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{"created":"2022-01-31T14:57:32.095762+00:00","id":"lit20927","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie","contributors":[{"name":"Herzog, R. O.","role":"author"},{"name":"K. Becker","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Physiologische Chemie 112: 231-235","fulltext":[{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Uber das Kristallisationsverm\u00f6gen hochmolekularer\nVerbindungen.\nVon\nR. 0. Herzog und K. Becker.\n(Ans dem Kaiser-Wilhelm-Institut f\u00fcr Fa^erstoffchemie, Dahlem.) (Der Redaktion zngegangen am 15. Dezember 1920.)\nSeit langem ist bekannt, da\u00df hochmolekulare organische Verbindungen in kristallisiertem Zustande in der Natur Vorkommen sowie im Laboratorium erhalten werden k\u00f6nnen. Ergebnisse der letzten Zeit machen wahrscheinlich, d.a\u00df solche F\u00e4lle minder selten sind, als bisher angenommen wurde, und da\u00df im Gegenteil die Zahl der amorphen Stoffe erheblich geringer sein d\u00fcrfte, als man vermutete. Die Ursache also, da\u00df hochmolekulare Verbindungen nicht kristallisieren, kann nicht in der Gr\u00f6\u00dfe des Molek\u00fcls liegen, wenn auch allgemein in einem gro\u00dfen Molek\u00fcl weitgehend intramolekulare Abs\u00e4ttigung vorhanden ist, w\u00e4hrend das Kristallisationsverm\u00f6gen der Nichts\u00e4ttigung entspricht1). E. Fischer2) hat in einer seiner letzten Arbeiten darauf hingewiesen, da\u00df die Proteine, Polysaccharide, Gerb- und Flechtenstoffe h\u00e4ufig als Gemische einander chemisch nahestehender Stoffe anzusprechen sind. Auch bei der Synthese im Laboratorium besteht die Wahrscheinlichkeit, da\u00df mehrere Reaktionen nebeneinander verlaufen und zur Entstehung eines\nl) Dies ist ein anderer Ausdruck daf\u00fcr, da\u00df die Kr\u00e4fte, die die Kristallisation bewirken, mit den chemischen Affinit\u00e4tskr\u00e4ften identisch sind. Nernst, G\u00f6tt. Vortr. 1914; Pfeiffer, Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. 92, S. 376 (1915); Bd. 97, S. 161 (1916). \u2014 ln den vorliegenden Mitteilungen handelt es sich im allgemeinen nicht um lonengitter.\n*) E. Fischer, Ber. d. deutsch, chem. Ges. Bd. 52, S. S14 (1919),","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\tR. 0. Herzog und K. Becker,\nGemenges \u00e4hnlicher \u2014 homologer und isomerer\u2014Verbindungen f\u00fchren, und zwar um so mehr, je h\u00f6her molekular und je komplizierter die Reaktionsprodukte sind. In dieser Kompliziertheit des Mediums, die mit chemischer Kompliziertheit naturgem\u00e4\u00df verkn\u00f6pft ist, liegen die Ursachen der Kristallisationshemmung bei hochmolekularen Verbindungen.\nMit der Gr\u00f6\u00dfe des Molekulargewichts wird der Einflu\u00df, den einzelne Gruppen auf die Raumgitteranordnung aus\u00fcben, geringer als bei niedrigmolekularen Stoffen. Es steigt weiter die Wahrscheinlichkeit der Isomorphie und somit die der Mischkristallbildung. Sind also hochmolekulare Stoffe kristallisiert, so entsteht die Frage, ob es sich um definierte chemische Verbindungen oder um Mischkristalle handelt. Ein Problem dieser Art bilden die kristallisierten Proteine1) und h\u00f6chstwahrscheinlich eine Reihe anderer Naturprodukte.\nDas Kristallisationsverm\u00f6gen ist eine Funktion der Kristallisationsgeschwindigkeit, der Viskosit\u00e4t der fl\u00fcssigen und der Oberfl\u00e4chenkr\u00e4fte an der Grenzfl\u00e4che der festen und fl\u00fcssigen (bezw. festen unterk\u00fchlten) Phase.\nBei isomorphen Komponenten verl\u00e4uft die Kristalli-sationsgeschwindigkeitskurve mit der Erstarrungskurve parallel, gleichg\u00fcltig ob diese stetig ist oder ein Minimum besitzt*). Im ersteren Falle ist sie in Bezug auf die Komponenten ann\u00e4hernd additiv, dagegen ruft bei Nichtmischbarkeit schon ein geringer Zusatz eine starke Erniedrigung der Kristalli-sationsgeschwindigkeit mit einem Minimum hervor. Nach Marc8) ist dies auf Adsorption des Zusatzes an der Ober-\n') Cohnheim, Chemie der Eiwei\u00dfk\u00f6rper, S. 168,356 (1911). \u2014 Ferner A. Meyer, Analyse der Zelle, Jena 1920, S. 48.\n*) Bojagawlenski und Sacharow, Schriften der Dorpater natur-forschenden Gesellschaft Bd. 15, S. 197 (1907); Zentralbl. (1907) I, S. 1719; Hasselblatt, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 83, S. 1 (1913).\n3} Marc, Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. 85, S. 65 (1914); Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 75, S. 710 (1911); siehe auch Freundlich, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 75, S. 245 (1910); Bd. 78, S. 168 (1912); im Gegensatz dazu Taramann, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 81, S. 171 (1913). \u2014 Ferner E Cohen nnd Moesveld, Bd. 94, 8. 482 (1920).","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber da\u00ab Kristallisationsverm\u00f6gen hochmolekularer Verbindungen. 233\nfl\u00e4che des Kristallkeims zu erkl\u00e4ren *). Auf solche Wirkung ist wohl die Kristallisationshemmung durch Lipoide im Organismus zur\u00fcckzuf\u00fchren.\nDie Kristallisationsgeschwindigkeit ist um so geringer, je gr\u00f6\u00dfer die absolute Viskosit\u00e4t des Mediums ist. Der Einflu\u00df der Viskosit\u00e4t*) ist dadurch gekennzeichnet, da\u00df die Lage des Maximums der Kristallisationsgeschwindigkeitskurve mit dem Verlauf und der Neigung der Viskosit\u00e4tskurve zu-saramenh\u00e4ngt.\nDie Oberfl\u00e4chenspannung an der Grenzfl\u00e4che des Kristalls und der fl\u00fcssigen Phase ist an den verschiedenen Fl\u00e4chen verschieden. Ebenso variiert auch die Adsorption daselbst und damit die Ausbildung verschiedener Fl\u00e4chen je nach d\u00e9m Milieu8). Im Zusammenh\u00e4nge hiermit steht die oben erw\u00e4hnte Adsorption am Kristallkeim. Nach M. BornI * 3 4) ist f\u00fcr ein regul\u00e4res Gitter die Oberfl\u00e4chenspannung an einer Fl\u00e4che um so gr\u00f6\u00dfer, je schiefer sie gegen die Hexaederfl\u00e4che liegt. Noch in einer andern Hinsicht kann die Oberfl\u00e4chenspannung Bedeutung gewinnen. W\u00e4hrend sich hochmolekulare homologe und isomere Verbindungen auf Grund der Dampfdruckdifferonz nicht mehr trennen lassen, gelingt dies infolge der Verschiedenheit der Oberfl\u00e4chenspannung, die mitunter die Ausscheidung eines Anteils aus dem Gemisch erm\u00f6glicht. So ist die Bildung einer Haut in einer Reihe von F\u00e4llen bekannt, wie bei L\u00f6sungen\nI\n*) Nacken, Jahrb. f. Min., Geol. u. Pal. 1915, II, S. 133 hat nach* gewiesen, da\u00df die KristaUisationsgeschwindigkeit der W\u00e4rmeleitf\u00e4higkeit der Schmelze (bzw. der L\u00f6sung) proportional ist, solange an der Phasengrenzfl\u00e4che Schmelz- (bzw. S\u00e4ttigungs-)temperatur herrscht; es entstehen dann nicht Polyeder-, sondern Kugel- bzw. Ellipsoidfl\u00e4chen, weil der Schmelzpunkt (bzw. die S\u00e4ttigungsteroperatur) f\u00fcr alle Fl\u00e4chen dieselbe ist. Ist die Schmelz- bzw. KristaUisationsw\u00e4rme gro\u00df, die W\u00e4rmeleitf\u00e4higkeit der fl\u00fcssigen (bzw. unterk\u00fchlten festen) Phase gering, so wird die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr die Ausbildung von Polyederfl\u00e4chen klein.\n*) B* Rozeboom, Heterog. Gleichgew. I, S. 79 (1901). \u2014 Kittel, Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. 77, S. 335 (1912); Bd. 80, S.79 (1913). \u2022 '\n3)\tA. Ritzel, Zeitschr. f. Kristallogr. Bd. 49, S. 152 (1911).\n4)\tPreu\u00df. Akad. Ber. Bd. 48, S. 901 (1919).","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"234\nR. 0. Herzog und K. Becker,\n*1\nl\nvon Pepton, Farbstoffen, Neutralsalzen1). Die Trennung mit Hilfe der Oberfl\u00e4chenspannung erm\u00f6glicht somit sekund\u00e4r die Kristallisation.\nAus dem Bisherigen ergibt sich, inwiefern ein Gemisch Hemmung der Kristallisationsgeschwindigkeit bei seinen Bestandteilen bewirkt. Aber auch eine einzige, chemisch einheitliche Verbindung kann \u00fcberaus langsam kristallisieren, wenn Polymorphie bei sehr geringer Umwandlungsgeschwindigkeit vorliegt; dann handelt es sich um den Fall zweier nicht isomorpher Komponenten. Aus der zuerst entstandenen metastabilen Form bildet sich langsam die stabile. Ein Beispiel sind Triglyceride, die zwischen Zimmertemperatur und Schmelzpunkt mehrere Umwandlungspunkte zeigen. Im Schnittpunkt der Keimzahl-Temperaturkurve zweier derartiger Modifikationen ist die Wahrscheinlichkeit f\u00fcr die Entstehung der stabilen und der unstabilen Modifikation f\u00fcr die betreffende Unterk\u00fchlung gleich gro\u00df*).\nEs mag noch erw\u00e4hnt werden, da\u00df die Alterungserscheinungen kolloider L\u00f6sungen3) und in Gelen4), soweit sie nicht chemischer Natur sind, als langsam verlaufende Kristallisationsvorg\u00e4nge zu deuten sind.\nAuf die Kristallisationshemmung ist zum gro\u00dfen Teil6) die Entstehung der metastabilen Systeme \u2014 der kolloiden L\u00f6sungen und amorphen oder wenigstens kryptokristallinischen K\u00f6rper \u2014 zur\u00fcckzuf\u00fchren, die von so \u00fcberaus gro\u00dfer biologischer Bedeutung sind. Freilich verf\u00fcgt der Organismus auch\n*) Da\u00df die auf der Farbstoffl\u00f6sung gebildete Haut kristallinischer Natur ist, wurde mit Hilfe des lichtelektrischen Effektes nachgewiesen. Rhode, Ann. Ph. Bd. 19, S.935 (1906); Ramsden, Zeitschr. f. phys. Chem. Bd. 47, S. 336 (1904); Nagel, Ann. Ph. Bd. 29, S. 1029 (1909).\n2) Othmer, Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 91, S. 239 (1915).\n8) Z. B. Fe (OH)3 und V203 siehe Freundlich und Dieselhorst, Physik. Zeitschr. Bd. 16, 8. 419 (1915); Elster und Geitel-Festschr. 1915. S. 413.\n4) Z.B.SiOf,SnO(OH)j 8ieheZsigmondy,Kolloidcheraie, 3.Aufl. 1920.\n') Neben den genannten Momenten k\u00f6nnen z. B. eine Rolle spielen : Die Form, Polarit\u00e4t des Molek\u00fcls und andere Eigenschaften. Die Beeinflussung der Korngr\u00f6\u00dfe soll in anderem Zusammenh\u00e4nge besprochen werden","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber das Kristallisationsverm\u00f6gen hochmolekularer Verbindungen. 235\n\u00fcber die F\u00e4higkeit, hochkomplizierte Verbindungen zur Kristallisation zu bringen. Die Pflanze tut dies mit manchen Reservestoffen (St\u00e4rke und anderen Kohlehydraten, Proteinen) und sie n\u00fctzt die au\u00dferordentlichen Koh\u00e4sionskr\u00e4fte im Zellulosekristall zu mechanischen Zwecken aus. Die Kristallisation der Zellulose ist ohne Zweifel mit einer sehr sorgf\u00e4ltig regulierten Produktion des chemischen Materials in der Pflanze verkn\u00fcpft.","page":235}],"identifier":"lit20927","issued":"1921","language":"de","pages":"231-235","startpages":"231","title":"\u00dcber das Kristallisationsverm\u00f6gen hochmolekularer Verbindungen","type":"Journal Article","volume":"112"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:57:32.095768+00:00"}