00f6nnen, wenn man danach sucht. Bei den Muskeln von Hydrophilus oder Oryctes sieht man nun von allen diesen Dingen sehr wenig, die grossen bl\u00e4schenf\u00f6rmigen Kerne sind sehr selten, und auch die feinen K\u00f6rnchen K\u00f6lliker\u2019s finden sich nur sehr vereinzelt. Jedes Primitivb\u00fcndel zeigt dagegen, und zwar w\u00e4hrend es noch reizbar und ganz unver\u00e4ndert ist eine oder mehrere Reihen von h\u00f6chst regelm\u00e4ssig angeordneten K\u00f6rnerz\u00fcgen, welche, wie es scheint, von Amici, dessen Originalabhandlung mir leider nicht zug\u00e4nglich ist, genauer ber\u00fccksichtigt wurden. Diese Gebilde durchziehen das Primitivb\u00fcndel f\u00fcr mehr oder minder grosse Strecken meist der Art, dass ein Streifen in der Axe und 2 andere am Rande hart unter dem Sarkolemm liegen, zwischen welchen sich hie und da Anastomosen befinden, aus denen manchmal noch ein 4ter Streifen hervorgeht.\nDie Abbildungen werden besser als jede Beschreibung die Beschaffenheit dieser Organe darstellen. Man sieht eine Reihe von schwach vierkantig verdr\u00fcckten kernartigen K\u00f6rpern hinter einander liegen, durch Zwischenr\u00e4ume getrennt, welche von sehr verschiedener L\u00e4nge sind, zuweilen die Gr\u00f6sse der K\u00f6rperchen (etwa 0,003'\") um das 4fache \u00fcber-","page":574},{"file":"p0575.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 575\ntreffen, h\u00e4ufig aber auch so gering sind, dass 2 K\u00f6rperchen sich fast unmittelbar ber\u00fchren. Diese R\u00e4ume werden dadurch sichtbar, dass in ihnen eine Substanz liegt, welche von der contractilen Materie des Muskels verschieden aussieht, n\u00e4mlich weniger klar und schwach granul\u00f6s oder staubig. Ob die reihenweis angeordneten K\u00f6rner, an welchen man nur sehr selten etwas dem Kernk\u00f6rperchen Analoges sieht, mit den zwischen ihnen liegenden tr\u00fcben band- oder canalartigen R\u00e4umen von einer Membran umschlossen sind, l\u00e4sst sich nicht sagen, wohl aber sieht man zuweilen eine Reihe solcher K\u00f6rner aus dem Querschnitt des Primitivb\u00fcn dels herausragen, wenn auch meist so, dass eine diffuse Masse von coagulirter Muskelsubstanz darum herumliegt. Beim Zusetzen von sehr verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure oder einer \u00e4usserst schwachen Kalilauge, welche die Insectenmuskeln fast bis zum Verschwinden durchsichtig machen, erkennt man die geschilderten Bildungen besonders deutlich, namentlich bei kurzer Einwirkung des Reagens. Nach l\u00e4ngerer Zeit leidet die Deutlichkeit aber ebenso wie die der Muskelsubstanz selbst. Durch diese Behandlung werden die K\u00f6rner etwas runzliger, was indessen zum Theil von der Zusammenziehung der Muskeln herr\u00fchren mag. Man sieht z. B. h\u00e4ufig, dass beim Uebergleiten einer Contractionswelle \u00fcber das Primitivb\u00fcndel, oder bei der allm\u00e4ligen Form Ver\u00e4nderung w\u00e4hrend des Eintritts der Todtenstarre die Zwischenr\u00e4ume zwischen den K\u00f6rnern breiter und k\u00fcrzer werden, und auch diese selbst ihre Form etwas \u00e4ndern. In diesem Zustande bringen sie eine Erscheinung hervor, als ob in dem quergestreiften Muskel B\u00e4nder mit noch breiteren Querstreifen l\u00e4gen.\nWie sich nachweisen l\u00e4sst, stehen die beschriebenen Organe mit den das Sarkolemm durchbrechenden Nervenfasern in Verbindung, im innigen Contacte. Jedes Mal, wenn man einen Nerven in das Sarkolemm eintreten sieht, findet man ihn gew\u00f6hnlich unmittelbar da, wo grade unter dem Sarkolemm ein solcher K\u00f6rnerzug entlang l\u00e4uft. Von dem Axen-cylinder sieht man dann, wie erw\u00e4hnt, nur einen kurzen Stumpf, er scheinst selbst granul\u00f6s zu werden und in diesem","page":575},{"file":"p0576.txt","language":"de","ocr_de":"576\nW. K\u00fchne:\nZustande identisch zu sein mit der zwischen den K\u00f6rnern liegenden Zwischensubstanz. Im Falle der Axencylinder nicht an einer solchen Stelle eintritt, gelingt es bisweilen dadurch \u00fcber sein Verbleiben Auskunft zu erhalten, dass das Muskel-primitivb\u00fcndet an diesem Orte auseinanderreisst, wo man ihn dann mit einer kurzen Biegung an eine mittlere K\u00f6rnerreihe sich anschliessen sieht.\nNach dem Vorgebrachten wird nun wohl die Annahme berechtigt sein, dass die K\u00f6rnerreihen der Insectenmuskeln nichts anderes sind, als Ausbreitungen des wahren intramuscularen Axencylinders der motorischen Nervenfasern. Die allerletzte Endigung dieser Apparate besteht darin, dass die reihenf\u00f6rmig angeordneten K\u00f6rner immer kleiner und kleiner werden, bis endlich das Auge die in regelm\u00e4ssiger Anordnung mit den Disdiaklassen durchsetzte contractile Substanz nicht mehr von den \u00e4ussersten Spitzen zu trennen vermag. Erw\u00e4hnt mag noch werden, dass eine einzige motorische Nervenfaser durch mehrere secund\u00e4re Aeste mit ein und demselben Muskelprimitivb\u00fcndel auf diese Weise in Verbindung treten kann.\nWelches Organ bei den Wirbelthieren die Vermittlung zwischen dem Nerven und dem Muskel \u00fcbernimmt, ist noch vollkommen unbekannt. M\u00f6chten die Histologen diese die ganze Nerven- und Muskelmechanik aufs Tiefste ber\u00fchrende Frage einer baldigen Entscheidung entgegen bringen. Es w\u00e4re m\u00f6glich, dass ein Theil der bisher als Kerne oder Hohlr\u00e4ume beschriebenen Formen f\u00fcr die Erkenntniss des intramuscularen Nerven einen Anhalt geben k\u00f6nnte. Wer dieselben einer n\u00e4heren Betrachtung unterwirft, wird finden, dass grosse Verschiedenheiten darunter existiren. Es giebt ganz platte, olivenf\u00f6rmige, schraubenartig gedrehte und gerunzelte, matt granulirte und dabei sehr blasse Kerne. In den feinen, vielfach ver\u00e4stelten Muskeln der Froschzunge kommt sogar eine Art von centralem Canal vor, der platte, wie Scheiben \u00fcber einander geschichtete Kerne oder \u201eK\u00f6rner\u201c enth\u00e4lt, bei denen eine gewisse Aehnlichkeit mit den K\u00f6rnerreihen der Insectenmuskeln unverkennbar ist, Das-","page":576},{"file":"p0577.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 577\nselbe sieht man auch mitunter bei den Fasern des platten Brustmuskels der Fr\u00f6sche.\nIn Uebereinstimmung mit der beim Frosch am Sartorius sich darstellenden Weise, verhalten sich auch die wirklich innerhalb des Sarkolemms befindlichen Nerven- bei Jnsecten. Hier wie dort ist der Muskel in der N\u00e4he der Nerveneintrittsstelle ungemein reich an Nervensubstanz, w\u00e4hrend weiter davon entfernt, nach beiden Richtungen hin die Nerven verschwinden, so dass die anatomische Untersuchung eine, auffallende Armuth oder sogar ein g\u00e4nzliches Fehlen der Nerven f\u00fcr gewisse Theile des Muskels oder des einzelnen Primitivb\u00fcndels ergiebt.\nNach dieser anatomischen Darstellung will ich jetzt versuchen zu zeigen, wie die\nExperimentelle Untersuchung\nebenfalls auf denselben Gegenstand ihr Ziel richten kann. Sicherlich giebt es keine physiologische Aufgabe, welche nicht auch von dieser Seite angegriffen werden k\u00f6nnte. Die man-nichfache Abwechselung, welche die k\u00fcnstliche Ver\u00e4nderung der nat\u00fcrlichen Bedingungen gestattet, worin doch nur das Experiment besteht, dient auch hier zu einem sicheren F\u00fchrer und Pr\u00fcfstein. Wir schliessen uns zu dem Ende hier ganz an Das an, was die Anatomie lehrt, und beginnen Schritt f\u00fcr Schritt den Nerven bei seinem Eintritt in den Muse. Sartorius zu verfolgen.\nEin sehr einfacher Versuch beweist zun\u00e4chst, dass die Punkte des Sartorius in der N\u00e4he der Nerveneintrittsstelle in wirksamer Verbindung mit dem motorischen Nerven sind. Man braucht eben nur allm\u00e4lig St\u00fccke von beiden Enden des Muskels abzuschneiden, um zu finden, dass das jedesmal gewonnene Mittelst\u00fcck durch schwache elektrische, chemische oder mechanische Reizung des Nervenstammes zur Contraction gebracht werden kann, und dass selbst das kleinste Muskelst\u00fcckchen, welches man dem Nerven ohne Zerst\u00f6rung der Theile anhaften zu lassen vermag, ganz dasselbe Pb\u00e4-","page":577},{"file":"p0578.txt","language":"de","ocr_de":"578\nW. K\u00fchne:\nnomen zeigt. Es kann also kein Zweifel dar\u00fcber sein, dass der Nerv bei seinem Eintritt in das Paquet von Muskelprimitivb\u00fcndeln sofort zur Herrschaft \u00fcber dieselben gelangt, dass also die erforderliche Verkn\u00fcpfung von Muskel und Nerv nicht ausschliesslich an die beiden Enden des Sartorius verlegt ist, bei welchen sich sogar sehr wesentliche Verschiedenheiten gegen\u00fcber der Anordnung in dem Mittelst\u00fcck nachweisen lassen.\nJ. Rosenthal hat den interessanten Nachweis gef\u00fchrt,1) dass der motorische Nerv viel leichter durch geringere elektrische Stromesschwankungen erregt werden kann, als der Muskel selbst bei directer Reizung, dass der Nerv n\u00e4mlich erregbarer ist als der Muskel. Bei ausschliesslicher Anwendung des elektrischen Reizes darf also von vornherein vorausgesetzt werden, dass ein Muskel, welcher viele intramus-culare Nerven enth\u00e4lt, erregbarer sei, als ein anderer, welcher deren weniger besitzt, oder dass ein und derselbe Muskel von den Punkten aus leichter zur Zuckung veranlasst werden k\u00f6nne, wo er reich an Nerven ist, als von solchen, wo dies nicht der Fall ist. Die Voraussetzung best\u00e4tigt sich nun f\u00fcr den Sartorius des Frosches in auffallender Weise.\nWir legen den sorgf\u00e4ltig pr\u00e4parirten und ohne jede Verletzung, selbst ohne Anlegung eines Querschnittes isolirten Muskel, welcher nach unten von seiner spitzen Sehne am Kniegelenk, nach oben von seinem sehr kurzen und breiten sehnigen Ans\u00e4tze am Os ilium begrenzt ist, auf die durch 2 feine Platindr\u00e4hte gebildeten Elektroden der secund\u00e4ren Spirale des du Bois\u2019sehen Schlittenelektromotors. Die Anordnung ist der Art, dass die constant um 2 Mm. von einander entfernten parallelen Elektroden (e e e e Fig. 2), welche der Bequemlichkeit wegen mit halber Dicke in eine feste Guttapercha- oder Glasplatte eingelegt sind, dem Muskel etwas oberhalb der Nerveneintrittsstelle anliegen (in a), und zwar in einer zum Verlauf der Faserung senkrechten Rich-\nt) Moleschott\u2019s Untersuchungen z. N. d. M. u. d. Th. 1857.","page":578},{"file":"p0579.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 579\ntung. Nach dem Vorg\u00e4nge Rosenthal\u2019s entfernen wir nun die secund\u00e4re Spirale des InduC-tionsapparats, dessen Elektromotor in einem Grove\u2019sehen Element besteht, so weit von der prim\u00e4ren Rolle, dass das Hinwegr\u00e4umen einer in den se-cund\u00e4ren Kreis vor dem Muskel angebrachten Nebenschliessung keine Zuckung verursacht. \"W\u00e4hrend der Apparat in Th\u00e4tigkeit bleibt, wird nun die secund\u00e4re Spirale langsam an die prim\u00e4re angeschoben und erst dann in Ruhe gebracht, wenn der Muskel die ersten Spuren von Zuckungen zeigt. F\u00fcr den Fall, dass die Pr\u00e4paration ohne Fehl war, dass der verwendete Frosch sich in den g\u00fcnstigsten Umst\u00e4nden befand, beginnen diese Zuckungen sogleich in der ganzen L\u00e4nge und Breite des Muskels, w\u00e4hrend anderen Falls die Zuckungen nur fibrill\u00e4r sind, wenn der \"Werth der durch die jedesmalige Stellung der se-cund\u00e4ren Rolle bedingten Stromesschwankungen diejenige Gr\u00f6sse erreicht, bei welcher zuerst Reizung erzielt wird. Jetzt lege man den Muskel statt mit irgend einer Stelle seiner Mitte mit einer dicht vor dem oberen Ende gelegenen Strecke (b) auf die Elektroden und lasse denselben Reiz durch Aufhebung der Nebenschliessung einwirken. Ohne Ausnahme entsteht nun in diesem Falle niemals Zuckung, die Erregung ist f\u00fcr diese Anordnung nicht mehr ausreichend und man ist in der Regel gen\u00f6thigt, die secund\u00e4re Rolle noch um mehrere Centimeter der prim\u00e4ren zu n\u00e4hern, um Zuckung zu erhalten, welche dann aber ebenfalls sogleich \u00fcber die ganze L\u00e4nge des Muskels sich verbreitet. Der erste Einwurf, welcher sich hier nun entgegenstellt, besteht darin, dass der Muse. Sartorius schwach pyramidal geformt ist, und das\nFig. 2.","page":579},{"file":"p0580.txt","language":"de","ocr_de":"580\nW. Tv ij h n e :\nseine breitere Basis am oberen Ende liegt, w\u00e4hrend die Spitze der Pyramide vom unteren Ende eingenommen wird. Bei n\u00e4herer Betrachtung \u00fcberzeugt man sich aber, dass der Querschnitt des Muskels fast von der Stelle des Nerveneintritts an, bis zum oberen Ans\u00e4tze hin nahezu derselbe bleibt, und dass die pyramidale Zuspitzung erst unterhalb des Hilus (H) beginnt. Der gr\u00f6ssere Querschnitt und die dadurch bedingte geringere Stromdichte in den einzelnen Punkten des oberen Muskelst\u00fccks kann also nicht gut der Grund sein f\u00fcr die Nothwendigkeit st\u00e4rkerer Inductionsschl\u00e4ge, wenn Zuckung eintreten soll. Da die Messung des frischen Muskelquerschnitts indessen mit erheblichen Schwierigkeiten verkn\u00fcpft ist, so kommt es erw\u00fcnscht, dass der Versuch auch unter den entgegengesetzten Umst\u00e4nden stets denselben Erfolg darbietet. Um dies zu zeigen legen wir statt der oberen breiten Basis der Muskelpyramide die untere Spitze (c) derselben, deren Querschnitt vielleicht nur der H\u00e4lfte von dem der Mitte des Muskels entspricht, auf die Elektroden, und eben so ausnahmslos findet sich auch dann, dass der Abstand zwischen den beiden Spiralen des Inductionsapparats vermindert werden muss, um Zuckung zu erzeugen, wenn derselbe grade so gross war, dass der Muskel bei Anlegung der Elektroden auf seine mittleren Punkte (d) mit den ersten Anf\u00e4ngen der Zuckung antwortete. Die Differenz ist bei dieser Ab\u00e4nderung des Versuchs nat\u00fcrlich nicht so bedeutend, wie bei dem Vergleiche zwischenlder Mitte und dem oberen Endst\u00fcck, sie betr\u00e4gt aber immer mindestens die Gr\u00f6sse eines Centimeters, um welchen der Abstand der beiden Inductionsrollen verk\u00fcrzt werden muss. Man k\u00f6nnte geneigt sein, diese Thatsachen mittelst einer durch die 3 Reizversuche allm\u00e4lig verminderten Erregbarkeit des Muskels zu erkl\u00e4ren, wenn nicht dagegen der Umstand spr\u00e4che, dass das Resultat dasselbe bleibt, gleichviel ob die Reihefolge der 3 Versuche auf jede beliebige Weise ver\u00e4ndert wird, so wie die andere Thatsache, dass die Abnahme der Erregbarkeit eines zu vielen Versuchen benutzten Muskels innerhalb einer","page":580},{"file":"p0581.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 581\nViertelstunde durch diese relativ grobe Methode kaum zur Wahrnehmung gebracht werden kann.\nDie geringere Erregbarkeit der beiden Endst\u00fccke des Muskels im Vergleich zu den mehr in der Mitte gelegenen Funkten stimmt nun in auffallender Weise \u00fcberein mit dem durch das Mikroskop wahrscheinlich gemachten Mangel der Nerven in jenen Theilen; es sind aber bei diesem verwickelten Gegenst\u00e4nde noch so viele anderevM\u00f6gliehkeiten denkbar, dass es gut sein wird, alle Erkl\u00e4rungen herbei zu ziehen, welche nur irgend auf die vorliegenden Erscheinungen angewendet werden k\u00f6nnen. Meiner Meinung nach giebt es 3 Umst\u00e4nde, welche Unterschiede in der Erregbarkeit f\u00fcr verschiedene Punkte eines und desselben Muskels bedingen k\u00f6nnen, und welche alle zusammen grade am Sartorius besonders deutlich sich auspr\u00e4gen m\u00fcssen. Der Muskel sowohl wie der Nerv sind beide erregbar, und der Grad der Erregbarkeit der Combination von Muskel und Nerv ist daher nothwendig abh\u00e4ngig von der Gr\u00f6sse der Erregbarkeit dieser beiden Factoren. Da nun in dem Sartorius, von der Eintrittsstelle des Nerven bis zu seinem oberen Ende hin, die contractile Substanz nahezu auf allen Querschnitten sich gleich bleibt, so k\u00f6nnen in diesem Theile des Muskels Un-terschiede nur bedingt sein durch eine gr\u00f6ssere oder geringere Menge der zwischenliegenden Nerven, ausserdem aber nur durch qualitative Verschiedenheiten der contraetilen Substanz selbst, oder durch eben solche Unterschiede der Ner-vensubstanz. Es ist leicht nachzuweisen, dass dar erstere Umstand wirklich stattfindet. Dort, wo der Nerv eintritt, ist der Muskel sehr reich an Nerven, und da diese allm\u00e4lig mit den Primitivb\u00fcndeln in Verbindung treten, so nimmt die Zahl der Nerven in den von unten nach oben hin der Reihe nach angelegt gedachten Querschnitten allm\u00e4lig ab. Es ist ferner im h\u00f6chsten Grade wahrscheinlich, dass die von Pfl\u00fcger und Rosenthal entdeckte Abnahme der Erregbarkeit der motorischen Nerven nach der Peripherie zu, auch f\u00fcr die intramuscularen Aeste gilt, und daraus allein w\u00fcrde es erkl\u00e4rlich werden, warum der Sartorius an einem von der Reichert\u2019s u. du Buis-lieymood\u2019s Archiv. 1059.\t3g","page":581},{"file":"p0582.txt","language":"de","ocr_de":"582\nW. K\u00fchne:\nNerveneintrittsstelle entfernteren Punkte weniger erregbar ist, als an einem diesem n\u00e4her gelegenen. Bis zu einem gewissen Grade kann der Werth dieser beiden Umst\u00e4nde f\u00fcr die Erregbarkeit des Sartorius erkannt werden, indem man die Gr\u00f6sse der Reizung an den verschiedensten Punkten so genau als m\u00f6glich zu sch\u00e4tzen sucht; die 3te M\u00f6glichkeit, dass die contractile Substanz selbst nicht an allen Orten gleich erregbar sei, f\u00e4llt von selbst, wenn nachgewiesen werden kann, dass ein Muskel, der durch irgend ein Mittel seiner Nerven beraubt worden, keine Punkte verschiedener Erregbarkeit mehr darbietet. Ich hoffte, durch die nachfolgenden Versuche eine richtige Vorstellung aller Verh\u00e4ltnisse geben zu k\u00f6nnen.\nUm ein genaueres Maass f\u00fcr die Erregbarkeit zu haben, wird die Reizung nicht durch Inductionsscbl\u00e4ge, sondern durch Schliessung und Oeffnung einer constanten Kette ausgef\u00fchrt, deren Stromst\u00e4rke durch einen zur Nebenschliessung angeordneten Rheochord beliebig abgeschw\u00e4cht werden kann. Der Muskel wird ebenfalls wieder auf die in eine Glasplatte eingelassenen, um 2 Mm. einander gen\u00e4herten Elektroden gelegt, und die Schliessung und Oeffnung der Kette mittelst eines in ein Quecksilbern\u00e4pfehen getauchten verquickten Kupferhakens bewerkstelligt. Bei dieser Einrichtung des Versuches und bei Anwendung von einem Grove\u2019sehen Element, erhielt ich durchschnittlich bei den meisten Muskeln eine Differenz von 30 Ctm. des 0,5 Mn^ dicken Neusilberdrahtes am Rheochord, um welche der Eingeschaltete Draht vermehrt werden musste, wenn der Rheochordschieber zu Anfang des Versuchs so stand, dass grade Zuckung von einem 1 Mm. oberhalb der Nerveneintrittsstelle gelegenen Punkte aus erhalten war, und wenn dann die Elektroden dem oberen, 1 Mm. vor dem Ende gelegenen Theile des Muskels angelegt wurden. Also abermals dieselbe Differenz in der Erregbarkeit f\u00fcr dieselben Muskel-Abtheilungen wie vorher. Sehen wir zu, ob alle diese Erscheinungen aus der absteigenden Curve der Erregbarkeit der motorischen Nerven vom Centrum nach der Peripherie zu erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnen.","page":582},{"file":"p0583.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 583\nUnter dieser Voraussetzung m\u00fcsste die Erregbarkeit des Muskels von dem Hilus nach den beiden Enden zu auch all-m\u00e4lig abnehmen entsprechend der Gestalt jener Curve. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Zur Vereinfachung soll nur die Strecke zwischen dem Hilus und dem oberen Ende (B) betrachtet werden. In a (Fig. 2) ist die Erregbarkeit am gr\u00f6ssten, in a' aber wird sie allerdings geringer, so dass die Differenz am Rheochord nicht selten 10 Ctm. betr\u00e4gt. Verschiebt man jetzt die Elektroden von a' durch a\" nach a'\", so ist das Minimum der Reizung f\u00fcr alle diese Strecken durchaus dasselbe, sehr geringe Differenzen abgerechnet, welche sich gewiss aus ganz geringen Schwankungen der Gr\u00f6sse des Muskelquerschnitts erkl\u00e4ren lassen. Nie betragen diese Differenzen zwischen den innerhalb a' und a\u201c gelegenen Stellen an dem Drahte des Rheochords mehr als 2 bis 3 Ctm. Augenblicklich aber, so wie die Elektroden a\"1 \u00fcberschreiten, st\u00f6sst man auf den Theil des Muskels, wo die Erregbarkeit pl\u00f6tzlich abf\u00e4llt, wo bis 20 Ctm. neuen Neusilberdrahts vor dem Schieber des Rheochords gelegt werden m\u00fcssen. Von a'\" bis zu dem sehnigen Ende B bleibt dann die Erregbarkeit abermals wieder in allen Punkten dieselbe.\nMan fr\u00e4gt sich, woher es komme, dass bei dem zweifellosen Ansteigen der Curve der Erregbarkeit des Nerven nach dem Cerebrospinalcentrum zu die Erregbarkeit in a', a\" und a\"1 gleichbleiben k\u00f6nnen und man k\u00f6nnte glauben, dass die f\u00fcr die extramuscularen Nerven gefundenen Thatsachen keinen Schluss auf ein analoges Verhalten der intramuscularen Aeste gestatten. Es m\u00f6chte aber dabei wohl zu bedenken sein, dass die Erregbarkeit eines gegebenen Muskelst\u00fccks; selbst f\u00fcr den Fall, dass das Minimum der Reizung nur den darin eingebetteten Nerven treffe, nicht von der Zahl der Nervenprimitivfasern abh\u00e4nge, welche sich nach Reichert\u2019s Untersuchungen am Brusthautmuskel des Frosches, von der Nerveneintrittsstelle aus ganz betr\u00e4chtlich vermehrt, was ich f\u00fcr den Sartorius durchaus best\u00e4tigen kann. Diese Vermehrung der Angriffspunkte, welche der Nerv durch die Thei-lung der Primitivfasern darbietet, d\u00fcrfte dann wohl minde-\n38*","page":583},{"file":"p0584.txt","language":"de","ocr_de":"584\nW. K\u00fchne:\nstens hinreichend sein, um seine Abnahme der Erregbarkeit gegen die Peripherie hin auszugleichen, vielleicht k\u00f6nnte sie wohl gar das Umgekehrte bewirken, wenn nicht eine ansehnliche Menge der Fasern schon vorher, nahe am Hilus, in der contra\u00e7tilen Substanz ihr letztes Ende f\u00e4nde. \u2014 Durch den Umstand, dass die Erregbarkeit des Muskels auf l\u00e4ngere Strecken fast dieselbe bleibt, sei es da, wo Nerven zu sehen sind, oder da, wo das Mikroskop keine nachzuweisen vermag, sind also die Annahmen nahezu beseitigt, welche die Unterschiede in der Erregbarkeit zwischen je 2 derartigen Strecken auf Differenzen in der Nervenbahn selbst oder in der coutraetilen Substanz allein beruhend erscheinen lassen konnten. Es bleibt jetzt nichts \u00fcbrig als den Grund zu suchen in der absoluten Vertheilung der Nerven, und zwar im Anschluss an die anatomische Beobachtung, in dem g\u00e4nzlichen Fehlen der Nerven an den Enden des \u00bbSartorius1. Folgendes ist der Versuch, der mir dies auf\u2019s Schlagendste zu beweisen scheint.\nIch richte einen Sartorius im Zusammenh\u00e4nge mit einer l\u00e4ngeren Strecke seines Nerven her, und br\u00fccke den letzteren \u00fcber die Zinkelektroden einer kr\u00e4ftigen 4\u20146 gliedrigen kleinen Grove\u2019schen Ivette, deren Strom den Nerven hart vor seinem Uebergange in den Muskel in aufsteigender, Richtung dureh-fliesst.1) Auf diese Weise k\u00f6nnen wir uns beliebig einen Muskel verschaffen, dessen Nerveneinfluss so gut wie eliminirt ist, wenn die Reizung eine bestimmte Grenze nicht \u00fcbersteigt. Die letztere wird an dem Sartorius jetzt wieder ebenso wie vorher bewerkstelligt, mittelst Schliessung und Oeffnung des Stromes von einem Grove\u2019schen Element, das durch den Rheochord unvollkommen geschlossen erhalten wird. Der Muskel befindet sich in dem Zweigstrome des Rheochords innerhalb desselben die Schliessung und Oeffnung durch Eintauchen und Herausziehen eines verquickten Kupferhakens\n1) N\u00e4heres \u00fcber die I'r\u00fcparationsmcthode und die Apparate in meiner Mittheilung \u00fcber Muskelzuckungen ohne Betheiligung der Nerven: 3. Heft. 1859 dieses Archivs.","page":584},{"file":"p0585.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 585\naus einem mit dem einen der beiden Leitungs-dr\u00e4bte verbnndenetl Quecksilbern\u00e4pfchen geschieht. Die auf 2 Mm. constant gen\u00e4herten Platindrahtelektroden dienen wiederum f\u00fcr die directe Muskelreizung; sie werden dem Muskel zuerst in a (Fig. iS) angelegt, und dem Strome die durch die Pfeile bezeichnete mit dem constanten Strome im Nervenstamme gleiche Richtung gegeben. Im Muskel ist der Strom also absteigend von dem oberen Urspr\u00fcnge B nach dem unteren Ans\u00e4tze A bin, w\u00e4hrend er in dem intramuscularen Nerven aufsteigend ist. Zur Vermeidung von Einw\u00e4nden sei noch erw\u00e4hnt, dass die Anlegung irgend eines gleichartigen metallischen Bogens an den Muskel keine Zuckung erzeugte, w\u00e4hrend der starke constante Strom in dem Stamme des Nerven kreiste.\nDer Kreis der 6gliedrigen S\u00e4ule sei nun ge\u00f6ffnet., der Nerv also nicht im Zustande des Elektrotonus, womit der Versuch beginnt. Durch Hin- und Herschieben des Rheo-chordschiebers wird nun diejenige Stromst\u00e4rke gesucht, bei welcher der Muskel durch Schliessung und Oeft'nung grade zu zucken beginnt. Ist es gegl\u00fcckt, Alles so einzurichten, dass der Muskel fast in seiner ganzen Breite und L\u00e4nge bei einer bestimmten Stellung grade deutlich zu zucken beginnt, so wird die L\u00e4nge des eingeschalteten Neusilberdrahts gemessen und notirt.\nVerschiebt man sodann die Platinelektroden von der Mitte\nFig. 3.\nA\nB","page":585},{"file":"p0586.txt","language":"de","ocr_de":"586\nW. Kuhne:\ndes Muskels nach dem oberen Ende desselben, von a nach b, so zeigt sich, was nach dem Vorhergehenden keiner weiteren Er\u00f6rterung bedarf, dass die L\u00e4nge des Neusilberdrahts f\u00fcr diese. Anordnung vermehrt werden muss, um jetzt abermals Zuckungen hervorzurufen. Die Differenz betr\u00e4gt im Durchschnitt immer etwa 30 Ctm. Wir bringen nun die Elektroden wieder auf ihre vorige Lage in die Mitte des Muskels zur\u00fcck (nach a) und lassen nun durch Umlegen einer Pohl\u2019sehen Wippe den Strom der constanten Kette pl\u00f6tzlich in den Nervenstamm hereinbrechen. Hat der Rheochordschieber wieder denselben Platz wie zu Anfang des Versuchs erhalten, so tritt durch Schliessung und Oeffnung des 2. Kreises jetzt keine Zuckung mehr ein. Der Muskel bleibt ganz in Ruhe, da die Schliessung des Stromes f\u00fcr den Nerven bei aufsteigender Richtung keine Schliessungszuckung erzeugt. Durch Probiren mittelst Verr\u00fcckung des Rheochordschiebers wird diejenige L\u00e4nge des eingeschalteten Neusilberdrahts gefunden, bei welcher der Muskel jetzt zum Zucken kommt, und diese entspricht wiederum etwa der Verl\u00e4ngerung um durchschnittlich 30 Ctm. unter den angegebenen Umst\u00e4nden. Wird der Rheochordschieber jetzt abermals auf seine urspr\u00fcngliche Lage zur\u00fcckgebracht, und die Platinelektroden nach dem oberen Ende b des Muskels verr\u00fcckt, so entstehen begreiflicher Weise jetzt ebenfalls keine Zuckungen, sondern der Schieber muss weiter von der Tbeilungsstelle des Strcvmes entfernt werden. In der Regel zeigt sich hier dann, df\u00abs der Muskel auchtbei dieser Elektrodenlage zum Zucken kommt, und zwar fast genau bei derselben Stellung des Schiebers, bei welcher Schliessung und Oeffnung an jedem beliebigen anderen Puncte in der L\u00e4nge der Primitivfasern Zuckung erzeugt. Der Fall tritt am reinsten und deutlichsten ein, wenn die Erregbarkeit s\u00e4mmtlicher einzelnen Primitivb\u00fcndel nahezu gleich ist, wenn also die ersten Anf\u00e4nge der Zuckung sich nicht blos hie und da zeigen, also nur fibrill\u00e4re Zuckungen bei dem Minimum der Reizung eintreten, sondern wenn der ganze Muskel sogleich zu zucken beginnt. Der Strom f\u00fcr den Nerven wird nach beendetem Versuch ge\u00f6ffnet,","page":586},{"file":"p0587.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w. 587\n\u2022worauf die Erscheinungen mit der Oeffnungszuckung abgeschlossen sind.\nDerselbe Versuch kann nun auch so wiederholt werden, dass der untere Abschnitt des Sartorius H. A. Fig. 3 auf den Platinelektroden verr\u00fcckt wird, wof\u00fcr dem Strome durch Qm-legen eines Commutators die aufsteigende Richtung im Nerven und Muskel zugleich gegeben werden muss. Das Resultat ist dann nat\u00fcrlich nicht genau dasselbe, da der Muskel beim Aufliegen auf den Elektroden nahe an dem sehnigen Ende (bei d) schon zuckt, wenn der Rheochordschieber so placirt ist, dass die in c oder a angelegten Elektroden noch keine Zuckungen erzeugen, vorausgesetzt, dass der Eektro-tonus des Nerven nur den Rest der Erregbarkeit des Muskels zur Erscheinung kommen l\u00e4sst. Das Resultat erkl\u00e4rt sich daraus, dass das untere spitze Ende des Sartorius eben einen so viel geringeren Querschnitt besitzt als die Mittelst\u00fccke c und a. In dem Versuche spiegelt sich also die reine Erregbarkeit der contractilen Substanz wieder, welche ganz unabh\u00e4ngig von dem Nerven ist und derselbe beseitigt unmittelbar die Annahme, dass die verschiedene Erregbarkeit einzelner Muskelpartien in Differenzen der contractilen Substanz selbst gelegen seien.\nDie Sache ist also kurz folgende. Der Muskel, welcher erregbare Nerven enth\u00e4lt, zeigt in Uebereinstimmung mit der Nervenverbreitung Punkte verschiedener Erregbarkeit. Bei dem Sartorius (She. Fig. 3) ist dieselbe am gr\u00f6ssten in a, sinkt darauf etwas oberhalb a und bleibt dann wiederum gleich in a' und a\". Weiter nach dem Ende zu in b sinkt dann die Erregbarkeit betr\u00e4chtlich und bleibt von dort an wieder dieselbe bis b'. Alle diese Unterschiede fallen pl\u00f6tzlich weg, wenn die im Innern liegenden Nerven durch den constanten Strom, welcher den Stamm N bei EE durchfliesst, gel\u00e4hmt werden. Ein bestimmtes Minimum der Reizung gen\u00fcgt, um den Muskel nunmehr von allen Punkten aus in Zuckung zu versetzen und zwar ist dieses Minimum gleich mit dem Werth der Reizung der vorher f\u00fcr die Orte b und b' gefunden war. Die Gesammterregbarkeit. des Muskels wird also durch den","page":587},{"file":"p0588.txt","language":"de","ocr_de":"588\nW. K\u00fchne:\nElektrotonus im Nerven nur herabgesetzt bei a, a' und a\", bleibt aber in b und b' dieselbe, so dass der l\u00e4hmende Strom \u00fcber ein grosses Muskelgebiet gar keinen Einfluss hat.\nEs ist nat\u00fcrlich, dass die l\u00e4hmende Wirkung des aufsteigenden constanten Stromes mit zunehmender Entfernung von der unmittelbar durchflossenen Stelle an Macht verliert, und da diejenige Muskelpartie, welche der in EE kreisende Strom nicht mehr beeinflusst, grade am weitesten nach der Peripherie zu gelegen ist, so k\u00f6nnte man meinen, dass der Erfolg des Experimentes einfach darin seinen Grund habe. Diese Vorstellung ist indessen nicht richtig, denn wie sollte es sonst kommen, dass die Erregbarkeit in aa' und a\" dieselbe wird; weshalb machte sich nicht schon dieser Umstand zwischen II und a\" geltend. Bei dieser Sachlage, sowie bei der ganz constanten Thatsache, dass der l\u00e4hmende Strom im Nerven ebenfalls auf die Erregbarkeit der unteren so viel n\u00e4her gelegenen Muskelspitze d gar keinen Einfluss auszu-iiben vermag, zeigt sich klar, dass hier ein ganz anderer Grund vorhanden sein m\u00fcsse, und dieser Grund kann in nichts anderem bestehen, als darin, dass die Nerven einfach nicht bis an die beiden Enden des Muskels hinreichen. So oft ich auch die angegebenen Versuche wiederholt habe, immer haben sich mir dieselben Verh\u00e4ltnisse dargestellt. Der Eckhard\u2019sche Versuch gelang nie an den beiden Enden des Sartorius, gleichviel wie m\u00e4chtige constante Str\u00f6me auch durch den Nervenstamm gesendet werden mochten, und immer wurde die Erregbarkeit der \u00fcbrigen Muskeltheile, nahezu der seiner Enden gleich, wenn den Ver\u00e4nderungen des Querschnitts Rechnung getragen wurde.\nIch muss hier erw\u00e4hnen, dass zum guten Gelingen der Versuche eine h\u00f6chst sorgf\u00e4ltige Pr\u00e4paration nothwendig ist, namentlich muss man darauf achten, dass der Muskel an seinem Ende B nicht verletzt werde, sondern dass er hier \u00fcberall von seiner Sehne begrenzt bleibe. Die Letztere ist sehr kurz und es ist daher anzurathen, sie nicht zu durch-schneiden, sondern lieber den Muskel so zu isoliren, dass man ein St\u00fcck des Beckens abschneidet, an welchem man","page":588},{"file":"p0589.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. xv. 589\nden Muskel ausserdem immer noch besser anfassen kann. Wird diese Vorsicht vers\u00e4umt und werden Muskelfasern verletzt, so sinkt die Erregbarkeit von der Schnittwunde aus in eigent\u00fcmlicher V7eise, und man kann nicht verlangen, dass die \u00fcbrigen Fasern mit den verletzten gleiche Eigenschaften besitzen werden. Am besten gelingen die Versuche, wenn namentlich die Erregbarkeit des Muskels in seiner ganzen Breite dieselbe ist, ich habe sie so eintreffen sehen, dass bei der Elektrodenlage in a w\u00e4hrend der Dauer des constanten Stromes im Nerven die Lage des Rheochordschiebers ganz genau gleich sein musste derjenigen, bei welcher von b und b' aus zuerst Zuckung entstand. Wenn der Neusilberdraht um ein ganz Geringes verk\u00fcrzt, also der Widerstand in der Nebenschliessung vermindert wurde, blieben an beiden Stellen die Zuckungen aus.\nFassen wir jetzt zusammen , was die anatomische und expe-rimentelleUntersuc-hungf\u00fcr die Nervenverbreitungam Sartorius ergeben, sostossenwir auf eine ausserordentliche Uebereinstim-mung in den Resultaten beiderMethoden. Die Erregbarkeit des Muskels steht im engsten Zusammenh\u00e4nge mit seiner Ner-venverbreitung. Ich unterscheide demnach an einem Sartorius 5 verschiedene Zonen. Diejenigen Muskelquerschnitte, welche in der Zone A (Fig. 4) angelegt gedacht werden k\u00f6nnen, enthalten auf gleiche Mengen contractiler Substanz die meisten Nerven. Hier ist die Erregbarkeit am gr\u00f6ssten. In den Abtheilungen C und B ist dieselbe etwas geringer, bleibt aber in allen innerhalb derselben gedachten Querschnitten nahezu dieselbe. In E und D dagegen ist die Erregbarkeit bedeutend vermindert, bei D aber wiederum f\u00fcr alle Punkte dieselbe. Die in die Figur hineingezeichnete Nervenvertlieilung kann vielleicht als ganz der Natur entsprechend betrachtet werden.\nF\u00fcr die directe elektrische Muskelreizung ergiebt sich nach diesen Erfahrungen das Resultat, dass das Minimum der Reizung in einem nervenenthaltenden Muskel nur so die Zuckung bewirkt, dass sie allein die Nerven erregt, dass aber h\u00f6chst wahrscheinlich beim Ueberschreiten jenes Mini-","page":589},{"file":"p0590.txt","language":"de","ocr_de":"590\nW. K\u00fchne:\nmums die wahre directe Reizung eintritt, d. h. dass der Reiz beide Organe, den Muskel sowohl wie den Nerven treffe. Damit dies m\u00f6glich sei, ist es selbstverst\u00e4ndlich noth-wendig, dass der Muskel allein durch dieselben elektrischen Ver\u00e4nderungen erregt werden k\u00f6nne, wie der Nerv. In neuerer Zeit ist dies bestritten von Schiff, welcher erkl\u00e4rt, dass der Muskel elektrisch gar nicht erregbar sei. Nun m\u00f6ge Herr Schiff sich die St\u00fccke D und E eines Sartorius abschneiden, uni zu finden, dass in diesen beiden nervenlosen Muskeln Zuckungen entstehen, durch Schliessung und Oeflfnung einer constanten Kette, durch Reizung mit Inductionsschl\u00e4gen u. s. w., und dass die Erscheinungen ganz so sind, wie an einem nervenhaltigen Muskel, lieber die eigenth\u00fcmliche Art wie Schiff seine Ansichten beweist, soll unten N\u00e4heres mifgetheilt werden, ich glaube nur hier an dieser Stelle andeuten zu m\u00fcssen, dass mir die entgegengesetzten Angaben ganz gut bekannt seien.\nWenden wir uns jetzt zu einer anderen Reizungsmethode als der elektrischen, theils um den Gegenstand nach allen Richtungen zu erfassen, theils aber auch um keine m\u00f6gliche Best\u00e4tigung unserer Anschauungen unbenutzt zu lassen.\nIch habe in meiner ersten Publication \u00fcber die chemische Reizung (siehe dieses Archiv Heft 3) bemerkt, dass es K\u00f6rper gebe, welche wohl vom Nerven aus Zuckungen hervorrufen, nicht aber bei directer Application auf den Muskelquerschnitt. Da ich mich damals der Ansicht hingab, dass die Muskeln \u00fcberall mit Nerven durchsetzt seien, so war es schwer, einen Grund f\u00fcr dieses paradoxe Verhalten einzusehen, und ich glaubte mit Herrn Professor du Bois-Reymond die Thatsache so erkl\u00e4ren zu m\u00fcssen, dass gerade jene Fl\u00fcssigkeiten besondere Schwierigkeiten beim Eindringen in die Muskelsubstanz f\u00e4nden. Ich kenne 4 K\u00f6rper, welche den Nerven sehr heftig erregen und keiner besonderen Einwirkung auf den Muskel f\u00e4hig sind. Das concentrirte Glycerin, concentrirt\u00ea Milchs\u00e4ure, das Kreosot und den Alkohol. Ersteres allein kann aber nur mit absoluter Sicherheit als solches angef\u00fchrt werden. Die 3 \u00fcbrigen K\u00f6rper erregen","page":590},{"file":"p0591.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 591\nsehr selten Zuckungen bei directer Reizung, das Resultat ist aber nicht durchweg constant, wof\u00fcr sich schwerlich ein Grund angeben l\u00e4sst. Das Glycerin hingegen kann auf jeden beliebigen in D (Fig. 4) angelegten Sartoriusquerschnitt applicirt werden, ohne dass Zuckungen entstehen, ja man kann dieses obere Ende des Muskels stundenlang in concentrirtes Glycerin ein-tauchen lassen, so lange bis der nicht benetzte Theil zu vertrocknen beginnt, ohne dass auch nur eine leise Spur von Zuckung entst\u00e4nde. Es giebt keinen Muskel, der nicht ausnahmslos dieselbe Thatsache zum Vorschein bringt. Ebenso ausnahmslos erzeugt das Glycerin aber Zuckungen, und zwar der heftigsten Art, welche bis zum anhaltenden Tetanus sich steigern, wenn es einen in B bei d oder d' angelegten Querschnitt ber\u00fchrt. Durchaus ebenso ist es mit dem unteren spitzen Ende des Muskels. \u2018) Concentrirtes Glycerin bewirkt von E aus nie Zuckungen, in C angebracht aber grade so wie von B aus. Ich stelle den Versuch so an, dass ich den Muskel an dem einen oder anderen Ende aufh\u00e4nge und ihn entweder allm\u00e4lig vorschreitend in das Glycerin eintauche, oder so, dass ich die bezeichneten Querschnitte grade die Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit ber\u00fchren lasse.\nWie kann der Versuch erkl\u00e4rt werden? Ohne Zweifel nur dadurch, dass das Glycerin kein Erreger f\u00fcr die contractile Substanz sei, und nur den Nerven errege. Dass die beim Eintauchen des Muskels in B oder C entstehenden Zuckungen ausschliesslich von einer Nervenreizung herr\u00fchren, habe ich schon fr\u00fcher bewiesen : sie k\u00f6nnen durch einen auf-\n1) Um den Versuch an dem spitzen Sartorius-bnde anzustelleu, muss man sieh sehr grosser Fr\u00f6sche bedienen, da es bei kleinen Muskeln schwer ist, die Wirkung des Glycerins auf das knrze nervenlose St\u00fcck zu beschr\u00e4nken.\nFig. 4.","page":591},{"file":"p0592.txt","language":"de","ocr_de":"592\nW. K\u00fchne:\nsteigend den NerVenstamm durchfliessenden constanten Strom vollst\u00e4ndig beseitigt werden. Die chemische Reizmethode vereint sich also mit den \u00fcbrigen um darzuthun, dass ganz betr\u00e4chliche Strecken im Muskel gar keine Nerven enthalten.\nWir kennen jetzt die absolute Vertheiluiig der Nerven im Muskel, und es bleibt nun noch eine Aufgabe \u00fcbrig, n\u00e4mlich die Art und Weise seiner Ausbreitung in der Strecke C, A und B zu ersp\u00e4hen. In den bisher genannten Versuchen haben wir eigentlich nur den Querschnitt des ganzen Muskels in Bausch und Bogen betrachtet; wir wollen jetzt sehen, wie die Nerven in den verschiedenen nervenhaltigen Querschnitten angeordnet sind. Ich habe oben gesagt, dass das kleinste Muskelst\u00fcck, welches man dem eintretenden Nerven anhaften lassen kann, sich contrahirt, sobald der Nervenstamm gereizt wird. Es braucht nicht erw\u00e4hnt zu werden, dass bei allen Versuchen Stromschleifen und unipolare Wirkungen wohl \u00fcberwacht wurden, sie sind zudem mit allen Arten der Reizung, der chemischen, wie mit der vielfach modificirten elektrischen, der constanten Kette und den In-ductionsstr\u00f6men angestellt. Bei diesem Verfahren zeigte sich nun, dass das Muskelst\u00fcckchen verschiedene Formen bei der\nContraction annahm, je nach seiner Gr\u00f6sse. War dasselbe durch die Schnitte a a (Fig. 4 b) losgetrennt, so contrahirte es sich ganz gleichm\u00e4ssig wie in g, war es aber durch die Schnitte b b erhalten, so bildete es im contrahirten Zustande eine abgestumpfte Pyramide, deren Spitze der Nerveneintrittsstelle entsprach (wie in p). Die Ursache dieser Form liegt darin, dass die dem Hilus am weitesten gegen\u00fcberliegenden Muskelfasern sich nicht mit contrahirten, wodurch erwiesen wird, dass der Nerv nicht sogleich quer \u00fcber die ganze Breite des Muskels hin\u00fcberstrahlt. Jedoch dies beil\u00e4ufig. Eine andere","page":592},{"file":"p0593.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 593\nMethode wird den wahren Grund noch weiter entwickeln. \u2014 Ich fertigte mir zun\u00e4chst aus 2 in feine Glasr\u00f6hrchen eingeschmolzenen Platindr\u00e4hten, welche vor der Lampe der L\u00e4nge nach an einander gel\u00f6thet und ausserdem noch durch umgewickelte F\u00e4den zusammengeheftet wurden, ein Elektrodenpaar, das ich mit je 2 Punkten in der L\u00e4ngslinie 'des Muskels aufsetzen konnte. Die Glasr\u00f6hren dienten mir als Handgriff, aus welchem die Dr\u00e4hte mit ihren 2 Mm. von einander entfernten Spitzen hervorragten. Fig. 5 giebt eine Anschauung davon, wie ich die letztere dem Muskel aufsetzte; die Punkte bezeichnen die Ber\u00fchrungsstellen, welche indessen nur ber\u00fchrt werden, so viel als m\u00f6glich aber vor Druck bewahrt blieben. Mit diesen Elektroden reizte ich nun immer eine \u00e4usserst kleine Anzahl von Muskelb\u00fcndeln und immer so, dass der secund\u00e4ren Spirale des Schlittenapparates, sowie dem Schieber des Rheochords bei Verwendung der Schliessung und Oeffnung einer Kette, die Stellung gegeben wurde, bei welcher zuerst Zuckung erschien. Es stellt sich bei dieser Art der Reizung heraus, dass au den meisten Stellen nur eine ganz locale auf die in der Verbindungslinie der Electroden gelegenen Primitivb\u00fcndel beschr\u00e4nkte Zuckung entsteht. Dies i.st constant der Fall, wenn die Elektroden irgendwo in den beiden Endtheilen des Muskels angelegt werden, von welchen aus, offenbar des Fehlens der Nerven wegen, jede einzelne Primitivfaser allein erregt werden kann. Durchweg ist f\u00fcr diese Punkte auch die Erregbarkeit dieselbe, indem ein und dasselbe Minimum der Reizung f\u00fcr alle gen\u00fcgt. Ganz \u00e4hnlich diesen Stellen verhalten sich aber auch noch viele andere, so die Orte e, c', c\" und b' (Fig. 5), von welchen aus immer nur locale auf einen feinen Faden beschr\u00e4nkte Zuckungen entstehen, gleichfalls bei fast demselben Minimum der Reizung wie in b b\" und b-\"> Die Erscheinungen sind sehr zierlich, man sieht\nIng.","page":593},{"file":"p0594.txt","language":"de","ocr_de":"594\nW. K\u00fchne:\neine feine Vertiefung die L\u00e4nge des Muskels durchfurchen, auf deren Boden ein leises Zittern bemerkbar wird. Im Gegens\u00e4tze zu diesem Vorg\u00e4nge tritt aber eine gewaltige Zuckung des ganzen Muskels ein, wenn die Elektroden in A auf der Nerveneintrittsstelle aufgesetzt werden. Mehr oder minder in der Breite ausgedehnte Contractionen folgen ferner der Reizung in a' a\" und a'\", meist so, dass die eine oder die andere H\u00e4lfte des Sartorius sich zusammenzieht, wodurch der Muskel nach 2 verschiedenen Seiten gekr\u00fcmmt werden kann. Der Umstand, dass an den letztgenannten Orten ein weit geringerer Reiz gen\u00fcgt zur Hervorbringung jener ausgebreiteten Contractionen, zeigt schon zur Gen\u00fcge, dass es sich um die Reizung der intramuscularen Nerven handelt. L\u00e4sst man den Nerven des Muskels von einem kr\u00e4ftigen aufsteigenden Strom durchfliessen, so entstehen bei dem Minimum der Reizung nur noch die beschriebenen localen Zuckungen, einerlei wo man die Elektroden aufsetzt, wenn nur ihre Verbindungslinie mit der Richtung der Faserung parallel l\u00e4uft. Die Erregbarkeitsunterschiede fallen dann ebenfalls weg, und dasselbe Minimum der Reizung, welches z. B. in b b\u201c und b'\" gen\u00fcgte, ruft auch gerade Zuckungen hervor beim Aufsetzen in A a\" und a'\". Der constante Strom \u00fcbt hier also wiederum nur auf bestimmte Stellen seine Macht aus, und dass diese sich nirgends hin erstreckt, wo keine Nerven sind, liegt auf der Hand. Wir erlauben uns daher den umgekehrten Schluss, dass auch ganz in der N\u00e4he der Nerveneintrittsstelle nervenfreie Orte Vorkommen, weil die in c c' und c\" gefundene Erregbarkeit sich als nicht von der L\u00e4hmung des Nerven abh\u00e4ngig erwies. Hier ist nat\u00fcrlich nicht daran zu denken, dass der l\u00e4hmende Einfluss der Entfernung wegen von der unmittelbar durchflossenen Stelle nicht zur Geltung kam. Gleichwohl empfangen die in c c' und c\" gelegenen Orte von irgend woher den Reiz des Nerven. Diese Fasern scheinen etwa bei aa (Fig. 5 b) ihren Antheil des Nerven zu erhalten, sie zucken mit, wenn der Nerv bei einem so zugerichteten Muskel gereizt wird, wie ihn die Figur zeigt.","page":594},{"file":"p0595.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 595\nII. Ueber das doppelsinnige Leitangsverm\u00f6gen der motorischen Nerven.\nDer letzten Endigung der motorischen Nervenfaser geht nach R. Wagner\u2019s Entdeckung ein Apparat voraus, welcher f\u00fcr die Fortleitung der Reizung von gr\u00f6sstem Interesse ist. Ich meine die Theilung der Primitivfasern. Ohne diese Vorrichtung w\u00fcrde nicht nur der durch den Willen erregte Nerv die Befehle zur Bewegung nicht an jedes mit der con-tractilen Substanz gef\u00fcllte Rohr bef\u00f6rdern k\u00f6nnen, sondern es w\u00fcrde auch eine ganze Anzahl von Muskelprimitivb\u00fcndeln aller Nerven entbehren m\u00fcssen, indem die Zahl derselben immer bedeutend gr\u00f6sser ist, als die der Nervenfasern bei ihrem Eintritt in den Muskel. Die Physiologen h\u00e4tten es in diesem Falle sehr leicht gehabt, Beobachtungen \u00fcber die Muskelirritabilit\u00e4t anzustellen, und Haller\u2019s Lehre w\u00e4re nicht so lange latent geblieben. Die Natur hat es indessen vorgezogen, den Weg sur Muskelirritabilit\u00e4t in anderer Weise offen zu lassen und hat uns daf\u00fcr in den Nerventheilungen ein Mittel gegeben, f\u00fcr die Entscheidung des doppelsinnigen Leitungsverm\u00f6gens des Nerven. Es ist nicht meine Absicht, auf die Geschichte dieser Frage n\u00e4her einzugehen, wer sich daf\u00fcr interessirt, findet in du B ois-Reymond\u2019s Untersuchungen eine so ausgezeichnete kritische Darstellung aller in dieser Beziehung angestellten Bem\u00fchungen, dass ich nicht n\u00f6thig habe, die Belehrung, welche ich daraus gesch\u00f6pft, aus der zweiten Hand wieder zu geben. Das einzige Entscheidende, welches bisher zur L\u00f6sung der Aufgabe geschehen ist, sind du Bois Versuche an den rein motorischen und rein sensiblen Wurzeln, an welchen die negative Schwankung des Nervenstromes w\u00e4hrend der Reizung nachgewiesen wurde, unabh\u00e4ngig von dem Orte, an welchem der Reiz wirkte.\nEs ist kein Zweifel, dass die negative Stromesschwankung ein sicheres Kriterium f\u00fcr die Reizung eines Nerven ist, das einzige, welches uns von der Last der an den Nerven gekn\u00fcpften Endorgane befreit, durch welche wir sonst meist","page":595},{"file":"p0596.txt","language":"de","ocr_de":"596\nW. K\u00fchne:\ngewohnt sind, die Erregung zu erkennen. Allein da die M\u00f6glichkeit nicht abgewiesen werden kann, dass bei einer bestimmten Reizung die negative Schwankung ausbleiben k\u00f6nne, w\u00e4hrend der Muskel zuckt, und dass bei einer anderen bestimmten Reizung der Muskel nicht zucke, sondern statt seiner die Nadel des Multiplicators, also die Stromesschwankung eintrete, so kann man auch, ohne an verkapptem Vitalismus zu laboriren, den Wunsch hegen, die r\u00fcckl\u00e4ufige Nervenleitung durch die Muskelzuckung zur Anschauung zu bringen. Die Physiologen haben sich zu dem Ende bem\u00fcht, k\u00fcnstlich den motorischen Nerven mit einem sensiblen zusammen zu heilen und umgekehrt, durchschnittlich aber ohne allen Erfolg. Die Frage ist auf diesem W ege nie entschieden, und es muss daher um so erfreulicher sein, dass in der Natur selbst der lang gesuchte Apparat, den man k\u00fcnstlich zu beschaffen hoffte, wirklich existirt, und zwar in Tausenden von Exemplaren bei einem einzigen Frosch. Die Theilungen der Nervenprimitivfasern sind es, welche denselben vorstellen. Es ist ohne Weiteres klar, dass unsere Frage erledigt w\u00e4re, wenn es gel\u00e4nge, eine aus einer Theilung hervorgegangene secund\u00e4re Nervenfaser zu isoliren. Jede Zuckung, welche man durch Reizung derselben erhielte, w\u00e4re ein Beweis, da der Reiz eben in ihr nur aufw\u00e4rts, centripetal fortgeleitet werden k\u00f6nnte, um mit H\u00fclfe der Theilungsstelle abw\u00e4rts nach dem Muskel gelangen zu k\u00f6nnen. Ich hatte bereits an die Ochsenfr\u00f6sche gedacht, an deren Sartorius ich intramusculare Nerven herauspr\u00e4piren wollte, bemerkte aber, dass unsere europ\u00e4ischen Fr\u00f6sche dasselbe leisten k\u00f6nnen, wenn man sie richtig zu nutzen weiss. Beim Sartorius giebt es Nerven, welche sich so thei-len, dass manchmal ein kurzer Ast abgeht f\u00fcr ein Muskelb\u00fcndel, w\u00e4hrend ein anderer langer Ast an ein zweites Primitivb\u00fcndel sich begiebt. Fig. 7 giebt eine schematische Darstellung davon. Der Ast e t des Nerven N kann nun nicht f\u00fcglich mit dem Messer ausgesch\u00e4lt werden, wohl aber kann man ihn so isoliren, dass er mitten in der Muskelmasse das einzige reizbare Gebilde bleibt, indem man n\u00e4m-","page":596},{"file":"p0597.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 597\nBig- 6.\nlicli die contractile Substanz der Muskeln zu zerst\u00f6ren sucht mit einem Mittel, das den Nerven erh\u00e4lt. Ann\u00e4hernd kann dies erreicht werden durch eine Temperatur von 40\u00b0 C., durch destillirtes Wasser, Salzs\u00e4ure von 0,1 pCt. und eine L\u00f6sung von Schwefelcyankaliurn von 1 pCt.\nIch wurde durch Versuche \u00fcber den Einfluss der W\u00e4rme erst auf diese Methode hingeleitet. Ich sah n\u00e4mlich bei einem Sartorius, dessen oberes Ende ich durch schwaches Erw\u00e4rmen starr gemacht hatte, beim pl\u00f6tzlichen weiteren Erhitzen des bereits erstarrten St\u00fccks Zuckungen in dem nicht ver\u00e4nderten Theile eintreten, welche nicht von der Reizstelle aus begannen, sondern an der Grenze, wo die starre Strecke die noch erregbare ber\u00fchrte. Man kann nun in der That beim Erhitzen eines Muskels auf 40\u00b0 C., was man passend durch Eintauchen in so weit erw\u00e4rmtes Oel vollzieht, die contractile Substanz sehr rasch erstarren, gerinnen machen, w\u00e4hrend der Nerv noch f\u00fcr eine kurze Zeit seine Erregbarkeit bewahrt. Ich tauchte daher einen Sartorius, der an seinem unteren, spitzen, sehnigen Zipfel aufgeh\u00e4ngt war, verkehrt mit seinem oberen Ende, etwa 7 Mm. weit, bis d Fig. (i, in das erw\u00e4rmte Oel ein, und zog^ ihn dann wieder heraus. Als ich nun hierauf mit einer Scheere, von unten nach oben fortschreitend, in dem erstarrten Theile Schnitte anbrachte, sah ich Folgendes: So lange die Querschnitte zwischen a und b fielen, entstand niemals Zuckung, weder in dem erstarrten Theile, wie leicht erkl\u00e4rlich, noch irgendwo in dem dar\u00fcber befindlichen unversehrten Abschnitte. Sobald dieselben aber weiter als 3 oder 4 Mm. vom oberen Ende a sich entfernten, also zwischen b und c angelegt wurden (in c, c' und c\") zeigten sich bisweilen einzelne fibrill\u00e4re Zuckungen (in f f z. B.), welche nicht \u00fcber die H\u00f6he von d hinaus sich erstreckten. Hat man die Erscheinung einmal gesehen, so kann der durch die Scheere gewonnene Reichert\u2019s u. du Bois-Reynumd\u2019s Archiv. 1859.\t39","page":597},{"file":"p0598.txt","language":"de","ocr_de":"598\nW. K\u00fchne:\nQuerschnitt noch zu einem anderen chemisch en Reizversuche dienen, bei welchem sich zeigt, dass die K\u00f6rper, welche ausschliesslich die Muskelsubstanz reizen, nicht geeignet sind, jene Zuckungen zu erzeugen, so verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure, Cu 0 SO3 etc., w\u00e4hrend unzweifelhafte Nervenreize, wie Glycerin und Aetzkali, denselben Erfolg haben, wie das Anlegen des Schnitts selbst. Die Erkl\u00e4rung dieses Versuchs kann meiner Meinung nach nur die sein, dass der Schnitt oder das Aetzkali den langen Ast des aus einer Theilung hervorgegangenen intramuscularen Nerven erregten, von welchem die Reizung centripetal durch den Ast p' e' nach dem Muskelb\u00fcndel Fig. 7.\tA gelangte. Nach der Zeichnung,\nwelche Nichts ist als die schematische Darstellung eines oft gesehenen Objectes, ist vollkommen klar, weshalb die Zuckungen nur fibrill\u00e4r sein k\u00f6nnen, also B und C in Ruhe bleiben m\u00fcssen, und weshalb der Schnitt nicht wirken kann, wenn er zwischen S und a f\u00e4llt, wo keine Nerven sind. Dass er in b erfolgreich sein muss, ist klar, falls der hier getroffene Nerv noch erregbar ist. Der Versuch, wie ich ihn hier beschrieben, gelingt nun leider ausserordentlich selten, und nicht h\u00e4ufiger, wenn man sich zur Abt\u00f6dtung der Muskelsubstanz anderer Mittel bedient, wie die genannten Eintauchungen in S\u00e4uren, S2 Cy Ka etc. Da ich ihn aber mehrere Male in der beschriebenen Weise habe gelingen sehen, so stehe ich nicht an, denselben zu ver\u00f6ffentlichen; wer sich mit Ausdauer der\nWiederholung unterzieht, wird ihn hoffentlich best\u00e4tigen k\u00f6nnen.","page":598},{"file":"p0599.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 599\nUnter diesen Umst\u00e4nden kommt es erw\u00fcnscht, dass die doppelsinnige Nervenleitung im Sartorius auch durch einen anderen Versuch gezeigt werden kann, welcher fast ausnahmslos ein positives Resultat giebt. Das h\u00e4ufige Misslingen des vorigen Versuchs r\u00fchrt nicht allein davon her, dass es schwer ist, den Muskel vollkommen zu vernichten, ohne den daran liegenden Nerven zu gef\u00e4hrden, sondern es liegt auch daran, dass es sich darum handelt, einen Nervenast anzutreffen, der auf der einen Seite der Theilung sehr lang \u00fcb\u00e8r den anderen hervorragt. Um den letzteren Uebelstand ganz bedeutungslos zu machen, bedienen wir uns des folgenden Verfahrens. Wir spalten n\u00e4mlich den Sartorius mittelst einer scharfen Scheere eine Strecke weit in 2 Zipfel und zwar in einer Ausdehnung von etwa 7 Mm. von oben nach unten, wie in Fig. 8. Der Muskel wird sodann auf einer Glasplatte ausgebreitet und gegen ein weisses Blatt Papier beobachtet. Wenn wir nun den einen dieser Zipfel an seinem unteren Ende a reizen, so sieht man, dass jede Reizung nur eine Zuckung auf der H\u00e4lfte A des Muskels erzeugt, w\u00e4hrend die H\u00e4lfte B und mit ihr der andere Zipfel C ganz in Ruhe bleiben. Legt man z. B. mit der Scheere einen Querschnitt in a an, so biegt sicli der Muskel ganz krumm, weil sich eben immer nur die H\u00e4lfte A contrahirt. Dasselbe geschieht, wenn wir irgend eine reizende Fl\u00fcssigkeit auf den erhaltenen Querschnitt bringen, wodurch eine einmalige Zuckung \u00fcber die ganze H\u00e4lfte A hin\u00fcberl\u00e4uft. Wir dringen nun mit den Querschnitten weiter vor, von a' nach a\" und erhalten immer wieder dasselbe Bild. Pl\u00f6tzlich aber und zwar bei einer Entfernung von 4\u20145 Mm. von dem oberen sehnigen Ende des Muskels kommt ein Punkt, wo das Anlegen des Querschnitts nicht allein die H\u00e4lfte A zum Zucken bringt, sondern wo auch einzelne Fibern in der\n39\u2019","page":599},{"file":"p0600.txt","language":"de","ocr_de":"600\nW. K\u00fchne:\nH\u00e4lfte B (f f) mitzucken, und diese Erscheinung bleibt abermals dieselbe bei allen Querschnitte11! welche von b bis b\" angelegt werden k\u00f6nnen. Man kann sich mit einer sehr scharfen Scheere auf jenem Raum 4\u20145 Mal dasselbe Schauspiel verschaffen, wenn man nur einen Querschnitt immer dicht genug auf den anderen folgen l\u00e4sst. Der Versuch kann ebenfalls mit der chemischen Reizung angestellt werden, und dann zeigt sich eben sehr deutlich, dass die auf die H\u00e4lfte B \u00fcbertragenen Zuckungen nicht von der Muskelerregung, sondern von der Erregung der letzten Ausbreitung des intra-museularen Nerven herr\u00fchren. Der Muskel muss hierf\u00fcr m\u00f6glichst gross sein, so dass man bequem an dem einen Zipfel operiren kann. Am besten ist es, ihn ganz auf einer sehr d\u00fcnnen Glasplatte auszubreiten oder so aufzuh\u00e4ngen, dass nur der Zipfel b von einem d\u00fcnnen Deckgl\u00e4schen getragen wird, das man an einem Stativ durch irgend eine Vorrichtung befestigt. Den anderen Zipfel l\u00e4sst man dann senkrecht am Rande jenes Glases herabh\u00e4ngen, legt in b z. B. den Querschnitt an und reizt denselben nun mit verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure (1 pr. Mille) oder einer L\u00f6sung von schwefelsaurem Kupferoxyd. Was geschieht indessen? Ganz das Ge-gentheil! bei dieser Art der Reizung zuckten niemals Fasern in der H\u00e4lfte B mit, sondern nur die der Seite A, man mag den Versuch so oft wiederholen, wie man will. Taucht man den Muskelzipfel l\u00e4ngere Zeit in die erregenden Fl\u00fcssigkeiten ein, so kann sich das freilich ereignen, aber dann im-bibirf er sich der Art, dass auch \u00fcber die Spaltungsstelle etwas von dem Erreger in die andere Seite \u00fcberfliesst. Die reine Muskelreizung erzeugt also immer nur Zuckungen derjenigen Fasern, welche direct mit der erregenden Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung kamen. Sollen Fasern zucken, welche nicht direct getroffen wurden, so m\u00fcssen Nerven und Nervenreize da sein, und als solche letztere giebt es gewisse andere chemische K\u00f6rper. Die Reizung der Nerven auf chemischem Wege kann fast nie so rasch bewirkt werden, wie die des Muskels, welcher sich schlangenartig zur\u00fcckzieht, wenn sein Querschnitt von dem Reize ber\u00fchrt wird, und deswegen be-","page":600},{"file":"p0601.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 601\ndienen wir uns f\u00fcr die chemische Reizung der intramuscu-laren Nerven einer Substanz, bei der wir m\u00f6glichst sicher gehen, dass sie nicht w\u00e4hrend der Dauer der Ber\u00fchrung von einem Orte zum anderen sich ausbreitet. Das dickfl\u00fcssige con-centrirte Glycerin ist dazu h\u00f6chst geeignet, von welchem schon unten erw\u00e4hnt wurde, dass es nach Stunden noch nicht die intramuscularen Nerven erreiche, wenn es eine Strecke weit davon nur die contractile Substanz ber\u00fchrt. Wir f\u00fchren also mittelst eines d\u00fcnnen Stabes einen Tropfen Glycerin auf den Querschnitt b (Fig. 8). Im Anfang hat dies keine andere Folge, als dass der Muskel an dieser Stelle etwas durchsichtiger wird. Bald aber beginnt er zu zucken, ganz schwach und fibrill\u00e4r, und zwar zucken gleichzeitig einige Fasern in der H\u00e4lfte A und einige andere in der H\u00e4lfte B. Ja ich\nFig. 9.","page":601},{"file":"p0602.txt","language":"de","ocr_de":"602\nW. K\u00fchne:\nhabe sogar gesehen, dass zuerst nur Fibern in B in Bewegung geriethen, w\u00e4hrend die H\u00e4lfte A noch ganz ruhig war.\nDie Erkl\u00e4rung des Versuchs kann nicht zweifelhaft sein. Die schematische Zeichnung Fig. 9 diene zur besseren Verst\u00e4ndigung. Reize ich durch irgend einen Reiz das Primitivb\u00fcndel B in der Strecke von S bis M, durch die Querschnitte a a' und a\", einerlei auf welche Weise, so zuckt nur die Faser B, weil ich immer nur sie allein und eben nur die contractile Substanz reize. F\u00e4llt der Schnitt aber oberhalb M, z. B. in b, so \u00fcbe ich einen mechanischen Reiz auf den Nerven e t aus, welcher in der Richtung der Pfeile erst aufw\u00e4rts, centripetal steigen muss, um in der Richtung p' wieder abw\u00e4rts an den Muskel A zu gelangen, der nun ebenfalls zuckt. Wende ich an dem Querschnitt b wieder einen chemischen Reiz an, der nur die contractile Substanz erregt, sich zum Nerven aber indifferentwerh\u00e4lt, nun so kann offenbar nur B zucken, nehme ich aber eine Substanz, welche nur den Nerven erregt, so zuckt nur A, und B bleibt in Ruhe. Der letztere Fall kann am leichtesten erm\u00f6glicht werden, wenn man bei der Spaltung des Sartorius nicht in seiner Mitte den Schnitt f\u00fchrt, sondern dicht am Rande, man hat dann mehr Aussicht, nur solche secund\u00e4re Nerven zu fassen, deren anderer Schenkel auf dem jenseits des Schnittes gelegenen Zipfel endet.\nDie Darstellung der Verh\u00e4ltnisse, wie sie hier gegeben, d\u00fcrfte der Natur wohl am meisten entsprechen. Man k\u00f6nnte glauben, dass die Zuckung, welche von einem Orte des Muskels auf den anderen \u00fcbertragen wird, herr\u00fchre von einer Erregung der Nerven mittelst der negativen Stromesschwan-kuug bei der Contraction der direct gereizten Muskelfasern oder von einer Uebertragung von einem Primitivb\u00fcndel auf das andere, ebenfalls durch die negative Schwankung des Muskelstromes.\nKeine dieser Vorstellungen ist hier berechtigt. Es ist allerdings richtig, dass der Muskel sowohl bei directer mechanischer Reizung, wie bei Benutzung der chemischen Reizmethode die negative Stromesschwankung zeigt, da man von","page":602},{"file":"p0603.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 603\neinem so zum Zucken gebrachten Muskel sehr gut die secun-d\u00e4re Zuckung erhalten kann. Man muss aber ber\u00fccksichtigen, dass die negative Schwankung des Muskelstroms einen Reiz repr\u00e4sentirt, welcher nur bei sehr erregbaren Nerven wirksam ist. Ich habe mich direct davon \u00fcberzeugt, dass es z. B. bei einem Muskel, der nicht gr\u00f6sser ist als der Sartorius, nur gelingt, die Zuckung auf einen anderen Muskel zu \u00fcbertragen, wenn man den Plexus ischiadicus an den prim\u00e4r zuckenden Muskel anlegt. Die tieferen Stellen des Schenkelnerven sind nicht mehr erregbar genug, sie bed\u00fcrfen eines m\u00e4chtigeren Reizes. Aus demselben Grunde ist es auch klar, weshalb ein Muskel w\u00e4hrend seiner Zuckung niemals den eigenen Nerven zu erregen vermag, denn die negative Schwankung seines eigenen Stromes trifft den Nerven da, wo er am mindesten erregbar ist, abgesehen von der verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig ung\u00fcnstigen Lage, in welcher sich der in-tramusculare Nerv in dieser Beziehung befindet. \u2014 Wenn also die Zuckung eines Theiles des Muskels niemals auf einen anderen Punkt desselben \u00fcbertragen werden kann, durch jene die Zuckung begleitenden elektris chen Ver\u00e4nderungen, so muss der Gedanke erst vollends aufgegeben werden, dass die Stromesschwankung ohne Vermittelung des intramuscu-laren Nerven, direct ein nicht gereiztes Primitivb\u00fcndel anregen k\u00f6nne, da die contractile Substanz n\u00e4mlich noch viel weniger erregbar ist. Wird daher bei der directen Muskelreizung eine Zuckung an einer nicht gereizten Stelle wahrgenommen, so ist es zweifellos, dass der Reiz durch die Bahn eines intramuscularen Nerven an ein anderes Primitivb\u00fcndel bef\u00f6rdert wurde, was schon am besten daraus hervorghet, dass von den nervenlosen Endzonen des Sartorius niemals andere Primitivb\u00fcndel als die direct gereizten zur Contraction gebracht werden k\u00f6nnen. Dieser Umstand, so wie die That-sache, dass nur Nervenreize und nicht jene allein die contractile Substanz erregenden chemischen K\u00f6rper die in Rede stehenden Erscheinungen hervorbringen k\u00f6nnen, beweisen schliesslich auch zur Gen\u00fcge, dass es nicht mechanische Zerrungen sind, durch welche die zuckende Muskelh\u00e4lfte die","page":603},{"file":"p0604.txt","language":"de","ocr_de":"604\nW. K\u00fchne:\nNerven der nicht direct gereizten H\u00e4lfte von einem \u00fcber den Theilungen der Nervenprimitivfasern gelegenen Funkte erregte. Nach Beseitigung dieser Einw\u00e4nde d\u00fcrfte also die Lehre von dem doppelsinnigen Leitungsverm\u00f6gen der motorischen Nerven durch unsere Versuche jetzt als vollkommen gesichert betrachtet werden k\u00f6nnen.\nIII. Ueber die sogenannte idiomuscul\u00e4re Contraction.\nNachdem wir aus dem Vorhergehenden etwas N\u00e4heres \u00fcber die Verbreitung der Nerven im Muskel kennen gelernt haben, gehen wir nun zu einer Vergleichung der Contractions-erscheinungen \u00fcber, je- nachdem die contractile Substanz direct und k\u00fcnstlich erregt oder unter dem Einfluss des gereizten Nerven zur Bewegung veranlasst wurde. Zur leichteren Verst\u00e4ndigung soll hier immer nur von dem Muse. Sartorius die Rede sein, welcher sowohl wegen seines ein fachen parall'elfaserigen Baues, wie wegen der geringen Abweichungen, welche er bei den verschiedensten Thieren bietet, leicht der geeignetste Muskel am ganzen K\u00f6rper sein d\u00fcrfte. Ich habe mich \u00fcberzeugt, dass der Sartorius beim Hunde und beim Menschen eben so gebaut ist wie beim Frosch, der einzige Unterschied besteht vielleicht darin, dass der Nerv im Verh\u00e4ltnis\u00bb des Muskels etwas tiefer eintritt, sonst aber geschieht dies ganz in derselben Weise an dem inneren Rande und zwar ebenfalls so, dass die Nerven den Muskel nicht bis nach seinen beiden Enden hin zu durchziehen scheinen, da man namentlich in dem oberen breiten Ende auf einer langen Strecke gar keine Nerven findet, weder bei der Pr\u00e4paration. mit dem Messer, noch beim Durchmustern einzelner Streifen mit dem Mikroskop. Was \u00fcber die Nervenausbreitung im Sartorius des Frosches auf experimentellem Wege festgestellt werden konnte, d\u00fcrfte daher wohl auch f\u00fcr denselben Muskel des Hundes oder des Menschen gelten k\u00f6nnen.\nWir haben gesehen, dass der Sartorius wie jeder andere Muskel sich in seiner ganzen L\u00e4nge gleichm\u00e4ssig verk\u00fcrzt, wenn sein Nerv gereizt wird, und es geht daraus auf das","page":604},{"file":"p0605.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 605\nSchlagendste hervor, dass der Reiz durch die contractile Substanz fortgeleitet werden m\u00fcsse, da ja auch diejenigen Step len mit an der Contraction Theil nehmen, welche gar keine Nerven enthalten, und da sich die Zuckung auch auf die beiden Enden erstreckt, welche nicht direct mit den Nerven in Ber\u00fchrung sind, sondern nothwendiger Weise nur an den der Mitte n\u00e4her gelegenen Orten den Reiz des erregten Nerven empfangen k\u00f6nnen. Die Erscheinung ist so constant und so allgemein bekannt, dass es unn\u00f6thig sein w\u00fcrde, hier besondere Erkl\u00e4rungen daf\u00fcr zu suchen, wenn nicht gerade in der j\u00fcngsten Zeit der Versuch gemacht w\u00e4re, die auf den Nervenreiz erfolgende Contraction von der Bewegung der direct gereizten contraction Substanz zu trennen. M. Schiff hat zu dem Ende eine neuromuscul\u00e4re und eine idiomuscu-l\u00e4re Contraction zu unterscheiden gesucht, auf Grund zweier Charaktere, welche nicht beiden Bewegungen gemeinsam sein sollen. Nach ihm ist die neuromuscul\u00e4re Bewegung daran erkennbar, dass sie sich \u00fcber die ganze L\u00e4nge des Primitivb\u00fcndels fortpflanzt, w\u00e4hrend die idiomuscul\u00e4re Contraction local auf die Reizstelle beschr\u00e4nkt bleiben soll, und ferner daran, dass gewisse Methoden der Reizung stets nur die eine oder die andere Art der Bewegung hervorrufen.\nWenn es richtig w\u00e4re, dass die directe Reizung der con-tractilen Substanz ohne Vermittlung des Nerven, immer nur eine local beschr\u00e4nkte Contraction zur Folge habe, so w\u00fcrde daraus hervorgehen, dass der eigentliche Muskelinhalt gar kein Leitungsverm\u00f6gen besitze, und man m\u00fcsste die auf den Nervenreiz erfolgenden ausgebreiteten Zuckungen sich dann so zu denken haben, dass die contractile Substanz an allen Punkten zu gleicher Zeit von den intramuscularen Spitzen der Nerven aus erregt werden. Da es sich aber gezeigt hat, dass der Muskel durchaus nicht \u00fcberall mit Nervensubstanz durchsetzt ist, sondern dass jedes Primitivb\u00fcndel offenbar immer nur an wenigen Stellen mit dem Nerven in wirksame Ber\u00fchrung kommt, so bleibt kein anderer Ausgang \u00fcbrig, als der, den Nerven entweder eine Wirkung in distans \u00fcber ihre eigene materielle Grenze hinaus zuzuschreiben, oder die","page":605},{"file":"p0606.txt","language":"de","ocr_de":"606\nW. K\u00fchne:\nAnnahme, dass die an der Verku\u00fcpfungsstelle des Muskels mit dem Nerven, durch den letzteren hervorgerufene Contraction von so eigenth\u00fcmlieher Art sei, dass sie als Reiz auf jeden folgenden Punkt der contractilen Substanz wirken k\u00f6nne.\nAlle Versuche, welche ich \u00fcber die idiomuscul\u00e4re Contraction habe ausf\u00fchren k\u00f6nnen, zeigten indessen, dass die angestellten Betrachtungen durchaus m\u00fcssig seien, da dieselben nur Consequenzen der von Schiff erfundenen Lehre sind, und dass keine einzige zwingende Nothwendigkeit vorliegt, die idiomuscul\u00e4re Contraction von der neuromuscu-l\u00e4ren zu trennen, sobald man mit Schiff unter diesen Namen zwei grundverschiedene Dinge verstanden haben will. Sollen dieselben hingegen nur dazu dienen, Unterschiede in dem zeitlichen Verlauf und der Form der Bewegung auszudr\u00fccken, so ist dagegen nichts einzuwenden, und als solche werden wir uns derselben von jetzt an bedienen.\nBei der directen Muskelreizung sind mehrere Umst\u00e4nde in Betracht zu ziehen, welche als einfache Folgen der Endigungsweise des motorischen Nerven angesehen werden m\u00fcssen. Bei der elektrischen Reizung, sei es mittelst der In-ductionsschl\u00e4ge oder der Schliessung und Oeifnung des Kettenstromes, wird jedes Mal nur der intramusculare Nerv gereizt, sobald das Minimum der Reizung angewendet wurde; die so erhaltene Zuckung ist also gleichbedeutend mit jeder anderen durch den gereizten Nerven stamm hervorgerufenen Contraction, und die directe Reizbarkeit der Muskelfaser oder der contractilen Substanz selbst gegen\u00fcber dem Einfl\u00fcsse der Stromesschwankungen kommt dabei gar nicht in Betracht. Der Beweis daf\u00fcr liegt eben darin, dass die Zuckung nicht mehr eintritt, wenn die Erregbarkeit des Nerven durch einen aufsteigenden constanten Strom herabgesetzt wird. Ueber-schreitet nun aber die Reizung jenes Minimum um eine gewisse Gr\u00f6sse, so verschwindet die Zuckung nach der L\u00e4hmung des Nerven nicht mehr, und es wird zweifelhaft, ob der elektrische Strom jetzt direct die contractile Substanz erregt habe, oder ob er nur f\u00fcr den Nerven eine so starke Erregung erzeugt","page":606},{"file":"p0607.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w. 607\nhabe, dass die l\u00e4hmende Wirkung des constanten Stromes nicht mehr ausreichte, um dieselbe zu vernichten oder zu hemmen. Es ist also immer noch fraglich, ob der elektrische Strom in irgend welcher Weise ein Reizmittel f\u00fcr die contractile Substanz sei. Obgleich ich glaube, dass daran im Ernste nicht gezweifelt werden kann, schon wegen der bekannten dauernden Zusammenziehung, welche jeder Muskel w\u00e4hrend der Dauer eines constanten Stromes zeigt, ganz im Gegens\u00e4tze zu dem Gesetze, nach welchem der Nerv durch denselben erregt werden kann, so mag es dennoch n\u00fctzlich sein, auf diese Frage n\u00e4her einzugehen, weil sie augenblicklich von mehreren Seiten in durchaus verschiedener Weise beantwortet wird. Wundt schreibt der contractilen Substanz die F\u00e4higkeit zu, nur allein auf den Reiz des elektrischen Stromes durch die Contraction reagiren zu k\u00f6nnen, w\u00e4hrend Schiff zwar auch eine eigene Muskelirritabilit\u00e4t annimmt, dieselbe aber f\u00fcr die elektrische Erregung g\u00e4nzlich l\u00e4ugnet, eine Ansicht, welcher sich consequenter Weise zum Theil auch Eckhard anschliessen d\u00fcrfte, welcher den Beweis der Nichtexistenz der Muskelirritabilit\u00e4t eigentlich nur in Hinsicht auf die elektrische Reizung allein zu f\u00fchren suchte.\nDass die Wundt\u2019sehe Behauptung falsch sei, habe ich mehrfach zu beweisen mich bem\u00fcht. Die grosse Mehrzahl aller erregend wirkenden chemischen K\u00f6rper ist ein Reiz f\u00fcr die Muskelsubstanz selbst, und nur von einem einzigen l\u00e4sst sich nachweisen, dass er nur den Nerven erregt, und f\u00fcr die contractile Substanz wirkungslos ist. Um diese Angaben jeder Zeit bewahrheiten zu k\u00f6nnen, schneide man den Muse. Sartorius eines Frosches durch 3 senkrecht auf die Faserung gerichtete Scheerensclinitte in 4 St\u00fccke. Die beiden Endst\u00fccke, welche man auch bei ganz grossen Fr\u00f6schen unten nicht l\u00e4nger als 3 Mm., oben nicht \u00fcber 4 Mm. lang machen darf, zucken gar nicht, wenn man sie mit jenem K\u00f6rper, dem concentrirten Glycerin, benetzt, die beiden anderen St\u00fccke dagegen zucken heftig und gehen in Tetanus \u00fcber. Macht man denselben Versuch aber mit irgend einer anderen reizenden Substanz, S\u00e4uren, Alkalien etc., so zucken","page":607},{"file":"p0608.txt","language":"de","ocr_de":"608\nW. K\u00fchne:\nalle 4 St\u00fccke, auch die Enden also, welche keine Nerven enthalten, und ich darf dem gl\u00fccklichen Zufalle dankbar sein, der mir einen Muskel in die H\u00e4nde spielte, bei welchem die gew\u00e4hlte Reizmethode meist nur die reine contractile Substanz betraf, so dass alle chemischen K\u00f6rper, welche bei directer Reizung Muskelzuckungen hervorriefen, mit Ausnahme des concentrirten Glycerins, als wahre Muskelreize betrachtet werden m\u00fcssen, wie sp\u00e4ter durch ihre unbeeintr\u00e4chtigte Wirkung, w\u00e4hrend der Dauer der Nervenl\u00e4hmung mittelst des constanten Stromes, best\u00e4tigt wurde.\nDas g\u00e4nzliche Fehlen der intramuscularen Nerven in gewissen Muskelstrecken giebt uns nun aber auch ein Mittel an die Hand, die Erregungsf\u00e4higkeit des elektrischen Stromes f\u00fcr die contractile Substanz zu erkennen. Man schneide wieder einen Sartorius in mehrere St\u00fccke und trage Sorge, diesmal dieselben alle gleich 4 Mm. zu machen. Bei einem grossen Frosche z. B., wo dieser Muskel vom Nerveneintritt an bis zum oberen Urspr\u00fcnge 12 Mm. messen kann, ist es leicht, 3 ganz gleich grosse Muskelvierecke auf diese Weise zu erhalten. Werden nun diese 3 St\u00fccke mit ihren Schnittfl\u00e4chen an einander gelegt, und die beiden \u00e4ussersten mit ihrer \u00e4usseren Grenze mit 2 Papierbauschelektroden in Verbindung gebracht, so zuckt bei dem Minimum der elektrischen Reizung, welche mittelst des Rheochords, oder durch Verschieben der secund\u00e4ren Rolle des Inductionsapparates leicht gefunden werden kann, immer nur eins dieser St\u00fccke und zwar immer nur dasjenige, welches die Nerveneintrittsstelle enth\u00e4lt. Wird die Reizung sodann allm\u00e4lig verst\u00e4rkt, so zuckt auch das 2te zwischen dem Ende und dem Hilus herausgenommene Quadrat, und ebenso f\u00e4ngt auch das 3te Endst\u00fcck schliesslich an zu zucken, wenn der Reiz nochmals verst\u00e4rkt wird. Die Dichte der elektrischen Str\u00f6me, welche die Muskelst\u00fcckchen durchziehen, ist wegen der gleichen Gestalt in allen dreien nat\u00fcrlich dieselbe. Man mag ferner die St\u00fcckchen in einer anderen Reihenfolge zwischen die Elektroden legen, oder sie neben einander \u00fcber 2 feine nach der Weber\u2019sehen Methode angeordnete Platindraht-","page":608},{"file":"p0609.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 609\nelektroden lagern, immer bleibt der Erfolg des Versuchs derselbe, so lange noch eine hinl\u00e4ngliche Erregbarkeit in den Muskeln vorhanden ist. Nach diesem Versuche ist es wohl ganz klar, dass auch das Ende des Sartorius, welches keine Nerven enth\u00e4lt, durch den elektrischen Strom erregbar sei. Wer an die Nervenwirkung in distans, \u00fcber die Schnittfl\u00e4chen der anderen beiden nervenhaltigen Muskeltheile hinaus, glauben will, der mag schliesslich das Endst\u00fcck allein auf die Elektroden legen, und niemals wi\u00efd auch so die Zuckung ausbleiben, gleichviel ob die Wechselstr\u00f6me der secuud\u00e4ren Rolle oder die gleichgerichteten Schl\u00e4ge der prim\u00e4ren Spirale, oder Schliessung und Oeffnung eines Kettenstromes zur Reizung verwendet wurden. In allen F\u00e4llen bleibt sich die Zuckung gleich, und niemals zeigt sich irgend eine Verschiedenheit an der einen oder der anderen Elektrode. Die contractile Substanz ist folglich trotz Eckhard und Schiff und auch durch den elektrischen Strom reizbar wie der Nerv.\nNach dem, was ich fr\u00fcher \u00fcber die chemische Reizung mitgetheilt habe, bedarf es keiner besonderen Begr\u00fcndung mehr, dass der Muskel auch ohne den Nerven den Reiz von Querschnitt zu Querschnitt \u00fcbertrage. Wenn man den hart vor dem Urspr\u00fcnge des Sartorius angelegten Querschnitt in einer capillaren Schicht mit einer reizenden Fl\u00fcssigkeit benetzt, und darauf den ganzen Muskel in seiner ganzen L\u00e4nge zucken sieht, so muss sicherlich die Contraction durch die contractile Substanz fortgeleitet worden sein, da ja zwischen der Applicatiousstelle des Reizes und den letzten intramuscularen Nerven ein mehrere Millimeter langes Muskelst\u00fcck dazwischen liegt, welches frei von allen Nerven ist. F\u00fcr diese Strecke ist die Sache also unzweifelhaft, und es braucht kaum hinzugef\u00fcgt zu werden, dass es sich auch an den nervenhaltigen mittleren Theilen des Muskels ebenso verh\u00e4lt, denn auch hier l\u00e4uft die Zuckung weiter, selbst wenn der Nerv durch einen constanten Strom gel\u00e4hmt ist, im Widerspruche gegen die Behauptung Schiff\u2019s, der den Muskel w\u00e4hrend der Dauer des l\u00e4hmenden Stromes nur local sich contrahiren gesehen haben will. Es ist ganz gleichg\u00fcltig, wie Schiff den","page":609},{"file":"p0610.txt","language":"de","ocr_de":"610\nW. K\u00fchne :\nVersuch anstellen will, er mag sich der mechanischen, der chemischen oder der elektrischen Reizung bedienen. Ein Sartorius vom Frosch, dessen Nerv in aufsteigender Richtung von einem Strome von 4, 6 oder 8 Grove\u2019schen Elementen durchflossen wird, wird ihm immer die sch\u00f6nsten Zuckungen zeigen, welche sich stets von der Reizstelle bis nach dem anderen Ende der Primitivbiindel ausdehnen und nie an jenem. Orte beschr\u00e4nkt bleiben, wenn er anders den Muskel selbst vor Zerst\u00f6rungen zu bewahren versteht. Die hier von Schiff gemachte widersprechende Angabe ist eben so falsch, wie die Behauptung, dass die von v. Wittich beschriebenen Wasserzuckungen auf Nervenerregung beruhten.\nWenn wir jetzt die Bezeichnung der idiomuscul\u00e4ren Contraction f\u00fcr die bei directer Reizung der contractilen Substanz gefundenen Thatsachen adoptiren, so finden wir, dass also dieselbe hervorgerufen werden kann durch chemische, mechanische und elektrische Reizungen, und dass ihr dieselben Eigenschaften zukommen, wie der durch den gereizten Nerven vermittelten neuromuscul\u00e4ren Contraction, dass sie sich n\u00e4mlich von der Reizstelle aus in jeder Richtung innerhalb des Sarkolemms verbreitet. Besteht ein Unterschied zwischen neuro- und idiomuscul\u00e4rer Bewegung, so kann derselbe nur in dem Modus gesucht werden, denn es ist klar, dass sich ein Muskelprimitivb\u00fcndel, das an einem Ende gerade eine Nervenfaser erh\u00e4lt, ebenso bei Reizung dieses Nerven verhalten wird, wie wenn wir denselben durch irgend einen anderen k\u00fcnstlichen Reiz ersetzen. Dieser Fall scheint indessen bei keinem Muskel vorzukommen, sondern immer erh\u00e4lt ein Muskelprimitivb\u00fcndel mehrere Nerven, welche an verschiedenen Punkten seiner L\u00e4nge das Sarkolemm durchbrechen und es ist deshalb anzunehmen, dass die neuromus-cul\u00e4re Bewegung von mehreren Orten gleichzeitig beginnt, w\u00e4hrend die idiomuscul\u00e4re zun\u00e4chst auf die Reizstelle verwiesen ist, von welcher aus allein sie fortgepflanzt werden kann. Immerhin aber bleibt es sehr wahrscheinlich, dass man k\u00fcnstlich einem Muskel eben so gut dieselbe Bewegung ertheilen k\u00f6nne, wie durch den Nerven, wenn man nur Sorge tr\u00fcge,","page":610},{"file":"p0611.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und ^Ver\u00e4nderungen u. s. w. 611\nden directen Reiz an mehreren, den Verkn\u00fcpfungspunkten des Nerven mit der contractilen Substanz entsprechenden Orten zugleich einwirken zu lassen. So w\u00fcrde dann wohl jeder Unterschied zwischen neuro- und idiomuscul\u00e4rer Bewegung wegfallen.\nDas allgemeine Bild des direct ohne Nervenvermittelung gereizten Muskels w\u00e4re hiermit abgeschlossen. Je nach der Art und dem Grade der Reizung treten aber Erscheinungen ein, welche jetzt von ganz besonderer Bedeutung sind, da sie die Veranlassung zu einer v\u00f6llig von allem fr\u00fcheren abweichenden Auffassung der Lehre von der Muskelbewegung geworden sind. Ich habe bei Gelegenheit der chemischen Reizung schon einer Erscheinung erw\u00e4hnt, welche immer eintritt, wenn der Muskel an einem Punkte l\u00e4ngere Zeit mit der erregenden Fl\u00fcssigkeit in Ber\u00fchrung bleibt. Das obere Sartorius-Ende schwillt in der Regel nach abgelaufener Zuckung betr\u00e4chtlich an, kr\u00fcmmt sich dann hakenf\u00f6rmig um, und geht so in den Zustand der Starre \u00fcber, und es ist dies eine von den Bewegungen, welche Schiff als idiomuscul\u00e4r im engem Sinne bezeichnen w\u00fcrde, eine local auf die Reizstelle beschr\u00e4nkt bleibende, dauernde Contraction.\nDie Beschreibung dieser Art der Muskelcontraction ist in dem Lehrbuch der Physiologie von Schiff so sehr mit allen m\u00f6glichen Seitenblicken, verd\u00e4chtigenden Bemerkungen \u00fcber die Untersuchungen anderer Forscher und mit so vielen nur halb wahren Aussagen durchwachsen, dass es nothwendig wird, eine ganz abweichende Darstellung bei ihrer Beurthei-lung einzuschlagen.\nZun\u00e4chst muss ich bemerken, dass Schiff sich sehr mit Unrecht f\u00fcr den eigentlichen Entdecker der von ihm als idio-muscul\u00e4r bezeichneten Contractionen h\u00e4lt, da sich Jeder aus seinem Knabenalter sehr gut erinnern wird, welche Folgen die localen und heftigen Muskelreizungen begleiten. Allen Turnern namentlich ist es schon seit langer Zeit bekannt, wie ein kr\u00e4ftiger Hieb mit der scharfen Seite der Hand quer \u00fcber den Biceps brachii gef\u00fchrt, ein pl\u00f6tzliches Wallen dieses Muskels zur Folge hat, worauf sich an der geschla-","page":611},{"file":"p0612.txt","language":"de","ocr_de":"612\nW. K\u00fchne:\ngenen Stelle eine bald wieder verschwindende Schwiele erhebt, welche ohne M\u00fche durch Betasten als dem Muskel angeh\u00f6rig erkannt werden kann, und an welcher die Haut durchaus unbetheiligt ist. Wer den Versuch an sich selbst angestellt hat, wird auch die l\u00e4hmende Wirkung eines solchen Schlages kennen, die demselben bekanntlich auch von jeher eine gewisse Ber\u00fchmtheit bei allen k\u00f6rperlichen Hebungen ertheilt hat. Schiff, Weber und Funke sind aber die ersten, welche dieselbe Erscheinung zuerst an dem ent-bl\u00f6ssten Muskel n\u00e4her verfolgt haben, die letzteren bei Gelegenheit einer Hinrichtung, wo sie diese W\u00fclste oder Schwielen noch lange Zeit nach dem Tode k\u00fcnstlich an dem menschlichen Leichnam hervorrufen konnten.\nWill man die Vorg\u00e4nge bei der mechanischen Reizung eines Muskels in allen Einzelheiten verfolgen, so ist es gut, sich dazu eines d\u00fcnnen Muskels mit parallelen Fasern zu bedienen, bei gr\u00f6sseren Thieren z. B. der schr\u00e4gen Bauchmuskeln, des Diapliragma\u2019s oder des Sartorius. Es ist ferner n\u00fctzlich, die Reizung auf eine kleine Anzahl von Primitivb\u00fcndeln zu beschr\u00e4nken, da man hinl\u00e4nglich Alles daran \u00fcbersehen kann, was eine gr\u00f6ssere Zahl gereizter Muskelb\u00fcndel, doch immer nur in derselben Weise, als Wiederholung zeiget) kann. Nimmt man z. B. einen Streifen aus dem Zwerchfell eines eben get\u00f6dteten Hundes und reizt man ein gr\u00f6sseres St\u00fcck davon mit irgend welchem Instrument mechanisch, so wird man mehr oder weniger dieselbe Erscheinung eintreten sehen, n\u00e4mlich eine dem Reize fast augenblicklich folgende Verk\u00fcrzung des ganzen Muskelst\u00fccks und eine nicht immer deutlich ausgepr\u00e4gte dauernde Reaction an der Reizstelle selbst. Am besten ist es daher, die Reizstelle so klein wie m\u00f6glich zu machen,- und den mechanischen Reiz mit einer stumpfen, nicht durchbohrenden Nadel auszuf\u00fchren. Man sieht auf die Weise Folgendes:\nWenn der Muskel irgend eines warmbl\u00fctigen Thieres gleich nach dem Tode irgendwo mittelst der Nadel mit massiger Kraft und Geschwindigkeit gedr\u00fcckt wird, so contra-hiren sich alle diejenigen Primitivb\u00fcndel, welche direct ge-","page":612},{"file":"p0613.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 613\ntroffen werden, augenblicklich in ihrer ganzen L\u00e4nge. Nach Ablauf dieser wahren Zuckung erhebt sich die eingedr\u00fcckte Stelle langsam \u00fcber das Niveau des \u00fcbrigen Muskels empor in Form eines stumpfen Kegels, welcher eine kurze Zeit hindurch bestehen bleibt, und dann allm\u00e4lig sich abplattend wieder verschwindet. Zieht man mit der Nadel einen Druckstrich senkrecht \u00fcber die Richtung mehrerer Muskelfasern, so ist die Erscheinung dieselbe, mit dem Unterschiede, dass die Zuckung auch auf alle anderen Primitivb\u00fcndel sich erstreckt, und dass die kegelf\u00f6rmige Erhebung in der Form eines Wulstes erscheint, welcher genau der Drucklinie entsprechend \u00fcber alle von dem Reize getroffenen Primitivb\u00fcndel hin\u00fcbergeht. Bei allen warmbl\u00fctigen Thieren, welche ich untersuchte, beim Pferde, beim Rinde, dem Hunde, Kaninchen, der Katze und dem Meerschweinchen ist der beschriebene Vorgang constant derselbe, an der Thatsache selbst besteht durchaus kein Zweifel und es fragt sich nur, wie man sich dieselbe erkl\u00e4ren k\u00f6nne.\nDass der Muskel bei directer mechanischer Reizung zuckt, dass z. B. ein Froschmuskel beim Anlegen eines Querschnitts die st\u00e4rksten Contractionen zeigt, ist eine seit langer Zeit bekannte Sache, und es wird Niemand daran zweifeln, dass die Contraction des gedr\u00fcckten oder gestochenen Muskelb\u00fcndels eines warmbl\u00fctigen Thieres gleichbedeutend sei mit jeder anderen Muskelzuckung. Zum Ueberflusse ist es immer leicht zu zeigen, dass ein auf einem so gereizten Muskel mit seinem Nerven aufliegender Froschschenkel in secund\u00e4re Zuckung verf\u00e4llt. Ist aber die dauernde Erhebung, welche an der Reizstelle entsteht, auch eine Contraction, welche, wenigstens dieses St\u00fcck isolirt betrachtet, dieselbe gleich erscheinen l\u00e4sst mit der eines anderen durch andere Reizmittel zur Contraction gebrachten Muskels? Man sollte denken, dass Schiff, der doch die ganze Muskellehre auf diese Erscheinung st\u00fctzen wollte, diese Frage zu beantworten gesucht habe? Statt dessen protestirt er aber dagegen, dass eine Muskelcontrac-tion der anderen gleich zu sein brauche. Er versichert freilich , dass seine sogenannte idiomuscul\u00e4re Contraction mit\nReichert's u. du Bois-Reymoud's Archiv. 1858.\t40","page":613},{"file":"p0614.txt","language":"de","ocr_de":"614\nW. K\u00fchne:\neiner starken negativen Schwankung des Muskelstromes begleitet sei, sagt aber nichts \u00fcber die Untersuchungsmethode und die Experimente, durch welche er sich dessen versicherte. Die idiomuscul\u00e4re Contraction ist ihm ferner gleich mit der Todtenstarre und der W\u00e4rmestarre, und es bleibt dann in der That zu verwundern, wie er es nicht vorgezogen hat, dieselbe ganz von allen \u00fcbrigen Muskelcontractionen zu trennen, da die Un\u00e4hnlichkeiten zwischen beiden dadurch so gross werden, dass die Yerku\u00fcpfungspunkte g\u00e4nzlich verloren gehen d\u00fcrften.\nSo schlimm steht es indessen um die Sache nicht. Szer-mak bat gezeigt, dass ein Froschschenkel, dessen Nerv an einer Stelle den ruhenden Muskel an einer anderen jenen \u201eidiomuscul\u00e4ren Wulst\u201c ber\u00fchrt, in secund\u00e4re Zuckung verfalle, eine Beobachtung, welche ich als vollkommen richtig best\u00e4tigen kann. Derselbe Versuch ist mir sogar mit dem nach Art des Froschpr\u00e4parats zugerichteten Schenkel desselben warmbl\u00fctigen Thieres gelungen, dessen \u00fcbrige Muskeln durch mechanische Reizung die idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste lieferten.1) Man sollte demnach meinen, dass der Muskelstrom an der gereizten Stelle in der negativen Schwankung oder einer dauernden Abnahme begriffen sei, und der Versuch w\u00fcrde leicht f\u00fcr die Frage entscheidend sein k\u00f6nnen, wenn nicht als gewiss angenommen werden d\u00fcrfte, dass eine absolute \u00f6rtliche Zerst\u00f6rung der contraction Substanz ganz dasselbe bewirken m\u00fcsste, da die vernichtete Muskelsubstanz immer noch als Leiter des zun\u00e4chst liegenden unversehrten Muskelquerschnitts dienen w\u00fcrde, so dass die secund\u00e4re Zuckung hier nur die Bedeutung der Zuckung ohne Metalle, der durch den ruhenden Muskelstrom hervorgerufenen Contraction erhielte. Der Umstand aber, dass die idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste mehrere Male bei frischen Muskeln immer wie-\n1) Dem zu diesem Versuche verwendeten Ivaninchensehenkel war nach einer neuen, h\u00f6chst sinnreichen Methode, welche Herr Cl. Bernard demn\u00e4chst ver\u00f6ffentlichen wird, ein \u00e4hnlicher hoher Grad von Erregbarkeit k\u00fcnstlich ertheilt, wie man ihn sonst nur bei den reizbarsten Pr\u00e4paraten der Kaltbl\u00fcter zu finden gewohnt ist.","page":614},{"file":"p0615.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 015\nder an derselben Stelle nach ihrem Verschwinden hervorgerufen werden k\u00f6nnen, spricht daf\u00fcr, dass die secund\u00e4re Zuckung, welche sie veranlassen, wirklich von der negativen Schwankung des Muskelstromes herr\u00fchren, obgleich es immer noch seltsam bleibt, dass jener dauernden Contraction, nicht auch ein tetanischer Zustand des Froschschenkels entspricht, analog dem secund\u00e4ren Tetanus. Aus letzterem Grunde wird es sogar sehr wahrscheinlich, dass die dauernde Contraction nach mechanischer Reizung, gegen\u00fcber dem bisher gekannten Tetanus\u201c, die einzige ununterbrochene, stetige, beharrende Muskelzusammenziehung darstelle. Dass diese dauernde Erhebung oder locale Verdickung durchaus verschieden sei von der Todtenstarre, erhellt, ganz abgesehen von dem allm\u00e4li-gen Verschwinden und der F\u00e4higkeit auf\u2019s Neue durch jeden neuen Reiz wiederzukehren, aus dem Ausbleiben aller derjenigen Zeichen, welche die Starre charakterisiren. Niemals reagirt ein durch einen solchen Wulst gef\u00fchrter Querschnitt sauer, sondern das auf die Schnittfl\u00e4che gelegte rothe Lackmuspapier wird im Gegentheil blau, in Uebereinstimmung mit der vor kurzem von du Bois-Reymond untersuchten Reaction des lebendigen Muskels. Ein todtenstarrer Muskel ist ferner immer undurchsichtiger und tr\u00fcber als ein noch reizbarer, und es ist leicht, an dem d\u00fcnnen Diaphragma neugeborener Katzen und Kaninchen, oder an den feinen Muskeln der Maus die idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste unter dem Mikroskop als vollkommen so durchsichtig wie die \u00fcbrigen Theile der Primitivb\u00fcndel zu erkennen, womit die Annahme einer localen Abt\u00f6dtung an der Reizstelle ganz und gar beseitigt werden kann. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass die sogenannten idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste in einer wirklichen, local auf die Reizstelle beschr\u00e4nkten andauernden Contraction bestehen.\nMan hat demnach bei der directen mechanischen Reizung des Muskels zweierlei zu unterscheiden: eine dem Reize rasch folgende Contraction des Primitivb\u00fcndels in seiner ganzen L\u00e4nge, und eine sp\u00e4ter eintretende locale, der Reizstelle entsprechende Contraction, oder wie Schiff es nennt, eine\n40*","page":615},{"file":"p0616.txt","language":"de","ocr_de":"616\nW. K\u00fchne:\nneuromuscul\u00e4re und eine idiomuscul\u00e4re Bewegung. Sehen wir jetzt, ob die beschriebenen Thatsachen zu der letzteren Unterscheidungsweise berechtigen, oder ob nicht die Con-tractionen beide ebenso gut neuromuscular oder beide idio-muscul\u00e4r sein k\u00f6nnen.\nUm die Unterschiede zwischen den beiden auf einander folgenden Contractionen zu erkl\u00e4ren, ist Schiff auf den Gedanken gekommen, dass die erste rasch erfolgende Contraction von dem mitgereizten Nerven herr\u00fchre, w\u00e4hrend die 2te locale Contraction die Reaction des gereizten Muskels sei. Abgesehen davon, dass gar nicht einzusehen ist, wie der mittelbar auf einem Umwege gereizte Muskel sich viel eher contrahiren sollte, als der direct gereizte, abgesehen von dem Widerspruch, in welchem diese Anschauung zu den Resultaten der Helmholtz\u2019sehen Untersuchungen steht, f\u00fchrt diese Lehre auch noch zu der Annahme, dass der Muskel \u00fcberall in allen Orten mit Nerven durchsetzt sei, da es ohne dies schlechterdings unm\u00f6glich w\u00e4re, dass jedes Primitivb\u00fcndel von jedem Punkte aus zu einer neuromuscul\u00e4ren Contraction vermocht werden k\u00f6nnte. Wie ich gezeigt habe, ist die Nervenverbreitung auch im Sartorius eine ganz beschr\u00e4nkte, und demnach m\u00fcssten \u00fcber die ganze L\u00e4nge des Primitivb\u00fcndels verlaufende Zuckungen nur von einigen wenigen dem Nerven entsprechenden Punkten aus erhalten werden k\u00f6nnen, wenn Schiff im Rechte w\u00e4re, wo er behauptet, dass jede ausgebreitete Zuckung neuromuscular sei. Das aber scheint Schiff ganz \u00fcbersehen zu haben, welch ein ungeheurer Unterschied zwischen der Reizung liegt, welche die nicht direct getroffenen Punkte der contractilen Substanz empfangen und derjenigen, welche sie erleidet, da wo der k\u00fcnstliche Reiz unmittelbar einwirkt. Wenn es Schiff noch nicht belieben sollte, der Muskelfaser das Leitungsverm\u00f6gen zuzuschreiben, so m\u00f6ge er sich an das Beispiel des Nerven halten. Man kann einen Nerven in einem Punkte durch einen Reiz vernichten, von welchem aus aber die n\u00e4chst gelegenen Orte die Reizung weiter fortpflanzen, ohne selbst mit besch\u00e4digt zu werden. Der Reiz, welcher al\u00e2o von","page":616},{"file":"p0617.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 617\nQuerschnitt zu Querschnitt \u00fcbertragen wurde, erreichte gewiss nicht die M\u00e4chtigkeit des von aussen applicirten Einflusses, der den Nerven an jener Stelle zerst\u00f6rte. Nun ganz so wird es wohl beim Muskel auch sein, und wir werden uns nicht wundern d\u00fcrfen, wenn der Muskel sich an der Stelle st\u00e4rker contrahirt, an welcher er direct dem Reize ausgesetzt war, als dort, wo nur ein erregter Muskelquerschnitt als Reiz auf den n\u00e4chstfolgenden wirkte. Die st\u00e4rkere Erhebung, welche den sogenannten idiomuscul\u00e4ren Wulst kennzeichnet, kann also auf einen sehr einfachen Grund zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Anders steht es mit dem zeitlichen Verlauf dieser Contraction. Wir haben erw\u00e4hnt, dass die idiomuscul\u00e4re Erhebung nach beendeter allgemeiner Zuckung des Muskels entstehe, und viel sp\u00e4ter wieder verschwinde als diese, kurz von l\u00e4ngerer Dauer sei. Bei einem ganz frischen Muskel folgt indessen der Beginn derselben so rasch auf die Zuckung, dass der geringe Zeitverlust ohne Zwang so gedacht werden kann, dass der Muskel, da wo er zuerst durch den mechanischen Reiz niedergedr\u00fcckt war, auch eine bestimmte Zeit gebrauchte, um diese Vertiefung durch die Contraction wieder auszugleichen und ferner einen Zeitraum, um aus dem, der Dicke w\u00e4hrend der Ruhe entsprechenden Zustande weiter heraus, den im Ganzen contra-hirten Muskel als locale Erhebung \u00fcberragen zu k\u00f6nnen. Der sp\u00e4tere Eintritt der Sch iff\u2019sehen idiomuscul\u00e4ren Contraction d\u00fcrfte dieselbe also wohl kaum als etwas so ganz Absonderliches erscheinen lassen, viel eher w\u00fcrde das der Fall sein wegen ihres langsamen Verschwindens, ein Umstand, auf welchen ich zur\u00fcckkomme.\nSchiff hat angegeben, dass, eine bestimmte Zeit nach dem Tode des Thieres, die Folgen der mechanischen Reizung andere seien, als bei ganz frischen Muskeln. Er beschreibt eine ganz eigenth\u00fcmliche Art der Muskelcontraction, welche er schliesslich auch f\u00fcr neuromuscular erkl\u00e4rt hat. Streicht man n\u00e4mlich mit einem kantigen Instrument in senkrechter Richtung zur Faserung \u00fcber einen Muskel hin, welcher nicht mehr die h\u00f6chste Stufe der Erregbarkeit besitzt, dabei aber","page":617},{"file":"p0618.txt","language":"de","ocr_de":"618\nW. K\u00fchne:\ndoch noch nicht zu weit von derselben entfernt ist, so sieht man von der Reizstelle aus ein zierliches Wellenspiel in der ganzen L\u00e4nge der Primitivb\u00fcndel nach beiden Seiten hin vor sich gehen. W\u00e4hrend sich die direct gereizte Stelle zum Wulste erhebt, gehen Contractionswellen oder knotige Anschwellungen von derselben aus, welche mit erheblicher Geschwindigkeit bis zum Ende des Muskels hinlaufen, dann scheinbar zur\u00fcckkommen und mit einer zweiten zusammeu-prallen. Diese \u00e4usserst h\u00fcbsche Erscheinung trifft man bei den Muskeln der warmbl\u00fctigen Thiere nicht immer an, wenigstens ist sie mir nicht so oft vorgekommen, wie ich nach Schiffs Beschreibung erwarten durfte, trotz der zahlreichen Thiere, welche ich beobachtete. Ich habe dieselbe aber nie ansbleiben sehen bei dem Sartorius des Frosches, bei welchem die wellenartig gestaltete Contraction sehr leicht zu beobachten ist, wenn man denselben an einem Ende aufh\u00e4ngt und an dem anderen Ende mit der Scheere so einen Querschnitt anlegt, dass man ihn zugleich etwas spannt, damit das Wellenspiel nicht in den ruckweisen Zuckungen untergehe. Man sieht dann namentlich bei durchfallendem Lichte, worin der Muskel in den sch\u00f6nsten Farben spielt, die zarten Wellen scheinbar in der durchsichtigen Masse aufsteigen und wieder herabwallen, wodurch zugleich das Farbenspiel des schillernden Muskels in den lebhaftesten Wechsel ger\u00e4th. Bei den Muskeln der Warmbl\u00fcter habe ich den analogen Vorgang immer am besten gesehen, wenn das ge-t\u00f6dtete Thier durch k\u00fcnstliche Respiration eine Zeit lang noch durch die Blutcirculation in einem dem Leben nahen Zustande erhalten wurde, oder in ganz unversehrten, nicht isolirten und mit Bindegewebe gut bedeckten Muskeln der Extremit\u00e4ten zu verschiedenen Zeiten nach dem Tode.\nDa nicht angenommen werden darf, dass die mechanische Reizung in allen diesen F\u00e4llen immer einen Nerven mit betroffen habe, wenigstens nicht in jedem mitgereizten Primitivb\u00fcndel, so ist es wohl im h\u00f6chsten Grade wahrscheinlich, dass auch diese fortlaufenden Contractionswellen idiomuscul\u00e4r seien, um so mehr, weil sie geradezu als eine Fortsetzung","page":618},{"file":"p0619.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 619\ndes an der Reizstelle entstehenden Wulstes erscheinen. Am Sartorius des Frosches ist es ganz evident, dass dieselben von nervenlosen Stellen des Muskels ausgehen k\u00f6nnen, da jeder Querschnitt, welcher in die nervenlosen Gebiete desselben f\u00e4llt, immer das beschriebene Bild hervorruft. Dies Weilenspiel ist ferner wieder eine unzweifelhafte Contraction, welche nur in der Form so ausgezeichnet ist, denn es gelingt sehr gut einen Froschschenkel dadurch secund\u00e4r zucken zu lassen. Legt man den Nerven eines Froschschenkels an einen gespannten Sartorius desselben Thieres an und schneidet man jetzt langsam das nach unten herabh\u00e4ngende Muskelende ab, so zuckt jedes Mal, h\u00e4ufig auch mehrere Male, der Schenkel secund\u00e4r, w\u00e4hrend der direct gereizte Muskel nur die innere Unruhe an dem Spiel der Contractionswellen verr\u00e4th. Die secund\u00e4re Zuckung gelingt ebenso von den Muskeln der Warmbl\u00fcter aus, ja man kann hier sogar nicht selten die Zuckung eintreten sehen, w\u00e4hrend die langsam an den Froschnerven heranrollende Welle denselben noch nicht ganz erreicht hat. W\u00e4hrend sie unter ihm weggeleitet werden, erfolgen dann h\u00e4ufig noch mehrere einzelne Zuckungen in den Zehen, oder eine flimmernde Bewegung in der Wade.\nIn dem Stadium, wo nur die mechanische locale Reizung diesen Modus der Contraction erzeugt, bemerkt man, dass die locale wulstige Contraction etwas sp\u00e4ter eintritt und noch langsamer wieder verschwindet. Nie aber erreicht sie eine solche H\u00f6he wie bei dem ganz frischen Muskel, wo ein kr\u00e4ftiger Stoss mit dem stumpfen Ende des Scalpelheftes auf die Oberschenkelmuskeln des Hundes leicht eine zollhohe Erhebung verursacht.\nJe weiter der Muskel dann abstirbt oder je l\u00e4nger er iso-lirt und dem Blutkreislauf entzogen war, desto mehr pr\u00e4gt sich diese Ver\u00e4nderung aus. Die W\u00fclste werden immer niedriger, treten viel sp\u00e4ter ein und dauern l\u00e4nger an. Gleichen Schritt damit h\u00e4lt aber auch die Ver\u00e4nderung, welche die von der Reizstelle ausgehende Contraction erleidet, so dass die M\u00f6glichkeit, in derselben das Spiel einer wellenartigen Bewegung erkennen zu k\u00f6nnen, allein durch die Ver-","page":619},{"file":"p0620.txt","language":"de","ocr_de":"620\nW. K\u00fchne:\nlangsamung der urspr\u00fcnglich nur rascher aber in derselben Weise fortschreitenden Muskelcontraction aufgefasst werden muss. Dem zu Folge bietet der Muskel jedes warmbl\u00fctigen Thieres mehrere Stadien dar, welche ziemlich scharf von einander geschieden sind. Der ganz frische Muskel contra-hirt sich rasch, die locale Erhebung an der Reizstelle beginnt fr\u00fche und verschwindet bald wieder, erreicht aber eine bedeutende H\u00f6he. Im 2ten Stadium ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit vermindert, die locale Erhebung geschw\u00e4cht und ihre Dauer verl\u00e4ngert. In einem 3ten Stadium endlich geht der fortgepflanzten Contraction die locale Erhebung voraus, so dass das Weiterschreiten der Muskelcontraction in einem Vorr\u00fccken der contrahirten Reizstelle besteht.\nSc hi ff behauptet nun zwar, dass die fortschreitende Bewegung an die Erhaltung der intramuscularen Nerven gekn\u00fcpft sei, und dass die rein locale Contraction der contraetilen Substanz allein eigenth\u00fcmlich sei, er hat aber eben gar nicht angegeben, dass bei jedem Muskel ein Stadium existirt, wo jene rasch verlaufende, nach ihm neuromuscul\u00e4re Bewegung gar nicht mehr eintritt, sondern wo der von ihm als idiomuscul\u00e4r bezeichnete Wulst selbst sich zerkl\u00fcftet und die 2 langsam aus einander r\u00fcckenden Contractionswellen darstellt. Wenn nun nach Schiff der Muskel selbst den Reiz nicht fortleitet, wenn ohne Nervenvermittlung die Contraction immer nur local bleibt, wie kommt es denn, dass dasjenige Ding, das er selbst als idiomuscul\u00e4re Contraction anerkennt, von einem Orte zum andern in der L\u00e4nge des Muskelprimitivb\u00fcndels fortschreitet? Wir k\u00f6nnen uns f\u00fcr einen Augenblick in Schi ff\u2019s Gedanken ganz versetzen. Nach ihm ist der Muskel oder die contractile Substanz \u00fcberall mit Nerven erf\u00fcllt. Die Nerven sollen absterben und dann soll allein der Muskel als reizbares Organ \u00fcbrig bleiben. Auf dieser Vorstellung beruht sein Beweis der Muskelirritabilit\u00e4t. Was liegt aber wohl n\u00e4her als der Gedanke, dass, wenn der Nerv allein die Fortpflanzungsf\u00e4higkeit der Contraction bedingt, dass dieser Nerv bei seinem Absterben erst selbst die Leitungsf\u00e4higkeit verliere, w\u00e4hrend seine einzelnen Punkte","page":620},{"file":"p0621.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. (521\nnoch recht, gut reizbar bleiben k\u00f6nnen, so dass die zun\u00e4chst liegende Muskelsubstanz mittelst derselben noch erregt werden kann? Bei der Leitung ist eben immer ein erregter Querschnitt als Reiz f\u00fcr den folgenden zu denken, und dass dieser Reiz nicht dem einer kr\u00e4ftigen mechanischen Misshandlung gleichzusetzen ist, versteht sich wohl von selbst. Um so mehr also, wenn der Nerv abzusterben beginnt, wo der \u00e4ussere k\u00fcnstliche Reiz noch an einer Stelle wirken kann, w\u00e4hrend der Reiz des n\u00e4chsten erregten Querschnitts nicht mehr gen\u00fcgen wird, um den Effect an dem Ende des Organes zur Geltung kommen zu lassen. \u2014 Ich will nicht l\u00e4ugnen, dass die von Schi fl beobachteten Thatsachen Beitr\u00e4ge zu einem Beweise der Muskelirritabilit\u00e4t liefern k\u00f6nnen, denn die Dinge w\u00fcrden jedenfalls ganz anders aussehen, wenn der Muskel nicht irritabel w\u00e4re, in der Sehiff\u2019schen Argumentation liegt aber bis hierher noch gar kein Beweis, denn der frische Muskel enth\u00e4lt einen noch f\u00fcr l\u00e4ngere Strecken leitungsf\u00e4higen Nerven, w\u00e4hrend der absterbende Muskel einen Nerven enthalten kann, welcher nur f\u00fcr kurze Strecken, entsprechend der Ausdehnung des Wulstes oder der direct getroffenen Reizstelle, die Leitung zul\u00e4sst.\nNach eigenen Versuchen hat sich mir ergeben, dass die Dauer der Erregbarkeit bei den isolirten Muskeln warmbl\u00fctiger Thiere eine sehr verschiedene ist, abh\u00e4ngig von zahllosen \u00e4usseren Bedingungen. Die Hauptbedingung ist die Temperatur, mit welcher die Dauer der Erregbarkeit meist gleichen Schritt h\u00e4lt. Durchschnittlich bleibt der isolirte und vor Vertrocknung gesch\u00fctzte Muskel eines Warmbl\u00fcters bei einer Temperatur von 14\u00b0 C. 5\u20146 Stunden erregbar, innerhalb welcher Zeit die verschiedenen Ver\u00e4nderungen im Verlauf der Contraction so vertheilt liegen, dass das erste und zweite Stadium in die erste Stunde fallen, w\u00e4hrend die \u00fcbrige Zeit durch das dritte Stadium ausgef\u00fcllt wird. In dem letzteren treten insofern noch Aenderungen ein, als die Entfernung immer mehr abnimmt, bis zu welcher die Contraction von der direct gereizten Stelle aus fortschreitet. Je mehr der Verlust der Erregbarkeit an den Muskeltod, an die Tod-","page":621},{"file":"p0622.txt","language":"de","ocr_de":"622\nW. K\u00fchne:\ntenstarre sich ann\u00e4hert, desto geringer wird auch die Geschwindigkeit, mit welcher das Fortschreiten stattfindet, ja man gelangt zu einem Punkt, wo die direct gereizte Stelle sich nur noch schwach erhebt und dann f\u00fcr immer so stehen bleibt. Schneidet man den Muskel hierauf an jenem Orte quer durch, so findet man ihn dort sauer, die Starre hat Platz gegriffen und kein Mittel vermag den beweglichen Zustand wieder herzustellen, welcher die ganze F\u00fclle von Erscheinungen bedingt, die in der Form der Muskelverk\u00fcrzung unter den Bewegungen und Ver\u00e4nderungen der contractilen Substanz verborgen liegen.\nWie kommt es nun, dass sich an einem ganz frischen Muskel eine rasch verlaufende Zuckung von einer auf die Reizstelle beschr\u00e4nkten Contraction sondert? Wir sahen, dass diese Contraction vorz\u00fcglich durch ihre l\u00e4ngere Dauer wirklich grosse Verschiedenheiten gegen\u00fcber der ersten Zuckung darbietet. Zun\u00e4chst wird man \u00fcberlegen m\u00fcssen, welche Art des Reizes die Erscheinung hervorgerufen, man wird zun\u00e4chst sein Augenmerk gerade auf das richten m\u00fcssen, was man k\u00fcnstlich in die Sache selbst hineingebracht. Schiff glaubt das Vortheilhafte in der mechanischen Reizung darin erkennen zu m\u00fcssen, dass sie ein schwacher Nervenreiz, ein starker Muskelreiz sei, wogegen indessen zu bemerken sein d\u00fcrfte, dass ein handfester Hieb mit einem kantigen Instrument, wie man ihn in den letzten Stadien der Erregbarkeit braucht,\u00bb wohl kaum unter die gelinden Nervenreize zu z\u00e4hlen sein d\u00fcrfte. Die Methode der Reizung scheint mir aber gerade den ganzen Schl\u00fcssel zu den beschriebenen Thatsachen zu enthalten. \u2014 In der Physiologie hat sich seit langer Zeit der Begriff der Erm\u00fcdung eingeb\u00fcrgert, womit der Zustand eines Organs z. B. eines Muskels bezeichnet, in welchen derselbe durch seine zu oft wiederholte Leistung versetzt wird. Beim Muskel ist es bekannt, dass nicht allein sehr h\u00e4ufige Contractionen, sondern auch andere Einfl\u00fcsse, wie Dehnungen, Vertrocknung etc. allm\u00e4lig denselben Zustand herbeif\u00fchren, und Niemand wird daran zweifeln, dass es nichts geeigneteres giebt, um einen Muskel zu","page":622},{"file":"p0623.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s, w. 623\nerm\u00fcden, als dass inan ihn mechanisch misshandelt, klopft, zerrt oder sticht. Die mechanische Reizung besteht offenbar bis jetzt in nichts anderem, vor allen Dingen die, welche zur Erzeugung der Sch iff5 sehen idiomuscul\u00e4ren Contraction die geeignetste ist. Wenn man einen Muskel in seiner ganzen L\u00e4nge ein paar Mal mechanisch gereizt hat, so ist es bald aus mit seiner Erregbarkeit, und falls er sich noch con-trahirt, tr\u00e4gt die Bewegung den Charakter eines auf s H\u00f6chste ersch\u00f6pften Muskels an sich, das Stadium der latenten Reizung ist verl\u00e4ngert, das Maximum der Verk\u00fcrzung verringert und die ganze Zuckungscurve gedehnt. In Uebereinstimmung damit steht es, dass die sogenannte idiomuscul\u00e4re Contraction am besten ausgepr\u00e4gt ist bei bereits erm\u00fcdeten Muskeln oder solchen, welche wenig erregbar, l\u00e4ngere Zeit nach dem Tode verwendet werden, denn hier dauert sie am l\u00e4ngsten, wenngleich die Erhebungen auch nie dieselbe H\u00f6he wie beim frischen Muskel erreichen. Es giebt darum kein besseres Mittel die W\u00fclste bei einem frischen Muskel zur Anschauung zu bringen, bei welchem sie allzu rasch wieder schwinden, als wenn man ihn stark dehnt, womit den gr\u00f6bsten Anforderungen am besten Rechnung zu tragen ist.\nWas im Allgemeinen bei der geschilderten mechanischen Reizmethode geschieht, wird auch in jedem einzelnen Falle nicht ausbleiben. Bei jedem einzelnen Versuche wird die Reizstelle erm\u00fcdet, und daraus erkl\u00e4rt sich das ganze Verhalten derselben. Durch den Druck oder den Schlag wird die contractile Substanz misshandelt oder aus einander getrieben, das Sarkolemm gezerrt, und deshalb wird die hier entstehende Contraction den Charakter der Contraction eines erm\u00fcdeten Muskels tragen, sp\u00e4ter eintreten und l\u00e4nger an-halten. Deshalb ist es schwerer bei einem ganz frischen Muskel dieselbe hervorzurufen, deshalb ist es leichter bei einem ersch\u00f6pften, leichter, nachdem dieselbe Stelle einige Male demselben Einfl\u00fcsse ausgesetzt war. Die Contraction, welche sich von dort aus fortpflanzt, ist ganz davon zu trennen/sie hat ihren Grund in einer leichteren Reizung, welche in der Umgebung des Centrums der st\u00e4rksten mechanischen","page":623},{"file":"p0624.txt","language":"de","ocr_de":"624\nW. K\u00fchne:\nReizung stattfindet, ja sie kann andererseits sogar ganz vermieden werden, wenn der Reiz in einer Weise angebracht wird, dass er die direct getroffene Stelle so trifft, dass sie aus dem continuirlichen Zusammenh\u00e4nge mit den \u00fcbrigen Strecken der Muskelcylinder herausgerissen wird. Ist der Muskel in den letzten Stadien seiner Erregbarkeit, so kann die Contraction der anderen Art deshalb leichter ausbleiben, w\u00e4hrend sie durch andere Reizmethoden immer noch erzeugt werden kann. Aus allen diesen Gr\u00fcnden ist es nun auch klar, weshalb die Muskeln der kaltbl\u00fctigen Thiere so sehr viel schwerer die sogenannte idiomuscul\u00e4re Contraction zeigen, obgleich es ihrer contractilen Substanz doch wahrlich nicht an eigner Erregbarkeit mangelt. Die Muskeln der Fr\u00f6sche und Schildkr\u00f6ten zeigen nur bei wirklich barbarischen Misshandlungen in den letzten Stadien ihrer Erregbarkeit, bei einer Behandlung, welche kaum den Namen des Experiments verdient, eine fl\u00fcchtige rasch vergehende oder der Starre weichende locale Erhebung auf der Reizstelle, und nur die schr\u00e4gen Bauchmuskeln der Fr\u00f6sche, welche mit auffallender Geschwindigkeit vor den anderen Muskeln dieser Thiere ihre Erregbarkeit verlieren, namentlich nachdem sie einigen Reizversuchen ausgesetzt werden, lassen einiger-maassen die idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste erkennen.\nHat man bei allen diesen Versuchen die Muskeln nicht halb zerschmettert, so sieht man dennoch immer dass auch diese Contractionen weiter schreiten. Die W\u00fclste spalten sich in zwei K\u00e4mme, zwischen ihnen entsteht eine Vertiefung, wo der Muskel zur Ruhe zur\u00fcckgekehrt, und von hier aus schreiten die secund\u00e4ren W\u00fclste sich allm\u00e4lig abflachend langsam fort. Bei der Reizung mit der stumpfen Nadel wird die Kegelspitze zum Krater, dessen W\u00fclste fortschreiten. W\u00e4lle und K\u00e4mme sind aber immer noch wirkliche Contractionen, da sie dem Nerven des Froschpr\u00e4parats zu Erregern der secund\u00e4ren Zuckung dienen k\u00f6nnen.\nDer zeitliche Verlauf, so wie die \u00fcbrigen Charaktere der bei der mechanischen Reizung entstehenden Contractionen,","page":624},{"file":"p0625.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 625\ndie streng genommen nicht einmal als rein locale Verk\u00fcrzungen aufgefasst werden k\u00f6nnen, indem die letzteren eigentlich nur dem Muskel eigen sind, wenn der Reiz ganz dicht vor dem Verlust der letzten Spur der Erregbarkeit angewendet wurde, berechtigen also, wie wir gesehen, weder zu einer Beweisf\u00fchrung der Muskelirritabilit\u00e4t, noch zur Lehre eines besonderen Beharrungsverm\u00f6gens der Muskelcontraction, im Gegens\u00e4tze zu dem wohl annehmbaren Leitungsverm\u00f6gen der contraction Substanz. Herr Schiff erscheint aber daf\u00fcr mit anderen ganz neuen Waffen, gegen welche allerdings ganz anders verfahren werden muss, wie gegen seine Argumentationen. Es handelt sich um Thatsachen, welche nur Schiff sehen kann, und um andere, welche nur Schiff verschweigen konnte, jedes zu seiner Zeit. Es gen\u00fcgt ihm nicht, die Betrachtung anzustellen, dass die verschiedenen mechanischen Reize keine oder nur schwache Nervenreize seien, dagegen kr\u00e4ftige Erreger f\u00fcr die contractile Substanz, eine Anschauung, gegen welche wir soeben erhebliche Einw\u00e4nde Vorbringen konnten, sondern es soll nun auch das Umgekehrte eintreten, bei anderen Reizmethoden, welchen Schiff eine starke Nervenerregung und einen mangelnden Einfluss f\u00fcr die Muskel zuspricht. Die Erregung auf chemischem Wege scheint ein schlechtes Mittel zur Erzeugung der localen Contractionen zu sein, und ich muss mit Schiff darin \u00fcbereinstimmen, dass die Benetzung der \u00e4usseren Fl\u00e4che des Muskels mit einer reizenden Fl\u00fcssigkeit entweder die Erregung nicht rasch genug hervor zu bringen vermag, oder bei dem sp\u00e4teren Durchdringen derselben durch das Sarkolemm Erscheinungen erzeugt, welche nicht leicht von Gerinnung und anderen, der eigentlichen Contraction fremden Vorg\u00e4ngen zu trennen sind. Wenn aber Schiff, gest\u00fctzt auf diese allerdings h\u00f6chst mangelhafte Methode, sich herbeil\u00e4sst den Satz auszusprechen, dass nur bestimmte K\u00f6rper wie z. B. die Alkalien Muskelerreger seien, die S\u00e4uren aber nicht, so bedachte er wohl nicht, dass dazu vor allen Dingen ausgedehntere Versuche mit geeigneteren H\u00fclfsrnitteln n\u00f6thig seien. Von den S\u00e4uren sagt Herr Schiff, sie wirkten \u00fcberhaupt","page":625},{"file":"p0626.txt","language":"de","ocr_de":"626\nW. K\u00fchne:\n\u201emehr chemisch\u201c, womit in seinem Sinne ihr Unverm\u00f6gen als Reizmittel bezeichnet sein soll. Ich habe gegen den Ausdruck selbst nichts einzuwenden, muss mir aber die be= scheidene Anfrage erlauben, welchen Zauber denn Herr Schiff f\u00fcr die erregende Wirkung der Alkalien in Anspruch nimmt? \u2014 die nicht anders wie die unendlich verd\u00fcnnten S\u00e4uren von nackten Querschnitten der Muskeln aus Contraction hervorrufen. Wirken diese vielleicht nicht chemisch? Kurz Herr Schiff befindet sich mit seinen Anschauungen \u00fcber die chemische Erregung in einem so eigenth\u00fcmlichen Zustande, dass es begreiflich wird, wie er die enorme reizende Wirkung der S\u00e4uren g\u00e4nzlich \u00fcbersehen konnte.\nEin Versuch an dem Sartorius des Frosches h\u00e4tte ihm leicht zeigen k\u00f6nnen, dass selbst die tausendfach verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure Zuckungen hervorruft, und dass dieser Muskel beim l\u00e4ngeren Eintauchen seines oberen den Querschnitt enthaltenden Endes eine Zeit lang contrahirt bleibt, nachdem die \u00fcbrige Zuckung des nicht benetzten Theiles beendigt ist. Der Muskel schwillt dabei an und befindet sich anfangs wenigstens in einer wirklichen Contraction, denn die mit dem Erreger in Ber\u00fchrung gebrachte Stelle bleibt durchsichtig und kann durch einen sehr viel st\u00e4rkeren Reiz, z. B. sehr heftige Iuductionsschl\u00e4ge noch st\u00e4rker contrahirt werden. Kurze Zeit darauf folgt der Einwirkung der S\u00e4ure allerdings die Starre, welche dann endlich dem weiteren l\u00f6senden Einfluss der S\u00e4ure weicht. Ganz \u00e4hnlich verh\u00e4lt sich der Muskel, wenn statt der Saure ein Alkali angewendet wird, auch hier sind wieder alle die Vorg\u00e4nge sehr deutlich zu unterscheiden, welche nach Schiff heissen w\u00fcrden neuromuscu-l\u00e4re und idiomuscul\u00e4re Contractionen, Starre und endlich die \u201emehr chemische\u201c Wirkung.\nIch komme nun schliesslich zu einem der kr\u00e4ftigsten Erregungsmittel, das wir kennen, n\u00e4mlich dem elektrischen Strome. Wie schon erw\u00e4hnt, stellt Schiff die Behauptung auf, dass derselbe ein starker Nervenreiz sei, den Muskel aber gar nicht zu erregen verm\u00f6ge- Wie unrichtig diese Angabe ist, habe ich oben durch mehrere Versuche gezeigt,","page":626},{"file":"p0627.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 627\nes bleibt mir hier nur \u00fcbrig daran zu erinnern, dass das, was Schiff als idiomuscul\u00e4re Bewegung bezeichnet, recht <rut auch durch den elektrischen Strom herbeigef\u00fchrt werden\n\u00d6\nkann, und ferner darauf aufmerksam zu machen, dass Schiff selbst diese Thatsache seit langer Zeit kennt, aus guten Gr\u00fcnden aber dieselbe bei dieser Gelegenheit in seinem Lehrbuche der Physiologie ganz verschweigt. Von der heimischen Literatur \u00e4usserlich entfernt bin ich leider nicht in der Lage, die Originalbeitr\u00e4ge Schi ff\u2019s dazu zu liefern, ich finde aber in dem mir zug\u00e4nglichen C an statt\u2019 sehen Jahresberichte vom Jahre 1851, dass Schiff1) die an den beiden Electroden entstehenden localen Contractionen der Muskeln warmbl\u00fctiger Thiere, welche ganz identisch sind mit seiner idiomus-cul\u00e4ren Bewegung, selbst beschrieben hat. Was ihm davon entgangen sein mag, sei hier nachtr\u00e4glich hinzugef\u00fcgt.\nWenn man mittelst feiner Platinelektroden 2 Punkte eines Muskels vom Hund oder irgend welchem anderen warmbl\u00fctigen Thiere mit den Polen einer starken constanten Kette, eines starken Inductionsapparates, sei es bei wechselnden oder gleich gerichteten Inductionssclil\u00e4gen, in Verbindung setzt, so eontrahirt sich w\u00e4hrend der Dauer des Reizes nicht allein der ganze Muskel, sondern es entstehen auch an den den Elektroden entsprechenden Stellen ganz solche locale Erhebungen, wie bei der mechanischen Reizung, welche von l\u00e4ngerer Dauer sind und fortbestehen nach Entfernung der Elektroden. Wer um jeden Preis die Schi ff\u2019sehe Lehre retten will, wird meinen, dass mit den Elektroden ein mechanischer Reiz aufgef\u00fchrt sei, weshalb ich besonders hervorheben muss, dass dieselben Erscheinungen auch eintreten, wenn die directe Ber\u00fchrung gar nicht stattfindet, sondern wenn nur die Haken der Inductionsschl\u00e4ge auf den Muskel \u00fcberspringen, wenn ferner die Elektroden nur in lose auf dem Muskel aufliegenden, an feinen Ketten mit einem Ende aufgeh\u00e4ngten Stecknadeln bestehen, und dass die local be\n1) M. Schiff. Ueber die Zusammenziehung der animalischen Muskeln. Froriep\u2019s Jahresbericht 1851 No. 300. S. 193\u201496.","page":627},{"file":"p0628.txt","language":"de","ocr_de":"628\nW. K\u00fchne:\nschr\u00e4nkte dauernde Contraction auch unte\u00e7 einem Quecksilbertropfen entsteht, dessen Kuppe sich mit der Kette in leitender Ber\u00fchrung befindet. Um bei den Versuchen jeder m\u00f6glichen T\u00e4uschung vorzubeugen, benutzte ich ein Elektrodenpaar von senkrecht herabh\u00e4ngenden Platindr\u00e4hten, welche ich an einem Stativ allm\u00e4lig herabf\u00fchrte bis zur leisesten Ber\u00fchrung mit dem Muskel. Die directe Beobachtung zeigte dann leicht, dass bei einiger Vorsicht, da ein starker Druck immer leicht zu vermeiden ist, keine Contractionen entstanden, nicht eher, als bis durch Hinwegr\u00e4umen einer Nebenschliessung der Strom in den Muskel hereinbrechen konnte. Ich bin \u00fcberzeugt, dass die eigentli\u00fcinliche Contraction, welche an den Elektroden entsteht, schon oft gesehen worden w'\u00e4re, wenn man sich \u00f6fter sehr feiner Zuleitungsspitzen bedient h\u00e4tte, denn die Entstehung derselben ist auch hier an dieselbe Bedingung gekn\u00fcpft, wie bei der mechanischen Reizung, an die Vollf\u00fchrung eines sehr starken Reizes auf einem kleinen Raume, und an die notbwendig dadurch eintretende Erm\u00fcdung des Muskels.\nSetzt man z. B. die feinen Drahtelektroden so auf den Muskel auf, dass ihre Verbindungslinie der Muskelfaserung parallel liegt, indem nur einige wenige Primitivb\u00fcndel direct mit denselben in Ber\u00fchrung kommen, so sieht man schon bei ganz massigen Stromst\u00e4rken und an ganz frischen Muskeln Folgendes eintreten. Beim Hereinbrechen des Stromes oder der Inductionsschl\u00e4ge des Schlittenelektromotors con-trahiren sich sofort die unmittelbar getroffenen Primitivb\u00fcndel in ihrer ganzen L\u00e4nge, w\u00e4hrend gleichzeitig unter den Elektroden 2 kegelf\u00f6rmige Erh\u00f6hungen entstehen, welche nach Wegnahme der Elektroden ganz ebenso wieder verschwinden, wie bei der mechanischen Reizung. Auf dem Diaphragma des Hundes ist dies leicht zu sehen, wenn die Inductionsrollen zur H\u00e4lfte auf einander geschoben werden und 1 Grove\u2019sches Element den Apparat in Bewegung setzt. Ganz ebenso tritt die Erscheinung unter denselben Bedingungen ein, wenn die Verbindungslinie die Richtung der Muskelfasern senkrecht schneidet, hier aber mit dem Unter-","page":628},{"file":"p0629.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 629\nschiede, dass nur die beiden Muskelprimitivb\u00fcndel sich con-trahiren, welche direct unter den Drahtenden liegen. Gerade hier ist die Ursache sehr leicht zu entr\u00e4thseln. Die Dichte der Str\u00f6me, welche zwischen den Elektroden liegen, reicht nicht aus um die Muskeln zu erregen, und daher bleiben alle Fasern, welche zwischen ihnen liegen, in Ruhe. An den kleinen Ber\u00fchrungsfl\u00e4chen der Dr\u00e4hte mit dem Muskel hingegen ist die Stromdichte ganz erheblich, da sich dieselbe aber auf ein einziges oder eine ganz geringe Anzahl von Primi-tivb\u00fcndeln beschr\u00e4nkt, so zucken nur diese, welche folglich als nur local wirksam gereizte Muskeln zu betrachten sind. Die Reizung pflanzt sich durch ihre ganze L\u00e4nge fort, sie contrahiren sich ganz, an den Elektroden aber tritt die zweite Bedingung, die Erm\u00fcdung durch die grosse Dichte der Str\u00f6me ein, und darum erscheint hier eine locale, dauernde, der Erm\u00fcdung entsprechende, gesonderte Contraction. Nimmt man als Elektroden zwei kleine runde Metallscheiben, welche eine grosse Ber\u00fchrungsfl\u00e4che bilden, so bleibt die letztere Contraction aus, wenn die Stromst\u00e4rke bei spitzen Elektroden gerade hinreichte um die localen Erhebungen hervorzurufen. Die Stromdichte ist hier nicht mehr ausreichend. Vermehrt man die Stromst\u00e4rke, schiebt man die secund\u00e4re Inductionsrolle ganz \u00fcber die prim\u00e4re hin\u00fcber, so tritt wieder die locale Contraction ein, diesmal entsprechend der runden Form der Elektroden, als ausgebreitete oben ab-geflachte Erhebung. Aber auch die durch eine quer \u00fcber den Muskel gezogene Drucklinie entstehenden W\u00fclste k\u00f6nnen durch elektrische Reizung hervorgebracht werden. Man braucht nur die Elektrodenspitzen langsam quer \u00fcber den Muskel hin\u00fcberzuschleifen, um zwei sehr deutliche W\u00fclste entstehen zu sehen. Der Verdacht einer mechanischen Reizung kann auch hier leicht controllirt werden durch denselben Versuch mit abgesperrtem Strome. Am leichtesten ist der Versuch so auszuf\u00fchren, dass man die Enden einer feinen Metallkette, welche als Elektroden angebracht sind, langsam \u00fcber den Muskel hin\u00fcber zieht. Jeder einzelne Funkt, mit dem dieselbe den Muskel fortschreitend ber\u00fchrt, ist f\u00fcr\nReichert\u2019s u. du Bois-lieymoud\u2019s Archiv. l\u00f6Oy.\t41","page":629},{"file":"p0630.txt","language":"de","ocr_de":"630\nW. K\u00fchne:\neinen Augenblick Str\u00f6men von grosser Dichte ausgesetzt, er erm\u00fcdet und in Folge davon pr\u00e4gt sich bei ihm eine locale, dauernde Contraction aus. Viele solche Punkte in einer Linie bilden dann den Wulst.\nSoll der Wulst hingegen hervorgerufen werden ohne Verr\u00fcckung der Elektroden, durch l\u00e4ngere quer \u00fcber den Muskel gelegte Dr\u00e4hte, oder durch die ruhende Metallkette, so m\u00fcssen die Str\u00f6me ganz bedeutend verst\u00e4rkt werden, dann ab\u00e8r gelingt der Versuch ebenfalls, und die Elektroden kommen so auf eine wulstige Erh\u00f6hung zu liegen. Bei allen diesen Versuchen ist nur der Unterschied von der mechanischen Reizung, dass die nicht unmittelbar ber\u00fchrten Muskelstrecken l\u00e4nger tetanisirt bleiben, am deutlichsten pr\u00e4gt sich die Erscheinung darum immer erst nachher aus, wenn die dauernden localen Contractionen gegen den \u00fcbrigen ruhenden Muskel abstechen.\nIn den sp\u00e4teren Stadien der Erregbarkeit des Muskels m\u00fcssen die Str\u00f6me selbstverst\u00e4ndlich verst\u00e4rkt werden, damit Reizerscheinungen eintreten, und diesem Umstande ist es wohl zuzuschreiben, dass Schiff die mechanische Reizung l\u00e4nger wirksam bleiben l\u00e4sst, als die elektrische. Bis der elektrische Reiz einem kr\u00e4ftigen Stoss oder Hieb \u00e4quivalent gesetzt werden kann, m\u00fcssen die Stromescurven sicherlich bis zu einer bedeutenden Dichte heranwachsen, und es ist darum nicht zu verwundern, dass man zuletzt hart vor dem Verluste der Erregbarkeit 3 und 4 Elemente in den Induc-tionsapparat einschalten muss, wenn man die Erscheinungen in voller Deutlichkeit w\u00e4hrnehmon will. Dann ist es aber interessant zu sehen, wie von beiden Polen aus, auch bei den gleichgerichteten Schl\u00e4gen der prim\u00e4ren Rolle, zwei Con-tractionswellen ausgehen, welche ganz langsam unter dem Sarkolemm hinkriechen. Verbindet eine Muskelfaser die beiden Elektrodenspitzen, so marschirt die Welle zwischen den letzteren etwas rascher als von den Ber\u00fchrungspunkten nach den beiden Enden der Faser hin. Die beiden Wellen begegnen sich etwa in der Mitte, bilden dann eine st\u00e4rkere Erhebung und schreiten wieder zur\u00fcck, um auf eine neu an-","page":630},{"file":"p0631.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 631\nkommende zu stossen. Meist ist die Contraction aber damit beendet, weil nunmehr die Erhebungen stehen bleiben, worauf man einen runzligen starren Muskel vor sich hat. Schiff behauptet in seiner neueren Polemik gegen Wundt, dass er nie gesagt habe, dass der elektrische Reiz nicht so lange wirksam sei als der mechanische, und beruft sich deswegen auf eine Contraction, welche zu allerletzt, wo keinerlei Reiz mehr auf den Muskel wirken sollte, an der negativen Elektrode entstehe. Wer die Darstellung der Muskellehre in Schiff\u2019s Lehrbuch gelesen hat, wird dieselbe gewiss ganz wie W un dt verstanden haben. Wie soll denn der elektrische Reiz nach Schiff noch wirksam sein k\u00f6nnen, wenn er doch den Muskel nicht erregen kann, und wenn der intramus-cul\u00e4re Nerv ganz abgestorben sein soll. Die Zweideutigkeit wird Schiff in diesem Falle nicht ableugnen k\u00f6nnen. Was aber schliesslich die Vorg\u00e4nge an den Elektroden einer constanten Kette betrifft, welche der sonst auf keinen, auch auf den mechanischen Reiz nicht mehr reagirende Muskel zeigen soll, so finde ich dieselben h\u00f6chst begreiflich. Setzt man die Platinelektroden einer Kette von 6 oder 10 Grove\u2019sehen Elementen auf einen derartigen starren Muskel auf, so sieht man, wie das Gewebe durch die Elektrolyse ange\u00e4tzt wird und wie eine der Elektrodenform entsprechende Ver\u00e4nderung eintritt. Ich glaube wohl, dass dieselbe an dem negativen Pole etwas anders aussieht, als an dem positiven, dass aber das die letzten Zeichen der durch die an dem negativen Pole ausgeschiedenen Alkalien erregten Muskel-contraction sein sollen, wird Schiff Niemandem zumuthen wollen zu glauben, der die Sache selbst gesehen hat. Die Erkl\u00e4rung, welche er daf\u00fcr giebt, ist jedenfalls falsch, da sie sich auf seine ebenso falsche Annahme st\u00fctzt, dass nur die Alkalien Muskelreize seien, w\u00e4hrend ich gezeigt habe, dass auch die S\u00e4uren zu den kr\u00e4ftigsten Erregern der contraction Substanz geh\u00f6ren. Die Bemerkung, dass die in Rede stehende Erscheinung nur von der Elektrolyse, nicht von dem Strome selbst herr\u00fchre, wobei Alkali am negativen Pole ausgesehiedeu werde, h\u00e4tte Schiff sich sparen k\u00f6nnen,\n41*","page":631},{"file":"p0632.txt","language":"de","ocr_de":"632\nW. K\u00fchne:\ndenn was weiss er denn davon, ob nicht \u00fcberhaupt die Elektrolyse bei jeder Erregung des Nerven oder Muskels mitspielt. Wer will diese Vorg\u00e4nge trennen ? W\u00e4ren Nerv und Muskel keine Elektrolyten, so w\u00fcrden sie wahrlich nicht jene Masse von interessanten Ph\u00e4nomene darbieten k\u00f6nnen. Die chemische Reizung steckt sicherlich in der elektrischen verborgen.\nBei alledem soll aber nicht geleugnet werden, dass der Muskel beim Absterben nicht mehr auf ganz dieselben Reize zu reagiren vermag, wie im frischen Zustande, und ich selbst kann best\u00e4tigen, dass es in den letzten Stadien der Erregbarkeit Vorkommen kann, dass nur noch von einem Pole eine Contractionswelle ausgeht, oder dass nur an einem Pole eine recht deutliche locale Erhebung entsteht. Die Beobachtung ist nicht neu, und nicht allein von Schiff, sondern auch von Vulpian mitgetheilt worden, und Alles, was ich derselben hinzuf\u00fcgen kann, besteht darin, dass die Erscheinung nur selten in.voller Deutlichkeit zur Wahrnehmung kommt. Sie beweist im g\u00fcnstigsten Falle immer nur, dass die Producte der elektrolytischen Zersetzung der con-tractilen Substanz nicht alle in jeder Zeit die gleiche erregende Wirkung haben, und es w\u00e4re denkbar, dass diejenigen an der negativen Elektrode zu einer Zeit noch wirksam sein k\u00f6nnen, wo die an der positiven es nicht mehr sind.\nWir erw\u00e4hnten oben schon, dass die Dauer der Erregbarkeit eines Muskels von so ausserordentlicher Verschiedenheit sei. Es kommt viel darauf an, wie man sich dessen versichert. H\u00e4lt man mit Schiff die Wirkung der Galle z. B. nur f\u00fcr eine Contraction, so ist auch ein halb zerflossener, fauler und mit Vibrionen bedeckter Muskel noch reizbar, da an solchen durch Galle und die gallensauren Salze immer noch jene auffallenden Gestaltver\u00e4nderungen, welche ich an einem anderen Orte beschrieben habe, hervorgebracht werden k\u00f6nnen. Nennt man mit Schiff die W\u00e4rmestarre der Muskeln eine Contraction, so ger\u00e4th man in ganz dieselbe Lage, wie unten ausf\u00fchrlich gezeigt werden soll. Vorzuziehen d\u00fcrfte es sein, die bei der kr\u00e4ftigen mechani-","page":632},{"file":"p0633.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 633\nsehen oder elektrischen Reizung auftretenden localen, wenn auch in Starre \u00fcbergehenden Contractionen f\u00fcr den Ausdruck der letzten Spur der Erregbarkeit zu nehmen, wobei man sich indessen immerhin vor T\u00e4uschungen zu h\u00fcten hat, da bei einem ziemlich faulen und weichen Muskel der Schlag mit einem kantigen Instrument wohl eine Vertiefung erzeugt, dennoch aber beim Abreissen des Instruments die klebrige Muskelmasse in die H\u00f6he gezogen werden kann, wodurch immerhin der Anschein eines Wulstes m\u00f6glich wird.1)\nBis hierher glauben wir gezeigt zu haben, dass die Idee Schiff\u2019s, die Muskelirritabilit\u00e4t und den Mangel des Leitungsverm\u00f6gens der Muskelsubstanz aus der Unwirksamkeit der elektrischen Reizung zu beweisen, als total verfehlt angesehen werden muss, da erstens die Meinung von der Unwirksamkeit des elektrischen Reizes ganz falsch ist, und da zweitens gerade die idiomuscul\u00e4re Contraction Schiff\u2019s auch durch dieses Mittel erzeugt werden kann. Die eigenen Waffen falleti also auf ihn zur\u00fcck, und die localen Contractionen haben sich hier wiederum als Folgen der Ueberreizung oder der Erm\u00fcdung gezeigt, aus welchem Grunde man sich auch vergeblich bem\u00fchen wird, an den frischen Muskeln kaltbl\u00fctiger Thiere, die nicht so leicht zu ersch\u00f6pfen sind, etwas Aehnliches hervorzubringen.\nDa Schiff seine Lehre f\u00fcr vollkommen gesichert h\u00e4lt, so steht er auch nicht an, auf Grund derselben f\u00fcr andere Dinge Schl\u00fcsse zu ziehen. Weil ein mit Curara vergifteter Muskel z. B. nicht nur idiomuscul\u00e4re Contractionen oder locale Erhebungen zeigt, sondern auch \u00fcber die Reizstelle hinaus zuckt, deshalb afficirt nach Schiff dieses Gift die letzten Nervenenden nicht. Weil bei gewissen anderen Giften der Muskel keine ausgebreiteten Zuckungen mehr zeigt, wir-\n1) Nur so w\u00fcrde sieh vielleicht die Angabe von Funke erkl\u00e4ren lassen, der die idiomuscul\u00e4ren W\u00fclste an den Muskeln eines Hingerichteten noch 24 Stunden 'nach der Execution erzeugt haben will. Gleichwohl w\u00e4re es denkbar, dass in diesem Falle die Muskeln bei einer sehr niederen Temperatur so lange vor der Starre gesch\u00fctzt worden seien, wor\u00fcber indessen nichts N\u00e4heres angegeben ist.","page":633},{"file":"p0634.txt","language":"de","ocr_de":"634\nW. K\u00fchne:\nken diese auf die intramuscul\u00e4ren Nerven und nicht auf die Muskeln. Sehen wir, wie weit die letzteren Thatsachen seiner Lehre h\u00fclfreich sein k\u00f6nnen.\nCl. Bernard wrar der Erste, welcher in dem Schwefelcyankalium eine Substanz kennen lehrte, wrelche die Reihe der Gifte zu vervollst\u00e4ndigen schien, indem dasselbe durch seine ganz besondere Wirkung auf den Muskel, auf die contractile Substanz selbst aulfallen musste. Seitdem sind durch die Arbeiten K\u00f6lliker\u2019s und Pelikan\u2019s noch andere Gifte bekannt geworden, welche eine ganz \u00e4hnliche Wirkungsweise zu haben scheinen, n\u00e4mlich das Veratrin und das Upas an-tiar, so dass wir jetzt eine Reihe von K\u00f6rpern besitzen, welche denselben specifischen Einfluss auf die contractile Substanz theilen, und welche von dem h\u00f6chsten Interesse f\u00fcr die Kenntniss des Vorganges bei der Muskelcontrac-tion sind.\nKeines dieser Gifte empfiehlt sich so sehr zu genaueren Versuchen, wie das Rhodankalium. Es ist leicht l\u00f6slich und kann durch seine auffallende Reaction mit Eisensalzen so leicht erkannt werden, dass es \u00fcberall wieder zu finden ist. Zun\u00e4chst lag es nahe, die \u00f6rtliche Einwirkung desselben auf den Nerven oder auf den Muskel zu studiren, und dabei zeigte sich sehr bald, dass von einer hervorstechenden Wirkung auf die Nerven nicht die Rede sein kann, wie man nach Schiff\u2019s Angaben h\u00e4tte glauben sollen. Taucht man den Ischiadicus eines pr\u00e4parirten Froschschenkels in concen-trirte L\u00f6sungen des Salzes ein, so zuckt der Schenkel allerdings und der Nerv verliert an der eingetauchten Stelle mit der Zeit seine Erregbarkeit. Viel auffallender ist aber die Einwirkung der L\u00f6sung auf den Muskel. Ein isolirter Sartorius zuckt sofort, heftig, wenn sein Querschnitt damit in Ber\u00fchrung kommt, und beim Benetzen des ganzen Muskels zieht sich dieser augenblicklich sehr stark zusammen, wird weiss, undurchsichtig und hart, und hat nun f\u00fcr immer seine Erregbarkeit eingeb\u00fcsst. Versuche mit titrirten L\u00f6sungen des Salzes haben mir ferner gezeigt, dass der Nerv mit Sicherheit nur noch durch eine L\u00f6sung von 2% erregt wer-","page":634},{"file":"p0635.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 635\nden kann, und dass die \u00e4usserste Grenze, bei welcher vom Nerven aus noch Zuckungen entstehen, einem Gehalte von 1 % entspricht. Verd\u00fcnntere L\u00f6sungen wirken nicht mehr, obgleich der Nerv, aber nach l\u00e4ngerer Zeit, darin abstirbt. Alle L\u00f6sungen des Salzes bis zu der letzteren Verd\u00fcnnung hinab erregen aber den Muskel von seinem Querschnitte aus zu den heftigsten Zuckungen, f\u00fcr diesen besteht die \u00e4usserste Grenze in der Verd\u00fcnnuug bis auf 0,4 und 0,3 %, welche letztere L\u00f6sungen aber immer noch sehr rasch die Starre herbeif\u00fchren , wenn sie in gr\u00f6sserer Ausdehnung den Muskel umspiilen. Durch den Eintritt dieser Starre ist die Erregbarkeit fast augenblicklich vernichtet, und man kann nicht besser die specifische \u00f6rtliche Wirkung des Rhodankaliums beobachten, als wenn man zur Contr\u00f4le nach K\u00f6lliker\u2019s Vorschlag einen anderen Muskel in eine ebenso verd\u00fcnnte Kochsalzl\u00f6sung legt. Der letztere bleibt noch stundenlang erregbar, w\u00e4hrend der erstere schon nach 2 bis 3 Minuten nicht mehr auf die heftigsten Inductionsschl\u00e4ge reagirt.\nEin anderer Versuch ist geeignet, um die starke Wirkung des Rhodankaliums auf den Muskel und die geringe Wirkung auf den intramu scul\u00e4ren Nerven zu zeigen. Ich h\u00e4nge einen Sartorius vom Frosch, dessen Nerv mit dem ganzen Muskel isolirt ist, an seinem oberen, kurzen, sehnigen Urspr\u00fcnge auf, und benetze den bis an die Nerveneintrittsstelle mit seinem unteren Ende auf einer Glasplatte ruhenden Muskel mit einer verd\u00fcnnten L\u00f6sung des Salzes. Zu Anfang zuckt der Muskel, sp\u00e4ter aber wird er starr, und auch an den Stellen, wohin das Gift nur durch Imbibition langsam emporklettern konnte. Man erreicht so leicht einen Moment, wo nur noch ein kurzes erregbares Muskelst\u00fcck \u00fcbrig bleibt, zu welchem der intranmscul\u00e4re Nerv nur durch ein l\u00e4ngeres, schon starres St\u00fcck hingelangen kann. Nichts desto weniger zuckt aber dieser Theil des Muskels noch, wenn man den herauspr\u00e4parirten Sartoriusnerven auf irgend welche Art reizt, der ganze intramuscul\u00e4re Nerv, welcher in dem abgestorbenen Muskel lag, musste also noch erregbar sein, da er den Reiz fortleitete. Erreicht die Starre aber schliesslich","page":635},{"file":"p0636.txt","language":"de","ocr_de":"636\nW. K\u00fchne:\nauch das Endst\u00fcck des Muskels, bis dahin, wo die Nerven ihr letztes Ziel erreicht haben, so bewirkt die Nervenreizung keine Contractionen mehr, da eben der Muskel dort, wo der Nerv den Reiz \u00fcbertragen sollte, nicht im Stande ist zu zucken. Das letzte nervenlose Endst\u00fcck, das noch nicht mit dem Gift durchtr\u00e4nkt ist, zuckt dann aber bei directer Reizung noch recht gut.\nBei der Vergiftung eines lebendigen Thierei treten ganz analoge Umst\u00e4nde ein. Wie Setchenow gezeigt hat, ist es namentlich in Hinsicht des Einflusses auf die Herzbewegung nicht ganz gleichg\u00fcltig, ob man dem lebenden Frosch das Gift in den Magen bringt, oder unter die Lymphr\u00e4ume der Haut. Auch f\u00fcr die Muskeln giebt es derartige Unterschiede, indem das Gift von. der Hautwunde aus, wie es scheint, leichter resorbirt wird, theils aber auch unter der R\u00fcckenhaut weiter herabsinkt, und ohne Vermittlung der Blutcircu-lation direct in die Lymphr\u00e4ume der Schenkel gelangt. Im Grunde ist aber der Erfolg der Vergiftung immer derselbe. Die Muskeln verlieren sehr rasch ihre Erregbarkeit und werden schon zu einer Zeit theilweise starr, w\u00e4hrend die Ner-ven noch erregbar sind. Was Pelikan gezeigt hat, dass das Rhodankalium tetanische Convulsionen vom R\u00fcckenmark aus erzeugt, und dass es nach einiger Zeit auch die motorischen Nerven vom Cerebrospinalcentrum nach der Peripherie fortschreitend l\u00e4hmt, kann ich best\u00e4tigen. Man findet h\u00e4ufig ein Stadium, wo alle Oberschenkel-Muskeln schon starr sind, w\u00e4hrend der Gastroknemius seine Erregbarkeit noch nicht verloren hat. In diesem Falle bewirkt in der Regel die heftigste Reizung des Plexus ischiadicus keine Contractionen mehr, w\u00e4hrend der Schenkelnerv weiter unten, da wo er mitten in starren Muskelmassen eingebettet liegt, noch erregbar ist, und selbst bei m\u00e4ssiger Reizung die Wade zum Tetanus bringt. Es ist dabei gleich, ob der Frosch von einer Hautwunde oder vom Magen aus vergiftet wurde.\nBeobachtet man die vergifteten Muskeln etwas n\u00e4her, so findet man, dass sie alle ihr Aussehen so ver\u00e4ndert ha-","page":636},{"file":"p0637.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 637\nben, wie wenn man sie in die L\u00f6sung direct eingetaucht h\u00e4tte. Idh habe sogar h\u00e4ufig den Fall eintreten sehen, welcher ganz analog dem vorhin erw\u00e4hnten Experimente mit der partiellen Eintauchung ist, dass der Sartorius nur an einem Ende noch reizbar war und zwar so, dass dieses St\u00fcck beim Durchschneiden seines Nerven zuckte. Wie die gemeine Todtenstarre schreitet auch die durch das Schwefelcyankalium entstehende Starre von oben nach unten fort. Die Sache ist hier in Folge davon umgekehrt, der Sartorius stirbt zuerst ah seinem 'oberen breiten Ende ab, w\u00e4hrend das untere spitze St\u00fcck noch erregbar bleiben kann, und so kann es auch hier kommen, dass der intramuscul\u00e4re Nerv erst durch einen theilweise starren. Muskel hindurchl\u00e4uft, und dennoch den Reiz an ein gesundes St\u00fcck liefern kann. Bei diesem Sachverhalte und bei dem nachweisbaren sp\u00e4teren Absterben der Nervenst\u00e4mme, von oben nach unten zu, ist also gar kein Grund vorhanden anzunehmen, dass dieses Gift specifisch auf die intramuscul\u00e4ren Nerven wirke. Dass dasselbe hingegen gerade auf die contractile Substanz selbst wirkt, ist unzweifelhaft und es ist unerkl\u00e4rlich, wie Schiff dies hat verkennen und sogar leugnen k\u00f6nnen. Zur Zeit, wo der Muskel sich dicht vor der Starre befindet, zeigt er in seiner Contraction die Erscheinungen eines \u00e4usserst erm\u00fcdeten oder misshandelten Muskels, so wie die Sartorii gesunder Fr\u00f6sche z. B. bei jeder Art. der Reizung, der elektrischen oder chemischen, sehr sch\u00f6ne, nicht \u00fcber ihre ganze L\u00e4nge verlaufende Contractionen darbieten, wenn sie lange dem Blutkreislauf entzogen und der Starre oder dem Verluste der Erregbarkeit nahe sind. Genau dasselbe sieht man bei der Rhodankaliumvergiftung auch, nur geschieht hier in w enigen Stunden, was sonst in Tagen und Wochen vor sich gehen kann; kurz vor dem Eintritt der Starre contrahiren sich die Muskeln nicht mehr in ihrer ganzen L\u00e4nge, obgleich alle einzelnen Stellen noch reizbar sein k\u00f6nnen. Schiff ist aber sehr im Irrthum, wenn er behauptet, dass solche Muskeln sich nun nicht mehr auf den elektrischen Reiz contra-hirten, sondern nur noch auf den chemischen oder meclra-","page":637},{"file":"p0638.txt","language":"de","ocr_de":"638\nW. K\u00fchne;\nnischen. Ich habe nie einen vergifteten Sartorius gesehen, der, wenn er sich durch die mechanische Reizung oder durch Benetzen mit Kali contrahirte, bei irgend einer Art der elektrischen Erregung in Ruhe blieb. Auch bei gleichgerichteten Str\u00f6men ging von jeder Elektrode ein Contractionswulst aus, und umgekehrt konnte ich an Muskeln, welche auf den elektrischen Reiz nicht rqagirten, keine Spur von Verk\u00fcrzung mehr wahrnehmen, wenn ich sie in Kali oder irgend ein anderes chemisches Reizmittel tauchte, trotz der gewissenhaftesten Beobachtung der frei aufgeh\u00e4ngten, vorher und nachher nach Millimetern gemessenen Muskeln. Wie bei allen erm\u00fcdeten und misshandelten Muskeln h\u00e4lt aber die einmal eingetretene Contraction l\u00e4ngere Zeit an, und geht zuletzt direct in Starre \u00fcber, wobei die alkalische Muskelreaction pl\u00f6tzlich in die saure \u00fcbergeht.\nWie die Folgen der Vergiftung soeben von den Kaltbl\u00fctern geschildert sind, eben so gehen dieselben auch bei warmbl\u00fctigen Thieren vor sich. Es ist immer genau so, wie bei einem auf gewaltsamem Wege get\u00f6dteten Thiere, mit dem Unterschiede, dass der Verlust der Erregbarkeit und die Starre rascher eintreten. Auch bei dem Hunde, dem Kaninchen und bei Katzen habe ich nie den Zeitpunkt sehen k\u00f6nnen, wo nach Schiff die elektrische Reizung ihre Wirkung ganz verlieren soll, w\u00e4hrend mechanische und chemische Beleidigungen deutliche Contractionen zu Folge haben. Das einzige Besondere, das ich in der Rhodankaliumvergiftung sehen kann, besteht in dem raschen Eintritt der Starre und der ausserordentlichen Beschleunigung, welche dieselbe noch erf\u00e4hrt, wenn der Muskel gereizt wird, namentlich wenn man ihn irgendwo durchschneidet. Isolirte Sartorii von demselben Frosche zeigten diesen Unterschied sehr auffallend, wenn der eine ruhig liegen blieb und an dem anderen ein Querschnitt angelegt wurde. Der letztere verlor dann bisweilen schon nach einer halben Minute seine Erregbarkeit, w\u00e4hrend der andere nach 10 und 15 Minuten den Reiz noch mit Zuckungen beantwortete. Genug, das Rhodankalium wirkt gerade auf die contractile Substanz selbst und beg\u00fcnstigt deshalb das, was","page":638},{"file":"p0639.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 639\nSchiff idiomuscul\u00e4re Contraction nennt, n\u00e4mlich die Art der Muskelcontraction, welche der Erm\u00fcdung eigen ist.\nVon dem Upas antiar und dem Veratrin, das Schiff in seinem Sinne f\u00fcr ebenso wirkend h\u00e4lt, wie das Schwefelcyankalium, kann ich dasselbe aussagen. Beide wirken, wie auch K\u00f6lliker und Pelikan richtig angeben, auf die contractile Substanz. Das Upas antiar, dessen ich mich bediente, musste unzweifelhaft dasselbe Gift sein, welches die genannten Forscher benutzten. In der Wirkungsweise dieser an sehr schlanken, d\u00fcnnen Pfeilen heftenden Substanz, die ich der G\u00fcte des Herrn Claude Bernard verdanke, welchem ein gef\u00fcllter K\u00f6cher durch Herrn Boussingault vom Orinoco mitgebracht wurde, fand ich gar keinen Unterschied. Die Muskeln wurden rasch unerregbar, sauer und starr.\nDamit w\u00e4re nun auch die letzte St\u00fctze gefallen, durch welche Schiff seine Ansichten zu halten gedachte. Sollte er beweisen k\u00f6nnen, dass die angef\u00fchrten Muskelgifte vorher die letzten intramuscul\u00e4ren Nervenspitzen auch l\u00e4hmen, so w\u00fcrde f\u00fcr ihn nichts gewonnen sein, da auch so weit ver\u00e4nderte Muskeln, wenn auch beschr\u00e4nkte, so doch nicht ganz absolut locale Contractionen erkennen lassen. Bei weit vorgeschrittener Ver\u00e4nderung der contractilen Substanz ist es begreiflich, dass auch der ganz gesunde Nerv nicht mehr auf sie zu wirken vermag, obwohl sehr heftige directe Reizungen auch Bewegungen hervorrufen k\u00f6nnen, denn der st\u00e4rkste Reiz, den der erregte Nerv dem Muskel zuleitet, wird kaum je dem k\u00fcnstlichen mechanischen Reiz, oder den elektrischen Str\u00f6men von ausserordentlicher Dichte an M\u00e4chtigkeit gleichkommen. Schiff wird selbst die Beobachtung gemacht haben, dass das Fortschreiten der Contraction von der Reizstelle bei directer Muskelreizung noch stattfindet, wenn er mittelst des Nervenstammes ausserhalb des Muskels keine Contractionen mehr bewirken konnte, und da die fortgepflanzte Contraction bei der directen localen Erregung f\u00fcr ihn neuromuscul\u00e4r ist, so wird er nicht schlies-sen d\u00fcrfen, dass das Rhodankalium oder das Upas antiar und das Veratrin specifisch auf die Nervenenden wirken,","page":639},{"file":"p0640.txt","language":"de","ocr_de":"fi40\nW. K\u00fchne:\nwenn es einmal nicht gelingen sollte, die stark vergifteten Muskeln von ihrem Nerven aus zum Zucken zu bringen, denn nach seinen eigenen Angaben kann dies nichts beweisen.\nDie Lehre von der Muskelbewegung d\u00fcrfte nach dem Gesagten also kaum in das Schiff\u2019sehe Modell hinein zu zw\u00e4ngen sein. Viel eher w\u00e4re es denkbar, dass die von Ludwig beschriebenen localen, andauernden Contractionen an den platten Muskeln der D\u00e4rme und des Magens eine passende St\u00fctze f\u00fcr die Muskelirritabilit\u00e4t liefern k\u00f6nnten, wenngleich der Entdecker dieser Thatsache zu vorsichtig war, dies selbst durchzuf\u00fchren. Offenbar liegt die Idee Ludwig\u2019s den Anschauungen Schiff\u2019s zu Grunde, der Letztere h\u00e4tte aber nur daran denken sollen, dass bei den glatten Muskeln kein continuirlicher Zusammenhang der con-tractilen Substanz existirt, und dass dort sehr wohl die Nerven als einzige Vermittler der Fortpflanzung f\u00fcr die Contraction angesehen werden k\u00f6nnen. Was schliesslich noch die Beobachtungen Schiffs betrifft \u00fcber die Contractilit\u00e4t der Herz- und Darmmuskeln w\u00e4hrend jener Zeitr\u00e4ume, in welchen nach ihm die Nerven nicht erregbar sein sollen, so verweise ich nur auf den letzten Experimentalbeitrag Pfl\u00fcger\u2019s zur Physiologie der Hemmungsnerven, wo gezeigt ist, wie auch auf diesem Felde Schiff wieder nicht das Richtige getroffen und das Unrichtige gesehen hat. Da ich die P f 1 \u00fcger\u2019schen Versuche aus eigener Anschauung durchweg best\u00e4tigen kann, so weiss ich auch nicht einen einzigen Anker mehr, an welchem sich die Lehre halten k\u00f6nnte, welche der von mir versuchten Darstellung der Reizbarkeit und Leitungsf\u00e4higkeit der contraction Substanz zu widersprechen strebt.\n(Fortsetzung folgt.)","page":640},{"file":"p0641.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 641\nErkl\u00e4rung der Abbildungen.\nFig. 1. Zwei Muskelprimitivb\u00fcndel vom Frosch, frisch, ohne Deckgl\u00e4schen gesehen. n. Der Nerv. t. 1.1. Theilungsstellen des Nerven, e. Endigung des Nerven am Sarkolemm. z.z. zweifelhafte peripherische Endigungen des Nerven, b. blasse Fasern des Bindegewebes, k. K\u00f6rnchenreihen (K\u00f6 Hiker).\nFig. 2. Ein Muskelprimitivb\u00fcndel von Hydrophilus piceus, frisch und noch erregbar, a. a. breite Querstreifen in a' Andeutungen der einzelnen Disdiaklasten. b. Eine Contraetionswelle, welche in der Richtung des Pfeiles \u00fcber den Muskel hin-l\u00e4uft, c. Schwache L\u00e4ngsstreifen, wTclche in jedem noch zuckenden Muskel sichtbar sind. d. Todtenstarre Stelle. Querstreifen sehr dicht und die Zwischensubstanz dunkel\nund tr\u00fcbe.\nFig. 3. St\u00fcck eines Muskels von Hydrophilus piceus, frisch und ohne Druck gesehen, a. a. Vacuolen, welche zum Theil oberfl\u00e4chlich zwischen der contractilen Substanz und dem Sarkolemm liegen, wie in a' oder tief wie in a nach der Axe zu.\nFig. 4. Muskelprimitivb\u00fcndel vom Frosch , frisch und noch zuckend gesehen, a. b. zwei d\u00fcnne B\u00fcndel, mit schwachen L\u00e4ngs- u. Querstreifen. k. k. K\u00f6rnchenreihen (K\u00f6 11 i k er ). 1.1.1. Todtenstarre Stellen, welche sich scharf von der \u00fcbrigen Masse abgrenzen, in S. eine Verletzung, gleichfalls mit einer todten-starren Stelle, c. Dickeres Primitivb\u00fcndel, t. Todtenstarre Stelle, in d. ist die Muskelsubstanz durch Wasser wieder erweicht und aus einandei* gequollen.\nFig. 5. St\u00fcck aus dem Schenkelnerven von Hydrophilus piceus. a.\nGerinnungsformen des Markes. b. Scheide mit Kernen, c. c. c. c. Einzelne Primitivfasern, d. d. d. d. Aus Theilungen hervorgegangene secund\u00e4re Nervenfasern, t t. Tracheen.\nFig. 6. St\u00fcck eines Muskelprimitivb\u00fcndels von Hydrophilus. a. Lappiger Anhang, Rest eines eintretenden Nerven, k. k. K\u00f6rnerreihen dicht unter dem Sarkolemm. m. eine K\u00f6rnerreihe in der Axe des Muskelrohrs. B. Muskel mit eintretendem Nerven n. 1.1. zwei secund\u00e4re Nervenr\u00f6hren. 1. Ansatzstelle des Nerven am Muskel, k. k. K\u00f6rnerreihen.\nC. D. zwei andere Primitivb\u00fcndel mit eintretenden Nerven n. n. a. a. Kerne an der Eintrittsstelle, an dem Uebergang des Neurilemms in das Sarkolemm. k. k. K\u00f6rnerreihen, b. Anastomose zwischen den K\u00f6rnerreihen, g. Granul\u00f6se Substanz an der Eintrittsstelle des Axencylinders. r. Aus dem Primitivb\u00fcndel hervortretende K\u00f6rnerreihe.\nFig 7. Muskelst\u00fcck von Hydrophilus mit antretendem Nerven n.\nvon","page":641},{"file":"p0642.txt","language":"de","ocr_de":"642\nJulius Budge:\nDer Muskel ist todtenstarr und darum undurchsichtig und tr\u00fcbe, k.k. die ver\u00e4nderten und stark gepressten K\u00f6rnerreihen.\nFig. 8. Muskel von Hydrophilus ganz kurze Zeit mit HCl von 0,1 % behandelt, a. d. Sarkolemm. b. die ungemein durchsichtige contractile Substanz mit einer schwachen Andeutung der Querstreifen, c. die etwas ver\u00e4nderten K\u00f6rnerreihen.\nFig. 9. Muskeln aus der Froschzunge. Eine Stammfaser mit Thei-lungen. a. Die scheibenf\u00f6rmig \u00fcber einander geschichteten K\u00f6rner in der Axe. b. b. Eben solche K\u00f6rner in den Verzweigungen.\nFig. 10. Muskel von Hydrophilus. n. Eine Nervenprimitivfaser mit zwei secund\u00e4ren Nerven t. t. k. k. Die K\u00f6rnerreihen in der con-tractilen Substanz. S. S. Todtenstarre zerkl\u00fcftete Stelle des Muskels. 1. 1. Eintrittsstelle des Nerven in den Muskel, z. wahrscheinlicher Zusammenhang des Axencylinders mit der centralen K\u00f6rnerreihe, d. d. Durch die Todtenstarre verdr\u00fcckte K\u00f6rner.\nUeber den Verlauf der Galleng\u00e4nge\nVon\nJulius Budge,\nProfessor in Greifswald.\n(Hierzu 8 Abbildungen.)\nVor wenigen Jahren ist eine sehr genaue Untersuchung \u00fcber den Verlauf der Galleng\u00e4nge in der Leber von Herrn Beale1) erschienen, welche sich des allgemeinen Beifalls erfreute und es hatte den Anschein, als ob dieser vielfach untersuchte Gegenstand nun zum Abschl\u00fcsse gekommen sei. \u2014 Das wichtigste Resultat dieser Arbeit besteht darin, dass die Galleng\u00e4nge, welche bis zu einem gewissen Grade sich verengert h\u00e4tten, dann wieder weiter w\u00fcrden, und die Leberzellen in sich aufn\u00e4hmen, wie dies z. B. aus der 28. Figur\n1) On the ultimate arrangement of the biliary ducts and on some other points in the anatomy of the liver of vertebrate animals. By Dr. L. S. Beale in Philos. Transact. 1856. Vol. 146. p. 375.","page":642},{"file":"p0748.txt","language":"de","ocr_de":"748\nAV. K il h n \u00ab '\nUntersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen der contractilen Substanzen.\nVon\nDr. W. K\u00fchne.\n(Fortsetzung von S. 640.)\nIV. Die Ver\u00e4nderungen der coutractilen Substanz nach dem Tode.\n1. Die Todtenstarre.\nBei der Betrachtung der Bewegungen des direct gereizten Muskels fanden wir, dass nach dein Tode des Thieres Ver\u00e4nderungen in der contractilen Substanz eintreten, welche von erheblichem Einfl\u00fcsse auf die Form und die Fortpflanzung (Jer Contraction sind. Wird ein Muskel aus dem Organismus heraus gel\u00f6st, so ger\u00e4th er in Bedingungen, welche seiner Existenz bedrohlich werden, die normale Ern\u00e4hrung vermag nicht mehr die Verluste auszugleichen, welche mit seiner Th\u00e4tigkeit eng verbunden sind, und die contractile Substanz unterliegt denselben Einfl\u00fcssen, wie alle organischen K\u00f6rper, jenen m\u00e4chtigen chemischen Umwandlungen, durch welche der grossartige Kreislauf der Materie bei allen belebten Wesen in stetem Gange erhalten wird. Die n\u00e4chste und auffallendste Ver\u00e4nderung, welche mit der contractilen Substanz vorgeht, ist die allgemein bekannte Todtenstarre, der Rigor mortis, eine seit Jahrhunderten mit ungeschw\u00e4chtem Interesse beobachtete Erscheinung, welche als Grenzstein an der Schwelle des Todes zu stehen scheint, und welche den Verlust aller lebendigen Eigenschaften des Muskels verk\u00fcnden sollte. Es ist begreiflich, wie die Todtenstarre der Gegenstand der gr\u00f6ssten Aufmerksamkeit werden musste zu einer Zeit, wo man die Unterscheidung von Leben und Tod","page":748},{"file":"p0749.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 74\u00fc\nf\u00fcr eine der wichtigsten Fragen hielt; und wo man sich bem\u00fchte die Unterschiede zwischen einem lebenden und einem todten K\u00f6rper zu h\u00e4ufen, wo man genau zu wissen w\u00fcnschte, wann ein Organ lebendig oder todt sei. Dieses Streben, das der jetzigen Zeit fremd geworden ist, hat dahin gef\u00fchrt, dass \u00fcber die Erscheinungen, welches ein von dem \u00fcbrigen K\u00f6rper isolirtes Organ nach und nach darbietet, die verschiedensten Ansichten aufgestellt worden sind. Was der Eine den rohen Kr\u00e4ften der \u00e4usseren Natur \u00fcberwies, wrar f\u00fcr den Anderen ein Zeichen der letzten Lebens\u00e4usserungen, und so ist es gekommen, dass man durchgreifende Unterschiede zu eonsfatiren glaubte, wenn mani einen Theil der Vorg\u00e4nge vital nannte und eine andere Reihe von Ver\u00e4nderungen in physikalischen und chemischen Wirkungen bestehen liess. Die Todtenstarre ist in Folge davon auch meist nur unter diesem Gesichtspunkte studirt worden; wir haben dar\u00fcber die Theorien von Nysten und Sommer, welche jene Extreme vertreten. Ersterer schreibt dieselbe den letzten Anstrengungen des Lebens zu, und nennt sie eine vitale Contraction1), w\u00e4hrend Sommer2) sie f\u00fcr den Ausdruck einer physikalischen Zusammenziehung h\u00e4lt, welche nichts Gemeinsames habe mit der Contraction eines lebenden Muskels.\nBei der Untersuchung eines Vorganges und bei der Nachforschung nach den Ursachen desselben ist es gewiss er-sprieeslicher, die vorgefassten Meinungen von Leben und Tod, von vitaler und physikalischer Action ganz aufzugeben, und sich statt dessen an das rein Objective zu halten, da es doch nicht abgeleugnet werden kann, dass ein von dem vollst\u00e4ndigen Organismus abgetrennter Theil nie wieder ganz das gleiche Verhalten zeigen kann, wie vorher, indem durch seine Lostrennung eben die Bedingungen, unter denen er sich befand, total ver\u00e4ndert werden. Ein Jeder ist dann berechtigt den geringsten Unterschied f\u00fcr das Zeichen des Todes zu\n1) Nysten, recherches de physiol, et de eliim. path. Paris 1811.\n1) Sommer, de signis mortem hom. absolut, ante putredinis ae-cessum indic. Havniae 1833.","page":749},{"file":"p0750.txt","language":"de","ocr_de":"7,50\nW. K\u00fchne:\nnehmen, w\u00e4hrend es andererseits Niemandem verwehrt werden kann, alle Vorg\u00e4nge, selbst die Verwesung des letzten Molec\u00fcls den lebendigen Eigenschaften zuzuschreiben, mit denen der K\u00f6rper von Anfang an ausgestattet war.\nDer Erste, welcher in seinen Betrachtungen \u00fcber die Todtenstarre von den soeben genannten Ideen zu abstra-hiren wusste, ist E. Br\u00fccke1). Durch eine Vergleichung der Ver\u00e4nderungen, welche ein Muskel nach dem Tode erf\u00e4hrt, mit denjenigen Erfahrungen, welche Joh. M\u00fcller \u00fcber die Ursachen der Blutgerinnung gemacht hatte, kam er zu dem Schl\u00fcsse, dass im Inneren der Muskelfasern ein Stoff gerinne, gerade so wie der i|n Blutplasma gel\u00f6ste Faserstoff. Obgleich es nun bis heute noch an allen bindenden Beweisen f\u00fcr die Richtigkeit dieser Anschauung fehlt, so hat dieselbe doch bei den ersten Physiologen allm\u00e4lig Eingang gefunden, gewiss nicht allein wegen der \u00fcberzeugenden Klarheit der Br\u00fccke\u2019schen Darstellung, sondern wohl vorzugsweise wegen des positiven Schlusses, der nur mit Ja oder Nein entschieden werden konnte, gegen\u00fcber den vagen Vorstellungen von vitalen oder nicht vitalen Ver\u00e4nderungen.\nIch glaube in dem Folgenden die Beweise f\u00fcr die Richtigkeit der Br\u00fccke\u2019schen Theorie geben zu k\u00f6nnen, welche in der Darstellung und der Isolirung jenes gerinnenden K\u00f6rpers bestehen. Ehe ich jedoch zu denselben \u00fcbergehe, scheint es mir angemessen, auch die Meinungen zu durchmustern, welche bisher der Gerinnungstheorie zu widersprechen schienen, und daran eine Beschreibung der Todtenstarre bei verschiedenen Thieren zu kn\u00fcpfen.\nDurch die Untersuchungen von E. Weber2) ist ganz zweifellos erwiesen worden, dass ein contrahirter und ein starrer Muskel so grosse Verschiedenheiten in ihren elastischen Eigenschaften zeigen, dass an eine Uebereinstimmung der Todtenstarre mit der Muskelcontraction kaum gedacht\n1)\tE. Br\u00fccke, \u00fcber die Ursache der Todtenstarre. M\u00fcller\u2019s Archiv. 1842. S. 178.\n2)\tE. Weber, Artikel *Muskelbewegung\u201c in Rud. Wagner\u2019s Handw\u00f6rterbuch der Physiologie.","page":750},{"file":"p0751.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 751\nwerden kann. Nichts desto weniger ist aber diese Ansicht bis in die neueste Zeit aufrecht erhalten, zu allerletzt von Schiff1), bei dem die Starre die letzte idiomuscul\u00e4re Contraction vorstellt. Wenn die Eigenschaften eines contrahir-ten und eines starren Muskels ganz bestimmt angegeben werden k\u00f6nnen, und wenn sich dann grosse Verschiedenheiten zwischen beiden ergeben, so kann es nat\u00fcrlich keinem Zweifel unterliegen, dass die Idee, der starre Muskel sei ein contra-hirter, aufgegeben werden m\u00fcsse. Schiff hat sich dem indessen auf eine ganz eigenth\u00fcmliche Weise zu entwinden gesucht. Weber\u2019s Beobachtungen, welche an elektrisch-teta-nisirten Muskeln angestellt wurden, beweisen ihm nur, dass der in neuromuscul\u00e4rer Bewegung begriffene Muskel sich verschieden verhalte von dem starren; von seiner idiomus-cul\u00e4ren Contraction behauptet er aber, dass man ihren Einfluss auf die Elasticit\u00e4t des Muskels nicht kenne. In diesem letzterem Satze irrt nun Schiff offenbar. Der todtenstarre Muskel ist f\u00fcr ihn ein idiomuscul\u00e4r verk\u00fcrzter, und er ist folglich gezwungen, die elastischen Eigenschaften, welche Weber dem starren Muskel zuertheilte, f\u00fcr seine idiomuscul\u00e4re Contraction in Empfang zu nehmen. Man sieht nicht ein, weshalb Schiff dies nicht gethan, denn nichts konnte ihm willkommener sein, als jene Uebereinstimmung. Zu beweisen ist auf diesem Wege aber selbstverst\u00e4ndlich gar nichts, um so weniger, als Das, was Schiff idiomuscul\u00e4re Contraction nennt, wie oben gezeigt wurde, sehr verschiedene Dinge einschliesst und nichts daf\u00fcr b\u00fcrgt, dass er nicht stellenweise auch die wirkliche Starre f\u00fcr eine idiomuscul\u00e4re Contraction genommen habe. Da sich ferner nachweisen l\u00e4sst, dass die elektrische Reizung nicht bloss den Nerven, sondern auch den Muskel direct erregt, und da Weber mit Stromesschwankungen von solcher M\u00e4chtigkeit experimentirte, dass er unzweifelhaft in allen seinen Versuchen auch den Muskel selbst dadurch erregte, so ist es klar, dass die von Weber gefundenen elastischen Eigenschaften des Contrahirten Mus\n1) M. Schiff, Lehrbuch der Physiologie, S. 48\u201452.","page":751},{"file":"p0752.txt","language":"de","ocr_de":"752\nW. K \u00fc h n i\u00bb :\nkels ebenso wohl fiir die neuromuscul\u00e4re, wie f\u00fcr die wahre idiomuscul\u00e4re Verk\u00fcrzung gelten, und es f\u00e4llt damit jeder Grund, den starren Muskel einen idiomuscul\u00e4r contrahirten zu nennen, weg. Zwei Dinge, welche in einer wesentlichen Eigenth\u00fcmliehkeit so verschieden Sind, k\u00f6nnen unm\u00f6glich gleich sein.\nDiesem Sachverhalte gegen\u00fcber hat also die Meinung, die 1 odtenstarre bestehe in einer Contraction, Alles gegen sich und nichts f\u00fcr sich, w\u00e4hrend die Gerinnungstheorie Alles f\u00fcr sich hat, im Falle es nur diese beiden Alternativen giebt. Die Unterschiede zwischen einem starren und einem contrahirten Muskel sind nicht allein in Hinsicht auf die elastischen Eigenschaften, sondern in jeder anderen Beziehung auffallend. Man betrachte sich doch vorzugsweise die feinen und d\u00fcnnen Muskeln der Fr\u00f6sche. Der noch erregbare Muskel ist hier immer durchsichtig, einerlei ob im contrahirten oder im erschlafften Zustande, w\u00e4hrend der todtenstarre Muskel weiss, tr\u00fcbe und undurchsichtig ist. Ich muss diesen Unterschied hier von neuem betonen, da er fast regelm\u00e4ssig ausser Acht gelassen wird, so leicht es auch ist ihn wahrzunehmen. Unbegreiflicherweise behauptet Kussmaul1) sogar das Gegen-theil, dass ein todtensfarrer Muskel unter dem Mikroskop wenigstens eben so durchsichtig sei, als ein noch erregbarer oder contrahirter. Wie die Vergr\u00f6sserung einen undurchsichtigeren K\u00f6rper durchsichtiger erscheinen lassen k\u00f6nne, als einen anderen vorher durchsichtigeren, vermag ich indessen nicht einzusehen, mir scheint vielmehr, dass die ausschliessliche Betrachtung im durchfallenden Lichte, wie sie bei der mikroskopischen Beobachtung geschieht, gerade geeignet sein m\u00fcsste, jene Unterschiede recht zur Geltung kommen zu lassen. Ein im reflectirten Lichte weisser K\u00f6rper kann wohl im durchfallenden Lichte schwarz werden, andere Wunder aber vermag das Mikroskop nicht herzuzaubern, ln Folge der K u ss maul\u2019sehen Angaben habe ich mir h\u00e4ufig das Vergn\u00fcgen bereitet, den Eintritt der Todtenstarre auch\n1) Kussinaul, Prager Vierteljahrsschrift. 18.","page":752},{"file":"p0753.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 75?,\nunter dem Mikroskop zu beobachten. Ich reisse oder schneide zu dem Ende einen l\u00e4ngeren schmalen Streifen aus den Oberschenkelmuskeln eines eben get\u00f6dteten Frosches heraus, und breite dann die einzelnen Primitivb\u00fcndel auf einer Objectplatte aus, unter Zusatz von einigen Tropfen Froschlymphe. Die Glasplatte ist nach Weber\u2019s Methode mit Spiegelfolie belegt, zwischen welcher sich nur in der Mitte eine L\u00fccke befindet, die durch das Pr\u00e4parat \u00fcherbr\u00fcckt wird, und die beiden Spiegelbel\u00e4ge befinden sich in leitender Verbindung mit einer Inductionsspirale. Betrachtet man sich nun ein so hergerichtetes Pr\u00e4parat bei starker Vergr\u00f6sserung, so findet man, was bei genauerer Besichtigung auch schon das blosse Auge entdeckt, dass die Muskelfasern einzelne undurchsichtige Stellen besitzen, namentlich an den beiden Enden, wo die Schnittfl\u00e4chen sich befinden. Diese undurchsichtigen Stellen grenzen sich scharf von den hellen und durchsichtigen Partien der Muskelprimitivb\u00fcndel ab, und wenn man mittelst der Beseitigung einer Nebenschliessung jetzt pl\u00f6tzlich einige kr\u00e4ftige Inductionsschl\u00e4ge unter dem Deckglas durchgleiten l\u00e4sst, so sieht man, wie alle Muskelb\u00fcndel sich nur au den durchsichtigen Stellen verk\u00fcrzen und verdicken, w\u00e4hrend die ganz braun erscheinenden, undurchsichtigen Stellen, oder die in ihrer ganzen L\u00e4nge von dieser Ver\u00e4nderung ergriffenen Primitivb\u00fcndel nicht die leiseste Bewegung zeigen. Sp\u00e4ter dehnen sich die undurchsichtigen Stellen immer mit scharfer Grenze fortschreitend weiter \u00fcber die L\u00e4nge der Fasern aus, so dass ein Zeitpunkt kommt, wo das ganze Pr\u00e4parat im durchfallenden Lichte nur stark br\u00e4unlich erscheinende Fasern enth\u00e4lt, die im reflectirten Lichte weiss und opak ausselien. Dass diese Ver\u00e4nderung ausschliesslich von der Todtenstarre herr\u00fchrt, sieht man leicht daran, dass erstens nur unerregbare Muskeln diese Erscheinung zeigen, und dass alle Einfl\u00fcsse, welche die Todtenstarre herbeif\u00fchren, auch solche br\u00e4unliche und opake Muskelb\u00fcndel erzeugen. Vorzugsweise sind daher immer die Schnittfl\u00e4chen und ihre Umgebung undurchsichtig, und ferner die Punkte, wo die Pr\u00e4parirnadeln die Fasern unsanft ber\u00fchrt haben.","page":753},{"file":"p0754.txt","language":"de","ocr_de":"754\nW. K\u00fchne:\nDurch einen leichten Druck mit der Nadel kann man deshalb leicht den Primitivb\u00fcndeln ein gemustertes Aussehen ertheilen, indem man abwechselnd auf eine durchsichtige Strecke eine durchsichtige folgen l\u00e4sst. Am schnellsten tritt die Ver\u00e4nderung in der ganzen L\u00e4nge der Primitivb\u00fcndel ein, wenn man das Pr\u00e4parat in destillirtem Wasser betrachtet, sie verschwindet aber dort auch eben so schnell wieder, weil die contractile Substanz hinterher stark aufquillt, so dass sie wieder durchsichtiger wird. Sehr leicht ist es, diese Undurchsichtigkeit der starren Muskelstellen jeder Zeit zu beobachten, wenn man die frischen Muskeln in einer L\u00f6sung von Na CI von 0,5\u20140,7% unter das Mikroskop bringt. Sie erhalten sich in einer derartigen Salzl\u00f6sung l\u00e4nger erregbar und die einmal starren Stellen quellen nicht so rasch wieder auf. Nimmt man schon starre Muskeln von einem seit l\u00e4ngerer Zeit get\u00f6dteten Frosch, so ist es leicht sich zu \u00fcberzeugen, dass die starren Primitivb\u00fcndel immer tr\u00fcbe, undurchsichtig und br\u00e4unlich aussehen, w\u00e4hrend daneben gelegte frische Fasern immer ganz klar und durchsichtig, etwas bl\u00e4ulich dagegen abstechen, gleichviel ob sie sich in Ruhe befinden, oder tetanisch verk\u00fcrzt sind durch die Str\u00f6me des Inductionsapparates. Man kann ferner unter dem Mikroskop auch an ganzen Muskeln die gr\u00f6ssere Undurchsichtigkeit, welche die Todtenstarre begleitet, beobachten, wenn mau z. B. zwei von den feinen Brusthautmuskeln der Fr\u00f6sche vergleicht, von denen einer ganz frisch, der andere von einem lange vorher get\u00f6dteten Frosche genommen ist. Nach diesen Angaben, die Jeder leicht bewahrheiten kann, ist es dann wohl ausser Zweifel, dass der starre Muskel undurchsichtiger ist, als der lebende oder der contrahirte, einerlei ob mit oder ohne Mikroskop beschaut, und es ist leicht, auch an denjei-nen Muskeln kleiner S\u00e4ugethiere, dem Diaphragma der Ratten z. B., denselben Unterschied unzweideutig wahrzunehmen. Die gr\u00f6ssere Durchsichtigkeit der starren Muskeln ist wohl auch der Grund, weshalb die mit einem rothen Farbstoff' durchdrungenen Muskeln vieler h\u00f6heren Thiere l\u00e4ngere Zeit","page":754},{"file":"p0755.txt","language":"de","ocr_de":"(Jntersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 755\nnach dem Tode mehr ziegelroth werden, im Vergleich zu der saftigen Fleischfarbe der frischen Muskeln.\nWir h\u00e4tten somit neben den Unterschieden in den elastischen Eigenschaften noch einen zweiten ganz constanten und handgreiflichen in Hinsicht der optischen Eigenschaften, welche contrahirte und starre Muskeln auf den ersten Blick von einander unterscheiden l\u00e4sst. Ausserdem ist ferner von d u Bois-Reymond gezeigt worden, dass in dem todtenstarren Muskel auch leicht eine chemische Verschiedenheit von dem contrahirten nachgewiesen werden k\u00f6nne, da der starre Muskel meist sauer, der noch erregbare oder contractile aber in der Regel alkalisch reagirt.\nIch bin im Stande, die Beobachtungen meines hochverehrten Lehrers, welche derselbe ganz vor Kurzem ver\u00f6ffentlicht hat1), in allen St\u00fccken best\u00e4tigen zu k\u00f6nnen. In der allergr\u00f6ssten Mehrzahl der F\u00e4lle bezeichnet der Eintritt der sauren Reaction im Muskel zugleich den Beginn der Starre, so dass die alkalische Reaction sehr wohl als charakteristisch f\u00fcr den noch erregbaren und noch nicht starren Muskel, die saure aber f\u00fcr den starren Zustand der contractilen Substanz in Anspruch genommen werden kann. Die einzigen Ausnahmen, welche ich davon gesehen habe, betreffen die freilich seltene Erscheinung, dass das noch schlagende Herz auf dem Querschnitte der Kammer schwach sauer reagirt, d. h. das violett gef\u00e4rbte Lackmuspapier r\u00f6thet. Ich habe ferner gesehen, dass das Herz eines Hundes, welcher von einer Hautwunde aus mit Upas antiar (?) vergiftet war, sehr stark sauer reagirte, ohne dass die Starre bereits begonnen hatte, aber w\u00e4hrend die Muskelfasern der Kammern und der Vorh\u00f6fe nicht die geringste Erregbarkeit mehr besassen. Andererseits kann es Vorkommen, dass die Muskeln erstarren, ohne dass die alkalische Reaction dabei in die saure umschl\u00e4gt, wie ich dies ganz constant bei Kaninchen beobachtete, welche Herr Cl. B ernard anderer Versuche halber\n1) Aeiu. du Bois-Reymond de iibrae muscularis reactione ut ihemicis visa est aeida. Berlin 1859. \u2014 Monatsberichte der Berliner Akademie. 1859. S. 288.","page":755},{"file":"p0756.txt","language":"de","ocr_de":"756\nW. K fi 11 n e :\nverhungern Hess. Hier folgt der Verlust der Erregbarkeit und die Starre fast unmittelbar auf den letzten Athemzug, und die Muskeln reagiren fortw\u00e4hrend stark alkalisch, ohne dass ein Zeitpunkt eintritt, wo freie S\u00e4ure darin nachgewiesen werden k\u00f6nnte. Bei alledem muss ich mich aber daf\u00fcr erkl\u00e4ren, dass der Reactionswechsel der Muskeln aut das engste an den Eintritt der Starre gekn\u00fcpft ist. Es ist die Bildung von freier Fleischmilchs\u00e4ure, welche unter ganz bestimmten Umst\u00e4nden in allen Muskeln beginnt, und welche mit einen Theil jener der contraetilen Substanz eigent\u00fcmlichen Ver\u00e4nderungen ausmacht. Die Er\u00f6rterung dieser Vorg\u00e4nge muss ich einer anderen Gelegenheit Vorbehalten, es sei hier nur das ber\u00fchrt, was streng genommen in das rein physiologische Gebiet f\u00e4llt.\nDies Alles d\u00fcrfte denn nun wohl mehr als gen\u00fcgen, um endlich die Vorstellung zu beseitigen, es sei die Todtenstarre eine tetanische dauernde Contraction. Der Un\u00e4hnlichkeiten beider Zust\u00e4nde w\u00e4re damit genug erw\u00e4hnt. Wer an eine Contraction glauben will, muss mindestens eine neue Art derselben erfinden, mit der bis jetzt bekannten Muskelcon-traction hat die Starre nichts gemeinsames. Es ist nicht \u00fcberfl\u00fcssig aber auch solchen Erfindungen bei Zeiten vorzubeugen, wenn man bedenkt, dass Schiff sogar bem\u00fcht ist nachzuweisen, wie die Umsetzungsproducte der contraetilen Substanz nach dem Tode eine reizende Fl\u00fcssigkeit liefern, welche den noch brauchbaren Rest derselben zur Contraction bestimme, jener idiomuscul\u00e4ren Contraction, welche nach Schiff in der Todtenstarre ihren Ausdruck findet. Zum Beweise f\u00fcr diese Behauptung f\u00fchrt Schiff an, dass er die Schenkel einer Kr\u00f6te habe starr werden sehen in der ausgepressten Fl\u00fcssigkeit eines erstarrten Kaninchenschenkels, und dass diese Starre dem Blutkreislauf sp\u00e4ter wieder gewichen sei. Im besten Falle beweist dies indessen immer nur das, dass ein todtenstarrer Kaninchenschenkel einem Kr\u00f6tenmuskel gef\u00e4hrlich werden k\u00f6nne, und durchaus nicht, dass die in dem Muskel eines Tbieres enthaltene Fl\u00fcssigkeit die contractile Substanz desselben Tbieres zur Contraction","page":756},{"file":"p0757.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 757\nveranlassen k\u00f6nne. Ich habe derartige Versuche bei den Muskeln der Fr\u00f6sche wiederholt, und gefunden, dass die aus ganz frischen Froschmuskeln ausgepresste Fl\u00fcssigkeit niemals erregend auf andere Froschmuskeln, z. B. den Sartoriusquerschnitt zu wirken vermag. Die stark saure Fl\u00fcssigkeit von todtenstarren Froschmuskeln, oder die, stark alkalische und ammoniakalische Fl\u00fcssigkeit ganz verfaulter Muskeln wirken hingegen bisweilen als Reize f\u00fcr die gesunden Froschmuskeln, und die Erscheinungen sind hier ganz so, wie wenn man sie mit einer verd\u00fcnnten S\u00e4ure oder einem Alkali behandelt h\u00e4tte. Anfangs entstehen starke Zuckungen vom Querschnitte aus, und sp\u00e4ter ein Zustand der Starre, wie ich ihn fr\u00fcher bei Gelegenheit der chemischen Reizung schon geschildert habe, und welcher wiederum mit der Contraction nichts gemein hat. Also auch diese Versuche von Schiff beweisen nichts f\u00fcr seine Ansicht, dass die Starre eine Contraction sei, sie zeigen nur in einer sehr d\u00fcrftigen Weise, dass bei der Starre chemische Ver\u00e4nderungen entstehen, welche mit ein Grund f\u00fcr das Weiterschreiten derselben werden k\u00f6nnen, etwa wie ein Tropfen faulender Fl\u00fcssigkeit eine grosse Menge noch unversehrter Mischungen rasch in die F\u00e4ulniss mit hineinziehen kann.\nMerkw\u00fcrdiger Weise hat man in der bekannten Reihe der an und f\u00fcr sich sehr interessanten Versuche, die nacheinander von Kay, Brown-S\u00e9quard1) und Stannins2) angestellt wurden, einen Beweis gegen dieBr\u00fccke'-sche Gerinnungstheorie und f\u00fcr die Idee der vitalen Action finden wollen. Diese Versuche sind eine weitere Ausdehnung des Stens on\u2019sehen Experimentes, des k\u00fcnstlichen Eintritts der Starre an dem Gliede eines lebenden Thieres, dessen Arterien man unterbunden hatte. Alle Beobachter stimmen darin \u00fcberein, dass die so hervorgebrachte Starre der Muskeln wieder gel\u00f6st werden k\u00f6nne durch den erneuten Zutritt des\n1)\tBrown-S\u00e9quard Compt. rend. 1851.\n2)\tStannius, Untersuchungen \u00fcber Leistungsf\u00e4higkeit der Mus kelu und Todtenstarre. Archiv f. physiol. Heilkunde XI.\nReichert\u2019s u. du Bois-Reymond\u2019s Archiv. 1859.\t49","page":757},{"file":"p0758.txt","language":"de","ocr_de":"758\nW. K\u00fchne:\narteriellen Blutes, worauf die Leistungsf\u00e4higkeit und die fr\u00fchere Erregbarkeit der Muskeln wiederkehren solle.\nAbgesehen davon, dass diese Versuche bei genauerer Beobachtung ein ganz anderes Resultat liefern, wie sogleich gezeigt werden soll, beweisen dieselben weder etwas gegeu die Br\u00fccke\u2019sehe Theorie, noch irgend etwas f\u00fcr den sogenannten letzten vitalen Act, den der Muskel bei der Todteu-starre vollf\u00fchren soll. Ich w\u00fcrde Angesichts der h\u00e4ufigen Schmelzungen fester Exsudate, und der Resorption grosser und fester Gewebsmassen Nichts wunderbares darin zu finden verm\u00f6gen, wenn die Umsp\u00fclung der geronnenen contractilen Substanz mit dem alkalischen Blute, nicht allein die saure Reaction des todtenstarren Muskels beseitigte, sondern auch seine Substanz selbst in ihren fr\u00fcheren fl\u00fcssigen Zustand wieder zur\u00fcckversetzte. So wenig wie in diesen Versuchen ein Beweis gegen die Br\u00fccke\u2019sehe Theorie liegen kann, eben so wenig n\u00fctzten dieselben der Ansicht, welche die Starre mit der Contraction zusammenwirft. Wer in aller Welt hat denn je die einmal bestehende Muskelcontraction durch die Blutcirculation schwinden sehen? Zum Ueberfluss habe ich am Frosch noch einen Versuch angestellt, indem ich den Schenkelnerven oder auch den Gastroknemius direct mit dem Minimum der erforderlichen Stromesschwankungen reizte, w\u00e4hrend das Blut durch eine Massenligatur des Schenkels abgeschlossen war. Selbstverst\u00e4ndlich zuckte der Muskel sp\u00e4ter bei demselben Reize ruhig weiter, wenn ich die Ligatur l\u00f6ste und das Blut wieder in die Muskeln und die Ge-f\u00e4sse der Schwimmhaut drang. Der Jubel, dass die genannten Versuche nun den Todtentanz der Muskeln wieder zu Ehren gebracht, war also ganz unmotivirt, da dieselben nichts f\u00fcr den angenommenen letzten vitalen Act zu leisten verm\u00f6gen, von dem man nur so ungern scheiden wollte.\nEs giebt wohl kein physiologisches Experiment, das weiter in\u2019s Extreme getrieben worden, als die Wiederbelebung der Muskeln durch das arterielle Blut. Brown-S\u00e9quard schien der Leichenerwecker aller Anatomien werden zu wollen; nach ihm sollten Hingerichtete durch Injectionen von Hundeblut","page":758},{"file":"p0759.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 759\nin ansehnlicher Weise zu Kr\u00e4ften gelangt sein, und sein eigenes Blut wanderte in die Glieder der Pariser Verbrecher. Trotz alledem muss aber das Experiment jetzt in ganz anderer Weise gedeutet werden, da es niemals gelingt den unzweifelhaft unerregbaren und v\u00f6llig starren Muskel eines warmbl\u00fctigen Thieres durch den Blutstrom wieder in einen leistungsf\u00e4higen und reizbaren umzuwandeln, noch einen wirklich starren Muskel irgend eines Kaltbl\u00fcters aus dem starren Zustand in den normalen zur\u00fcckzubringen.\nDie Angabe \u00fcber die Zeit, wann die Starre in den Gliedern eintritt, von welchen man die Blutcirculation abgesperrt hatte, sind ausserordentlich verschieden, theils wohl wegen der wirklich betr\u00e4chtlichen Zeitunterschiede, in denen die Erregbarkeit verloren geht und die Starre beginnt, je nach der Temperatur und noch vielen anderen \u00e4usseren Bedingungen, aber auch theils gewiss wegen der mangelhaften Kriterien, an welchen die verschiedenen Beobachter den sogenannten Muskeltod zu erkennen glaubten. Es ist nicht zu l\u00e4ugnen, dass es mit grossen Schwierigkeiten verkn\u00fcpft ist, bei gr\u00f6sseren Thieren in jedem einzelnen Falle Rechenschaft abzulegen von dem Zustande der Muskeln, welche man nach der Vorenthaltung des Blutstroms von neuem mit der ern\u00e4hrenden Fl\u00fcssigkeit speist, und schon darin fand ich einen Grund, bei der eigenen Wiederholung dieser Versuche vorzugsweise Fr\u00f6sche zu verwenden, bei welchen die Untersuchung bei weitem besser und genauer ausgef\u00fchrt werden kann. Bernard und K\u00f6lliker haben bei Gelegenheit ihrer Untersuchungen \u00fcber die Wirkung des Curara\u2019s das h\u00f6chst sinnreiche Mittel angewendet, die ganzen Glieder mit Ausschluss der Nerven zu umschn\u00fcren, um eine ganz vollkommene Absperrung des Blutes in denselben m\u00f6glich zu machen. Man kann diese Methode auf zweierlei Weise in Anwendung bringen, entweder so, dass man den Frosch von hinten her in der Leudengegend \u00f6ffnet, die beiden Plexus ischiadici aufsucht und unter diesen hindurch den Ligaturfaden zieht, mit welchen man nun den ganzen Frosch so zusammenschn\u00fcrt, dass die Schlinge ihn dicht \u00fcber den Schenkeln, mit Ausnahme\n49*","page":759},{"file":"p0760.txt","language":"de","ocr_de":"760\nW. K\u00fchne-\nder Nerven, umfasst, so dass der Knoten vorn auf den Bauch zu liegen kommt. Will man nur den Unterschenkel abbin-den, so macht man an der hinteren Fl\u00e4che der Oberschenkel einen Einschnitt, zerrt die Muskeln ein wenig aus einander und legt unter den dabei entbl\u00f6ssten Schenkelnerven den Faden an, der nun in der entgegengesetzten Richtung nach vorn zusammengeschn\u00fcrt und geknotet wird. Um zu sehen, ob die Blutcirculation durch die Ligatur vollkommen gehemmt sei, gen\u00fcgt eine Betrachtung der Schwimmhaut unter dem Mikroskop, wo die Capillaren strotzend mit Blut angef\u00fcllt sein m\u00fcssen, ohne dass die mindeste Bewegung darin wahrgenommen werden darf, eben so wenig wie in den kleinen Arterien, welche l\u00e4ngs der Zehen verlaufen. Bei dieser Art der Contr\u00f4le wurde ich dazu gef\u00fchrt, dem K\u00f6lliker\u2019-schen Verfahren doch den Vorzug zu geben, indem es bei der Ligatur um den Oberschenkel immer am besten gelingt, die Circulation unterhalb derselben vollst\u00e4ndig und dauernd zu hemmen, w\u00e4hrend bei der Massenligatur in der Taille des Frosches leicht ein nur unvollkommener Verschluss erzielt wird, namentlich wenn der Versuch mehrere Tage dauert. In Etwas kann die Beruard\u2019sche Methode verbessert werden, dadurch, dass man die Beckenknochen durchschneidet, worauf die Ligatur st\u00e4rker zusammen gezogen werden kann. Bei alledem bleibt sie aber doch nicht empfehlenswert!], zumal wo es sich darum handelt, die Schlinge sp\u00e4ter wieder zu l\u00f6sen. Die s\u00e4mmtlichen Theile des Frosches sind dann in der Regel so comprimirt, dass das Thier nur an einem d\u00fcnnen Faden seine Schenkel zu halten scheint, welcher nicht leicht wieder auf das urspr\u00fcngliche Volumen zur\u00fcckkommt, so dass er eine Erweiterung der Gef\u00e4sse gestatten k\u00f6nnte. Bei der einfachen Abbindung des Oberschenkels ist dies Alles zu vermeiden, nur muss man Sorge tragen, auch hier die Theile nicht zu fest zu klemmen. Ich bediene mich eines breiten und weichen seidenen Bandes, das mit Wachs gut gewichst ist, letzteres namentlich deshalb, damit der auf der Ligatur liegende Nerv nicht an die Seide seinen Wassergehalt abgebe, was die in Be-","page":760},{"file":"p0761.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 761\ntracht kommende Stelle sehr bald unerregbar macht und selbstverst\u00e4ndlich die Leitung hemmt,\nIn solcher Weise habe ich nun eine grosse Zahl von Versuchen an recht grossen und kr\u00e4ftigen, gut mit Insecten gef\u00fctterten Fr\u00f6schen angestellt. Die Beine wurden rasch hinter einander unterbunden und die Thiere sodann in feuchtes Moos gesetzt. Dsr Erfolg der Ligatur besteht zun\u00e4chst darin, dass sich ein auffallender Unterschied in der Farbe der Haut schon nach wenigen Stunden herstellt, wobei die unterbundenen Glieder heller erscheinen, als der \u00fcbrige Frosch. Ziemlich zu derselben Zeit scheint auch die Empfindlichkeit der letzten peripherischen Ausbreitungen der sensiblen Nerven in der Haut verloren zu gehen, obwohl Reizen des ganzen Fusses oder einzelner pr\u00e4parirter Nervenf\u00e4den noch heftiges Schlagen mit beiden F\u00fcssen als Reflex oder bewusste Bewegung zur Folge hat. Stets aber geht die Empfindlichkeit der Haut selbst, wie es scheint, ganz verloren, wenigstens reagiren die Thiere nach 4\u20145 Stunden nicht mehr auf die gew\u00f6hnlichen Aetzungen mit Kali oder Essigs\u00e4ure. Das Alles zeigt, wie die Endorgane der Nerven ganz besonders von der Blut-circulation abh\u00e4ngig sind, wogegen die St\u00e4mme derselben viel weniger davon beeinflusst werden, ein Umstand, den man \u00fcbrigens zum Theil schon aus der geringen Menge von Blutgef\u00e4ssen, welche die Nervenst\u00e4mme versorgen, schliessen k\u00f6nnte. Merkw\u00fcrdig ist es aber, dass dies f\u00fcr die Enden der motorischen Nerven, bei den Kaltbl\u00fctern wenigstens, nicht in demselhen Grade gilt, da die pr\u00e4parirten Froschschenkel, wie Jeder weiss, noch recht lange von ihren Ner-venst\u00e4mmen aus erregt werden k\u00f6nnen, mithin also die Endorgane, welche die Nerven mit der contractilen Substanz verkn\u00fcpfen, noch in gutem Zustande sein m\u00fcssen. Es ist aber auch hier eine Erfahrung, dass der Muskel viel l\u00e4nger auf die directe als auf die indirecte Reizung reagirt, obgleich der Stamm des Nerven immer noch in normalem Zustande beharren kann, wie die lange Dauer des ruhenden Nerven-stromes andeutet, der auch nach allen neueren Beobachtungen noch fort zu bestehen scheint, wenn seine Reizung keine","page":761},{"file":"p0762.txt","language":"de","ocr_de":"762\nW. K\u00fchne;\nMuskelzuckung des gleichwohl noch reizbaren Muskels bewirkt, Demzufolge tritt nun auch bei den Fr\u00f6schen ein Zeitpunkt ein, wo die Muskeln der unterbundenen Schenkel noch vollkommen erregbar bleiben, wo aber keine willk\u00fcrlichen Bewegungen mehr m\u00f6glich sind, und wo Reizung der Schenkelnerven, gleichviel ob oberhalb oder unterhalb der Ligatur ebenfalls keine Zuckungen mehr ausl\u00f6st. L\u00f6st man in einem solchen Stadium die Ligatur, so tritt h\u00e4ufig schon nach wenigen Minuten wieder Zuckung ein, wenn man den Nerven reizt, und man sieht leicht ein, dass es sich hier um die Restitution der Endorgane des motorischen Nerven handeln muss1), da der Stamm an der Stelle, wo man ihn gereizt, durch die L\u00f6sung der Ligatur in keine anderen Bedingungen versetzt wurde, namentlich wenn der Versuch in der Weise angestellt wurde, dass man den Nerven vorher beim Austritt aus der Beckenh\u00f6hle durchschnitten und wenn man ihn ganz isolirt aus der Wunde hat heraush\u00e4ngen lassen.\nSo viel von dem Theile der Erscheinungen, welcher ausschliesslich die Nerven angeht. Wir wenden jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Ver\u00e4nderungen der Muskeln nach der Absperrung des Blutstromes. In derjenigen Zeit, wo diese deutlich zu werden pflegen, ist es ohnehin meist aus mit den Nervenversuchen, da es auch bei der gr\u00f6ssten Vorsicht nicht leicht ist, den letzteren vor Schaden zu h\u00fcten, den ihm die unter ihm liegende Ligatur doch schliesslich zuf\u00fcgt. Bei hoher Temperatur dr\u00e4ngen sich die Ver\u00e4nderungen der contractilen Substanz sehr dicht auf einander, in der Sommerw\u00e4rme sogar der Art, dass die Starre in den unterbundenen Schenkeln so rasch eintritt, dass es kaum\n1) Aehnliche Versuche hat auch Brown-S\u00e9quard schon vor l\u00e4ngerer Zeit an h\u00f6heren Thieren angestellt. Um welches Endorgan der Nerven es sich hier handelt, ist schwer zu sagen. Die Ansicht, dass der Muskel selbst das wahre Endorgan derselben sei, wird besonders wahrscheinlich durch den von E. H. W eber beobachteten Kall einer Missgeburt, bei welcher das Fehlen der Nerven auch ein Ausbleiben der Entstehung von Muskeln zur Folge hatte. Es ist wohl richtiger, diesen interessanten Fall weniger gegen die Muskelirritabilit\u00e4t zu deuten, als im Sinne der genannten Anschauungsweise.","page":762},{"file":"p0763.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 763\nm\u00f6glich ist, die einzelnen Phasen geh\u00f6rig zu verfolgen. Am besten eignet sich zu diesen Beobachtungen eine Temperatur zwischen 10\u00b0 und 12\u00b0 C., wo die Starre erst nach 2 bis 3 Tagen vollkommen eintritt. Man beobachtet dann, dass die Muskeln sehr allm\u00e4lig ihre Erregbarkeit verlieren, sich dabei stark mit Blutfarbstoff' imbibiren und endlich in den starren Zustand \u00fcbergehen. Um \u00fcber alle Vorg\u00e4nge geh\u00f6rig in\u2019s Reine zu kommen, verfuhr ich folgendermaassen :\nNachdem das Anlegen der Ligatur den Verlust der willk\u00fcrlichen Bewegungen hervorgebracht hatte, wurden die Thiere von Zeit zu Zeit mit den Unterschenkeln \u00fcber die Elektroden der secund\u00e4ren Spirale des Schlittenapparates gelegt und jedes Mal nachgesehen, wie stark die Reizung sein musste, um Contractionen der Muskeln zu bewirken. Es ergab sich, dass die Inductionsrollen immer mehr an einander ger\u00fcckt werden mussten, und dass am Ende des zweiten Tages in der Regel nur noch die allerkr\u00e4ftigsten In-ductionsschl\u00e4ge sehr schwache Zuckungen in den Zehen hervorriefen, w\u00e4hrend der Gastroknemius und die anderen Muskeln in Ruhe blieben. Noch sp\u00e4ter wurde dann ein Schnitt durch die Haut auf der Wade gemacht, und die Elektroden direct an den Gastroknemius angelegt, wobei noch bisweilen ganz schwache locale Zuckungen einzelner Fasern des Muskels beobachtet werden konnten, und wenn dann schliesslich der Blutzufluss wieder hergestellt werden sollte, amputirte ich den einen Unterschenkel, dessen Muskeln ich nun einzeln abpr\u00e4parirt untersuchte, w\u00e4hrend an dem anderen Beine die Ligatur gel\u00f6st wurde. Der unter der Ligatur abgeschnittene Schenkel giebt den besten Aufschluss \u00fcber das Verhalten des anderen, da sich beide durchaus in denselben Bedingungen befanden, so dass man wohl den Befund' an dem einen Schenkel auf den anderen zu \u00dcbertr\u00e4gen berechtigt ist.\nIn mehr als 50 Versuchen habe ich nun gefunden, dass die Erregbarkeit der Muskeln niemals wiederkehrt, wenn dieselben wirklich starr d. h. hart, undurchsichtig und sauer geworden waren und auf keinerlei Reiz mehr reagirten, son-","page":763},{"file":"p0764.txt","language":"de","ocr_de":"764\nW. Kuhne:\ndern dass in diesem Falle die R\u00fcckkehr des Blutes eine rasche F\u00e4ulniss des Gliedes bewirke, wodurch die Thiere zuletzt total vergiftet wurden und demzufolge mit dem Leben b\u00fcssen mussten.\nIn den meisten F\u00e4llen starben die Thiere schon 24 Stunden nach der L\u00f6sung der Ligatur, h\u00e4ufig auch noch fr\u00fcher; ich habe aber bei einer niederen Temperatur von 5\u00b0 C. so behandelte Fr\u00f6sche auch noch 4 und 5 Tage am Leben erhalten, und dennoch kehrte die Reizbarkeit nicht wieder. Die R\u00fcckkehr des Blutstromes ist leicht an der Schwimmhaut zu beobachten. Wenn die Ligatur nichts zerschnitten hatte, und die Erweiterung der Gef\u00e4sse durch vorsichtiges Zupfen mit einer feinen Pincette gut bewerkstelligt war, trat sie sogar in den feinsten Capillaren wieder ein. In anderen F\u00e4llen blieb sie aber in der Schwimmhaut auch ganz aus, und ich musste dann den Fuss abschneiden, um aus der blutenden Wunde die bestehende Blutzufuhr erkennen zu k\u00f6nnen. Die Folgen derselben bestehen darin, dass die Muskeln allerdings weicher werden, und auch ihre alkalische Reaction wieder gewinnen; und insofern findet allerdings eine Art von L\u00f6sung der Todtenstarre statt. Dieselbe ist aber gleichbedeutend mit der gew\u00f6hnlichen L\u00f6sung durch die F\u00e4ulniss, nur scheint sie rascher abzulaufen, woran die stete Durchfeuchtung mit dem alkalischen Blut wohl wesentlich Schuld sein d\u00fcrfte. Namentlich f\u00e4llt es auf, wie enorm die contractile Substanz dabei mit Blutfarbstoff getr\u00e4nkt wird, in der Weise, dass die Muskelprimitivb\u00fcndel selbst unter dem Mikroskop ganz dunkelroth erscheinen.\nUm \u00fcber die Wiederkehr der Reizbarkeit Aufschluss zu erhalten, habe ich mich in allen Versuchen der kr\u00e4ftigsten elektrischen Erregung, so wie der Reizung mit S\u00e4uren und Alkalien bedient. Es ist mir aber nie gelungen, dabei die geringsten Verk\u00fcrzungen zu sehen, obwohl ich immer sorgf\u00e4ltig die Messung mit einem Millimetermaassstabe an den frei aufgeh\u00e4ngten Muskeln vornahm. Kurz niemals kehrte der normale Zustand der Muskeln wieder, auch nicht, wenn die Blutzufuhr gleich nach dem ersten Eintritt der Starre be-","page":764},{"file":"p0765.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 765\nwerkstelligt wurde, und wenn dieselbe bei den in der K\u00e4lte aufbewahrten Thieren mehrere Tage anhielt.\nSo sehr nun diese Beobachtungen mit den Angaben der vorhin citirten Physiologen im Widerspruche stehen, so d\u00fcrfte das Weitere dennoch gen\u00fcgenden Aufschluss \u00fcber die Ursache dieser Differenz geben. Bei den Muskeln der kaltbl\u00fctigen Thiere (den Fr\u00f6schen, Schildkr\u00f6ten und den Eidechsen), giebt es unl\u00e4ugbar ein Stadium, wo sie durch kein Mittel mehr zur Contraction gebracht werden k\u00f6nnen, wo sie aber noch lange nicht starr sind, durchsichtig bleiben und noch alkalisch reagiren.\nBetrachtet man in der fr\u00fcher angegebenen Weise frische Muskelb\u00fcndel vom Frosch mit dem Mikroskop, so findet man, dass manche noch durchsichtige Abschnitte auch bei den st\u00e4rksten Inductionsstr\u00f6men in Ruhe bleiben. Setzt man dann eine verd\u00fcnnte S\u00e4ure oder ein Alkali hinzu, so tritt pl\u00f6tzlich in den Theilen und den Primitivb\u00fcndeln, welche auf die Inductionssehl\u00e4ge noch mit Bewegungen reagirten, ein heftiges Kr\u00fcmmen und Winden ein, dann werden sie pl\u00f6tzlich br\u00e4unlich, undurchsichtig und tr\u00fcbe, und hierauf hellen sie sich langsam wieder auf; die S\u00e4ure oder das Alkali beginnen die erstarrten Massen zu l\u00f6sen. Die ersten Bewegungen sind Folgen der chemischen Reizung, das Undurchsichtigwerden ist die kurz verlaufende Starre, und dieser folgt die chemische L\u00f6sung. Diejenigen B\u00fcndel nun, welche bei den starken Inductionsschl\u00e4gen in Ruhe blieben, bleiben auch unbewegt beim Zusetzen der chemischen K\u00f6rper, sie gehen ohne Weiteres in den starren Zustand \u00fcber, sie waren also unerregbar gegen alle Reizmittel und trotzdem noch nicht starr, wie ihre vollkommene Durchsichtigkeit beweist, wejjjhe sie durch das Auge nicht von den \u00fcbrigen reizbaren trennen l\u00e4sst. Eben dasselbe kann man nun auch an jedem ausgeschnittenen Froschmuskel sehen. Der Sartorius z. B, zeigt in den letzten Stadien seiner Erregbarkeit nur noch locale Contractionen. Wenn aber auch diese schwinden, und wenn der Muskel durch Plintauchen in Kali von beliebiger Concentration sich um keine Linie mehr ,verk\u00fcrzt, ist er noch lange","page":765},{"file":"p0766.txt","language":"de","ocr_de":"766\nW, K\u00fchne:\nnicht starr, er ist dann noch so durchsichtig wie zu Anfang, reagirt alkalisch und ist dem Ansehen nach von keinem reizbaren Muskel zu unterscheiden. In diesem Zustande, der nur bei grosser Hitze im Sommer sehr kurze Zeit dauern kann, verharrt er immer eine gewisse Frist, und erst sp\u00e4ter tritt dann die Starre ein, wobei er undurchsichtig, teigig und sauer wird. Bei den Fr\u00f6schen kann also die Todtenstarre schon deshalb keine Contraction sein, weil der Muskel selbst lange vorher gar nicht mehr im Stande ist, sich zu contra-hiren, und diese Zwischenstufe zwischen dem starren und dem reizbaren Zustande fehlt hier nie.\nBegreiflicherweise findet sich dieser Zustand nun auch ein, wenn die Glieder eines Frosches durch Unterbindung der Blutgef\u00e4sse erstarren und es ist von dem h\u00f6chsten Interesse, dass ein solcher Muskel durch die erneuerte Blutzufuhr sehr rasch wieder reizbar wird, wie ich in vielen F\u00e4llen beobachtete. Ein Gastroknemius, dem man gerade in diesem Zustande die Ern\u00e4hrung wieder zu Theil werden l\u00e4sst, f\u00e4ngt wieder an, auf alle Muskelreize zu reagiren, anfangs mit localen Contractionen, sp\u00e4ter mit kr\u00e4ftigen \u00fcber die Reizstelle hinaus reichenden Zuckungen in der ganzen L\u00e4nge der Muskelb\u00fcndel.\nSehr h\u00e4ufig f\u00e4llt die R\u00fcckkehr der Erregbarkeit eines Muskels in einem Versuche zusammen mit der entgegengesetzten Ver\u00e4nderung eines anderen, der durch das kreisende Blut in F\u00e4ulniss \u00fcbergeht. Wie fast immer die Todtenstarre von oben nach unten fortschreitet, so geschieht es auch bei der Abbindung eines Schenkels, dass z. B. die Muskeln des Unterschenkels vollst\u00e4ndig erstarren, w\u00e4hrend die des Fusses und der Zehen noch in dem Stadium sind, wo zwar die Erregbarkeit vollkommen verloren gegangen, die Starre in ihnen aber noch nicht Platz gegriffen hat. Ich habe in Folge davon oft beobachtet, dass nach der L\u00f6sung der Ligatur der Fuss auf den elektrischen Reiz wieder Bewegungen zeigte, w\u00e4hrend der Gastroknemius verfaulte. Genug ein einziger Versuch kann ganz klar zeigen, wie der einmal starre Muskel nicht wieder in seinen fr\u00fcheren Zustand zur\u00fcckkehren","page":766},{"file":"p0767.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w 767\nkann, w\u00e4hrend der noch nicht erstarrte aber un erregbare Muskel seine Contractilit\u00e4t wieder erlangt. Der Schluss ist darum wohl erlaubt, dass bei der Starre pl\u00f6tzlich eine tief eingreifende chemische Zersetzung eintrete, die eben durch den Blutstrom nicht wieder r\u00fcckg\u00e4ngig zu machen ist.\nDas Einfachste, das man sich unter diesem chemischen Vorg\u00e4nge denken kann und was am meisten den Ver\u00e4nderungen, welche w\u00e4hrend der Starre eintreten, entspricht, ist nun gewiss die Vermuthung, dass in der contraction Substanz selbst etwas erstarre, etwas vorher Fl\u00fcssiges fest werde, dass eine Gerinnung eintrete. Mein ganzes Streben musste deshalb darauf gerichtet sein, diese Gerinnung auch ausserhalb des Muskels zeigen zu k\u00f6nnen.\nIn einer vorl\u00e4ufigen Notiz in der medicinischen Centralzeitung und durch die g\u00fctige Vermittelung des Herrn Professor du Bois-Reymond im Monatsbericht der k\u00f6niglichen Akademie zu Berlin habe ich bereits Mittheilungen \u00fcberVersuche gemacht, welche ich in dieser Richtung angestellt. Br\u00fccke selbst hatte ebenfalls versucht, aus den Muskeln warmbl\u00fctiger Thiere eine Fl\u00fcssigkeit auszupressen; er fand aber, dass dieselben unter der Presse selbst todtenstarr wurden. Dieser Umstand macht mich besonders zweifelhaft, ob die vor l\u00e4ngerer Zeit von Simon und Virchow durch Auspressen aus frischen Muskeln erhaltene Fl\u00fcssigkeit, welche spontan coa-gulirte, wirklich den coagulirenden Muskelstoff geliefert habe, oder ob das Gerinnsel nicht Fibrin aus den Blutgef\u00e4ssen der Muskeln gewesen sei. Es ist schwer dar\u00fcber jetzt zu entscheiden, um so mehr, als die Angabe, dass der erhaltene Muskelsaft sauer reagirt habe, durchaus nicht mit der Reaction der frischen Fleischfl\u00fcssigkeit \u00fcbereinstimmt. Damit der Geschichte ihr Recht widerfahre, m\u00f6gen diese Beobachtungen hier erw\u00e4hnt sein, \u2014 ich gehe jetzt zur Mittheilung eigener Erfahrungen \u00fcber.\nWie allbekannt tritt die Todtenstarre bei den kaltbl\u00fctigen Thieren durchschnittlich sehr viel sp\u00e4ter ein als bei den Warmbl\u00fctern, und es empfiehlt sich deswegen der zu allen physiologischen Versuchen so unsch\u00e4tzbare Frosch auch ganz","page":767},{"file":"p0768.txt","language":"de","ocr_de":"768\nW. K\u00fchne:\nbesonders zu diesen Untersuchungen. Selbst ein in kleine St\u00fccke zerschnittener Froschmuskel wird unter sonst g\u00fcnstigen \u00e4usseren Verh\u00e4ltnissen erst nach geraumer Zeit starr, w\u00e4hrend ein namentlich am ganzen L\u00e4ngsschnitte verletzter Kaninchen- oder Hundemuskel in einigen Augenblicken leistungsunf\u00e4hig wird und in den starren Zustand \u00fcbergeht. Ich habe mich deshalb bei der Darstellung der Muskelfl\u00fcssigkeit wieder an den Frosch gewendet, der auch diesmal seine Schuldigkeit gethan.\nVor allen Dingen ist es nothwendig, bei der Untersuchung der Muskeln das Blut vorher so vollkommen als m\u00f6glich zu entfernen, was am besten durch Injectionen bekannter Fl\u00fcssigkeiten in die Gef\u00e4sse erzielt wird. Nachdem ich fr\u00fcher zu diesem Ende den Frosch nach und nach mit verd\u00fcnntem Zuckerwasser ausgespritzt hatte, bin ich jetzt zu der besseren Methode gekommen, statt dessen eine Salzl\u00f6sung anzuwenden. K\u00f6lliker hat die h\u00f6chst werthvolle Beobachtung gemacht, dass die Nerven sowohl wie die Muskeln nur in Salzl\u00f6sungen von gewissen Concentrationen l\u00e4ngere Zeit erhalten werden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend reines Wasser und die etwas con-centrirteren L\u00f6sungen der verschiedensten Salze eine rasche Ver\u00e4nderung der Muskelsubstanz herbeif\u00fchren. Ich habe mich \u00fcberzeugt, dass L\u00f6sungen von Chlornatrium in Wasser von 0,5\u2014lpCt., wie K\u00f6lliker angiebt, lange mit den Muskeln in Ber\u00fchrung bleiben k\u00f6nnen, ohne dass sie in Starre verfallen. Trotzdem sind diese L\u00f6sungen f\u00fcr die contractile Substanz ein Reizmittel, so dass eine Kochsalzl\u00f6sung von lpCt. regelm\u00e4ssig z. B. von dem Querschnitt des Sartorius aus Zuckungen erzeugt, was, wenn auch minder regelm\u00e4ssig, noch bei einem Gehalte von 0,5 pCt. eintritt. In Folge davon zeigt ein Muskel, den man ganz in eine solche Fl\u00fcssigkeit eingetaucht hat, ein fortw\u00e4hrendes leises Flimmern seiner B\u00fcndel, und es ist zu verwundern, dass dennoch z. B. die isolirten Oberschenkelmuskeln des Frosches darin 3\u20144 Stunden lang reizbar bleiben, ja dass die Erregbarkeit im Anf\u00e4nge nicht einmal merklich abnimmt.\nUm die Fr\u00f6sche ihres ganzen Blutinhalts zu berauben,","page":768},{"file":"p0769.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. 9. w. 769\ngiebt es daher kaum etwas Besseres, als eine Kochsalzl\u00f6sung von 0,5 pCt. Man kann zwar noch bis zu 1 pCt. concent rir-tere Aufl\u00f6sungen an wenden, es ist aber immer vorzu ziehen, die Concentration nicht \u00fcber 0,5 oder 0,7pCt. zu steigern Eine derartige L\u00f6sung hat den Vortheil, dass sie beim Einspritzen in die Gef\u00e4sse keine \u00fcberm\u00e4ssige Diffusion aus deu Blutk\u00f6rperchen erzeugt, und andererseits auch die Muskeln vor zu heftigen Ver\u00e4nderungen bewahrt, w\u00e4hrend beim Durchspritzen von reinem Wasser immer sehr starke Con-tractionen eintreten, worauf die Muskeln rasch starr werden Vor dem Zuckerwasser hat die Salzl\u00f6sung ferner das voraus, dass sie selbst unver\u00e4ndert bleibt, w\u00e4hrend der Zucker mit deu thierischen S\u00e4ften gemischt sehr bald zu g\u00e4hren beginnt und dadurch ein Heer von un\u00fcbersehbaren chemischen Umwandlungen nach sich zieht.\nDas Verfahren bei der Entfernung des Blutes durch die Ausspritzung ist sehr einfach. Ich l\u00e4hme die Fr\u00f6sche durch einen kr\u00e4ftigen Hieb auf den Kopf, dringe durch ein dreieckiges Loch zum Herzen und setze in den Aortenbulbus eine ziemlich weite Can\u00fcle ein. welche mit einer Ligatur gut befestigt wird. Darunter wird das \u00fcbrige Herz weggeschnitten, so dass die Injectionsmasse aus den Venenm\u00fcndungen frei wegstr\u00f6men kann. Es ist bequem, die Injection nicht mit einer Handspritze, sondern mit einer kleinen Druckpumpe auszuf\u00fchren, wie man sie jetzt nach dem Princip der Moderateuriampen fabricirt. Durch einen hinter der Can\u00fcle angebrachten Hahn wird die St\u00e4rke der Injection nach Belieben geregelt. Auf diese Weise ist es leicht, in kurzer Zeit alles Blut aus den Thieren zu entfernen. Aufangs str\u00f6mt aus den Venen das reine Blut hervor, das immer heller und heller wird, bis endlich die klare Salzl\u00f6sung zum Vorschein kommt, worauf man die Injection beendet. W\u00e4hrend der Dauer der Einspritzung werden die Glieder ausserordentlich prall, und es treten auch nicht unbedeutende Zuckungen und Convulsioneu dabei ein, die aber keinen weiteren Schaden anrichten k\u00f6nnen, indem die Muskeln nach der Injection immer noch lange genug erregbar bleiben. Will man endlich","page":769},{"file":"p0770.txt","language":"de","ocr_de":"770\nW. K\u00fchne:\nviele Fr\u00f6sche auf einmal verwenden, so ist es rathsam, sie alle mit der einen Druckpumpe gemeinsam zu speisen, wozu man nur die Can\u00fclen mit Kautschukr\u00f6hren und diese mit einer an die Pumpe geschraubten ver\u00e4stelten Messingr\u00f6hre versieht.\nDie jetzt von Blut gereinigten blassen Muskeln m\u00fcssen nun von den Knochen abpr\u00e4parirt werden. Der Frosch wil d zu dem Ende enth\u00e4utet, ausgeweidet und dann die Bauchmuskeln und die des Ober- und Unterschenkels mit der Seheere abgenommen. Es lohnt sich nicht, die kleineren Muskeln der F\u00fcsse und der vorderen Extremit\u00e4ten mit zu nehmen, W'eil damit eine \u00fcberfl\u00fcssige Zeit verloren gehen w\u00fcrde. Bei der Isolirung der Fleischmassen ist ferner darauf zu achten, dass man sie nicht allzu sehr zerfetze, vielmehr habe ich es weit zweckm\u00e4ssiger und nicht viel zeitraubender gefunden, alle einzelnen Muskeln behutsam abzu-pr\u00e4pariren, womit man viel weiter kommt, als wenn man versucht, sie von den Knochen herunter zu schaben. Bei dem letzteren Verfahren zerreisst man so viel, dass die Muskeln in einem bedauerlichen Zustande unter die Presse kommen.\nSind nun auf diese Weise die Muskeln von 5 bis 6 grossen Wasserfr\u00f6schen zu einem Haufen gesammelt, so zerschneide ich sie mittelst einer langen, gekr\u00fcmmten und recht scharfen Seheere in nicht zu kleine St\u00fccke, begiesse dann das Ganze nochmals mit der Salzl\u00f6sung', welche nach einigen Minuten wieder abgegossen wird, nachdem die Fleischmassen vorher geh\u00f6rig damit gesch\u00fcttelt waren. Der Umstand, dass das ablaufende Salzwasser keine Gerinnungen zeigt, beweist zur Gen\u00fcge, dass bei der Pr\u00e4paration die geringe Menge von Lymphe von selbst abhanden gekommen, so dass von dieser Seite kein Einwand zu f\u00fcrchten ist. Die mit dem Rest des Salzwassers stark durchfeuchteten Fleischklumpen, welche bei geschickter Manipulation immer noch stark alkalisch reagiren und sogar noch einzelne zuckende Muskelst\u00fcckchen enthalten m\u00fcssen, werden nun in ein Tuch von sehr festem aber grob gewebtem Leinen geschlagen und unter einer kr\u00e4ftigen Presse langsam ausgepresst. Man thut gut,","page":770},{"file":"p0771.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w. 771\ndie Pressfl\u00fcssigkeit in zwei Theile zu sondern, eine Quantit\u00e4t, welche im raschen Strome abl\u00e4uft, und eine andere, welche man zu sammeln beginnt, wenn einzelne Tropfen aus dem Presssatz langsam hervor zu quellen beginnen. Zuletzt strengt man seine Kr\u00e4fte so viel wie m\u00f6glich an, die Leinenumh\u00fcl-lung pflegt dann h\u00e4ufig zu reissen, und die Muskelmasse quetscht sich aus den n\u00e4chsten Ritzen hervor. Die Pressschraube wird sodann m\u00f6glichst rasch wieder emporgehoben, der Fleischkuchen mit der Hand schnell entfernt, mit der zuerst abgelaufenen Fl\u00fcssigkeit noch einmal \u00fcbergossen und das Ablaufende zum Aussp\u00fclen der Presse benutzt. Auf diese Weise sind beide Portionen der abgepressten Fl\u00fcssigkeit wieder vereinigt.\nDieselbe besteht selbstverst\u00e4ndlich zum gr\u00f6ssten Theile aus Salzwasser, welches mehr oder minder mit der wirklichen Muskelfl\u00fcssigkeit vermischt ist. Sie ist davon stark opalisirend, reagirt alkalisch und geht nur langsam durch ein Filter. Das Filtriren kann aber in allen F\u00e4llen besorgt werden, wenn man gute krause Filter anwendet, und wenn man ein rasch filtrirendes Papier besitzt.\nNach dem Filtriren ist die Masse etwas klarer, allein immer noch opalisirend, haupts\u00e4chlich aber von der Menge feiner Muskelst\u00fcckchen befreit, welche die unfiltrirte Masse verunreinigen.\nMan bedeckt sie hierauf und stellt sie ruhig bei Seite.\nDie ausgepressten Muskeln sind zum Theil im h\u00f6chsten Grade ver\u00e4ndert, einzelne Fetzen, welche fest an dem Metall der Presse haften, sind anfangs im h\u00f6chsten Grade klebrig, lassen sich aber sp\u00e4ter mit Leichtigkeit aus den Fugen herauskratzen, andere, namentlich die Gastroknemien, sind auch nach den kr\u00e4ftigsten Auspressungen noch ganz unversehrt, es kann sogar Vorkommen, dass einer noch reizbar aus der Presse wieder hervorgeht. Diese Uebelst\u00e4nde sind zu vermeiden, wenn man geringere Mengen des Fleisches auf einmal unter die Presse bringt, handelt es sich indessen um eine gute Ausbeute an Fl\u00fcssigkeit, so bleibt es immer vorzuziehen, viele Muskeln zu verwenden. Will man hingegen","page":771},{"file":"p0772.txt","language":"de","ocr_de":"772\nW. K\u00fchne:\ndie Ver\u00e4nderungen der Muskeln durch die Presse beobachten, so ist es besser, nur die Obersehenkelmuskeln von einein einzigen Frosch unter die Presse zu legen, dieselben gut mit Salzwasser anzufeuchten, und dann so stark wie m\u00f6glich zu pressen. Ich habe es so eintreten sehen, dass die Muskeln ganz und gar zerquetscht waren, so dass man unter dem Mikroskop nicht eine heile Muskelfaser finden konnte. Die zusammengeschabte Masse bildete dann einen faserigen Brei, der nach dem erneuerten und gr\u00fcndlichen Abspiilen mit Salzwasser in diesem Zustande blieb, keine Spur von Erstarrung zeigte und selbst die alkalische Reaction dauernd behielt.\nViel wichtiger sind indessen die Ver\u00e4nderungen, welche in der Fl\u00fcssigkeit eintreten. Bei den letztgenannten Pressversuchen an kleinen Mengen findet man die faserige Muskelmasse in einer schmierigen und klebrigen Masse liegen, welche erst ziemlich undurchsichtig aussieht, nur mit M\u00fche aus dem Gef\u00e4ss entfernt werden kann, und welche sp\u00e4ter weisslich und fest wird, wie ein frisches, speckh\u00e4utiges Blutgerinnsel, und zwar in ziemlich kurzer Zeit. Die filtrirte, mit Salzwasser stark verd\u00fcnnte Pressfl\u00fcssigkeit zeigt nach der ersten Stunde noch gar keine Ver\u00e4nderung. Bei einer Temperatur von 12\u201414\u00b0 C. scheint dieselbe zuerst nach etwa 6 Stunden durchschnittlich einzutreten. Zu dieser Zeit bietet sie \u00e4usserlich gar nichts auffallendes, nur beim Sch\u00fctteln sieht man, das etwas darin flottirt, und wenn man mit einer Pincette hineingreift, ist man \u00fcberrascht, einen ganz ansehnlichen Klumpen eines klaren gallertigen Gerinnsels hervorzuziehen.\nBringt man eine Flocke dieser Masse unter das Mikroskop, so sieht man eine Art schleimiger und fetziger Materie, welche sich namentlich beim Zusatz von Wasser auf ein kleineres Volum zusammenzieht, tr\u00fcber wird und endlich auch dem blossem Auge als weisser membran\u00f6ser Fetzen erscheint. Ganz eben so ver\u00e4ndert sich auch die Hauptmasse des Gerinnsels in der Salzl\u00f6sung selbst. Am anderen Morgen findet man sie mit reichlichen weissen Flocken erf\u00fcllt, die sich einzeln herausfischen lassen. Bei hohen Temperaturen wird","page":772},{"file":"p0773.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen Ober Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 773\ndie Fl\u00fcssigkeit dann auch nicht mehr alkalisch1), sondern sauer gefunden, ich habe aber h\u00e4ufig auch die alkalische Reaction andauern sehen, welche selbstverst\u00e4ndlich w\u00e4hrend der F\u00e4ulniss auch bestehen blieb.\nUntersuchungen, welche ich \u00fcber die Natur des spontan gerinnenden K\u00f6rpers angestellt, haben ergeben, dass kein Grund vorliegt, denselben nicht Faserstoff zu nennen, wenn man alle \u00fcbrigen spontan gerinnenden K\u00f6rper auch so nennt. Die verschiedenen als chemisch ger\u00fchmten Unterschiede zwischen derartigen K\u00f6rpern sind durchaus nicht hinreichend, um von dieser Benennung nach der vornehmsten Eigenschaft abzugehen. Ich muss mich mit diesen Angaben begn\u00fcgen, da ich bei der Besch\u00e4ftigung mit den chemischen Vorg\u00e4ngen in den Muskeln hinl\u00e4nglich gesehen, auf wie verwickelten chemischen Processen der Verlust der Erregbarkeit und der Eintritt der Starre beruhen. Es gen\u00fcgt anzuf\u00fchren, dass der freiwillig gerinnende K\u00f6rper alle Charaktere der Eiweissk\u00f6rper an sich tr\u00e4gt. Weitere Mittheilungen \u00fcber seine chemische Natur muss ich einer chemischen Arbeit Vorbehalten. Das Angef\u00fchrte reicht hin um zu beweisen, dass in den Muskeln, in der contractilen Substanz selbst, ein spontan gerinnender K\u00f6rper existirt, von welchem die Erscheinung der Todtenstarre abgeleitet werden muss. Die Todtenstarre ist eine Gerinnung, und alle anderen Meinungen dar\u00fcber sind reine Hypothesen, denn es ist kein einziger Grund vorhanden, der zu der Annahme f\u00fchrt, dass neben dieser Gerinnung bei der Starre noch ein anderer Act mit unterlaufe. Die schwache Verk\u00fcrzung der Muskeln, welche w\u00e4hrend der Starre eintreten kann, ist nichts anderes als die Zusammen-ziehung, welche das Muskelgerinnsel mit jedem anderen Coa-gulum theilt, und daher erkl\u00e4ren sich alle Bewegungen,\n1) Die Fl\u00fcssigkeit ganz frischer und nicht durch langes Tetani-siren ersch\u00f6pfter Muskeln ist immer alkalisch. Sie hat allerdings die Eigenth\u00fcmlichkeit, das rothe Lackmuspapier blau und das blaue roth zu f\u00e4rben, die erstere Reaction ist aber immer st\u00e4rker. Bedient man sich hingegen eines passend violett gef\u00e4rbten Reagenspapiers, so beobachtet mau nur eine Reaction, n\u00e4mlich eine starke Blauung.\nReichert\u2019s a. du Bois-Reymond's Archiv. 1859.\tjQ","page":773},{"file":"p0774.txt","language":"de","ocr_de":"774\nW. K\u00fchne:\nwelche beim Eintritt der Starre oder w\u00e4hrend derselben an den Gliedern der Leichen vorgehen k\u00f6nnen. Da ich betr\u00e4chtliche Mengen jenes Gerinnsels darzustellen gen\u00f6thigt wax1, so kann ich hinzuf\u00fcgen, dass bei Einhaltung des so eben mitgetheilten Verfahrens niemals die beschriebene Coagulation der Muskelfl\u00fcssigkeit ausbleibt.\nIch habe versucht dieselben Experimente auch mit den Muskeln der Fische anzustellen, aber vergebens, ohne Zweifel wegen der ausserordentlich raschen Ver\u00e4nderung, welche die Fischmuskeln nach dem Tode erleiden. Dagegen ist es mir gelungen, aus den Muskeln der Schildkr\u00f6te (Testudo graeca) eine r\u00f6thliche Fl\u00fcssigkeit zu erhalten, die ganz so wie die der Fr\u00f6sche freiwillig gerann.\nMit sehr geringen Erwartungen ging ich an die Untersuchung der Muskeln warmbl\u00fctiger Thiere. Kaninchen- oder Hundemuskeln werden bei der nothwendigen Zerkleinerung so rasch starr, und andererseits hatte Br\u00fccke schon die Erfahrung gemacht, wie der Druck der Presse diesen Zustand noch bef\u00f6rdere, dass ich kaum hoffen durfte, die Fl\u00fcssigkeit, welche dem Inhalte des noch erregbaren Organs entspricht, isolirt zu erhalten. Gleichwohl wollte ich Nichts unversucht lassen. Durch einen Stich in das verl\u00e4ngerte Max-k wurde ein Kaninchen get\u00f6dtet, schnell die Brusth\u00f6hle ge\u00f6ffnet, und in die Aorta die Can\u00fcle meiner Druckpumpe eingesetzt, durch welche ich einen kr\u00e4ftigen Strom der 0,7 procentigen Kochsalzl\u00f6sung hindurch trieb. W\u00e4hrend das str\u00f6mende Salzwasser das Blut aus den Gef\u00e4ssen verdr\u00e4ngte, enth\u00e4utete ich die Schenkel und pr\u00e4parirte sodann die Oberschenkelmuskeln von den Knochen ab, als die aus dem rechten Herzen hervorstr\u00f6mende Fl\u00fcssigkeit nur noch ganz schwach gef\u00e4rbt erschien. Die weitere Behandlung der Muskeln geschah in derselben Weise, wie sie bei den Froschnmskeln soeben beschrieben worden, und zu meiner grossen Freude erhielt ich darauf eine alkalische Pressfl\u00fcssigkeit von ganz \u00e4hnlichem Aussehen, wie die der Fr\u00f6sche. Nach 3 Stunden setzte dieselbe zuerst ein gallertiges Gerinnsel ab, von dem ich schwache Spuren beim Umherfischen mit einer Nadel darin entdeckte,","page":774},{"file":"p0775.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 775\nund nach abermals 3 Stunden hatten sich diese Coagula zu festen, meinbran\u00f6sen, weisslichen Flocken verdichtet. Ich habe den Versuch oft wiederholt, es ist rnir aber leider nie gelungen, gr\u00f6ssere Mengen dieser spontan gerinnenden K\u00f6rper zu erhalten. Die Menge derselben beschr\u00e4nkte sich immer nur auf einige wenige Flocken, und ich w\u00fcrde in diesen Erfahrungen kaum eine St\u00fctze f\u00fcr die Gerinnungstheorie finden, wenn nicht bei den kaltbl\u00fctigen Thieren, wo die Verh\u00e4ltnisse so unendlich viel g\u00fcnstiger sind, das Resultat so ganz \u00e9clatant w\u00e4re. Bei dem Muskelsafte der Kaninchen und Hunde ist es mir indessen zuerst aufgefallen, dass auch noch bei beginnender Starre, wenn die Reaction schon in die saure urngeschlagen ist, so dass die Pressfl\u00fcssigkeit das blaue Lackmuspapier entschieden r\u00f6thet, noch derartige Gerinnsel auf-treten k\u00f6nnen, und sp\u00e4tere Versuche zeigten mir, dass dies auch bei den Muskeln der Fr\u00f6sche eintreten kann. Es geht daraus hervor, dass der Act der Gerinnung bei der Todten-starre kein ganz pl\u00f6tzlicher ist, sondern dass ein grosser Theil der contractilen Substanz schon geronnen sein kann, w\u00e4hrend ein anderer noch in dem fl\u00fcssigen Zustande beharrt.1)\nAuf diesem Umstande beruht es, dass alle noch nicht zu weit abgestorbenen Muskeln, einerlei von welchem Thiere sie herstamnien, selbst beim blossen Auspressen durch Einschn\u00fcren in Leinen, stets eine Fl\u00fcssigkeit liefern, die immer eine gewisse Menge von weissen (lockigen Gerinnseln absetzt, wenn man die zerschnittene Muskelmasse vorher gut mit der verd\u00fcnnten Salzl\u00f6sung durchtr\u00e4nkt hat. Auf den ersten Anschein k\u00f6nnte man diese Massen f\u00fcr jene h\u00e4utigen Bildungen, weiche man bei der F\u00e4ulniss immer leicht beob-\n1) Es ist darum m\u00f6glich, dass auch die Coagulationen , welche Virchow beim Auspressen frischer amputirter menschlicher Muskeln erhielt, eine gewisse Menge des spontan gerinnenden Muskelstoffs einschlossen, wenngleich die Hauptsache doch ohne Zweifel der Gerinnung des Blutfibrins zngeschrieben werden muss. Auf dieser Ueberlegung beruhen auch wohl die Zweifel, welche Virchow gerade bei dieser Gelegenheit gegen die Theorie Briicke\u2019s \u00fcber die Ursachen der Tod-teustarre geltend macht.\n60*","page":775},{"file":"p0776.txt","language":"de","ocr_de":"776\nW. K\u00fchne:\nachtet, halten; sie entstehen aber stets zu einer Zeit, wo die Fl\u00fcssigkeit noch sauer reagirt, und wo nicht der mindeste faulige Geruch daran wahrzunehmen ist. Fault die L\u00f6sung endlich, so treten auch jene h\u00e4utigen Massen, welche mit Pilzen und Vibrionen durchsetzt sind, ausserdem immer noch auf, die ersten Gerinnsel aber entstehen schon nach einer bis 2 Stunden selbst bei einer niederen Temperatur von 8 bis 10 \u00b0 C., wo die F'\u00e4ulniss noch lange auf sich warten l\u00e4sst.\nNach dem bis hieher Angef\u00fchrten kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Todtenstarre bei den Kaltbl\u00fctern auf einer Gerinnung des Muskelinhalts beruht, und dass dieselbe haupts\u00e4chlich deswegen keine Contraction sein kann, weil sie eintritt, wenn der Muskel nicht mehr contractil ist. Bei den Warmbl\u00fctern ist die Sache im Grunde dieselbe, wir sind nur hier nicht im Stande, so einleuchtend die Starre auch unabh\u00e4ngig von dem thierischen Gewebe in der isolirten Fl\u00fcssigkeit darzustellen. Aus diesem Grunde muss hier auf den Verlauf der Muskelstarre bei den letzteren Thieren etwas n\u00e4her eingegangen werden.\nMan w\u00e4re gewiss schon seit langer Zeit \u00fcber die Ursachen der Todtenstarre besser unterrichtet, wenn man die Be-\n*\nobachtungen auf alle Thierklassen ausgedehnt h\u00e4tte. Es ist eine ganz grundlose Behauptung, wenn man angiebt, dass dieselbe bei den niederen Thieren, z. B. den Fr\u00f6schen nur schwach ausgebildet sei, denn ein get\u00f6dteter F'rosch, dessen Muskeln unerregbar, undurchsichtig und sauer geworden, zeigt auch die \u00fcbrigen Erscheinungen der Starre in dem Grade, dass er steif und hart wie ein Brett wird, so dass man ihn an den Zehen wagerecht schwebend halten kann. Der einzige Unterschied, welcher zwischen den verschiedenen Thierklassen besteht, liegt darin, dass die Starre zu anderen Zeiten eintritt.\nT\u00f6dtet man Kaninchen oder Hunde durch einen Stich in das verl\u00e4ngerte Mark, so bemerkt man, wie schon nach einer Stunde bei gew\u00f6hnlicher Zimmertemperatur (18\u00b0 C.) das ganze Thier steif und starr wird, und dass immer einige Kraftanstrengungen n\u00f6thig sind, um die Lage der Glieder","page":776},{"file":"p0777.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 777\nzu \u00e4ndern, welche schon nicht mehr den Einfl\u00fcssen der Schwere folgen. Alle Muskeln f\u00fchlen sich durch die Haut hindurch h\u00e4rter an, als die eines daneben betasteten lebenden oder soeben get\u00f6dteten Thieres, kurz f\u00fcr den \u00e4usseren Eindruck hat die Starre begonnen. Isolirt man dann diese Muskeln, so wird man immer finden, dass sie bei jeder Art der Reizung noch jene langsam fortschreitenden Contractionen zeigen, und es muss als ein Verdienst Schiff\u2019s anerkannt werden, dass er auf das lange Bestehen der Reizbarkeit nach dem Tode, zu einer Zeit wo die Starre schon begonnen, nachdr\u00fccklich aufmerksam gemacht. Hieraus erkl\u00e4rt sich denn auch noch besser, weshalb bei den warmbl\u00fctigen Thieren das Fortschreiten der Muskelcontraction \u00fcber die Reizstellen hinaus bald nach dem Tode eine so grosse Verlangsamung erleidet, w\u00e4hrend bei den Fr\u00f6schen jene scheinbar localen und lange anhaltenden Verdickungeu auf der Reizstelle nur so unvollkommen zum Vorschein kommen. Da die Starre bei den Warmbl\u00fctern schon beginnt, w\u00e4hrend der Muskel noch erregbar ist, und da bei den Kaltbl\u00fctern der Verlust der Erregbarkeit und der Eintritt der Starre zeitlich so bedeutend getrennt sind, so liegt der Schluss nahe, dass beide Vorg\u00e4nge ganz unabh\u00e4ngig von einander seien, und dass nur die Molec\u00fcle des Muskels, welche in der Starre befindlich sind, nicht mehr an der Contraction Theil nehmen k\u00f6nnen, mithin nicht mehr Zeichen der Erregbarkeit von sich geben k\u00f6nnen. Ein Muskel kann ganz unerregbar, aber noch nicht starr sein, w\u00e4hrend ein ganz starrer Muskel nicht mehr erregbar und contractil sein kann.\nDer zeitliche Unterschied, den die Starre bei Kalt- und Warmbl\u00fctern darbietet, veranlasste mich, die Versuche von Stannius und Brown-S\u00e9quard auch an Kaninchen und Hunden zu wiederholen. Ich kann versichern, dass es ausserordentlich schwer ist, hier an dem lebenden Thiere den Blutstrom vollkommen von einer Extremit\u00e4t abzuschneiden, da sich durch die Verschliessung einer Arterie eine Menge von anderen kleineren Collateral-Gef\u00e4ssen erweitern, und der fr\u00fchere Zustand wieder hergestellt wird. Beim Kaninchen","page":777},{"file":"p0778.txt","language":"de","ocr_de":"778\nW. K\u00fchne:\nk\u00f6nnen die hinteren Extremit\u00e4ten nach der Methode von Stannius am besten vor dem Blutstrom bewahrt werden, wenn man die Aorta abdominalis und gleichzeitig die Crural-Arterien unterbindet, wobei der Collateralkreislauf durch die epigastrischen Arterien beseitigt wird. Trotzdem besteht aber immer noch eine Spur von Circulation in den Schenkeln, namentlich nach l\u00e4ngerer Zeit, wovon man sich leicht an den hinreichend blutenden Wunden \u00fcberzeugen kann, wenn man irgendwo einen tiefen Einschnitt macht. Beim Hunde kommt man durch dasselbe V erfahren auch nicht weiter, es ist mir hier sogar passirt, dass die Thiere nach Unterbindung der Aorta \u00fcber ihrer Theilungsstelle und nach dem Verschluss beider Crural-Arterien noch mehrere Stunden ganz munter die Hinterbeine zu allen willk\u00fcrlichen Bewegungen benutzten. Bei einem Versuche , den ich an dem Kaninchen nach der Methode von Stannius anstellte, gelang es mir indessen doch die Schenkel nicht allein betr\u00e4chtlich starr zu machen, wie das hier nie auszubleiben pflegt, sondern ich erreichte auch nach 7 Stunden ein vollkommenes Schwinden der Erregbarkeit, so dass einzelne entbl\u00f6sste Stellen der Oberschenkelmuskeln nicht mehr auf die heftigsten elektrischen oder mechanischen Reizungen reagirten. Ich liess durch L\u00f6sung der Ligaturen den Blutstrom wieder hinzutreten und \u00fcberzeugte mich an dem Pulse der Schenkelarterie von dem Wiedereintritt des Blutes. Am anderen Morgen (nach 15 Stunden) fand ich das Kaninchen in den letzten Athemz\u00fcgen. Alle Muskeln des ganzen K\u00f6rpers waren vollkommen erregbar, die der hinteren Extremit\u00e4ten aber waren in einem stark putriden Zustande, reagirten sehr stark alkalisch, waren ausserordentlich weich, stellenweise br\u00e4unlich missfarbig und verbreiteten einen intensiv fauligen Geruch. Nat\u00fcrlich war keine Spur von Erregbarkeit vorhanden, die Todtenstarre war indessen gel\u00f6st \u2014 aber durch die F\u00e4ulniss.\nDie Unm\u00f6glichkeit den Blutstrom vollkommen abzuhalten durch die Unterbindung einzelner Gelasse, und die damit verbundenen Schwankungen in den Resultaten, wodurch ich","page":778},{"file":"p0779.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 779\nunter anderen einst auch mehrere Muskeln ganz verfaulen sah, als nur die Aorta unterbunden und noch ein massiger Kreislauf des Blutes fortw\u00e4hrend durch die Arteria epiga-strica unterhalten wurde, machten ein anderes Verfahren w\u00fcnschenswerth. Ich exarticulirte daher bei einem Hunde das Femur und durchschnitt darauf alle \"Weichtheile des Oberschenkelmuskels, mit Ausnahme der Arteria und Vena cruralis. Der Hund wurde auf einem Tische mit Stricken so befestigt, dass keine Zerrung der zarten Gef\u00e4ssbr\u00fccke entstehen konnte, durch welche der Schenkel mit dem \u00fcbrigen Thiere noch verbunden war. Die beiden Blutgef\u00e4sse wurden sodann mit einer Serre fine verschlossen und die Muskeln darauf von Zeit zu Zeit beobachtet, nachdem vorher ein St\u00fcck Haut entfernt worden war. Die Ver\u00e4nderungen in der Form der Muskelcontractionen bei der jedesmaligen Reizung waren hierauf ganz dieselben, wie sie oben von den allm\u00e4lig absterbenden isolirten Muskeln geschildert sind, und am Ende der sechsten Stunde nach der Absperrung des Blutstromes h\u00f6rte die Erregbarkeit auch in den tieferen Oberschenkelmuskeln ganz auf. Mechanische Reizungen und die gewaltigsten Inductionsschl\u00e4ge brachten keine Zusammenziehungen hervor. In dem Gastroknemius hingegen war noch eine Spur von Erregbarkeit vorhanden, und ein nahe an der Achillessehne angelegter Querschnitt bl\u00e4uete das rothe Lackmuspapier, w\u00e4hrend die starren Oberschenkelmuskeln ganz schwach sauer reagirten. Jetzt nahm ich die Klemme von den Blutgef\u00e4ssen ab, und gleich darauf f\u00fchlte ich nicht nur den Puls in der Art. poplitea, sondern es drang auch Blut aus den Hautwunden und den Muskelquerschnitten hervor. Nach der Oeff-nung der Gef\u00e4sse lebte das Thier noch D/s Stunde. Dennoch trat keine Ver\u00e4nderung in den Oberschenkelmuskeln ein, die f\u00fcr immer ihre Erregbarkeit verloren hatten, nnd auch bis zu dem Tode des Thieres keinen noch so heftigen Reiz mit der leisesten Spur von Bewegung beantworteten. Im Gastroknemius wurde indessen eine unzweideutige Ver\u00e4nderung bemerklich, die Reizungen hatten kr\u00e4ftigere Erfolge, und endlich entstand bei elektrischer Reizung sogar eine flimmernde Bewegung mehrerer Muskelb\u00fcndel, also gut fortgeleitete Contractionen","page":779},{"file":"p0780.txt","language":"de","ocr_de":"780\nW. K\u00fchne:\nin einer betr\u00e4chtlichen L\u00e4nge der Fasern, wogegen die Con-tractionen vor der R\u00fcckkehr des Blutes nur in schwachen wulstigen Erhebungen bestanden, welche langsam \u00fcber eine kurze Strecke der Fasern fortkrochen und dann verschwanden. Bei dem Tode des Thieres und nach dem Aufh\u00f6ren des Herzschlages reagirten die Oberschenkelmuskeln wieder alkalisch und waren augenscheinlich stark mit Blutfarbstoff imbibirt, so weit sich dies bei Gaslicht erkennen liess. Jedenfalls waren sie bedeutend gequollen und reichlich mit Fl\u00fcssigkeit getr\u00e4nkt. Der Gastroknemius zeigte nichts von dieser Imbibition, seine Reaction hatte sich nicht ge\u00e4ndert, sie war nach wie vor alkalisch. Der Versuch wurde mit dieser Probe um 10 Uhr Abends beendet. Am anderen Morgen 8 Uhr reagirten alle Muskeln des Cadavers sauer; nur die Oberschenkelmuskeln waren stark alkalisch, sehr tief gef\u00e4rbt und v\u00f6llig in F\u00e4ulniss begriffen. Die Temperatur im Laboratorium war w\u00e4hrend der Nacht von 19\u00b0 bis auf 13\u00b0 gesunken.\nI\u00f6h konnte nicht hoffen, den oben beschriebenen Versuch g\u00fcnstiger ausfallen zu sehen. Die Exarticulation des Oberschenkels ist eine zu eingreifende Operation, als dass auf eine l\u00e4ngere Erhaltung der Thiere gerechnet werden konnte. Selbst wenn man ganz lege artis dabei verf\u00e4hrt, ist die Blutung doch so stark, dass eine t\u00f6dtliche Ersch\u00f6pfung immer zu f\u00fcrchten ist. Ich versuchte sp\u00e4ter mit Herrn Bernard die Amputation mit dem Ecraseur vorzunehmen, was aber an dem Zerbrechen unserer Instrumente scheiterte.\nWir schufen uns deshalb einen neuen Ecraseur, indem wir bei Kaninchen mit einer Packnadel hart neben dem V'l mur den Schenkel durchstachen, dabei einen starken Bindfaden unter der Schenkelvene und Arterie hindurchzogen und nun die innere Seite des Beines zusammenschn\u00fcrten. Ebenso wurde auf der \u00e4usseren und unteren Seite verfahren und schliesslich das Femur durchschnitten, nachdem alle Weichtheile unter den 3 Ligaturen abgel\u00f6st waren. Der Bindfaden - Ecraseur hatte so gut gewirkt, dass es kaum","page":780},{"file":"p0781.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 781\nn\u00f6thig war, das Messer dabei zu H\u00fclfe zu nehmen. Nur die Haut musste wirklich zerschnitten werden.\nDer so isolirte Kaninchen Schenkel hing nun mit dem \u00fcbrigen K\u00f6rper nur noch durch die beiden Blutgef\u00e4sse zusammen, die dann mit einer Klemme verschlossen wurden. Alles traf genau so ein, wie bei dem Hunde. Erst nach 7 Stunden wurden die Muskeln ganz unerregbar, ziemlich gleichzeitig aber auch die Muskeln des Unterschenkels. Als letztes Zeichen der Erregbarkeit galten immer nur die beschriebenen schwachen localen Contractionen an der Reizstelle, was ich von Neuem erw\u00e4hnen muss, da manchen diese lange Dauer der Erregbarkeit frappiren k\u00f6nnte. Die Reaction aller Muskeln wurde sauer, wie \u00fcberhaupt beim Absterben, und ich muss nach vielen derartigen Versuchen Schiff widersprechen, der behauptet, dass beim Unterbinden der Gef\u00e4sse keine saure Reaction eintrete, sondern eine alkalische, welche die Starre (in Schiff\u2019s Sinne die idiomuscul\u00e4re Contraction) hervorrufe. Anfangs scheint es allerdings, namentlich wenn die Vene gleichzeitig mit unterbunden wird, dass die Muskeln st\u00e4rker alkalisch reagiren, als sonst gleich nach dem Tode, im Augenblicke aber, wo der letzte Rest der Erregbarkeit schwindet, fand ich die Reaction immer sauer, die Muskelquerschnitte gaben dann immer schwache R\u00f6thung des violetten Lackmuspapiers. In diesem Stadium bewirkt nun auch die R\u00fcckkehr des Blutes bei Kaninchen keine Wiederbelebung der Muskeln, sondern die F\u00e4ulniss greift ebenso rasch um sich, wie bei dem Hunde, und die Thiere gehen deshalb nach der so bewerkstelligten L\u00f6sung der Starre an einer putriden Infection zu Grunde. Ist hingegen noch einige Erregbarkeit in den Muskeln vorhanden, so werden sie durch das wiederkehrende Blut f\u00fcr einige Zeit von neuem reizbarer. Schliesslich tritt aber doch F\u00e4ulniss ein, und kein Thier kommt mit dem Leben davon, nach einer derartigen Operation. Der Grund des Todes scheint auch hier immer wieder in dem faulenden Organe zu liegen. Gewiss ist, dass nach dem Tode des Thieres die Muskeln des amputirten Schenkels immer fr\u00fcher als die des \u00fcbrigen K\u00f6rpers faulen,","page":781},{"file":"p0782.txt","language":"de","ocr_de":"782\nW. K\u00fchne:\nauch wenn dieselben ihre Reizbarkeit noch nicht v\u00f6llig verloren, und bei der R\u00fcckkehr des Blutes sich betr\u00e4chtlich wieder erholt hatten.\nEs schien mir w\u00fcnschenswert!), den Zeitpunkt so genau wie m\u00f6glich zu bestimmen, nach welchem der Blutstrom keine Restitution mehr hervorbringt. Ich nahm dazu die Sartorii oder Recti femoris vom Hund, welche ich vorsichtig aus dem eben get\u00f6dteten Thiere herauspr\u00e4parirte, und welche ich dann mit dem Blute des Hundes ausspritzte. Derselbe wurde deswegen durch einen Schnitt durch den Hals get\u00f6dtet, das Blut aufgefangen, geschlagen und dann durch Leinen filtrirt. Legt man von 2 isolirten, gleichnamigen Muskeln den einen nur in das Blut hinein, den anderen aber in einen feuchten Raum, so findet man, dass nach einer Stunde der erstere auf dieselben Reize viel kr\u00e4ftiger reagirt als der andere, und zwar bei jeder Art der Reizung, bei der elektrischen wie bei der mechanischen, durch Druck oder Schlag. In dem einen pflanzen sich die Contractionen fast \u00fcber die ganze L\u00e4nge der B\u00fcndel fort, w\u00e4hrend sie in dem letzteren langsam eintreten und langsam weiterschreiten. Viel auffallender ist dieser Unterschied noch, wenn man eine Stunde nach dem Tode den einen Muskel durch seine Arterie mittelst Injec-tionen mit Blut speist. An den genannten Muskeln ist das leicht zu bewerkstelligen. Wenn der Hund recht gross war, sind die Arterien leicht zu finden und weit genug f\u00fcr die Caniilen. Etwaige Seiten\u00f6ffnungen klemmt man mit Serres fines zu. Bei dieser Behandlung hat sich mir nun das nach dem Obigen vorauszusehende Resultat ergeben, dass der Muskel, welcher einmal seine Reizbarkeit g\u00e4nzlich verloren hat, dieselbe auch nicht wieder gewinnt, und es war mir leicht, in dieser Zeit auf dem Querschnitt die ersten Anf\u00e4nge der sauren Reaction zu entdecken. Hinter dem Querschnitt wurde der Sartorius oder Rectus mit einem Faden abgebunden, und dann die grosse Menge des geschlagenen, stark hellrothen, arteriell gef\u00e4rbten und bis zur K\u00f6rpertemperatur wieder erw\u00e4rmten Blutes nach und nach durch seine Gef\u00e4sse","page":782},{"file":"p0783.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w. 783\nhindurchgetrieben. Die alkalische Reaction kehrtp wieder, die Reizbarkeit aber war dahin.\nNach diesen Versuchen glaube ich daher den Satz ver-theidigen zu k\u00f6nnen, dass ein einmal unerregbarer, ganz starrer und schwach sauer reagirender Muskel eines Warmbl\u00fcters durch das Blut nicht wieder erregbar werden k\u00f6nne, dass dagegen die Starre und die saure Reaction dabei der F\u00e4ulniss weichen, und ferner, dass die Erregbarkeit, wo sie noch im Sinken begriffen ist, wieder restituirt werden kann, wenn auch nach l\u00e4ngerer Zeit der Muskel doch der F\u00e4ulniss anheimf\u00e4llt. Bei den Kaltbl\u00fctern andererseits kehrt die Erregbarkeit wieder, wenn sie auch schon g\u00e4nzlich verloren gegangen, der Froschmuskel geht aber durch die erneuerte Blutzufuhr ganz zu Grunde, wenn er einmal wirklich starr und sauer geworden ist.\nDiese Resultate sind, wie ich glaube, mit den fr\u00fcheren Beobachtungen ganz vereinbar. Stannius sah die Restitution nur an solchen Muskeln, welche noch erregbar waren und Brown-S\u00e9quard konnten die letzten schwachen Contractio-nen der Muskeln leicht entgangen sein, da er sie nicht direct beobachtete, sondern den Reiz mit 2 durch die Haut gesteckten Nadeln, die mit einem galvanischen Apparat verbunden waren, einwirken liess. Verst\u00e4rkte sich durch die Blutzufuhr die Reaction der Muskeln, so konnten Bewegungen durch die Haut hindurch wahrgenommen werden, w\u00e4hrend sie vorher nicht erkannt werden konnten. Ausserdem weiss man aber nicht, ob nicht Brown zu schwache Reize angewendet, als er die Muskeln f\u00fcr ganz unerregbar erkl\u00e4rte. Ich habe mich dazu eines du Bois-Reymond\u2019sehen Schlittenelektromotors mit 2 Grove\u2019sehen Elementen bedient. Bei ganz \u00fcbereinander geschobenen Rollen sind die Inductionsschl\u00e4ge von solcher M\u00e4chtigkeit, dass ich annehmen muss, der Muskel sei wirklich vollkommen unerregbar gewesen, wenn er keine Bewegungen mehr zeigte.\nMit derjenigen Modification, welche die Wiederbelebungsversuche der Muskeln in ihren Resultaten durch diese neueren Erfahrungen erhalten, .'sind dieselben also noch viel","page":783},{"file":"p0784.txt","language":"de","ocr_de":"784\nW. K\u00fchne:\nweniger geeignet, eine St\u00fctze f\u00fcr die Contractionstheorie und eine Waffe gegen die Lehre von der Gerinnung bei der Tod-tenstarre zu liefern, und wir st\u00e4nden nun jetzt bei der Frage, was denn eigentlich in der Muskelsubstanz gerinne. Ehe wir hierzu \u00fcbergehen, muss noch eine zweite Art der Starre abgehandelt werden, welcher mit der Todtenstarre dasselbe Schicksal getheilt hat, ebenfalls f\u00fcr eine Contraction gehalten worden zu sein.\n2. Die W\u00e4rmestarre.\nNach den Angaben von Pickford1) soll ein Froschmuskel, welcher 25 Secunden in Wasser von 65\u00b0 R., oder mehrere Minuten in Wasser von 30\u00b0 R. verweilt hat, starr und steif werden, wobei er sich verk\u00fcrzt. In diesem Zustande ist der Muskel v\u00f6llig unerregbar, soll aber nach wenigen Minuten seine fr\u00fchere Erregbarkeit wieder gewinnen, wobei die Starre sich von selbst l\u00f6st. Schiff2) will ausserdem best\u00e4tigt haben, dass ein in Wasser von 36\u00b0 R. in einer Minute steif gewordener Froschschenkel sich nach 4 Minuten v\u00f6llig wieder erholt. Diesem entgegen steht die Bemerkung von Wundt3), der bei den bezeichneten W\u00e4rmegraden wohl die Starre eintreten sah, die L\u00f6sung derselben und die R\u00fcckkehr der Erregbarkeit aber nicht beobachten konnte.\nDies ist in Kurzem Das, was seither von der W\u00e4rmestarre bekannt geworden. Die geringe Aufmerksamkeit, welche man diesen Beobachtungen geschenkt hat, beruht gewiss zum Theil auf den offenbar sehr mangelhaften Methoden, welche Pickford bei seinen Versuchen anwendete, ein Umstand, der schon von Eckhard hervorgehoben ist, andererseits aber wohl auf der allgemeinem bekannten Thatsache, dass auch kaltes Wasser einen sehr verderblichen Einfluss auf die Muskelsubstanz aus\u00fcbt, indem das blosse Benetzen und Eintauchen in nicht erw\u00e4rmtem destillirten Wasser die Mus-\n1)\tPickford, Zeitschrift f\u00fcr rat. Medicin, red. von Henle und Pfeuffer. Neue Folge I. S. 110.\n2)\tSchiff, Lehrbuch der Physiologie S. 44.\n3)\tWundt, die Lehre von der Muskelbewegung S. 66.","page":784},{"file":"p0785.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 785\nkelstarre sehr rasch herbeif\u00fchrt. Hieran schliessen sich die Beobachtungen von duBois-Reymond, welcher fand, dass die thierischen Organe, wie Nerv und Muskel, auch durch die gew\u00f6hnliche K\u00f6rpertemperatur, wenn man sie z. B. in den Mund nimmt, ziemlich schnell ver\u00e4ndert werden, so dass ein Gastroknemius bald in Starre verf\u00e4llt. Die strahlende W\u00e4rme eines gl\u00fchenden K\u00f6rpers setzt nach du Bois ebenfalls die Erregbarkeit herab, und der Nervenstrom wird meistens dadurch umgekehrt.\nBei der Wiederholung der Versuche \u00fcber die W\u00e4rmestarre stellte ich mir vor Allem die Aufgabe, zu untersuchen, ob die W\u00e4rme \u00fcberhaupt ein Reizmittel f\u00fcr den Muskel sei. Es d\u00fcrfte bekannt sein, wie leicht es ist, mittelst einer gl\u00fchenden Nadel einzelne Muskelb\u00fcndel zum Zucken zu bringen. Breitet man den frischen Sartorius eines Frosches auf einer Glasplatte aus, und ber\u00fchrt man ihn an irgend welchem Punkte, auch an seinen nervenlosen Enden mit der Spitze eines rothgl\u00fchenden Drathes, so zuckten meist immer die Fasern, welche direct verbrannt wurden, und zwar in ihrer ganzen L\u00e4nge, so dass L\u00e4ngsfurchen entstehen, auf deren Boden eine zitternde Bewegung stattfindet. Hohe W\u00e4rmegrade sind also als Reize ebensowohl f\u00fcr die nervenlose contractile Substanz zu betrachten, wie f\u00fcr die Nerven selbst. Bei niederen Temperaturen hingegen, welche f\u00fcr den Nerven als Reize wirken, findet man nur sehr selten Muskelzuckungen, wenn df\u00ff Temperatur der contractilen Substanz allein erh\u00f6ht wurde. Um die erregende Wirkung der W\u00e4rme auf die Muskelsubstanz genauer zu studiren, bediente ich mich folgender Vorrichtung, welche, wie ich glaube, allen Anforderungen gen\u00fcgen d\u00fcrfte.\nAls Medium der W\u00e4rme wandte ich nicht Wasser an, sondern reines Oliven\u00f6l ') oder Quecksilber, zwei Fl\u00fcssigkeiten,\n1) Das k\u00e4ufliche Oliven\u00f6l reagirt h\u00e4ufig sauer und kann bei diesen Versuchen deshalb leicht zu T\u00e4uschungen Anlass geben. Es ist darum gut, dasselbe vorher zu pr\u00fcfen, was nach dem Verfahren von Berthelot am besten so geschieht, dass man einige Tropfen des Gels mit Alkohol sch\u00fcttelt und hierauf einige Tropfen blaue Lackmus-","page":785},{"file":"p0786.txt","language":"de","ocr_de":"78G\nW. K\u00fchne:\ndie. nur nach l\u00e4ngerer Zeit verderblich f\u00fcr den Muskel werden, w\u00e4hrend das Wasser, namentlich das salzfreie, destil-Jirte in kurzer Zeit bei ganz niederer Temperatur Zuckungen bewirkt und den Eintritt der Starre beschleunigt. Das Quecksilber oder das Oel befand sich in einer Schale von emaillir-tem Eisenblech, welche 250 Cub.-Cent. der Fl\u00fcssigkeit fasste, und diese war wieder in eine zweite sehr grosse Schale eingesetzt, die mit einer grossen Menge Wasser angef\u00fcllt war. Zwischen den W\u00e4nden beider Schalen fand keine directe Ber\u00fchrung statt, sondern das kleinere Gef\u00e4ss wurde von drei Holzkl\u00f6tzen getragen, welche lose auf den Boden der grossen Schale gesetzt wurden, ehe das Wasser hinein gegossen worden. In das Oel oder das Quecksilber tauchte ein an einem Holzstative befestigtes Thermometer von Fastr\u00e9, dessen Scale in f\u00fcnftel Grade getheilt war, in allen Versuchen so, dass die erw\u00e4rmte Fl\u00fcssigkeit gerade bis an den Anfang der feinen Quecksilbers\u00e4ule reichte. Selbstverst\u00e4ndlich wurden die Thermometer vorher auf ihre Richtigkeit gepr\u00fcft. Mit H\u00fclfe einer kleinen Spirituslampe, welche ich hoch oder tief unter das Wasserbad stellen konnte, war es nun sehr leicht, jeden beliebigen Temperaturgrad l\u00e4ngere Zeit constant herzustellen. Das Thermometer musste mir immer genauen Aufschluss \u00fcber die Temperatur des Oelsoder des Quecksilbers geben. Weiter reichte nat\u00fcrlich die Genauigkeit nicht, da es unm\u00f6glich ist, die jedesmalige Temperatur des eingetauchten Muskels kennen zu lernen und alle /Angaben beziehen sich deshalb nur auf die Temperatur des Mediums, welches denselben umgab.\nIch muss zuvor erw\u00e4hnen, dass ich ausser den W\u00e4rmegraden, welche in dem Wasserbade erreicht werden konnten, auch noch mit anderen h\u00f6heren Temperaturen arbeitete, und dass ich schon dabei bemerkte, wie h\u00f6chst unsicher die Er-\ntinctur hinzuf\u00fcgt. Ist viel freie Fetts\u00e4ure vorhanden, so r\u00f6thet sich die Tinctur sogleich, in F\u00e4llen, wo nur Spuren zugegen sind, erst beim Erw\u00e4rmen. Ich bediente mich bei meinen Versuchen des ganz frischen neutralen Oeis, welches dem mit Kali neutralisirten selbstverst\u00e4ndlich vorzuziehen ist.","page":786},{"file":"p0787.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 787\nfolge der directen thermischen Muskelreizung sind. Obwohl es immer gelingt, mit der gl\u00fchenden Nadel einzelne Primitivbiindel zum Zucken zu bringen, so bleiben dieselben im Sartorius doch auch h\u00e4ufig ganz aus, wenn mau z. B. seinen ganzen Querschnitt pl\u00f6tzlich mit einer Flamme ber\u00fchrt. In diesem Falle kann man nur sicher Zuckungen erzeugen, wenn man mit der Flamme sogleich ein gr\u00f6sseres St\u00fcck verbrennt. Ich legte dabei den Muskel auf eine Glasplatte, deren Rand er um einige Millimeter mit seinem breiten oberen Ende \u00fcberragte, und auf diese Weise blieb der nicht direct getroffene Theil noch nach vielen Versuchen reizbar. Etwas leichter entstehen aber die Zuckungen, wenn man den Muskel an der Stelle seines Nerveneintritts quer durchschneidet, und diesen Querschnitt mit der Flamme brennt. Noch viel seltener treten aber die Zuckungen ein, wenn man noch niedrigere W\u00e4rmegrade anwendet, z. B. einen Draht, der eben aufgeh\u00f6rt hat zu ergl\u00fchen, und selbst das bis zum Sieden erhitzte Quecksilber oder Oel erregen nur \u00e4usserst selten den Muskel von seinem nackten Querschnitte aus. Bei alledem hat es mir indessen doch nicht gelingen wollen, irgend constante Resultate zu erhalten. So oft auch die Erregung ausblieb, so konnte ich nie mit Sicherheit Voraussagen, ob bei dem einen oder dem anderen Experimente nicht dennoch Zuckungen erfolgen w\u00fcrden.\nVielmehr steigerte sich die Unregelm\u00e4ssigkeit noch bei den unter 100\u00b0 C. liegenden Temperaturen. Liess ich den oberen Sartorius-Querschnitt pl\u00f6tzlich die Oberfl\u00e4che des in dem Wasserbade befindlichen Oels oder Quecksilbers ber\u00fchren, so traten zwar in der \u00fcberwiegenden Mehrzahl der Versuche keine Zuckungen ein, zuweilen aber schien der Muskel doch erregt zu werden, namentlich wenn der am Hilus angelegte Querschnitt erw\u00e4rmt wurde. Die \u00e4usserste Grenze, bei welcher die Zuckungen eintreten k\u00f6nnen, scheint die W\u00e4rme von 50 bis 45\u00b0 C. zu sein, obgleich die Erscheinung hier zu den gr\u00f6ssten Seltenheiten geh\u00f6rt. Bei so niederen Temperaturen ist ferner kein Unterschied mehr zu bemerken bei Anwendung verschiedener nervenhaltiger oder","page":787},{"file":"p0788.txt","language":"de","ocr_de":"788\nW. K ii h n e :\nnervenloser Querschnitte, und das Gesagte gilt f\u00fcr alle Methoden der Reizung, sei es dass die erw\u00e4rmten Fl\u00fcssigkeiten nur den Querschnitt oder eine gr\u00f6ssere Strecke umsp\u00fclten. Als Erregungsmittel der Muskeln steht also die Warme auf der niedersten Stufe.1)\nJede st\u00e4rkere Erw\u00e4rmung der Muskeln hat aber den augenblicklichen Eintritt einer sehr ausgebildeten Starre zur Folge. Die Muskeln werden weiss und undurchsichtig, schrumpfen ausserordentlich zusammen und sind dann ganz hart und steif. Da diese Erscheinungen so ungemein ausgepr\u00e4gt sind, und ein w\u00e4rmestarrer Muskel einen todtenstar-ren darin noch um vieles \u00fcbertrifft, so m\u00fcsste es gewiss sehr wunderbar sein, wenn dieselben binnen Kurzem wieder erweichten und ihre Erregbarkeit wieder erlangten. Niemals habe ich indessen diese Behauptung von Pickford und Schiff richtig finden k\u00f6nnen. Jeder starre Muskel bleibt f\u00fcr immer starr, einerlei bei welcher Temperatur die Starre eingetreten und in welchem Medium, und ich muss es sehr bedauern, dass diese Angabe schlechterdings mit keiner der\n1) Nach den Versuchen von Calliburc\u00e8s (Compt. rend. XLVII. 25. Oct. 1858) w\u00e4re es nicht unm\u00f6glich, dass in dieser Beziehung ein durchgreifender Unterschied zwischen den animalischen und den organischen glatten Muskelfasern best\u00e4nde. Es geht aus den Versuchen dieses Autors hervor, dass die peristaltische Bewegung des Magens und der D\u00e4rme durch W\u00e4rmeschwankungen selbst innerhalb der physiologischen Grenzen m\u00e4chtig angeregt werden k\u00f6nne. Es bleibt aber andererseits sehr zweifelhaft, ob die W\u00e4rme hier direct als Muskelreiz gewirkt habe, ja es w\u00e4re denkbar, dass sie nicht einmal als Nervenreiz im gew\u00f6hnlichen Sinne die Contraetionen mittelbar hervorgerufen. Die peristaltischen Bewegungen entstehen aus so vielen unbekannten Ursachen, dass man sich nicht wundern darf, wenn die W\u00e4rme vielleicht nur als Hebel dient, um die eine oder die andere dieser unbekannten Ursachen auf\u2019s Neue nach dem Tode in Wirkung zu setzen. Man f\u00fchlt sieh zu dieser Betrachtung sehr geneigt, wenn man bedenkt, dass der Unterschied zwischen animalischer und organischer Bewegung nur in dem zeitlichen Verlauf derselben besteht, und wenn man ferner erw\u00e4gt, dass nach Eckhard Temperaturen unter 45\u00b0 C. sehr wenig geeignet sind, um den Zustand der Erregung in den Nerven auszul\u00f6sen.","page":788},{"file":"p0789.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 789\nfr\u00fcheren Beobachtungen vereinigt werden kann. Schiff sagt nichts N\u00e4heres \u00fcber die Art und Weise seines Verfahrens und nur die Pickford\u2019schen Versuche konnte ich so anstellen, wie sie von ihm selbst ausgef\u00fchrt sein m\u00fcssen. Jeder einzelne Muskel vom Frosch, den man 25 Secunden in irgend welche auf 65\u00b0 R. (etwa 82\u00b0 C.) erw\u00e4rmte Fl\u00fcssigkeit taucht, sei es in Wasser, in Oel oder in Quecksilber, hat seine Reizbarkeit f\u00fcr alle Zeiten eingeb\u00fcsst, und auch ein ganzer Froschschenkel ist nicht besser daran. Bei dieser Temperatur werden die Muskeln fast augenblicklich der-maassen hart und steif, dass sie mit keinem contrahirten und nicht einmal mit einem todtenstarren nur entfernt verglichen werden k\u00f6nnen. Ziemlich dasselbe gilt f\u00fcr die Muskeln, welche eine ganze Minute hindurch einer Temperatur von 36\u00b0 R. oder 45\u00b0 C. ausgesetzt werden, und von denen Schiff behauptet, dass sie sich nach 4 Minuten wieder v\u00f6llig erholten.\nF\u00fcr die erw\u00e4hnten Temperaturen ist also kein Ausweg vorhanden, durch welchen der Widerspruch zwischen den angef\u00fchrten Beobachtungen mit denen von Pickford und Schiff erkl\u00e4rt werden k\u00f6nnte. Die \u00fcbrigen Angaben Pick-ford\u2019s sind mir dagegen erkl\u00e4rlich. Ein Muskel, der bis auf 30\u00b0 R. mehrere Minuten lang erw\u00e4rmt war, soll starr geworden und sp\u00e4ter wieder auf Reize sich contrahirt haben. Sartorii, welche ich entweder in Quecksilber von derselben Temperatur (37,5\u00b0 C.) mittelst einer aufgedr\u00fcckten Glasplatte untertauchte, oder welche ich ganz in ebenso erw\u00e4rmtes Oel einsenkte, wurden erst nach l\u00e4ngerer Zeit schwach starr, und es kann in einem solchem Zustande sehr leicht kommen, dass die Muskeln, welche vorher selbst ganz schwache Inductionsschl\u00e4ge mit kr\u00e4ftigen Zuckungen beantworten, dies sp\u00e4ter nicht mehr thun, bei verst\u00e4rkter Reizung noch sp\u00e4ter aber schwache Contractionen zeigen. Ich legte deshalb den Sartorius auf die Platinbleche der stromzuf\u00fchrenden Vorrichtung von du Bois-Reymond und merkte mir den Abstand der Inductionsrollen, bei welchen die ersten Zuckungen eintraten. Senkte ich dann den Muskel in das auf 37,5\u00b0 C. er-\nReicheres u. du Bois-Reymond\u2019s Archiv. 1859.\n51","page":789},{"file":"p0790.txt","language":"de","ocr_de":"790\nW. K\u00fchne:\nw\u00e4rmte Quecksilber ein, so war die Erregbarkeit schon nach einer Minute so weit gesunken, dass die Rollen betr\u00e4chtlich weiter an einander ger\u00fcckt werden mussten, um wieder die ersten Zeichen der Erregung auszul\u00f6sen. Niemals geschah es aber, dass ein solcher Muskel nach l\u00e4ngerer Ruhe und l\u00e4ngerem Aufenthalte in einem mit Wasserdampf ges\u00e4ttigten Raume wieder erregbarer wurde, er ging vielmehr, wie andere Muskeln, der weiteren Starre entgegen. Hatte ich ferner einen Sartorius durch l\u00e4ngeres Erw\u00e4rmen auf 37,5\u00b0 C. gerade so weit ver\u00e4ndert, dass auch die st\u00e4rksten elektrischen, mechanischen oder chemischen Reizungen keine Contractionen mehr hervorriefen, so war er, wenn auch noch nicht durch und durch starr, doch in einem Zustande, aus dem er sich nie wieder erholte, da zu keiner Zeit dieselben Reize wieder Bewegungen anregten. Man kommt bei diesem Verfahren dahin, dass die Muskeln ihre Erregbarkeit vollst\u00e4ndig verlieren, trotzdem aber ziemlich durchsichtig und weich bleiben und das rothe und violette Lackmuspapier bl\u00e4uen. Erw\u00e4rmt man sie etwas l\u00e4nger, so schrumpfen sie und werden starr, undurchsichtig und hart, und die Reaction ist jetzt sauer. Innerhalb kurzer Zeit kann also die contractile Substanz bei 30\u00b0 R. alle die Ver\u00e4nderungen durchmachen, welche sie \u00fcberhaupt constant nach dem Tode zeigt, und welche sich bei sehr niederen W\u00e4rmegraden \u00fcber mehrere Tage erstrecken.\nDieser Umstand d\u00fcrfte jetzt wohl von vornherein den alten Glauben zerst\u00f6ren, dass die Starre eine Contraction sei. Wir werden sehen, dass gerade bei der W\u00e4rmestarre am sch\u00f6nsten der Grund aufgedeckt werden kann, welcher wiederum in einer Gerinnung besteht. Die Todtenstarre tritt, wie allbekannt, bei niederen Temperaturen langsam ein, bei h\u00f6heren rascher. Ein pr\u00e4parirter Froschschenkel kann im Winter wochenlang reizbar bleiben, im hohen Sommer wird er in einigen Stunden starr. Jemehr die W\u00e4rme steigt, desto mehr verk\u00fcrzt sich die Zeit des Eintritts der Starre, und bei einer ganz bestimmten Temperatur wird sie unmessbar, das ist f\u00fcr den Froschmuskel bei 40\u00b0 C. Taucht man einen d\u00fcnnen Muskel, z. B. den Sartorius des Frosches in Oel,","page":790},{"file":"p0791.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 791'\nWasser oder Quecksilber von genau 40\u00b0 C. ein, so wird er augenblicklich starr \u2014 hart, undurchsichtig und sauer, er verh\u00e4lt sich dann gerade so wie ein todtenstarrer Muskel, und auch das kreisende Blut vermag ihm nicht seine fr\u00fcheren Eigenschaften zur\u00fcckzugeben.\nSo wahrscheinlich der letztere Satz an und f\u00fcr sich lautet bei der grossen Aehnlichkeit zwischen der Todtenstarre und der bei 40\u00b0 eintretenden Ver\u00e4nderung, wollte ich doch nicht unterlassen, denselben auch durch den Versuch selbst zu erweisen. Ich band zu dem Ende 3 bis 4 Fr\u00f6sche auf ein Holzgestell so fest, dass sie mit den Vorder- und Hinterheinen der L\u00e4nge nach ausgestreckt wurden. Hierauf versenkte ich das Gestell in senkrechter Lage in ein Blechge-f\u00e4ss mit Wasser, welches auf 40\u00b0 C. erw\u00e4rmt war, so dass das Letztere nur die Beine bis an die Mitte der Oberschenkel umgab. Die Thiere zeigten durch Winden und Drehen, dass die Temperatur auch ihren sensiblen Nerven unangenehm sei, und ich befreite sie deshalb so bald als m\u00f6glich aus der qualvollen Lage. Sp\u00e4ter, nachdem sie ihrer Fesseln beraubt und in kaltes Wasser gesetzt waren, schienen sie ganz munter zu sein, obgleich sie die Unterschenkel steif und unbeweglich nachzogen und haupts\u00e4chlich durch die Bewegung der vorderen Extremit\u00e4ten umherschwammen. Den gr\u00f6ssten der Fr\u00f6sche t\u00f6dtete ich auf der Stelle und untersuchte seine Muskeln, welche ich bis zur Mitte der Oberschenkel vollkommen starr, sauer und unerregbar fand. Die \u00fcbrigen Theile der Oberschenkelmuskeln waren kaum von normalen Muskeln zu unterscheiden, sie waren vielleicht um ein Geringes weniger erregbar, als die Muskeln der vorderen Extremit\u00e4ten. Der eine Frosch, welcher sich unter ganz denselben Bedingungen befunden hatte, lieferte mir so Aufschluss \u00fcber den Zustand der \u00fcbrigen. Die Letzteren wurden ferner mit den Beinen auch \u00fcber die Elektroden eines kr\u00e4ftigen Inductionsapparats gelegt, und damit auch bei diesen der vollkommene Verlust der Erregbarkeit best\u00e4tigt. Meistens fand ich gleich darauf die Circulation in den Schwimmh\u00e4uten gehemmt, sie stellte sich aber bald darauf wieder her, manch-\n51*","page":791},{"file":"p0792.txt","language":"de","ocr_de":"792\nW. K\u00fchne:\nmal dauerte sie sogar w\u00e4hrend des Erw\u00e4rmens ruhig fort, und nie habe ich dabei Stockungen iu den gr\u00f6sseren Ge-f\u00e4ssen eintreten sehen, da das Abschneiden der Beine gleich nachdem die Fr\u00f6sche aus dem Wasser hervorgezogen waren, immer sehr heftige Blutungen zur Folge hatte. Wir k\u00f6nnen uns also auf diesem Wege einen starren Muskel erzeugen, dessen Blutcirculation fortw\u00e4hrend erhalten bleibt.\nNach den fr\u00fcheren Angaben \u00fcber die W\u00e4rmestarre sollte man nun meinen, dass diese erstarrten Schenkel, die ja von selbst ihre Starre verlieren und ihre Erregbarkeit wieder gewinnen sollten, bei erhaltener Ern\u00e4hrung durch das Blut gerade mit grosser Leichtigkeit zu ihren fr\u00fcheren F\u00e4higkeiten gelangen m\u00fcssten. Aber mit Nichten! Die Glieder sind und bleiben verloren, und es kann hier noch besser, wie bei der durch Blutentziehung erzeugten Starre gezeigt werden, dass der Blutstrom auch noch nach Wochen nicht den alten Zustand wieder herstellt. Bei der anderen Art der Erstarrung trat uns die fortschreitende F\u00e4ulniss hindernd in den Weg; hier fault der Muskel nicht, er erh\u00e4lt seine alkalische Reaction wieder, imbibirt sich stark mit Blutfarbstoff, bedroht aber das Leben des Thieres weiter nicht, da er eine Art k\u00f6rnig fettige Umwandlung zu erleiden scheint, bei welcher er wieder weicher wird, dem Einfl\u00fcsse der erregten Nerven aber f\u00fcr immer entzogen bleibt. Ich habe solche Fr\u00f6sche 4 und 5 Wochen am Leben erhalten, die Circulation blieb die ganze Zeit im sch\u00f6nsten Gange, und trotzdem wurden die Muskeln nicht einen Augenblick wieder erregbar, kein Reiz erzeugte auch nur die schw\u00e4chste Spur einer Bewegung. Von einer L\u00f6sung der W\u00e4rmestarre in dem ehedem gemeinten Sinne kann also die Rede nicht sein. Es sei hier noch hinzugef\u00fcgt, dass auch die durch h\u00f6her als 40\u00b0 C. gelegenen Temperaturen erzeugte Starre nicht weicht, und dass Froschbeine, die durch l\u00e4ngeres Erw\u00e4rmen zwischen 35 und 37\u00b0 C. endlich starr geworden waren, starr und unerregbar blieben, dass aber hier der Starre die wirkliche F\u00e4ulniss bisweilen nachfolgte, an welcher die Thiere zu Grunde gingen.\nWas die bei 40\u00b0 pl\u00f6tzlich hervorbrechende Starre der","page":792},{"file":"p0793.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 793\ngemeinen Todtenstarre noch \u00e4hnlicher macht, das ist, ausser allen \u00fcbrigen angef\u00fchrten Charakteren, der Umstand, dass nur der noch nicht starre Muskel und die ungefaulten Organe bei dieser Temperatur in Starre verfallen.\nDie von Pickford und Schiff beobachtete Erstarrung (Schiff spricht nur von 36\u00b0 R.) ist nicht allein dem unerregbaren, sondern auch dem schon todtenstarren, und endlich dem gefaulten Muskel eigen, womit die Behauptung von Schiff, dass die W\u00e4rmestarre \u201enichts anderes als die be' kannte idiomuscul\u00e4re Zusammenziehung\u201c sei, nochmals einen argen Stoss erh\u00e4lt. Auch diese Starre ist wie die Todtenstarre, und die W\u00e4rmestarre von 40\u00b0, eine \u00e9clatante Gerinnung.\nEs wurde oben erw\u00e4hnt, dass die aus frischen Froschmuskeln gewonnene Pressfl\u00fcssigkeit bei niederen Temperaturen langsam, hei h\u00f6heren rasch coagulire. Dieselbe verh\u00e4lt sich in dieser Beziehung wie die Muskeln. Ich habe sie Tage und Wochen lang bei einer 0\u00b0 nahen Temperatur bewahrt, ohne dass sie gerann, brachte ich sie dann in ein warmes Zimmer, so war die ganze Gerinnung binnen wenigen Stunden beendet. Wenn sich hierin schon zeigt, wie sehr die Gerinnung des spontan gerinnenden K\u00f6rpers der contractilen Substanz von der Temperatur abh\u00e4ngt, und wenn wir auch hierin eine grosse Uebereinstimmung zwischen dem Verhalten des unversehrten Muskels und der aus ihm gewonnenen Fl\u00fcssigkeiten finden, so steigert sieh dieses Ver-h\u00e4ltniss noch zur vollst\u00e4ndigen Uebereinstimmung dadurch, dass die Muskelfl\u00fcssigkeit augenblicklich, in unmessbarer Zeit coagulirt, bei genau derselben Temperatur, bei welcher der frische noch leistungsf\u00e4hige, oder der unerregbare, aber noch nicht starre Muskel pl\u00f6tzlich starr wird, n\u00e4mlich bei 40\u00b0 C. Man braucht nur eine beliebige Menge der Muskelfl\u00fcssigkeit in einem Glase mit eingestecktem Thermometer zu erw\u00e4rmen, um zu finden, dass die Quecksilbers\u00e4ule gerade bis zur H\u00f6he von 40\u00b0 C. emporgestiegen ist, wenn die ganze Fl\u00fcssigkeit beginnt sich mit, dicken Flocken zu erf\u00fcllen. Zur genaueren Untersuchung des Temperatur-Einflusses auf die","page":793},{"file":"p0794.txt","language":"de","ocr_de":"794\nW. K\u00fchne:\nGerinnung der Muskelfl\u00fcssigkeit brachte ich je 20 Cub. Cent, derselben in ein Probirr\u00f6hrcben, in welches ich ein Thermometer bis zum Beginn der Quecksilbers\u00e4ule einsenkte, stellte dann dieses R\u00f6hrchen in das Oelgef\u00e4ss der vorhin beschriebenen Vorrichtung, und erw\u00e4rmte allm\u00e4lig die letztere mit der Weingeistlampe. So musste mir das Thermometer ganz genau anzeigen, wann der Inhalt des Prober\u00f6hrchens gerade 40\u00b0 C. erreicht hatte. Durch Probiren und Verstellen der Lampe ist es nach einigen Versuchen dann auch leicht, Alles so einzurichten, dass die Temperatur der zu untersuchenden Fl\u00fcssigkeit den bezeichneten W\u00e4rmegrad nicht \u00fcbersteigt.\nDie einzelnen Erscheinungen bei der Gerinnung bestehen darin, dass die vorher klare oder nur schwach opalisirende L\u00f6sung allm\u00e4lig tr\u00fcber und milchig wird, zuletzt bis zur vollkommenen Undurchsichtigkeit. Man kann dieses Milchigwerden nur als einen Vorl\u00e4ufer der Gerinnung auffassen, um so mehr, als die eigentliche Coagulation sich dadurch ank\u00fcndigt, dass die Fl\u00fcssigkeit wieder klarer wird, statt dessen aber nun eine grosse Menge dicker und fester weisser Flocken absetzt, welche in ihr auf- und niedersteigen. Nur diese Erscheinung ist es auch, welche genau bei 40\u00b0 C. pl\u00f6tzlich eintritt, w\u00e4hrend die blosse Tr\u00fcbung viel allm\u00e4liger und auch schon etwas unter 40\u00b0 eintritt. Andererseits kann aber die flockige Gerinnung, wie schon aus dem vorher Gesagten hervorgeht, auch eintreten unter 40\u00b0 C., bei gew\u00f6hnlicher Zimmerw\u00e4rme, rascher hingegen beim k\u00fcnstlichen Erw\u00e4rmen und zwar so, dass die auf circa 30\u00b0 erw\u00e4rmte Fl\u00fcssigkeit in 1 Stunde, bei 35\u00b0, bis 38\u00b0 in Stande einen flockigen Bodensatz zeigt. Die Menge der, wie man sagen k\u00f6nnte, freiwilligen Gerinnsel, wenn man als solche die langsam und allm\u00e4lig ausgeschiedenen bezeichnet, scheint aber nie ganz so bedeutend, als die grosse Menge klumpiger Massen zu sein, welche bei 40\u00b0 pl\u00f6tzlich auftreten. In Uebereinstim-mung damit steht wieder, dass auch die unversehrten auf 40\u00b0 C. erw\u00e4rmten Muskeln eine etwas ausgepr\u00e4gtere Starre zeigen als die gemeinhin als todtenstarr benannten, so dass","page":794},{"file":"p0795.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 795\ndie W\u00e4rmestarre vielleicht eine kleine quantitative Differenz gegen\u00fcber der Todtenstarre erkennen lassen d\u00fcrfte. Der Unterschied ist indessen nicht bedeutend genug, um die Anschauung zu widerlegen, dass die Gerinnungen der contrac-tilen Substanz, welche spontan und allm\u00e4lig eintreten, und diejenigen, welche pl\u00f6tzlich bei immer noch verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig niedrigen Temperaturen zum Vorschein kommen, im Grunde genommen einerlei seien, so dass die W\u00e4rme nur ein beg\u00fcnstigendes Moment darstelle.\nWie der todtenstarre Muskel sauer reagirt, so ist es auch mit dem in Oel, Quecksilber oder Wasser bei 40\u00b0 pl\u00f6tzlich erstarrten Muskel. Wird ein Gastroknemius auf diese Weise w\u00e4rmestarr, so reagirt sein Querschnitt augenblicklich intensiv sauer, er r\u00f6thet das blaue und violette Lackmuspapier. Es ist hier noch nicht der Ort, auf die Ursachen dieser Erscheinung n\u00e4her einzugehen, es muss nur sogleich bemerkt werden, dass in dieser Beziehung keine vollkommene Ueber-einstimmung zwischen der aus dem Muskel gewonnenen Fl\u00fcssigkeit und dem Organ selbst existirt. Auch bei der freiwilligen Gerinnung der Muskelfl\u00fcssigkeit kann sehr leicht die saure Reaction ausbleiben, sie bleibt dann bis zum Beginn der F\u00e4ulniss fortw\u00e4hrend ganz schwach alkalisch. In denjenigen F\u00e4llen aber, wo die Muskeln erst ausgepresst wurden, als schon ein Theil todtenstarr geworden war, und wo man aber trotzdem eine schwach alkalische Pressfl\u00fcssigkeit erh\u00e4lt, tritt in der Regel auch in der letzteren fr\u00fcher oder sp\u00e4ter die saure Reaction hervor. Will man eine Muskelfl\u00fcssigkeit gewinnen, welche ganz dieselben Verh\u00e4ltnisse wiederholt, wie der erstarrende Muskel selbst, so muss man das Filtriren meiden, in welchem Falle immer die alkalische Reaction in die saure umschl\u00e4gt, w\u00e4hrend der Gerinnung, sei es dass diese nun freiwillig und allm\u00e4lig, oder pl\u00f6tzlich bei 40\u00b0 eintrete. Man sieht also, dass die Gerinnung und der Eintritt der sauren Reaction zusammen Vorkommen, dass aber beide Processe nicht nothwendig an einander gebunden sind, da ein starrer Muskel, trotzdem er meist sauer ist, auch","page":795},{"file":"p0796.txt","language":"de","ocr_de":"796\nW. K\u00fchne:\nalkalisch reagiren, und da die geronnene Muskelfl\u00fcssigkeil ebenfalls beide Reactionen zeigen kann.\nOhne der unten folgenden Betrachtung \u00fcber die Art des Vorkommens der gerinnenden K\u00f6rper in den Muskeln vorzugreifen, muss hier gleich erw\u00e4hnt werden, dass die M\u00f6glichkeit einer Gerinnung daran gekn\u00fcpft ist, dass sich jene Substanz noch in fl\u00fcssiger Form befinde. Die Muskelfl\u00fcssigkeit, welche den spontan gerinnenden K\u00f6rper enth\u00e4lt, scheidet denselben nicht unter allen Umst\u00e4nden aus, wie wir sahen, bei sehr niedrigen Temperaturen gar nicht, bei h\u00f6heren schneller und sogar pl\u00f6tzlich. Es ist daher begreiflich, dass die Gerinnungserscheinungen sehr ver\u00e4ndert werden, wenn die Muskelfl\u00fcssigkeit durch Zus\u00e4tze ver\u00e4ndert wird. Ein bedeutender Zusatz von destillirtem Wasser beschleunigt z. B. die freiwillige Gerinnung ganz betr\u00e4chtlich, w\u00e4hrend Zusatz von Salzen bis zu einer gewissen Grenze dieselbe verz\u00f6gert. Dasselbe wissen wir auch vom Muskel selbst, welcher in destillirtem Wasser sehr rasch starr wird, in passenden Salzl\u00f6sungen hingegen lange selbst im erregbaren Zustande verharren kann. Bei der Erstarrung unter Beih\u00fclfe der W\u00e4rme zeigt sich dagegen das Umgekehrte. Der Umstand, dass eine Kochsalzl\u00f6sung von 0,5\u2014IpCt. so auffallend erhaltend auf den frischen Muskel wirkt, macht es minder wunderbar, dass auch die mit derselben Salzl\u00f6sung gemischte Muskelfl\u00fcssigkeit ganz genau bei derselben Temperatur pl\u00f6tzlich gerinnt, bei welcher der Muskel eben so pl\u00f6tzlich starr wird. Setzt man dieser Mischung von Salzwasser und Muskelauszug hingegen gr\u00f6ssere Quantit\u00e4ten destillirten Wassers zu, so geschieht die spontane Gerinnung zwar rascher, beim Erw\u00e4rmen aber tritt bei 40\u00b0 h\u00f6chstens eine Tr\u00fcbung ein und erst bei 41 und 42\u00b0 erscheinen wirklich feste und flockige Gerinnsel. Demgem\u00e4ss kann auch ein Auszug, der aus ganz frischen Muskeln gewonnen wurde, ohne Anwendung von Kochsalz mit reinem destillirtem Wasser bei sehr verschiedenen Temperaturen gerinnen, je nachdem die Muskeln durch das Wasser schon vor dem Zerpressen todtenstarr geworden waren, oder je nachdem das Wasser wirklich mit einem mehr oder minder","page":796},{"file":"p0797.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s, w. 797\ngrossen Theile der urspr\u00fcnglichen Muskelfl\u00fcssigkeit sich vermischt hatte. Es wurde schon erw\u00e4hnt, dass deswegen auch eine blosse Auspressung fein zertheilter Muskelst\u00fcckchen mit vielem Wasser eine Fl\u00fcssigkeit liefern k\u00f6nne, welche schwache h\u00e4utige Geri-.nsel zeige. \u2014 Die Bedingung der freiwilligen Gerinnung, so wie der bei 40\u00b0 C. pl\u00f6tzlich eintretenden, bleibt also immer dieselbe, dass n\u00e4mlich in der Muskelsubstanz selbst diese Gerinnung noch nicht beendet sei.\nDass ein sonst freiwillig bei allen Temperaturen gerinnender K\u00f6rper pl\u00f6tzlich bei einer niederen Temperatur, wie bei 40\u00b0 C. gerinnt, mag nicht besonders wunderbar erscheinen, wenn auch bei dem Fibrin des Blutes nicht dieselben Umst\u00e4nde Geltung haben, wie aus den oben mitgetheilten Versuchen hervorgeht, wo die Beinmuskeln lebender Fr\u00f6sche bei 40\u00b0 erstarrten, ohne dass die Blutcirculation beeintr\u00e4chtigt wurde, was auf eine ungest\u00f6rte Erhaltung des Fibrins in L\u00f6sung schliessen l\u00e4sst. Es giebt aber noch andere K\u00f6rper in der contractilen Substanz, welche niemals freiwillig gerinnen, ein wenig \u00fcber 40\u00b0 C. hinaus aber so coaguliren, wie das gew\u00f6hnliche Eiweiss. F\u00fcr den Muskel, welcher nur bei 40\u00b0 C. starr werden kann, wenn er noch erregbar oder noch nicht todtenstarr war, folgt daraus zugleich, dass er noch starrer werden kann, wenn er \u00fcber 40\u00b0 erhitzt wird. Dieser Grad der Starre ist es, welcher bisher meist als W\u00e4rmestarre beschrieben worden ist, und ich denke, dass die nachfolgenden Versuche dazu beitragen werden, dieses Ph\u00e4nomen nun g\u00e4nzlich aus der Reihe der Contractionser-scheinungen hinaus zu bringen, da der Grund derselben so handgreiflich als in einer Gerinnung bestehend nachgewiesen werden kann.\nIch nahm zun\u00e4chst einen frischen Sartorius vom Frosche und senkte denselben in umgekehrter Lage bis zur Mitte in Gel von 46\u00b0 C. ein. Augenblicklich wurde derselbe weiss, undurchsichtig und hart, genau bis zu der Stelle, bis zu welcher das erw\u00e4rmte Oel reichte. Nach dem Flerausnehmen aus dem Oel und nachdem er mit Fliesspapier sorgf\u00e4ltig abgewischt war, legte ich ihn auf die stromzuf\u00fchren-","page":797},{"file":"p0798.txt","language":"de","ocr_de":"798\nW. K\u00fchne:\nden Platinbleche des Inductionsapparats, dessen Rollen ein wenig \u00fcber einander geschoben waren. Der nicht eingetauchte Theil des Muskels zuckte sehr heftig, w\u00e4hrend der erstarrte nicht die mindesten Bewegungen zeigte. Ich spaltete hierauf den Muskel seiner ganzen L\u00e4nge nach in 2 Platten und legte zwischen dieselben ein St\u00fcck violettes Lack-muspapier. Der erstarrten H\u00e4lfte entsprach hierauf ein ro-ther und der unversehrten Partie ein blauer Fleck. Die Folgen der Erw\u00e4rmung auf 45\u00b0 sind also soweit dieselben, wie bei der auf 40\u00b0 C. Vergleicht man aber 2 Muskeln, von denen der eine auf 40\u00b0, der andere auf 45\u00b0 erw\u00e4rmt waren, so sieht man, das der letztere weit h\u00e4rter und undurchsichtiger ist als der andere, so dass man beide auf den ersten Blick unterscheiden kann, um so mehr, als die unbelasteten Muskeln bei der Erstarrung zugleich eine Verk\u00fcrzung eingehen, welche im letzteren Falle weit bedeutender ist. Deutlicher noch wird der bezeichnete Unterschied, wenn man einen Sartorius erst ganz bei 40\u00b0 erstarren l\u00e4sst, und nachtr\u00e4glich die eine H\u00e4lfte dann noch auf 45\u00b0 C. erw\u00e4rmt. Auf den ersten Blick ist dann der starrere Theil von dem anderen zu unterscheiden.\nDa ein bei 40\u00b0 w\u00e4rmestarr gewordener Muskel bei 45 \u00b0 noch starrer wird, so wird es nicht \u00fcberraschen, dass auch ein allm\u00e4lig todtenstarr gewordener Muskel, von einem seit l\u00e4ngerer 7<eit get\u00f6dteten Frosche, bei jener Temperatur einen h\u00f6heren Grad der Starre zeigt. Ich nahm zu dem Ende wieder den Sartorius, den ich zur H\u00e4lfte in Oel tauchte. In allen F\u00e4llen, auch wenn die Todtenstarre nicht nur durch blosses Verweilen nach dem Tode eingetreten war, sondern auch wenn sie durch Einlegen in destillirtes Wasser oder durch Vergiftung mit Rhodankalium') k\u00fcnstlich und\n1) Auch bei der durch Muskelgifte oder durch die Imbibition mit destillirtem Wasser eingetretenen Starre kehrt die Erregbarkeit niemals wieder. Ich habe an solchen Muskeln die Versuche von Heidenhain wiederholt, der unerregbare Muskeln durch l\u00e4ngeres Durch-fliessen starker constanter Str\u00f6me wieder \u201eerregbar\u201c werden sab, ohne eine Wiederkehr der Erregbarkeit eintreten sehen zu k\u00f6nnen. Auch","page":798},{"file":"p0799.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 799\nschneller erzeugt worden war, sah ich stets sehr deutlich die st\u00e4rkere Starre au der auf 45\u00b0 C. erw\u00e4rmten H\u00e4lfte zum Vorschein kommen. Zur Contr\u00f4le wurden die Versuche ausserdem noch mit dem erw\u00e4rmten Quecksilber und mit Wasser wiederholt, womit der Schein wegf\u00e4llt, als ob das Oel in so kurzer Frist an und f\u00fcr sich einen verderblichen Erfolg herbeigef\u00fchrt habe.\nEs muss ferner noch hinzugef\u00fcgt werden, dass die mit den letzteren Mitteln rasch zur Todtenstarre gef\u00fchrten Muskeln bei 40\u00b0 keinerlei Ver\u00e4nderungen mehr zeigten.\nDie bei 45\u00b0 eintretende \u201eW\u00e4rmestarre\u201c ist also verschieden von der Todtenstarre, da sie auch starre Muskeln noch befallen kann. Wenn hieraus schon hervorgeht, dass diese Erscheinung nicht beeintr\u00e4chtigt wird durch viele andere in dem Muskel vor sich gehende Processe, so springt dies noch auffallender in die Augen bei noch weiter ver\u00e4nderten Organen, welche durch die F\u00e4ulniss ihrem Verfall entgegen-gehen. Jeder Froschmuskel, auch der faulende, ganz weiche und mit Pilzen und Vibrionen bedeckte, erstarrt beim Erw\u00e4rmen auf 45\u00b0 C. zu einer harten, weissen und undurchsichtigen Masse.\nGehen wir dieser Erscheinung auf den Grund, so k\u00f6nnen wir wiederum an eine Contraction nicht denken. Die Formver\u00e4nderungen, welche der Muskel ebenfalls dabei erleidet, mag man Contraction nennen, es besteht dann aber auch kein Hinderniss das Zusammenrollen eines gebrannten Haares oder einer Sehne eben so zu bezeichnen; \u2014 mit der eigentlichen Muskelcontraction haben alle derartigen Dinge selbstverst\u00e4ndlich Nichts gemein. Wie der Irrthum hat entstehen k\u00f6nnen, dass so ver\u00e4nderte Muskeln von selbst wieder er-\nder Versuch von v. Wittich ist mir nicht gelungen, durch Wasser erstarrte Muskeln mittelst Bestreuen mit Na CI wieder erregbar zu machen, ich sah vielmehr die Starre bestehen bleiben, eben so wie die saure Reaction, obgleich das Volum der gequollenen Muskeln abnabm. Mau sollte \u00fcbrigens meinen, dass das Bestreuen mit Salz vollends hinreichen m\u00fcsste, um einen im Wasser noch nicht ganz abgestorbenen Muskel zu vernichten.","page":799},{"file":"p0800.txt","language":"de","ocr_de":"800\nVV. K\u00fchne:\nschlaffen und wieder erregbar werden, weiss ich nicht, da auch die angegebenen Zeiten, w\u00e4hrend welcher Fickford und Schiff ihre Pr\u00e4parate erw\u00e4rmten, mehr als gen\u00fcgen, um jene Ver\u00e4nderungen in der vollkommensten Ausbildung hervorzurufen. Vielleicht bezeichnet Wundt die Ursachen jenes Irrthums richtig, wenn er annimmt, dass in jenen Versuchen nur die oberfl\u00e4chliche Schicht der Muskeln starr gewesen sei, und dass die innere noch erregbare erst nach einiger Zeit den starren Mantel habe ausdehnen k\u00f6nnen, worauf die Reizbarkeit scheinbar von neuem zur\u00fcckgekehrt Sei.\nDie Starre, welche die Muskeln bei 45\u00b0 bef\u00e4llt, ist eine Gerinnung. Damit es dieser Ansicht ebenfalls nicht an Beweisen fehle, m\u00fcssen wir wieder denselben Weg einschlagen wie fr\u00fcher, wir m\u00fcssen suchen die Gerinnung unabh\u00e4ngig von dem Muskelgewebe in einer Fl\u00fcssigkeit herzustellen. Nichts ist in der That leichter, als das. Man braucht nur eine beliebige Menge todter oder gefaulter Froschmuskeln zu nehmen, dieselben mit der Scheere zu zerkleinern, mit destillirtem Wasser zu begiessen, und den nassen Fleischklumpen einfach durch ein Handtuch abzupressen. Man erh\u00e4lt eine opalisirende Fl\u00fcssigkeit, welche leicht filtrirt werden kann. Was durch das Papierfilter l\u00e4uft, ist immer noch schwach opalisirend, und reagirt meist sauer, wenn die gr\u00f6ssere Menge der Muskeln noch nicht gefault war. Hat man Muskeln verwendet, welche schon l\u00e4ngere Zeit geh\u00f6rig tod-tenstarr waren, so coagulirt diese Fl\u00fcssigkeit nie von selbst. Man thut sie, wie vorhin angegeben, in ein Probirr\u00f6hrchen und erhitzt dieses in einem Oelbade. Bei 40\u00b0 tritt gar keine Ver\u00e4nderung ein, eben so wenig zwischen 40 und 44\u00b0. Erw\u00e4rmt man nun langsam weiter, so wird sie pl\u00f6tzlich milchig, und bei 45\u00b0 setzt sie eine enorme Menge dicker, fester Flocken geronnener Eiweissk\u00f6rper ab, w\u00e4hrend zu gleicher Zeit die Fl\u00fcssigkeit wieder klarer wird.\nSo wie ein Muskel nach einander todtenstarr oder w\u00e4rmestarr bei 40\u00b0 und hinterher noch einmal starr bei 45\u00b0 C. werden kann, so ist es auch mit der Fl\u00fcssigkeit, welche","page":800},{"file":"p0801.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 801\ndem lebenden Muskel entspricht und welche spontan gerinnt. Nachdem sich aus derselben alle Gerinnsel abgeschieden haben, am besten durch l\u00e4ngeres Erw\u00e4rmen auf genau 40 0 C. wird sie filtrirt und nun von neuem in das Oel gestellt. Erhitzt man jetzt weiter auf 41 und 42\u00b0, so bleibt sie fortw\u00e4hrend klar, bei 43\u00b0 aber setzt sie von neuem eine grosse Menge fester Gerinnsel ab. Die Ausscheidung erfolgt vollst\u00e4ndig bei 43\u00b0 C., denn nach l\u00e4ngerem Aufenthalte in dieser Temperatur coagulirt die von den Gerinnungen abfiltrirte L\u00f6sung nicht wieder bei 45\u00b0. Der Grund f\u00fcr diese Differenz zwischen dem Verhalten der beiden letzterw\u00e4hnten Muskelausz\u00fcge liegt darin, dass in dem einen Falle reines Wasser mit der Muskelfl\u00fcssigkeit gemischt war, in dem anderen Salzwasser von 0,5 bis 1 pCt. Wie man seitPanum\u2019s Untersuchungen weiss, kann die Temperatur, bei welcher Eiweissk\u00f6rper coaguliren, herabgesetzt werden, wenn man sie mit Salzl\u00f6sungen zusammenbringt, um so weiter, je concen-trirter diese sind. Der K\u00f6rper, welcher in dem Muskel selbst coagulirt, coagulirt wie wir sahen auch in beliebiger Verd\u00fcnnung mit Wasser bei derselben Temperatur, zieht man daueren die todtenstarren Muskeln statt mit reinem Wasser mit\no o\nNa Cl-L\u00f6sungen von 0,5\u20141 pCt. aus, so gerinnt die Mischung schon bei 43 oder auch zwischen 42 und 43\u00b0 C.1).\nDer bei 43\u00b0 C. gerinnende Eiweissk\u00f6rper muss noch fl\u00fcssig oder vielmehr in L\u00f6sung sein, wenn der Muskel schon todtenstarr ist, und darauf beruht seine leichte Darstellbar-keit. Es ist nicht einmal n\u00f6thig, Muskeln aus einem gewissen Stadium der Todtenstarre zu nehmen, um ein Wasserextr'act zu erhalten, dass erst genau bei 45\u00b0 C. coagulirt. Man nehme ganz frische Froschmuskeln, zerhacke dieselben sehr fein, lasse sie eine Stunde mit dem doppelten Volum destillirten\n1) Hieraus geht zugleich hervor, dass die Gerinnung der dem lebenden Muskel entsprechenden Fl\u00fcssigkeit, welche nur mit einer Salzl\u00f6sung gemischt gewonnen werden kann, bei 40\u00b0, nicht etwa daher kommt, dass der an und f\u00fcr sich bei 45\u00b0 coagulirende K\u00f6rper durch das Salz bei einer niederen Temperatur sich ausscheidet, da sonst die L\u00f6sung nicht bei 40, sondern bei 43\u00b0 C. zuerst coaguliren m\u00fcsste.","page":801},{"file":"p0802.txt","language":"de","ocr_de":"802\nW. K\u00fchne:\nWassers stehen und giesse das Fl\u00fcssige dann durch Leinen ab. Die mechanische Zerkleinerung und die Wirkung des Wassers bringen hier gerade die vollst\u00e4ndige Erstarrung des spontan gerinnenden Muskelstoffs hervor. \u2014 Was \u00fcbrig bleibt, und mit dem Wasser gemischt gewonnen wird, beginnt dann gerade erst bei 45\u00b0 C. zu gerinnen.\nNiemand wird daran zweifeln, dass die Erscheinungen, welche bei noch h\u00f6herem Erw\u00e4rmen in den Muskeln eintre-ten, auch Gerinnungen seien, namentlich das pl\u00f6tzliche Erstarren in der Siedhitze. Was hier vorgeht, ist sicherlich h\u00f6chst complicirter Natur, worauf schon das von du Bois-Reymond entdeckte interessante Factum hinweist, dass ein pl\u00f6tzlich auf 100\u00b0 erhitzter Muskel immer stark alkalisch reagirt, w\u00e4hrend er beim allm\u00e4ligen Erw\u00e4rmen bis zur Siedhitze fortw\u00e4hrend sauer bleibt. Man wird gut tliun, bei so merkw\u00fcrdigen Anzeichen seine Aufmerksamkeit nicht allein auf die Coagulationen zu richten, da die Wirkung der W\u00e4rme noch ein Heer von anderen Ver\u00e4nderungen mit sich bringt, welche um so mehr Ber\u00fccksichtigung verdienen, als gerade die einfachsten Agentien, welche wir einwirken lassen k\u00f6nnen, uns am besten Aufschluss geben werden \u00fcber die Natur noch unbekannter K\u00f6rper. Da auf dieses Gebiet hier nicht n\u00e4her eingegangen werden kann, so m\u00f6gen nur noch die \u00fcber 45\u00b0 C. eintretenden Coagulationen mit ber\u00fccksichtigt werden. In Folge der sauren Reaction des Saftes starrer Muskeln coagulirt die daraus erhaltene Fl\u00fcssigkeit ganz besonders gut, und man kann durch Kochen nirgends besser alles Ei-weiss entfernen, als hier. Die letzten Spuren eines in der W\u00e4rme gerinnenden Eiweissstolfes scheinen indessen schon bei 90\u00b0 vollst\u00e4ndig ausgeschieden zu werden, so dass zur Befreiung der L\u00f6sung von Eiweiss nicht einmal Siedhitze erforderlich ist.\nZwischen der letzten Ausscheidung bei 90\u00b0 und der ersten bei 40 oder 45 \u00b0 giebt es in allen fractionirten Coagulationen, nach dem jedesmaligen Abfiltriren, beim allm\u00e4ligen Steigern der W\u00e4rme, immer wieder neue Ausscheidungen, deren Zahl schwer bestimmbar ist, um so mehr, als es schwer","page":802},{"file":"p0803.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 803\nist, die wirklichen Gerinnungen von den immer wieder kommenden milchigen Tr\u00fcbungen zu scheiden.\nWie allbekannt, zeigen namentlich faulige, eiweissartige Fl\u00fcssigkeiten, zum Theil wohl wegen ihrer alkalischen Reaction, beim Erw\u00e4rmen nur eine sehr unvollkommene Gerin -nung, welche immer mehr jenen milchigen Tr\u00fcbungen gleicht. Bei sehr faulen Froschmuskeln tritt darum die Starre auch bei 45\u00b0 C. nicht in ihrer vollen St\u00e4rke ein, und die Fl\u00fcssigkeit solcher Muskeln wird bei 45 \u00b0 C. dann auch nur milchig. Es ist aber von ganz besonderem Interesse, dass sich an solchen Muskeln wirklich nachweisen l\u00e4sst, wie eine L\u00f6sung der Todtenstarre im wahren Sinne des Wortes existirt. Der Ausdruck war bisher nur dem Wiederweich werden der erstarrten Muskeln entnommen, er passt aber vortrefflich, da diese Erscheinung wirklich in einer chemischen L\u00f6sung des vorher spontan ausgeschiedenen Gerinnsels besteht. Man beobachtet, dass die aus faulenden Froschmuskeln ausgezogene Fl\u00fcssigkeit schon bei 40\u00b0 milchig wird, was die aus blos starren erhaltene nicht thut, selbst wenn sie nachtr\u00e4glich f\u00fcr sich zu faulen beginnt. Weiter geht diese Ausscheidung nun nicht, woran offenbar die stark alkalische Reaction Schuld ist. Neutralisirt man aber diese Fl\u00fcssigkeit vor dem Erw\u00e4rmen mit einer minimalen Menge verd\u00fcnnter Milchs\u00e4ure, so dass sie entweder nur noch ganz schwach alkalisch bleibt oder h\u00f6chstens eine Spur von freier S\u00e4ure enth\u00e4lt, so setzt sie nach dem Filtriren innerhalb einiger Stunden ganz von selbst flockige Gerinnsel ab, welche in betr\u00e4chtlicher Menge auch pl\u00f6tzlich erscheinen, wenn man sie bis auf 400 C. erhitzt. Der Saft faulender Muskeln zeigt also dasselbe wie der ganz frischer, wenn er nur mit Vorsicht neutralisirt, und damit die Wirkung des bei der F\u00e4ul-niss gebildeten Ammoniaks ged\u00e4mpft wird. Dass der Grund davon in der wirklichen Wiederl\u00f6sung des vorher spontan geronnen gewesenen K\u00f6rpers bestehe, von welchem die Todtenstarre herzuleiten ist, wird dadurch noch evidenter, dass bei der wirklichen Entfernung dieses K\u00f6rpers die Fl\u00fcssigkeit durch die F\u00e4ulniss nie dasselbe Verhalten wieder erlangt.","page":803},{"file":"p0804.txt","language":"de","ocr_de":"804\nW. K\u00fchne:\nZieht man todtenstarre und gefaulte Muskeln mit Wasser aus, so erh\u00e4lt man keine Spur jenes geronnenen Stoffs in L\u00f6sung. Fault die letztere, und wird sie dabei stark alkalisch, so coagulirt sie doch immer erst bei 45\u00b0 C., auch nach dem Neutralisiren mit Milchs\u00e4ure.\nNach dem bisher Mitgetheilten scheint nun die Anschauung auf festen F\u00fcssen zu stehen, welche die Erscheinungen der Muskelstarre allein auf Gerinnungen zur\u00fcckf\u00fchrt. Die Todtenstarre und diejenige Starre, welche bei 40\u00b0 C. eintritt, w\u00e4ren n\u00e4mlich als identisch zu betrachten, und eine W\u00e4rmestarre k\u00f6nnte allenfalls die bei 45\u00b0 hervortretende Gerinnung genannt werden. Die Erstarrungen, welche nach h\u00f6heren Erw\u00e4rmungen sieh auspr\u00e4gen, bed\u00fcrfen keines besonderen Namens, es gen\u00fcgt, wenn das Wort \u201eW\u00e4rmestarre\u201c die Coagulation eines im Muskel enthaltenen und diesem eigenth\u00fcmlichen K\u00f6rpers bezeichnet, welcher im \u00fcbrigen Organismus bisher noch nicht hat aufgefunden werden k\u00f6nnen. Uns ist wenigstens zur Zeit kein anderer Eiweissk\u00f6rper oder keine andere eiweisshaltige Mischung bekannt, aus welcher sich ein Theil schon bei 45\u00b0 C. als unl\u00f6slich absetzt.\nDa die Starre in den Froschmuskeln schon bei 40\u00b0 C. eintritt, so liegt die Aufforderung nahe, zu untersuchen, bei welchen W\u00e4rmegraden sie denn in den Muskeln solcher Thiere eintrete, deren normale K\u00f6rperw\u00e4rme nahe an 40\u00b0 reicht, oder diese selbst \u00fcberschreitet. Zun\u00e4chst ist es be-merkenswerth, dass die W\u00e4rmestarre bei den warmbl\u00fctigen Thieren erst bei h\u00f6heren Temperaturen als bei den Kaltbl\u00fctern eintritt. W\u00e4hrend der todte oder starre Froschmuskel schon bei 45\u00b0 C. die ersten Ver\u00e4nderungen oder eine bedeutend verst\u00e4rkte Starre zeigt, tritt dies an den Muskeln todter Kaninchen und Hunde erst zwischen 49 und 50\u00b0 ein, wobei dieselben weisslich und h\u00e4rter werden. Bei den Schenkelmuskeln der Taube bemerkt man eine \u00e4hnliche Ver\u00e4nderung erst bei 53\u00b0 C. *)\n1) Nach Schiff (Lehrbuch der Physiol. S. 44) sollen sich Kanin-","page":804},{"file":"p0805.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 805\nEs ist schwer, von den Muskeln dieser Thiere genau zu sagen, wann sie im Zustande der W\u00e4rmestarre befindlich seien, und es liegt eine verzeihliche umgekehrte Schlussfolgerung mit in diesen Angaben. Die Wasserausz\u00fcge aus den todtenstarren Muskeln der Hunde und Kaninchen coaguliren n\u00e4mlich genau zwischen 49 und 50\u00b0 C., w\u00e4hrend der aus den Muskeln der Taube gewonnene erst bei 53\u00b0 C. jene dicken flockigen Gerinnsel absetzt. Bei welcher Temperatur aber die eigentliche Todtenstarre pl\u00f6tzlich eintrete, ist hier noch schwerer richtig anzugeben, da einerseits Muskelstreifen, wie sie sich allein zu dieser Untersuchung eignen w\u00fcrden, auch ohne Mith\u00fclfe der W\u00e4rme zu rasch erstarren, und da andererseits die Darstellung der frischen Muskelfl\u00fcssigkeit in diesem Falle mit gr\u00f6sseren Schwierigkeiten verkn\u00fcpft ist. Die kleinen Mengen derselben, die ich von Hunde- und Kaninchenmuskeln erhielt, coagulirten zwischen 45 und 46\u00b0 C.\nIm Einkl\u00e4nge mit dieser Beobachtung stehen die Erfahrungen des Herrn Cl. Bernard, welcher, einer m\u00fcndlichen Mittheilung zu Folge, Kaninchen in sehr hoher Temperatur ganz pl\u00f6tzlich sterben, und gleich darauf vollkommen starr werden sah. Die Temperatur der Muskeln betrug im Augenblicke des Todes immer gerade 45\u00b0 C. N\u00e4heres \u00fcber diese Frage k\u00f6nnte vielleicht bei den Warmbl\u00fctern gefunden werden, wenn man die Temperatur bestimmte, bei welcher der neutralisirte Saft der gefaulten Muskeln gerade von neuem zu gerinnen beginnt, obgleich diese Methode allein f\u00fcr sich kein zuverl\u00e4ssiges Resultat geben kann. Bei der unendlichen Gr\u00f6sse dieses Gebietes sei es deshalb lieber gestattet, hier sogleich zu einer anderen Frage \u00fcberzugehen, welche f\u00fcr die vorgetragenen Thatsachen von ganz besonderem Belange ist. Ich meine die Frage nach dem Zustande, in\nchenmuskeln in Wasser von 54\u00b0 C. so verhalten wie Froschmuskeln in Wasser von 40\u00b0 C., eine Angabe, welche wesentlich an Werth gewinnen d\u00fcrfte, wenn Herr Schiff noch irgendwo hinzuf\u00fcgen m\u00f6chte, wie sich denn eigentlich die Froschmuskeln bei 40\u00b0 C. verhalten. Nirgends in seinem ganzen Buche findet sich jenes nothwendige Ter-tium comparationis.\nReichert\u2019s u. du Bois-Reymond\u2019s Archiv. 1859.\t52","page":805},{"file":"p0806.txt","language":"de","ocr_de":"806\nW. K\u00fc h n e:\nwelchem die gerinnenden K\u00f6rper in den Muskeln Vorkommen?\nDie Gerinnungserscheinungen, welche die contractile Substanz darbietet, sind verschieden von denen anderer Tlieile des K\u00f6rpers. Nur das Blnt theilt mit derselben die Eigen-th\u00fcmlichkeit, dass es spontane Gerinnungen bildet, es zeigt aber niemals pl\u00f6tzliche Coagulationen bei 40 und 45\u00b0 C. Da es unm\u00f6glich ist, wirkliche chemische Unterschiede zwischen spontan einmal geronnenem Fibrin und anderen auf irgend welche Art coagulirten Eiweissk\u00f6rpern anzugeben, so wird man sich nach Virchow\u2019s Vorg\u00e4nge, auch bei den Gerinnungen der Muskelsubstanz zun\u00e4chst daran erinnern m\u00fcssen, dass unter zwei Mischungen, welche jede spontane Gerinnsel absetzen, trotzdem immer sehr grosse Unterschiede bestehen k\u00f6nnen, welche nur von Einfluss auf die Zeit des Eintritts der freiwilligen Coagulation sein k\u00f6nnen, w\u00e4hrend dennoch in beiden ganz der n\u00e4mliche K\u00f6rper enthalten sein kann. Mit dieser Betrachtung fallen auch alle Einw\u00e4nde, welche man aus dem verschiedenen Eintritt der Blutgerinnung der Leiche und dem Beginne der Todtenstarre, gegen die Gerinnungs-;Theorie hat herleiten wollen. Muskeln und Blut sind nach der letzteren niemals als gleichbedeutend neben einander gestellt, sondern es ist nur eine Aehnlichkeit in einem Funkte zwischen beiden geltend gemacht worden, und es \u00e4ndert darum nichts an der Richtigkeit der Gerinnungslehre, wenn einmal die Muskeln schon starr gefunden werden, w\u00e4hrend das Blut noch fl\u00fcssig ist, oder wenn die Muskeln noch erregbar und nicht starr sein sollten, w\u00e4hrend das Blut in ihren Gef\u00e4ssen bereits geronnen w\u00e4re. Mit Recht aber hat man sich gegen den fr\u00fcher beliebten Glauben aufgelehnt, dass die wesentliche Substanz der Muskeln einfach aus Faserstoff bestehe, wenn man gleich ganz irrth\u00fcmlich annahm, dass die Br\u00fccke\u2019sche Anschauung \u00fcber das Wesen der Todtenstarre nothwendig an jene Voraussetzung gekn\u00fcpft sei. Es wird daher auch nichts gegen die neue Lehre von der Todtenstarre bewiesen, wenn man","page":806},{"file":"p0807.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s, \\v. 807\ndie Abwesenheit eines Muskelfaserstoffs damit zu st\u00fctzen meint, dass das von Liebig entdeckte Syntonin sich anders verhalte als spontan gerinnendes Fibrin, und ich muss deswegen gegen viele sehr gewichtige Stimmen durchaus betonen, dass die Existenz eines eigenen Ei Weissk\u00f6rpers, wie des Syntonin\u2019s, doch nicht im geringsten die Existenz eines anderen ausschliesst.\nAuf der anderen Seite ist es aber eben so falsch anzunehmen, dass der von Liebig entdeckte K\u00f6rper, das Syntonin, derjenige sei, welcher eine spontane Gerinnungsf\u00e4higkeit besitze. Um diese Behauptung nur einigermaassen wahrscheinlich zu machen, m\u00fcsste es gelingen, Syntonin aus einem noch nicht geronnenen Muskel darzustellen. Nach allen vorliegenden Untersuchungen ist es aber eben unm\u00f6glich, jenen K\u00f6rper zu erhalten, ohne die Mitwirkung einer ausserordentlich verd\u00fcnnten S\u00e4ure, und der einfachste Versuch lehrt, dass jeder Muskel, mit einer noch so verd\u00fcnnten S\u00e4ure behandelt, in kurzer Zeit seine Erregbarkeit verliert und in die ausgepr\u00e4gteste Starre verf\u00e4llt. Dem zu Folge ist es unm\u00f6glich, Syntonin aus einem ganz frischen Muskel zu erhalten, und seine allgemein gebr\u00e4uchliche Darstellung beruht vielmehr immer auf der Extraction ganz exquisit starrer Muskeln, da man zur Extrahirung des Syntonin\u2019s immer stark zerkleinerte und mit Wasser v\u00f6llig ausgewaschene Muskeln verwendet, an welches Verfahren die einzig m\u00f6gliche Gewinnung der ganz reinen Substanz gekn\u00fcpft ist. Es braucht ferner nur noch darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass das einmal in L\u00f6sung erhaltene Syntonin \u00fcberhaupt gar nicht die F\u00e4higkeit der Gerinnung besitzt. Eine mit 100fach verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure aus gut mit Wasser gewaschenen Frosch-, Hunde- oder Rindsmuskeln gewonnene, saure Syntonin-L\u00f6-sung gerinnt niemals freiwillig, ja nicht einmal beim Kochen. Nur wenn dieselbe ganz vorsichtig mit einem Alkali neutralis\u00e2t wird, scheidet sich die Substanz in Flocken aus, welche sich in dem geringsten Ueberschuss der Base wieder auf-l\u00f6sen. Ein erhaltene alkalische Syntoninl\u00f6sung coagulirt ebenfalls niemals durch Kochen und noch weniger freiwillig.\n52*","page":807},{"file":"p0808.txt","language":"de","ocr_de":"808\nW. K\u00fchne:\nDamit fallen also alle Gr\u00fcnde weg, die freiwilligen Gerinnungen, welche in der Muskelsubstanz Vorkommen, dem Syntonin zuzuschreiben, wof\u00fcr ferner noch angef\u00fchrt werden k\u00f6nnte, dass auch solche Muskeln, denen mittelst der Presse die spontan gerinnende Substanz entzogen war, beim Ausziehen mit verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure immer noch reichliche Mengen von Syntonin lieferten. Dass die in der Muskelfl\u00fcssigkeit sich ausscheidenden Gerinnsel von verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure mehr oder weniger angegriffen werden, kann nicht aufl\u00e4llen, da dies eine Eigenth\u00fcmlichkeit aller Eiweissk\u00f6rper ist, und da bekanntlich aus jedem derselben K\u00f6rper erhalten werden k\u00f6nnen, welche dem Syntonin sehr \u00e4hnlich sind, wenn auch nicht in so auffallender Menge, wie aus den todtenstarren Muskeln.\nWir haben uns nun vorzustellen, dass der frische Muskel eine Fl\u00fcssigkeit enthalte, in welcher verschiedene K\u00f6rper aufgel\u00f6st sind, welche beim Eintritt zum Theil in fester Form ausgeschieden werden. Wie weit es m\u00f6glich sei, dass dieser Vorgang solchen Einfluss auf die Muskeln als Ganzes aus\u00fcben k\u00f6nne, dass seine Eigenschaften derart ver\u00e4ndert werden, bis zu einer solchen Differenz, wie sie lebende und starre Muskeln darbieten, das ist allerdings ein Punkt, an welchem bisher die meisten Forscher Anstand genommen haben, und inan muss mit K\u00f6lliker \u00fcbereinstimmen, welcher meint, es hiesse jedenfalls die Hauptsache aus den Augen verlieren, wenn man die Todtenstarre von der Gerinnung einer in Vacuolen der festen contractilen Substanz befindlichen Fl\u00fcssigkeit herleiten wolle. Man braucht darum indessen noch nicht zu einer so unverf\u00e4nglichen Allgemeinheit Zuflucht zu nehmen, wie K\u00f6lliker, der mit dem Anschein einer neuen Nachricht bei dieser Gelegenheit verk\u00fcndet, die Todtenstarre bestehe in einer Aenderung des chemischen oder physikalischen Verhaltens der Molec\u00fcle der contractilen Substanz. ') Die Behauptung ist an und f\u00fcr sich gewiss so rieli-\n1) K\u00f6lliker, \u00fcber die Wirkung einiger Gii'te in Virchow's Archiv X. S. 293.","page":808},{"file":"p0809.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 809\ntig, dass sich nicht der Schatten eines Zweifels dagegen einwenden l\u00e4sst, aus demselben Grunde f\u00f6rdert sie aber unsere Kenntniss des Gegenstandes nicht mehr, als der genau genommen ganz gleiche und leicht ersichtliche Umstand, dass man \u00fcberhaupt einen todtenstarren Mnskel von einem anderen unterscheiden k\u00f6nne.\nE. Br\u00fccke hat in seiner Schrift \u00fcber das Verhalten der Muskeln im polarisirten Lichte sehr bemerkenswerthe Betrachtungen \u00fcber den Aggregatzustand der contractilen Substanz angestellt. Mit der ihm eigenen Klarheit hat dieser Physiologe gleich die Frage aufgeworfen, wie eine feste Substanz, selbst eine solche, die nur einer zitternden Gallerte gleichk\u00e4me, es eigentlich anfangen solle, sich zu contrahiren. Die Beobachtungen Br\u00fccke\u2019s \u00fcber die Contractionen ganz frischer Muskeln unter dem Mikroskop mussten eine ganz besondere Anregung zum Studium dieser Frage abgeben, da bisher gerade von den Anatomen eigentlich nur sogenannte todte oder nach beendetem Leben sehr ver\u00e4nderte Organe zur Untersuchung gekommen waren. Man kann dreist behaupten, dass gerade von Seiten der Anatomen, welche am meisten geneigt sind, dem Physiologen vorzuwerfen, er besch\u00e4ftige sich mit todten oder ver\u00e4nderten Apparaten des Thierleibes, nichts mehr bisher ausser Acht gelassen worden ist, als die Ver\u00e4nderungen, welche die Gewebe bei ihrer Isolation erfahren, und dass wohl niemals anatomische Beschreibungen von dem Zustande des lebenden K\u00f6rpers ausgegangen sind.\nGanz besonders gilt dies von den meisten Untersuchungen \u00fcber die Muskeln, bei welchen \u00fcberhaupt eigene Vorsichtsmaassregeln n\u00f6thig sind, um einzelne Theile derselben, selbst wenn sie einem ganz frischen Organe entnommen wurden, noch in dem dem Leben entsprechenden Zustande zur Anschauung zu bringen. Alle fr\u00fcheren mikroskopischen Beobachtungen \u00fcber die quergestreiften Muskelfasern beruhen auf der Betrachtung todtenstarrer oder gar gefaulter Massen, und merkw\u00fcrdiger Weise haben gerade vereinzelte Erscheinungen, welche zuf\u00e4llig an lebenden Muskelb\u00fcndeln","page":809},{"file":"p0810.txt","language":"de","ocr_de":"810\nW. E\u00ee\u00fchrie:\nunter dem Mikroskope zur Anschauung kamen, sehr geringes Interesse und eine ganz falsche Deutung erfahren.\nWenn man die isolirten Muskelpriinitivb\u00fcndel der meisten Thiere, wie es meist geschieht, in einem Wassertropfen mikroskopisch besieht, so muss man allen den Angaben unzweifelhaft beistimmen, nach welchen die contractile Substanz eine cylindrische feste Masse darstellt, die von einem d\u00fcnnen Schlauche, dem Sarkolemm, umgeben ist. Durch mechanische Misshandlungen entstandene Eindr\u00fccke und Risse an den Primitivb\u00fcndeln, behalten ihre Form, wie wenn ein fester K\u00f6rper gepresst, geschnitten oder zerrissen w\u00e4re, und nichts deutet auf einen urspr\u00fcnglich fl\u00fcssigen Zustand. Solche Muskeln sind aber unzweifelhaft todtenstarr, und es ist immer leicht zu zeigen, dass keiner der so sich darstellenden Primitivcylinder durch Reize zur Contraction gebracht werden kann, und dass denselben die saure Reaction der starren Muskeln zukommt, da jedes gew\u00f6hnliche Muskelpr\u00e4parat beim Uebertragen auf violettes Lackmuspapier daselbst einen rothen Fleck hinterl\u00e4sst.\nGanz anders sieht dagegen ein noch zuckungsf\u00e4higes Primitivb\u00fcndel aus. Legt man, wie es fr\u00fcher beschrieben wurde, einen schmalen Streifen aus dem frischen noch reizbaren Sartorius eines Frosches, ohne Fl\u00fcssigkeitszusatz, oder in Froschlymphe oder in Salzwasser von etwa 0,7 pCt., unter das Mikroskop, so findet man die Primitivb\u00fcndel viel durchsichtiger, im Gegens\u00e4tze zu der graubraunen Farbe todten-starrer Froschmuskeln, und beim absichtlichen oder zuf\u00e4lligen Dr\u00fccken an irgend einer Stelle der Muskelcylinder sieht man nicht einen dauernden Eindruck Zur\u00fcckbleiben, sondern der Muskel zeigt vielmehr einen Wulst, welcher sich all-m\u00e4lig wieder verliert, so dass sich die urspr\u00fcngliche Form an der gedr\u00fcckten Stelle vollkommen wieder herstellt. Im g\u00fcnstigsten Falle sieht man aber auch an den isolirten Muskelb\u00fcndeln der Fr\u00f6sche ein Hin- und Herwogen der con-tractilen Substanz eintreten, wobei bald eine wulstige Anschwellung mit verschiedener Geschwindigkeit in der L\u00e4ngsrichtung unter dem Sarkolemm fortrollt, bald eine wackelnde","page":810},{"file":"p0811.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 811\nBewegung in der Querrichtung der Cylinder eintritt. Der Entdecker dieser \u00e4usserst zierlichen Erscheinung ist Bowman, der die wellenartigen Bewegungen zuerst an den Muskeln niederer Thiere, namentlich der Insecten, beobachtete. Sp\u00e4ter wurden dieselben noch von vielen anderen Hi-stologen best\u00e4tigt, so von Remak und in j\u00fcngster Zeit auch von Berlin, Br\u00fccke u. A. m.\nDie wellenartige Verschiebung der Theilchen in der con-tractilen Substanz macht so sehr den Eindruck der Bewegung einer Fl\u00fcssigkeit, dass diejenigen, welche bei der Meinung beharrten, die contractile Substanz sei ein fester K\u00f6rper, selbst auf den Gedanken gekommen sind, dieselbe r\u00fchre von dem Eindringen des Wassers in das Innere der Muskelcy-linder her. Die wulstigen Erhebungen sollten danach nur von dem Fortschreiteil eines Wassertropfens herr\u00fchren, mit welchem sich der Muskel fortschreitend imbibire, oder sie sollten der Ausdruck jener fortschreitenden Quellung selbst sein. Gegen diese Auffassung ist von vornherein zu bemerken, dass sie schon deswegen unrichtig ist, weil alle Muskeln die Bewegungen zeigen k\u00f6nnen, ohne den Zusatz einer Fl\u00fcssigkeit zum Pr\u00e4parat, und dass die l\u00e4ngere Dauer derselben bei der Benetzung der Muskelfasern immer noch nicht beweist, dass nothwendig auch Fl\u00fcssigkeit in solcher Menge in die Letztere eindringe, sondern dass vielmehr die fl\u00fcssige Umgebung den Muskel l\u00e4ngere Zeit vor dem Absterben sch\u00fctze.\nZum genaueren Studium der genannten Bewegungsformen eignen sich vorzugsweise die Muskeln der Insecten, am besten die Beinmuskeln der Hydrophilen, bei welchen auch Br\u00fccke seine ersten Beobachtungen anstellte. Unter besonders g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden, und bei sehr vorsichtiger Pr\u00e4paration sieht man zwar Alles auch eben so gut an den Muskeln der Fr\u00f6sche oder der S\u00e4ugethiere, in den meisten F\u00e4llen kommen aber die isolirten Primitivb\u00fcndel, namentlich der letzteren, erst in einem sehr ver\u00e4nderten Zustande zur Ansicht. Wie Remak ist es aber auch mir gelungen, an den Fasern des Diap hragma\u2019s vom Kaninchen ganz dasselbe zu sehen","page":811},{"file":"p0812.txt","language":"de","ocr_de":"812\nW. K\u00fchne:\nwie an den Inseclenmuskeln ; man muss dabei vom Gl\u00fcck beg\u00fcnstigt werden, da es Vorkommen kann, dass diese Muskeln der h\u00f6heren Thiere nicht selten eine ganz erstaunlich lange Zeit nach dem Tode noch vollst\u00e4ndig erregbar bleiben. Der fr\u00fche Eintritt der Todtenstarre ist der einzige Grund, weshalb die Details der Contraction nicht an den Muskeln der h\u00f6heren Thiere in der Deutlichkeit, w\u00fce bei den tiefer stehenden Thierklassen untersucht werden k\u00f6nnen.\nDie frischen Beinmuskeln der Hydrophilen zeigen bei jeder Art der Pr\u00e4paration noch lange Zeit nach der Isoli-rung ein wellenartiges Spiel von Bewegungen in zwei Formen, solchen, welche in der L\u00e4nge, und solchen, welche in der Quere \u00fcber den Muskelcylinder sich ausdehnen. Dieselben sind so constant und so leicht zu beobachten, dass hier kaum mehr hinzuzuf\u00fcgen ist. Nur die lange Dauer derselben hat zu der falschen Annahme Anlass gegeben, dass die Bewegung auch an nicht mehr erregbaren, todten Muskeln vorkomme. Nirgends sieht man deutlicher die scharfe Grenze, welche zwischen dem Verlust der Erregbarkeit, dem Eintritt der Todtenstarre und dem lebendigen Zustande liegt, als hier. Die unerregbaren, todtenstarren Primitivb\u00fcndel stechen durch ihre runzelige Form und ihre dunkle und tr\u00fcbe F\u00e4rbung so sehr von den klaren, straffen, noch erregbaren Fasern ab, dass man leicht sehen kann, wie nur die Letzteren Bewegungen zeigen, w\u00e4hrend jene auch bei jeder Art der Reizung ganz in Ruhe bleiben. Elektrische oder chemische Reizung der isolirten Primitivb\u00fcndel zeigt, dass solche B\u00fcndel, welche jene scheinbar spontanen Bewegungen darbieten, noch vollkommen erregbar sind, und dass andererseits diejenigen, welche auf die k\u00fcnstlichen Reize nicht mehr reagiren, \u00fcberhaupt ganz bewegungslos bleiben.\nWenn hiernach die wellenartigen Bewegungen eng an den lebenden Zustand der contractilen Substanz gekn\u00fcpft erscheinen, und schon darin eine Garantie liegt, dass dieselben gleichbedeutend mit der wirklichen Contraction der Muskeln seien, so wird diese Anschauung noch ungemein unterst\u00fctzt durch die M\u00f6glichkeit, dieselben an allen Muskeln bei","page":812},{"file":"p0813.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 813\ngewissen Reizungen zum Vorschein bringen zu k\u00f6nnen. Bei der gew\u00f6hnlichen Reizung des Muskels mittelst des erregten Nerven, oder bei heftigen directen elektrischen Reizungen scheint die Contraction zu rasch vor sich zu gehen, als dass man dieselbe in ihre einzelnen Phasen aufl\u00f6sen k\u00f6nnte. So wie aber durch Schw\u00e4chung der Muskeln, sei es durch Dehnung oder durch Erm\u00fcdung, die Contraction langsamer zu verlaufen beginnt, kann auch mit dem blossen Auge \u00fcberall jenes Fortschreiten in Form von wulstigen Anschwellungen beobachtet werden, wie es oben in dem Abschnitt \u00fcber die idiomuscul\u00e4re Contraction n\u00e4her er\u00f6rtert worden ist. Ich habe ausserdem mittelst der chemischen Reizung an dem iso-lirten Sartorius eines sehr kleinen Frosches sehr gut sehen k\u00f6nnen, wie die Contraction auch hier in ihrer Art und Weise ganz mit den bei den Insectenmuskeln so klaren Bewegungsformen \u00fcbereinstimmt. Der ganz frische Muskel wurde zu dem Ende ohne Wasserzusatz unter ein Deckgl\u00e4schen auf einen Objecttr\u00e4ger gelegt, so dass nur das breite obere Ende mit dem nackten Querschnitte unbedeckt blieb. Den mittleren Theil betrachtete ich hierauf bei 200facher Vergr\u00f6sse-rung. So wie nun ein mit Ammoniak befeuchteter Baumwollenpfropf in die N\u00e4he des Querschnitts gebracht wurde, begann der Muskel zu zucken und eine dicht gedr\u00e4ngte Reihe von wulstigen Erhebungen lief mit \u00e4usserster Geschwindigkeit \u00fcber jedes einzelne Primitivb\u00fcndel weg, worauf nach Entfernung der reizenden D\u00e4mpfe der Zustand der Ruhe zur\u00fcckkehrte.\nEs scheint also, dass allen Contractionen, wie Schiff ebenfalls vermuthet, jener Modus der Bewegung zu Grunde liegt. Dass bei den scheinbar spontanen Bewegungen der Insectenmuskeln ebenfalls ein Reiz irgend welcher Art im Spiele sei, kann nicht bezweifelt werden. Sie nehmen meist da ihren Anfang, wo das Muskelb\u00fcndel irgend wie gezerrt, gedr\u00fcckt oder verletzt wurde, und sind am st\u00e4rksten, wenn auch nur von kurzer Dauer, wenn eine schwach erregende Fl\u00fcssigkeit die Fasern umgiebt. So in ganz ungemein verd\u00fcnnten S\u00e4uren, Alkalien oder Na Cl-L\u00f6sungen, mittelst wel-","page":813},{"file":"p0814.txt","language":"de","ocr_de":"814\nW. K ii h n e :\ncher man auch die Erscheinungen sehr gut an frischen iso-lirten Primitivbiindeln vom Frosch studiren kann. Die letzteren zeigen in Salzs\u00e4ure von 1 pro mille sofort eine kurz dauernde, schlangenartige Bewegung, werden dann pl\u00f6tzlich ganz undurchsichtig, womit das Stadium der Starre sich ank\u00fcndigt, um schliesslich wieder im h\u00f6chsten Grade durchsichtig zu werden, wegen der l\u00f6senden Eigenschaft der verd\u00fcnnten S\u00e4ure.\nDie M\u00f6glichkeit einer wellenartigen Bewegung in der Weise, wie man sie in der contractilen Substanz beobachtet, ist olfenbar an einen fl\u00fcssigen Zustand derselben gekn\u00fcpft, und es w\u00e4re von grossem Interesse, wenn dieselbe bei jeder Art der Reizung nachgewiesen werden k\u00f6nnte. E. Weber hat indessen namentlich die Uebereinstimmung der Bowman\u2019sehen Ph\u00e4nomene mit der gew\u00f6hnlichen Contraction, deswegen geleugnet, weil er bei der elektrischen Tetanisirung frischer Muskeln unter dem Mikroskop nichts der Art beobachten konnte. In allen F\u00e4llen bleibt hier noch eine L\u00fccke auszuf\u00fcllen; es ist aber im h\u00f6chsten Grade wahrscheinlich, dass das Fortschreiten von W\u00fclsten von einem Punkte zum anderen nur deshalb von Weber nicht hervorgerufen werden konnte, weil er in seinen Versuchen alle Punkte der Primitivb\u00fcndel zugleich erregte, indem er die Elektroden au beiden Enden der B\u00fcndel anlegte. Ohne Zuziehung des Mikroskops ist es aber leicht, das Wellenspiel auch an einem gespannten Sartorius zu sehen, dessen unteres oder oberes Ende in einer Ausdehnung von 1\u20142 Mm. mittelst gerade hinreichender Inductionsschl\u00e4ge gereizt wird.\nDie Contraction der Muskeln mag nun in allen F\u00e4llen auf der in Rede stehenden Bewegungsform beruhen oder nicht, sicher ist es, dass jeder lebende Muskel im Gegensatz zum starren und unzweifelhaft festen, dieselbe darbieten kann. Die Wellenbewegung ist unzweifelhaft, wie \u00fcberhaupt jede Contraction an eine ausserordentliche Verschiebbarkeit der Theilehen gekn\u00fcpft, welche so gross sein muss, dass sie mit dem Begriff des Fl\u00fcssigen vollkommen zusammenf\u00e4llt. K\u00f6l-liker meint zwar, dass es den Begriff des Fl\u00fcssigen ganz","page":814},{"file":"p0815.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen umi Ver\u00e4nderungen u. s. w. 815\nwillk\u00fcrlich ausdehnen hiesse, wenn man die contractile Substanz nicht als einen festen K\u00f6rper betrachten wolle, inan k\u00f6nnte darauf aber antworten, dass die entgegenstehende Behauptung dem Begriff des festen eine \u00fcberm\u00e4ssige Ausdehnung gebe. Die contractile Substanz kann im Gegentheil nur fl\u00fcssig gedacht werden, da es eben keinen festen K\u00f6rper von den elastischen Eigenschaften derselben giebt, und da es leicht ist nachzuweisen, dass sich dieselbe in den beiden wesentlichsten Punkten wie ein fl\u00fcssiger K\u00f6rper verh\u00e4lt. Sie besitzt eine vollkommene Beweglichkeit ihrer Theilchen und nimmt in Folge davon jede Form an, welche ihr durch den Einfluss der Schwere zukommt. Auch d\u00fcrfte es innerhalb der Grenzen der M\u00f6glichkeit liegen, einen mit Fl\u00fcssigkeit gef\u00fcllten elastischen Schlauch herzustellen, welcher dieselben elastischen Eigenschaften, wie der Muskel bes\u00e4sse. Br\u00fccke hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein contra-hirter Muskel z. B. das Herz in der Systole nicht wie ein harter, fester K\u00f6rper sich verhalte, sondern eine weiche Masse darstelle, welche je nach ihrer Anordnung bei der Dauer der Contraction in einer Gleichgewichtslage verharre, wie er nur unter dem Einfluss der Schwere entstehen k\u00f6nne. Man hat sich demnach die Contraction der Muskeln so zu denken, dass eine Umlagerung entstehe, bei welcher die Fl\u00fcssigkeitstheilchen ihre urspr\u00fcnglichen Oerter verlassen, um sich nach dem Aufh\u00f6ren der Kraft, durch welche sie in die neue Lage kamen, so anzuordnen, wie sie ihrem Gewichte nach zu liegen kommen m\u00fcssen. Ein Muskel kehrt darum ohne das Zuthun \u00e4usserer Kr\u00e4fte nach einer einmaligen Contraction nie wieder in seinen vorigen Zustand zur\u00fcck, sondern er verharrt in einer Gleichgewichtslage, welche durch den blossen Anschein kaum von dem Contrahirten Zustande zu unterscheiden ist. Man k\u00f6nnte in vielen F\u00e4llen denken, dass seine Ausdehnung durch die Reibung verhindert werde, welche er auf einer festen Unterlage erf\u00e4hrt. Legt man aber einen Sartorius auf Quecksilber und l\u00e4sst man ihn dort durch einen einzigen Inductionssehlag in seiner ganzen Ausdehnung zucken, so wird derselbe sich nach dem","page":815},{"file":"p0816.txt","language":"de","ocr_de":"816\nW. K\u00fchne:\nAufh\u00f6ren der Reizung zwar um ein Geringes wieder ausdehnen, ohne k\u00fcnstliche weitere Dehnung aber fortw\u00e4hrend den Anschein eines schwach tetanisirten Muskels behalten. Ruht hingegen der Muskel nicht, sondern h\u00e4ngt er senkrecht herab, so scheint er von selbst aus dem contrahirten Zustande in den erschlafften zur\u00fcckzusinken. Es ist aber klar, dass er in diesem Falle nur seine fr\u00fchere Gestalt verlor durch die eigene Schwere. Ist die contractile Substanz fl\u00fcssig, so kann es nun schliesslich nicht auffallen, dass eine Gerinnung derselben einen so grossen Unterschied hervorbringen k\u00f6nne, wie den zwischen starren und noch erregbaren Muskeln. Die M\u00f6glichkeit der Mischung der contrac-tilen Substanz mit verd\u00fcnnten Salzl\u00f6sungen gew\u00e4hrt ferner eine Garantie f\u00fcr die fl\u00fcssige Natur derselben. Es n\u00fctzt zu nichts sie halbfl\u00fcssig \u2014 festweich, oder sonst wie in zweifelhafter Weise zu benennen, der Unterschied zwischen starren und noch erregbaren oder contrahirten Muskeln wird damit weder gr\u00f6sser noch kleiner. In diesen ist die contractile Substanz als eine sehr concentrirte L\u00f6sung von Eiweissk\u00f6rpern anzusehen \u2014 in jenen als ein festes Gerinnsel. Die Ursachen des Uebergangs aus dem fl\u00fcssigen in den festen Zustand sind Aufgaben der chemischen Untersuchung.\nV. Ueber das Vorkommen wahrer Muskeln bei den niedersten Thieren.\nWer die Muskelbewegung in allen Einzelheiten so verfolgt, wie es zuvor geschildert wurde, wird sich des Gedankens nicht erwehren k\u00f6nnen, dieselbe sei im Grunde ganz gleich mit der bekannten Bewegung der Amoeben oder der Sarkode Dujardin\u2019s. Das Sarkolcmm umschliesst eine fl\u00fcssige Masse, welche dicht und in regelm\u00e4ssiger Anordnung mit kleinen, festen K\u00f6rpern, den Disdiaklasten Briicke\u2019s, erf\u00fcllt ist, und diese Fl\u00fcssigkeit besitzt die F\u00e4higkeit, Bewegungen nach allen m\u00f6glichen Richtungen einzugehen, vorzugsweise aber so, dass das Primitivb\u00fcndel an Breite um so viel zunimmt, als es an L\u00e4nge verk\u00fcrzt wird. Die Volumverminderung, welche die contractile Substanz bei der Mus-","page":816},{"file":"p0817.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. \\v. 817\nkelaetion erfahren soll, ist jedenfalls so ausserordentlich gering, dass man der Vermuthung Schi ff\u2019s beizupflichten geneigt ist, wonach dieselbe m\u00f6glicherweise nur auf Rechnung der in dem Muskel selbst enthaltenen Gase zu schieben w\u00e4re, und die ganze Bewegung eines Muskels w\u00fcrde demnach nur auf ein Hin- und Herwallen der contractilen Substanz zur\u00fcckzuf\u00fchren sein. Dem \u00e4usseren Anschein nach scheint dieses Ph\u00e4nomen sich genau in den Amoeben zu wiederholen. Man sieht gleichsam einen freien Tropfen jener Materie im umgebenden Wasser sich umherw\u00e4lzen, welcher aus einer uneingekapselten Fl\u00fcssigkeit besteht, die sich nicht mit Wasser mischt, und welche kleine feste K\u00f6rper in unregelm\u00e4ssiger Anordnung eingestreut enth\u00e4lt. Ohne sichtbare \u00e4ussere Veranlassung ist der Tropfen in fortw\u00e4hrender Bewegung begriffen, und wir schreiben das Hin- und Herstr\u00f6-men im Inneren der Masse, das bald kuglige Zusammenballen, bald das Ausstrecken langer bruchartiger Aussackungen dem Willen eines thierischen Individuums zu. Alle diese Bewegungen gehen ebenfalls in der Art vor sich, dass das Volum der Hauptmasse um eben so viel abnimmt, als es an irgend einer Stelle durch die Aussackungen verliert, sie scheinen das vollkommene Analogon zu der Bewegung des Muskelcylinders darzustellen, mit einer Abweichung von der regelm\u00e4ssigen Form, welche das Muskelb\u00fcndel allein geeignet macht, zu mechanischen Arbeitsleistungen zu dienen.\nUm eine weitere Uebereinstimmung zwischen der contractilen Substanz und der der Amoeben aufzudecken, stellte ich mir die Frage, ob die Sarkode reizbar sei im Sinne der Muskelirritabilit\u00e4t, und ob dieselbe gerinnen, todtenstarr werden k\u00f6nne, wie die in dem Sarkolemm eingeschlossene Fl\u00fcssigkeit.\nDie Amoeben, welche ich zu den folgenden Versuchen verwendete, fand ich in reichlicher Menge in dem gr\u00fcnen, schwammigen Bodens\u00e4tze eines Meerwasseraquariums des Herrn Coste, welches zur Demonstrirung der k\u00fcnstlicheif Austernzucht im Coll\u00e8ge de France diente. Ich hob mit einer Pincette den Bodensatz heraus und verwahrte diesen in ein-","page":817},{"file":"p0818.txt","language":"de","ocr_de":"818\nW. K \u00fc 11 ne:\nzelnen nur gegen Staub locker gesch\u00fctzten Gl\u00e4sern, auf deren Boden sich der. Schlamm von neuem ablagerte. Mit einer spitz ausgezogeneu Glasr\u00f6hre war es mir dann leicht, einen Tropfen Wasser vom Boden emporzuheben, welchen ich auf einen Objecttr\u00e4ger \u00fcbertrug. Unter dem Mikroskop zeigte sich in derselben eine grosse Menge vegetabilischer Zuthaten, Pilze, Algen u. s. w., und in der Menge eines gew\u00f6hnlichen Tropfens stets etwa 20\u201430 Amoeben, welche als Amoeba dif\u00dfuens (D uj ar d i n) erkannt werden konnten. Die Gr\u00f6sse dieser Gesch\u00f6pfe wechselt sehr. Ich sah einzelne von der Gr\u00f6sse der Froschblutk\u00f6rperchen, andere aber auch, welche den vierten Theil des Sehfeldes einnahmen. Genaue Gr\u00f6ssenbestimmungen konnten begreiflicherweise nicht gemacht werden, da die Amoeben durch ihre stets wechselnde Gestalt sich der Messung entziehen.\nWie fr\u00fcher gezeigt wurde, besitzt die Muskelsubstanz die F\u00e4higkeit, auch ohne Vermittlung der Nerven auf den Reiz elektrischer Stromesschwankungen Bewegungen einzugehen, und es war darum auch f\u00fcr die sogenannte freie contractile Substanz der Amoeben die Frage, ob dieselbe ebenfalls auf die Str\u00f6me des Inductionsapparats reagire. Ich brachte zu dem Ende einen Tropfen des Meerwassers, welcher viele Amoeben enthielt, nach dem Vorg\u00e4nge E. Weber\u2019s auf einen mit unterbrochener Spiegelbelegung versehnen Objecttr\u00e4ger, so dass das Wasser eine leitende Schicht zwischen den beiden Amalgamplatten bildete. Dasselbe wurde sodann mit einem d\u00fcnnen Deckgl\u00e4schen bedeckt, das jederseits auf die Enden der Spiegelfolie zu liegen kam. Der Schlittenelektromotor diente mir als Reizquelle, die Dr\u00e4hte der secund\u00e4ren Spirale zu beiden Seiten des Objecttr\u00e4gers endigten mittelst isolirt in den Tisch des Mikroskops eingelassener Federn, welche jede f\u00fcr sich wieder die Metallschichten des Objecttr\u00e4gers ber\u00fchrten. Zwischen dem Inductionsapparat, der durch 2 kleine Grove\u2019sche Ketten in Arbeit gesetzt wurde, und dem Mikroskop befand sich eine gut leitende Nebenschliessung, nach deren Hinwegr\u00e4umung die Tnductiousschl\u00e4ge erst durch das Pr\u00e4parat hindurchtreten konnten.","page":818},{"file":"p0819.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 819\nIch hatte mir gedacht, dass die Amoeben, im Falle sie sich reizbar zeigen sollten, durch die Tetanisirung mittelst der Wechselstr\u00f6me des Inductionsapparates pl\u00f6tzlich einen dem Tetanus der Muskeln analogen Zustand zeigen m\u00fcssten, so dass die unregelm\u00e4ssig gestalteten, und mit Forts\u00e4tzen nach allen Richtungen besetzten Massen pl\u00f6tzlich die Form einer Kugel annehmen w\u00fcrden. In Wahrheit sah ich indessen Nichts von Alledem. Die Amoeben, welche in Bewegung begriffen waren, bald hierher, bald dorthin ihre Arme ausstreckten, setzten diese Man\u00f6ver, ganz ruhig fort, wenn die Nebenschliessung beseitigt wurde und wenn eine dicht gedr\u00e4ngte Reihe von Inductionsschl\u00e4gen durch das Pr\u00e4parat hindurchging. Ja ich konnte die St\u00e4rke der letzteren durch Uebereinanderschieben der Inductionsrollen so weit vergr\u00f6s-sern, dass beim Ber\u00fchren des Wassertropfens mit der Spitze des Fingers ein unertr\u00e4glicher, stechender Schmerz entstand, ohne dass die Amoeben auch nur die leiseste Spur einer Reaction zeigten. Diejenigen, welche sich in Ruhe oder in sehr tr\u00e4ger Bewegung befanden, schienen dabei nicht zu st\u00e4rkeren Anstrengungen angeregt zu werden, w\u00e4hrend die emsig mit dem Ausstrecken bruchartiger Forts\u00e4tze besch\u00e4ftigten Gesch\u00f6pfe ohne St\u00f6rung dieses Spiel weiter fortsetzten.\nObgleich diese g\u00e4nzliche Fruchtlosigkeit der elektrischen Reizung wenig Aussicht gew\u00e4hrte die vermutheten Beziehungen zwischen der Muskelsubstanz und der contractilen Materie der Amoeben zu best\u00e4tigen, so wollte ich doch nicht allein bei dieser Art der Reizung stehen bleiben, sondern auch den Einfluss der chemischen Reize und der specifischen Muskelgifte pr\u00fcfen. Die Unterschiede mehrten sich dadurch indessen noch ganz bedeutend, da ich sogleich fand, dass die \u00e4usserst verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure, welche auf den Muskel so energisch wirkt, und in kurzer Zeit Tetanus, Starre und schliesslich eine g\u00e4nzliche Zerst\u00f6rung des Sarkolemminhalts herbeif\u00fchrt, nicht die mindeste Einwirkung auf die Amoeben besitzt. Ich habe dieselben in HCl von 1 bis 0,1 pCt. stundenlang aufbewahrt, ohne dass die Bewegungen dadurch beeintr\u00e4chtigt worden w\u00e4ren, und ohne dass Ver\u00e4nderungen in der","page":819},{"file":"p0820.txt","language":"de","ocr_de":"820\n\\V. K ii 11 n e :\nDurchsichtigkeit oder der Consistenz der Sarkode darauf folgten. Eins der energischsten Muskelgifte ferner, das Rho-daukalium, dessen einprocentige L\u00f6sung die Muskeln sofort erstarren macht, erwies sich eben so wie die Salzs\u00e4ure vollkommen wirkungslos f\u00fcr die bewegliche Amoebenmasse, ja nicht einmal L\u00f6sungen von 4pCt. \u00e4usserten einen irgend be-merkenswerthen Einfluss.\nNach diesen Beobachtungen kann also von einer Reizbarkeit dieser Gesch\u00f6pfe in dem gew\u00f6hnlichen Sinne nicht die Rede sein: das qualitativ wirksame Reizmittel ist noch zu finden. Versuche, welche ich mit Alkalien anstellte, zeigten mir, dass die Amoeben in nur einigermaassen concentrirten L\u00f6sungen rasch die Bewegungen einstellten und sich dann aufl\u00f6sten. So wenig Aehnlichkeit die Sarkodenmasse in alle den Haupteigenschaften mit den Muskeln zeigt, so sehr muss es \u00fcberraschen, dass sie mit dieser die F\u00e4higkeit der Gerinnung theilt, wie es scheint sogar der spontanen Coagulation. Jeder, der sich mit der Beobachtung dieser Gesch\u00f6pfe einmal besch\u00e4ftigt hat, wird wissen, dass es auch Amoeben in sogenanntem abgestorbenen Zustande giebt, in welchem sie ihrer Forts\u00e4tze meist beraubt und zu Kugeln zusammen gezogen unbeweglich daliegen. In diesem Zustande scheinen sie h\u00e4rter zu sein und besitzen dann st\u00e4rkere Contouren, eine Ver\u00e4nderung, welche man auch an einem vorher in Bewegung befindlichen Individuum allm\u00e4lig eintreten sehen kann. Dieselben Zust\u00e4nde sind es auch wohl, welche zu der Meinung Anlass gegeben haben, die contractile Substanz sei hier mit einer Membran umschlossen. Es ist immer misslich, Gewebstheile durch verschiedene Reagentien zur Anschauung zu bringen, bevor man weiss, inwiefern dieselben nicht an und f\u00fcr sich Differenzirungen einer homogenen Masse her-vorrufen k\u00f6nnen, und es ist darum auf den Nachweis der Amoebenmembran, welcher auf der Behandlung mit Reagentien beruht, nicht viel zu geben. Mir scheint die Abwesenheit einer Membran dadurch ganz besonders wahrscheinlich, weil man h\u00e4ufig 2 und mehrere Individuen so vollst\u00e4ndig in einander fliessen sieht, dass sp\u00e4ter niemals eine Trennung","page":820},{"file":"p0821.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 821\nwieder stattfindet. Ebenso umschliessen dieselben sehr oft fremde K\u00f6rper, welche sie ganz in sich einverleiben, und welche sp\u00e4ter an den Bewegungen nicht Theil nehmend, bald hier bald dort in der Masse zerstreut liegen. Nicht selten fliessen zwei Amoeben in einander, welche mit verschiedenartigen fremden K\u00f6rpern, kleinen gelben und gr\u00fcnen K\u00f6rnchen erf\u00fcllt sind, und man sieht dann auch diese auf\u2019s Innigste mit einander sich vermischen. Wie hierbei eine Membran sich verhalten solle, ist mir unklar, und es scheint mir viel richtiger, daraus auf die Abwesenheit einer solchen zu schliessen. Die Bilder, welche zur Aufstellung einer Membran gef\u00fchrt haben, scheinen der erstarrten Sarkode zugeschrieben werden zu m\u00fcssen.\nWenn es nach dem Gesagten erhellt, dass die Sarkode eine freiwillige Gerinnung darbietet, so d\u00fcrfen wir vermu-then, dass dieselbe durch die W\u00e4rme beg\u00fcnstigt werden k\u00f6nne. Kocht man in einem Probirr\u00f6hrchen Meerwasser , das viele Amoeben enth\u00e4lt und betrachtet man sich dann den Bodensatz bei 300 f\u00e2cher Vergr\u00f6sserung unter dem Mikroskop, so findet man in der That nur die geronnenen Formen der Sarkode, alle Bewegungen haben aufgeh\u00f6rt. Ganz dasselbe beobachtet man beim Erw\u00e4rmen der Infusion nach der fr\u00fcher mitgetheilten Methode im Oel-bade, bei allen Temperaturen bis auf 40\u00b0 herab. Ist die Temperatur der Fl\u00fcssigkeit in dem Probirr\u00f6hrchen gerade bis auf 40\u00b0 gestiegen, so findet man alle Amoeben bewegungslos, und meist kugelig zusammengeballt. Diese Temperatur ist indessen durchaus nicht genau diejenige, bei welcher die Sarkode offenbar gerinnt, vielmehr liegt dieselbe tiefer, n\u00e4mlich bei 35\u00b0 C. Zwischen 30 und 34\u00b0 C. findet man die Amoeben immer noch in lebhafter, ja vielleicht sogar in vermehrter Bewegung, so wie aber die Temperatur 34\u00b0 C. \u00fcbersteigt nnd 35\u00b0 erreicht, findet man sie alle ohne Bewegung, erstarrt, kugelig und mit starken Contouren, die ganze Masse dabei br\u00e4unlich getr\u00fcbt, in welchem Zustande man sie auch noch am anderen Tage findet. Die Sarkode\nReichert\u2019s u. du Bois-Reymoud\u2019s Archiv. 1859.\t53","page":821},{"file":"p0822.txt","language":"de","ocr_de":"822\nW. K\u00fchne:\nkann also w\u00e4rmestarr werden, wie der Muskel, nur tritt die Starre hier schon bei 35\u00b0 C. ein.\nDa die Infusion, welche die Amoeben enthielt, auch mit zahlreichen anderen Infusorien erf\u00fcllt war, so konnte mir nicht entgehen, dass alle die verschiedenen Behandlungen bemerkenswerth verschiedene Einfl\u00fcsse auf dieselben aus\u00fcbten. Beim Durchleiten von Inductionsstr\u00f6men sah ich viele Thiere sterben und zerplatzen, w\u00e4hrend beim Erw\u00e4rmen auf 35\u00b0 C. die gegen den elektrischen Reiz stumpfen Amoeben ihre Bewegungen einstellten, dagegen aber andere Infusorien dieselben munter fortsetzten. Nur die contractilen F\u00e4den einiger Rhizopoden, welche mit Recht als gleichbedeutend mit Dujardin\u2019s Sarkode angesehen werden, verhielten sich so wie die Amoeben. Sie schrumpften gerade bei 35\u00b0 zu kugeligen Warzen zusammen. Das Einziehen und Ausstrecken ging aber ruhig vor sich, in Salzs\u00e4ure von 1\u20140,1% und in Rhodankaliuml\u00f6sung von 1\u20144pCt. und die st\u00e4rksten Str\u00f6me des Inductionsapparates erzeugten keine Ver\u00e4nderung in dieser Erscheinung. Besonders oft konnte ich diese Thatsacheu best\u00e4tigen an der Variet\u00e4t von Actinophrys soi, der Actinophrys marina (Duj.).\nDer eigenth\u00fcmliche Einfluss starker Inductionsschl\u00e4ge auf viele Infusorien ist bekannt. Die Thiere zerplatzen oder zerfliessen und sterben pl\u00f6tzlich ab, und es ist in der That seltsam, dass man nur mit Widerstreben an eine eigene Reizbarkeit dieser Gesch\u00f6pfe hat denken m\u00f6gen, sondern die genannten Erscheinungen vielmehr auf die Wirkung der Elektrolyse hat beziehen wollen. Trotzdem kann man sich sehr leicht \u00fcberzeugen, dass es mit der elektrolytischen Zersetzung der Infusorien nicht weit her ist, da selbst eine Kette von 6\u20148 Grove\u2019sehen Elementen, welche man mit Einschaltung der auf dem Objecttr\u00e4ger befindlichen Infusion schliesst, erst nach langer Zeit dem Leben der Infusorien gef\u00e4hrlich wird. Nur bei der Schliessung der Kette sieht man dieselben pl\u00f6tzlich zusammenfahren, dann einige heftige Bewegungen machen; w\u00e4hrend der Dauer des Stromes aber gewahrt man Nichts auffallendes, geschweige denn ein so","page":822},{"file":"p0823.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen n. s. w. 823\npl\u00f6tzliche\u00bb Zerplatzen, wie bei den Schl\u00e4gen des Schlittenelektromotors. E\u00bb ist vorl\u00e4ufig noch die Aufgabe der Zootomen, die einzelnen zahlreichen Species der Infusorien mit H\u00fclfe der elektrischen Reizung zu durchmustern, ich muss mich darauf beschr\u00e4nken anzugeben, welche Thiere mir zuf\u00e4llig die angegebenen Erscheinungen darboten, da meine Untersuchungen vorzugsweise nur auf eine Species, n\u00e4mlich die Vorticellen gerichtet waren, welche leicht bei der Expe-perimentaluntersuchnng f\u00fcr die niedersten Thiere Das werden k\u00f6nnten, was der Frosch in einer anderen Sph\u00e4re re-pr\u00e4sentirt. Durch ziemlich kr\u00e4ftige Inductionsscnl\u00e4ge (erhalten durch den Schlittenelektromotor, dessen Rollen zur H\u00e4lfte \u00fcber einander geschoben waren und dessen Kette in 2 Grove\u2019sehen Elementen bestand) sah ich heftige Bewegungen entstehen, denen bruchartige Aussackungen und schliesslich vollst\u00e4ndiges Zerplatzen folgte, bei Opalina (aus dem Mastdarm der Fr\u00f6sche), bei Ploesconia patella, Paramecium, Di-leptvs folium, Trichoda angulata und Kerona mylilus. Bei m\u00e4ssigen Str\u00f6men konnte ich es meist dahin bringen, dass die Thiere nach dem ersten heftigen Ruck beim \u00d6effnen der Nebenschliessung ganz ruhig in eine Art von Tetanus s\u00e4mmt-licher Muskeln liegen blieben, wenn sie nicht durch die Flimmerbewegung weiter bef\u00f6rdert wurden, auf welche die Str\u00f6me absolut gar keinen Einfluss haben. Wurden die Schl\u00e4ge verst\u00e4rkt, so bildeten sich bald Einschn\u00fcrungen, und trat dann irgendwo aus der K\u00f6rperbegrenzung ein Bruch aus. In diesem Zustande konnten viele Thiere noch lange umherschwimmen, wenn die Nebenschliessung wieder eingeschaltet wurde und das Thier vor weiteren Angriffen gesch\u00fctzt blieb. Nur bei l\u00e4ngerer Dauer der sehr kr\u00e4ftigen Str\u00f6me zerfliesst das ganze Thier zu einem unf\u00f6rmigen Brei, in welchem dann hie und da die Flimmerbewegung noch eine Zeit lang fort-dauern kann. Bei den R\u00e4derthierchen sah ich indessen Nichts der Art vor sich gehen, sie fielen in Tetanus und starben darin augenscheinlich ab, ohne zu zerfliessen. Auf ganz niedere Thierformen, wie z. B. Monas (aus dem faulenden Fleischwasser erhalten) und auf die Vibrionen haben die Inductions-\n53*","page":823},{"file":"p0824.txt","language":"de","ocr_de":"824\nW. K\u00fchne:\nschlage eben so wenig Einfluss, wie auf die vegetabilischen Schw\u00e4rmsporen, welche ihre Bewegungen unbek\u00fcmmert um das heftigste Kreuzfeuer der Wechselstr\u00f6me fortsetzen. Auch an den ,Gregarinen aus den Gesclilechtstheilen der Regenw\u00fcrmer sah ich keine Erfolge der elektrischen Reizung, ich will fiber nicht behaupten, dass sie nicht reizbar seien, da die Bewegungen \u00fcberhaupt sehr rasch erloschen, nachdem ich sie auf den Objecttr\u00e4ger geschafft hatte.\nDie Vorticellen sind es, welche recht eigentlich das passende Pr\u00e4parat zur Anstellung derartiger Versuche abgehen. Ihre langen contractilen Stiele und die mannichfaelieu Bewegungen der Glocke selbst machen sie ganz besonders dazu geeignet, wozu noch die grosse Annehmlichkeit kommt, dass man das Thier fest an einem Punkte bewahren kann, w\u00e4hrend die nicht an anderen K\u00f6rpern angehefteten Infusorien ein best\u00e4ndiges Nacbjagen unter dem Mikroskop noting machen. Zur Auffindung der Vorticellen suchte ich die einzelnen Wurzeln von Wasserlinsen bei schwacher Vergr\u00f6sserung ab, und isolirte dann mit der Scheere ein kleines St\u00fcck der WWzel, das gerade mit einer reichen Traube der Thiercheu besetzt war. Das St\u00fcckchen wurde dann auf den mit Spiegelfolie zu beiden Seiten belegten Objecttr\u00e4ger in die rein gl\u00e4serne L\u00fccke gebracht, ein starker Wassertropfen hinzugef\u00fcgt, das Ganze mit einem Deckglase bedeckt und bei \u00fcOOfacher Vergr\u00f6sserung betrachtet, w\u00e4hrend die Dr\u00e4hte der Indnctionsrolle mit der stromzuf\u00fchrenden Objectplatte in leitender Verbindung standen. Der Schlittenelektromotor wurde durch 2Grove\u2019sche Elemente getrieben nnd die Rollen waren bis zur Ber\u00fchrung an einander geschoben.\nIch suchte nun einen Augenblick, in welchem m\u00f6glichst viele Vorticellen mit ausgestreckten Stielen dalagen, um mit den Mundwimpern ihre Nahrung aufzufangen. Jetzt r\u00e4umte ich pl\u00f6tzlich die Nebenschliessung im Kreise der secund\u00e4ren Rolle weg und hatte nun das Vergn\u00fcgen, pl\u00f6tzlich alle Vorticellen ihre Stiele spiralig zusammenrollen und festgebannt an der Pflanzen Wurzel angeheftet zu sehen, wobei auch die Glocke sich kugelf\u00f6rmig zusammenballte und die Mundwim-","page":824},{"file":"p0825.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 825\npern eingeschlagen blieben. Wurde jetzt der Reiz sogleich abgesperrt, so dehnten sich alle Stiele in langsamen Schraubentouren wieder aus, die Mundwimpern kamen wieder zurri Vorschein und die alte Gefr\u00e4ssigkeit kehrte zur\u00fcck, so dass Nichts die Gewalt ahnen liess, welche vorher die Thiere unbeweglich meinem Willen unterwarf. Liess ich dagegen die Str\u00f6me l\u00e4ngere Zeit durch das Pr\u00e4parat gehen, so rollten sich die F\u00e4den auch w\u00e4hrend des Tetanisirens augenscheinlich der Erm\u00fcdung wegen wieder aus einander und die Thiere zuckten nur von Zeit zu Zeit ein ,wenig zusammen, konnten aber wieder ganz an ihren Anheftungspunkt mit der Glocke herangezogen werden, wenn die Reizung durch weiteres Ueberschieben der secund\u00e4ren Inductionsspirale \u00fcber die prim\u00e4re verst\u00e4rkt wurde. Bei so bedeutenden Str\u00f6men* starben die Vorticellen denn auch schliesslich ab, aus der Glocke wurden bruchartige Aussackungen hervorgetrieben, bis dieselbe ganz zerfloss und nur noch die, wenn man will, kopflosen Schw\u00e4nze in dichten Spiralen zusammen gerollt an der Wasserlinsenwurzel sitzen blieben.\nEs ist aus den anatomischen Untersuchungen bekannt, dass der Stiel der Vorticellen aus einer feinen elastischen R\u00f6hre besteht, in welcher ein blasser Faden in steilen und wenigen Windungen der ganzen L\u00e4nge nach verl\u00e4uft, beiderseits oben und unten fest an den Anheftungspunkt des Thieres und an den K\u00f6rper, die Glocke, gekn\u00fcpft. Mit welchem Rechte man die muscul\u00f6se Natur dieses Fadens hat leugnen wollen, ist mir unbekannt, da es \u00e4usserst wahrscheinlich ist, dass derselbe den wirklichen Muskel und die umgebende Masse eine Art von Sarkolemm darstelle. Eine Art von Querstreifung in der Weise, wie sie Leydig in seinem Lehrbuche mit frappirender Klarheit abbildet, habe ich an dem inneren Faden selbst nicht mit den vorz\u00fcglichsten Systemen Amici\u2019s wahrnehmen k\u00f6nnen, eine Andeutung irgend welcher Structur entstand nur bisweilen durch Reibungen und Faltungen, welche mitunter vorkamen. Obgleich kein Grund vorliegt, bei einem so auffallend contraction Organ die muscul\u00f6se Beschaffenheit zu l\u00e4ugnen, so giebt andererseits aber","page":825},{"file":"p0826.txt","language":"de","ocr_de":"m\nW. K\u00fchne:\nauch die etwaige Querstreifung kein Kriterium f\u00fcr dieselben ab. Man m\u00fcsste in solchen F\u00e4llen bestimmt angeben, welche Definition einem Muskel zukomme, was bisher meines Wissens nirgends geschehen ist. Bem\u00fchen wir uns darum vor allen Dingen zu zeigen, in wie fern der Stiel der Vortioellen mit den Dingen \u00fcbereinstimmt, welche bisher ohne Widerrede als Muskeln anerkannt wurden.\nDa die Vorticellen durch Contraetionen des Stiels stets ihr Unbehagen ausdr\u00fccken, wenn ihnen etwas in die Quere kommt, so wenn ein gef\u00e4hrliches R\u00e4derthierchen oder andere gr\u00f6ssere Thiere auf sie zuschwimmen, so w\u00e4re es denkbar, dass die Induetionsstr\u00f6me ihnen eine unangenehme Empfindung verursacht h\u00e4tten, bei welcher sie indirect, ohne dass der Strom direct die contractilen Organe erregt habe, eine andere Lage vorgezogen h\u00e4tten. Ich war dieser Meinung sehr nahe, als ich sah, dass solche Stiele, von denen die Glocke zuf\u00e4llig abgerissen war, entweder spiralig zusammengerollt oder stark gestreckt dalagen und beim Durchschlagen der Induetionsstr\u00f6me keinerlei Bewegungen zeigten. Der Zufall f\u00fchrte mir aber bald ein Thierchen zu, dessen Stiel in der Mitte geknickt war, und an welchem der innere Faden mehrfache Unterbrechungen zeigte. Aus eigenem Willen konnte das Thier nun immer nur den Stiel von der Glocke bis zur Knickung zusammenrollen, w\u00e4hrend der Theil von der Knickung bis zur Anheftungsstelle nicht an der Bewegung Theil nahm, und stets in derselben Lage blieb. Ich galva-nisirte darauf das Pr\u00e4parat und sah bei derjenigen Stromst\u00e4rke, bei welcher zuerst auch die Nachbarn des Thieres mitzuckten, nur den dem Willen des Thieres unterworfenen Theil des Thieres sich zusammenrollen, als ich aber durch Ann\u00e4hern der Inductionsrollen den Reiz verst\u00e4rkte, zuckte jetzt auch der andere Theil des Stieles mit. In diesem Falle war also ein Theil des Stieles unabh\u00e4ngig von dem Thiere gereizt, worauf er mit Bewegung geantwortet hatte, und ferner fand sich die interessante Erscheinung, dass das mit der Glocke der Vorticelle aus dem Zusammenh\u00e4nge gerathene Ende bedeutend an Erregbarkeit eingeb\u00fcsst hatte. Die Glocke","page":826},{"file":"p0827.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 827\nder Vorticelle stellt demnach eine Art von Kopf vor, von welchem allein der Wille ausgeht, und auch die Ern\u00e4hrung des Stieles d\u00fcrfte nur von diesem Theile aus m\u00f6glich sein.\nUm den Versuch noch entscheidender zu machen, \u00fcbte ich mich sp\u00e4ter die Vorticellen zu k\u00f6pfen. Man sucht sich zu dem Ende eine Wasserlinse aus, deren Wurzel recht dicht damit \u00fcbers\u00e4t ist, und schneidet mit einem scharfen Scalpell dicht neben der Wurzel her, am besten so, dass man pl\u00f6tzlich auf die Glasplatte hackt. Uebung und genaue Beobachtung lehren den richtigen Moment kennen, wo die meisten Thierchen mit gestreckten Stielen von der Wurzel abstehen: in diesem Augenblicke schl\u00e4gt man zu. Nat\u00fcrlich sind die meisten Thiere durch rasches Zur\u00fcckfahren dem Hiebe entgangen, nach einigen Versuchen findet man aber immer einzelne, welche ihren Kopf verloren. Bedeckt man jetzt nach der Benetzung mit mehr Wasser das Pr\u00e4parat mit dem Deckgl\u00e4schen, und l\u00e4sst man nun wieder die Inductionsstr\u00f6me hindurchgehen, so sieht man, dass auch die kopflosen Stiele z usammenfahren.\nDie elektrische Reizung muss m\u00f6glichst rasch nach dem K\u00f6pfen vorgenommen werden, da die kopflosen Stiele sehr bald ihre Erregbarkeit einbiissen und auch von selbst, vielleicht wegen der Ber\u00fchrung des Inneren mit dem Wasser, sich ganz langsam zusammenrollen, meist so, dass die durchsichtige H\u00fclle das obere Ende des inneren Fadens in betr\u00e4chtlicher L\u00e4nge als ein leeres Rohr \u00fcberragt. In diesem Zustande ist der innere Faden unzweifelhaft todtenstarr. Sp\u00e4ter tritt sogar eine L\u00f6sung der Todtenstarre ein, wobei sich der ganze Stiel wieder langsam gerade streckt, bis endlich der innere Faden ganz zu verschwinden scheint, und nur noch das blosse Rohr \u00fcbrig bleibt, welches man nur bei ged\u00e4mpfter oder schr\u00e4ger Beleuchtung wahruimmt.\nDer Stiel der Vorticellen verh\u00e4lt sich also ganz wie ein Froschmuskel, er kann durch den Reiz elektrischer Stromesschwankungen, auch isolirt von dem \u00fcbrigen Thiere, zum Zucken, ja selbst zur tetanischen Verk\u00fcrzung gebracht werden. Beim Nachlassen der Reizung dehnt er sich langsam","page":827},{"file":"p0828.txt","language":"de","ocr_de":"828\nW. K\u00fchne:\nwieder aus, ich muss aber bemerken, dass er isolirt nie wieder so straff wird, wie wenn die Vorticelle noch daran sitzt, sondern immer eine mehr gekr\u00fcmmte Stellung einnimmt.\nDie chemische Reizung der Infusorien ist im Grunde gleichbedeutend mit einer Vergiftung, da man gen\u00f6thigt ist die Zuf\u00fchrung der Reizmittel so vorzunehmen, dass man sie in einen Tropfen der L\u00f6sungen hineinsetzt. Bekanntlich sterben auch die Vorticellen in den meisten Salzl\u00f6sungen rasch ab, und es ist darum wenig Gewicht darauf zu legen, dass sie z. B. auch in verd\u00fcnnten L\u00f6sungen eines hervorragenden Muskelgiftes, des Rhodankalium\u2019s, sich rasch zusammenrollen und in einen Zustand der Starre \u00fcbergehen, da sie in L\u00f6sungen von Kochsalz sich eben so verhalten. Mit Alkalien, selbst mit sehr verd\u00fcnnten Laugen behandelt, sieht man die Vorticellen fast augenblicklich zerfliessen. Die Wirkung einer sehr verd\u00fcnnten S\u00e4ure ist dagegen charakteristischer und analog der Erscheinung, welche noch erregbare Muskelprimitivb\u00fcndel vom Frosch dabei zeigen. Setzt man einem Infusionstropfen, in welchem sich Vorticellen befinden, einen Tropfen 100 fach verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure zu, so contrahiren sich die Stiele augenblicklich, die F\u00e4den im Inneren der Stielr\u00f6hre werden dann tr\u00fcbe und viel deutlicher, offenbar starr, und hierauf beginnt die S\u00e4ure die contractile Substanz zu l\u00f6sen, wobei die contractilen F\u00e4den wieder ganz durchsichtig werden und der ganze Stiel durch die Elasticit\u00e4t der H\u00fclle sich wieder gerade streckt, um bis zum Verschwinden durchsichtig zu werden. Die Glocke reisst dabei meist ab und geht ebenfalls ihrem Untergange entgegen. Das erste Zusammenfahren beim Zusatz der S\u00e4ure kann eine Contraction sein, die Annahme bleibt aber so lange zweifelhaft, als nicht erwiesen ist, dass dasselbe nicht nur auf dem raschen Eintritt der Starre beruht. Ich finde dieselbe indessen deshalb schon wahrscheinlich, weil man die Vorticellenstiele z. B. durch Ammoniakd\u00e4mpfe sich contrahiren und sp\u00e4ter wieder erschlaffen sehen kann, worauf sie noch von neuem einige Contractionen zeigen k\u00f6nnen. Man breitet zu dem Ende auf den Objecttr\u00e4ger eine dicht mit Vorticellen besetzte Lernna","page":828},{"file":"p0829.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 829\naus und f\u00e4hrt damit \u00fcber einen Teller, auf dem sich etwas NH3 befindet, hin und her. Besieht man das Pr\u00e4parat jetzt mit dem Mikroskop, so sind alle Stiele stark zusammengezogen und allm\u00e4lig erst verlassen die Thiere diese Stellung wieder. Fr\u00fcher oder sp\u00e4ter bleiben sie dann aber doch regungslos liegen, um der Starre zu verfallen, was bedeutend beschleunigt werden kann, wenn man die Ammoniakd\u00e4mpfe etwas l\u00e4nger einwirken l\u00e4sst.\nSehr bemerkenswerth ist die Wirkung eines Muskelgiftes, des Yeratrin\u2019s. Dieser K\u00f6rper ist in destillirtem Wasser so wenig l\u00f6slich, dass er gemeinhin als unl\u00f6slich bezeichnet wird. Nichtsdestoweniger sterben aber die Vorticellen in einem w\u00e4ssrigen Veratrinaufguss ohne Ausnahme, und zwar unter denselben Erscheinungen, wie ein eben so behandelter Froschmuskel. Die Stiele ziehen sich langsam zusammen und werden exquisit starr, indem der innere Faden st\u00e4rker lichtbrechend und in Folge davon viel deutlicher wird. Andere Gift\u00e7, wie das Strychnin, dessen w\u00e4ssrige L\u00f6sung ebenfalls so unendlich wenig der Substanz enth\u00e4lt, dass an eine besondere endosmotische Einwirkung eben so wenig, wie bei dem Veratrin zu denken ist, t\u00f6dten die Vorticellen ebenfalls, aber unter ganz anderen Erscheinungen. Die Thiere verfallen erst sp\u00e4t in die Starre, verlieren vielmehr nur ihre Erregbarkeit und liegen gerade gestreckt, aber mit fortdauernder Wimperbewegung, ruhig da. In diesem Zustande bewirken auch die st\u00e4rksten Inductionsschl\u00e4ge keine Bewegung mehr. Wie das Strychnin hier wirke, ist nicht ganz klar, es scheint die Erregbarkeit einfach zu vernichten, ohne die Starre gleichzeitig herbeizuf\u00fchren. Merkw\u00fcrdiger Weise wirkt dagegen das Curare auch in ganz concentrirter L\u00f6sung hier gar nicht. Ich habe die Vorticellen in einem braunen Brei von Curare mit Wasser stundenlang in Bewegung bleiben sehen, w\u00e4hrend ich mit dem auf dem Objecttr\u00e4ger befindlichen Tropfen hinterher 2 grosse Fr\u00f6sche vergiften konnte. Wenn man annimmt, dass das Curare nur auf irgend einen Theil des Nervensystems wirke, so mag man sich seine Wirkungslosigkeit daraus erkl\u00e4ren, dass die Vorticellen keine","page":829},{"file":"p0830.txt","language":"de","ocr_de":"830\nW. K\u00fchne:\nNerven haben. Die Wirkung der Gifte bei den niederen Thieren wird aber noch manche ungeahnte Dinge aufdecken. Ich brauche bei dieser Gelegenheit nur zu erw\u00e4hnen, dass die mit Nerven reichlich beschenkten Insecten gar nicht von Curare afficirt werden. Ein anderes Beispiel der Art liefert uns das Upas antiar, das bei den h\u00f6heren Thieren eine so ausserordentliche Wirkung auf die Muskeln aus\u00fcbt, die Stielmuskeln der Vorticellen hingegen durchaus nicht beeintr\u00e4chtigt, w\u00e4hrend der Tropfen der L\u00f6sung dieses Giftes, in dem die Vorticellen lange unbel\u00e4stigt verweilten, hinreicht, um mehr als 10 Fr\u00f6sche dem sicheren Tode zu \u00fcberliefern.\nEine vollkommene Gleichheit der Froschmuskeln mit den Stielmuskeln der Vorticellen existirt also nicht. Vielleicht existirt dieselbe aber auch nicht einmal zwischen ganz nahe stehenden Species, ein Umstand, der durch die sorgf\u00e4ltige Ausdehnung der chemischen Reizung gewiss zu Tage treten m\u00fcsste. Einige Hauptverh\u00e4ltnisse reichen aber hin, um durchgreifende Beziehungen gewisser Organe erkennen zu lassen, und wenn ich nach diesen experimentellen Untersuchungen die Stiele der Vorticellen f\u00fcr wahre Muskeln erkl\u00e4ren muss, so geschieht das auf Grund der Uebereinstimmung in der Reizbarkeit und einer grossen Aehnlichkeit in der Wirkung einzelner Gifte, wie z. B. des Veratrins. Eben so sehr liegt aber ferner eine grosse Aehnlichkeit in der Erstarrung. Wir k\u00f6nnen freilich aus den Vorticellenstielen keine Muskelfl\u00fcssigkeit auspressen, welche hinterher gerinnt, wir k\u00f6nnen aber zeigen, dass die Vorticellenmuskeln unter denselben Umst\u00e4nden dauernd das Ansehen der starren Muskeln annehmen k\u00f6nnen, wie die der Fr\u00f6sche. Schon das Ammoniak und die verd\u00fcnnte Salzs\u00e4ure lehrten uns dies, und wir brauchen nicht zu bef\u00fcrchten, die Starre mit einer Contraction verwechselt zu haben, da die Lichtbrechung des starren und des contrahirten Stielmuskels augenscheinlich verschieden ist.\nDie Erstarrung setzt einen fl\u00fcssigen Zustand voraus, und dass der contractile innere Faden der Vorticellenstiele fl\u00fcssig sei, m\u00fcsste demnach versucht werden zu zeigen. Ich habe daf\u00fcr erstens den Grund, dass mir die M\u00f6glichkeit der Con-","page":830},{"file":"p0831.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w, 831\ntraction ebenfalls an einen fl\u00fcssigen Zustand gebunden zu sein scheint und zweitens eine Beobachtung, welche ich zuf\u00e4llig machte. Eine Vorticelle war an einer Wurzel mit dem Ende des Stieles angeheftet, w\u00e4hrend die Glocke von einer anderen anfliegenden Lemna- Wurzel in einiger Entfernung davon festgehalten wurde, so dass das Thier in einer gezwungenen festen Lage im gespannten Zustande verharren musste. In der Mitte des Stielmuskels konnte ich nun erkennen, dass das Thier alle m\u00f6glichen Anstrengungen machte, um sich aus dieser Lage zu befreien. Ich sah ein best\u00e4ndiges Auf- und Abwallen des inneren schleimigen Fadens mit den zierlichsten wellenartigen Bewegungen verkn\u00fcpft, welche sich in jedem einzelnen Theile der Breite des Muskelcylinders ohne Betheiligung der r\u00f6hrenf\u00f6rmigen Umh\u00fcllung kundgab. Bei einer sehr klaren lOOfachen Vergr\u00f6sserung eines Ami-c i \u2019 sehen Systems gew\u00e4hrte die Erscheinung durchaus den Anblick eines in wellenartiger Bewegung begriffenen schmalen Insectenmuskels, wodurch die Ueberzeugung bei mir noch mehr befestigt wurde, dass auch dieser scheinbar solide Faden aus einer Fl\u00fcssigkeit bestehe. Es ist sogar die M\u00f6glichkeit vorhanden, dass diese fl\u00fcssige Masse ganz eng mit einer Membran, einem wahren Sarkolemm umgeben sei, so dass die r\u00f6hrenf\u00f6rmige \u00e4ussere Scheide dadurch die Bedeutung einer Fascie oder einer Scheide wie an dem M. rectus abdominis des Menschen erhielte.\nEndlich habe ich nun noch den pl\u00f6tzlichen Eintritt der Starre in den Stielmuskeln der Vorticellen mit H\u00fclfe der W\u00e4rme zu bestimmen gesucht, und dabei allerdings eine \u00fcberraschende Uebereinstimmung mit der contractilen Substanz der Fr\u00f6sche gefunden. Der Stielmuskel wird genau bei 40 \u00b0 C. todtenstarr, bei h\u00f6heren Temperaturen vielleicht sogar noch \u201ew\u00e4rmestarr\u201c, d. h. noch starrer durch weitere Gerinnungen anderer Eiweissk\u00f6rper.\nWasserlinsen, welche in Menge mit Vorticellen besetzt waren, wurden zuerst mit schwacher Vergr\u00f6sserung beobachtet, um den lebendigen Zustand der Thiere zu constatiren, und hierauf mit etwas Wasser in ein Frobirr\u00f6hrchen gethan,","page":831},{"file":"p0832.txt","language":"de","ocr_de":"832\nW. K\u00fchne:\ndas mit eingestecktem Thermometer im Oelbade erw\u00e4rmt wurde. Die Folge davon ist, dass die Thiere auch schon \u00fcber 35\u00b0 innerhalb einiger Zeit absterben und erstarren. Bei 38 und 39\u00b0 kann man sie aber immer 10\u201415 Minuten lang erhalten, ohne dass sie sterben, vielmehr scheinen sie dann besonders lebhaft zu werden. Eine herausgezogene Murzel zeigt dann Haufen von sich lebhaft tummelnden Individuen. Augenblicklich aber, so wie die Temperatur 40\u00b0 erreicht, findet man sie alle todt und bewegungslos, die Stiele mit ihren Windungen eng an einander und starr, wobei die inneren contractilen F\u00e4den eminent deutlich erscheinen. In diesem Zustande verweilen sie l\u00e4ngere Zeit, bis endlich die L\u00f6sung der Starre eintritt, indem die Muskeln wieder undeutlich werden, die Stiele sich strecken und die Glocke abf\u00e4llt. Genug die Vorticellen erstarren pl\u00f6tzlich bei derselben Temperatur, wie die Muskeln der Fr\u00f6sche.\nNach den diesen Abhandlungen vorangegangenen Andeutungen kann es nicht meine Absicht sein, eine ersch\u00f6pfende Darstellung der Physiologie der Muskelbewegung der Infusorien zu geben. Die angef\u00fchrte kleine Zahl von Thatsachen wird gen\u00fcgen, um vorl\u00e4ufig \u00fcbersehen zu lassen, dass die experimentelle Untersuchung auch auf diesem Gebiete neben der reinen Beobachtung einhergehen kann. Nur einen Punkt m\u00f6chte ich noch ber\u00fchren, der mir von besonderem Interesse zu sein scheint, und welcher die Fortpflanzung der Bewegung in den Muskeln betrifft.\nOb die Vorticellen Nerven besitzen\u2019, ist wohl sehr zweifelhaft: von der Glocke bis zum Ende des Stiels l\u00e4uft gewiss kein Nerv herab, wollte man dort einen annehmen, so w\u00e4re dies eine reine, durch Nichts gest\u00fctzte Hypothese. Von welcher Stelle die Contraction ausgehe, kann nicht zweifelhaft sein, da nur von der Glocke aus der Wille des Thieres wirkt, mithin also wohl auch von der Glocke aus der erste Anfang der Contraction beginnen muss. Im Allgemeinen geschieht das Zusammenschnellen der Stiele so rasch, dass man nicht \u00fcbersehen kann, wo der Process seinen Anfang nimmt, der gleicbm\u00e4ssig in allen Punkten zu-","page":832},{"file":"p0833.txt","language":"de","ocr_de":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen u. s. w. 833\ngleich einzutreten scheint. Czermak hat zwar empfohlen, dem Wasser eine sehr verd\u00fcnnte Sublimatl\u00f6sung zuzusetzen, um damit die Bewegungen zu verlangsamen; ich konnte damit nur erreichen, dass das Abwickeln der contrahirt gewesenen Stiele bei der Erschlaffung langsamer geschah, w\u00e4hrend die Contraction selbst nicht merklich verlangsamt wurde. Der Sublimat erzeugt sp\u00e4ter eine Erstarrung, und deshalb kann es kommen, dass der untere Theil des Stiels z. B. sich nicht mehr bewegt, w\u00e4hrend der obere Theil dann noch schwache Contractionen darbietet, welche zwar nicht an Geschwindigkeit verloren haben, wohl aber weniger energisch sind, so dass keine vollst\u00e4ndige Aufrollung zu Stande kommt.\nDa das Erschlaffen der Stiele nicht mit der Geschwindigkeit geschieht, wie die Contraction, so kann man allerdings h\u00e4ufig sehen, dass das Thier bald das Glockenende des Stieles zuerst ausrollt, bald das haftende, ja [sehr h\u00e4ufig bleibt es l\u00e4ngere Zeit in einem solchen Zustande liegen, so dass man vollkommen lebhafte Vorticellen findet, bei welchen der Stiel an der Haftstelle aufgerollt ist, von da bis zur Glocke aber gestreckt, oder bei welchen der Stiel an der Glocke in einigen Windungen zusammengedreht ist, w\u00e4hrend von da bis zur Haftstelle der Stiel gerade gestreckt liegt. Ich habe indessen auch bei der Contraction gesehen, dass nur das Haftende sich verk\u00fcrzte, und umgekehrt, dass milder der Glocke nahe Theil auf eine kurze Strecke zusam-mengerollt wurde. In keinem Falle konnte ich aber erkennen, ob diese locale Contraction immer von der Glocke nach dem anderen Ende fortging. Sicher ist nur, dass der Stiel ohne Nervenvermittlung von einem Ende zum anderen contrahirt werden kann, und es muss unsere besondere Aufmerksamkeit erregen, dass das Thier durch einen erschlafften Theil hindurch, einen weiter von seinem \u201eMotorium\u201c (?) entfernt liegenden Abschnitt zu beherrschen vermag, eben so wie es auffallen muss, dass es durch einen contrahirten Theil hindurch einen entfernteren Theil, der ebenfalls contrahirt war, erschlaffen lassen kann. Der innere Molecularvorgang","page":833},{"file":"p0834.txt","language":"de","ocr_de":"834 W. K\u00fchne; Untersuchungen \u00fcber Bewegungen n. s. w.\nzeigt sich hier so unendlich eomplicirt, dass seine Enth\u00fcllung wohl als eine w\u00fcrdige Aufgabe menschlichen Scharfsinns hingestellt werden darf.\nOb alle Bewegungen der Vorticellen oder \u00fcberhaupt der entwickelteren Infusorien von einer wahren Muskelsubstanz abzuleiten sind, das muss als eine unerledigte Frage betrachtet werden. Mir scheint es nicht unwahrscheinlich, dass einige Bewegungen an gewissen K\u00f6rpertheilen, wie Dujardin voraussetzte, von einer der Sarkode \u00e4hnlichen Substanz herr\u00fchren. Die Erw\u00e4rmung auf 35\u00b0 C. giebt ein Mittel an die Hand, dies zu entscheiden, da bei dem Vorkommen von Sarkode die dadurch bewirkten Bewegungen zur Ruhe gebracht werden m\u00fcssen. In mehreren Versuchen schien es mir, als ob manche Bewegungen an gewissen Theilen der Vorticellenglocke aufh\u00f6rten; jedenfalls wird die Wimperbewegung schon bei 35\u00b0 C. bedeutend beeintr\u00e4chtigt. Ob die Bewegung aller Flimmercilien hierauf beruht, weiss ich nicht, man kann sich aber sehr leicht \u00fcberzeugen, dass von 2 H\u00e4lften einer Froschzunge, auf welchen man vorher die Bewegung der Flimmerzellen constatirte, diejenige sehr bald gar keine Bewegung mehr zeigt, welche in Wasser von 35\u00b0 C. kurze Zeit verweilte, w\u00e4hrend die im kalten Wasser bewahrte noch sehr lange das Ph\u00e4nomen darbietet. Vielleicht steht hiermit die Beobachtung von Billroth im Zusammenh\u00e4nge, welcher Flimmerzellen sah, die von Zeit zu Zeit langsam alle Cilien in sich hineinzogen, so dass das Flimmern gehemmt wurde. Ein ganz \u00e4hnliches Aussehen bieten die auf 35\u00b0 erw\u00e4rmten Pr\u00e4parate dar.\nDie Bewegungen der Sarkode und die Flimmerbewegung1) nebst der der Samenf\u00e4den sind nach Allem Angef\u00fchrten\n1) Virchow\u2019s Entdeckung, \u00fcber die Wiederbelebung der Flim-merzeilen mittelst Alkalien scheint zwar auf eine Reizbarkeit im Sinne der Muskelirritabilit\u00e4t zu deuten. Die Differenz ist aber in anderer Beziehung sehr bedeutend, da die energischsten Muskelreize, die sehr verd\u00fcnnten S\u00e4uren, sowie das Ammoniak, wie ich mich mehrfach \u00fcberzeugte, keine R\u00fcckkehr oder Beschleunigung der Flimmerbewegung hervorrufen.","page":834},{"file":"p0835.txt","language":"de","ocr_de":"Otto Funke: Ueber die Reaction der Nervensubstanz. 835\ndurchaus von den wahren Muskelbewegungen zu trennen. Die letztere muss dagegen als ein Attribut aller thierischen Wesen, vom Menschen bis auf die Infusorien hinab, betrachtet werden.\nParis, den 10. August 1859.\nUeber die Reaction der Nervensubstanz.\nVon\nOtto Funke.1)\nDie mannichfaehen fruchtreichen Untersuchungen, welche in neuerer und neuester Zeit zur L\u00f6sung des wichtigsten thierisch-physiologischen Problems, der Frage nach dem Wesen der Nerven- und Muskelth\u00e4tigkeit, oder wenigstens zur Beschaffung einer exacten Unterlage f\u00fcr eine k\u00fcnftige L\u00f6sung desselben angestellt worden sind, haben eine \u00fcberraschende vielseitige Analogie in dem physikalischen, chemischen und physiologischen Verhalten des Muskels und des Nerven constatirt. Ich erinnere an die vollst\u00e4ndige Ueber-einstimmung des elektromotorischen Verhaltens beider Gebilde in der Ruhe und in der Th\u00e4tigkeit, an die gleiche innige Beziehung der elektromotorischen Kraftentwicklung zur Leistungsf\u00e4higkeit bei beiden. Ich erinnere ferner an das im Wesentlichen \u00fcbereinstimmende Verhalten beider gegen die als Reize bezeichneten Agentien, welches freilich nur dann als Beweis f\u00fcr die in Rede stehende Analogie in Betracht kommt, wenn, wie es jetzt ernstlich den Anschein gewinnt, nach langem f\u00fcr und wider gef\u00fchrten Kampfe die Existenz einer selbst\u00e4ndigen Muskelirritabilit\u00e4t zweifellos erwiesen\n1) Von Hin. Prof. Funke aus den Berichten der K\u00f6n. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften (Mathematisch-physische Classe. Sitzung am 13. August 1859. S 161 ff.) zum Abdruck mitgetbeilt.","page":835},{"file":"z0017tablexvii.txt","language":"de","ocr_de":"7/,/JW\n//TZ\u00efuJtsre d<rl\nIPhcrmscA\u00fb\u00e0er.rc.\n\t\t\nKJ\u2014 T)\tSE \u2014\u2014E\t\tf\n\t\u2019\t\n\ttttj\u2014\t\n;.IG-\t\t\n\t\u2022\t\nTTT-.\t;f\u00e7\u2014\t\n\t..'. ....\t\n\t\u25a0^r-1\n\t\n\t\u2014r-l","page":0}],"identifier":"lit1938","issued":"1859","language":"de","pages":"564-642,748-835","startpages":"564","title":"Untersuchungen \u00fcber Bewegungen und Ver\u00e4nderungen der contraktilen Substanzen","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:29:51.494374+00:00"}