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{"created":"2022-01-31T14:37:45.467306+00:00","id":"lit20603","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Ellenberger, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 96: 236-254","fulltext":[{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloeeverdauung.\nNach Versuchen von A. Scheunert, W. Grimmer und\nA. Hopffe.\nMitgeteilt\n\u25a0 von\nW. Ellenberger.\nAu\u00ab dem Physiologischen Institut der tier\u00e4rztlichen Hochschule zu Dresden.\n(Der Redaktion zugegangen am 8. November 1915.)\nDie Tatsache, da\u00df im Verdauungsschlauche der herbi-voren Hauss\u00e4ugetiere ein nicht unerheblicher Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Cellulose (Rohfaser) gel\u00f6st wird, bezw. w\u00e4hrend des Aufenthaltes der Nahrung im Verdauungs-kanale verschwindet, ist 1855 durch Haubner, damals Professor der Dresdner Tier\u00e4rztlichen Hochschule, zuerst festgestellt worden. Alle sp\u00e4teren Forscher, die sich mit dieser Frage besch\u00e4ftigt haben, haben die Haubnersehe Entdeckung best\u00e4tigt und sie in bezug auf die Tierarten, die Cellulose zu verdauen verm\u00f6gen, und andere Punkte erweitert.\nSeit der Haubner sehen Entdeckung ist die Frage der Celluloseverdauung an unserer Hochschule und speziell in unserem Institute bis heute von Zeit iu Zeit Gegenstand der Untersuchung gewesen. Im Nachfolgenden soll in K\u00fcrze \u00fcber einige neue von uns \u00fcber diese Frage gemachte Beobachtungen berichtet werden. Meine drei Mitarbeiter werden sp\u00e4ter \u00fcber die angestellten Untersuchungen und deren einzelne Ergebnisse genau berichten und dabei die mit ihren Untersuchungsergebnissen im Zusammenhang stehenden Beobachtungen anderer Forscher besprechen. Von mir soll aber in der folgenden kurzen Mitteilung auf die \u00abCellulose-Literatur\u00bb nicht eingegangen werden. Nur auf die in unserem Institute fr\u00fcher","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t237\nvorgenommenen Untersuchungen soll vor Mitteilung unserer neuesten Beobachtungen hingewiesen werden.\nDurch die in unserer Hochschule vorgenommenen Untersuchungen und die anderer Forscher war in Erg\u00e4nzung der ersten Haubnerschen Feststellungen dargetan worden, da\u00df die Wiederk\u00e4uer mehr Cellulose \u00abverdauen\u00bb als die Einhufer und diese mehr als das Schwein. Es war aber nicht einwandfrei festgestellt worden, da\u00df die Cellulose vom tierischen Organismus als N\u00e4hrstoff verwertet wird und inwieweit dies geschieht. Erst in den letzten Jahrzehnten ist sicher dargetan worden, da\u00df die Cellulose von den Wiederk\u00e4uern in sehr hohem und von den Schweinen in etwas geringerem Ma\u00dfe verwertet wird. Auch f\u00fcr Einhufer d\u00fcrfte es als einwandfrei feststehend erachtet werden, da\u00df sie die Cellulose gut verwerten. In bezug auf den Menschen herrschen in dieser Richtung noch Zweifel. Die Fleischfresser verdauen, wie in unserem Institut durch Scheunert festgestellt worden ist, keine Cellulose.\nDie unter meiner Leitung und Mitwirkung seit 1880 in unserem Institut von Zeit zu Zeit zuerst von W. Hofmeister und dann von Scheunert angestellten Untersuchungen bezogen sich, abgesehen von der allgemeinen, mehrfach neu gepr\u00fcften Frage, inwieweit Cellulose von den einzelnen Haustierarten (Pferd, Rind, Schaf, Schwein, Hund usw.) verdaut wird, vor allem auf drei Einzelfragen, n\u00e4mlich 1. auf den Ort der Cellulosel\u00f6sung, 2. auf die bei der Cellulosef\u00f6sung entstehenden Abbauprodukte, 3. auf die Erreger (Fermente) der Celluloseverdauung.\n1. In bezug auf die Abschnitte des Verdauungsschlauches, in denen Cellulose gel\u00f6st wird, haben wir folgendes festgestellt: Bei den Einhufern ist es besonders das bei dieser Tierart ungemein gro\u00dfe, den Inhalt stets lange Zeit beherbergende Caecum und der weite Abschnitt des Colons, in denen die Cellulose gel\u00f6st wird; im engen Golon-abschnitt findet die Cellulosel\u00f6sung nur geringgradig statt. Beim Schwein sind auch das Caecum und das Colon die Orte der Cellulosel\u00f6sung. Bei den Wiederk\u00e4uern kommen in erster Linie die beiden ersten Vorm\u00e4gen (Pansen und Haube), au\u00dferdem","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\tW. Ellenberger,\naber auch das Caecum und das Colon als Orte der Cellulosel\u00f6sung in Betracht. Die Cellulose, die bei diesen Tieren der Verdauung in Pansen und Haube entgeht, wird z. T. im Dickdarm verdaut. Hier kann die Celluloseverdauung schon deshalb besonders ausgiebig sein, weil ein Teil der Cellulose in den Vorm\u00e4gen f\u00fcr die weitere Zersetzung vorbereitet, gewisserma\u00dfen aufgeschlossen (\u00abanverdaut*) wird und somit in einem leicht verdaulichen Zustande im Dickdarm ankommt und dort der Verdauung verf\u00e4llt. Diese Verh\u00e4ltnisse erkl\u00e4ren es, da\u00df die Wiederk\u00e4uer prozentisch mehr Nahrungscellulose verdauen als die anderen Haustiere. Im Magen aller Haustiere (also auch im Labmagen der Wiederk\u00e4uer) und im wasserarmen Inhalt der Endabschnilte des Dickdarms und des Psalters der Wiederk\u00e4uer ist die Celluloseverdauung ebenso wie im D\u00fcnndarm, den der Inhalt verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig rasch durcheilt, unbedeutend.\nWir haben diese Tatsachen festgestellt durch a) Untersuchungen \u00fcber die Aufenthalts-(Durchgangs)zeiten des Inhaltes der einzelnen Abschnitte des Verdauungsschlauches, b) durch Feststellung des Wassergehaltes und der sonstigen physikalischen und chemischen Beschaffenheit ihres Inhaltes und c) durch Verdauungsversuche, die wir in der Weise anstellten, da\u00df wir die durch Auspressen und Kolieren des Inhaltes aller Abschnitte des Verdauungskanales gewonnenen Fl\u00fcssigkeiten im Thermostaten auf Cellulose (sowohl auf Heu, als auf die von uns aus jungem und altem Grase, sowie aus Heu oder aus dem hafer- und heuhaltigen Mageninhalte hergestellte als auch auf die aus Fabriken bezogene Papiercellulose) und nur so lange einwirken lie\u00dfen, als die Aufenthaltszeit im Tractus alimentarius betr\u00e4gt. Diese Versuche bewiesen, wie aus unseren Publikationen ersichtlich ist, da\u00df die Pansen-, Hauben-, Coecal- und Colonfl\u00fcssigkeiten der betreffenden Tiere Cellulose in reichlichen Mengen l\u00f6sten, also ein Cellulose l\u00f6sendes Agens enthalten. Die Magenfl\u00fcssigkeit wirkte in der Regel nicht, die D\u00fcnndarm- und Psalterfl\u00fcssigkeit nur wenig auf Cellulose ein.\n2. in bezug auf die bei der im Verdauuungs-schlau\u00e7he ablaufenden Cellulosel\u00f6sung entstehenden Produkte habe ich, wie meine Ver\u00f6ffentlichungen \u00fcber diese","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t239\nFrage zeigen, stets den Standpunkt vertreten, da\u00df dabei zuckerartige Stoffe entstehen, die zur Aufsaugung gelangen, und da\u00df daneben auch Celluloseg\u00e4rungen unter der Entstehung gasiger und anderer G\u00e4rungsprodukte ablaufen. Nach meiner Auffassung liegt es mithin bei den die Cellulose betreffenden Vorg\u00e4ngen im Verdauungsschlauche genau so wie bei den anderen N\u00e4hrstoffen (Eiwei\u00dfk\u00f6rper, St\u00e4rke, Fette usw.). Auch bei diesen verh\u00e4lt es sich so, da\u00df der Anteil von ihnen, der bei den Verdauungsvorg\u00e4ngen nicht verdaut wird oder nach ihrer Verdauung nicht rechtzeitig zur Aufsaugung gelangt, G\u00e4rungs- und F\u00e4ulnisprozessen unter Entwickelung der bekannten G\u00e4rungs- und F\u00e4ulnisprodukte verf\u00e4llt. Die von Hofmeister und mir angestellten, auf das Vorkommen von dextrin- und zuckerartigen Stoffen bei der Cellulosel\u00f6sung gerichteten Versuche hatten fast stets ein negatives Ergebnis; nur sehr selten konnte aus den Versuchsergebnissen mit einiger Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, da\u00df bei den betreffenden Verdauungsversuchen tats\u00e4chlich zuckerartige Stoffe entstanden waren.\nVon anderer Seite (von Tappeiner u. A.) waren inzwischen die unter Einwirkung von Mikroorganismen ablaufenden G\u00e4rungen der Cellulose studiert und die G\u00e4rungsprodukte festgestellt worden. Dabei hatte es sich herausgestellt, da\u00df bei diesen G\u00e4rungsprozessen einerseits Stoffe (Gase), die der Organismus nicht verwerten kann, anderseits aber auch solche StofTe (organische S\u00e4uren) entstehen, die f\u00fcr den Organismus verwertbar sind (Zuntz). Aber auch diese Produkte sind f\u00fcr den Organismus nat\u00fcrlich von viel geringerem Werte, als es die Produkte sein w\u00fcrden, die dann entstehen w\u00fcrden, wenn die Cellulose, ihrem chemischen Aufbau entsprechend, wie ein verdauliches Polysaccharid abgebaut werden w\u00fcrde, wie dies nach meiner Auffassung auch der Fall ist.\n3. Um die Erreger der Cellulosel\u00f6sung festzustellen, haben wir zun\u00e4chst die Cellulose l\u00f6senden Fl\u00fcssigkeiten, die durch Kolieren und Filtrieren des Vormagen- und Dickdarminhaltes gewonnen wurden, mit denselben Methoden (z. B. Behandlung mit Alkohol und anderen Fermentf\u00e4llungsmitteln) untersucht, die man bei den Verdauungssekreten anwendet,","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\tW. Ellenberger,\num die Verdauungsfermente zu gewinnen. Alle unsere Versuche hatten ein negatives Ergebnis, wir konnten in den genannten Fl\u00fcssigkeiten mit den betreffenden Methoden kein Cellulose verdauendes Ferment finden.\nWeiterhin haben wir mit s\u00e4mtlichen Verdauungssekreten (mit Mundspeichel, einzelnen Speicheldr\u00fcsensekreten, Magen-, Darm-, Pankreassaft, Galle) aller Haustiere Verdauungsversuche mit Cellulose angestellt. Sie verliefen s\u00e4mtlich negativ; ein Celluloseferment ist in ihnen nicht vorhanden.\nDamit zusammenh\u00e4ngend haben wir Extrakte aus allen Dr\u00fcsen des Verdauungsapparates (den Kopfdarmdr\u00fcsen, der Leber, dem Pankreas, den 3 Arten der Magendr\u00fcsen, den Darm- und \u00d6sophagusdr\u00fcsen) und aus der Schleimhaut seiner verschiedenen Abschnitte und speziell aus den cytoblastischen (lymphoiden) Organen derselben (aus den Mandeln, den Zungen-und Gaumenb\u00e4lgen, den Darmfollikeln) hergestellt und auch mit diesen Verdauungsversuche mit Cellulose gemacht. Auch diese Versuche hatten ein negatives Ergebnis. Es sei ausdr\u00fccklich bemerkt, da\u00df die von uns verwendeten Sekrete und Extrakte, um ihre normale Beschaffenheit festzustellen, auch auf ihren Gehalt an anderen Fermenten gepr\u00fcft und da\u00df nur solche verwendet wurden, die sich als normal erwiesen und die betreffenden sonstigen Fermentwirkungen zeigten.\nAus den Resultaten unserer verschiedenen Versuche war zu folgern, da\u00df weder die Verdauungsdr\u00fcsen noch die Schleimhaut des Verdauungsapparates ein die Cellulose l\u00f6sendes Ferment produzieren und da\u00df das die L\u00f6sung der Cellulose bewirkende Agens entweder in oder an den Nahrungsmitteln (als Nahrungsmittelferment) oder in der mit der Nahrung in den Verdauungsschlauch gelangenden Luft (etwa in Form von Mikroorganismen) enthalten ist oder von den im Verdauungskanal angesiedelten Lebewesen geliefert wird, soda\u00df mithin Mikroorganismen als die Cellulosezersetzer anzusehen sind.\nDas in der Nahrung enthaltene wenig wirksame Gellu-loseferment kann in Anbetracht der gro\u00dfen Menge Cellulose, die im Verdauungsschlauche zur L\u00f6sung gelangt, nicht in Frage kommen. Dies zeigten unsere Versuche.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t241\nAlle angestellten Versuche wiesen vielmehr darauf hin, da\u00df die L\u00f6sung der Cellulose auch im Verdauungsschlauche (wie die erw\u00e4hnte Celluloseg\u00e4rung au\u00dferhalb desselben) durch die Wirkung von Mikroorganismen bezw. der von ihnen produzierten Fermente erfolgt.\nSeit 1884 haben sich viele Forscher mit der Frage der Cellulosezersetzung durch Mikroorganismen und in neuerer Zeit namentlich \u00fcber diese Vorg\u00e4nge im Boden und im D\u00fcnger befa\u00dft (die Literatur s. bei M\u00fctterlein, Inaug.-Diss., Studien \u00fcber die Zersetzung der Cellulose im D\u00fcnger und Boden). Die Cellulosezersetzung im Verdauungsschlauche ist. aber von den meisten dieser Forscher nicht oder nur nebens\u00e4chlich behandelt worden. Mit dieser Frage haben wir uns in neuerer Zeit besch\u00e4ftigt; \u00fcber die Ergebnisse dieser Untersuchungen soll nachstehend berichtet werden.\nEs ist bekannt, da\u00df sich im Vormageninhalte der Wiederk\u00e4uer und im Dickdarminhalte der Herbi- und Omnivoren viele Arten aerober und anaerober Bakterien (Bacillen, Kokken usw.) und, besonders in Pansen und Haube der Wiederk\u00e4uer und im Caecum des Pferdes, auch viele Protozoen, besonders Infusorien finden.\nUnsere von Scheunert und A. Hopffe vorgenommenen und oft wiederholten Versuche, die Rolle der Protozoen bei den Verdauungsvorg\u00e4ngen und insbesondere bei der Cellulosezersetzung festzustellen, blieben bisher r\u00e9sultat los; wir setzen aber die Versuche (mit Z\u00fcchtung der Protozoen usw.) fort. Ich bin der \u00dcberzeugung, da\u00df die Protozoen des Vormagen-und Dickdarminhaltes eine Rolle bei der Celluloseverdauung spielen, da\u00df sie Cellulose l\u00f6sen und die L\u00f6sungsprodukte assimilieren k\u00f6nnen. Dadurch, da\u00df sie im Labmagen, wohin sie aus Pansen und Haube mit deren Inhalt gelangen, infolge der Wirkung der Salzs\u00e4ure uud des dortigen Mangels ihrer Lebensbedingungen absterben und hier durch den Magensaft verdaut werden, kommt die von ihnen ihrem Wirt entzogene Cellulose des Pansen-Hauben-Inhaltes ihrem Wirt indirekt doch zugute.\n^ Dies ist meine Ansicht. Weitere Untersuchungen m\u00fcssen jedoch feigen, ob sie zutreffend ist und ob die Protozoen \u00fcber-","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\tW. Ellenberger,\nhaupt eine wichtige Rolle bei der Verdauung und speziell bei der der Cellulose spielen.\nUm weiter zu pr\u00fcfen, ob bei der Celluloseverdauung tats\u00e4chlich Mikroorganismen t\u00e4tig sind, stellte Scheunert, nachdem die erw\u00e4hnten, von Hofmeister und mir angestellten Versuche gezeigt hatten, da\u00df die Cellulose lebhaft l\u00f6senden Vormagen- und Dickdarmfl\u00fcssigkeiten durch Kochen Ihre Wirksamkeit auf Cellulose verlieren, neue Versuche mit Coecalfl\u00fcssigkeit verschiedener Tierarten an. Er pr\u00fcfte diese, nachdem deren durchaus normale Beschaffenheit durch den Nachweis eines diastatischen, eines proteolytischen, eines invertierenden und eines Milchs\u00e4ure-Fermentes in ihnen festgestellt worden war, auf ihre Wirksamkeit auf Cellulose in der Weise, da\u00df er sie sowohl in dem Zustande, wie sie beim Kolieren und Filtrieren gewonnen wurde, als auch nach Filtration durch Berkefeld-Filter, auf Cellulose im Thermostaten einwirken lie\u00df. Dabei stellte es sich (bei den vorgen&Jimenen W\u00e4gungen) heraus, da\u00df die unfiltrierten, lebende Mikroorganismen enthaltenden Fl\u00fcssigkeiten die Cellulose in hohem Grade l\u00f6sten ; da\u00df dagegen die durch Berkefeld-Filter filtrierten, keine Mikroorganismen enthaltenden Fl\u00fcssigkeiten nur in sehr geringem Grade und die gekochten Fl\u00fcssigkeiten gar nicht auf Cellulose einwirkten.\nNach den Ergebnissen der Scheunertschen Versuche konnte es keinem Zweifel unterliegen, da\u00df die Cellulosel\u00f6sung, wie bereits viele Forscher behauptet hatten, auch im Verdauungsschlauche durch Mikroorganismen (bezw. durch die von ihnen produzierten Fermente) und zwar durch solche Mikroorganismen bewirkt wird, die sich im Tubus alimentarius angesiedelt haben.\nDie Versuche behufs Feststellung der bei der Cellulosel\u00f6sung wirksamen Mikroorganismen-Arten wurden von A. Scheunert und A. Hopffe 1912 in Angriff genommen. Von ihnen wurden aus dem Inhalte jier beiden ersten Vorm\u00e4gen der Wiederk\u00e4uer (sp\u00e4ter auch aus dem Dickdarminhalte) Reinkulturen der daselbst vorhandenen Mikroorganismen hergestellt. Zu diesen Z\u00fcchtungen wurden die verschiedensten N\u00e4hrb\u00f6den verwendet. Mit den so gez\u00fcchteten Mikroorganismen wurden","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"243\nZur Frage der Celluloseverdauung.\nVersuche in bezug auf ihre Einwirkung auf Cellulose angestellt. Als Cellulosematerial wurde dabei Papiercellulose (Flie\u00dfpapier) benutzt.\nIjfiese Untersuchungen ergaben, da\u00df sich im Verdauungsschlauche der Herbivoren, insbesondere im Vormagen der ru-minierenden Tiere verschiedene Bakterienarten befinden, die sowohl in Reinkulturen als in Symbiose mit anderen Bakterienarten Cellulose angreifen bezw. l\u00f6sen, die aber offenbar mit den Bakterien nicht identisch sind, die von den Autoren, die \u00fcber die Cellulosezersetzung im D\u00fcnger und im Boden gearbeitet haben, als Cellulose angreifend beschrieben werden.\nDie mit den von Scheunert und Hopffe gefundenen Bakterien eintretende Cellulosel\u00f6sung erfolgt verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig langsam; auch wurden keine gro\u00dfen Mengen Cellulose gel\u00f6st. Bei l\u00e4nger fortgesetzter Reinz\u00fcchtung der betreffenden Bakterien nahm deren l\u00f6sende Kraft auf Cellulose ab.\nDas Ergebnis der Scheunert-Hopffeschen Untersuchungen bestand darin, da\u00df im Inhalte des Verdauuhgskanales der Haustiere verschiedene Bakterienarten aufgefunden, reingez\u00fcchtet und identifiziert worden waren, die in gewissen N\u00e4hrl\u00f6sungen, wenn auch langsam, Cellulose angriffen. Es war sogar gelungen, einige solcher St\u00e4mme aus anderen Labora-ratorien zu beziehen und nach \u00dcbertragung auf die spezifischen N\u00e4hrb\u00f6den Cellulosel\u00f6sung durch sie zu erzielen. Trotzdem hatte sich Scheunert zu einer Publikation seiner Versuchs-ergebnisse noch nicht entschlie\u00dfen k\u00f6nnen, weil eine gewisse Unbest\u00e4ndigkeit in den Ergebnissen vorlag, die erst behoben werden sollte und als deren Ursache die gro\u00dfe Schwierigkeit der Innehaltung der zweckm\u00e4\u00dfigen N\u00e4hrbodenzusammensetzung anzusehen war.\nInfolge des Ausbruchs des Kriegs und der Einberufung Scheunerts zu den Waffen konnte er seine Untersuchungen nicht fortsetzen. Sie wurden deshalb zun\u00e4chst abgebrochen. Einige Monate nach Kriegsbeginn habe ich die Versuche jedoch wieder aufnehmen lassen.\nDie Institutsassistentin A. Hopffe stellte zu diesem Zwecke neue Kulturen der Mikroorganismen des Pansen- und Hauben-\nt","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\tW. Ellenberger,\ninhaltes her und stellte mit den gez\u00fcchteten Mikroben neue Verdauungsversuche mit Cellulose an. Wir gingen dabei immer wieder auf das \u00c4usgangsmaterial zur\u00fcck und verschafften uns immer wieder, mehr als 1 Dutzend mal, neuen Vormageninhalt von Wiederk\u00e4uern. Sp\u00e4ter ist .auch mehrmals der Inhalt des Pferdecaecums und anderer Darminhalt des Pferdes und der Magen- und Darminhalt des Schweins und der Labmageninhalt der Wiederk\u00e4uer, Mageninhalt aller Haustiere und der Darminhalt des Schafs zum Anlegen von Kulturen verwendet worden.\nHei diesen neuen Versuchen wurden die fr\u00fcher gez\u00fcchteten Cellulose angreifenden Bakterien wieder gefunden, aber daneben ein anderer Mikroorganismus, der die Cellulose in ungeahnter Weise rasch zersetzte. Dieser Mikroorganismus geh\u00f6rt in die Gruppe der Aspergilleen und wird in bezug auf seine Eigenschaften, seine Z\u00fcchtung und Wirksamkeit von A. Hopffe in einer sp\u00e4teren Abhandlung genau beschrieben werden. Hier sei vorl\u00e4ufig nur bemerkt, da\u00df er in vielen Generationen fortgez\u00fcchtet werden kann, ohne da\u00df er seine Wirksamkeit auf Cellulose einb\u00fc\u00dft; diese schien im Gegenteil stets zu wachsen, namentlich nahm sie zu, wenn der Pilz unter Einwirkung auf Cellulose fortgez\u00fcchtet wurde. Er verhielt sich also in dieser Beziehung entgegengesetzt zu den von Scheunert und Hopffe gefundenen Cellulose l\u00f6senden Mikroorganismen. Er ist imstande, Cellulose zu l\u00f6sen ohne eine andere Kohlenstoffquelle als Cellulose; er greift die Cellulose in salpeterljaltiger und ammoniakhaltiger L\u00f6sung ohne andere Zus\u00e4tze stets stark an.\nZ\u00fcchtung des Pilzes. Der Pilz wurde auf festen und fl\u00fcssigen N\u00e4hrb\u00f6den gez\u00fcchtet. Als Kohlenstoffquellen wurden meist Mannit und Cellulose verwendet, lprozentigem Agar-Agar wurden 2\u00b0/o Mannit und 0,02 \u00b0/o Monokaliumphosphat zugesetzt bei 100 ccm destilliertem Wasser; diese Mischung war neutral oder ganz schwach sauer gegen Lackmus. N\u00e4hragar und \u00e4hnlich zusammengesetzte Medien eignen sich nicht zum Isolieren und Anreichern. Der Pilz kann aber als Reinkultur auf diesen weiter wachsen. Auch bei Zusatz von Kalium-","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t245\nnitrat und Dikaliumphosphat gedieh der Pilz gut und l\u00f6ste die Cellulose.\nAls vorz\u00fcglichste N\u00e4hrl\u00f6sung bew\u00e4hrte sich folgende Mischung:\n1000 g ccm Wasser\n2.0\t\u00bb Ammoniumsulfat\n1.0\t\u00bb Dikaliumphosphat\n0,5 \u00bb Magnesiumsulfat\n2.0\t\u00bb Kochsalz.\nIn dieser N\u00e4hrfl\u00fcssigkeit wuchs der Pilz besonders gut, die Sporenbildung verlief rapid; die Sporen; wirkten auf die Cellulose ein unter Mycelbildung. Das Wachstum erfolgte in dieser N\u00e4hrl\u00f6sung bei Cellulosezusatz gut, ohne Cellulose (und ohne einen anderen C-haltigen Stoff) wuchs er fast gar nicht; er braucht also eine Kohlenstoffquelle zu seinem Gedeihen. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, da\u00df bei dem Wachstum des Pilzes der in der N\u00e4hrl\u00f6sung vorhandene Ammoniakstickstoff zur Bildung von K\u00f6rperei wei\u00df verwandt wurde. Bei einer 50 Tage dauernden Einwirkung des Pilzes auf 2 g Cellulose in der genannten N\u00e4hrl\u00f6sung wurden 1,43 \u00b0/o (2,94 mg) des*N in der L\u00f6sung (die 206 rag Ammoniak-N enthielt) in Eiwei\u00dfstickstoff \u00fcbergef\u00fchrt. Die L\u00f6sung enthielt nach Beendigung des Versuchs 18,4 mg Pilz-Eiwei\u00df.\nVersuchsverfahren und Versuchsmaterial. Bei den Versuchen behufs Feststellung der Wirkung des Pilzes auf Cellulose wurde l\u00e4ngere Zeit, wie bei den fr\u00fcheren Versuchen, nur Filtrierpapier verwendet. Erst sp\u00e4ter ist auch flockiger Papierstoff, geschabter Papierstoff, gew\u00f6hnliches Stroh, auf-, geschlossenes (nach Lehm an a mit Natronlauge behandeltes) Stroh, Heu, ged\u00f6rrtes Kraut, Cellulose von K\u00f6nig in Plagwitz verwendet worden.\nZu allen Versuchen wurden die Glasgef\u00e4\u00dfe, die dazu benutzt wurden (Reagiergl\u00e4ser, kleine Glask\u00f6lbchen und gr\u00f6\u00dfere Kolben) sterilisiert; ebenso wurde das betreffende Cellulosenmaterial steril gemacht.\nUm die Wirkung auf Cellulose zu konstatieren, brachte man in das betreffende sterile Gef\u00e4\u00df eine entsprechende Quantit\u00e4t\n\u2022\ti","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\tW. Ellenberger,\nder erw\u00e4hnten N\u00e4hrl\u00f6sung mit Flie\u00dfpapier und setzte dazu (impfte) eine Reinkultur des Pilzes, die einer Mannit-Agarplatte entstammte. Sp\u00e4ter \u00abimpften\u00bb wir nur mit den Sporen; diese wurden mit einer Platin\u00f6se wie ein Pulver \u00fcbertragen. Das Wachstum des Pilzes erfolgte auch bei dieser Art der Impfung sehr gut.\nStickstoffbedarf des Pilzes. Um festzustellen, ob der Pilz ohne die Gegenwart einer Stickstoffquelle gedeiht, ob er mithin auch den N der Luft bei seinen Assimilationsvorg\u00e4ngen zum Aufbau von K\u00f6rpereiwei\u00df benutzen kann, wurden einige Versuche angestellt: Wir setzten den Pilz an: a) mit Leitungswasser und Cellulose; b)mit destilliertem sterilen Wasser und Cellulose; c) mit peptonhaltigem Wasser und Cellulose; d) mit der S. 245 genannten Ammoniumsulfat, Bikaliumphosphat, Magnesiumsulfat und Natriumchlorid enthaltenden L\u00f6sung ohne Cellulose.\nDas Ergebnis war folgendes : a) Der nur mit Wasser und Cellulose angesetzte Pilz wuchs relativ langsam und zeigte erst nach 9 Tagen Sporenbildung. Das Papier war nach 10 Tagen deutlich angegriffen, seine R\u00e4nder aufgefasert und dergl. b) Im destillierten Wasser wuchs der Pilz noch langsamer als im Leitungswasser; immerhin konnte nach 10 Tagen ein Angriff auf das Filtrierpapier festgestellt werden, c) Auf der Peptonl\u00f6sung bildete sich eine dichte Myceldecke, die Sporenbildung begann erst am f\u00fcnften Tage. Die Cellulose wurde wenig angegriffen, d) Der Kontrollversuch verlief typisch unter lebhaftem Wachstum des Pilzes.\nAus dem Ergebnis dieser Versuche kann geschlossen werden, da\u00df der Pilz zu seiner Existenz eine besondere N-Quelle nicht n\u00f6tig hat, da\u00df er aber nur in Gegenwart N-hal-tiger K\u00f6rper gut gedeiht, lebhaft w\u00e4chst und lebhaft Sporen bildet. Er greift mithin Cellulose auch ohne Gegenwart stickstoffhaltiger K\u00f6rper an, aber in geringerem Grade als bei Gegenwart solcher. Es kommt aber auf die Natur der N-haltigen K\u00f6rper an. In ammoniakhaltigen Fl\u00fcssigkeiten greift er Cellulose lebhaft in salpeterhaltigen etwas weniger an; in Gegenwart von Pepton aber wirkt er verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig schwach.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"247\nZur Frage der Celluloseverdauung.\nSymbiosen. Der Pilz wirkte auch in Gemeinschaft mit anderen Mikroorganismen auf Cellulose ein; einige Arten wirkten g\u00fcnstig auf seine Celluloseverdauungskraft ein, andere waren ohne Einflu\u00df und wieder andere schienen nachteilig einzuwirken. Zu den Symbioseversuchen wurden zun\u00e4chst nur solche Mikroorganismen benutzt, die zusammen mit ihm in den Inhalten des Verdauungsschlauches gefunden worden waren, also z. B. Bac. mycoides und Verwandte, Actinomyces, Bac. mesentericus, Bac. subtilis, Megatherium, Fluorescens usw.\nErscheinungen der Wirkung des Pilzes. In allen F\u00e4llen, gleichg\u00fcltig, ob man Flie\u00dfpapier oder flockige Papiermasse und dergleichen verwandte, bildete sich an der Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit eine hautartige Schicht, eine Art Decke: diese war anfangs wei\u00df, hell, zeigte aber bald dunkle Flecken und Fl\u00f6ckchen, die sich mit der Zeit vermehrten uijd durch die Sporenbildung veranla\u00dft waren. Diese Decke bestand, wie man mikroskopisch feststellen konnte, aus einer Pilzkolonie (einem Pilzmycel mit verzweigten Hyphen und Sporen) und aus Cellulosefasern. Das stattgehabte Wachstum des Pilzes und die Hautbildung konnte man nach 2\u20144 Tagen stets sehr deutlich mit dem Auge feststellen.\nDas Papier war z. B. nach 2 Tagen schleierartig d\u00fcnn geworden, seine vorher scharfen R\u00e4nder erschienen faserig. Oft konnte man am Flie\u00dfpapier sehen, da\u00df es durch den Pilz gewisserma\u00dfen in 2 Lagen zerlegt wurde, von denen eine Lage als Oberfl\u00e4chenh\u00e4utchen eine Unterlage f\u00fcr Pilzsporen bildete, w\u00e4hrend die andere Lage nach einigen Tagen in Flocken zerfiel.\nDer Pilz wuchs aerob; bei Luftabschlu\u00df w\u00e4chst er auch, aber weniger gut; er braucht Feuchtigkeit zu seinem Gedeihen und sucht diese auf. Bei einer Temperatur von 36\u201444\u00b0 wuchs er besonders, lebhaft.\nWurde flockige Papiermasse (eine geschabte Cellulose-masse, die in der Fl\u00fcssigkeit einen dicken Brei darstellte) verwendet, dann hatte sich schon nach 24 Stunden eine dicke hautartige Schicht an der Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit gebildet, die zun\u00e4chst noch hell und wei\u00df war (Myceldeck\u00e9), in der aber schon hier und da ein dunkler Flaum von sporentragenden\nHoppe-Seyler\u2019i Zeitschrift f. physiol. Chemie. XCVI.\t17","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\tW. Ellenberger,\nHyphen zu sehen war. Man halte den Eindruck, als trage der Pilz aus Nahrungs-(KohlenstofT-)bed\u00fcrfnis Cellulosefasern nach der Oberfl\u00e4che, wo er seine g\u00fcnstigsten Wachstums- und Vermehrungsbedingungen findet.\nBei Verwendung von Stroh bildet sich nat\u00fcrlich auch eine Pilzdecke an der Oberfl\u00e4che. Die Ver\u00e4nderungen des Strohs treten f\u00fcr das Auge nicht ann\u00e4hernd so deutlich hervor, wie die des Papiers ; das Stroh zeigt aber gewisse makroskopische und mikroskopische Ver\u00e4nderungen, es wurde durchscheinender, weicher, zerbrechlicher; der Pilz siedelt sich im Stroh an und nistet sich in dasselbe zwischen seine Elemente ein. Man kann ihn mit unbewaffnetem Auge im Stroh in Form dunkler, punktartiger Stellen erkennen, die unter dem Mikroskop als sporentragende Hyphen festgestellt werden.\nWg* haben das Stroh in Form einfacher Strohhalme, in Form von Strohh\u00e4cksel verschiedener L\u00e4nge und Art und als Strohmehl zu den Versuchen verwendet. In einem Falle war Strohh\u00e4cksel in Wasser mit dem Pilz mehrere Monate stehen geblieben; das Stroh war ganz zerfallen.\nVorkommen des Pilzes. Der Pilz wurde gefunden im Pansen- und Haubeninhalt der Wiederk\u00e4uer, weniger in deren Labmageninhalt, ferner in den Faeces des Menschen und verschiedener Tierarten, im Erdboden, am K\u00e4se, im Magen, Coe-cum, Colon des Pferdes, des Schweines und der Wiederk\u00e4uer und im Stroh. Er ist also ungemein verbreitet.\nVerhalten zum Magensaft. Besonders beachtenswert ist, da\u00df der Pilz der Einwirkung des Magensaftes, bezw. der Salzs\u00e4ure desselben widersteht. Seine Wirkung auf Cellulose ist allerdings sowohl in Gegenwart von reiner 0,1\u2014 0,5\u00b0/o HCl als in saurem, HCl und Milchs\u00e4ure enthaltenden Magensaft und der Magenfl\u00fcssigkeit (der aus dem Mageninhalte ausgepre\u00dften Fl\u00fcssigkeit) herabgesetzt; er ist weniger wirkungskr\u00e4ftig. Kommt der so beeinflu\u00dfte Pilz aber wieder in g\u00fcnstige Lebens- und Wachstumsbedingungen, wie sie z. B. im Dickdarm herrschen, dann wird er wieder wirkungskr\u00e4ftig. Es kann somit nicht zweifelhaft sein, da\u00df Pilzmycelien und Pilzsporen, die man der Nahrung zusetzen w\u00fcrde, trotz ihres","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t249\nAufenthaltes im Magen und der ihre Wirksamkeit sch\u00e4digenden Beeinflussung durch die Magenfl\u00fcssigkeit infolge des dem Magen* aufenthalte folgenden Passierens des D\u00fcnndarms und des darab sich anschlie\u00dfenden Aufenthaltes im Dickdarm in letzterem lebhaft wachsen und kr\u00e4ftig l\u00f6send auf Cellulose einwirken k\u00f6nnen. Auch im D\u00fcnndarm trifft man den Pilz in wirksamem Zustande an. Da der Inhalt aber im D\u00fcnndarm nur eine verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig kurze Zeit verweilt, so kann der Pilz hier eine irgend nennenswerte Wirkung auf Cellulose nicht entfalten ; dies findet erst im Dickdarm statt.\nKohlenstoffbedarf. Oben wurde schon erw\u00e4hnt, da\u00df der Pilz ohne Gegenwart einer Kohlenstoffquelle nicht gedeihen und nicht wachsen kann. Als solche diente bei unseren Versuchen in der Regel Cellulose oder \u2014 bei der Z\u00fcchtung \u2014 Mannit. Er kann aber selbstverst\u00e4ndlich auch aus anderen C-haltigen K\u00f6rpern seinen C-Bedarf decken; es lag nahe, dabei an \u00c4thylalkohol zu denken. Wir stellten deshalb mit diesem Versuche an, wobei wir zugleich seine Widerstandskraft gegen Alkohol feststellen wollten. Unsere Versuche zeigten, da\u00df der Alkohol eine sehr gute Kohlenstoffquelle f\u00fcr den Pilz darstellt und da\u00df dieser gegen die Einwirkungen st\u00e4rkerer Konzentrationen von Alkohol sehr widerstandsf\u00e4hig ist. Bei Zusatz von Alkohol in steigender Konzentration zeigte sich, da\u00df der Pilz bei 80\u00b0/o noch lebte und gedieh. Brachte man ihn in 96\u00b0/6igen Alkohol, dann entstand durch die abfallenden Sporen eine Tr\u00fcbung; dadurch, da\u00df dann immer mehr Sporen frei wurden, erfolgte eine Zunahme der Tr\u00fcbung und Verdunkelung des Alkohols. Eine Aussaat aus dieser Alkohol-Pilzmischung gedieh auf Mannit-Agarplatten vorz\u00fcglich. Wurde diese Alkohol-Pilzkultur mit Cellulosepapier in die S. 245 genannte L\u00f6sung gebracht, so wuchs der Pilz und l\u00f6ste Cellulose. Setzte man den.Pilz mit Alkohol und Cellulose zusammen an, dann wuchs er zwar sehr gut, l\u00f6ste aber nur wenig Cellulose. Offenbar bezieht er dann seinen C haupts\u00e4chlich vom Alkohol und greift deshalb die Cellulose weniger an. Eine \u00d6se Pilzkultur aus 96\u00b0/oigem Alkohol griff in der S. 245 genannten N\u00e4hrl\u00f6sung die Cellulose sp\u00e4ter an als eine aus dieser N\u00e4hrl\u00f6sung stammende Pilzkultur.\n17\u00bb","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\tW. Ellenberger,\nDie hohe Widerstandskraft dieses Pilzes gegen hohe Konzentrationen von Alkohol, in denen die meisten anderen Bakterien absterben, gestattet, aus Mischkulturen Reinkulturen des Pilzes auf dem Wege der Alkoholpassage herzustellen.\nIsolieren des Cellulosefermentes. Um festzustellen, ob das Cellulose l\u00f6sende Ferment von dem Pilz getrennt werden kann und ob es dann auch auf Cellulose wirkt, wurde folgender Versuch gemacht: Man brachte in sterile K\u00f6lbchen die betreffende N\u00e4hrl\u00f6sung mit Filtrierpapier, das mit Chloroformdampf sterilisiert war, und setzte Pilzsporen zu. Nach 3 Wochen war unter der inzwischen gebildeten mehrfach erw\u00e4hnten dunklen, sporenhaltigen Mycel-Faserdecke eine breiige faserige Masse entstanden. Diese Sporen, Mycelien, Hyphen und Cellulosefasern enthaltende Fl\u00fcssigkeit wurde durch ein Berkefeld-Filter gesaugt. Die filtrierte Fl\u00fcssigkeit wurde auf Keime gepr\u00fcft durch Plattenkulturen. Sie erwies sich keimfrei (auch bei mikroskopischer Pr\u00fcfung). Dies keimfreie Filtrat wurde in 3 sterilen Reagiergl\u00e4sern verteilt mit Zusatz von Filtrierpapierstreifen. Zum Schutze gegen das Eindringen von Luftkeimen wurde 1 ccm Toluol auf die Oberfl\u00e4che der Fl\u00fcssigkeit gebracht. Man lie\u00df diese Filtrierpapier enthaltenden Fl\u00fcssigkeiten bei 22\u00b0 C. stehen. Nach 14 Tagen sah man AufTaserung des Papiers, nach weiteren 14 Tagen war das Papier so zerfallen, da\u00df beim Sch\u00fctteln ein Brei entstand. Irgend ein Pilzwachstum war nicht zu beobachten.\nUm jedoch die Pilzfreiheit dieser Masse sicher festzustellen, wurden 3 Platten Mannitagar beimpft. Es trat kein Wachstum ein.\nMan mu\u00df aus diesen Versuchsergebnissen schlie\u00dfen, da\u00df auch das freie Ferment des in Frage stehenden von A. Hopffe gefundenen Pilzes Cellulose l\u00f6st.\nGr\u00f6\u00dfe der Cellulosel\u00f6sung. Um ein Bild von der Menge der w\u00e4hrend einer bestimmten Zeit durch den Pilz ge-gel\u00f6sten Cellulose zu gewinnen, wurd\u00e9n W\u00e4gungsversuche angestellt. Abgewogene Mengen Cellulose wurden der Einwirkung des Pilzes in der betreffenden N\u00e4hrl\u00f6sung w\u00e4hrend einer bestimmten Zeit ausgesetzt. Dann wurde der Digestionsversuch abgebrochen,","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Cellulose-Verdauung.\t251\n'\t. c \u2022 / \u2022 \u2022\ndie Digestionsmasse filtriert und nach dem Trocknen gewogen. Man erhielt so das Gewicht der noch vorhandenen ungel\u00f6sten Cellulose mit Einschlu\u00df des Gewichts des Pilzes. Aus der Differenz des Gewichts der angesetzten Cellulosemenge und der ungel\u00f6st gebliebenen Substanz ergab sich, wie viel Prozent der Cellulose in der Versuchszeit ungef\u00e4hr in L\u00f6sung \u00fcbergegangen waren. Das Ergebnis konnte kein ganz genaues sein, weil, wie erw\u00e4hnt, das unbekannte Gewicht des Pilzes, das aber nur unbedeutend sein konnte, h\u00e4tte in Abzug gebracht werden m\u00fcssen, wenn ein ganz genaues Resultat \u00fcber; die Menge der gel\u00f6sten Cellulose h\u00e4tte erzielt werden sollen.\nWir f\u00fchrten zun\u00e4chst zwei Versuchsreihen und zwar jede doppelt durch. Wir setzten\t\u25a0 '\u25a0 : \u2022\n1.\t1 g Papierstoff mit 0,9473 Cellulosegehalt und\n2.\t'/* *\t>\t* 0,473\t\u00bb I\n\\\nan und zwar mit je 50 g N\u00e4hrl\u00f6sung, die mit Pilzspbren geimpft wurde. Das Ergebnis der vier Versuchsreihen wa|r folgendes : Es waren gel\u00f6st:\nin 3 Tagen 1,55\u20142,58 \u00b0/o;\t\tin 4 Tagen 1,49\u20142,$4 #/o ;\t\n\u00bb 5\t\u00bb\t2,80\u20143,55 \u00b0/o ;\t*6 >\t2,65\u20143,$9\u00b0/o;\n\u00bb 7\t\u00bb\t4,10\u20145,03\u00b0/\u00ae;\t* 8 \u00bb\t4,59-5,00 \u00b0/o;\n> 9\t>\t2,52-6,64 \u00b0/o;\t\u00bb 10 >\t5,46\u20145,f 5 */o ;\n\u00bb 11\t*\t5,12\u20146,13 \u00b0/o;\t\u00bb 12 >\t7,38\u20149,07 \u00b0/o\n\u00bb 14\t\u00bb\t8,62-8,93 \u00b0/o;\t* 16 \u00bb\t13^56\u00b0/o\nder angesetzten Cellulosenmenge.\nDa die einfachen W\u00e4gungsversuche, wie erw\u00e4hnt, keine ganz einwandfreien Ergebnisse liefern konnten, sei stellten wir einen weiteren Versuch an, der in der Weise erweitert wurde, da\u00df au\u00dfer den W\u00e4gungen noch die Bestimmung dies \u00c7ellulose-und des Eiwei\u00dfgehaltes des Digestionsr\u00fcckstandes vorgenommen wurde. Zu diesem Versuche verwandten wir 2 g Papiermasse mit 1,881 Cellulosegehalt und 500 g der mit qem Pilz be-schickten N\u00e4hrl\u00f6sung. Nach 50 Tagen waren vjon den 2 g Papiercellulose nur noch 0,8972 g ungel\u00f6ste Substanz vorhanden, es waren also 52,56\u00b0/o der angewandten Zellulose verschwunden bezw. gel\u00f6st, ln der ungel\u00f6sten Substanz fanden wir 0,0823 g Pilzeiwei\u00df und 0,8149 andere Substanzen; also berechnet man 56,91 \u00b0/o gel\u00f6ste Substanz. In einer anderen Probe","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nW. Ellenberger,\nwurden im R\u00fcckstand 0,7700 Cellulose nachgewiesen ; es waren mithin 59,09 \u00b0/o der angesetzten Cellulose gel\u00f6st worden.\nL\u00f6sungsprodukte. Behufs Pr\u00fcfung der bei der Cellulosel\u00f6sung entstehenden Abbau- bezw. Umwandlungsprodukte wurden 2\u201410 g Cellulose der Einwirkung des Pilzes in gr\u00f6\u00dferen, 500 g der erw\u00e4hnten N\u00e4hrl\u00f6sung enthaltenden Kolben ausgesetzt und nach l\u00e4ngerer Zeit die Fl\u00fcssigkeit gepr\u00fcft auf das Vorhandensein von Salpeters\u00e4ure, salpetriger S\u00e4ure, reduzierender und nicht reduzierender gel\u00f6ster Kohlenhydrate, Jodoform bildenden Substanzen, fl\u00fcchtigen Fetts\u00e4uren und l\u00f6slichen Eiwei\u00dfk\u00f6rpern. Die angewandten Pr\u00fcfungsmethoden waren folgende:\n1.\tAuf Salpeters\u00e4ure mit Diphenylaminschwefels\u00e4ure.\n2.\tAuf salpetrige S\u00e4ure mit a-Naphtylamin-Sulfanils\u00e4ure.\n3.\tAuf Kohlenhydrate.\na)\tmit Feh 1 i n gscher L\u00f6sung ohne vorherige Aufschlie\u00dfung mit Salzs\u00e4ure;\nb)\tmit Fehlingscher L\u00f6sung nach vorheriger Aufschlie\u00dfung mit Salzs\u00e4ure;\nc)\tmit Molischs Reagens (a-Naphtol-Schwefels\u00e4ure);\nd)\tdurch Erhitzen mit Natronlauge;\n4.\tAuf Jodoform bildende Substanzen durch Erhitzen mit Jodjodkalium und Natronlauge.\n5.\tAuf fl\u00fcchtige Fetts\u00e4uren durch Destillation der mit Phosphors\u00e4ure anges\u00e4uerten Fl\u00fcssigkeit.\n6.\tAuf l\u00f6sliche Eiwei\u00dfsubstanzen mit den \u00fcblichen Eiwei\u00dfreagenzien (Heller, Biuretreaktion, Millonsche Reaktion usw.)\nDie Ergebnisse dieser Methoden zeigt die nachfolgende Tabelle (Seite 253).\nMan ersieht aus derselben, da\u00df es sich bei der Cellulosezersetzung durch den von uns gefundenen, im Verdauungskanal wirkenden Pilz um andere Vorg\u00e4nge handelt als um die vielfach beobachteten unter lebhafter Gasentwicklung stattfindenden Cellulose-G\u00e4rungsprozesse, die auch wir fr\u00fcher beobachtet und studiert haben. Auch bei den durch die fr\u00fcher unter Sch eu n er ts Leitung festgestellten Cellulose angreifenden Bakterien hervorgerufenen Prozessen handelte es sich nicht um diese G\u00e4rungen.","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der Celluloseverdauung.\t253\n40 Tagen auf Vio konzentriert\t+ . , 4* 1\t44 4-\t4-\t4*\t| cw. c*.. + + : .\n5. nach urspr\u00fcngliche -L\u00f6sung\t4 f 1\t+1 4-\t4*\t4* =1 -f 1\n28 Tagen auf Vio konzentriert\t+ + \u2022 II 4* i 4-\t4*\t4- 1\t! + +\n4. nach ! urspr\u00fcng- liche L\u00f6sung\t44 4-\t4*\t4-\t4*\t+ . + >\\\t4*1\n28 Tagen auf V,o konzentriert\t1 i l 1 l. +\t+ ;l +i r i\n3. nach urspr\u00fcng- liche L\u00f6sung\t1 1\t1\t1\t4-\t4\"\t4\u201c ; 1\t1\n21 Tagen auf Vio konzentriert\t+14*\t44\t4*\t4-\t4-\t4-1\t4-1\n2. nach : urspr\u00fcng- liche L\u00f6sung\ti +11\ti. +i +i +[\\ +i\n16 Tagen in der auf */io konzentrierten Fl\u00fcssigkeit\tS3\t* o\t4- 1 i 1 +\t+ j i- i V3\t'\n1. nach in der ur-spr\u00fcngl. Fl\u00fcssigkeit\t1 +1\t1\t+1\t+1\t+, l\t1\nPr\u00fcfung auf\tSalpeters\u00e4ure . ..... Salpetrige S\u00e4ure .... Reduzierende Kohlenhy-drate\t Nach dem Aufschlie\u00dfen reduz. Kohlenhydrate . Die Molischsche Reaktion gebende Substanzen Durch Alkali sich gelbf\u00e4rbende Substanzen . Jodoformgebende Substan-zen . . . . . .... . Fl\u00fcchtige Fetts\u00e4uren .\t. L\u00f6sliche Eiwei\u00dfk\u00f6rper . . Milchs\u00e4ure .......\n!\nI\ni\n:","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254 W. Ellenberger, Zur Frage der Gell\u00fcloseverdauung.\nEbenso ist bei den durch Wirkung des Aspergillus-Pilzes in Gegenwart der oben erw\u00e4hnten Bakterien (in Symbiose) eintretenden Cellulosezersetzungen nur geringgradige oder keine Gasentwicklung zu beobachten.\nNach unseren bisherigen Versuchsergebnissen kann es keinem Zweifel unterliegen, da\u00df bei den Cellulosezersetzungen im Verdauungsschlauche, abgesehen von den bei den Celluloseg\u00e4rungen entstehenden organischen S\u00e4uren noch andere verwertbare Produkte entstehen. Im Verdauungsschlauche laufen zweifellos verschiedene Arten von Vorg\u00e4ngen bei der Cellulosezersetzung ab, wie dies auch bei der Zersetzung und Verdauung anderer Kohlenhydrate, der Eiwei\u00dfk\u00f6rper und der Fette der Fall ist. Nur ein Teil der Cellulose verf\u00e4llt den bekannten genau untersuchten, unter Entwicklung von Gasen (CH4, C02, H, N) und organischen S\u00e4uren ablaufenden G\u00e4rungen, ein anderer Teil verf\u00e4llt anderen, den sonstigen Verdauungsvorg\u00e4ngen \u00e4hnlichen Umwandlungen.\nWie ich einleitend schon bemerkte, werden meine Mitarbeiter ihre Untersuchungen (die wir \u00fcbrigens noch fortsetzen) und deren Ergebnisse sp\u00e4ter schildern und dabei die \u00fcber das gesamte Gebiet der Cellulosefrage vorhandene reiche Literatur ber\u00fccksichtigen und den in den vorstehenden kurzen Mitteilungen nicht erw\u00e4hnten Autoren gerecht werden.","page":254}],"identifier":"lit20603","issued":"1915-16","language":"de","pages":"236-254","startpages":"236","title":"Zur Frage der Celluloseverdauung. Nach Versuchen von A. Scheunert, W. Grimmer und A. Hopffe","type":"Journal Article","volume":"96"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:37:45.467311+00:00"}