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{"created":"2022-01-31T14:50:38.362489+00:00","id":"lit19942","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Minkowski, O.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 88: 159-162","fulltext":[{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Hypothese der Harnsfturebindung im Organismus.\nErwiderung auf die Bemerkung von Max Dohrn.\nV\u00b0n\n0. Minkowski.\n(Aus der medizinischen Klinik zu Breslau.) (Der Redaktion zugegangen am 4. Oktober 191S.)\nIn Bd. 86 dieser Zeitschrift bringt Max Dohrn \u2018) einen bemerkenswerten Beitrag zur Lehre vom Nucleinstoffwechsel. Bei dieser Gelegenheit verwahrt er sich dagegen, da\u00df die von mir \u2022) vor l\u00e4ngerer Zeit ausgesprochene Vermutung, da\u00df die Harns\u00e4ure im Organismus in einer Nudein-s\u00e4ureverbindung zirkulieren k\u00f6nnte, mit der von ihm im vorigen Jahre9) aufgestellten Hypothese von der Existenz einer Nucleins\u00e4ure, deren Purinanteil bereits zu Harns\u00e4ure oxydiert ist, identifiziert werde. Er meint, eine solche Auffassung k\u00f6nnte zu Mi\u00dfverst\u00e4ndnissen f\u00fchren.\nEs liegt hier in der Tat ein Mi\u00dfverst\u00e4ndnis vor, dessen Aufkl\u00e4rung mir w\u00fcnschenswert erscheint. Dieses ist offenbar dadurch entstanden, da\u00df ich es nicht mit gen\u00fcgender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht habe, auf welchem Wege ich von den Vorstellungen aus, die ich mir \u00fcber die Bindung der Harns\u00e4ure gebildet hatte, zu einer Versuchsanordnung gekommen bin, wie ich sie Seo* * * 4) f\u00fcr seine in meinem Laboratorium ausgef\u00fchrten Untersuchungen empfohlen habe. Auf Grund dieser Seo-schen Versuchsanordnung hat sich offenbar Dohrn, ebenso wie vor ihm andere Autoren, von meiner Annahme eine irrt\u00fcmliche Auffassung gebildet.\nDemjenigen, der meine eigenen Untersuchungen genauer verfolgt hat, h\u00e4tte es allerdings klar werden k\u00f6nnen, von welchen Vorstellungen ich ausging. Angedeutet ist dieses auch schon in dem von Seo zitierten und von Dohrn jetzt wiederholten Satz: \u00abDa\u00df, wie die \u00fcbrigen Purinverbindungen, so auch die Harns\u00e4ure im Blute und in den Gewebss\u00e4ften zun\u00e4chst als Nucleins\u00e4ureverbindung auftritt, und da\u00df durch diese Paarung mit dem Nucleins\u00e4ure re st . . .das weitere\n*) Diese Zeitschrift, Bd. 86, S. 130, 1913.\n*) Verhandl. d. XVIII. Kongr. f. innere Medizin, Wiesbaden 1900, S. 438. \u2014 Die Gicht, Wien 1903.\n9 Zeitschr. f. klin. Mediz., Bd. 74, 1912.\n4) Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 58, S. 75, 1907.\ty","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\t0. Minkowski,\nSchicksal der Harns\u00e4ure im Organismus geregelt wird*. Aus verschiedenen anderen Stellen meiner Publikationen geht hervor, was ich damit sagen wollte: \u00abWie die \u00fcbrigen Purinverbindungen\u00bb, sollte besagen: \u00abda\u00df die Harns\u00e4ure mit Unrecht als eine \u00abS\u00e4ure* den \u00fcbrigen K\u00f6rpern der Xanthinreihe als \u00abBasen* gegen\u00fcbergestellt wird, da\u00df vielmehr die Harns\u00e4ure als ein weiteres Ozydationsprodukt des Purinkerns, als \u00abTri-oxypurin\u00bb, von dem Xanthin als \u00abDioxypurin* und dem Hypoxanthin als \u00abOxypurin* sich nur graduell unterscheidet\u00bb.1 *) Ich sprach ferner von einer \u00abPaarung mit dem Nucleins\u00e4ure re st* \u2014 nicht mit der Nuclein-s\u00e4ure \u2014 und damit meinte ich den purinbasenfreien Rest der Nuclein-s\u00e4ure, die von Schmiedeberg als \u00abNucleotinphosphors\u00e4ure\u00bb bezeichnete Atomgruppe.\nDie \u00abNucleins\u00e4ureverbindung der Harns\u00e4ure*, deren Existenz im Organismus ich f\u00fcr m\u00f6glich hielt, entsprach demnach in der Tat von vornherein durchaus dem, was Dohm jetzt als \u00abHarns\u00e4ure-Nucleotid\u00bb bezeichnet. Und auch die Vorstellung, da\u00df die Oxydation der Puringruppe bis zur Harns\u00e4ure sich noch im Verb\u00e4nde des Nucleins\u00e4ure-molek\u00fcls vollziehen k\u00f6nnte, schwebte mir von vornherein vor, indem ich betonte,*) da\u00df die Reihenfolge, in der sich die Spaltungen und Oxyda\u00bb tionen an dem Nucleins\u00e4uremolek\u00fcl vollziehen, f\u00fcr das Schicksal der Puringruppe entscheidend sein k\u00f6nnte. Diese Vorstellung dr\u00e4ngte sich mir schon bei dem Versuche auf, der den Ausgangspunkt f\u00fcr alle meine weiteren Untersuchungen \u00fcber die Harns\u00e4ure bildete :3) Ich beobachtete zun\u00e4chst, da\u00df die Vermehrung der Harns\u00e4ure- und der Allantoin-Aus-scheidung im Harne, die ich nach Verf\u00fctterung von Nucleins\u00e4ure gefunden hatte, nicht in gleicher Weise zustande kam, wenn ich dasselbe Nucleins\u00e4urepr\u00e4parat mit schwacher Salzs\u00e4ure kochte und die gesamten Spaltungsprodukte verf\u00fctterte oder das aus dieser Nucleins\u00e4ure dargestellte reine Adenin verabfolgte. Dagegen fanden sich in den Nieren der mit Adenin gef\u00fctterten Tiere Ablagerungen von Sph\u00e4rolithen, die durch die Untersuchungen von Nicolaie r4) sp\u00e4ter mit einem Oxydationsprodukt des Adenins, dem 6-Amino-2.8-Dioxypurin, identifiziert werden konnten. Das f\u00fchrte mich zun\u00e4chst zu der Annahme, da\u00df die Bindung der Puringruppe an den basenfreien Rest der Nucleins\u00e4ure eine Vorbedingung f\u00fcr die Oxydation der Puringruppe bis zur Harns\u00e4ure sein k\u00f6nnte, da\u00df dagegen die abgespaltene Puringruppe auf anderen Wegen weiter abgebaut werde.\nWeitere Versuche zeigten mir aber dann, da\u00df auch pr\u00e4formiert eingef\u00fchrtes Hypoxanthin zum gr\u00f6\u00dften Teil direkt in Harns\u00e4ure \u00fcber-\n') Verhandl. d. Kongr. f. innere Mediz., 1900, S. 439.\n*) Die Gicht, S. 187, Anmerkung.\ns) Arch. f. exp. Path., Bd. 41, 1898.\n4) Zeitschr. f. klin. Mediz., Bd. 45, 1902.","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber die Hypothese der Harns\u00e4urebindung im Organismus. 161\ngef\u00fchrt wurde. Ich mu\u00dfte daher auch noch der Annahme Raum geben, da\u00df vielleicht nur die Desamidierung der Puringruppe, d. h. die \u00dcberf\u00fchrung des Adenins in Hypoxanthin, sich innerhalb des Nucleins\u00e4ure-molek\u00fcls zu vollziehen brauchte, und da\u00df die Oxydation des Hypoxanthins zu Xanthin und Harns\u00e4ure nach der Abspaltung des Oxypurins erfolgen k\u00f6nnte. Ich wollte mich zun\u00e4chst nicht auf eine bestimmte Annahme festlegen und \u00e4u\u00dferte nur ganz allgemein, da\u00df \u00abdas Schicksal der Puringruppe von der besonderen Art ihrer Verkettung mit anderen Atomkomplexen abh\u00e4ngig zu sein scheine\u00bb.\nIch suchte aber fortdauernd noch dar\u00fcber Klarheit zu gewinnen, ob nicht doch auch eine Oxydation der Puringruppe bis zur Harns\u00e4ure im Verb\u00e4nde der Nucleins\u00e4ure m\u00f6glich w\u00e4re. Zu dem Zwecke wollte ich eine Nucleins\u00e4ure hersteilen, in der an die Stelle der Purinbasen Harns\u00e4ure getreten w\u00e4re, ich wollte also zun\u00e4chst Harns\u00e4ure an den basenfreien Rest der Nucleins\u00e4ure heranbringen. Bei dem damaligen Stande der Kenntnisse war es aber nicht m\u00f6glich, diese basenfreie Gruppe \u2014 deren Konstitution als Pentose-Phosphors\u00e4ureverbindung erst sp\u00e4ter bekannt geworden ist \u2014 unzersetzt zu gewinnen. Ich machte mir in dieser Richtung nun eine Beobachtung zunutze, die Schmiedeberg1) mitgeteilt und so gedeutet hatte, da\u00df die gew\u00f6hnliche Nucleins\u00e4ure unter gewissen Bedingungen imstande sei, noch gr\u00f6\u00dfere Mengen von Purinbasen zu binden, da\u00df also gewisserma\u00dfen die Nucleins\u00e4ure, wie sie aus dem Organismus gewonnen wird, noch unges\u00e4ttigte Affinit\u00e4ten f\u00fcr Purinbasen besitze. Ich fand auch zun\u00e4chst * *) \u2014 und gleichzeitig hatten auch Kos sei und Goto3) diese Beobachtung gemacht\u2014, da\u00df unter \u00e4hnlichen Bedingungen wie in den Schmiedebergschen Versuchen mit den Purinbasen die Nucleins\u00e4ure gro\u00dfe Mengen von freier Harns\u00e4ure in L\u00f6sung zu halten vermag. Ich glaubte darin einen Hinweis auf die Existenz einer Nucleins\u00e4ureverbindung der H\u00e4rns\u00e4ure erblicken zu d\u00fcrfen, die ich somit nicht als Analogon der gew\u00f6hnlichen Nucleins\u00e4ure,* sondern der Schmiedeberg sehen \u00ab purinbasenreicheren \u00bb Nucleins\u00e4ureverbindungen betrachtete.\nF\u00fcr die Frage, ob in der Tat das Schicksal der Harns\u00e4ure im Organismus von ihrer Bindung im Nucleins\u00e4urekomplex abh\u00e4ngig sei, und ob eine solche Bindung f\u00fcr die Physiologie und Pathologie des Harns\u00e4urestoffwechsels von Bedeutung sein k\u00f6nnte, konnte es vielleicht gleichg\u00fcltig sein, ob die gesamten, in der Nucleins\u00e4ure enthaltenen Purinbasen durch Harns\u00e4ure ersetzt, oder ob neben der Harns\u00e4ure noch Purinbasen in der Verbindung vorhanden waren. In Ermangelung einer basen-\n*) Arch, f\u00fcr exp. Path. u. Pharm., Bd. 43, S. 72, 1899 ; Bd. 57, S. 333, 1907.\n*) Kongr. f. innere Medizin, 1900. s) Diese Zeitschrift, Bd 30, S. 473, 1900.","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\n0. Minkowski, \u00dcber Hams\u00e4urebindung im Organismus.\nfreien Verbindung \u2014 wie wir sie heute mit Dohm als \u00abNucleotid der Harns\u00e4ure\u00bb bezeichnen w\u00fcrden \u2014 veranla\u00dfte ich daher Herrn Seo, sich zun\u00e4chst mit der basenhaltigen Nucleins\u00e4ure-Harns\u00e4ureverbindung zu besch\u00e4ftigen.\nIn der Tat ergab nun die Arbeit von Seo eine ganze Anzahl von Beobachtungen, die nicht nur die Existenz einer Nucleins\u00e4ureverbindung zu best\u00e4tigen, sondern auch f\u00fcr einen Einflu\u00df einer derartigen Bindung der Harns\u00e4ure auf ihr Verhalten im tierischen Organismus zu sprechen schienen.\nDie Resultate der Seoschen Untersuchungen gelten gegenw\u00e4rtig als widerlegt. I\u00e7h halte zwar die gegen diese Untersuchungen erhobenen Einw\u00e4nde nicht f\u00fcr stichhaltig, doch gebe ich ohne weiteres zu, da\u00df die Frage durch die Untersuchungen Seos noch nicht endg\u00fcltig entschieden ist. Damals war das Verhalten kolloidaler L\u00f6sungen noch nicht so bekannt, wie heutzutage, und ich halte es auch nicht f\u00fcr ausgeschlossen, da\u00df es sich bei jenen Beobachtungen doch vielleicht nur um einen kolloiden Zustand der Harns\u00e4ure gehandelt haben k\u00f6nnte, wie sie z. B. Schade und Boden1) neuerdings annehmen, um L\u00f6sungen, bei denen die Nucleins\u00e4ure vielleicht nur die Rolle eines \u00abSchutzkolloids\u00bb gespielt hatte.\nAber es m\u00fcssen diese Verh\u00e4ltnisse noch genauer gepr\u00fcft werden. Und es kann heute auch die Fragestellung genauer pr\u00e4zisiert werden, nachdem in den letzten Jahren unsere Kenntnisse in bezug auf die Konstitution der Nucleins\u00e4ure so gro\u00dfe Fortschritte gemacht haben. Mit Versuchen in dieser Richtung besch\u00e4ftigt sich zurzeit an meiner Klinik mein Assistent, Dr. Sev\u00e9rin, und ich hoffe, da\u00df die Resultate seiner Versuche, \u00fcber die er demn\u00e4chst berichten wird, zur Kl\u00e4rung der Frage beitragen werden. Einstweilen m\u00f6chte ich mich darauf beschr\u00e4nken, hervorzuheben, da\u00df ich wohl berechtigt war, zu sagen,* *) da\u00df \u00abmeine fr\u00fcher ausgesprochene Hypothese sich ziemlich mit den Anschauungen, deckt, die vor kurzem Dohm entwickelt hat, und da\u00df diese Hypothese noch keineswegs erwiesen, aber auch noch nicht widerlegt und vielleicht einer Pr\u00fcfung zug\u00e4ngig ist\u00bb.\n\u2019) Diese Zeitschrift, Bd. 83, S. 347, 1913; Bd. 86, S. 238, 1913.\n*) Medizinische Klinik, 1913, Nr. 20.","page":162}],"identifier":"lit19942","issued":"1913","language":"de","pages":"159-162","startpages":"159","title":"\u00dcber die Hypothese der Harns\u00e4urebindung im Organismus: Erwiderung auf die Bemerkung von Max Dohrn","type":"Journal Article","volume":"88"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:50:38.362494+00:00"}