Open Access
{"created":"2022-01-31T14:26:21.482877+00:00","id":"lit19551","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Cohnheim, Otto","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 80: 95-112","fulltext":[{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion,\nVon\nOtto Cohnheim (Heidelberg).\n(Aus der zoologischen Station in Villefranche.) (Der Redaktion zugegangen am 1. Juli 1012.)\nDie Bowman-Heidenhainsche Theorie der Nieren-Sekretion besagt bekanntlich, da\u00df das Wasser des Harns in der Hauptsache in den Glomerulis abgeschieden wird und die spezifischen harnf\u00e4higen Bestandteile in den Harnkan\u00e4lchen' Diese Hypothese ist seit den Experimenten R. Heidenhains und seit seiner klassischen Darstellung1) fast allgemein angenommen worden, Sie erkl\u00e4rt alle Erscheinungen, steht mit keiner Tatsache in Widerspruch und bedarf keiner Hilfsannahmen. Sie ist so gut wie bewiesen.2) Auch an einer weiteren Auseinandersetzung Hei denhains, da\u00df die Absonderung durch eine T\u00e4tigkeit des Protoplasmas geschehe und nicht etwa durch Filtration und Osmose, wird heute niemand mehr zweifeln. Eine gro\u00dfe Schwierigkeit hat aber jede Theorie der Nierensekretion, die f\u00fcr das Wasser und f\u00fcr die im Wasser gel\u00f6sten Stoffe einen getrennten Ausscheidungsort annimmt, darin, da\u00df sie dann annehmen mu\u00df, da\u00df die harnf\u00e4higen Bestandteile in einer sehr konzentrierten L\u00f6sung die absondernde Zelle passieren. Die Niere mu\u00df ja ohnedies gro\u00dfe osmotische Druckdifferenzen schaffen, da einzelne der Harnbestandteile im Harn in unvergleichlich viel h\u00f6herer Konzentration Vorkommen als im Blute. Geht die Absonderung nun so vor sich, da\u00df die Hauptmenge des Wassers in den Glomerulis das Blut verl\u00e4\u00dft, so kommen\n*) R. Heidenhain, Hermanns Handbuch der Physiol., Bd. 5, Abt 1, S. 279ff., 1883.\n*) R. Magnus, M\u00fcnch, med. Wochenschrift, 1906, Nr. 28, 29. Opprnheimers Handbuch der Biochemie, Bd. 3, 1. H\u00e4lfte, S. 477, 1908,","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\tOtto Cohnheim,\nf\u00fcr die Zellen der Harnkan\u00e4lchen ganz riesige Druckwerte heraus, Druckwerte, von denen man sich scheut, anzunehmen, da\u00df tierische Zellen sie vertragen. Auf Grund von Farbstoffversuchen ist zuerst von Gurwitsch,1) dann auf Grund eingehender Studien von H\u00f6her2) angenommen worden, da\u00df die harnf\u00e4higen Stoffe erst in Vakuolen gespeichert werden, und dann in diesen Vakuolen durch die Zelle gehen. Dann m\u00fcssen die Vakuolen aber eben eine sehr konzentrierte L\u00f6sung enthalten, was ebenso zu Bedenken Anla\u00df gibt, Wie wenn man sich vorstellen wollte, die L\u00f6sung der harnf\u00e4higen Bestandteile str\u00f6me diffus durch das Protoplasma hindurch.\nMan kann nun aber noch eine ganz andere Annahme machen, da\u00df die harnf\u00e4higen und die zur Sekretion bestimmten Stoffe n\u00e4mlich garnicht in L\u00f6sung die Nierenzelle passieren, sondern da\u00df sie von dem Protoplasma chemisch gebunden, d. h. aus der L\u00f6sung ausgef\u00e4llt, in der Zelle gespeichert und nachher wieder in L\u00f6sung gebracht und sezerniert werden. Da\u00df eine Speicherung in der Nierenzelle statthat, das geht aus R. Heidenhains, Gurwitschs, H\u00f6bers Versuchen hervor und ebenso aus den Angaben von Kowalewsky3) und anderen Zoologen4) \u00fcber die Nieren mancher Wirbellosen. Denn sowohl bei Heidenhain und H\u00f6her wie bei Kowalewsky sieht man die Nieren intensiv gef\u00e4rbt, viel intensiver, als nachher der Harn ist, und das bedeutet ja eine Speicherung. F\u00fcr diese Annahme k\u00f6nnte man auch Arnolds5) Beobachtungen \u00fcber gef\u00e4rbte Granula in der Nierenzelle verwerten. Doch ist es einstweilen wohl kaum m\u00f6glich, \u00fcber den Aggregatzustand der Granula etwas N\u00e4heres auszusagen. Auch sieht man bei allen diesen Versuchen die Niere nicht in vivo, und ich versuchte daher, ob es nicht m\u00f6glich sei, an lebenden Tieren das Ge-\n.* *) R. Gurwitsch, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 91, S. 71 (1902).\n*) R. H\u00f6her u. A. K\u00f6nigsberg, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 108, S. 323 (1905); R. H\u00f6her u. F. Kempner, Bioch. Zeitschr., Bd. 11, S. 105 (1908k R. H\u00f6her, ibid., Bd. 20, S. 56 (1909).\t\u00c4\n^\t*) A, Kowalewsky, Biol. Zentralbl., Bd, 9, S. 33 u. 65 (1889).\n.\t4) L. Cu\u00e9not, Arch. d. Biol., Bd. 16, S. 49 (1900); P. Em\u00e8l-\njanenko, Zeitschr. f. Biol, Bd. 58, S, 81 (1912).\nfi) J. Arnold, Virchows Arch., Bd. 169, S. 1 (1902).","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nitrensekretion.\t97\nschehen in der Niere, den Durchgang der Stoffe, durch das Protoplasma direkt zu beobachten. Ich habe an den durchsichtigen Heteropoden, frei schwimmenden Meeresschnecken, Pterotrachea und Carinaria experimentiert.\nDie Versuche wurden im April ds. Js. in der russischen zoologischen Station in Villefranche bei Nizza ausgef\u00fchrt und ich m\u00f6chte auch an dieser Stelle nicht verfehlen, dem Leiter der Station Herrn Prof. v. Davidoff und den \u00fcbrigen Herren der Station meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Die Station in Villefranche enth\u00e4lt nicht, wie die in Neapel, ein physiologisches und physiologisch-chemisches Laboratorium, dessen bedurfte ich aber dieses Mal f\u00fcr meine Versuche auch nicht. Daf\u00fcr ist die Station seit den Zeiten von Karl Vogt f\u00fcr die Reichhaltigkeit des pelagischen Materials ber\u00fchmt und auch ich erhielt die Heteropoden in reichlicher Menge. Der Aufenthalt in Villefranche wurde mir durch eine Zuwendung der medizinischen Fakult\u00e4t Heidelberg aus der Walter-Erb-Stiftung erm\u00f6glicht, wof\u00fcr ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank sage.\nDie Heteropoden sind gro\u00dfe frei schwimmende Nacktschnecken, die sich, wie die meisten pelagischen Tiere, durch ihre Durchsichtigkeit auszeichnen. Bei ihnen ist die Durchsichtigkeit trotz ihres komplizierten Baues so vollkommen, wie etwa bei den brechenden Medien des Auges, und man sieht die Tiere im Seewasser zun\u00e4chst kaum. Undurchsichtig sind nur die ziemlich gro\u00dfen Augen und der von einer derben irisierenden H\u00fclle umgebene Nucleus am hinteren K\u00f6rpeftende. der der Leber oder Mitteldarmdr\u00fcse der anderen Mollusken entspricht. Die Anatomie der auffallenden Tiere ist oft untersucht worden. Ich nenne nur Leuckart,1) Boll,2 3) Huxley2) und vor allem die ber\u00fchmte Untersuchung von Gegenbaur.4)\n*) R. Leuckart, Leuckarts Zoologische Untersuchungen, Heft 3, S. 1, 1854.\n*) F. Boll, Arch. f. mikrosk. Anatomie, Bd. 5, Supplementheft.\n3)\tT. H. Huxley, Philos. Transakt., 1853, Bd. 1, S. 29.\n4)\tC. Gegenbaur, Untersuch, \u00fcber die Pteropoden und Heteropoden. Leipzig 1855.\nHoppe-Seyler\u2019s Zeitschrift f. physiol. Chemie. LXXX.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\tOtto Cohnheim,\nPhysiologisch ist dagegen wenig mit ihnen gearbeitet worden. Tschachotin1) hat die Abh\u00e4ngigkeit der Bewegungen und des Tonus der Tiere von der Statocyste untersucht, Rywosch* *) das Herz.\nPterotrachea ist walzenf\u00f6rmig, etwa 15\u201420 cm lang und reichlich daumendick. Das vordere K\u00f6rperende ist verschm\u00e4lert und in einen langen, sehr beweglichen R\u00fcssel ausgezogen, die Fischer nennen dieTiere recht treffend See-Elefanten. Der R\u00fcssel tr\u00e4gt an seiner Spitze einen sehr kr\u00e4ftigen und vollkommenen Kauapparat; von ihm aus l\u00e4uft der Darmkanal als ein gleichm\u00e4\u00dfig weites Rohr durch R\u00fcssel und K\u00f6rper bis zu dem oben erw\u00e4hnten undurchsichtigen Nucleus, in den der Darm ein-tritt, am anderen Ende des Nucleus liegt der After. Der Darm l\u00e4uft, durch wenige Aufh\u00e4ngef\u00e4den befestigt, frei durch die Leibesh\u00f6hle und ist in ihr sehr beweglich.\nDas Zirkulationssystem besteht, wie bei allen Mollusken, aus gro\u00dfen Blutlakunen, die zum Teil mit der Leibesh\u00f6hle zusammenfallen, aus denen das Herz durch Venen das Blut aufnimmt und in die es durch Arterien das Blut hereinpumpt. Ein besonderes K\u00e4pillarsystem fehlt wenigstens bei den Verdauungsorganen. Ich habe schon bei fr\u00fcherer Gelegenheit3) darauf hingewiesen, da\u00df dieses eigenartige Verhalten die Mollusken besonders geeignet f\u00fcr Untersuchungen am \u00fcberlebenden Organ macht. Das Herz besteht aus Vorhof und Ventrikel. Es ist ebenso durchsichtig wie das \u00fcbrige Tier, und man kann s\u00e9ine Bewegungen daher vortrefflich sehen. Bei frischen Tieren habe ich in \u00dcbereinstimmung mit Rywosch 50\u201460 Pulse in der Minute gez\u00e4hlt, bei gr\u00f6\u00dferen Exemplaren etwas weniger als bei kleiner\u00e9n. \u2014 Am hinteren K\u00f6rperende sind Kiemen vorhanden, zu denen besonders starke Arterien verlaufen. Das Nervensystem, das man ebenfalls bei dem lebenden unversehrten Tier sehen, das man auch vital gut f\u00e4rben kann, ist oft beschrieben worden.\nSehr eigent\u00fcmlich erscheint auf den ersten Blick das\n*) S. Tschachotin, Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 90, S. 343,1908.\n*) D. Rywosch, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 109, S. 355, 1905.\n*) 0. Cohnheim, Zeitschr, f. phys. Chem., Bd. 35, S. 416, 1902.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion..\t99\nAusscheidungsorgan, die Niere. Neben dem Herzen dicht am Nucleus befindet sich ein \u00abschwammiges\u00bb Organ, das den Teil der Wand einer kontraktilen Blase bildet, die durch einen Ausf\u00fchrungsgang nach der \u00e4u\u00dferen K\u00f6rperoberfl\u00e4che m\u00fcndet. Schon fr\u00fcher ist dieses Organ f\u00fcr eine Niere erkl\u00e4rt worden, sp\u00e4ter hat man das aber bestritten, weil man sich eine kontraktile Niere schwer vorstellen konnte.1) Ich werde aus* einanderzusetzen haben, da\u00df die Kontraktilit\u00e4t der Nierenblase im Gegenteil sehr gut zu ihrer Funktion pa\u00dft.\nIm Gegensatz zu Pterotrachea besitzt Carinaria eine kleine Schale, in der die Leber, die Niere, die Kiemen und das Herz liegen, und die nur durch einen d\u00fcnnen Stiel mit dem \u00fcbrigen K\u00f6rper zusammenh\u00e4ngt. Bei kleineren Exemplaren ist* diese Schale recht durchsichtig, soda\u00df man die Organe gut sehen kann, bei gr\u00f6\u00dferen nicht so vollkommen. Der R\u00fcssel ist viel k\u00fcrzer und das ganze Tier ist gedrungener gebaut.\nWie alle pelagischen Tiere sind die Heteropod\u00e8n in der Gefangenschaft leider schlecht zu halten. Das Wasser der Aquariumsleitung scheint ihnen nicht zutr\u00e4glich zu sein, aber auch in reinem Seewasser, bei guter F\u00fctterung und Sauerstoff-zufubr durch Algen, waren sie am zweiten Tage im allgemeinen nie mehr normal. Rywosch hat beschrieben, da\u00df die Tiere, wenn ihre Vitalit\u00e4t abnimmt, eine deutliche Pulsverlangsamung zeigen. Aber schon ehe der Puls deutlich langsamer wird, sind die Bewegungen der Tiere matter, und die Nahrungsaufnahme ist gest\u00f6rt. Die gleich zu beschreibenden Pre\u00dfreflexe sind ausl\u00f6sbar und die R\u00fcsselbewegungen werden ausgef\u00fchrt, aber so kraftlos, da\u00df die Nahrung nicht mehr ergriffen wird. Nur Carinaria habe ich am zweiten Tag noch f\u00fcttern k\u00f6nnen. Zu Versuchen eignen sich die Tiere daher nur an dem Tage, an dern sie eingebracht werden.\nDer Plan meiner Untersuchung war nun, den Tieren Farbstoffe beizubringen. Ich wollte sie aber nicht, wie dies seit Kowalewsky oft geschehen ist, injizieren, sondern wollte sie verf\u00fcttern, um die Resorption, den Weg durch den K\u00f6rper und\n\u2019) L. Joliet, C. r., Bd. 97, S. 1078, 1883. D. Rywosch, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 109, S. 355, 1905.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\tOtto Cohnheim,\ndie Ausscheidung am lebenden unversehrten Tiere sehen zu k\u00f6nnen. Die Art des Zerkleinerns der Nahrung durch den Kauapparat ist von Gegenbaur genau beschrieben worden und die Tiere werden allgemein als gefr\u00e4\u00dfige R\u00e4uber bezeichnet, doch hat noch niemand die Reflexe der Nahrungsaufnahme beschrieben und ich habe daher diese zun\u00e4chst studiert, wobei sich erwies, da\u00df hier Verh\u00e4ltnisse vorliegen, wie sie bei freischwimmenden Tieren noch nicht beobachtet worden sind.\nChemische Reize kommen f\u00fcr die Nahrungsaufnahme nicht in Betracht, Ich habe niemals beobachten k\u00f6nnen, da\u00df die Tiere etwa nach einem St\u00fcck Fischfleisch oder irgend einem anderen Tiere hingeschwommen sind; auch wenn es noch so l\u00e4nge dicht vor ihnen liegt, reagieren sie nicht darauf. Auch optische Reize kommen f\u00fcr die Nahrungsaufnahme nicht in Betracht. Tschachotin hat beobachtet, da\u00df die Tiere durch pl\u00f6tzliches helles Licht zum Fortschwimmen veranla\u00dft werden. Auf Beschattung dagegen, auf die Ann\u00e4herung gr\u00f6\u00dferer oder kleinerer K\u00f6rper im Wasser oder \u00fcber dem Wasser ihrer Bassins reagieren sie garnicht, weder durch einen Fluchtreflex noch durcli \u00c4nderungen der Bewegungsrichtung. Wenn man es popul\u00e4r ausdr\u00fcckt, so kann man sagen, die Tiere sind nicht scheu, was das Arbeiten mit ihnen nat\u00fcrlich sehr erleichtert. Die Nahrungsaufnahme wird nur durch zwei Tangorezeptionsorgane vermittelt. Das eine liegt an der Basis des R\u00fcssels auf der Dorsalseite des K\u00f6rpers vor den Augen, da, wo der K\u00f6rper einige leichte f\u00fchlerartige oder bucklige Vorw\u00f6lbungen tr\u00e4gt. Bei dem gew\u00f6hnlichen Schwimmen dieser Tiere ist dieser Teil die vorderste Stelle des K\u00f6rpers. Auf die Ber\u00fchrung dieser Stelle f\u00fchrt der R\u00fcssel eine kr\u00e4ftige und schnelle Bewegung aus, die seine Spitze in gro\u00dfem Bogen gerade an den Reizort hinf\u00fchrt. Sobald die Bewegung vollendet ist, schnappt der Mund zu und der Kauapparat beginnt seine T\u00e4tigkeit. Das zweite Tangorezeptionsorgan liegt am distalen Ende des R\u00fcssels, dicht an dem Kauapparat auf derselben, physiologisch dorsalen oder oberen Seite, wie das andere Rezeptionsorgan. Auf seine Ber\u00fchrung f\u00fchrt nur die R\u00fcsselspitze mit der Mund\u00f6ffnung eine Bewegung aus und beschreibt einen ganz kurzen Kreisbogen, der die Mund-","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion.\t101\n\u00d6ffnung wieder mit gro\u00dfer Sicherheit unmittelbar vor das Rezeptionsorgan, also an die Reizstelle bringt. Auch diese Bewegung endet mit einem Bi\u00df und ein Bi\u00df findet nur statt, wenn eine der beiden R\u00fcsselbewegungen vorhergegangen ist. Nur wenn man den Tieren etwas in die ge\u00f6ffnete Mund\u00f6ffnung hineinschiebt, kann man auch ein Zufassen ohne vorherige R\u00fcsselbewegung sehen. Es kann das aber, da die Mund\u00f6ffnung ohnehin nie lange aufbleibt, auch wohl ein zuf\u00e4lliger Schlu\u00df sein. Das normale Ergreifen der Nahrung findet jedenfalls nur im Anschlu\u00df an die R\u00fcsselbewegungen statt.\nIch habe mich besonders \u00fcberzeugt, da\u00df die beiden Organe wirklich nur ber\u00fchrungsempfindlich sind und nicht etwa auf chemische Reize reagieren. Auf Ber\u00fchrung mit einem sorgf\u00e4ltig gereinigten und ausgegl\u00fchten Glasstab oder mit einem St\u00fcckchen reinem Filtrierpapier reagieren sie genau so gut wie auf Fischfleisch. Die Unterschiedslosigkeit der Reaktion auf jede Ber\u00fchrung ist mit ein Grund, weshalb sich die Tiere in der Gefangenschaft so schlecht halten, da\u00df sie bei ihrem schnellen Herumschwimmen an die Glaswand des Aquariums ansto\u00dfen und dann jedesmal zubei\u00dfen. Wirft man in das Bassin eine gr\u00f6\u00dfere Anzahl von Algenbl\u00e4ttern, die niemals normale Nahrung sind, so zappeln sich die Tiere mit fortw\u00e4hrendem Zubei\u00dfen in die Bl\u00e4tter solange ab, bis sie v\u00f6llig ersch\u00f6pft daliegen. \u2014 Sobald der R\u00fcssel in seine Ruhestellung zur\u00fcckgelangt ist, l\u00e4\u00dft sich der Reflex von neuem ausl\u00f6sen und beliebig oft wiederholen. Dagegen hebt der Fluchtreflex die Fre\u00dfreflexe auf. Ebenso treten sie nicht ein, wenn das Tier eben vorher Nahrung ausgespieen hat. Die R\u00fcsselspitze ist reichlich mit Nerven versorgt und auch an die Stelle des anderen Rezeptionsorganes laufen nach der anatomischen Beschreibung kr\u00e4ftige Nervenst\u00e4mme. Boll1) beschreibt becherf\u00f6rmige Sinneszellen an der R\u00fcsselspitz\u00e8. Die eigentliche Spitze ist durch den Kauapparat besetzt. Es ist nicht unm\u00f6glich, da\u00df er gerade die Stelle dieses Rezeptions-Organes in den H\u00e4nden gehabt hat. Mit Sicherheit geht das freilich aus seiner Beschreibung und seinen Abbildungen nicht hervor.\n\u2018) F. Boll, a. a. O., S. 59.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"*P?\tOtto Cohnheim,\nJeder der beiden Reflexe endet immer mit einem Bi\u00df. Das weitere Verhalten des Tieres ist dann aber verschieden. Trifft es bei dem Bi\u00df auf einen gro\u00dfen Gegenstand, so schlie\u00dft sich an den Bi\u00df ein Fluchtreflex. Das Tier macht eine heftige schlenkernde Bewegung mit dem ganzen K\u00f6rper, wodurch es r\u00fcckw\u00e4rts fortgetrieben wird, h\u00e4ufig dreht es um und schwimmt daun schnell weg, wobei der Ruderfu\u00df und die Muskeln des K\u00f6rpers lebhafte Bewegungen ausf\u00fchren. Es scheint nicht die H\u00e4rte des getroffenen K\u00f6rpers zu sein, die den Fluchtreflex ausl\u00f6st, denn in die Pinzette bei\u00dft das Tier herein und h\u00e4lt sie fest, sondern es ist anscheinend die Gr\u00f6\u00dfe der Fl\u00e4che, die wirksam ist, Glaswand, Hand usw., vermutlich dadurch, da\u00df der Gegenstand nicht in die Mund\u00f6ffnung hereingeht, sondern sie rings umragt. \u2014 Trifft der Bi\u00df dagegen einen kleinen Gegenstand, so tritt nun der Kauapparat in T\u00e4tigkeit und hier bestehen dann wieder zwei M\u00f6glichkeiten, indem das, was in die Mund\u00f6ffnung hereinger\u00e4t, entweder gekaut und verschluckt oder ausgespieen wird. Im Munde liegt hier ein chemisches Rezeptionsorgan oder Geschmacksorgan. Frisches Fischfleisch wird immer geschluckt, ebenso das Fleisch vieler anderer Seetiere, auch Fleisch von S\u00e4ugetieren. Dagegen wird Fischfleisch, das einige Stunden gelegen hat, f\u00fcr menschliche Nasen aber noch, nichts \u00dcnange-nehmes zeigt, jedesmal ausgespieen. Filtrierpapier wird ausgespieen und ebenso Algen. Von den Farbstoffen wird ein Teil aufgenommen, ein Teil ausgespieen ; Nilblau-Chlorhydrat wird aufgenommen, Nilblausulfat ausgespieen. Es ist das interessant, da die Sulfate ja auch f\u00fcr unseren Geschmackssinn bitter sind. Gallehaltiges Fischfleisch wird ebenfalls ausgespieen. \u2014 Gr\u00f6\u00dfere Fleischst\u00fccke werden allm\u00e4hlich in die Mund\u00f6ffnung herein-gezogen und dabei durch den Kauapparat zerkleinert. Es ist erstaunlich, wie gro\u00dfe St\u00fccke auf diese Weise schlie\u00dflich langsam bew\u00e4ltigt werden. Ist das gefa\u00dfte St\u00fcck sehr gro\u00df, soda\u00df es teilweise in der Mundh\u00f6hle ist, z. T. heraush\u00e4ngt, so kann auch noch nachtr\u00e4glich der Fluchtreflex ausgel\u00f6st werden und bei der pl\u00f6tzlichen Bewegung dieses Reflexes wird dann das zun\u00e4chst gefa\u00dfte St\u00fcck bisweilen noch losgerissen, soda\u00df der Fluchtreflex dann im Dienste der Nahrungsaufnahme steht.","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion.\t103\nIst ein St\u00fcck Fleisch gefressen, so kann man nun die ganze Bewegung des Darmkanals, die Verfl\u00fcssigung des Eiwei\u00dfes und den Forttransport bei den durchsichtigen Tieren aufs sch\u00f6nste sehen und es gew\u00e4hrt f\u00fcr den Physiologen, der sich mit Verdauungsphysiologie besch\u00e4ftigt, einen eigenen Reiz, alle die Dinge direkt sehen zu k\u00f6nnen, deren Vorhandensein man sonst erschlie\u00dfen mu\u00df. Man kann die Gr\u00fctznersche Fibrin-carminreaktion am Lebenden ausf\u00fchren, die Reaktion der Verdauungssekrete ohne jeden Eingriff bestimmen usw. \u2014 Wird ein St\u00fcck Fischfleisch, das man in fein zerriebenem Indigkarmin gew\u00e4lzt hat, verf\u00fcttert, so sieht man 1 Minute, nachdem es aus dem Kauapparat herausgetreten ist, wie der bis dahin leere und zusammenliegende Darmkanal sich mit Fl\u00fcssigkeit f\u00fcllt. Die Fl\u00fcssigkeit str\u00f6mt nach vorne, umflie\u00dft das St\u00fcck Fleisch und f\u00e4rbt sich bald blau. Sehr bald darauf rutschen Fleisch und Fl\u00fcssigkeit den Darm entlang. Einmal habe ich ein St\u00fcck Fleisch 4 Minuten nach dem Fressen am Ende des Darms an der Leber ankommen sehen. Meist dauert es einige Minuten l\u00e4nger. Von Bewegungen des Darmes sieht man bisweilen peristaltische Einschn\u00fcrungen, die \u00fcber den Darm hinablaufen, h\u00e4ufiger sieht man gro\u00dfe Bewegungen, die so aussehen, wie ich mir die Pendelbewegungen vorstelle, die Fl\u00fcssigkeiten in 4 Minuten durch die ganze L\u00e4nge des Hunded\u00fcnndarms hindurchtreiben, und die haupts\u00e4chlich auf einer Verk\u00fcrzung der L\u00e4ngsmuskeln \u00fcber eine gro\u00dfe Strecke hin bestehen. Auch Hin-und Herfluten des Darminhaltes sieht man oft, dagegen habe ich nie etwas gesehen, das den rhytmic segmentations entspricht, den Misch- und Knetbewegungen. Der ganze Darmkanal, von der .Mund\u00f6ffnung bis zur Leber, ist durchaus eine Einheit, Scheidungen in verschiedene Abschnitte sind nicht vorhanden, das Hin- und Herfluten geht unterschiedslos \u00fcber die ganze Darml\u00e4nge hin. Unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme bewegt sich der Darm etwa eine Stunde lang sehr lebhaft, sp\u00e4ter sieht man nur seltene und schwache Bewegungen. Jeder neue Fre\u00dfakt l\u00e4\u00dft die Bewegungen aber in voller St\u00e4rke von neuem beginnen, also eine \u00ab psychische Motilit\u00e4t \u00bb wie beim h\u00f6heren Tiere. Der Darm mu\u00df ein sehr wirksames eiwei\u00dfl\u00f6sendes Ferment","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"W*.\tOtto tohnheim,\nenthalten, da das Fischfleisch sich rasch aufl\u00f6st. Die Reaktion ist auf Lackmus stark sauer und zwar in der ganzen L\u00e4nge des Darmkanals, Kongorot n\u00e4hert sich dem Violett, wird aber nicht eigentlich blau. Wenn man die Empfindlichkeit des Kongorots f\u00fcr s\u00e4ure Reaktion erh\u00f6ht, indem man das Fleisch nicht in Kongorotpulver legt, sondern eine Aufschwemmung der Kongos\u00e4ure in Seewasser, so wird die Blauf\u00e4rbung im Darm deutlich. Die Reaktion scheint an der Grenze der Kongoacidit\u00e4t zu sein. Der Darminhalt tritt mit saurer Reaktion in die Leber ein. Hier ist nun nichts mehr zu sehen, fr\u00fchestens nach zwei Stunden, meist sp\u00e4ter, wird am anderen Ende der Leber gef\u00e4rbter Kot entleert.\nCarinaria verh\u00e4lt sich in den Hauptpunkten wie Ptero-trachea. Der R\u00fcssel ist aber viel k\u00fcrzer und es existiert nur ein ber\u00fchrungsempfindliches Rezeptionsorgan, auf dessen Reizung der Bi\u00df erfolgt. Das Organ liegt etwa in der Mitte des kurzen R\u00fcssels. Carinaria bei\u00dft auch ohne diesen Reflex zu, wenn man etwas direkt in die Mund\u00f6ffnung hereinschiebt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, da\u00df Carinaria einen Magen besitzt. Wenigstens mu\u00df man mit diesem Namen eine sackartige Erweiterung des Verdauungskanals bezeichnen, die kurz hinter dem Kauapparat beginnt, und in der das Gefressene lange liegen bleibt, um erst allm\u00e4hlich in L\u00f6sung zu gehen. Von ihm aus l\u00e4uft der Darm zur Leber. Bald nach dem Fre\u00dfreiz werden die in den Magen gelangenden Fleischst\u00fcckchen von einer Fl\u00fcssigkeit umflossen, die sie allm\u00e4hlich aufl\u00f6st, und vom Ende des Magens wird dann St\u00fcck auf St\u00fcck des Inhalts gewisserma\u00dfen abgepfl\u00fcckt und schnell den Darm entlang zur Leber transportiert. Im Magen sieht man kaum Bewegungen, im Darm ein Hin- und Herfluten, das sich auch bis in den Magen zur\u00fcck erstrecken kann. Die Reaktion ist im Magen wie im Darm sauer. Im Gegensatz zu Pterotrachea, bei der irgend welche feste K\u00f6rper, die den Kauapparat passiert haben, nicht wieder ausgesto\u00dfen werden k\u00f6nnen, kann Carinaria mit ihrem Magen erbrechen.\nEigenartig ist das Verhalten von Carinaria, wenn der Magen sich f\u00fcllt. Es ist schon oben erw\u00e4hnt, da\u00df man auch die vollgefressene Pterotrachea dauernd weiter f\u00fcttern kann.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion.\t' 105\nIch habe einmal gesehen, da\u00df der prall vollgestopfte Darm bei einem ungew\u00f6hnlich heftigen Fluchtreflex geplatzt ist. Carinaria h\u00f6rt dagegen bei einem bestimmten F\u00e4llungsgrade des Magens zu fressen auf, aber nicht, weil der Fre\u00dfreflex nicht'auszul\u00f6sen w\u00e4re, sondern aus einem eigent\u00fcmlichen mechanischen Grunde. Bei leerem Magen schwimmt das Tier mit erhobenem Kopf und R\u00f6ssel, soda\u00df das Tango-Rezeptionsorgan die vorderste Stelle des K\u00f6rpers bildet und bei dem normalen Schwimmen des Tieres leicht an Nahrung st\u00f6\u00dft. Ist der Magen dagegen voll mit Fleisch, das schwerer ist als Seewasser, so kippt das Tier nach vorne um, und wenn es nun vorw\u00e4rts schwimmt, so befindet sich der Tango-Rezeptor auf der R\u00fcckseite des K\u00f6rpers. Wenn man den Rezeptor ber\u00fchrt, so kann man sich gut davon \u00fcberzeugen, da\u00df der Fre\u00dfreflex nach wie vor auszul\u00f6sen ist und zum Ziele f\u00fchrt. Unter nat\u00fcrlichen Bedingungen d\u00fcrfte es aber bei dieser K\u00f6rperhaltung fast ausgeschlossen sein, da\u00df der Reflex ausgel\u00f6st wird. In dem Ma\u00dfe, wie sich der Magen entleert, richtet sich das Tier wieder auf. Wir wissen bekanntlich nicht, worauf Hunger und S\u00e4ttigung bei uns oder bei h\u00f6heren Tieren beruhen. Hier ist das Problem, bei Hunger das Fressen zu erleichtern und bei vollem Magen die. weitere Zufuhr zu verhindern, rein mechanisch gel\u00f6st.\nNach Feststellung dieser Tatsachen war es ein Leichtes, die Tiere mit Farbstoffen zu f\u00fcttern. Ich w\u00e4lzte St\u00fcckchen Fischfleisch in dem Farbpulver oder tr\u00e4nkte die Fleischst\u00fcckchen mit konzentrierten L\u00f6sungen der Farben. Glatt aufgenommen wurden Indigkarmin, Lakmus, Methylenblau, Nilblauchlorhydrat, Neutralrot, Kongorot, Benzopurpurin, Alizarin. Verweigert wurden Nilblausulfat, Karmin, Bismarckbraun, Pyrrolblau, Trypanblau und Trypanrot. \u2014 Die drei letzten Farben sind mir von der Firma Cassella in Frankfurt a. M. liebensw\u00fcrdigerweise zur Verf\u00fcgung gestellt worden, die anderen Farben stammten meist von Gr\u00fcbler.\nF\u00fcr meinen eigentlichen Zweck, den Durchtritt durch den Darm, die Verteilung im K\u00f6rper und die Ausscheidung durch die Niere, zu sehen, erreichte ich aber auf diesem Wege wenig, da die meisten der gefressenen Farbstoffe nicht oder nur in Spuren resorbiert wurden. Die Tiere entleerten stark gef\u00e4rbte","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"M6\tOtto Cohnheim,\nKl\u00fcmpchen Kot, aber weder das \u00fcbrige Tier noch die Niere f\u00e4rbten sich. Nur bei Methylenblau erhielt das ganze Tier einen blauen Schimmer, von dem sich die Nerven und die Kiemen st\u00e4rker blau gef\u00e4rbt abhoben. Das Tier ging nach einigen Stunden zugrunde, ohne da\u00df sich die F\u00e4rbung ver\u00e4ndert oder das Ausscheidungsorgan st\u00e4rker gef\u00e4rbt h\u00e4tte. Bei Indigkarmin f\u00e4rbten sich 10\u201420 Stunden nach reichlicher F\u00fctterung die Kiemen und das Ausscheidungsorgan schwach blau, aber mehr konnte man nicht sehen und zu dieser Zeit waren auch die Tiere schon nicht mehr normal.\nIch habe daher nun die Farbstoffe den Tieren injiziert und zwar in die bluthaltige Leibesh\u00f6hle, in die man mit einer Pravazschen Spritze mit Leichtigkeit herein kommt. Es ist oben erw\u00e4hnt, da\u00df eine Injektion in die Leibesh\u00f6hle einer intraven\u00f6sen Injektion beim h\u00f6heren Tiere gleichzusetzen ist. Bei der Auswahl der Farben konnte zun\u00e4chst \u00e0n vital f\u00e4rbende Farbstoffe gedacht werden, von denen ich auch mehrere gepr\u00fcft habe. F\u00fcr meinen eigentlichen Zweck, die spezifische Ausscheidung durch die Niere zu untersuchen, war es aber im allgemeinen zweckm\u00e4\u00dfiger, solche Farbstoffe zu nehmen, die nicht vital f\u00e4rben, d. h. die nicht beliebig in die Zellen einzudringen verm\u00f6gen. Worauf die M\u00f6glichkeit, vital zu f\u00e4rben, beruht, ist bekanntlich strittig. Ich verweise auf die Diskussion zwischen Overton,1) Ruhland,*) Garmus8) und H\u00f6her.4) Jedenfalls sind vitale Farbstoffe aber solche, die in die verschiedensten Zellen eindringen und in den verschiedensten Zellen Reaktionen eingehen k\u00f6nnen. F\u00fcr die Niere ist dagegen die besondere Affinit\u00e4t charakteristisch, solche Stoffe zu sezernieren, die an den anderen Organen Vorbeigehen. Es war von vornherein zu erwarten, da\u00df nicht vital f\u00e4rbende Farbstoffe ein klareres Resultat ergeben w\u00fcrden. Dazu k\u00f6mmty da\u00df es bei vielen vital f\u00e4rbenden Farben im Wesen der Sache liegt, da\u00df sie giftig sind,\n*) E. Overton, Pringsheims Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. 34,\ns.ees, 1899.\t\u2022\n\u2022) W. Kuhland, ibid., B. 46, S. 1, 1909.\n3)\tA. Garmus, Zeitschr. f. Biol., Bd. 58, S. 185, 1912.\n4)\tR. H\u00f6her, Biochem. Zeitschr., Bd. 20, S. 58 (1909).","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion.\t107\nda sie ja mit Zellbestandteilen Reaktionen eingehen. Gepr\u00fcft habe ich die Geeignetheit der Farben, um mein kostbares Material zu schonen, an Cymbulium und an Beroe. Trypanblau. Trypanrot und Nilblausulfat waren f\u00fcr die Heteropoden stark giftig. Es traten Kr\u00e4mpfe auf, oder das Tier nahm eine eigent\u00fcmliche gekr\u00fcmmte Zwangshaltung ein, in der es nach einiger Zeit zugrunde ging. Man kann dann nur sehen, da\u00df die Niere sich unvergleichlich viel st\u00e4rker f\u00e4rbt, als der \u00fcbrige K\u00f6rper* die Farben also speichert. Dasselbe war mit Karmin, Kongorot, Neutralrot, Alizarin und Indigkarmin der Fall, ln der Leibesh\u00f6hle beobachtete man eine schwache F\u00e4rbung, ebenso nach einiger Zeit im Herzen. Ganz intensiv dunkel wurde immer die Niere gef\u00e4rbt. Meist wurden au\u00dferdem die Kiemen stark gef\u00e4rbt. Es ist denkbar, wenn auch diese Frage bisher bei den Wassertieren kaum er\u00f6rtert wurde, da\u00df die Kiemen neben der Atmung auch der Ausscheidung von wasserl\u00f6slichen Stoffen dienen. Dagegen spricht es aber, da\u00df die Kiemen, dann wenn sie st\u00e4rker gef\u00e4rbt wurden, immer in einer eigent\u00fcmlichen Weise schrumpften und ihre normalen leisen Bewegungen einstellten, also jedenfalls deutlich gesch\u00e4digt waren.\nBei diesen Versuchen konnte man nun aber noch einiges Weitere beobachten, das zur Aufkl\u00e4rung der Funktion der He-teropodenniere dient. Ich sagte schon, da\u00df die Niere mit einer kontraktilen Blase verbunden ist, und da\u00df dies sonderbare Verhalten den fr\u00fcheren Beobachtern Schwierigkeiten verursacht hat. Das \u00abschwammige\u00bb Organ ragt in die kontraktile Blase herein und wird zun\u00e4chst mit Blut versorgt. Bei den Farbstoffinjektionen kann man nun sehen, wie sich zun\u00e4chst dies schwammige Organ stark f\u00e4rbt und sehr schnell, schon 1 Minute nach der Injektion, einen erheblichen Teil des Farbstoffes -abf\u00e4ngt. Nach einer l\u00e4ngeren Pause f\u00e4rbt sich dann allm\u00e4hlich auch der Inhalt der Blase und nach noch l\u00e4ngerer Zeit sieht man einen gef\u00e4rbten Streifen, der von der Blase nach dem Au\u00dfenwasser geht. Der Blaseninhalt und dieser Streifen sind aber immer unvergleichbar viel schw\u00e4cher gef\u00e4rbt als das schwammige Organ. Ich stelle mir den Zusammenhang so vor, da\u00df durch die rhythmischen Kontraktionen der Blase, die ja mit dem Au\u00dfen-","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"Otto Cohnheim,\nwasser in Verbindung steht, das schwammige Organ abgesp\u00fclt wird. Einige Male, besonders deutlieh bei Injektionen von Nilblausulfat oder einer konzentrierten L\u00f6sung von Neutralrot, stand das Herz still. Die Nierenblase pulsierte dagegen weiter und f\u00f6rderte von dem in dem schwammigen Organ gespeicherten Farbstoff noch einen gewissen Teil nach au\u00dfen ab. Die kontraktile Blase, die mit Seewasser gef\u00fcllt ist, hat darnach dieselbe Funktion, wie das Glomerulusfiltrat bei der S\u00e4ugerniere. Auch dort erfolgt die Zufuhr der harnf\u00e4higen Substanzen durch die Blutgef\u00e4\u00dfe an die innere Seite der sezernierenden Zellen der Harnkan\u00e4lchen, die Abfuhr durch das Glomerulusfiltrat an der \u00e4u\u00dferen der Au\u00dfenwelt zugekehrlen Seite. Auf diese Weise wird die Kontraktilit\u00e4t der Niere verst\u00e4ndlich, auch ohne da\u00df ein gerichteter Strom vorhanden ist, und man sieht, wie durch die vergleichende Physiologie auch f\u00fcr die Niere der h\u00f6heren Tiere festgestellt wird, welcher Mechanismus bei ihr der entscheidende ist. F\u00fcr die Heteropoden braucht man wohl nicht mehr anzunehmen, da\u00df die kontraktile Nierenblase neben ihrer sezernierenden Funktion auch noch die Aufgabe h\u00e4tte, dem Organismus Seewasser von au\u00dfen zuzuf\u00fchren. Ich kann zwar nicht ausschlie\u00dfen, da\u00df sie diese Funktion hat, aber so viel ich sehe, war die vermutete Wasseraufnahme doch nur eine Hilfsannahme, weil man nicht verstand, weshalb die Niere kontraktil w\u00e4re.\nF\u00fcr meine urspr\u00fcngliche Fragestellung war mit diesen Versuchen zun\u00e4chst nur das Eine beantwortet, da\u00df es in der Niere vor der Ausscheidung zu einer Speicherung kommt, was ja schon oft beobachtet war, wenn auch, so viel ich sehe, noch nie am lebenden unversehrten Tier.\nIch wollte aber weiter gehen und wissen, ob bei dieser Speicherung eine chemische Reaktion zwischen den Bestandteilen des Nierenprotoplasmas und den gespeicherten Stoffen statthat. Zur Entscheidung dieser Frage benutzte ich die Beobachtungen von M. Heidenhain \u00fcber die Verbindungen zwischen Eiwei\u00dfk\u00f6rpern und Anilinfarben. *) Heidenhain zeigte, da\u00df die meisten Anilinfarben mit den Eiwei\u00dfk\u00f6rpern als am-\n*) M. Heidenhain, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 90, S. 115(1902); Bd. 96, S. 440 (1903).\t'","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Zut Physiologie der Nierensekretion.\t109\nphoteren Elektrolyten Salze bilden. Am sinnf\u00e4lligsten ist di\u00e8se Salzbildung, wenn die Farbs\u00e4ure eine bestimmte Farbe hat; ihr Salz aber eine andere, oder wenn etwa umgekehrt, wie bei Nilblau, die Farbbase anders gef\u00e4rbt ist als die Salze. Heidenhain hat diese Salzbildungen zur Erkl\u00e4rung histologischer Reaktionen benutzt, ich habe versucht, sie im lebenden Tier zu beobachten. Unter der gro\u00dfen Zahl der von Heidenhain gepr\u00fcften Stoffe waren die meisten nun allerdings deshalb unbrauchbar, weil sie. bereits in dem amphoteren Seewasser und der sich entsprechend verhaltenden Leibesh\u00f6hlenfl\u00fcssigkeit Salze bilden. Von Basen erwies sich das Neutralrot als gut brauchbar, das in Seewas&er, zumal wenn man noch etwas Alkali hinzuf\u00fcgt, rein gelb ist. Erst nach sehr langem Stehen tritt auch im Seewasser bisweilen eine R\u00f6tung ein. Ich l\u00f6ste Neutralrot in Seewasser, dem etwas Alkali zugesetzt wurde. Da ich nicht sehr viele Versuchstiere zur Verf\u00fcgung hatte, und da ich bei dem schwankenden Vorkommen der Heteropoden vor allem nicht voraus wissen konnte, wie viele Tiere ich noch weiterhin bekommen w\u00fcrde, wollte ich nicht etwa mit L\u00f6sungen von verschiedener Alkalescenz bei verschiedenen Tieren Injektionen machen. Ich ging daher so vor, da\u00df ich Neutralrot in Seewasser l\u00f6ste, beziehentlich aufschwemmte, dem Seewasser eine gr\u00f6\u00dfere Anzahl Plankton-krebschen hinzusetzte und so viel Alkali hinzuf\u00fcgte, da\u00df das See wasser dauernd gelb blieb, die Krebschen aber in ihren Bewegungen nicht gesch\u00e4digt wurden. Diese gelbe L\u00f6sung wurde Pterotrache\u00e4 und Carinaria in die Leibesh\u00f6hle injiziert. Nahm ich eine st\u00e4rkere L\u00f6sung, so verbreitete sich die gelbe Farbe durch das Tier' hin. Die Niere wurde stark rot, aber nach einiger Zeit r\u00f6teten sich, fre\u00fcich auch wieder unter Schrumpfung, auch die Kiemen, und im Laufe der Zeit ging auch im \u00fcbrigen Tier das Gelb allm\u00e4hlich in Rot \u00fcber. Die starke Speicherung der Farbe in der Niere und der sofortige Umschlag in der Niere nach 1 Min., w\u00e4hrend die R\u00f6tung im \u00fcbrigen Tiere erst nach 30 \u201460 Min. auftrat, machen das Experiment beweisend. Dabei reagiert Neutralrot, wie ich mich an H\u00fchnereiwei\u00df und an Casein \u00fcberzeugt habe, durchaus","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"Otto Cohnheim,\nnicht etwa leicht mit Eiwei\u00df, sondern es m\u00fcssen in den ausscheidenden Zellen besondere Stoffe vorhanden sein, die leicht mit dem Farbstoff reagieren und ihn fixieren. Nimmt man eine Aufschwemmung von Neutralrot, so kann man nach einiger Zeit, wie oben geschildert, sehen, da\u00df sich die kontraktile Nierenblase schwach f\u00e4rbt und ein ganz schwach gef\u00e4rbter Streifen nach au\u00dfen zieht. Am bewegendsten schienen mir einige Versuche zu sein, in denen ich eine kleine Menge einer ganz verd\u00fcnnten alkalischen Neutralrotl\u00f6sung injizierte. Die Farbstoffmenge war so gering, da\u00df an dem \u00fcbrigen Tier \u00fcberhaupt keine F\u00e4rbung zu sehen war. Bereits nach 2lh Min. war die Niere deutlich rot. Eine Ausscheidung konnte ich nicht beobachten. Diese verd\u00fcnnten Injektionen schaden den Tieren nichts und ich habe sie nebenher mit ungef\u00e4rbtem oder anders gef\u00e4rbtem Fleisch gef\u00fcttert. In diesen Versuchen ist es sehr deutlich, da\u00df die Niere zugleich Speicherungsorgan ist und da\u00df die Base Neutralrot unter Salzbildung gespeichert wird.\nGegen diesen letzteren Schlu\u00df kann freilich noch der Einwand erhoben werden, da\u00df die Rotf\u00e4rbung der Niere einfach darauf beruht, da\u00df in ihr saure Reaktion herrscht. L\u00f6b und Warburg1) haben ja Neutralrot als Indikator in lebenden Zellen benutzen k\u00f6nnen. Es kam deshalb alles darauf an, auch mit S\u00e4uren Versuche anzustellen und zu sehen, ob auch sie nicht in der S\u00e4urefarbe, sondern in der Salzfarbe gespeichert werden. Dies war schwierig, weil sich die S\u00e4uren in Seewasser, sobald sie sich \u00fcberhaupt l\u00f6sen, als Salze l\u00f6sen. Eine ganze Reihe der von Heidenhain verwendeten Farbstoffe, Kongorot, Kongokorinth, Benzopurpurin, verschiedene Alizarine, gaben wenig deutliche Ergebnisse. Injizierte man eine Aufschwemmung, so sammelte sich diese in der Niere an und ging dabei in die Salzfarbe \u00fcber. Aber dieser \u00dcbergang in die Salzfarbe erfolgte auch in der Leibesh\u00f6hle, im Herzen und in anderen Organen und die zeitlichen Unterschiede waren nicht gro\u00df genug, um sichere Schl\u00fcsse darauf zu bauen. Zu beweisen war auf diese Weise nur, da\u00df in der Niere keine saure Reaktion herrschte. Dies war\n*) 0. Warburg, Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. 66, S. 313, 1910.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Physiologie der Nierensekretion.\t111\nz. B. deutlich, als ich einem Tiere erst eine Aufschwemmung der Nilblaubase und eine Stunde nachher eine solche der Kongos\u00e4ure injizierte. Auf die erste Injektion wurde die Niere blau, auf die zweite Injektion strichweise daneben rot, sodft\u00df die beiden Salze nebeneinander gebildet waren. Am besten kam ich schlie\u00dflich mit einem Alizarin zum Ziele, das in Substanz gelb war, sich in Wasser nicht und in Alkalien blau l\u00f6ste. Ich injizierte eine gelbe Aufschwemmung dieses Alizarins und die Niere wurde zun\u00e4chst stark gelb. Nach einiger Zeit aber ging dieses Gelb strichweise in Blau \u00fcber. Dies selbe Alizarin habe ich auch verf\u00fcttert. Der sauer reagierende Darminhalt war stark gelb gef\u00e4rbt, aus ihm heraus aber f\u00e4rbte sich die Darmwand blau an. Als der Darm platzte, und der gelbe Inhalt in die Leibesh\u00f6hle trat, konnte man die Blauf\u00e4rbung des Darmes aufs einfachste konstatieren. Hier hatte sich also beim Durchtritt durch die Darmwand eine Salzbildung zwischen der Farbs\u00e4ure und einem Bestandteile der Darmwand vollzogen, w\u00e4hrend der Darminhalt sauer blieb.\nDie Niere reagiert also mit ausz\u00fcscheidenden S\u00e4uren und Basen, indem sie beide durch eine chemische Reaktion, fixiert. Dies Ergebnis spricht jedenfalls f\u00fcr die eingangs erw\u00e4hnte Annahme, da\u00df die auszuscheidenden harnf\u00e4higen Stoffe durch das Protoplasma der Niere fixiert und ausgef\u00e4llt werden und nicht gel\u00f6st die Zelle passieren, sondern w\u00e4hrend des Durchtritts durch die Zelle an das Protoplasma gebunden sind\nIch glaube, da\u00df die Beobachtungen dieser Salzbildung in der Niere auch noch auf anderen Gebieten verwertbar sind. F\u00fcr den Darm, durch den ja ebenfalls wasserl\u00f6sliche Stoffe hindurchwandern, spricht die Beobachtung bei der F\u00fctterung des Alizarins daf\u00fcr, da\u00df hier entsprechende Vorg\u00e4nge eine Rolle spielen, aber auch bei anderen Organen wird man k\u00fcnftig bei der Erkl\u00e4rung elektiver Stofftransporte mehr Wert auf die chemische Bindung legen m\u00fcssen, als es heute gemeinhin der Fall ist. Ehrlich ist der einzige, der alle Stofftransporte und Stoffaufnahmen konsequent als chemische Bindung durch Rezeptoren ansieht. Sonst ist in der Physiologie der letzten Jahre unter dem Einfl\u00fcsse der bestrickenden Einfachheit der Over-","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112 Otto Cohnheim, Zur Physiologie der Nierensekretion.\ntonschen Lehren immer nur von Zelldurchl\u00e4ssigkeit und von Eindringungsf\u00e4higkeit die Rede, als w\u00e4re das Protoplasma eine von Membranen umgebene Fl\u00fcssigkeit und alle Stoffe einfach in ihm gel\u00f6st. Mit Befriedigung fand ich bei der R\u00fcckkehr von Villefranche die unter \u00c4shers Leitung ausgef\u00fchrte Untersuchung von Garmus1) vor, deren Gedankengang sich vielfach mit dem meinigen deckt.\nZusammenfassung:\n1.\tDie Heteropoden sind wegen ihrer Durchsichtigkeit geeignete Objekte, um an ihnen mittels Farbstoffen allgemein biologische Fragen zu studieren.\n2.\tDie Nahrungsaufnahme der Heteropoden geschieht durch einen Tangoreflex und ist weder durch optische noch durch chemische Reize bedingt. Bei der Auswahl der Nahrung spielt ein chemisches Organ eine Rolle.\n3.\tDie harnf\u00e4higen Substanzen werden vor der Sekretion in der Niere gespeichert, indem sie durch das Protoplasma der Niere als Salze gebunden werden.\n*) A. Garmus, Zeitschr. f. Biol., Bd. 58, S. 185 (1912):","page":112}],"identifier":"lit19551","issued":"1912","language":"de","pages":"95-112","startpages":"95","title":"Zur Physiologie der Nierensekretion","type":"Journal Article","volume":"80"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:26:21.482882+00:00"}