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{"created":"2022-01-31T15:05:45.486045+00:00","id":"lit19731","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Cohnheim, Otto","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 84: 419-424","fulltext":[{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Die Wirkung vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung auf den Verdauungekanal.\nVon\nOtto Cohnheim.\n(Der Redaktion zugegangen am 23. M\u00e4rz 1913.)\nEine Reihe von Stoffwechselvers\u00fcchen *)' der letzten Jahre haben ergeben, da\u00df es gelingt, Tiere, auch Menschen,2) mit vollst\u00e4ndig abgebauten, d. h. in Aminos\u00e4uren zerlegtem Eiwei\u00df in Stickstoffgleichgewicht zu bringen. Bei diesen Versuchen hatte sich gezeigt, da\u00df der Organismus imstande ist, die Aminos\u00e4uren wie das Eiwei\u00df zu verwerten. \u00dcber die Art, wie die abgebaute Nahrung aber auf die Verdauungsorgane wirkt, gestattet die Versuchsanordnung der Stoffwechselversuche keinen Aufschlu\u00df. Nur das eine hat sich bei ihnen ergeben, da\u00df das Gemenge der Aminos\u00e4uren im Gegensatz zu Peptonen keine Durchf\u00e4lle hervorruft, und da\u00df es auch bei der Eingabe per rectum gehalten und resorbiert wird.2) Die Frage nach der Einwirkung der abgebauten Nahrung auf den Verdauungskanal ist aber von einem gewissen Interesse. Nach allem, was wir wissen, ist f\u00fcr den Ablauf der VerdauungsVorg\u00e4nge neben dem Wohlgeschmack die chemische Zusammensetzung der Nahrung von entscheidender Bedeutung. Aber auch die Konsistenz ist f\u00fcr die Bewegungen nicht bedeutungslos. Durch den Abbau der Nahrung wird die Konsistenz vollst\u00e4ndig ge\u00e4ndert, wie weit die chemische Zusammensetzung sich wirksam \u00e4ndert,\nl) E. Abderhalden, Diese Zeitschrift, Bd. 77, S. 22, 1912. Daselbst sind die fr\u00fcheren Arbeiten von Abderhalden und seinen Mitarbeitern zitiert. Vgl. auch 0. Cohn he im. Physiol, d. Verdauung und Ern\u00e4hrung, S. 223, 1908.\n*) E. Abderhalden, F. Frank u. A. Schittenhelm, Diese Zeitschrift, Bd. 63, S. 215, 1909.\nHoppe-Seyler\u2019s Zeitschrift f. physiol. Chemie. LXXXIV.\t,\t30","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nOtto Cohnheim.\nist die Frage. Weiterhin ist die Frage nach der Verdauung vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung auch von einem gewissen praktischen Interesse, da neuerdings N\u00e4hrpr\u00e4parate aus vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung in den Handel gebracht werden, die nach den Angaben der Firmen keine Eiwei\u00dfpr\u00e4parate sind, sondern aus den vollst\u00e4ndigen Nahrungsmitteln ohne Verlust dargestellt werden. Gegen die fr\u00fcheren Eiwei\u00dfpr\u00e4parate mu\u00dfte vom Standpunkte des Physiologen der schwerwiegende Einwand erhoben werden, da\u00df sie eben nur Eiwei\u00dfpr\u00e4parate waren, und da\u00df die anderen Stoffe, besonders die anderen stickstoffhaltigen Stoffe, in ihnen fehlten.1) Die gro\u00dfe Bedeutung der verschiedenen chemischen K\u00f6rper, die neben dem Eiwei\u00df in den Nahrungsmitteln vorhanden sind, ist ja l\u00e4ngst bekannt, sie ist aber neuerdings durch die Untersuchungen von Stepp in besonders schlagender Weise demonstriert worden.2) Stepp zeigte, da\u00df die Extraktion von Eiwei\u00dfk\u00f6rpern mit Alkohol und \u00c4ther einen Stoff entfernt, dessen Fehlen die Nahrung unf\u00e4hig macht, das Leben zu erhalten. Gelingt es, ganze Nahrungsmittel abzubauen und in L\u00f6sung zu bringen, so liegt die Sache wesentlich anders, derartige N\u00e4hrpr\u00e4parate k\u00f6nnen, abgesehen nat\u00fcrlich von den Fragen des Preises, die den Physiologen nichts angehen, vom physiologischen Standpunkte aus, als richtig bezeichnet werden. Ich habe daher an Hunde mit Duodenalfisteln vollst\u00e4ndig abgebaute Nahrung verf\u00fcttert und nachgesehen, wie sich Sekretion und Motilit\u00e4t verhalten. Als abgebauter Nahrung bediente ich mich des Ereptons, das nach Abderhaldens Angaben von den H\u00f6chster Farbwerken in Handel gebracht wird, und des Hapans, das von Theinhardts N\u00e4hrmittelgesellschaft in Handel gebracht und als vollst\u00e4ndige und vollst\u00e4ndig abgebaute Nahrung bezeichnet wird. Es wurde mir von der Firma in liebensw\u00fcrdiger Weise zur Verf\u00fcgung gestellt.\nHapan hat die Konsistenz, den Geruch und Geschmack von Liebigs Fleischextrakt. Es gibt die Biuretreaktion nicht,\n0. C.ohnheim, 1. c., S. 261, 467.\n*) W. Stepp. Zeitschr. f. Biol., Bd. 57, S. 185 (1911); Bd. 59. S. 966 (1912).","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung auf den Verdauungskanal. 421\naber alle anderen Farbenreaktionen des Eiwei\u00df, auch die von Tryptophan, soda\u00df bei der Darstellung offenbar keiner der Bausteine zerst\u00f6rt worden ist. In kaltem Wasser l\u00f6st es sich langsam und unvollst\u00e4ndig, in hei\u00dfem Wasser l\u00f6st es sich zum gr\u00f6\u00dften Teile sehr leicht, ein geringer R\u00fcckstand, der vorwiegend aus Tyrosin besteht, etwas schwerer. Ist es einmal gel\u00f6st, so bleibt es auch beim Abk\u00fchlen in L\u00f6sung. Es enth\u00e4lt etwa 10\u00b0/o Stickstoff; von den Hunden wurde es gierig gesoffen. \u2014 Der Stickstoffgehalt des Ereptons betr\u00e4gt nach dem Aufdruck 12,7\u00b0/o.\nIch gebe ein vollst\u00e4ndiges Versuchsprotokoll. Zum Versuche diente ein Hund, der eine Duodenalfistel hatte und bei dem au\u00dferdem eine Anastomose zwischen der Gallenblase und einer D\u00fcnndarmschlinge bestand, w\u00e4hrend der Ductus chole-doehus unterbunden war. Bei diesem Hunde entleerte sich also aus der Duodenalfistel keine Galle, sondern nur Magen-und Pankreassaft. Es ist dasselbe Tier, das Klee und ich im vorigen Jahr beschrieben haben. ') Das Tier erhielt 20 g Hapan, in 250 ccm Wasser gel\u00f6st, bei offener Duodenalfistel zu saufen ; das, was sich aus der Fistel entleerte, wurde immer sofort wieder eingespritzt.\n11 Uhr 33 Aufnahme\t\t12 Uhr 2\t13 ccm\t12 Uhr 35\t19 cem\nEntleerung\tsofort\t3\t3\t37\t10\n11 Uhr 35\t8 ccm\t\u25a0 \u25a0 .5\t13\t41\t14\n36\t9\t8\t19\t43\t13\n37\t6\t10\t16\t47\t15\n44\t15\t15\t21\t48\t7\n46\t12\t17\t12 ^\t55\t22\n48\t9\t21\t22\t56\t3\n49\t13\t23\t10\t59\t9\n51\t21\t25\t15\t1 Uhr 1\t7 ccm\n53\t13\t28\t13\t10\t21\n56\t5\t29\t10\t18\t20\n12 Uhr 0\t20 ccm\t30\t10\tDabei Speichel.\t\n1\t13\t32\t12\tSchlu\u00df.\t\nIm ganzen aufgefangen 493 ccm, also 243 ccm Sekret. Dauer 115 Minuten.\nI \u2018) 0. Cohnheim u. P. Klee, Diese Zeitschrift, Bd. 78, \u00a7. 404,1912.\n30*","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nOtto Cohnheim,\nEin zweiter Versuch wurde in ganz gleicher Weise an demselben Hunde ausgef\u00fchrt. Die Dauer betrug 118 Minuten, die Sekretmenge (Magen- und Pankreassaft) 240 ccm.\nEin weiterer Versuch mit 20 g Hapan an einem Hunde mit einer gew\u00f6hnlichen Duodenalfistel ergab eine Sekretmenge von 330 ccm (Magen-, Pankreassaft und Galle).\nIn einem weiteren Versuche wurden einem Hunde mit Magenfistel 300 ccm Wasser mit 20 g Hapan direkt in die Magenlistei eingef\u00fchrt und das Entleerte aus der Duodenalfistel aufgefangen und in sie eingespritzt. Dadurch sollte die psychische Sekretion nach M\u00f6glichkeit ausgeschaltet werden, doch ist es fraglich, ob das v\u00f6llig erreicht wurde. Die Entleerung begann auch hier sofort und erfolgte so rasch, da\u00df ich mit der Einspritzung kaum nachkommen konnte. In 6 Minuten wurden 153 ccm entleert. Dann aber verlangsamte sich die Entleerung, die Gesamtdauer betrug 101 Minuten, die Sekretmenge (Magen-, Pankreassaft, Galle) 240 ccm. Durch den Wegfall oder die Verringerung der psychischen Sekretion waren Entleerungsdauer und Sekretmenge vermindert, blieben aber immer noch hoch. \u2014 2 Versuche mit Erepton ergaben \u00e4hnliche Werte,\nAus diesen Versuchen ergibt sich, da\u00df die abgebaute Nahrung sich in Magen und D\u00fcnndarm nicht anders verh\u00e4lt, wie die Nahrungsmittel, aus denen sie entstanden ist. Die chemische Einwirkung, die wohl in der Hauptsache von den Extraktivstoffen des Fleisches herr\u00fchrt, hat gen\u00fcgt, um die fehlende Konsistenz zu ersetzen. Hapan enth\u00e4lt 10\u00b0/o Stickstoff, 20 g,1) also 2 g Stickstoff, das entspricht dem Stickstoffgehalt nach etwa 60 g Fleisch. Nach Best1) werden auf 200 g Fleisch 1179 ccm von allen Sekreten abgesondert, das w\u00fcrden auf 60 g 350 ccm sein. Diese Menge ist nahezu erreicht. F\u00e4llt die Galle weg, so werden nach den Zahlen von Cohnheim und Klee auf 60 g Fleisch 300 ccm abgesondert. Die Zahlen f\u00fcr die abgebaute Nahrung bleiben hinter diesen Zahlen nur ganz unbedeutend zur\u00fcck. Die Ereptonzahlen verhalten sich nicht anders.\n\u2022) K. Bost. Deutsches Arch. f. klin. Med., Bd. 104, S. 94, 1911.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Wirkung vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung auf den Verdauungskanal. 423\nDer Organismus ergie\u00dft also auf die abgebaute Nahrung, die schon verdaut ist, ebensoviel oder fast ebensoviel Sekret, wie auf die unver\u00e4nderte Nahrung, und die v\u00f6llig gel\u00fcste abgebaute Nahrung passiert den Magen auch nicht schneller wie die urspr\u00fcnglichen Nahrungsmittel. Das letztere gilt nat\u00fcrlich nur bei erhaltenem Pylorusreflex. Ich lie\u00df 2 Hunde je 20 g Hapan in 300 ccm Wasser saufen, spritzte aber das aus der Duodenalfistel ablaufende nicht ein. In den beiden Versuchen wurden 100 bezw. 127 ccm Magensaft abgesondert, auf Grund des Wohlgeschmacks und der chemischen Wirkung der Extrativ-stoffe. Aber der Magen entleerte sich in 20\u201425 Minuten. Ich habe fr\u00fcher gezeigt, da\u00df auf den Pylorus 2 Reflexe wirken, ein mechanischer vom Mageninneren und ein chemischer vom D\u00fcnndarm her. Nur der letztere kann bei der fl\u00fcssigen Nahrung erhalten sein, die abgebaute Nahrung verh\u00e4lt sich hier wie nat\u00fcrliche fl\u00fcssige Nahrung, etwa wie Milch.1) Sind aber die Reflexe erhalten, so wirkt die abgebaute Nahrung wie die unver\u00e4nderte nat\u00fcrliche Nahrung.\nWeiterhin habe ich n\u00fcchternen Hunden mit Duodenalund Magenfistel L\u00f6sungen von Hapan und Erepton und ebenso ein selbst hergestelltes Pr\u00e4parat von ganz abgebautem Fleisch ins Rectum eingef\u00fchrt und dabei die Duodenal- bezw. Magenkan\u00fcle offen gelassen. Ich wollte sehen, ob die abgebaute Nahrung, wenn sie vom Dickdarm, vielleicht auch vom unteren D\u00fcnndarm, resorbiert w\u00fcrde, Sekretion von Verdauungss\u00e4ften bewirkte. Dies war indessen nicht der Fall. Abderhalden, Frank und Schittenhelm haben angegeben, da\u00df Erepton, das per clysma gegeben wird, glatt resorbiert wird. Ich kann das f\u00fcr Erepton und ebenso f\u00fcr das andere Pr\u00e4parat, das Hapan, best\u00e4tigen, von dem ich bis zu 30 g, in 200 ccm Wasser gel\u00f6st, einf\u00fchrte, ohne da\u00df es zu Stuhlgang kam. Aus den Kan\u00fclen aber tropften in einer Stunde nur einige Tropfen ab, nicht mehr als bei den gleichen Hunden auch auslief, wenn sie so, ohne Einf\u00fchrung, mit offenen Kan\u00fclen standen. Von den unteren Darmteilen her existiert also auch bei reichlicher Resorption\n*) L. Tobler, Verhandl. d. deutsch. Gesellsch. f. Kinderheilkunde, Bd. 23.","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"*^4- 0. Cohnheim, \u00dcber die Wirkung auf den Verdauungskanal.\nkeine Einwirkung der Abbauprodukte des Eiwei\u00dfes oder der Extraktivstoffe auf die Dr\u00fcsen. Da\u00df auf diese Weise Eiwei\u00df in normaler Weise resorbiert werden kann, ohne da\u00df es dabei zu einer T\u00e4tigkeit der Verdauungsdr\u00fcsen kommt, kann zu einem prinzipiell wichtigen Schlu\u00df in bezug auf den Eiwei\u00dfstoffwechsel verwendet werden. Grafe und Schopp1) haben beobachtet, da\u00df bei Einf\u00fchrung derselben zwei Pr\u00e4parate, die ich benutzt habe, in das Rectum die Stoffwechselsteigerung (spezifisch dynamische Wirkung) ebenso hoch ist, wie wenn eiwei\u00dfhaltige Nahrung per os gegeben wurde. Sie schlie\u00dfen mit Recht daraus, da\u00df damit die alte Frage nach der Ursache der spezifisch-dynamischen Wirkung des Eiwei\u00dfes eindeutig in dem Sinne entschieden ist, da\u00df sie nicht auf einer T\u00e4tigkeit der Verdauungsdr\u00fcsen beruhen kann. Durch meine Beobachtungen wird ein etwaiger Einwand gegen ihre Schlu\u00dffolgerung beseitigt.\n*) F- Schopp, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 1913. Die Arbeit wurde mir durch die Liebensw\u00fcrdigkeit von Herrn Dr. Grafe vor der Drucklegung bekannt.","page":424}],"identifier":"lit19731","issued":"1913","language":"de","pages":"419-424","startpages":"419","title":"Die Wirkung vollst\u00e4ndig abgebauter Nahrung auf den Verdauungskanal","type":"Journal Article","volume":"84"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:05:45.486050+00:00"}