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Die Schnelligkeit psychischer Processe: Erster Artikel

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{"created":"2022-01-31T15:12:43.732931+00:00","id":"lit21223","links":{},"metadata":{"alternative":"Archiv f\u00fcr Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin","contributors":[{"name":"Donders, Franciscus C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Archiv f\u00fcr Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin: 657-681","fulltext":[{"file":"p0657.txt","language":"de","ocr_de":"F. C. Donders: Die Schnelligkeit psychischer Processe. 657\nDie Schnelligkeit psychischer Processe.\nVon\nF. C. Donders.\nErster Artikel.\nEinleitung.\nW\u00e4hrend die Philosophie sich im Abstracten mit der Betrachtung der psychischen Erscheinungen besch\u00e4ftigt, hat die Physiologie, \u00fcber die Resultate der Philosophie verf\u00fcgend, den Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen und der Gehirn-th\u00e4tigkeit zu untersuchen. Auf morphologischem Gebiet springt dieser Zusammenhang sogleich in\u2019s Auge. Gegen\u00fcber den bekannten Thatsachen der vergleichenden Anatomie und Anthropologie ist jeder Zweifel \u00fcber das Bestehen eines solchen Zusammenhangs unhaltbar. Aber die Physiologie kann sich mit diesem allgemeinen Resultat nicht zufrieden stellen. Im Verband mit den St\u00f6rungen, die bei krankhaften Ver\u00e4nderungen beobachtet werden, sucht sie durch das Experiment die verschiedenen psychischen F\u00e4higkeiten soviel wie m\u00f6glich zu lo-calisiren und vor Allem der Art der Th\u00e4tigkeit, welche die psychischen Erscheinungen begleitet, auf die Spur zu kommen. Mit der Untersuchung des feineren Baues des Gehirns verbindet sie deshalb die der chemischen Zusammensetzung und der Umsetzung seiner Bestandtheile. Sie constatirt, dass bei Blutverlust oder unterdr\u00fcckter Herzth\u00e4tigkeit das Bewusstsein verloren geht, sie lernt daraus, dass regelm\u00e4ssige Zufuhr von Blut\nReichert\u2019s u. du Bois-Reymoad\u2019s Archiv. 1868.\t43","page":657},{"file":"p0658.txt","language":"de","ocr_de":"658\nF. C. Donders:\neine Bedingung f\u00fcr psychische Processe ist, \u2014 und sie schliesst, dass dem Leben des Gehirns Stoffwechsel zu Grunde liegt. Sie \u00fcberzeugt sich nun weiter, dass, ebenso wie in anderen Organen, das Blut bei Ern\u00e4hrung des Gehirns eine Ver\u00e4nderung erleidet, und findet bei Vergleichung des ein- und austretenden Blutes, dass Sauerstoff verbraucht, Kohlens\u00e4ure gebildet und W\u00e4rme entwickelt wird. Sie weiss, dass W\u00e4rme aus anderen Formen von Arbeitsverm\u00f6gen entstanden sein kann, z. B. aus elektromotorischer Th\u00e4tigkeit, welche sie in dem Gehirn annehmen darf, nachdem sie in den morphologisch und chemisch damit \u00fcbereinstimmenden Nerven ihre Anwesenheit erwiesen hat. Sie setzt sich weiter zum Ziel, durch fortgesetzte Untersuchung alle Phasen des chemischen Processes im lebenden Gehirn aufzusp\u00fcren, und der Reihe von Umwandlungen, die mit chemischem Arbeitsverm\u00f6gen beginnt und mit W\u00e4rme endigt, Schritt f\u00fcr Schritt zu folgen. Und \u00fcberzeugt, dass die Erscheinungen nur durch Messen und W\u00e4gen auf Gesetze zur\u00fcckgebr\u00e4cht werden k\u00f6nnen, wird sie nicht ruhen, ehe sie, mit der Art, die Quantit\u00e4t der Umsetzung und der umgesetzten Stoffe bestimmt und darin das Aequivalent f\u00fcr die verschiedenen Formen von Arbeitsverm\u00f6gen gefunden haben wird.\nAber wird jemals die psychische Th\u00e4tigkeit in die Kette der sich transformirenden Kr\u00e4fte aufgenommen werden k\u00f6nnen? Soviel wir sehen, besteht dazu nicht die geringste Aussicht. Das Wesen aller Formen von Arbeit und Arbeitsverm\u00f6gen, die wir keimen und messen, ist Bewegung oder Bedingung von Bewegung, und niemand kann sich eine Vorstellung machen, wie aus Bewegungen, auf welche Weise sie auch combinirt seien, Bewusstsein oder irgend eine psychische Th\u00e4tigkeit entstehen k\u00f6nne. Psychische Th\u00e4tigkeit ist, so wie wir sie an erster Stelle in uns selbst wahrnehmen, in Form und Wesen vollkommen eigenth\u00fcmlich. Nirgends zeigt sie einen Uebergang oder Verwandtschaft zu anderen Naturerscheinungen, und das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, welches, f\u00fcr alle bekannten Naturkr\u00e4fte g\u00fcltig, bei jeder Untersuchung als leitendes Princip angenommen wird, ist vollkommen ausser Macht, die psychischen Erscheinungen unter seine Herrschaft zu bringen. Denn,","page":658},{"file":"p0659.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\t059\nabgesehen von ihrer specifischen Natur, die ihr Entstehen aus chemischer Spannkraft ebenso undenkbar macht, als ihre Umwandlung in W\u00e4rme oder elektrische Bewegung, lassen sie sich ja weder messen noch w\u00e4gen, und wir kennen f\u00fcr Gef\u00fchl, Verstand oder Wille keine Einheit, womit sie sich in Zahlen aus-dr\u00fccken lassen.\nDie Frage, welche die Physiologie sich vorzulegen hat, ist dann einfach diese: Was geschieht in dem Gehirn, w\u00e4hrend wir f\u00fchlen, denken und wollen? \u2014 Man sieht sogleich ein, dass diese Fassung nichts pr\u00e4judicirt, wie sie auch nichts pr\u00e4judi-ciren darf. Aber wir m\u00fcssen auch erkennen, dass die vollst\u00e4ndige Beantwortung, d. i. eine innerhalb unseres jetzigen Gesichtskreises vollkommene Kenntniss der Gehirnth\u00e4tigkeit, womit jeder psychische Process verbunden ist, uns dem Verst\u00e4ndnis der Art dieses Zusammenhangs keinen Schritt n\u00e4her bringen w\u00fcrde. Eine Erkl\u00e4rung der psychischen Erscheinungen, in dem Sinn, worin wir Erscheinungen erkl\u00e4rt nennen, w\u00e4re nur erreichbar, wenn sie auf ein allgemeines Gesetz, wie das von der Erhaltung der Kraft, zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnten, und hierzu scheint, wie wir sahen, a priori die Aussicht abgeschnitten.\nAber ist denn bei psychischen Processen jede quantitative Behandlung ausgeschlossen? Keineswegs! Ein wichtiger Factor schien der Messung zug\u00e4nglich: ich meine die Zeit, die f\u00fcr einfache psychische Processe gebraucht wird. F\u00fcr die Entscheidung der Frage, ob wir Eecht haben, den im Allgemeinen bewiesenen Zusammenhang auf besondere F\u00e4lle anzuwenden, mit anderen Worten, ob wir annehmen d\u00fcrfen, dass mit der Verschiedenheit jedes besonderen Gef\u00fchls, jeder besonderen Vorstellung, jeder Willens\u00e4usserung eine absolut entsprechende Verschiedenheit der Gehirnth\u00e4tigkeit verbunden sei, scheint die Bestimmung dieser Zeit nicht ohne Gewicht. Seit langer Zeit nahm ich mir vor, meine Bem\u00fchungen darauf zu richten. In der Sitzung der Koninklijke Academie van Wetenschappen zu Amsterdam vom 24. Juni 1^65 gab ich eine Uebersicht der ersten hierauf bez\u00fcglichen und unter Mitwirkung von Herrn de Jaager und von einigen anderen Z\u00f6glingen der Universit\u00e4t Utrecht erlang-\n43*","page":659},{"file":"p0660.txt","language":"de","ocr_de":"660\nF. C. Donders:\nten Resultate, die hierauf ausf\u00fchrlicher in der Dissertation von Herrn de Jaager: over den physiologischen tijd der psychische processen mitgetheilt wurden. Die Idee zu diesen Versuchen war, wie auch die Vorrede meldet, von mir ausgegangen, die befolgten Methoden waren von mir an die Hand gegeben, und die Versuche wurden im physiologischen Laboratorium angestellt und von mir geleitet. Um dieselbe Zeit gab ich, unter Erw\u00e4hnung der Methoden, eine Uebersicht der erhaltenen Resultate in einigen zu Utrecht und anderw\u00e4rts gehaltenen popul\u00e4ren Vortr\u00e4gen. Endlich zeigte und beschrieb ich in der Sectionssitzung f\u00fcr Natur- und Heilkunde der Provinciaal Utrechtsch genootschap von 1866 zwei bei meinen Versuchen gebrauchte Apparate, den No\u00ebmatachograph und den No\u00ebmatachometer. \u2014 Im weiteren Lauf der Untersuchung h\u00e4ufte sich indessen das Versuchsmaterial in dem Maasse auf, dass mir zur geh\u00f6rigen Sichtung und Bearbeitung die Zeit fehlte, und da auch jetzt die Aussicht dazu nicht g\u00fcnstig ist, habe ich mich entschlossen, vor der Hand die Hauptsachen in gedr\u00e4ngter Form mitzutheilen. Um die Uebersicht zu erleichtern, soll verschiedenes die Methoden, die speciellen Ergebnisse, die Berechnungen u. s. w. Betreffende in besonderen Anmerkungen beigef\u00fcgt werden.\nVor kaum 25 Jahren wurde die Zeit, innerhalb welcher gereizte Nerven ihre Th\u00e4tigkeit nach dem Gehirn und das Gehirn seine Befehle nach den Muskeln bringt, f\u00fcr \u201eunendlich klein\u201c gehalten. Johannes M\u00fcller, dem unter den Physiologen seiner Zeit der erste Platz zukommt, nannte die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven nicht allein unbekannt, sondern ging so weit, zu prophezeien, dass die Mittel f\u00fcr die Bestimmung dieser Schnelligkeit uns wohl immer versagt bleiben w\u00fcrden. Und siehe, kurze Zeit danach, im Jahre 1845, skizzirte du Bois-Reymond in allgemeinen Z\u00fcgen den Plan f\u00fcr eine solche Bestimmung, und 1850 schon brachte sie Helmholtz zur Ausf\u00fchrung.\nDie Methode war einfach. Helmholtz reizte die Muskel-","page":660},{"file":"p0661.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n661\nnerven nach einander an zwei Stellen, deren eine an der Eintrittsstelle in den Muskel, deren andere in gr\u00f6sserer Entfernung davon gelegen war, und bestimmte f\u00fcr beide F\u00e4lle die Zeit, die verlief, bevor sich der Muskel contrahirte. Der Unterschied der Dauer zeigte die Zeit an f\u00fcr die Fortleitung in dem zwischen den beiden gereizten Stellen gelegenen Nervenst\u00fcck, und hiermit war die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bekannt, welche, wie sich zeigte, nicht mehr als 100 Fuss in der Secunde betrug. Das ist eine Schnelligkeit, die V\u00f6gel in ihrem Flug \u00fcbertreffen, der Rennpferde sich n\u00e4hern, und die unsere Hand bei den schnellsten Bewegungen des Arms erreichen kann.\nDies Resultat war bei Fr\u00f6schen gewonnen. Bei warmbl\u00fctigen Thieren, insbesondere beim Menschen, war die befolgte Methode nicht anwendbar. Hier schlug Helmholtz einen anderen Weg ein. Er reizte die Haut nach einander auf zwei Punkten, von denen der eine in kleinerer, der andere in gr\u00f6sserer Entfernung vom Gehirn gelegen war, und reagirte auf den erhaltenen Reiz, in beiden F\u00e4llen, so schnell als m\u00f6glich mit einem bestimmten Signal, z. B. einer Bewegung der Hand. War hiermit die zwischen Reiz und Signal verlaufende Zeit f\u00fcr beide F\u00e4lle bekannt, dann wurde der Zeitunterschied als Leitungsdauer f\u00fcr den L\u00e4ngenunterschied der Gef\u00fchlsnerven in Rechnung gebracht: denn abgesehen von diesem Unterschied schienen beide Versuche vollkommen gleich zu sein. Auf diese Weise wurde nun beim Menschen eine Leitungsgeschwindigkeit von ungef\u00e4hr 200 Fuss in der Secunde berechnet, d. i. etwa das Doppelte von der f\u00fcr Froschnerven gefundenen.\nMan sieht leicht ein, dass die hier befolgte Untersuchungsweise nicht vorwurfsfrei ist. Erstens ist es schwer, den Reiz auf verschiedene Stellen der Haut mit gleicher St\u00e4rke einwirken zu lassen, und bei verschiedener Reizst\u00e4rke ist die physiologische Zeit, wie sich herausgestellt hat, nicht ganz dieselbe. Aber ausserdem setzt die Methode voraus, dass die Dauer des Processes im Gehirn ganz unabh\u00e4ngig von dem Ort der Reizung sei. A priori schon ist dies nicht wahrscheinlich. Tritt man nach einander von zwei Seiten in ein Zimmer, um darin Verschiedenes zu verrichten, dann wird man in beiden F\u00e4llen","page":661},{"file":"p0662.txt","language":"de","ocr_de":"662\nP. C. Donders:\nwohl nicht genau innerhalb derselben Zeit durch eine dritte Th\u00fcr nach aussen kommen. Und offenbar wird der Unterschied im Aufenthalt ganz auf Rechnung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit gebracht. Es kann also nicht befremden, dass bei Wiederholung dieser Versuche, im Wesentlichen nach derselben Methode, sehr auseinander gehende Resultate erhalten wurden. Ueber diese brauchen wir indessen nicht zu berichten, denn vor Kurzem gl\u00fcckte es, beim Menschen auf ebenso einfache und entscheidende Weise als beim Frosch, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in einem Bewegungsnerven zu bestimmen, also mit vollkommener Ausschliessung des psychischen Processes im Gehirn. Es ist wiederum Helmholtz1 2), der hier den Weg bahnte. Auf seine Veranlassung reizte Baxt die Nerven der Muskeln des Daumenballens nach einander am Handgelenk und oberhalb der Ellenbogenfalte, w\u00e4hrend, im \u00fcbrigen, Ellenbogen, Vorderarm und Hand unbeweglich in einen Gipsverband geschlossen waren: in beiden F\u00e4llen zuckten nun die genannten Muskeln und konnten die Momente der Zuckung mittels eines Hebels auf dem Myographion registrirt werden. Das so erhaltene Resultat ist sehr befriedigend. Mit sehr geringen Abweichungen wurde n\u00e4mlich eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit gefunden von 33 Metern in der Secunde, \u2014 das ist nur wenig mehr als bei Froschnerven.\nDurch diese directe Bestimmung sind nun alle Versuche an Gef\u00fchlsnerven, bei welchen die Hirnth\u00e4tigkeit mit eingeschlossen war, in\u2019s Gebiet der Geschichte verwiesen, \u2014 und man weiss, was dies sagen will, von Wittich3) w\u00fcrde gern noch seiner etwas gr\u00f6sser gefundenen Schnelligkeit f\u00fcr die Gef\u00fchlsnerven einige Geltung lassen. Aber es geht nicht; die Uebereinstimmung von Gef\u00fchls- und Bewegungsnerven ist in allen Hinsichten zu vollkommen, um zu erlauben, dass gegen\u00fcber den sicheren Bestimmungen bei diesen die nach unsicheren Methoden gefundene Leitungsgeschwindigkeit f\u00fcr jene aufrecht erhalten werde. In wie weit aus solchen Versuchen, die\n1)\tK\u00f6nigl. Acad. der Wissensch. zu Berlin, 29. April 1867.\n2)\tZeitschr. f, ration. Medizin 1868. XXXI. S. 112 u. f.","page":662},{"file":"p0663.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\t663\nich an verschiedenen Personen in grosser Zahl anstellte, in Zusammenhang mit dem Unterschied der gereizten Stelle, ein zeitlicher Unterschied f\u00fcr die Leitung im Gehirn abzuleiten sei, werde ich vielleicht n\u00e4her untersuchen.\nSo ist denn die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven bekannt, und die Prophezeiung von Johannes M\u00fcller auf gl\u00e4nzende Weise L\u00fcgen gestraft. Bemerkenswerth ist es, dass die Theorie den Muth gab, sich an die Aufl\u00f6sung des unaufl\u00f6sbar genannten Problems zu wagen. Aus der theoretischen Vorstellung: dass die Fortpflanzung nicht zu betrachten sei als die einer fortschreitenden Kraft oder Bewegung, sondern vielmehr als ein auf jedem Punkt sich erneuender chemischer und damit verkn\u00fcpfter elektromotorischer Process, \u2014 kam man n\u00e4mlich auf die Vermuthung, dass die Nervenleitung nicht so besonders schnell, und dass die K\u00fcrze der Nerven kein absolutes Hinderniss f\u00fcr ihre empirische Bestimmung sein w\u00fcrde.\nI.\nSollte' nun auch der Gedanke nicht die unendliche Schnelligkeit haben, die man ihm zuzuschreiben pflegt, und sollte es m\u00f6glich sein, die Zeit zu bestimmen, die zur Bildung einer Vorstellung oder einer Willensbestimmung gefordert wird?\nDiese Frage besch\u00e4ftigte mich seit l\u00e4ngerer Zeit. Oben beschrieben wir die bei der Untersuchung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Gef\u00fchlsnerven angewandte Methode. In der Zeit, die bei diesen Versuchen zwischen Reiz und Signal verl\u00e4uft, ist auch ein bestimmter psychischer Process aufgenommen. Dasselbe gilt f\u00fcr die Versuche, in denen der Reiz auf eins der andern Sinneswerkzeuge einwirkte. Hier\u00fcber wurde die erste vergleichende Untersuchung durch Hirsch, den bekannten Astronomen von Neuch\u00e2tel, angestellt. Die zwischen Reiz und Signal verlaufende Zeit nannte er die physiologische Zeit, und bei gleichem Signal, z. B. einer Bewegung der Hand, fand er diese Zeit am k\u00fcrzesten nach einem Reiz auf der Haut (nat\u00fcrlich in der N\u00e4he des Gehirns), l\u00e4nger nach einem Reiz auf\u2019s Geh\u00f6r, l\u00e4nger noch nach einem Reiz auf\u2019s Gesicht. Im Allgemeinen wurde durch sp\u00e4tere Untersucher dieses Ergebniss","page":663},{"file":"p0664.txt","language":"de","ocr_de":"664\nF. C. Donders:\nbefestigt. Aus s\u00e4mmtlichen Versuchen, worunter auch die von mir und meinen Sch\u00fclern genommenen, berechnete ich f\u00fcr die drei genannten Sinneswerkzeuge: Gef\u00fchl, Geh\u00f6r und Gesicht, die physiologische Zeit resp. auf ungef\u00e4hr >/,, J/s und '/5 Se-cunde.\nAber wie viel hiervon geh\u00f6rt zu dem eigentlichen psychischen Process ? Dar\u00fcber sind wir ganz im Unsicheren. In dieser kurzen Zeit muss viel geschehen. Folgen wir dem Process von dem Moment des Reizes an bis zu dem des Signals, so haben wir zu unterscheiden:\n1.\tdie Einwirkung auf die percipirenden Elemente der Sinneswerkzeuge ;\n2.\tdie Mittheilung an die peripherischen Ganglienzellen, und das bis zur Entladung gef\u00f6rderte Anwachsen (die \u201eSchwelle\u201c von Fechner);\n3.\tdie Leitung in den Gef\u00fchlsnerven bis zu den Ganglienzellen der Medulla;\n4.\tdie steigende Th\u00e4tigkeit in diesen Ganglienzellen;\n5.\tdie Leitung nach den Ganglienzellen des Organs der Vorstellung;\n6.\tdie steigende Th\u00e4tigkeit in diesen Ganglienzellen;\n7.\tdie steigende Th\u00e4tigkeit der Ganglienzellen des Organs des Willens;\n8.\tdie Leitung nach den Nervenzellen f\u00fcr Bewegung;\n9.\tdie steigende Th\u00e4tigkeit in diesen Zellen;\n10.\tdie Leitung in den Bewegungsnerven bis an den Muskel;\n11.\tdie latente Th\u00e4tigkeit im Muskel;\n12.\tdie steigende Th\u00e4tigkeit bis zur Ueberwindung des Widerstandes vom Signal.\nDer ganze Process kann in '/? Secunde ablaufen; als Minimum wurde selbst '/9 gefunden. Die Zeiten nun, welche f\u00fcr die einzelnen Abschnitte des Processes gebraucht werden, sind nicht zu bestimmen. Allein die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven k\u00f6nnen wir ungef\u00e4hr in Rechnung bringen, und dies f\u00fchrt dann zu dem Resultat, dass der psychische Process der Vorstellung und Entschliessung k\u00fcrzer dauert als 1/10 Secunde, aber erlaubt nicht einmal zu behaupten, dass er l\u00e4nger","page":664},{"file":"p0665.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n665\nals 0 dauere. Die Wahrheit ist, dass diese Versuche uns nur die Grenze nach der Seite des Maximums lehren, und \u00fcber die des Minimums durchaus keinen Aufschluss geben.\nIch kam nun auf die Idee, in den Process der physiologischen Zeit neue Termen von psychischer Th\u00e4tigkeit einzuschieben. Untersuchte ich, wie viel die physiologische Zeit hierdurch verl\u00e4ngert wurde, dann w\u00fcrde, so urtheile ich, die Dauer des eingeschobenen Acts damit bekannt sein.\nIn der oben citirten Mittheilung an die Koninklijke Academie van Wetenschappen wurden die ersten hierauf bez\u00fcglichen Bestimmungen mitgetheilt (siehe Anmerkung 1).\nBei der ersten Reihe von Versuchen wurden gleiche Elektroden auf beide F\u00fcsse gesetzt. Die Einrichtung war so ge troffen, dass man nach Belieben (durch Umlegen einer Pohl-schen Wippe) dem rechten oder linken Fuss einen elektrischen Schlag beibringen konnte. \u2014 Nun wurden die Versuche auf zwei Weisen genommen: a. w\u00e4hrend man wusste, auf welchen Fuss der Reiz wirken w\u00fcrde, wobei man das Signal mit der Hand derselben Seite gab; b. w\u00e4hrend man nicht wusste, welcher Fuss den Reiz empfangen w\u00fcrde und man auch das Signal mit der Hand der gereizten Seite geben sollte. Im letzten Fall wurde mehr Zeit gebraucht als im ersten, und dieser Unterschied stellte die Zeit dar, welche man n\u00f6thig hatte, um sich vorzustellen, welche Seite gereizt wurde, und um in Verband mit dieser Vorstellung die Wirkung des Willens rechts oder links zu bestimmen. Im Uebrigen war der ganze Process in beiden F\u00e4llen gleich. Es zeigte sich, dass die so eingeschobene psychische Th\u00e4tigkeit, aus den Mitteln berechnet, */ls Secunde verlangte '). Vorher war gefunden, dass das Geben eines Signals mit der linken Hand 0,009 Secunden l\u00e4nger dauerte als mit der rechten, welcher Unterschied in Rechnung gebracht wurde.\nDies war die erste Bestimmung der Dauer eines wohl umschriebenen psychischen Processes, der in W u n d F s Versuchen\n1) Siehe de Jaager a. a. 0. S. 21\u201432: Die Methode war noch nicht genau genug, um dem Dnterschied der Minima zu vertrauen (vergl. Anmerk 2).","page":665},{"file":"p0666.txt","language":"de","ocr_de":"666\nF. 0. Dondeis:\nmir zu fehlen scheint. Es galt die Entscheidung eines Dilemmas und eine dieser Entscheidung entsprechende Willensth\u00e4tigkeit.\nDieselbe Untersuchung wurde mit Reizung des Sehwerkzeugs angestellt. Hier wurde die physiologische Zeit bestimmt bei einfacher Reaction auf Licht und bei differentieller Reaction auf rothes und auf weisses Licht. Bei den letzten Versuchen musste f\u00fcr rothes Licht das Signal mit der rechten Hand, f\u00fcr weisses mit der linken gegeben werden. Die Entscheidung eines Dilemmas und die f\u00fcr ein entsprechendes Signal verlangte hier mehr Zeit als bei den vorigen Versuchen: im Mittel f\u00fcr f\u00fcnf Personen betrug sie 0,154 Secunden. Der kleinste Mittelwerth war 0,122 Secunden bei Herrn Place; des gr\u00f6ssten, 0,184 Secunden, machte ich mich schuldig, der die doppelte Lebzeit der \u00fcbrigen Beobachter hatte. Auf die Ursache des Unterschieds bei Reizung der Haut und bei Reizung des Auges kommen wir sp\u00e4ter zur\u00fcck.\nBei diesen Versuchen wurde 'das Signal mit einem der H\u00e4nde gegeben. Sp\u00e4ter stellte ich noch eine Reihe von Versuchen an, wobei als Reiz gewisse Buchstabenzeichen, entweder entbl\u00f6sst oder pl\u00f6tzlich durch einen Inductionsfunken erleuchtet wurden, und das Signal im Aussprechen des Klangs bestand: hier verlangt der eingeschobene psychiche Process, aus den Mitteln berechnet, 0,166 Sec. ('/6 Sec.), aus den Minimis 0,124 (Vs Sec.). \u2014 Diese Methode eignete sich nun weiter f\u00fcr Versuche, wobei nicht von zwei, sondern von 5 Vocalzeichen, eins erkannt und als Klang ausgesprochen werden musste. Auf diese Weise habe ich nicht weniger als f\u00fcnf Reihen von Beobachtungen an verschiedenen Tagen ausgef\u00fchrt, und es zeigte sich, dass bei der gr\u00f6sseren Auswahl aus f\u00fcnf wirklich etwas mehr Zeit verlangt wird als bei der Wahl aus zwei, n\u00e4mlich 0,170 Sec. bei Berechnung aus den Mitteln, 0,163 Sec. bei Berechnung aus den Minimis (Anmerk. 2).\nEndlich wurden dieselben Versuche mit Reizung des Ohrs angestellt. Hier bestand der Reiz im Klang eines Vocals, und Signal war die Wiederholung desselben Vocals. \u25a0\u2014- Zwei Personen A und B sitzen hierbei vor der Oeffnung des Phonautographen. W\u00e4hrend man den Cylinder dreht, st\u00f6sst A einen","page":666},{"file":"p0667.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n667\nVocal aus, und B hat diesen so schnell wie m\u00f6glich zu wiederholen. F\u00fcr beide ist der Anfang der Schwingungen auf der unteren Linie Fig. 1 in a und b zu sehen, und die L\u00e4nge der Zeit zwischen beiden ist aus den gleichzeitig registrirten Stimmgabelschwingungen abzuleiten. Diese Versuche wurden nun auf zweierlei Weise angestellt: a. w\u00e4hrend man wusste, welchen Vocalklang man zu h\u00f6ren bekommen w\u00fcrde, und einfach mit demselben Klang so schnell als m\u00f6glich reagiren musste ; b. w\u00e4hrend man nicht wusste, welchen Vocal man h\u00f6ren w\u00fcrde, und sich also von dem Vocalklang Rechenschaft geben musste, um denselben als Signal zu wiederholen. In meinen ersten Versuchen mit de Jaager antwortete ich bei bekanntem Klang ki, im Mittel in 0,180 Sec., bei unbekanntem in 0,268 Sec., was einen Unterschied von 0,088 Sec. giebt; de Jaager erhielt, bei namentlich anfangs gr\u00f6sseren Zahlen, einen gleichen Unterschied von 0,088 Sec. \u2014 Sp\u00e4ter fand ich in 7 Reihen, wobei ich das Signal zu beantworten hatte, f\u00fcr bekannten Klang im Mittel 0,201 Sec. (V5 Sec.), f\u00fcr unbekannten Klang 0,284: also ein Unterschied von 0,083 Sec. (ungef\u00e4hr '/ja Sec.), und aus den Minimis berechnet, wurde diesei Unterschied auf 0,067 Sec. (ungef\u00e4hr 1/15 Sec.) re-ducirt. In vier anderen Reihen, wobei ich entweder den voraus bekannten oder einen von nur zwei unbekannten Kl\u00e4ngen zu wiederholen hatte, verlangte die Wiederholung des bekannten Klanges noch etwas weniger (0,184 Sec.) und betrug die Verl\u00e4ngerung f\u00fcr den unbekannten, bei Berechnung aus den Mitteln, nur Vis (0,056 Sec.), bei Berechnung aus den Minimis '/.i6 (0,0615 Sec.).\nBei drei anderen Personen von verschiedenem, im Allgemeinen jugendlichem Lebensalter, wurde, bei Versuchen mit f\u00fcnf Vocalkl\u00e4ngen, bei unbekanntem Klang, eine Verl\u00e4ngerung von resp. 0,088 Sec.,.","page":667},{"file":"p0668.txt","language":"de","ocr_de":"G68\nF. C. Donders:\nvon 0,087 Sec. und von 0,069 Sec gefunden. In der That eine merkw\u00fcrdige Debereinstimmung.\nRecapituliren wir jetzt die erhaltenen Resultate, so zeigt sich, dass f\u00fcr Entscheidung und conformes Signal gefordert wird:\n1.\tbei Reiz auf die Haut, \u2014\u25a0 Dilemma, aus den\nMitteln berechnet.........................\n2.\tbei Reiz auf\u2019s Sehorgan:\na.\tzwei Farben, Dilemma, bei f\u00fcnf Personen, aus den Mitteln berechnet .\t.\nb.\tzwei Vocalzeichen, Dilemma, aus den\nMitteln berechnet..................\naus den Minimis berechnet .\t.\t.\nc.\tf\u00fcnf Vocalzeichen, aus den Mitteln be\nrechnet............................\naus den Minimis berechnet .\t.\t.\n3.\tbei Reiz auf\u2019s Geh\u00f6r:\na.\tzwei Vocalkl\u00e4nge, aus den Mitteln be\nrechnet............................\naus den Minimis berechnet .\t.\t.\nb.\tf\u00fcnf Vocalkl\u00e4nge, bei mir selbst, fr\u00fcher\naus den Mitteln berechnet .... sp\u00e4ter, aus den Mitteln berechnet . aus den Minimis berechnet .\t.\t.\nIdem bei vier anderen Personen,\naus den Mitteln berechnet ....\nSecunden\n0,066\n0,184\n0,122\n0,159\n0,134\n0,172\n0,166\n0,124\n0,170\n0,163\n0,056\n0,0615\n0,088\n0,083\n0,067\n0,088\n0,069\n0,087\n0,088\nEinige dieser Unterschiede lenken dabei sogleich die Aufmerksamkeit auf sich. Zuerst: warum fordert das gestellte Dilemma weniger Zeit bei Unterschied von Klang (0,056) als bei","page":668},{"file":"p0669.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\t669\nUnterschied von Farbe (0,124)? \u2014 Die Antwort ist: dass das auf den Klang zu gebende Signal, die einfache Nachahmung, durch Uebung nat\u00fcrlich geworden ist, nat\u00fcrlicher als das bloss conventionelle Signal, mit rechter oder linker Hand, bei Unterschied von Farbe. F\u00fcr dies letztere l\u00e4sst sich denn auch durch fortgesetzte Uebung gr\u00f6ssere Schnelligkeit erreichen. F\u00fcr die Nachahmung von Vocalkl\u00e4ngen dagegen war das Maximum von Schnelligkeit, wie sich herausstellte, schon nahezu erreicht \u2014 und so lehren uns die hierbei erhaltenen Werthe unmittelbar das Minimum der Zeit kennen, die f\u00fcr Entscheidung eines einfachen Dilemmas mit correspondirendem Entschluss n\u00f6thig ist: \u2014 '/is Secunde. \u2014 Bei Hautreizung inzwischen, wobei das zu gebende Signal gleichfalls conventionell war (Bewegung auch von rechter oder linker Hand), forderte derselbe eingeschobene Process nur 1/15 Sec. oder 0,066 Sec., also wenig mehr als bei dem ge\u00fcbten Signal der Yocalkl\u00e4nge. Auch dies Ergebniss kann uns nicht befremden. Wir liessen die Reizung der rechten Seite mit der rechten Hand, die der linken Seite mit der linken beantworten. Dazu ist sicher die Neigung bereits gegeben, als Resultat von Gewohnheit oder Uebung: denn verlangte man Bewegung der rechten Hand bei Reizung der linken Seite, oder umgekehrt, dann war die Zeit l\u00e4nger und Verwechslung nicht selten. \u2014 Noch eine letzte Bemerkung. Zum Erkennen von und Reagiren auf Vocalzeichen wird ungef\u00e4hr das Doppelte der Zeit gebraucht, die zum Erkennen von Vocalkl\u00e4ngen mit conformer Reaction n\u00f6thig ist, und sicher doch haben wir ebensoviel Uebung im Sehen und Aussprechen von Vocalzeichen als im H\u00f6ren und Wiederholen. Dieses Resultat hat mich sehr befremdet. Der Grund kann in verschiedenen Theilen des zusammengesetzten Processes gelegen sein. Ich glaube ihn indessen in den rein psychischen suchen zu m\u00fcssen. Die Reaction auf Licht fordert, wie ich aus den s\u00e4mmtlichen Beobachtungen verschiedener Personen berechnete, in der Regel etwas mehr Zeit als die auf Klang. Vereinige ich die bei mir selbst erhaltenen Resultate von 8 Versuchsreihen mit Reaction auf Licht und von 12 mit Reaction auf Klaug, so finde ich gleichwohl beide gleich:","page":669},{"file":"p0670.txt","language":"de","ocr_de":"670\nF. C. Donders:\nf\u00fcr die erste n\u00e4mlich . . 0,1953 Sec. f\u00fcr die zweite .... 0,1952 \u201e\nEine so vollkommene Uebereinstimmung ist nat\u00fcrlich zuf\u00e4llig, um so mehr, als in einigen Versuchen die einfachen Vocale, in anderen die Vocale mit Explosiven als Signale dienten und die physiologischen Zeiten je nachdem ein wenig verschieden sind (Anmerk. 3). Aber es folgt doch daraus, dass f\u00fcr Klang und Licht die physiologischen Zeiten bei mir nicht merkbar von einander abweichen. Auch glaube ich annehmen zu d\u00fcrfen, dass die Unterscheidung von zwei Farben ebenso schnell geschieht, als die von zwei Kl\u00e4ngen, und dass die Reaction auf Unterscheidung der ersteren durch gen\u00fcgende Uebung auf dieselbe Zeit zur\u00fcckgebracht werden k\u00f6nnte als die Reaction auf Unterscheidung der letzteren. Den Grund meine ich deshalb in der Form des Zeichens suchen zu m\u00fcssen, welche die Seele nicht so schnell erkennt als den Klang. Um von diesem Unterschied Rechenschaft zu geben, m\u00fcssen wir den Eindruck des Klanges und der Form des Zeichens etwas n\u00e4her zergliedern Auf der Netzhaut ist dieser Eindruck sehr zusammengesetzt. Eine Anzahl von percipirenden Elementen, von denen jedes den empfangenen Reiz, mit seinem eignen Localzeichen, nach dem Gehirn \u00fcberbringt, wird pl\u00f6tzlich getroffen und daraus construirt sich die Form in unserer Vorstellung. Die getroffenen Elemente sind ganz andere, wenn das Zeichen gross, als wenn es klein ist, und ein a bleibt doch ein a, ein i ein i. Auch eine kleine Abweichung der Gesichtslinie l\u00e4sst das ganze Bild des Letterzeichens auf andere Elemente der Netzhaut fallen. Der Process f\u00fcr die Vorstellung der Form ist also noth wendig sehr zusammengesetzt, und es kann uns nicht befremden, dass er mehr Zeit verlangt, als die Vorstellung eines Lichteindrucks im Allgemeinen oder selbst einer Farbe, die auf bestimmte percipi-rende Elemente einwirkt oder nur eine besondere Energie vergegenw\u00e4rtigt. F\u00fcr einen solchen Process, vermehrt noch mit der Zeit f\u00fcr die differentielle Willensbestimmung (Entschluss), ist 0,16 Sec. verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig nicht viel. \u2014 Und wie geschieht nun die Vorstellung eines Klanges? F\u00fcr viele Kl\u00e4nge kann der Process wohl ebenso zusammengesetzt sein, wie f\u00fcr momentan","page":670},{"file":"p0671.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\t671\nerleuchtete kleine Formen. Denn gew\u00f6hnliche Kl\u00e4nge bestehen ja aus einer Zahl von Partialschwingungen, die gleichfalls verschiedene Nervenfasern in Th\u00e4tigkeit bringen, und f\u00fcr jede Tonh\u00f6he ist es wieder ein ganz anderes System von Nervenfasern, welches den Eindruck empf\u00e4ngt: das Einzige, was den Process einfacher erscheinen l\u00e4sst, ist der Zusammenhang zwischen den Partialt\u00f6nen, welche bei jeder Tonh\u00f6he gr\u00f6sstentheils wieder die sogenannten harmonischen sind. Ist aber auch f\u00fcr Kl\u00e4nge im Allgemeinen der Process so zusammengesetzt, so gilt dies doch nicht von Yocalen. Bei jedem Yocal ist, wie ich vor 10 Jahren schon zeigte, die Mundh\u00f6hle auf einen absoluten Ton gestimmt, welches auch die Tonh\u00f6he der Stimme sei, mit der er hervorgebracht wird, und in Verband hiermit hat jeder Vocal seine absoluten, schier unver\u00e4nderlichen Obert\u00f6ne. Bei demselben Vocalklang werden also auf jeder Tonh\u00f6he zum Theil dieselben T\u00f6ne hervorgebracht, also jedesmal zum Theil dieselben Nervenfasern gereizt, die, wenn man einen Vocalklang zu erwarten hat, diesen sogleich charakterisiren, \u2014 und dies ist die Ursache davon, dass die Vorstellung des Vocaltimbres nicht einen so zusammengesetzten Process voraussetzt, wie er f\u00fcr die Vorstellung aus dem Vocalzeichen n\u00f6thig erscheint.\nNachdem die vereinigte Zeit gemessen war, in welcher sowohl Unterscheidung aus zwei oder mehr Eindr\u00fccken als entsprechende Willensbestimmung m\u00f6glich ist, er\u00f6ffnete sich die Frage, ob f\u00fcr beide Theile des Processes die geforderte Zeit nicht besonders zu bestimmen w\u00e4re.\nEs schien mir, dass man der L\u00f6sung dieser Frage n\u00e4her kommen w\u00fcrde, wenn man die Bedingung stellte : dass nur auf einen Reiz das Signal folgen sollte, mit Vernachl\u00e4ssigung aller \u00fcbrigen.\nSo wurden Vocalkl\u00e4nge ohne n\u00e4here Anweisung als Zeichen bestimmt, aber nur auf einen, z. B. auf i, sollte man mit i antworten, auf die \u00fcbrigen schweigen. Man spannt sich nun f\u00fcr das Erkennen von i an und h\u00e4lt die Stellung der Mundtheile und den Mechanismus daf\u00fcr vollkommen bereit, so dass man beim Erkennen von i nur den Athem auszustossen hat, um den correspondirenden Klang vorzubringen \u2014 ganz wie beim Rea-","page":671},{"file":"p0672.txt","language":"de","ocr_de":"672\nF. C. Donders:\ngiren mit i, w\u00e4hrend man wusste, dass i geh\u00f6rt werden w\u00fcrde. Est ist also bei dieser Versuchsweise keine Wahl f\u00fcr das Signal mehr n\u00f6thig: \u2014 allein das Unterscheiden, das Erkennen von i wird in den gew\u00f6hnlichen Process eingeschoben. Und wirklich zeigte sich\u2019s, dass hierzu weniger Zeit n\u00f6thig war, als zum Beantworten jedes Vocalklangs mit gleichem Klang. Von den vielen auf diese Weise von mir angestellten Versuchen will ich nur die Resultate von drei Reihen beif\u00fcgen, die an einem und demselben Abend in solcher Reihenfolge genommen wurden, dass, soweit Erm\u00fcdung dabei in\u2019s Spiel kam, dieselbe gleich-massig \u00fcber die drei Versuchsarten vertheilt ward:\na.\tbei Reaction auf bekannten Klang;\nb.\t\u201e\t\u201e\t\u201e unbekannte Kl\u00e4nge;\nc.\t\u201e\t\u201e\t\u201eeinen der unbekannten Kl\u00e4nge.\nBei jeder dieser Arten wurde die mittlere Dauer und das Minimum aufgenommen:\nTausendstel einer Secnnde\nf\u00fcr a. betrug die mittl. Dauer 201,\t\tdas Minimum\t170,5\nb-\tn\tn\t\u00bb\tv\t284,\tn\t\u00ab\t237,5\nc*\tr>\tv>\tn\tY)\t237,\tr>\tr>\t212,6\nMan findet nun:\t\t\t\naus den Mitteln.\taus\tden Minimis.\tim Mittel.\nb\u2014a =\t83\t\t67\t75\nc\u2014a =\t36\t\t42\t39\nIn diesen Versuchen wurde also f\u00fcr die Vorstellung eines bestimmten Klanges (l\u00e4ngere Dauer bei Methode c als bei Methode a) nur reichlich halb so viel Zeit gebraucht, als f\u00fcr dieselbe Vorstellung in Verbindung mit entsprechender Willensbestimmung. Die Entwicklung der Vorstellung dauert bei mir 0,039, d. i. beinahe '/A Secunde; etwas weniger, reichlich */28 Secunde, verlangt die Willensbestimmung. Oben theilten wir Versuche mit von anderen Personen, die zu dem combinirten Process weniger Zeit gebrauchten. Wahrscheinlich wird auch bei diesen f\u00fcr die beiden Termen die Zeit ungef\u00e4hr in gleiche Theile getheilt werden m\u00fcssen. Doch ist dies aus den von ihnen nach der c-Methode gethanen Bestimmungen nicht gen\u00fcgend abzuleiten. Es zeigte sich, dass f\u00fcr viele die c-Methode","page":672},{"file":"p0673.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n673\neine gewisse Schwierigkeit liefert. Sie geben das Signal, wo sie h\u00e4tten schweigen m\u00fcssen. Und geschieht das auch nur ein Mal, so ist die ganze Reihe zu verwerfen: denn was b\u00fcrgt uns dann daf\u00fcr, dass da, wo sie das Signal geben mussten und auch wirklich gaben, geh\u00f6rig gewartet war, bis sie sicher unterschieden hatten? Da man ausserdem nur dann und wann einmal gerade den Vocalklang zu h\u00f6ren giebt, auf den die Antwort verlangt wird, haftet an dieser Methode immer der Nachtheil, dass die meisten Umg\u00e4nge des Cylinders unbenutzt bleiben. Ich lege darum viel 'Werth auf die oben erw\u00e4hnten, an mir selbst erhaltenen Resultate von drei Versuchsreihen, mit Anwendung der drei Methoden f\u00fcr jede Reihe, wobei die Versuche tadellos ausfielen (Anmerk. 4).\nInzwischen k\u00f6nnte man noch zweifeln, ob auf die befolgte Weise wirklich die zu einer bestimmten Vorstellung erforderliche Zeit gemessen wird. Findet man nicht vielmehr die Zeit, um welche das Bestimmen der Art eines Vocalklangs l\u00e4nger dauert als das blosse H\u00f6ren ? Wir antworten hierauf verneinend. Wer die Versuche gemacht hat, weiss, dass das Signal da, wo es nur um Reaction im Allgemeinen zu thun ist, bei Allem was geschieht, losbricht. Wartet man mit Spannung auf eine Lichterscheinung, \u2014 man reagirt unwillk\u00fcrlich auch auf einen Klang und umgekehrt, und ebenso auf einen Stoss, einen elektrischen Schlag, kurz auf jeden kr\u00e4ftigen Eindruck. Man wartet nicht bis man h\u00f6rt, sondern nur bis man gewahr wird, und man findet also nach der befolgten Methode die Zeit, welche verl\u00e4uft zwischen dem ersten Moment eines Gewahrwerdens und der vollkommenen Vorstellung von der Art des Geh\u00f6rten, das ist die f\u00fcr die Entwicklung einer bestimmten Vorstellung erforderliche Zeit.\nDieselben Versuche nach der c-Methode habe ich angestellt, w\u00e4hrend das Sehen von Vocalzeichen der Reiz war. Die zum Erkennen erforderte Zeit war dabei verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig kurz, kaum l\u00e4nger als bei Vocalkl\u00e4ngen. Dies Ergebniss ist sehr bemerkenswertli, wenn man bedenkt, dass das Unterscheiden von Vocalzeichen, wie sich uns in den Versuchen nach der a- und b-Methode gezeigt hat, viel mehr Zeit fordert, als das\nReichert\u2019s u. du Bois-Reymond\u2019s Archiv. 1868.\t44","page":673},{"file":"p0674.txt","language":"de","ocr_de":"674\nF. C. Donders:\nUnterscheiden von Vocalkl\u00e4ngen. Doch glaube ich, dass sich davon Rechenschaft geben l\u00e4sst. Bei den Versuchen nach der b-Methode konnte man sich im Voraus keine Vorstellung machen, welchen Eindruck man empfangen w\u00fcrde: man musste sich dessen enthalten, um auf jedes Vocalzeichen, das etwa zum Vorschein kommen mochte, mit gleicher Schnelligkeit reagiren zu k\u00f6nnen. Zur Unterscheidung ward dabei nun verh\u00e4ltniss-m\u00e4ssig viel Zeit gebraucht. In den nach der c-Methode ange-stellten Versuchen dagegen, von denen hier die Rede ist, konnten zwar auch alle Vocalzeichen erscheinen, aber man hatte nur auf eins davon zu reagiren, auf die \u00fcbrigen zu schweigen, und man konnte also und musste selbst das eine in der Vorstellung haben, um nach constatirter Gleichheit von Eindruck und Vorstellung unmittelbar das in seinem Mechanismus pr\u00e4parirte Signal zu geben. In anderweitig mitgetheilten Versuchen *) \u00fcber das stereoskopische Sehen hat sich mir der grosse Einfluss einer vorausgehenden Vorstellung auf das Erkennen von Formen auf\u2019s Deutlichste gezeigt.\nAuch mit anderen Reizen, z. B. elektrischen Schl\u00e4gen auf die Haut, sind Versuche nach der c-Methode anzustellen, aber auch hier allein mit R\u00fccksicht auf ein gestelltes Dilemma. Auch ist man nicht beschr\u00e4nkt auf die Wahl eines Klanges als Signal. Man kann n\u00e4mlich beim H\u00f6ren von allen Kl\u00e4ngen oder nur beim H\u00f6ren von einem vorausbestimmten Vocalklang eine Bewegung mit der Hand machen und der Unterschied giebt dann wieder die f\u00fcr eine bestimmte Vorstellung erforderte Zeit an; aber dabei ist dann die Vergleichung mit differentieller Reaction auf jeden der Kl\u00e4nge ausgeschlossen, und die Versuche w\u00fcrden dem Zweck nicht entsprochen haben, wenn ich nicht auf den Gedanken gekommen w\u00e4re, als Signal die Kl\u00e4nge zu regi-striren.\nAlle vorstehenden Ergebnisse sind mit einem unter dem Namen No\u00ebmatotachograph1 2) beschriebenen Apparat erhalten. Das Streben nach n\u00e4herer Analyse der Dauer der psychischen Pro-\n1)\tArchief voor natuur- en geneesknnde. D. II. S. 332 u. f.\n2)\tArchiel' voor natuur- eu geneeskunde. D. III. S. 105.","page":674},{"file":"p0675.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\t675\ncesse hat mich weiter gef\u00fchrt auf eine Methode, die auf einem ganz anderen Princip beruht als die oben mitgetheilte, und wobei das als No\u00f6matotachometer beschriebene Instrument gebraucht wird. Ich beabsichtige, die damit erhaltenen Resultate n\u00e4her mitzutheilen.\nAnmerkungen.\nAnmerkung i. Bei unseren Messungen wendeten wir die graphische Methode an. Sie ist einfach, sicher, leicht anwendbar und f\u00fcr unsern Zweck genau genug. G\u00e4lte es die Messung von absoluten, unver\u00e4nderlichen Werthen, dann w\u00fcrde man nach der gr\u00f6ssten Genauigkeit streben m\u00fcssen Beim Messen der etwas inconstanten Dauer von psychischen Processen ist eine Bestimmung in Tausendstel Se-cunden ausreichend, und wir d\u00fcrfen nun die Einfachheit und Sicherheit nicht einer gr\u00f6sseren aber zwecklosen Genauigkeit opfern.\nBei unsern Versuchen kommt es auf drei Dinge an:\n1.\tWir brauchen eine geuau bekannte cbronoskopische Einheit. Diese finden wir in den registrirten Schwingungen einer Stimmgabel. Die Schwingungszahlen der benutzten Stimmgabeln haben wir direct bestimmt durch gleichzeitiges Registriren ihrer Schwingungen und der Secunden einer Uhr, und der geringe Einfluss der Temperatur wurde gefunden aus der Aenderung der Anzahl Schwebungen mit einer andern, auf unver\u00e4nderter Temperatur gehaltenen Stimmgabel.\n2.\tDer Moment der Reizung musste unter oder auf der Stimmgabellinie genau registrirt werden.\nF\u00fcr verschiedene Versuche geschieht dies auf verschiedene Weise.\nLassen wir eiueu Inductionsfunken von dem schreibenden metall-nen Federchen der Stimmgabel durch das Papier auf den Cylinder \u00fcberspringen, dann ist der Moment scharf markirt auf der chronosko-pischen Linie. Leicht ist die Einrichtung zu treffen, dass nach Gut. d\u00fcnken der Funke entweder nur gesehen, oder nur geh\u00f6rt, oder, indem man einen kleinen Theil der Entladung durch den K\u00f6rper leitet, nur gef\u00fchlt wird. So kann man abwechselnd bei Reaction auf jedes der drei Sinneswerkzeuge die physiologische Zeit bestimmen. Um beim Oeffnen des constanten Stromes, das bei und durch Drehung des Cylinders geschieht, nur einen Funken zu erhalten, muss man in die Inductionskette ein Funkenmikrometer bringen, mit Kugeln, die beinah bis zum Maximum der Schlagweite von einander ger\u00fcckt sind. Ein solcher Funke kann zugleich dienen, um das Dilemma von Farbenunterschied (ob oder ob nicht durch gef\u00e4rbtes Glas gesehen), das\n44\u00bb","page":675},{"file":"p0676.txt","language":"de","ocr_de":"676\nF. C. Donders:\nUnterscheiden von (durch den Funken erleuchteten) Buchstabenzeichen u. s. w. zur Entscheidung zu bringen: immer wird in demselben Moment, worin der Funke zwischen den Kugeln des Mikrometers \u00fcberspringt, das Zeichen auch auf die chronoskopische Linie gesetzt. \u2014 Bei unseren fr\u00fcheren Versuchen war die Methode noch nicht so genau.\nEin Vocalklang, der das Ohr trifft, kann auch das Federchen des Phouautographen von Scott-K\u00f6nig, oder eines von K\u00f6nig i\u00fcr mich verfertigten einfachen Instruments in Schwingungen bringen, \u2014 bei gleichem Abstand in demselben Moment als das Trommelfell. Unter die chronoskopische Curve schreibt das Federchen eine gerade Linie, bis es durch den Vocalklang in Schwingung kommt: so ist der Reizmoment scharf aufgezeichnet.\n3. Das Signal, womit reagirt wird, muss gleichfalls mit Pr\u00e4cisiou auf oder unter der chronoskopischen Linie notirt werden. Die hierf\u00fcr gebr\u00e4uchlichen Elektromagnete mit durch die Stromst\u00e4rke ver\u00e4nderlichem Retard, sind in unsern sp\u00e4teren Versuchen ganz bei Seite gestellt. Die Bewegung, worin das Signal besteht, wird ohne Zwischen-kunft von irgend welchem Mechanismus registrirt. Ein verticales leichtes Holzst\u00e4bchen, beinah ohne Reibung um seine L\u00e4ngsaxe drehbar, tr\u00e4gt an seinem obern Ende ein horizontales, auf den Cylinder schreibendes Federchen und nahe seinem Unterende ein horizontales St\u00fcck, das, zwischen zwei Fingern gehalten, weggeschlagen werden kann nnd in demselben Augenblick das schreibende Federchen abweichen macht: auf diese Weise kann, in Verband mit einem aufzul\u00f6senden Dilemma, auch \u00fcber links oder rechts Wegschlagen Verabredung getroffen werden.\nDas Signal auf Vocalkl\u00e4nge ist die Wiederholung des Vocalklangs, welche der Phonautograph auf derselben Linie registrirt, als den Reiz (vgl. Fig. 1). Auf Vocalzeichen wird das Signal,auch als Vocalklang gegeben. Durch Reaction auf irgend einen Reiz, abwechselnd mit Bewegung der Hand und mit Vocalklang, wird der auf dem Unterschied des Signals beruhende Zeitunterschied gefunden (vergl. An merk. III).\nDer grosse Vortheil des Gebrauchs von Stimmgabelschwingungen als chronoskopische Einheit besteht darin, dass man den Cylinder frei aus der Hand umdrehen kann: man findet die Dauer des Processes in der zwischen Reiz und Signal liegenden Anzahl Schwingungen, unabh\u00e4ngig von deren L\u00e4nge, und auf gleichm\u00e4ssige Umdrehungsgeschwindigkeit kommt es deshalb nicht besonders an. Die Umdrehung geschieht ungef\u00e4hr in einer Secunde, und bei jeder Umdrehung macht man einen Versuch, nach welchem der Handgriff wieder auf dem Fleck ruht, von dem man ausgegangen war. Der von mir gebrauchte Cylinder hatte einen Durchmesser von 19 Ctm , war 25 Ctm. lang und konnte nach Belieben mit Spiral- oder Circularbewegung","page":676},{"file":"p0677.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n677\ngebraucht werden. Der Versuch fiel immer nahezu in die Zeit der gr\u00f6ssten Umdrehungsgeschwindigkeit, und hier waren, bei 261 Schwingungen in 1\", F\u00fcnftel und selbst Zehntel einer Schwingung noch sehr gut abzulesen. Am Ende des Versuchs wird das Papier auf einer Linie, die ungef\u00e4hr dem Anfang und Ende aller Umg\u00e4nge entspricht, durchgeschnitten, so dass jeder durchlaufenden Stimmgabelcurve auf dem langen Blatt ein Versuch entspricht. Die Versuche werden nun numerirt und zu jedem Versuch die n\u00f6thigen Bemerkungen gesetzt, bevor die Schw\u00e4rze durch firnisshaltigen Alkohol fixirt wird.\nAnfangs brauchten wir durchgehends eine Stimmgabel von 261 Schwingungen in 1\", die sicher befestigt, einige Secunden vor jedem Versuch durch Hervorziehen eines sacht zwischen ihre Arme geklemmten Kl\u00f6tzchens in Schwingung versetzt wurde. Hiermit war man gewarnt, dass der Reiz gleich folgen w\u00fcrde. Sp\u00e4ter standen uns die durch Elektromagnetismus in Schwingung erhaltenen Stimmgabeln zu Dienste, die K\u00f6nig nach dem von Helmholtz f\u00fcr die Synthese von Vocalkl\u00e4ngen befolgten Princip verfertigt.\nAnmerkung II. Bei der Bestimmung der Dauer der psychischen Processe habe ich besonderen Werth gelegt auf die gefundenen Minima.\nDie Unterschiede, die wir finden, h\u00e4ngen sicher grossentheils ab von wirklichen Unterschieden in der Dauer der psychischen Processe. Der Moment des Reizes wird genau registrirt, ebenso der des Signals, und welcher wahrscheinliche Fehler an den verschiedenen, nicht psychischen Termen des Processes kleben m\u00f6ge, k\u00f6nnen wir nicht gen\u00fcgend zur Klarheit bringen, aber er ist sicher nicht gross. Wir m\u00fcssen also die Werthe einfach so nehmen, wie wir sie finden, und uns mit der Kenntniss der Maxima, der Minima und der Mittel zufrieden stellen. Den Grund der-Unterschiede w\u00fcnschen wir hier noch nicht n\u00e4her zu untersuchen. Das allein bemerken wir, dass das Maass der Spannung und der Abstraction von allen andern Gedanken einen grossen Einfluss hat. Eine Zerstreuung beim Einfallen des Reizes wird immer mit Verl\u00e4ngerung des Processes gestraft. Aber in Verband hiermit ist es klar, dass die gefundenen Minima die reinsten Werthe sind: sie vergegenw\u00e4rtigen den am meisten regelm\u00e4ssigen ungest\u00f6rten Lauf des Processes. Durch Substraction des Minimum von allen gefundenen Zeiten erh\u00e4lt man dann in den Unterschieden eine gute Uebersicht der Abweichungen von der idealen Regelm\u00e4ssigkeit, und hieraus wird sich wohl Einiges \u00fcber den Grund dieser Abweichungen ableiten lassen. \u2014 Die Bedeutung, die wir den Minimis beilegen, veranlasste uns, f\u00fcr zwei Reihen von Versuchen, die durch Einschieben eines psychischen Terms von einander verschieden sind, ausser dem Unterschied der Mittel auch immer den der Minima zu bestimmen. Gef\u00e4hrlich w\u00fcrde es sicher sein, allein nach den Minimis","page":677},{"file":"p0678.txt","language":"de","ocr_de":"678\nF. C. Donders:\nzu gehen. Die M\u00f6glichkeit besteht, dass bei schlecht beherrschter Spannung das Signal losbricht, bevor der Reiz eingewirkt hat, und dann findet man ein zu kleines Minimum: bei ungeschickten Experimentatoren kam das Signal ein einzelnes Mal schon vor dem Reiz. Will man diesem Uebelstand dadurch begegnen, dass man die Versuche mit relativ grossen Zwischenpausen, z. B. von einer Minute, und ohne Warnung, dass der Reiz kommt, auf einander folgen l\u00e4sst, dann findet uns der Reiz oft weniger wachsam, und die \u00e4usserste minimale Grenze wird dann schwer erreicht. Selbst bei Warnung kurz vor dem Versuch, so dass die Aufmerksamkeit nicht lange zu dauern braucht, ist eine grosse Reihe von Experimenten n\u00f6thig, um sich dem erreichbaren Minimum zu n\u00e4hern, und darum m\u00fcssen die zwei Reihen, deren Minima uns die gesuchte Differenz liefern, sehr gross oder doch gleich gross sein. \u2014 Niemals haben wir es vers\u00e4umt, auch den Unterschied der Mittel zu bestimmen. Sie sch\u00fctzen uns vor dem groben Irrthum, wozu ein unvorsichtiger Gebrauch der Minima f\u00fchren k\u00f6nnte. Und offenbar stellt ihr Unterschied in zwei Reihen doch auch die Dauer des in einer der Reihen eingeschobenen psychischen Terms dar. Es war indessen voraus zu sehen, dass f\u00fcr denselben Term die Unterschiede der Mittel etwas gr\u00f6sser ausfallen w\u00fcrden als die der Minima: denn die St\u00f6rung, welche die l\u00e4ngere Dauer des Processes verursacht, dr\u00fcckt auch auf die psychischen Termen um so mehr, je complicirter sie sind, folglich am meisten in der Reihe, in welcher ein psychischer Term eingeschoben ward. F\u00fcr diesen Term haben wir also allein in den Minimis des ganzen Processes das Minimum zu erwarten : dieser Erwartung entsprach im Allgemeinen das Ergebniss.\nAnmerkung III. Es kann nicht unwichtig sein, zu untersuchen, wie viel Zeit bei gleichem Reiz das eine Signal mehr kostet als das andere. F\u00fcr verschiedene Kl\u00e4nge und f\u00fcr die Bewegung der Hand kann ich dazu einen Beitrag liefern, gest\u00fctzt auf 91 neue Beobachtungen, die an verschiedenen Beobachtungstagen alle durch mich selbst angestellt wurden. Das Signal wurde theils auf Licht-, theils auf Klangeindr\u00fccke gegeben. Die Kl\u00e4nge waren die Vocale, mit oder ohne vorausgehende Consonanten, p, t oder k. Verglichen wurden z. B. pi, ti, ki und i, \u2014 oder eigentlich nicht i, sondern i mit vorausgehendem Harne der Araber, das ist, eingesetzt bei geschlossener Stimmritze : das Hamze der Araber ist eigentlich auch ein Verschluss-Consonant, wird aber in den meisten Sprachen vernachl\u00e4ssigt, \u2014 nur von guten Gesanglehrern nicht, die beim starken Einsetzen von Vocalen gegen den Stoss des Hamze sehr zu k\u00e4mpfen haben. Ohne Hamze eingesetzt, entsteht der Klang nicht pl\u00f6tzlich genug, um den Anfang scharf zu registriren. Die Bewegung der Hand bestand im Hervorziehen eines zwischen die Enden der Arme der","page":678},{"file":"p0679.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n679\nStimmgabel sacht eingeklemmten Kl\u00f6tzchens mit Handhabe, worauf die Schwingungen, ebenso -wie die der Vocalkl\u00e4nge, sogleich durch den Phonautograph aufgeschrieben wurden. \u2014 Wir beschr\u00e4nken uns auf die Mittheilung der Endergebnisse in Schwingungen von 261 auf 1\".\nSignal.\nReiz.\tVocal Mittel. Minim.\t\tVocal Mittel.\tmit p Minim.\tVocal Mittel.\tmit t Minim.\tVocal mit k Mittel. Minim.\t\nLicht. .\t43,3\t41,5\t45,1\t40,5\t53\t48\t219,3\t216,5\nid. . . .\t50,8\t48\t52\t52\t58,7\t56\t50,8\t217,5\nKlang .\t50\t43,6\t58,3\t53\t53,2\t48\t61,3\t60,7\nLicht. .\t56\t63,2\t56,5\t54,5\t59,3\t53,7\t61,2\t58,9\nMittel aus allen lieih.\t| 50,22\t46,57\t52,97\t50\t56,05\t61,42\t55.65\t53,27\nHieraus folgt, dass ohne Ausnahme der Verschluss-Consonant vor dem Vocal mehr Zeit verlangt, als der einfache Vocal mit Hamze, und dass p weniger Verz\u00f6gerung giebt, als t und k, wie auch schon ans dem Mechanismus zu vermuthen sein w\u00fcrde. Die Verz\u00f6gerung betr\u00e4gt, berechnet ans den Mitteln und aus den in Parenthese gesetzten Minimis,\nf\u00fcr p\tf\u00fcr t\tf\u00fcr k\n2,75 \u2014 (3,43)\t5,83 \u2014 (4,85)\t5,43 \u2014 (6,7).\nIn drei Beobachtungsreihen konnten wir das Signal von Kl\u00e4ngen mit dem der genannten Handbewegung vergleichen, und fanden f\u00fcr die Handbewegung jedesmal mehr Zeit noting: in der ersten Reihe der Tabelle n\u00e4mlich im Mittel 52,7 und Minim. 51, das ist 9,4 und (9,5) Schwingungen mehr als f\u00fcr den Vocal; in zwei andern Reihen, wobei der Vocal nicht bestimmt wurde, 3,95 und (6,63) und 4,85 und (6,93) mehr als f\u00fcr pi.\nAnmerkung IV. Von den 51 Versuchsreihen, die gemacht, ausgez\u00e4hlt und berechnet sind, theile ich hier eine ausf\u00fchrlich mit und ausserdem die Resultate von zwei anderen Reihen. In diesen Reihen kommen auf derselben Rolle abwechselnd die nach der a-, b- und c-Methode angestellten Versuche vor, d. i. bei Reaction auf bekannte, auf unbekannte und auf einen der unbekannten Kl\u00e4nge. Bei der c-Methode bleibt immer ein Theil der Kl\u00e4nge unbeantwortet: auf Rolle XVI B, wovon wir die Resultate hier in ihrem ganzen Umfange mittheilen, kommen auf 22 Curven nur 15 Bestimmungen vor, weil bei der a-Methode das Signal einmal wegen Zerstreuung ausblieb, und bei der c-Methode, wie sich geh\u00f6rte, sechsmal nicht gegeben wurde.","page":679},{"file":"p0680.txt","language":"de","ocr_de":"680\nF. C. Donders:\n21. August, Abends 7 Uhr; die Herren Hamer und Donders vor dem Phonautograph. H. ruft, D. antwortet. Stimmgabel = 261 Schwingungen.\nMethode a. Ki zu beantworten mit Ki.\nNummer.\tReiz-\tSignal.\tAnzahl Schwingungen.\t\n1\tKi\tKi\t45\t\n2\tKi\tausgeblieben\t\t\n3\tKi\tKi\t54\tim Mittel = 51,5\n20\tKi\tKi\t53\tMinimum = 45.\n21\tKi\tKi\t60\t\n22\tKi\tKi\t45,5.\t\nMethode b.\tUnbekannter Klang, zu beantworten mit gleichem.\t\t\t\nNummer.\tReiz.\tSignal.\tAnzahl Schwingungen.\t\n4\tKo\tKo\t77,5\t\n5\tKe\tKe\t72\t\n6\tKi\tKi\t72\t_ im Mittel = 74,33\n17\tKi\tKi\t76\tMinimum = 72.\n18\tKu\tKu\t74,5\t\n19\tKe\tKe\t74 \u2022\t\nMethode\tc. Von\tden Kl\u00e4ngen\tallein Ki zu\tbeantworten.\nNummer.\tReiz.\tSignal.\tAnzahl Schwingungen.\t\n7\tKu\t\u2014-\t\t\n8\tKi\tKi\t71,5\t\n9\tKi\tKi\t61,\t\n10\tKa\t\u2014\t\tim Mittel = 63,34\n11\tKu\t\u2014\u25a0\t\tMinimum = 59.\n12\tKi\tKi\t62\t\n13\tKe\t\u2014\t\t\n14\tKi\tKi\t59\t\nAuf der folgenden Tabelle sind die Resultate der einzelnen Beobachtungen von dieser Rolle mit den von zwei \u00e4hnlichen Rollen, zusammen 38, an demselben Abend gemachte Bestimmungen vereinigt.\nAnzahl Schwingungen.\nMetho- den.\tXV\tXVI A\tXVI B\tMittel aus den Beobachtungen.\tMinimum aus 38 Bestimmungen.\na.\t56,66\t49,66\t51,5\t52,41\t44,5\nb.\t74,83\t73,08\t74,33\t74,08\t62\nc.\t60,83\t60,5\t63,37\t61,89\t55,5","page":680},{"file":"p0681.txt","language":"de","ocr_de":"Die Schnelligkeit psychischer Processe.\n681\nMan findet nun\n\tAus den Mitteln\t\t\tAus den Mit- teln von allen Beobachtun-gen.\tMinimum aus 38 Bestim-\n\tXV\tXVI A\tXVI \u00df\t\tmungen.\nb\u2014a c\u2014a\t18,17 4,17\t23,42 10,84\t22,83 11,87\t21,67 9,48\t17,5 11\nAlso f\u00fcr die drei Rollen zusammen :\nAus den Mitteln Aus den Miminis\tIm Mittel\n*\t/ \u2014I.. i .\u2014I i\ti \u2014\n\tSchwin- gungen.\tTausendstel Sec.\tSchwin- gungen.\tTausendstel Sec.\tSchwin- gungen.\tTausendstel Sec.\nb\u2014a c\u2014a\t21,67 9,48\t83 36,32\t17,5 11\t67,05 42,15\t19,585 10,24\t75,03 39,24","page":681}],"identifier":"lit21223","issued":"1868","language":"de","pages":"657-681","startpages":"657","title":"Die Schnelligkeit psychischer Processe: Erster Artikel","type":"Journal Article"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:12:43.732936+00:00"}

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