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{"created":"2022-01-31T16:39:38.158830+00:00","id":"lit20715","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Thannhauser, S. J.","role":"author"},{"name":"G. Dorfm\u00fcller","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 102: 148-159","fulltext":[{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien \u00fcber den NucleinetoffWecheel.\n5. Mitteilung.\n\u00dcber die Aufspaltung des Purinringes durch Bakterien der\nmenschlichen Darmflora.\nVon\nS. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller.\n(Aus dor II. Med. Klinik M\u00fcnchen, F.M\u00fcller.)\n(Der Redaktion zugegangen am 15. April 1918.)\nIn fr\u00fcheren Mitteilungen1) haben wir gezeigt, da\u00df durch den menschlichen D\u00fcnndarmsaft der Polynucleotidkomplex der Hefenucleins\u00e4ure in Triphosphonucleins\u00e4ure und Uridinphosphors\u00e4ure aufgespalten wird. Die Triphosphonucleins\u00e4ure ist ein Trinucleotid, das sich aus den Nucleotiden der Guanosin-Adenosin-Gytidinphosphors\u00e4ure aufbaut. Die Uridinphosphor-s\u00e4\u00fcre ist das Mononucleotid des Uracils. Beide K\u00f6rper sind in Wasser leicht l\u00f6slich. Durch den Darmsaft wird somit das schwer wasserl\u00f6sliche Polynudeotid jedenfalls durch hydrolytische Aufl\u00f6sung der Phosphors\u00e4ureanhydridbindungen des Poiynudeotidmolek\u00fcles in leicht wasserl\u00f6sliche, einfachere Nucleotidkomplexe aufgespalten. Es ist ungekl\u00e4rt, ob dieser hydrolytische Vorgang eine Funktion eines der bereits bekannten Darm- oder Pankreasfermente ist oder ob er einem\nspezifischen Fermente, einer \u00abNucleotidacidase\u00bb, zuzuschreiben\n\u2022 *\nist. Ein nucleolytisches Ferment, eine Nuclease, die das Poly-nucleotidmolek\u00fcl in kleine Spaltst\u00fccke aufspaltet, konnte bei unseren Versuchen nicht beobachtet werden, da es uns niemals gelang, freie Purine in der Verdauungsfl\u00fcssigkeit nachzuweisen. Die gro\u00dfe Wasserl\u00f6slichkeit der von uns aus der\n*) S. J. Thannhauser, Diese Zeitschr., Bd. 91, S. 329 (1914); S. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller, Diese Zeitschr., Bd. 100, S. 121 (1917).","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien Ober den Nucleinstoffwechsel. 5. Mittig. 149\nVerdauungsfl\u00fcssigkeit isolierten Nucleotidkomplexe der Tri-phosphonucleins\u00e4ure und der Uridinphosphors\u00e4ure l\u00e4\u00dft es wahrscheinlich erscheinen, da\u00df diese Spaltst\u00fccke zur Resorption gelangen. Ober den weiteren Abbau des Purinanteiles der Nucleotide im intermedi\u00e4ren Stoffwechsel gaben uns die sub-cutanen Injektionen der Nucleoside Adenosin und Guanosin1) Aufschlu\u00df. Die in den Purinzuckerverbindungen vorgebildeten Aminopurine werden zu 80 bis 100 \u00b0/o als Harns\u00e4ure ausgeschieden. Die Unzerst\u00f6rbarkeit der Harns\u00e4ure im intermedi\u00e4ren Stoffwechsel wurde lange vor den Nucleosidinjektionen von L\u00f6wi,2 *) Soetbeer und Ibrahim,*) besonders von Wie-chowski4) und auch von Umber5) angenommen. Diese Forscher f\u00fchrten parenteral Harns\u00e4ure teils subcutan teils intraven\u00f6s zu und fanden die injizierten Harns\u00e4uremengen quantitativ im Ham wieder. Gegen diese Versuche f\u00fchrte man an, da\u00df die Harns\u00e4ure, wenn sie einmal im intermedi\u00e4ren Stoffwechsel gebildet ist, wohl nicht mehr w\u00e8iter abgebaut werden k\u00f6nne, da\u00df aber eine Aufspaltung des Purinringes vor der Harns\u00e4ure-bildung bei den Vorstufen der Harns\u00e4ure sehr wohl m\u00f6glich w\u00e4re. Dieser Einwand ist nunmehr durch die Resultate der Nucleosidinjektionen entkr\u00e4ftet und die Harns\u00e4ure als das Stoffwechselendprodukt des intermedi\u00e4ren Purinstoffwechsels anzusehen. Die im Darm zu wasserl\u00f6slichen Komplexen aufgespaltenen Polynucleotide werden, soweit sie als einfach zusammengesetzte Nucleotide zur Resorption gelangen, im intermedi\u00e4ren Stoffwechsel bei intakter Purinzuckerbindung des-amidiert und oxydiert und gelangen als Harns\u00e4ure zur Ausscheidung.\nt\n\u25a0 So eindeutig diese Resultate unserer Untersuchungen auch scheinen, so stehen sie dennoch im Widerspruch mit einer experimentellen Feststellung, die von allenUntersuchern, welche\n*) S. J. Thannhauser und A. Bommes, Diese Zeitschr., Bd. 91, S. 336 (1914).\n\u2022) L\u00f6wi, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 44, S. 1 (1900).\n*) Soetbeer und Ibrahim, Diese Zeitschr., Bd. 35; S. 1 (1902).\n4) Wiechowski, Arch. f. exp. Path.u. Pharm., Bd. 60, S. 185 (1909).\n6) Umber und Retzlaff, Kongr. f. inn. Med. 1910, S. 436.\nHopp*S\u00abT|\u00abr\u2019a Zeitschrift f. physiol. Chemie, cn.\t11","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"S. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller,\nbisher Nucleinstoffwechselversuche anstellten, gemacht wurde. Es wurde festgestellt, da\u00df sowohl bei einer oralen Nuclein-s\u00e4uregabe als auch bei einer Thymusmahlzeit nur ein Bruchteil der in diesen Substanzen vorgebildeten Purine als Harns\u00e4ure ausgeschieden wird. Auch bei oraler Gabe1) von krystalli-sierten, reinen Purinen erscheinen ebenfalls nur 30 bis 45\u00b0/o der verfutterten Purine als Harns\u00e4ure im Urin und als unver\u00e4nderte Purine im Kot wieder. Die gr\u00f6\u00dfte Harns\u00e4urevermehrung wurde bei oraler Gabe des relativ leicht wasserl\u00f6slichen Hypoxanthins und die geringste Harns\u00e4uremehrausscheidung bei dem schwer l\u00f6slichen Xanthin erzielt. Gegen Verf\u00fctterungs-versuche von reinen Purinen als Kriterium f\u00fcr den Ablauf des Nucleinstoffwechsels mu\u00df der Einwand erhoben werden, da\u00df sie von unrichtigen Voraussetzungen ausgehen, da freie Purine beim physiologischen Stoffwechsel dem Darm weder zugef\u00fchrt werden, noch auch im Darm durch fermentative Prozesse entstehen. Dieser Einwand besteht nicht bei der oralen Zufuhr von Nucleins\u00e4uren, die das Purin noch in intakter Purinzuckerbindung enthalten, und bei einer Briesmahlzeit. Die von den verschiedenen Forschern2) erhaltenen Harns\u00e4urewerte nach einer Briesmahlzeit oder nach Nucleins\u00e4uregabe schwanken zwischen 10 bis 50\u00b0/o. Die meisten Untersucher erhielten 30 bis 35\u00b0/o der in den verf\u00fctterten Nudeinen enthaltenen Purine als Harns\u00e4ure im Urin wieder. Dazu kommen noch 1 bis 6\u00b0/o unver\u00e4ndert ausgeschiedene Purine im Kot. Das Harns\u00e4uredefizit bei diesen Versuchen ist, wenn man die Kotpurine noch den Harns\u00e4urewerten des Urines zurechnet, ca.60\u00b0/o. Es ist verst\u00e4ndlich, da\u00df bei einem derartigen Harns\u00e4uredefizit der Purinbilanz das Bestehen einer intermedi\u00e4ren Urikolyse immer wieder angenommen wurde, zumal gleichzeitig mit den Nucleingaben die Gesamtstickstoffausscheidung und speziell die Harnstoffausscheidung8) in die H\u00f6he geht und als Folge eines\n*) Literatur bei Wiechowski \u00abAnalyse des Harns\u00bb (Neubauer-Huppert), Brugsch-Schittenhelm, \u00abDer Nucleinstoffwechsel\u00bb, Jena 1910; Severin, Habilitationsschrift Breslau 1916.\n*) Siehe Zitat 1.\n8) Brugsch-Schittenhelm, \u00abDer Nucleinstoffwechsel\u00bb, Jena 1910, S. 44.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel. 5. Mittig. 151\nintermedi\u00e4ren Harns\u00e4ureabbaues angesehen werden kann. Eine eindeutige, experimentelle Aufkl\u00e4rung des Defizits in. der Purinbilanz des menschlichen NudeinstoffWechsels konnte bei Ab-\nt .\nlehnung einer intermedi\u00e4ren Purino- oder Urikolyse bisher . nicht gegeben werden. Die Anschauung, da\u00df ein Teil der zugef\u00fchrten Nahrungspurine zum Kernaufbau verwendet wird, kann bei einem ausgewachsenen Individuum nur insoweit zutreffen, als es sich um den Ersatz der st\u00e4ndig durch Zellmauserung zu Verlust gehenden Purine handelt. F\u00fcr die durch Zellabnutzungsvorg\u00e4nge zerfallenden und zum Abbau gelangenden Nucleine d\u00fcrfte eine ann\u00e4hernd \u00e4quivalente Menge Nah-rungsnucleine zum Kernaufbau herangezogen werden, falls \u00fcberhaupt die noch unbewiesene Annahme richtig ist, da\u00df Nahrungspurine direkt zum Kernaufbau wieder verwendet werden. In der Purinbilanz sind dann die zum Aufbau verwendeten Mengen mit den abgebauten Mengen ausgeglichen, sofern nicht der K\u00f6rper durch Wachstum mehr aufbaut als zersetzt. Das letztere Moment wird bei einem erwachsenen Menschen nur in ganz beschr\u00e4nktem Ma\u00dfe der Fall sein und nur in geringem Grade f\u00fcr die Erkl\u00e4rung des Purindefizits des Stoffwechsels heranzuziehen sein. Brugsch,1) der urspr\u00fcnglich mit Schittenhelm f\u00fcr das physiologische Bestehen einer intermedi\u00e4ren Urikolyse eintrat, zieht neuerdings ein anderes Moment zur Erkl\u00e4rung des Harns\u00e4uredefizits heran.. Er nimmt an, da\u00df verschiedene Organe, besonders die Leber, Purine speichern und s\u00f6 einen Teil der exogenen Purine aufstapeln, um sie bei Fehlen der Nahrungsnucleine ins Blut wieder abzugeben. Eine \u00fcberzeugende, experimentelle Begr\u00fcndung dieser Hypothese konnte bisher nicht erbracht werden. Die beiden Faktoren \u00abKernaufbaupurin\u00bb und \u00abSpeicherungspurin\u00bb k\u00f6nnen nach den bisherigen experimentellen Ergebnissen zum Ausgleich des Harns\u00e4uredefizits nicht in ausreichender Weise angef\u00fchrt werden. Nach unserer Ansicht besteht, nachdem durch die parenterale Zufuhr von Harns\u00e4ure und Nucleosiden die Unzerst\u00f6rbarkeit des Purinkerns im intermedi\u00e4ren Stoffwechsel wahrscheinlich wurde, wenig Aussicht, das Defizit in der Purin-\n*) Brugsch, Med. Klinik 1913.\n11*","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nS. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller,\nbilanz durch Vorg\u00e4nge im intermedi\u00e4ren Zellstoffwechsel zu erkl\u00e4ren. Es scheint vielmehr derjenige Purinteil, der nicht als einfacher Nucleotidkomplex bei intakter Phosphors\u00e4urezuckerbildung zur Resorption gelangt, im Darme bereits eine Einwirkung zu erfahren, durch welche der Purinring aufgespalten wird. Da Fermente des Darmes nach den bisherigen Untersuchungen eine Purinolyse nicht bewirken, so k\u00f6nnte nur durch bakterielle Einwirkung eine derartige Ver\u00e4nderung der Purine erzielt werden. Baginski1 * *) und Schindler\u00bb) stellten bereits vor mehr als 30 Jahren fest, da\u00df Purine durch F\u00e4ulnisbakterien so tiefgreifend ver\u00e4ndert werden, da\u00df sie mit den gebr\u00e4uchlichen Purinfallungsreaktionen nur in Spuren mehr nachzuweisen sind. Schittenhelm und Schr\u00f6ter\u00bb) untersuchten in einer Reihe von Versuchen die Zersetzungsprodukte, welche durch Einwirkung von Bacterium coli, von einem Gemisch der Darmflora und von Staphylokokken auf Hefenuclein-s\u00e4ure produziert werden. Die beiden Autoren fanden, da\u00df in der Hauptsache elementarer Stickstoff aus den Purinen bei der Zersetzung durch die Darmbakterien entstehe. Dieses \u00fcberraschende Ergebnis hat sich bei der Nachpr\u00fcfung4) als irrt\u00fcmlich herausgestellt. \u2014 Siv\u00e8n\u00bb) impfte Bouillonr\u00f6hrchen, mit Reinkulturen von coli und fand, da\u00df der Gehalt der Bouillon an Purinen bereits nach 48 Stunden bis auf Bruchteile gesunken war. Durch die Versuche der genannten Untersucher war erwiesen, da\u00df der Purinanteil der Nucleins\u00e4uren durch die Darmflora zersetzt wird, jedoch wurde nicht mit Sicherheit festgestellt, welches stickstoffhaltige Abbauprodukt in der Hauptsache bei der bakteriellen Purinolyse entsteht. F\u00fcr die Beurteilung des menschlichen Nucleinstoffwechsels schien uns die Klarstellung der bakteriellen Purinolyse von Bedeutung.\n*\n*) Baginski, Diese Zeitschr., Bd.8, S.395 (1884).\n\u00c4) Schindler, Diese Zeitschr., Bd. 13, S. 441 (1889).\n*) Schittenhelm und Schr\u00f6ter, Diese Zeitschr., Bd.35, S.162 (1902); Bd. 39, S. 203 (1903); Bd. 40, S. 62 u. 70 (1904); Bd. 41, S. 284 (1904).\n4) C. Oppenheimer, Diese Zeitschr., Bd.41, S. 3 (1904).\n\u2022) Si?\u00e8n, Pfl\u00fcgers Arch., Bd. 157, S. 582 (1914).","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel. 5. Mittig. 153\nGelingt es, durch Einwirkung von Bakterien der menschlichen Darmflora Purine in wesentlicher Menge zu einem Harnstoff-bildner abzubauen, so d\u00fcrfte es wahrscheinlich sein, da\u00df die bei oraler Gabe von Nucleins\u00e4ure beobachtete Mehrausscheidung von Harnstoff und das Harns\u00e4uredefizit dem Einflu\u00df der Darmbakterien zuzuschreiben ist.\nIn einer Reihe von Versuchen lie\u00dfen wir ein Gemisch von Darmbakterien in L\u00f6sungen wachsen, die als einzigen stickstoffhaltigen Bestandteil die Nucleoside Guanosin, Adenosin oder Inosin enthielten. Die Nucleoside sind fur derartige Versuche besser geeignet als die freien Purine, da man die Nucleoside in w\u00e4sseriger L\u00f6sung dem N\u00e4hrsubstrat zusetzen kann, w\u00e4hrend man die Purine in alkalischer L\u00f6sung oder als Halogensalze zugeben m\u00fc\u00dfte und so die physiologischen Vorbedingungen ver\u00e4ndern w\u00fcrde. Gegen\u00fcber den Nucleins\u00e4uren, l die sich ebenso in w\u00e4sseriger L\u00f6sung anwenden lie\u00dfen, bieten die Nucleoside den Vorteil, da\u00df sie* reine, krystallisierte K\u00f6rper sind. Quantitative Bestimmungen der festgestellten Abbauprodukte lassen deshalb eindeutige R\u00fcckschl\u00fcsse auf die Menge der durch die Bakterien ver\u00e4nderten Purine zu. Die N\u00e4hr-l\u00f6sungen enthielten au\u00dfer dem jeweils zugesetzten Nucleosid nur anorganische Bestandteile und waren hinsichtlich der anorganischen Zusammensetzung einer Uschinski-L\u00f6sung nachgebildet. Die N\u00e4hrl\u00f6sung wurde jeden zweiten Tag mit einem Tropfen einer Aufschwemmung von Darmbakterien g\u00e9impft und im Brutschrank bei 37\u00b0 gehalten. Die Aufschwemmung der Darmbakterien wird durch Impfen eines Bouillonr\u00f6hrchens mit einer \u00d6se frischen Stuhles und 24 st\u00e4ndigen Bebr\u00fctens bei 37\u00b0 hergestellt und zu jeder Impfung frisch bereitet.\nDurch verschiedene Tastversuche haben wir zuerst festgestellt, da\u00df die bakterielle Einwirkung auf die Nucleoside den Purinanteil weder zu Pyrimidinen noch zu einem Ureid zersetzt. Wir erkannten bald, da\u00df als haupts\u00e4chliches Endprodukt der bakteriellen Zersetzung der Purine durch die Darm--flora Ammoniak entsteht. Nach dieser Erkenntnis war die Methodik eine einfache, das entstandene Ammoniak quantitativ festzuhalten. In einer Reihe von quantitativen Bestim-","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"10*\ts. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller,\nmungen konnten wir zeigen, da\u00df der Stickstoff der Nucleoside durch die Bakterienflora des menschlichen Darmes nach 20 Tagen zu 70 bis 100\u00b0/o in Ammoniak verwandelt ist. Gegen die Versuchsdauer von 20 Tagen k\u00f6nnte man den Einwand erheben, da\u00df sie zu lang ist, um R\u00fcckschl\u00fcsse auf die physiologischen Verh\u00e4ltnisse bei der Darmpassage zu ziehen. Die lange Versuchszeit d\u00fcrfte aber in Anbetracht des frugalen anorganischen N\u00e4hrbodens gerechtfertigt erscheinen. Die bakterielle Purinolyse ist eine vollst\u00e4ndige. Das entstehende, stickstoffhaltige Endprodukt, das Ammoniak, ist ein Harnstoffbildner. Nach diesen Befunden d\u00fcrfte es wahrscheinlich sein, da\u00df nach oraler Nu-cleins\u00e4uregabe bei Menschen ein wesentlicher Teil des Harns\u00e4uredefizits in der Purinbilanz und die gleichzeitige Harnstoffmehrausscheidung auf die bakterielle Purinolyse im Darm zur\u00fcckzuf\u00fchren ist.\n4\nExperimenteller Teil.\n1\nZu unseren Versuchen wurde eine N\u00e4hrl\u00f6sung folgender Zusammensetzung benutzt.\nDestilliertes Wasser 700 ccm K,HP04 2,3 g NaCl 6,0 \u00bb\nCaCl, 0,1 \u00bb\nMgS04 0,3 \u00bb.\nZu dieser L\u00f6sung wurde als einziger organischer Bestandteil und als einziges stickstoffhaltiges N\u00e4hrsubstrat 1,5 g krystallisiertes Nucleosid (Guanosin, Adenosin oder Inosin),1) in 300 ccm hei\u00dfem Wasser gel\u00f6st, zugesetzt. Die ganze N\u00e4hrl\u00f6sung, welche nunmehr 1000 ccm betr\u00e4gt, ist bei 37\u00b0 klar. Sollten sich vor der Animpfung Spuren eines flockigen Niederschlages abscheiden, so wird von diesem abfiltriert. Man bringt\n*) Adenosin und Guanosin stellten wir nach den Angaben von Levene und Jacobs (Ber. d. deutsch, chem. Ges., Bd. 42, S. 2703, 1909) her. Inosin wurde aus Liebigs Fleischextrakt gewonnen. Das in diesen Versuchen verwendete Inosin entstammt einem Pr\u00e4parat, das von dem einen von uns bereits vor 5 Jahren hergestellt wurde. Schmelzp. 215","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Stadien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel. 5. Mittig. 155\ndie L\u00f6sung in einen Filtrierstutzen, der mit einem einfach durchbohrten Gummistopfen verschlossen ist, durch den ein Luftzuleitungsrohr bis auf den Bod\u00e8n des Gef\u00e4\u00dfes reicht. Der Saugansatz des Filtrierstutzens mit der N\u00e4hrl\u00f6sung wird mit einem zweiten ebenfalls mit durchbohrten Gummistopfen und Luftzuleitungsrohr versehenen kleineren Filtrierstutzen derartig verkuppelt, da\u00df der Saugansatz des ersten Filtrierstutzens durch ein Gummischl\u00e4uchchen mit dem Luftzuleitungsrohr des zweiten Filtrierstutzens verbunden ist. Der zweite, kleinere Stutzen dient als Vorlage und wird mit Vio-n-S\u00e4ure und einigen Tropfen Methylorange als Indikator beschickt. Beide Stutzen wurden in einen Brutschrank von 37\u00b0 gestellt und die N\u00e4hrl\u00f6sung jeden zweiten Tag mit einer Aufschwemmung von Bakterien der Darmflora geimpft. Die Aufschwemmung der Darmbakterien wird zu jedem Impfen, frisch hergestellt, indem man in ein Bouillonr\u00f6hrchen eine \u00d6se frischen Kotes gibt und 24 Stunden bei 37\u00b0 stehen l\u00e4\u00dft. Von dieser Aufschwemmung wird dann auf die N\u00e4hrl\u00f6sung \u00fcberimpft. In der. N\u00e4hrl\u00f6sung gehen die \u00fcberimpften Bakterien bereits nach 24 Stunden reichlich an. Nach 3- bis 4-t\u00e4gigem Stehen scheiden sich in der N\u00e4hrl\u00f6sung geringe Mengen eines krusigen, mikrokrystalli-nischen Niederschlages aus, die im Verlauf des Versuches wieder in L\u00f6sung gehen. Nach 20 t\u00e4gigem Stehen ist die N\u00e4hrl\u00f6sung von den gewachsenen Bakterien stark getr\u00fcbt. Am Boden der Fl\u00fcssigkeit hat sich ein geringer Bodensatz abgesetzt. Die beiden verkuppelten Stutzen werden aus dem Brutschrank herausgenommen, und mit einer Wasserstrahlpumpe 24 Stunden Luft durchgesaugt, soda\u00df ein Teil des entstandenen Ammoniaks durch die im kleinen Stutzen vorgelegte S\u00e4ure gebunden wird. Da der gr\u00f6\u00dfere Teil des entstandenen Ammoniaks in der N\u00e4hrl\u00f6sung durch das Kaliumphosphat chemisch gebunden ist und durch einfaches Luftdurchleiten nicht ausgetrieben wird, mu\u00df man die ganze L\u00f6sung stark alkalisch machen und abermals Luft durchleiten.. K\u00fcrzer und einfacher verf\u00e4hrt man, wenn man 20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung nach dem Luftdurchsaugen abpipettiert und in dieser kleinen Menge das Ammoniak durch Alkalischmachen mit fester Krystallsoda und","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\tS. J. Thannhauser und G. Dorfm\u00fcller,\n\u00dcbertreiben in eine Vorlage von 20 ccm 1110-n-S\u00e4ure bestimmt. Der durch einfaches Luftdurchsaugen in der ersten Vorlage und der durch die eigentliche Ammoniakbestimmung gefundene Wert wird addiert. Da au\u00dfer den Nucleosiden kein anderer stickstoffhaltiger K\u00f6rper in der N\u00e4hrl\u00f6sung vorhanden war, so kann der auf diese Weise bestimmte Ammoniakstickstoff nur aus dem Purinanteil der Nucleoside stammen.\nVersuch 1.\n1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung mit 1,5 g Guanosin werden 20 Tage jeden 2. Tag mit Darmbakterien geimpft und in der beschriebenen Apparatur im Brutschrank bei 37\u00b0 stehen gelassen. Die Verarbeitung geschieht in der angegebenen Weise.\nZum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 250 ccm Vio-n-S\u00e4ure werden nach 24 st\u00e4ndigem Luftdurchleiten 240 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\nVerbraucht wurden also 10 ccm Vio-n-S\u00e4ure = 0,014 g N. 20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung wurden mit fester Krystallsoda kalt ges\u00e4ttigt, 20 ccm Vio-n-S\u00e4ure vorgelegt und 24 Stunden Luft durchgeleitet. (Vor die Luftzuleitungsr\u00f6hre der N\u00e4hrl\u00f6sung wird bei allen Versuchen eine Waschflasche mit verd\u00fcnnter Salzs\u00e4ure zur Absorption des atmosph\u00e4rischen Ammoniaks gelegt.) Zum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 20 ccm Vio-n-S\u00e4ure werden 16,5 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\n20 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung verbrauchen somit 3,5 ccm */io-n-S\u00e4ure = 0,0049 g N.\nln 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung sind 0,245 g N als Ammoniakstickstoff enthalten. Als Gesamtammoniakstickstoff wurden gefunden 0,014 g N + 0,245 g N = 0,259 g N.\nDa in 1,5 g Guanosin 0,3701 g N enthalten sind, entspricht der als Ammoniakstickstoff gefundene Wert von 0,259 g N 70\u00b0/o des im Guanosin enthaltenen Stickstoffs.\nVersuch 2.\n1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung mit 1,5 g Guanosin werden 14 Tage jeden 2. Tag mit Darmbakterien geimpft und in der an-","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel. 5., Mittig. 157\ngegebenen Weise behandelt. Zum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 250 ccm Vio-n-S\u00e4ure werden nach 24 st\u00e4ndigem Luft-durchleiten 240 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\nVerbraucht wurden also 10 ccm Vio-n-S\u00e4ure = 0,014 g N. 20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung wurden mit Krystallsoda kalt ges\u00e4ttigt, 20 ccm \u00bb/lo-n-S\u00e4ure vorgelegt und 24 Stunden Luft durchgeleitet. Zum Zurucktitrieren der vorgelegten 20 ccm Mio-n-S\u00e4ure wurden 16,6 ccm n-Lauge ben\u00f6tigt.\n20 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung verbrauchen somit 3,4 ccm Vio-n-S\u00e4ure = 0,00476 g N.\nln 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung sind 0,238 g Stickstoff als Ammoniakstickstoff enthalten.\nAls Gesamtammoniakstickstoff wurden gefunden 0,014 g N . + 0,238 g N = 0,252 g N.\nDain 1,5gGuanosin0,3701 gNenthaltensind, entspricht der als Ammoniakstickstoff gefundene Wert von 0,252 g N 67\u00b0/o des im Guanosin enthaltenen Stickstoffs.\nVersuch 3.1)\n1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung mit 1,5 g Adenosin werden 20 Tage jeden 2. Tag mit Darmbakterien geimpft und in der angegebenen Weise behandelt.\nZum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 100 ccm Mio-n-S\u00e4ure werden nach 24 st\u00e4ndigem Luftdurchleiten 7 ccm Mio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\nVerbraucht wurden somit 93 ccm ^lo-n-S\u00e4ure == 0,1302 g N. 20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung wurden mit Krystallsoda kalt ges\u00e4ttigt, 20 ccm Mio-n-S\u00e4ure vorgelegt und 24 Stunden Luft durchgeleitet. Zum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 20 ccm Vio-n-S\u00e4ure wurden 17 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\n20 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung verbrauchen somit 3 ccm Vio-n-S\u00e4ure = 0,0042 g N.\nIn 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung sind 0,210 g N als Ammoniak-* Stickstoff enthalten. Als Gesamtammoniakstickstoff wurden ge-funden 0,1302 g N + 0,210 g N = 0,3402 g N.\n*) Herr Dr. Otto Wutb hatte die Liebensw\u00fcrdigkeit, diesen Versuch auszuf\u00fchren.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"l0\u201c\tS. J. Thannhauser und 6. Dorfm\u00fcller,\nDa in 1,5 g Adenosin 0,3933 g N enthalten sind, entspricht der als Ammoniakstickstoff gefundene Wert von 0,3402 g N 87\u00b0/o des im Adenosin enthaN tenen Stickstoffs.\nVersuch 4.\n1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung mit 1,5 g Inosin (Hypoxantho-sin) wurden 20 Tage jeden 2. Tag mit Darmbakterien geimpft und in der angegebenen Weise behandelt.\nZum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 200 ccm Vio-n-S\u00e4ure wurden 200 ccm Vio-n-Lauge verbraucht. AmmoniakstickstoiT in der Vorlage = 0.\n20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung werden mit Krystallsoda kalt ges\u00e4ttigt, 20 ccm \u2018/lo-n-S\u00e4ure vorgelegt und 24 Stunden Luft durchgeleitet.\nZum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 20 ccm ^\u00eeo-n-S\u00e2ure werden 15,7 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\n20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung verbrauchen somit 4,3 ccm Vio-n-S\u00e4ure = 0,0062 g N.\nIn 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung sind also 0,310 g Stickstoff als Gesamtammoniakstickstoff enthalten.\nDa in 1,5 g Inosin 0,3134 g N enthalten sind, entspricht der als Ammoniakstickstoff gefundene Wert von 0,310 g N 100\u00b0/o des im Inosin enthaltenen Stickstoffs.\n%\nVersuch 5.\n. 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung mit 1,5 g Guanosin, die an Stelle von 2,3 g Bikaliumphosphat die gleiche Menge Monokaliumphosphat enth\u00e4lt, wurde in der gleichen Weise verarbeitet wie die vorhergehenden Versuche. Wie vorauszusehen war, befand sich in der Vorlage wegen des in der N\u00e4hrl\u00f6sung enthaltenen Monokaliumphosphates kein absorbiertes Ammoniak.\n25 ccm vorgelegte ^\u00eeo-n-S\u00e2ure verbrauchte 25 ccm Vio-n-Lauge. Das entstandene Ammoniak wird in der N\u00e4hrl\u00f6sung durch das Monokaliumphosphat chemisch gebunden.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Experimentelle Studien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel. 5. Mittig. 159\n20 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung werden mit Krystallsoda kalt ges\u00e4ttigt, 20 ccm \u2019fio-n-S\u00e4ure vorgelegt und 24 Stunden Luft durchgeleitet. Zum Zur\u00fccktitrieren der vorgelegten 20 ccm \u2018/w-n-S\u00e4ure werden 16 ccm Vio-n-Lauge ben\u00f6tigt.\n20 ccm der N\u00e4hrl\u00f6sung verbrauchen somit 4 ccm l/io-n-S\u00e4ure = 0,0056 g N.\nIn 1000 ccm N\u00e4hrl\u00f6sung sind 0,280 g N als Gesamtammoniakstickstoff enthalten.\nDa in 1,5 g Guanosin 0,3701 g N enthalten sind, entspricht der als Ammoniakstickstoff gefundene Wert von 0,280 g N 76\u00b0/o des im Guanosin enthaltenen Stickstoffs.","page":159}],"identifier":"lit20715","issued":"1918","language":"de","pages":"148-159","startpages":"148","title":"Experimentelle Studien \u00fcber den Nucleinstoffwechsel, V. Mitteilung: \u00dcber die Aufspaltung des Purinringes durch Bakterien der menschlichen Darmflora","type":"Journal Article","volume":"102"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:39:38.158836+00:00"}