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{"created":"2022-01-31T14:38:43.921927+00:00","id":"lit20040","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"M\u00fcller, Johannes","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 91: 287-291","fulltext":[{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber psychische Hyperglyk\u00e4mie.\nDen Herren Fr. Roily und Fr. Oppermann zur Erwiderung.\nVon\nJohannes M\u00fcller.\n(Aus dem biochemischen Institut der D\u00fcsseldorfer Akademie f\u00fcr praktische Medizin.) (Der Redaktion zugegangen am 14. April 1914.)\nDie in Bd. 87, S. 122 dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlichte, auf meine Veranlassung ausgef\u00fchrte Untersuchung der Herren E. Hirsch und H. \u00dfeinbach hat den in der \u00dcberschrift genannten Herren Veranlassung zu Beschwerden gegeben (diese Ztschr. Bd. 88, S. 155.). Infolge des Wegganges des Herrn Hirsch und anderer \u00e4u\u00dferer Umst\u00e4nde hat sich- die Ver\u00f6ffentlichung der seinerzeit in Aussicht gestellten Untersuchungen am Hunde, welche bereits im Sp\u00e4therbst 1913 abgeschlossen waren, bis jetzt verz\u00f6gert; ich finde deshalb erst so sp\u00e4t Gelegenheit zu einigen n\u00f6tigen Bemerkungen.\nDie Herren R. u. 0. verwahren sich gegen den Vorwurf der Leichtfertigkeit in der Verwertung ihrer Versuchsergebnisse, der ihnen und anderen an der Erforschung des Blutzuckerproblems beteiligten Autoren angeblich gemacht wurde. Dieser Vorwurf ist tats\u00e4chlich nicht erhoben worden und ich verstehe nicht, wie die falsche Auffassung entstehen konnte. Wie es scheint, liegt ihr ein Passus zugrunde, in dem es hei\u00dft, es sei in fr\u00fcheren Versuchen nicht gen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt worden, \u00abob nicht die Art der Versuchsvornahme gen\u00fcgt h\u00e4tte, um die gefundene Blutzuckerzunahme und Glykosurie in dem entsprechenden Versuch zu erkl\u00e4ren\u00bb.\nNun ist nicht nur \u2014 worauf ich\u2019noch zur\u00fcckkomme \u2014 bis in die allerletzte Zeit herein das Bestehen einer","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\tJohannes M\u00fcller,\npsychischen Hyperglyk\u00e4mie beim Kaninchen fast allgemein unbekannt geblieben, sondern \u2014 und darauf liegt der Akzent \u2014 es lagen bis zur Arbeit der Herren H. u. R. und der fast gleichzeitigen Jacobsens systematische, mit Zahlenangaben belegte Untersuchungen \u00fcberhaupt nicht vor. Der Begriff der Hyperglyk\u00e4mie ist ein quantitativer; im Sinne einer strengen Experimentalkritik ist also bei Untersuchungen \u00fcber Hyperglyk\u00e4mie z. B. durch Narkotica der Einflu\u00df der psychischen Hyperglyk\u00e4mie dann \u00abgen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt*, wenn die beiden Gr\u00f6\u00dfen gegeneinander zahlenm\u00e4\u00dfig abgewogen werden. In den Arbeiten der Herren R. u. 0. ist das, soviel ich wei\u00df, nicht geschehen und sie behaupten es ja auch selbst nicht. Die Forderung einer erneuten Nachpr\u00fcfung ist also zweifellos berechtigt und ich verstehe nicht, wie jemand \u2014 sofern er seiner Arbeit nicht einen Ewigkeitswert vindiziert \u2014 in dieser ganz allgemein gehaltenen objektiven Forderung eine Kr\u00e4nkung erblicken kann. Mit der geschehenen Betonung des ausschlaggebenden Momentes, n\u00e4mlich der quantitativen Feststellungen, erledigen sich eigentlich auch die \u00fcbrigen Bemerkungen der Herren R. u. 0., welche eine Art von Priorit\u00e4tsreklamation darstellen. Weder ich noch meine Mitarbeiter haben daran gezweifelt, da\u00df auch andere Forscher die leichte Beeinflu\u00dfbarkeit des Zuckerspiegels beim Kaninchen beobachtet hatten. Ich selbst habe schon vor 12 Jahren, bei Vorarbeiten zu meinen Untersuchungen \u00fcber die Quelle der Muskelkraft derartige Wahrnehmungen gemacht. Es fragt sich nur, ob die gelegentlichen aphoristischen Bemerkungen, wie etwa der Herren R. u. 0., \u00abda\u00df die Blutzuckerwerte bei diesen Tieren (sc. Kaninchen) \u00f6fter nicht recht kontrollierbare Schwankungen zeigen, ja schon Fesselung oder andere sensible Reizung hier zu einer Erh\u00f6hung des Blutzuckers f\u00fchren k\u00f6nnen\u00bb, den Gegenstand gen\u00fcgend gekl\u00e4rt hatten; ob ein genaues Studium der psychischen Hyperglyk\u00e4mie \u00fcberhaupt m\u00f6glich war, ehe man eine Analyse an 2\u20143 Tropfen Blut ausf\u00fchren konnte ? Wie stand denn tats\u00e4chlich die Frage, als die entscheidenden Arbeiten aus den Instituten zu D\u00fcsseldorf und Lund erschienen?","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber psychische Hyperglyk\u00e4mie.\t289\nWar die Kenntnis der psychischen Hyperglyk\u00e4mie des Kaninchens damals ein fester Besitz der Wissenschaft? Den mu\u00df die Literatur spiegeln. Nun, als unsere Arbeiten bereits im Gang waren, erschien die gro\u00dfe Monographie \u00fcber den Blutzucker von Ivar Bang und hier macht dieser hervorragende Sachkenner die ausdr\u00fcckliche Feststellung, ^da\u00df das Kaninchen im Gegensatz zur Katze keinen Fesselungsdiabetes bezw. Glyk\u00e4mie zeige. Schon der Umstand, da\u00df die von R. u. 0. zitierten Arbeiten von Nils Andersson und Lyttkens und Sandgren ebenfalls aus Lund stammen, h\u00e4tte davon abhalten sollen, sich auf sie zu st\u00fctzen. Tats\u00e4chlich ist in diesen Arbeiten von der psychischen, bezw. Fesselungs-glyk\u00e4mie gar nicht die Rede. Im Gegenteil! Nils Andersson sagt: \u00abBeim ersten Anblick k\u00f6nnte es vielleicht wundernehmen, da\u00df ein so geringer Aderla\u00df \u00fcberhaupt die Blutzuckerkonzentration beeinflussen kann. AndereM\u00f6glichkeiten kommen aber hier wohl nicht in Betracht.\u00bb Und die beiden anderen Autoren erkl\u00e4ren es f\u00fcr bemerkenswert, da\u00df der normale Zuckergehalt des Kaninchenblutes 3 bis 4 mal h\u00f6her sei als bei Menschenblut. Was beim Kaninchen das Normale, sei beim Menschen erhebliche Hyperglyk\u00e4mie.1)\nWeiter wird U. Rose als Kronzeuge aufgerufen; aber -dieser spricht nur vom Einflu\u00df von Operationen (Laparotomie, Amputation) und in dem Abschnitt \u00fcber den normalen Blutzuckergehalt findet sich folgendes: \u00abF\u00fcr dieselbe Tierart (sc. Kaninchen) fanden bei beliebigem Futter Bock und Hoffmann 0,072 \u2014 0,110\u00b0/o. L\u00e4ngere Fesselung auf 'dem Operationsbrett hatte, wie sp\u00e4ter auch Naunyn best\u00e4tigen konnte, kaum einen Einflu\u00df (im Gegensatz zu der von B\u00f6hm und Hoffmann gefundenen Fesse-lungsglykosurie und Hyperglyk\u00e4mie der Katzen.)\u00bb Endlich sagt Herr Erich Frank im Sommer 1913 in seiner gro\u00dfen Arbeit \u00fcber renale Glykosurien (Schmiedebergs Arch. 72, 395). \u00abDer Blutzuckerspiegel des Kaninchens ist\n*) Noch in der neuesten Auflage des Lehrbuchs von Hammarsten Wiesbaden 1914) wird der normale Blutzuckergehalt des Kaninchens zu 0,22 \u00b0/o angegeben.\nHoppe-Seyler\u2019s Zeitschrift f. physiol. Chemie. XCI.\t20","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nJohannes M\u00fcller,\n\u00fcbrigens nach eigenen Erfahrungen gegen\u00fcber der Fesselung durchaus nicht so unempfindlich, wie es h\u00e4ufig in der Literatur dargestellt wird.\u00bb Also auch dieser Forscher \\\\ei\u00df nichts davon, da\u00df die Fesselungsglvk\u00e4mie des Kaninchens als feststehend bekannt ist.\nBei dieser Sachlage war also eine systematische Untersuchung ein dringendes Bed\u00fcrfnis, nachdem leider die Herren K. u. 0., welche ebenfalls die Empfindlichkeit des Kaninchens beobachtet hatten, genauere und verwertbare Angaben nicht gemacht haben.\nWenn wir eine Nachpr\u00fcfung der fr\u00fcheren Untersuchungen fordern, so befinden wir uns \u00fcbrigens in erfreulicher \u00dcbereinstimmung mit Herrn Ivar Bang und den Herren Loewy und Rosenberg. Ersterer sagt (diese Zeitschr., Bd. 88, S. 44): \u00abIch stimme vollkommen den Herren Hirsch und Reinbach bei, da\u00df diese psychische Hyperglyk\u00e4mie vielleicht f\u00fcr mehrere fr\u00fcher beschriebene Hyperglyk\u00e4mieformen verantwortlich ist\u00bb, und Loewy und Rosenberg (Bioch. Ztschr. f)6, S. 116), welche auch beim Hunde eine Schmerzhyperglyk\u00e4mie fanden, erkl\u00e4ren: \u00abWir m\u00fcssen demnach auch f\u00fcr den Hund zu dem Schlu\u00df kommen, den Hirsch und Reinbach f\u00fcr das Kaninchen gezogen haben, n\u00e4mlich da\u00df die Ergebnisse der weitaus \u00fcberwiegenden Zahl aller bisherigen Experimente, aus denen eine Beeinflussung des Blutzuckergehalts abgeleitet wurde, einer gr\u00fcndlichen Revision bed\u00fcrfen.\u00bb\nIch hoffe, da\u00df diese Revision unter anderen alle die Angaben best\u00e4tigen wird, welche die Herren Roily und Oppermann in ihren m\u00fchevollen und sorgf\u00e4ltigen Untersuchungen gemacht haben. Aber auch dann wird sie nicht \u00fcberfl\u00fcssig gewesen sein. Denn von der Wahrscheinlichkeit zur Gewi\u00dfheit f\u00fchrt immer ein weiter Weg.\nNoch ein Wort \u00fcber die Bezeichnung, welche man f\u00fcr die von H. u. R. studierte Hyperglyk\u00e4mie w\u00e4hlen soll. In der \u00dcberschrift war, um an ein von der Katze her bekanntes Schlagwort anzukn\u00fcpfen, der Ausdruck \u00abFesselungshypergly-k\u00e4raie\u00bb gew\u00e4hlt worden, im Text, um den psychischen Faktor scharf zu betonen, wurde von \u00abSchreckglyk\u00e4mie\u00bb gesprochen.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber psychische. Hyperglyk\u00e4mie.\t291\nBang (1. c.) m\u00f6chte das allgemeine Wort \u00abpsychische Hyperglyk\u00e4mie\u00bb w\u00e4hlen; vielleicht w\u00e4re aber \u00abAffekt-glyk\u00e4mie\u00bb noch bezeichnender. Die Sache liegt n\u00e4mlich so: Beim gefesselten und noch mehr beim narkotisierten Tier wirken \u2014 von der hypothetischen Wirkung der Narkotica als solcher ist abgesehen \u2014 offenbar mehrere Faktoren zur Erh\u00f6hung des Blutzuckerspiegels zusammen, vor allem die Abk\u00fchlung, dann die Ver\u00e4nderung der Atmung, und die Muskelruhe, bezw. die damit gegebene Verminderung des Zuckerverbrauchs. Dazu kommt dann das psychische Moment. Man kann die durch letzteres bewirkte Anreicherung des Blutzuckers \u2014 wie dies analog f\u00fcr die Glykosurie bereits von amerikanischen Forschern geschehen ist \u2014 als eine zweckm\u00e4\u00dfige Reaktion des Organismus auffassen und sagen: Alle diejenigen Affekte f\u00fchren zur \u00abAffekthyperglyk\u00e4mie\u00bb, welche beim ungehinderten Tier lebhafte Muskelaktion und damit gesteigerten Zuckerbedarf hervorrufen. Tiere von der Art des Kaninchens reagieren auf auftauchende Gefahr mit Schreck und Flucht, andere aktivere mit Wut und Angriff. So wird die hochinteressante Beobachtung verst\u00e4ndlich, welche Herr Bang (1. c.) mitteilt; danach lassen sich die Kaninchen so an die einzelnen Manipulationen gew\u00f6hnen, da\u00df sie keine \u00abAffekt-glyk\u00e4mie\u00bb mehr bekommen. Nat\u00fcrlich, das Gewohnte erschreckt sie nicht mehr und cessante causa cess\u00e2t effectus. Die Feststellung Bangs liefert vielleicht ein unsch\u00e4tzbares methodisches Hilfsmittel. Man wird m\u00f6glicherweise in Zukunft Tiere, deren Blutzucker studiert werden soll, ebenso methodisch vorbereiten m\u00fcssen, wie wir Physiologen seit ,C. Voit gew\u00f6hnt sind, unsere Stoffwechselhunde zuerst liebevoll f\u00fcr ihren Beruf zu erziehen.\n20*","page":291}],"identifier":"lit20040","issued":"1914","language":"de","pages":"287-291","startpages":"287","title":"\u00dcber psychische Hyperglyk\u00e4mie. Den Herren Fr. Rolly und Fr. Oppermann zur Erwiderung","type":"Journal Article","volume":"91"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:38:43.921933+00:00"}