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{"created":"2022-01-31T13:08:12.846300+00:00","id":"lit28898","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Nagel, Wilibald A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 12: 331-354","fulltext":[{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Raddrehungen der Augen.\nVon\nDr. Wilibald A. Nagel,\nPrivatdozent der Physiologie in Freiburg i. Br.\nMit 2 Figuren im Text.\nI. Historischer \u00dcberblick.\nDie Lehre von den Rollungen oder Raddrehungen des Auges um die Blicklinie hat ein merkw\u00fcrdig wechselndes Geschick gehabt. Bald wurde behauptet, bei Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes treten kompensierende Augenrollungen ein, und es wurde sogar der Winkel gemessen, um welchen sich das Auge in solchem Falle drehte; dann wieder wurde die Existenz der kompensierenden Raddrehungen \u00fcberhaupt bestritten. Diese Schwankung f\u00fcr und wider wiederholte sich mehrmals, und jetzt, 110 Jahre nach der Entdeckung der kompensierenden Augenbewegungen, stehen dieselben noch immer nicht unbestritten da.\nIm Jahre 1786 behauptete John Httntek1 als der erste, dafs bei Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes die Augen eine Raddrehung in entgegengesetzter Richtung ausf\u00fchren, wodurch die Drehung ausgeglichen, der vorher vertikale Meridian des Auges also in seiner vertikalen Stellung im Raume erhalten werde. Diese kompensierende Raddrehung, eine Wirkung der schiefen Augenmuskeln, sollte indessen nur bis zu einem gewissen Grade von Kopfneigung eintreten, dann sollten die Drehmuskeln pl\u00f6tzlich erschlaffen und das Auge in seine Anfangsstellung\n1 J. Hunter, Observations on certain parts of the animal oeconomy. London 1786. Second edition. 1792. S. 253: The use of the oblique Muscles. Deutsche \u00dcbersetzung von Scheller. Neue Auflage. Braunschweig 1813. S. 344.\n22*","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nWilibald A, Nagel.\nim Kopfe zur\u00fcckkekren lassen, um dann bei weiter fortgesetzter Drehung des Kopfes wieder von neuem das Auge in entgegengesetzter Richtung zu drehen.\nJoh. M\u00fcller sprach sich in seiner vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes (1826) gegen die Existenz von Rad-drehungen \u00fcberhaupt aus. Er hatte sich einzelne Punkte auf der Conjunctiva bulbi mit Tinte bezeichnet und fand an diesen keine Verschiebung, wenn er den Kopf seitw\u00e4rts neigte. Er schlofs also, dafs das Auge seine Lage im Kopfe beibehalte.\nAlexander Hueck1 (1838) zog dagegen aus Beobachtungen an den Konjunktivalgef\u00e4fsen wieder den Schlufs, dafs bei Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes vom Auge eine kompensierende \u201eAchsen-drehung\u201c ausgef\u00fchrt werde, welche den vertikalen Meridian des Auges vertikal erhalte, so lange die Kopfneigung 25\u201428\u00b0 nicht \u00fcbersteige. Von diesem Punkte an sollte das Auge den Kopfbewegungen folgen.\nB\u00fcrow2 sprach sich bald danach (1841) und unabh\u00e4ngig von Hunter und Hueck in \u00e4hnlichem Sinne aus. Er erkannte die Raddrehung bei Beobachtung seiner Iris im Spiegel.\nAlsbald aber erhob sich Widerspruch gegen die Resultate der genannten Autoren, und zwar von Seiten von Ritterich,3 Ruete4 (1846) und Donders5 (1846).\nRitterich hielt die Konjunktivalgef\u00e4fse wegen ihrer Verschieblichkeit auf dem Bulbus f\u00fcr ein ungen\u00fcgendes Merkmal zur Feststellung der Lage des Auges im Kopfe.6 F\u00fcr einwandfrei galt ihm die Beobachtung der Iris, welche er bei auf-\n1\tA. Hueck, Die Achsendrehung des Auges. Dorpat 1838.\n2\tBurow, Beitr\u00e4ge zur Physiologie und Physik des menschlichen Auges. K\u00f6nigsberg 1841. S. 8.\n3\tRitterich, Das Schielen und seine Heilung. Leipzig 1843.\n4\tRuetes Lehrb. d. Ophthalm. 1846. S. 14.\n5\tDonders, Nederlandsch Lancet. August 1846. \u2014 Holland. Beitr. zu d. anat. u. physiol. Wiss. 1841. I. S. 105\u2014145, 384\u2014386.\n6\tDafs dieser Einwand Ritterichs in gewissem Sinne begr\u00fcndet ist, die Lage der Konjunktivalgef\u00e4fse somit nicht ohne weiteres zur Messung der Raddrehungen verwendbar ist, davon kann man sich bei Betrachtung des Auges in einem Hohlspiegel leicht \u00fcberzeugen. Die oberfl\u00e4chlichen Konjunktivalgef\u00e4fse machen die Raddrehungen lange nicht in dem Mafse mit, wie die tiefen, welche die Skierotika durchbohren. Man sieht daher erhebliche Verschiebungen der in verschiedener Tiefe gelegenen G-ef\u00e4fse gegeneinander, sowie man den Kopf seitw\u00e4rts neigt und damit eine Raddrehung ausl\u00f6st.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\t333\nrechter Kopfhaltung genau abzeichnete, um sie dann nach Ausf\u00fchrung einer Kopfneigung von 90\u00b0 wieder mit der Zeichnung zu vergleichen ; die Lage der Iris in der Orbita erschien ihm dabei unver\u00e4ndert. Bitterich betonte auch, dafs die schiefen Augenmuskeln verm\u00f6ge ihrer Anordnung und L\u00e4nge gar nicht im st\u00e4nde seien, den Bulbus um einen so erheblichen Winkel zu drehen, wie es Hueck behauptet hatte, sondern der Obliquus inferior h\u00f6chstens um 12\u00b0, der Obliquus superior um 5\u00b0. (Die betreffenden Zahlenangaben Bitterichs haben sich indessen als irrt\u00fcmlich erwiesen).\nBuete, der sich zuerst der Nachbilder zum Zwecke dieser Yersuche bediente, bemerkte in seinem Lehrb. d. Ophthalm. gelegentlich, dafs er sich auf diese Weise von der Abwesenheit kompensierender Drehungen \u00fcberzeugt habe.\nD ONDEES verwertete die gleiche Methode weiter und mit dem n\u00e4mlichen Erfolge wie Buete. Er wies auf eine wichtige Fehlerquelle bei derartigen Versuchen hin, n\u00e4mlich auf die bei Kopfneigungen leicht eintretenden Abweichungen des Auges von der prim\u00e4ren Lage, womit sich scheinbare Baddrehungen verbinden k\u00f6nnen. War nicht f\u00fcr strenge Festhaltung konstanter Blickrichtung gesorgt, so konnte leicht eine etwaige Hebung und Seitenwendung der Blicklinie \u00fcbersehen, die daraus resultierende Neigung des vertikalen Meridians aber bemerkt werden und als Baddrehung imponieren.\nDieses plausible Argument von Donders brachte die kompensierenden Baddrehungen f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit stark in Mifskredit, trotzdem dafs ungef\u00e4hr zur gleichen Zeit mit den negativen Besultaten der letztgenannten drei Autoren positive Ergebnisse, d. h. Best\u00e4tigungen der kompensatorischen Baddrehungen, von Tourtual,1 Volkmann,2 Valentin3 und Kracjse4 mitgeteilt wurden.\nAlbrecht von Graefe,5 der, wie auch schon Hueck,\n1\tTourtual jun., Bericht \u00fcber die Leistungen im Gebiete der Physiologie der Sinne, insbesondere des Gesichtssinnes. Arch. f. Anat. u. Physiol. von J. M\u00fcller. 1840. S. LIV f.\n2\tVolkmann, Artikel \u201eSehen\u201c in Wagners Handw\u00f6rterb. d. Physiol. S. 273.\n8 Valentin, Lehrb. d. Physiol. II. S. 332.\n4 Krause, Handb. d. Anat. 1843. S. 550.\n6 A. v. Graeee, Beitr\u00e4ge zur Physiologie und Pathologie der schiefen Augenmuskeln. Arch. f. Ophthalm. Bd. I. 1854. S. 28 ff.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nWilibald A. Nagel.\nkompensatorische Baddreh\u00fcngen bei Tieren beobachtete und beschrieb, leugnete die Baddrehungen des menschlichen Auges um die konstant gehaltene Blicklinie auf Grund der Donders-schen wie auch eigener Untersuchungen (Beobachtungen am eigenen Auge, ferner an Augen mit Kolobom).\nEine neue Wendung nahm die Bache, als Javal1 fand, dafs Zylindergl\u00e4ser, welche bei gew\u00f6hnlicher aufrechter Kopfhaltung den regelm\u00e4fsigen Astigmatismus genau korrigierten, dies nicht mehr thaten, wenn der Kopf seitw\u00e4rts geneigt wurde. Das Zylinderglas mufste dann etwas nach der entgegengesetzten Seite gedreht werden.\nAlbrecht Nagel, welcher zuerst gezeigt hatte, dafs wahre Boilungen um die feststehende Blicklinie im Interesse des binokularen Einfachsehens Vorkommen,2 best\u00e4tigte auch Javals Versuch3 und bewies damit, dafs die beiden Augen sowohl parallele, gleichgerichtete, wie symmetrische Boilungen um die Blicklinie ausf\u00fchren k\u00f6nnen. A. Nagel verwendete bei diesen Versuchen die zur Feststellung des Kornealastigmatismus dienenden Strahlenfiguren, und sein Astigmatismus gestattete ihm, den Winkel zu messen, um welchen das Auge hinter dem um die Blicklinie des Auges rotierenden Kopfe zur\u00fcckblieb oder mit anderen Worten, welcher Bruchteil der Kopfdrehung durch Bollung des Auges kompensiert wird. Nagel bestimmte diesen Wert zu 76, Skrebxtzky,4 der mit Nachbildern experimentierte, fand bei sich Vio der Kopfdrehung kompensiert. A. Nagel\n1\tIn L. Wecker, Trait\u00e9 th\u00e9orique et pratique des maladies des yeux. Paris 1866. II. S. 815, und in der franz\u00f6sischen Ausgabe von Helmholtz\u2019 Physiol. Optik (\u00fcbersetzt von Javal und Klein. 1867. S. 671). Auch Helmholtz, der in der ersten (deutschen) Ausgabe seiner Physiol. Optik, gest\u00fctzt auf Donders Arbeiten, die Existenz kompensatorischer Raddrehungen um die Blicklinie geleugnet hatte, best\u00e4tigt dieselbe in der franz\u00f6sischen Auflage seines Handbuches. In der zweiten deutschen Auflage (1894) ist es vergessen worden, hiervon Notiz zu nehmen und es ist dort diejenige Anschauung zum Ausdruck gebracht, die der Autor schon im Jahre 1867 aufgegeben hatte.\n2\tA. Nagel, \u00dcber das Vorkommen von wahren Rollungen des Auges um die Gesichtslinie. Arch. f. Ophthalm. Bd. XIV. 2. S. 288. 1868.\n8 Zweiter Artikel mit demselben Titel. Arch. f. Ophthalm. Bd. XVII. 1. S. 247. 1871\n4 Skrebitzky, Ein Beitrag zur Lehre von den Augenbewegungen. Arch. f. Ophthalm. Bd. XVII. 1871. 1. S. 107. (Auch holl\u00e4ndisch in Nederl. Arch, voor Genees- en Natuurk. 1870. S. 476.)","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n335\nsowohl wie Skrebitzky vermieden die von Bonders erw\u00e4hnte Fehlerquelle.\nKurz vor Ver\u00f6ffentlichung der Arbeiten von Nagel und Skrebitzky hatte Aub1 auf Grund von, gemeinsam mit Knapp ausgef\u00fchrten. Versuchen wieder einmal die Kaddrehungen geleugnet. Nun aber kam wieder eine Reihe von Best\u00e4tigungen, so von seiten Woinows,2 der mittelst Nachbildern und direkter Ophthalmometerbeobachtung der Cornea den Raddrehungs-winkel mafs und f\u00fcr sich zu V\u00f6, f\u00fcr einen Studenten zu 3/e die Kopfdrehung kompensierend fand (auch bei konvergenter Angenstellung), sodann von Bonders,3 der mit parallelen Augen-achsen und Nachbildern experimentierte und jetzt, entgegen seinen fr\u00fcheren Angaben, eine Kompensation von Vs erhielt.\nBreuer4 konnte einige Jahre sp\u00e4ter ebenfalls kompensatorische Raddrehungen nach weisen, doch ist seine Stellungnahme, nach den vorliegenden Ausz\u00fcgen zu urteilen (die Originalarbeit ist mir nicht zug\u00e4nglich), keine ganz klare. W\u00e4hrend Nagel, Skrebitzky, Woinow und Donders gezeigt hatten, dafs Hueck irrte, wenn er glaubte, die Kopfdrehung werde vom Auge v\u00f6llig kompensiert, glaubte Breuer wiederum Hueck recht geben zu sollen, ohne dafs indessen in seinen Versuchsergebnissen ein Grund daf\u00fcr zu finden ist.\nNunmehr folgte wiederum eine ausf\u00fchrliche Bearbeitung der Frage aus dem DoNDERSschen Laboratorium, von Mulder,5\n1\tJ. \u00c4UB, Finden Raddrehungen der Augen bei Seitw\u00e4rtsneigungen des Kopfes statt? Knapps Arch. f. Augen- und Ohrenhlk\u00e4e. Bd. I. 2. S. 232. 1870.\n2\tM. Woinow, Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Augenbewegungen. Arch. f. Ophthalm. Bd. XVII. 2. S. 233. 1871.\nEine in russischer Sprache geschriebene, mir nicht zug\u00e4ngliche Mitteilung W.s erschien schon 1870: \u00dcber die Raddrehungen des menschlichen Auges. Sitzgs.-Ber. d. phys. med. Ges. in Moskau.\n3\tDonders, Die Bewegungen des Auges, veranschaulicht durch das Ph\u00e4nophthalmotrop. Arch. f. Ophtpalm. Bd. XVI. 1. S. 154.\nDerselbe, Diskussion in der Heidelberger Ophthalm. Versammlung, Mitteilung in den Klin. Monatsbl. f. Augenhlkde. S. 389. 1871.\n4\tJ. Breuer, \u00dcber die Funktion der Bogeng\u00e4nge des Ohrlabyrinths. Med. Jahrb. d. Wiener \u00c4rzte. Red. v. Stricker. S. 72\u2014124. 1874.\n5\tM. E. Mulder, Over parallele Rolbewegingen der Oogen. Acad. Proefschrift. Onderzock. physiol. Laborat. te Utrecht. 1874. III. 1. S. 168.\nDerselbe. \u00dcber parallele Rollbewegungen der Augen. Arch. f. Ophthalm. Bd. XXI. S. 68. 1875.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"Wilibald A. Nagel.\n3 36\nder in Gemeinschaft mit K\u00fcster seine kompensierenden Raddrehungen mafs.\nWichtig und neu sind in dieser Mitteilung vor allem zwei Punkte: 1. Neben den von den bisherigen Autoren ausschliefslich untersuchten Rollungen von dauerndem Best\u00e4nde kommen solche von gr\u00f6fserem Betrage vor\u00fcbergehend vor, im Anschl\u00fcsse an rasch sich vollziehende Kopfdrehungen. Dieselben werden alsbald teilweise r\u00fcckg\u00e4ngig, und es bleibt dann als Rest jene geringere dauernde Raddrehung bestehen. 2. Es besteht keine Proportionalit\u00e4t zwischen Kopf- und Augendrehung in dem Sinne, wie die fr\u00fcheren Autoren annahmen, es l\u00e4fst sich daher auch kein bestimmter Bruchteil der Kopfdrehung angeben, welcher durch Augendrehung kompensiert wird. F\u00fcr jeden Grad von Kopfneigung ist dieser Bruchteil vielmehr verschieden.\nIm Anschlufs an die MuLDERsche Arbeit best\u00e4tigte auch Donders1 nochmals die parallelen Rollungen, sowohl die vor\u00fcbergehenden wie die bleibenden.\nNach den MuLDERschen Resultaten konnte man die Abweichungen in den fr\u00fcheren Zahlenangaben \u00fcber den Betrag der Raddrehungen wohl verstehen. Die einzelnen Autoren hatten mit verschiedenen Kopfneigungswinkeln experimentiert und den Betrag der Raddrehung wahrscheinlich als Mittel aus s\u00e4mtlichen Messungen berechnet. Es w\u00e4re, wie man jetzt weifs, Zufall gewesen, wenn sie genau \u00fcbereinstimmende Zahlen erhalten h\u00e4tten, weil die Beziehungen zwischen Kopf- und Augendrehungen nicht so einfache sind, wie angenommen worden war. Aufserdem bestehen zweifellos individuelle Verschiedenheiten, worauf schon A. Nagel hingewiesen hat.\nSo schien denn nun die beste \u00dcbereinstimmung hergestellt zu sein und die kompensatorische Raddrehung eine aufser Zweifel stehende Thatsache,2 bis im Jahre 1894 zwei franz\u00f6sische Autoren, Cortejean und Delmas,3 wiederum ihre\n1\tDondees, \u00dcber das Gesetz der Lage der Netzhaut in Beziehung zu der der Blickebene. Arch. f. Ophthalm. Bd. XXI. 1. S. 125.\n2\tAls solche wird sie u. a. von Heeing in seiner Bearbeitung des Abschnittes \u00fcber Augenbewegungen in Hermanns Handb. d. Physiol. abgehandelt.\n3\tCh. Contejean et A. Delmas, Sur le \u201emouvement de roue\u201c du globe oculaire se produisant pendant l\u2019inclination lat\u00e9rale de la t\u00eate. Arch, de physiol. 5me. s\u00e9r. 6. S. 687. 1894.","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n337\nExistenz v\u00f6llig in Abrede stellten und die fr\u00fcheren positiven Resultate als Folge eines Versuchsfehlers, n\u00e4mlich ungen\u00fcgender Erhaltung der konstanten Lage der Blicklinie zum Kopfe, auffafsten.\nDiese Autoren beschreiben ihr Versuchsverfahren sehr ausf\u00fchrlich und geben damit in der That die Sicherheit, dafs der von ihnen ger\u00fcgte Fehler von ihnen vermieden wurde. Sie sind jedoch offenbar im Irrtum, wenn sie glauben, die namhaft gemachten fr\u00fcheren Forscher h\u00e4tten jene Vorsichtsmafsregeln aufser Acht gelassen. Nachdem Donders schon in den vierziger Jahren auf die in Blickabweichungen liegende Fehlerquelle hingewiesen hatte, mufsten die sp\u00e4teren Beobachter diese nat\u00fcrlich vermeiden, und aus den Versuchsbeschreibungen von' A. Nagel, Skrebitzky und Mulder geht es zur Gen\u00fcge hervor, dafs dies auch geschehen ist.\nNoch eine andere Berichtigung wird an dieser Stelle not* wendig. Contejean und Delmas schreiben nach Erw\u00e4hnung der messenden Versuche von A. Nagel und Skrebitzky Folgendes (a. ob. Orte, S. 689):\n\u201eDonders et Woinow reprennent alors les exp\u00e9riences de Skrebitzky et, op\u00e9rant comme lui par la m\u00e9thode des images accidentelles, arrivent \u00e0 un r\u00e9sultat diam\u00e9tralement oppos\u00e9 : non-existence du mouvement de roue dans le cas en question.44\nWie aus dem oben mitgeteilten hervorgeht, ist das Gregenteil richtig, sowohl Woinow wie Donders haben sich f\u00fcr Existenz der Raddrehungen ausgesprochen und Zahlenwerte f\u00fcr dieselbe angegeben. Gerade in der von den franz\u00f6sischen Autoren zitierten Arbeit zieht Donders seinen fr\u00fcheren Widerspruch zur\u00fcck. Auch das ist unrichtig, dafs Donders, der den Versuchen von Mulder und K\u00fcster beigewohnt hatte, deren G\u00fcltigkeit bezweifelte. Im Gegenteil, er best\u00e4tigte die Richtigkeit der Versuche ganz ausdr\u00fccklich.\nDiese etwas sorglose Behandlung der litt er arischen Angaben seitens der Herren Contejean und Delmas, zusammengehalten mit dem entschiedenen Widerspruch ihrer Resultate mit denjenigen einer Reihe von angesehenen Forschern, wird es erkl\u00e4rlich erscheinen lassen, wenn ich die Sache mit der Wendung, die sie nunmehr genommen hatte, nicht als definitiv entschieden ansehen wollte, sondern die Frage einer erneuten Untersuchung mit allen n\u00f6tigen Kautelen unterwarf. Ich fand","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nWilibald A. Nagel.\ndie kompensatorischen Raddrehungen zweifellos existierend und konnte sie durch verschiedene Methoden nachweisen, u. a. auch durch diejenige, welche die Herren Conte je an und Delmas zu entgegengesetzten Resultaten gef\u00fchrt hatte. Ja diese Methode erlaubte mir sogar die genaueste Messung der Raddrehungen.\n2. Der Nachweis kompensatorischer Raddrehungen\nund ihre Messung.\nDie einfachste und zugleich weitaus anschaulichste Art, sich von der Existenz kompensatorischer Raddrehungen zu \u00fcberzeugen, ist die, dafs man an einem fest am Kopfe sitzenden Brillengestell oder auf einem zwischen den Z\u00e4hnen gehaltenen Brettchen ein St\u00fcck Spiegelglas so befestigt, dafs man sein eines Auge darin sehen kann. Wer nicht stark kurzsichtig ist, thut gut, vor das Auge ein Konvexglas zu bringen, so dass er den Spiegel in 5\u20146 cm Abstand vor dem Auge anbringen kann. Zweckm\u00e4fsig kann man auch einen Hohlspiegel verwenden, der das Auge vergr\u00f6fsert zeigt. Fixiert man im Spiegelbilde die Pupille (um die Fixierlinie m\u00f6glichst festzustellen, macht man die Pupille klein, indem man in recht hellem Lichte experimentiert), so ist man sicher, dafs das Auge sich, wenn \u00fcberhaupt, nur um die Blicklinie drehen kann. Bei jeder Neigung des Kopfes nach der Seite sieht man nun in der That den Bulbus eine ausgiebige Raddrehung in umgekehrter Richtung ausf\u00fchren. Sowohl die radi\u00e4ren Streifen der Iris wie die Konjunkfcivalgef\u00e4fse machen diese Drehung an jedem Auge sehr bequem sichtbar.\nBei dieser Versuchsmethode l\u00e4fst sich noch allerlei Weiteres beobachten. Man sieht, dafs die Raddrehungen auch ein treten, wenn die Augen, statt geradeaus gerichtet zu sein, stark konvergent stehen. Man beobachtet ferner leicht die M\u00fcLDERschen vor\u00fcbergehenden Raddrehungen, welche ebenfalls im Sinne der Kompensation der Kopfneigung erfolgen und sich so stark be-merklich machen, dafs die Meinung fr\u00fcherer Autoren, die Kopfneigung werde v\u00f6llig kompensiert, wohl erkl\u00e4rlich ist und erst durch genaue Messungen widerlegt werden konnte. Diese vor\u00fcbergehenden Raddrehungen treten nur bei raschen Kopfbewegungen ein, das Auge geht dann bei seiner Rotation ein","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n339\nSt\u00fcck weit \u00fcber die Gleichgewichtslage hinaus, in der es sich definitiv ein stellt. Der R\u00fcckgang dieser Drehung erfolgt langsam genug, um sich genau beobachten zu lassen.\nEine andere Erscheinung, die man bei Beobachtung der Raddrehung am Auge anderer Personen deutlich wahrnimmt, entzieht sich dagegen der \"Wahrnehmung v\u00f6llig, wenn man in der beschriebenen Weise sein eigenes Auge im Spiegel betrachtet. Die Rotation erfolgt n\u00e4mlich, wie schon die ersten Beobachter der Raddrehungen wufsten, nicht kontinuierlich, sondern in Abs\u00e4tzen, unter nystagmusartigen Bewegungen um die Drehungsachse, in diesem Falle also die Blicklinie. Dieser Rollnystagmus, welcher das Auge erst mit mehreren Oszillationen in die der betreffenden Kopfneigung entsprechende Stellung in der Orbita gelangen l\u00e4fst, ist bei verschiedenen Menschen sehr verschieden stark ausgebildet, fehlt aber schwerlich jemals ganz. Am st\u00e4rksten sah ich ihn auftreten bei einem Manne, bei welchem ein Auge amaurotisch, das andere stark amblyo-pisch war.\nEs ist ein bemerkenswerter Unterschied, dafs man einerseits im Spiegel ganz deutlich die relativ langsame Drehung des Auges sehen kann, durch welche es nach der st\u00e4rkeren vor\u00fcbergehenden Rollung in die dauernd bestehen bleibende zur\u00fcckkehrt, dafs man auch den Eintritt der vor\u00fcbergehenden Rollung deutlich wahrnimmt, w\u00e4hrend die dabei auftretenden nystagmischen Zuckungen sich der direkten Wahrnehmung entziehen. In beiden F\u00e4llen ist beobachtetes und beobachtendes Auge identisch. In gewisser Weise machen sich \u00fcbrigens die Zuckungen doch bemerklich : wenn ich n\u00e4mlich den Kopf seitw\u00e4rts neige und dabei den Blick fest auf das Spiegelbild meiner Pupille oder auf einen fernen Gegenstand richte, bemerke ich eine gewisse Diskontinuit\u00e4t in der Wahrnehmung, ein Aussetzen des Sinneseindruckes. Dies h\u00e4ngt h\u00f6chst wahrscheinlich mit den nystagmischen Zuckungen zusammen.\nDie Methode der Beobachtung des Auges in dem auf einem Zahnbrettchen befestigten Spiegel ist endlich noch die geeignetste, um die von A. Nag-el entdeckte Raddrehung des Auges bei Drehung des horizontal liegenden K\u00f6rpers um seine L\u00e4ngsachse zu konstatieren. Legt man sich auf einen Tisch in R\u00fccken- oder Bauchlage, so stehen die Augenmeridiane wie bei gew\u00f6hnlicher aufrechter Kopf- und K\u00f6rperhaltung. Jede","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nW\u00eflibald A. Nagel.\nDrehung um die K\u00f6rperl\u00e4ngsachse, also \u00dcbergang in die Seitenlage, hat sofort eine energische Baddrehung der Angen zur Folge.\nEine zweite einfache Methode, um die kompensatorische \u00dfaddrehung rein qualitativ nachzuweisen, ist die folgende, meines Wissens zu diesem Zwecke bisher noch nicht verwendete. Man beobachtet im Dunkeln die durch den unregel-m\u00e4fsigen Linsenastigmatismus erzeugte Strahlenfigur eines fernen leuchtenden Punktes. An einem gut sitzenden Brillengestell befestigt man in deutlicher Sehweite vor dem einen Auge ein Fadenkreuz in drehbarer Fassung.1 Man visiert dann bei aufrechter Kopfhaltung so, dafs der Mittelpunkt des Fadenkreuzes mit dem Mittelpunkte der Strahlenfigur zusammenf\u00e4llt, und stellt das Kreuz so ein, dafs die eine Linie desselben in die \u00dfichtung irgend eines besonders kenntlichen Strahles der Linsenfigur zu stehen kommt, so dafs beide zusammenfallen.\nBei seitlicher Kopfneigung sieht man dann sofort ein Zur\u00fcckbleiben des Strahles der Linsenfigur und bei dauernder Seitw\u00e4rtsneigung eine dauernde Divergenz zwischen diesem Strahl und der Linie des Fadenkreuzes. Die Blicklinie ist bei dieser Versuchsanordnung vollkommen festgestellt, da das fixierte Fadenkreuz seine Lage zum Kopfe unver\u00e4nderlich beibeh\u00e4lt.\nBei dem eben beschriebenen Versuche schlofs ich durch Homatropinisierung des Auges etwaige Einfl\u00fcsse von Akkommodationsbewegungen aus, vergr\u00f6fserte dadurch zugleich die Pupille und damit die Strahlenfigur (was den Versuch sehr erleichtert) und verhinderte das st\u00f6rende automatische Spiel der Iris. Um das Fadenkreuz auf einen bequemen Abstand (etwa 20 cm) an das akkommodationslose Auge heranr\u00fccken zu k\u00f6nnen, (wozu meine Myopie zu schwach ist), brachte ich ein schwaches Konvexglas (+1) vor das Auge. Der Emmetrop wird ein Konvexglas schon deshalb brauchen, damit f\u00fcr ihn das Zerstreuungsbild gen\u00fcgend grofs wird.\n1 Ich habe bei diesen und den weiter unten zu erw\u00e4hnenden Versuchen statt eines wirklichen Fadenkreuzes ein G-limmerbl\u00e4ttchen mit eingeritztem Kreuze verwendet.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n341\nIch habe versucht, ob monochromatisches Licht (durch Bogenlampe und Prisma erzeugt) den Versuch erleichtert und die Strahlenfigur zur Beobachtung geeigneter macht, fand aber das Gegenteil. W\u00e4hrend die Zerstreuungsfigur bei gemischtem Lichte f\u00fcr mich ein Kreis mit gezacktem Bande ist, aus welchem einzelne, zu der erw\u00e4hnten Beobachtung besonders geeignete, Strahlen weit hervorragen, fehlen die letzteren bei monochromatischem Lichte, die Zerstreuungsfigur n\u00e4hert sich hier mehr einem glattrandigen Kreise.\nZur Messung der Baddrehung eignet sich diese Methode nicht, weil erstens die Ablesungen bei dem Experimentieren im Dunkeln unbequem w\u00fcrden und weil zweitens die Strahlenfigur keinen deutlich markierten Mittelpunkt besitzt, mit welchem man das Fadenkreuz zu genauer Deckung bringen k\u00f6nnte.\nZur Messung der Baddrehungen eignen sich drei Methoden, von denen die erste Nachbilder, die zweite den regelm\u00e4ssigen Kornealastigmatismus, die dritte den blinden Fleck im Gesichtsfelde dazu verwendet, die Lage des Auges im Kopfe festzustellen.\nDer dunkle Streifen, welchen ein astigmatisches Auge an einer aus konzentrischen Bingen gebildeten Figur bemerkt und welcher die Lage des Kornealellipsoids anzeigt, ist schon bei einem regul\u00e4ren Astigmatismus von weniger als einer Zylindermeterlinse (wie ich ihn auf einem Auge habe) deutlich genug, um das Zur\u00fcckbleiben des Auges bei Kopfneigung sehr sch\u00f6n zu zeigen. Man verwendet dabei wieder ein in der oben beschriebenen Weise angebrachtes Fadenkreuz, um die Baddrehung zu konstatieren. Um den Betrag derselben hinreichend genau messen zu k\u00f6nnen, bedarf es schon eines st\u00e4rkeren Astigmatismus (etwa zwei Zylindermeterlinsen).\nIch konnte daher diese sonst sehr bequeme Methode nicht verwenden.\nDie Nachbildmethode, deren sich besonders Dondees und seine Sch\u00fcler bedient haben, liefs ich deshalb bei Seite, weil ich sie noch erm\u00fcdender finde, als die dritte genannte Methode, der sie auch an Genauigkeit kaum gleichkommt. Diese dritte Methode, bei welcher die Stellung des Auges aus der Lage des blinden Fleckes zum Fixierpunkte bestimmt wird, war","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nWil\u00efbald A. Nagel.\nauch darum f\u00fcr mich die gegebene, weil die Herren Contejean und Delmas durch sie ihre negativen Resultate gewannen und es mir daran liegen mufste, zu zeigen, dafs auch diese Methode bei richtiger Ausf\u00fchrung positive Resultate geben kann. Toubtual war der erste, welcher sich derselben zu diesem Zwecke bediente, Fick1 hat sie dann zur Untersuchung der sogen, projizierten Raddrehungen mit Erfolg verwendet.\nEs wird ein Punkt an der Wand in Kopfh\u00f6he fixiert und f\u00fcr die betreffende Kopf- und Augenstellung die Lage des blinden Fleckes bestimmt. Dann wird der Kopf seitw\u00e4rts geneigt und nun der blinde Fleck abermals aufgesucht, die Kopfneigung gemessen und festgestellt, ob der Winkel, um welchen sich die Projektion des blinden Fleckes auf die Wand um den fixierten Punkt gedreht, dem Kopfneigungswinkel gleich ist oder nicht. Contejean und Delmas fanden ihn demselben stets gleich, leugneten also dementsprechend das Vorkommen jeder Raddrehung bei Kopfneigung.\nIch habe, bis auf einige Ab\u00e4nderungen in unwesentlichen Punkten, nach der gleichen Methode experimentiert und mit Sicherheit Raddrehungen feststellen und messen k\u00f6nnen.\nDie Vorsichtsmafsregeln, welche sich f\u00fcr diese Versuche als notwendig erweisen, wenn dieselben einwandfrei sein sollen, sind folgende: Das Auge mufs stets gleich weit vom Fixierpunkte entfernt sein; die Blicklinie mufs stets den gleichen Winkel mit der Wand bilden, und zwar m\u00f6glichst genau senkrecht auf derselben stehen; die Blicklinie mufs ferner in Beziehung zum Kopfe stets dieselbe Lage haben, andere Bewegungen des Auges als die Drehung um die Blicklinie als Achse m\u00fcssen also ausgeschlossen sein. Ich erreichte dies in folgender Weise.\nAn der Wand war ein St\u00fcck Karton um einen Stift drehbar befestigt; letzterer trug einen Zeiger, welcher an einer Gradeinteilung auf dem Kartonblatte die Gr\u00f6fse der mit diesem vorgenommenen Drehungen abzulesen gestattete. Derselbe Stift trug an seinem Ende einen kleinen Spiegel, dessen Ebene senkrecht auf der Richtung des Stiftes stand.\nAuf dem Kartonblatt war ferner ein kleiner, etwa Vs cm\n1 A. Fick, Mole schotts Untersuchung en. U. S. 193. Vergl. auch Meissnek, Zeitschr. f. rat. Med. 3. Bd. \"VIII. S. 1. 1860.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Uber kompensatorische Haddrehungen der Augen.\n343\nim Durchmesser haltender dunkler Fleck in einem solchen Abstande vom Drehpunkte angebracht, wie er dem Abstande zwischen Mitte des blinden Fleckes und dem Fixierpunkte meines Auges entspricht, projiziert auf eine 1 m entfernte Wand.\nIn diesem Abstande, 1 m von der Wand entfernt, befand sich ein kleiner Tisch, auf welchen ich bei den Versuchen den Kopf in geeigneter Weise aufst\u00fctzen konnte.\nDer Sicherung der konstanten Lage der Blicklinie diente das schon mehrfach erw\u00e4hnte Brillengestell mit Fadenkreuz. Visierte ich jetzt so, dafs das Zentrum des Kreuzes und das Spiegelbild meiner Pupille in dem Spiegelchen an der Wand sich deckten, so war die Lage meiner Blicklinie, relativ zum Kopfe sowohl, wie zur Wand und der drehbaren Scheibe vollkommen gesichert. Jede Drehung des Kopfes, welche unter Einhaltung jener Visierung geschah, mufste eine Drehung um die Blicklinie des einen, dabei in der Orbita feststehenden Auges sein. Kar Drehungen um die Blicklinie waren dem Auge m\u00f6glich.\nZur Messung der Kopfdrehung erschien mir folgende Methode als die geeignetste. An dem Brillengestell, dessen fester Sitz am Kopfe gen\u00fcgend gesichert und erprobt war, wurde an dem vorspringenden Teile, der das Fadenkreuz trug, ein Gradbogen angebracht, auf welchem ein frei herabh\u00e4ngender Draht sich wie ein Zeiger verschieben konnte. Dieser Draht hatte seinen Aufh\u00e4ngungs- und Drehpunkt unmittelbar hinter dem Zentrum des Fadenkreuzes. Hielt ich den Kopf gerade aufrecht, so stand der Zeiger auf 0\u00b0 ein; jede Seitw\u00e4rtsneigung um die Blicklinie als Achse zeigte der herabh\u00e4ngende Draht am Gradbogen an.\nIch verfuhr nun in der Weise, dafs ich mein Auge in 1 m Entfernung von der Wand brachte und bei aufrechter Kopfhaltung (Nullstellung des Zeigers) die Lage meines blinden Fleckes bestimmte. Zu diesem Zwecke drehte ich das Kartonst\u00fcck an der Wand so lange, bis der dunkle Fleck f\u00fcr mich verschwand, dann wieder f\u00fchrte ich denselben um so viel nach aufw\u00e4rts, bis er eben aus meinem blinden Flecke auftauchte. Jetzt wurde die Einstellung der Kartonscheibe mittelst des an dem Drehpunkte befestigten Zeigers abgelesen und notiert.\nWenn ich jetzt den Kopf um einen bestimmten Winkel seitw\u00e4rts neigte, von neuem in der beschriebenen Weise visierte","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nW\u00fcibald A, Nagel.\nund nun die ganze Prozedur wiederholte, konnte ich den Winkel der Baddrehung durch Subtraktion der Winkel finden, um welche ich einerseits den Kopf geneigt hatte und um welche andererseits die drehbare Scheibe hatte rotiert werden m\u00fcssen, um wieder den dunklen Fleck eben auftauchen zu lassen.\nDiese Versuche sind nicht leicht auszuf\u00fchren, erfordern vielmehr einige \u00dcbung, sie sind auch ziemlich anstrengend, besonders bei Kopfneigungen von mehr als 70\u00b0, indem sich ein starker Blutandrang zum Kopfe einstellt. Nach einer langen Beihe von Ein\u00fcbungsversuchen f\u00fchrte ich die nachstehend in einer Tabelle wiedergegebene Versuchsreihe aus, welche eine\nKopfdrehung\t10\u00b0\t20\u00b0\t80\u00b0\t40\u00b0\t50\u00b0\t60\u00b0\t70\u00b0\t80\u00b0\t90\u00b0\t100\u00b0\t110\u00b0\n\t9\t17\t24\t33\t42\t54\t64\t71\t81\t91\t102?\n\t8\t17\t25\t33\t42\t53\t65\t72\t82\t92\t103?\n\t10\t16\t25\t35\t44\t55\t63\t72\t82\t92\t\u2014\n\u25a04* M\t9\t13\t24\t34\t44\t56\t64\t72\t81\t90\t\u2014\nPS a u\t10\t12\t25\t34\t46\t56\t63\t70\t82\t92\t\u2014\na> \u2022>\u2014\u00ab *\t8\t16\t24\t35\t45\t54\t64\t72\t82\t92\t\u2014\nEm S3 \u00a9\t7\t16\t24\t34\t43\t53\t64\t73\t82\t90\t\u2014\nB\t10\t15\t24\t33\t45\t53\t64\t72\t81\t92\t\u2014\n2 X\u00dfl\t9\t16\t25\t34\t43\t56\t63\t72\t81\t91\t\u2014\nM \u00a9 o\t8\t18\t26\t85\t43\t55\t62\t72\t81\t91\t\u2014\ns\t9\t17\t26\t36\t43\t54\t62\t72\t84\t92\t\u2014\n\u00a9 TS S3\t7\t17\t24\t37\t43\t53\t63\t72\t82\t\u2014\t\u2014\n\u2022 pH f\u2014H rQ\t8\t16\t24\t37\t45\t52\t62\t72\t83\t\u2014\t\u2014\no \u00bbd\t10\t17\t24\t34\t45\t53\t62\t72\t82\t\u2014\t\u2014\n&D S3 S3\t9\t18\t24\t35\t45\t52\t63\t72\t81\t\u2014\t\u2014\n\u00a9 U\t9\t17\t25\t35\t45\t52\t64\t73\t82\t\u2014\t\u2014\nM\t8\t17\t26\t33\t42\t52\t63\t72\t82\t\u2014\t\u2014\n\t9\t17\t26\t36\t43\t51\t63\t72\t84\t\u2014\t\u2014\n\t10\t16\t26\t35\t43\t52\t63\t72\t81\t\u2014\t\u2014\n\t7\t16\t25\t35\t44\t52\t63\t72\t82\t\u2014\t\u2014\nMittel.\t\t\t8,7\u00b0\t16,2\u00b0\t24,8\u00b0\t34,6\u201d\t43,7\u00b0\t53,3\u00b0\t63,2\u00b0\t72,0\u00b0\tOO 1 \"co o\t91,4\u00b0\t\u2014\nKaddrehungswinkel\t1,8\u00b0\t3,8\u00b0\t5,2\u00b0\t5,4\u00b0\t6,3\u00b0\t6,7\u00b0\t6,8\u00b0\t8,0\u00b0\t8,1\u00b0\t8,6\u00b0\t\u2014\nVon der Kopfdrehung wurde somit kom pensiert\t\t* Vv\tV\u00f6,2\tV 5,8\tl/7,4\t77,9\tVa\t710,3\tVlO\tViM\tVu,8\t\t\t","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n345\nbefriedigende Konstanz der Zahlen ergiebt. Die Messungen gelten f\u00fcr mein rechtes Auge bei Kopfneigungen nach rechts. Die oberste Horizontalreihe giebt die Kopfneigungen, die darunter stehenden Vertikalreihen die den einzelnen Kopfneigungen entsprechenden Winkel, welche an der drehbaren\nB\n00\t100\t200\t300 4oo 500\t600\t70\u00b0\t800\t900 io\u00fc*\nBig. 1.\nScheibe abgelesen wurden. Die Differenz zwischen beiden Werten ist der Kaddrehungswinkel.\nWie man aus der zweitletzten Horizontalreihe sieht, steigen die Betr\u00e4ge der Kaddrehungswinkel fortw\u00e4hrend bis zu einer Kofneigung von 100\u00b0, der \u00e4ufsersten Neigung, bei welcher ich noch zuverl\u00e4ssige Messungen ausf\u00fchren konnte. Es scheint mir nach einigen Versuchen, die indessen auf Genauigkeit keinen Anspruch machen k\u00f6nnen, als ob bei Neigungen \u00fcber\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\t23","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"Wilibald A. Nagel.\n100\u00b0 hinaus die Raddrehung allm\u00e4hlich wieder r\u00fcckg\u00e4ngig wurde, wenigstens zu einem gewissen Teile.\nDie letzte horizontale Reihe zeigt, dafs der Bruchteil der Kopfdrehung, welcher durch Augendrehung ausgeglichen wird, mit zunehmender Kopfneigung immer kleiner wird, so dafs, w\u00e4hrend von einer Kopfdrehung um 20\u00b0 etwa 3/s kompensiert wird, bei 80\u00b0 Kopfdrehung die Kompensation nur noch zu 3/io erfolgt.\nDie Zahlen 1,3\u00b0 und lh1i in der ersten Vertikalreihe sind wegen der (im Verh\u00e4ltnis zur absoluten Gr\u00f6fse der vorkommenden Winkel) zu erheblichen Schwankungen der Einzelablesungen als ziemlich ungenau zu betrachten.\nDie nebenstehende graphische Darstellung veranschaulicht das Resultat vorstehender Messungen. Die unter einem Winkel von 45\u00b0 ansteigende ausgezogene Linie mit ihrem gleichm\u00e4fsig wachsenden Abstande von der horizontalen AB zeigt die Kopfneigungen an; die \u00fcber der Zahl 10 stehende Ordinate bedeutet die Winkelgr\u00f6fse von 10\u00b0, um welche der Kopf geneigt wurde u. s. f. bis zu dem von mir erreichten Maximum von 100\u00b0 Seitw\u00e4rtsneigung. Die punktierte Linie giebt die den einzelnen Kopfstellungen entsprechenden Augenstellungen an, dasjenige St\u00fcck des von einem beliebigen Punkte der ausgezogenen Linie auf AB gef\u00e4llten Lotes, welches zwischen der ausgezogenen und der punktierten Linie liegt, giebt den Betrag der Raddrehung an, welche der betreffenden Kopfneigung entspricht. Das Verh\u00e4ltnis, in welchem ein Lot von der ausgezogenen Linie auf AB durch die punktierte Linie geteilt wird, bezeichnet den Bruchteil der Kopfneigung, welcher durch Augendrehung kompensiert wird. Man sieht sofort, dafs dieser Bruchteil mit zunehmender Kopfneigung kleiner wird.\n3. Versuche an Tieren.\nAuch bei Tieren kommen kompensatorische Raddrehungen vor, wie schon Hueck und v. Graefe bemerkt hatten. Sie erreichen hier zuweilen einen weit bedeutenderen Umfang, als beim menschlichen Auge, weisen aber in den einzelnen Ordnungen sehr erhebliche Verschiedenheiten auf. Ich habe ebenfalls eine Reihe von Versuchen \u00fcber die Raddrehung bei Tieraugen, sowie \u00fcber die damit in nahem Zusammenh\u00e4nge stehen-","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatorische Baddrelmngen der Augen.\nden kompensatorischen Kopfbewegungen gemacht. Der Bericht \u00fcber diese Versuche wird sp\u00e4ter erfolgen, hier seien nur eifrig\u00a9 kurze Bemerkungen in dieser Hinsicht gemacht.\nDas Maximum des Betrages der vorkommenden Bad-drehungen finden wir bei einer Tierart, welche in Beziehung auf die Stellung der Augenachsen zum Kopfe dem Menschen gewissermafsen entgegengesetzt ist, n\u00e4mlich beim Kaninchen mit seinen seitlich stehenden Augen ohne gemeinschaftliches Gesichtsfeld. Hier kann sich das Auge um mehr als 90\u00b0 um seine Blicklinie drehen. Die Baddrehung ist demnach die ausgiebigste aller Augenbewegungen beim Kaninchen \u00fcberhaupt. Durch diese grofse Beweglichkeit um die Sehachse ist es dem Kaninchen erm\u00f6glicht, bei denjenigen Kopfbewegungen, Hebungen und Senkungen der Schnauze, welche normalerweise h\u00e4ufig Vorkommen, die Kopfbewegungen durch Baddrehung der Augen vollst\u00e4ndig auszugleichen, den Netzhauthorizont somit in seiner horizontalen Lage zu erhalten. Dieser wesentliche Unterschied gegen\u00fcber den menschlichen Baddrehungen ist indessen nicht der einzige; im Gegens\u00e4tze zum Menschen sind es Neigungen des Kopfes in sagittaler Ebene, welche die Baddrehungen ausl\u00f6sen. Ferner sind die Baddrehungen des Kaninchens symmetrische, die des Menschen parallele, d. h. bei einer bestimmten Kopfdrehung treten beim Kaninchen an beiden Augen die gleichen Muskeln in Funktion, w\u00e4hrend beim Menschen z. B. bei einer Neigung des Kopfes gegen die rechte Schulter sich der rechte Obliquus superior zugleich mit dem linken Obliquus inferior kontrahiert.\nNun verhalten sich indessen keineswegs alle Tiere mit seitlich stehenden Augen so, wie ich es eben vom Kaninchen andeutete.1 Die Fische z. B. besitzen zwar die F\u00e4higkeit zu kompensatorischen Augenbewegungen und auch speziell zu kompensatorischen Baddrehungen, jedoch in weit geringerem Mafse, als das Kaninchen. Die gr\u00f6fsten dauernd bestehen bleibenden Baddrehungen, die ich bei Barben sah, betrugen etwa 20\u00b0, womit ein Teil der mit dem Kopfe nach abw\u00e4rts erfolgenden K\u00f6rperneigung kompensiert wurde. Bei umgekehrter Drehung (Kopf nach oben) erreichte die Baddrehung nicht mehr als 10\u00b0. Bei einem anderen Fische (der Goldorfe, Cyprinus\n1 Das Meerschweinchen verh\u00e4lt sich wie das Kaninchen.\n23*","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nWiUbald A. Nagel\norfus L.) waren die Raddrehungen noch unbedeutender, am gr\u00f6fsten beim Hecht.\nAnsehnlich sind dieselben auch bei Eidechsen (Lacerta viridis), deren Augen ebenfalls stark nach der Seite sehen. Bei passiven Kopfdrehungen in einer sagittalen Ebene sah ich bis zu 40\u00b0 Raddrehung. Passive Drehungen des ganzen Tieres werden hier \u00fcbrigens in sehr deutlich sichtbarer Weise durch entsprechende Kopfbewegungen teilweise ausgeglichen (ebenso bei der Blindschleiche). Kompensatorische Kopf- und Augenbewegungen wirken hier gemeinsam den passiven Lagever\u00e4nderungen des Netzhauthorizontes entgegen, ohne diesen in dessen bei erheblicheren Bewegungen wirklich horizontal halten zu k\u00f6nnen.\nBei einer weiteren Tierreihe mit ebenfalls seitlich stehenden Augen, n\u00e4mlich den Y\u00f6geln, treten die kompensatorischen Kopfbewegungen ganz und gar in den Vordergrund. Bei der Taube und dem Sperling wenigstens habe ich keine dauernd bestehende deutliche Raddrehung bei passiven Kopfbewegungen wahrnehmen k\u00f6nnen. Dagegen sucht das Tier den Kopf vermittelst der grofsen Beweglichkeit des Halses stets ann\u00e4hernd in der normalen Lage, mit dem Scheitel nach oben zu halten, in welche Lage auch der Rumpf gebracht wird. Kompensatorische Augenbewegungen, speziell Raddrehungen bei Neigung des Kopfes in der Sagittalebene, treten dabei wohl in deutlicher Weise ein, allein sie werden alsbald wieder durch eine ruckweise, in mehreren Abs\u00e4tzen erfolgende Rollung r\u00fcckg\u00e4ngig. H\u00f6chstens ein ganz kleiner Rest von dauernd bestehender kompensatorischer Raddrehung scheint vorzukommen.\nBei dem Waldkauz (Syrnium aluco) fehlen kompensatorische Augenbewegungen g\u00e4nzlich, hier tritt jedoch infolge der hochgradigen Beweglichkeit der Halswirbels\u00e4ule bei allen h\u00e4ufiger vorkommenden Stellungen des Tieres eine vollkommene Kompensation passiver Rumpf be wegungen durch entsprechende Kopfbewegungen ein. Man kann die Eule seitw\u00e4rts oder vorw\u00e4rts um mehr als 90\u00b0 neigen, stets wird der Kopf in solche Lage gebracht, dafs der Scheitel nach oben sieht, die Verbindungslinie der Augen horizontal steht.\nDafs bei der Eule keine kompensatorischen Augenbewegungen eintreten, kann nicht Wunder nehmen, wenn man sieht, wie aufserordentlich gering die Beweglichkeit der Augen","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcb\u00e9r kompensatorische Raddrehungen der Augen.\n349\n\u00fcberhaupt ist. Kaum 5\u00b0 betr\u00e4gt der Winkel, um den sich das Auge heben, seitw\u00e4rts bewegen oder rollen l\u00e4fst.\nAmphibien endlich besitzen ebenfalls kompensierende Bewegungen sowohl des Auges, wie des ganzen Kopfes. Triton cristatus z. B. vermag durch Verwendung dieser beiden Be<-wegungsarten Drehungen des K\u00f6rpers um die Querachse v\u00f6llig zu kompensieren, wenn sie 20\u00b0 nicht \u00fcberschreiten (in der Richtung mit dem Kopfende nach abw\u00e4rts). Der Netzhauthorizont bleibt bei diesen Drehungen somit horizontal. Bei gr\u00f6fseren Drehungen bleibt er merklich zur\u00fcck. Diese Kompensation ist eine dauernde, sie erfolgt in der Luft in gleicher Weise wie im Wasser.\nDie Raddrehungen der Anuren (Frosch, Laubfrosch, Kr\u00f6te, Unken) sind etwas geringer, als die der Urodelen, jedoch mit starken kompensatorischen Kopfbewegungen verkn\u00fcpft (besonders bei der Kr\u00f6te). Die Raddrehungen sind dauernde.\nDie kompensatorischen Augenbewegungen und Augenstellungen, ebenso wie die kompensatorischen Bewegungen und Stellungen des Kopfes, sind vom Labyrinthe beherrscht, sie fehlen bei Tieren, deren Labyrinth zerst\u00f6rt oder entfernt ist. Es ist zu diesem Zwecke das Labyrinth beiderseitig zu entfernen, einseitige Operation sch\u00e4digt die kompensatorischen Bewegungen nicht oder in ganz unbedeutendem Mafse. Ich habe die Operation bis jetzt bei Fr\u00f6schen, Fischen und Kaninchen ausgef\u00fchrt und in allen F\u00e4llen mit dem gleichen Erfolge. Mit dem Augenblicke der Zerst\u00f6rung des zweiten Labyrinthes h\u00f6ren die kompensatorischen Bewegungen auf.1\n1 J. Loeb, \u00dcber Geotropismus bei Tieren {Pfl\u00fcgers Arch. f. d. ges Physiol. Bd. 49. 1891. S. 175) bat bei Haifischen (Scyllium) konstatiert, dafs nach doppelseitiger Labyrinthzerst\u00f6rung oder Acusticusdurch-schneidung die kompensatorischen Hebungen und Senkungen der Augen-achsen (er nennt das \u201eKollungen\u201c des Auges) ausbleiben; ftaddrehungen finde ich nicht erw\u00e4hnt. Das Verhalten seiner Haie nach der Operation zeigte eine weitgehende \u00c4hnlichkeit mit dem, was ich bei S\u00fcfswasser-fischen beobachten konnte. Nur in einem Punkte weichen meine Ergebnisse von denjenigen Lqebs ab: Nach einseitiger Labyrinthzerst\u00f6rung habe ich abnorme, w\u00e4hrend l\u00e4ngerer Zeit eingenommene Zwangslagen der Bulbi zwar wiederholt, aber nicht in allen F\u00e4llen gesehen.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"Wiltbald A. Nagel.\nWelcher Teil des gesamten Labyrinthes der hierbei wesentliche ist, l\u00e4fst sich bis jetzt noch nicht mit Sicherheit ent* Scheiden. Vor\u00fcbergehende kompensatorische Bewegungen des Kopfes und der Augen k\u00f6nnten von den Ampullen der Bogeng\u00e4nge ausgel\u00f6st sein, bei den dauernd eingenommenen kompensa-torischen Stellungen wird man eher an die Otolithen\u00e4pparate denken. \u00dcbrigens w\u00fcrden auch die letzteren allein schon aus-reichen, um eine befriedigende Erkl\u00e4rung aller hier besprochenen Ph\u00e4nomene zu geben, soweit es sich um die Frage des Modus der Ausl\u00f6sung handelt.\nBeigt man stehend den Kopf auf die Brust, bis die Blicklinie vertikal, die Gesichtsebene horizontal steht, so erh\u00e4lt man Baddrehungen der Augen, sowie man sich um die vertikale K\u00f6rperachse dreht. Hierbei wird die Orientierung gegen die Schwerlinie f\u00fcr keinen Teil des Labyrinthes ver\u00e4ndert. Es mufs di\u00eb Tr\u00e4gheit einer im Labyrinthe befindlichen Masse sein, welche hier den Beiz f\u00fcr den Vestibularnerven liefert. Sowie die Bewegung des K\u00f6rpers sistiert wird, geht auch die Baddrehung zur\u00fcck.\nBei der oben ausf\u00fchrlich behandelten Seitw\u00e4rtsneigung des Kopfes in frontaler Ebene vereinigt sich die Wirkung eines ver\u00e4nderten Gravitationszuges mit derjenigen der Tr\u00e4gheit und erzeugt wiederum die bekannten Baddrehungen. Hier aber bleiben sie dauernd bestehen. Man wird sie mit Breuer als durch den auf die Otolithen wirkenden Schwerezug erzeugt auffassen. Warum nun aber, bei einzelnen Tieren (S\u00e4ugern, Amphibien, Fischen) die durch diesen Beiz ausgel\u00f6ste reflektorische Bewegung zu einer anhaltenden Lagever\u00e4nderung des Bulbus in der Orbita f\u00fchrt, bei anderen Tieren (V\u00f6geln, Beptilien) dagegen nur zu vor\u00fcbergehenden Lagever\u00e4nderungen, l\u00e4fst sich bis jetzt weder aus dem Baue der excitomotorischen Endapparate im Labyrinth erkl\u00e4ren, noch auch vom biologisch-teleologischen Standpunkte aus verst\u00e4ndlich machen. Es ist m\u00f6glich, dafs vergleichende Untersuchungen auf breiter Grunde l\u00e4ge in diese Frage, wie auch in diejenige nach dem End-\u00bb zwecke der kompensierenden Bewegungen \u00fcberhaupt einiges Licht bringen werden. Das Auffallendste bleiben immer die unvollkommen kompensierenden Bewegungen und das bei den einzelnen Tiergruppen so Sehr verschiedene Mafs von Kompensation.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber kompensatoriscli\u00df Baddrehungen der Angen.\nZur Illustration des letzteren Punktes gebe ick im Folgenden noch eine tabellarische Nebeneinanderstellung der Baddrehungswinkel beim Menschen, Kaninchen und Frosch, veranschaulicht durch die Kurven auf S. 353. F\u00fcr den Menschen ist aus begreiflichen Gr\u00fcnden die Messung nur in einem Quadranten m\u00f6glich. Die Dotation erfolgte hier in der oben beschriebenen Weise, genau um die Blicklinie, was bei Tieren nat\u00fcrlich lange nicht so genau zu erreichen ist. Frosch und Kaninchen wurden daher um die mit der Blicklinie am n\u00e4chsten zusammenfallende K\u00f6fperachse, die Querachse des Kopfes, rotiert. Die wahren Baddrehungen des Auges (um die Drehungsachse der wirksamen Drehmuskeln) sind also hier auf die sagittale Ebene projiziert wiedergegeben, was beim Kaninchen infolge der geringen Abweichung der Baddrehungsebene von der Sagittal-\u00a9bene einen sehr geringen, beim Frosche einen etwas gr\u00f6fseren, jedoch immer noch relativ unbedeutenden Fehler in der Gestalt der Kurven bedingt.\nBei den Tieren wurde die Lage des Auges dadurch markiert, dafs auf den Scheitel der kokainisierten Kornea ein schmaler Streifen L\u00f6schkarton gelegt wurde, der sich sofort fest ansaugte. ' Mittelst eines in einem graduierten Kreisbogen drehbaren Fadenkreuzes, das in geeigneter Entfernung vom Tiere aufgestellt war, liefs sich dann die Lage des L\u00f6schkartonstreifens relativ zu einer bestimmten festen Linie am Kopfe des Tieres und damit die jeweilige Lage des Auges in der Orbita ablesen. Als Ausgangsstellung diente beim Menschen die gew\u00f6hnliche aufrechte Stellung, beim Kaninchen und Frosche die horizontale K\u00f6rper Stellung, bei welcher die Mundspalte ann\u00e4hernd horizontal von vorne nach hinten verlaufend eingestellt wurde. Die Dichtung der Dotation war so gew\u00e4hlt, dafs von der Anfangsstellung ausgehend die Schnauzenspitze gehoben wurde (die Dotation also gegen die Uhrzeigerrichtung erfolgte, wenn der Untersucher das Kopfende des Tieres, zu seiner Beeilten hatte).\nIn der Tabelle giebt die erste Vertikalreihe den Winkel der mit dem Kopfe vorgenommenen Drehung an, die folgenden drei Vertikalreihen geben f\u00fcr Mensch, Kaninchen und Frosch die Winkel an, um welche sich das \u00c4uge gegen seine Anfangslage gedreht hat; negatives Vorzeichen vor diesen Z\u00e4hlen be-","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\tW\u00fcibcdd A. Nagel.\noo -a a\n\u0153 ^ cd\nO O O\nO o O O O\noai^wi^toocM\nCi\t^\nO O O\n+ H\u2014J-+ + + + + H\u2014I\u20141\u2014b +\nto\n\n\u2022ifcoaooos^c\u00efooos^j\u00ab^--}\no to Ci O\n-b H-f- -{-[\u20141-1\u20141\u2014b ~b H\u2014b\nO >-\u2018OOC\u00ab\u201c0OOCDC^O'03i4^00)^^O'-*05","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber kompensatorische Baddrehungen der Augen.\n35a\ndeutet ein (kompensierendes) Zur\u00fcckbleiben des Auges hinter dem Kopfe, positives Vorzeichen ein Vorauseilen des Auges.\nDie graphische Darstellung dieser Zahlenreihen ist nach demselben Prinzip ausgef\u00fchrt, wie oben auf S. 345. Die unter 45\u00b0 schr\u00e4ge ansteigende ausgezogene Linie giebt die Kopf-\n0\t20\t40\t60\t80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 280 300 320 340 360\nFig. 2.\nStellungen w\u00e4hrend der Drehung um 360\u00b0 an, die drei Kurven die entsprechenden Augenstellungen, der Abstand zwischen jener Geraden und einer der Kurven, gemessen auf dem Lote auf AB} giebt die Gr\u00f6fse der Raddrehung.\nWenn der Kopf um 200\u00b0 gedreht ist, befindet sich beim Frosch und Kaninchen das Auge meist wieder in seiner Anfangsstellung, um bei fortgesetzter Drehung dem Kopfe voran-","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nWiliba\u00efd A. Nagel\nzueilen. Die ausgezogene Kurve geh\u00f6rt dem Kaninchen ; zu, die punktierte dem Frosche* idie gestrichelte dem Menschen (letztere ist die oben schon in gr\u00f6fserem Mafs stabe vorgef\u00fchrte).\nDie vorliegende Tabelle sowie die Kurven k\u00f6nnen, natur-gemafs nur ein ungef\u00e4hres Bild von dem Verlaufe der R\u00e4d-drehungen bei jenen Tieren geben, weil erstens h\u00e4ufig interkur-rierende willk\u00fcrliche Bewegungen die Genauigkeit der Messung vermindern (auf solche Bewegungen sind zum Teil die Unebenheiten in den abgebildeten Kurven zur\u00fcckzuf\u00fchren), und weil zweitens die individuellen Unterschiede recht erheblich sind. So war das Kaninchen, von welchem die vorliegende Tabelle herr\u00fchrt,, ein Individuum mit relativ geringem Betrage der Raddrehungen (das Maximum der Lagever\u00e4nderung des Bulbus erreicht nicht ganz 80\u00b0, w\u00e4hrend in anderen F\u00e4llen 100\u00b0 Raddrehung und mehr, vorkommt).\nWeitere Mitteilungen \u00fcber die hier nur anhangsweise erw\u00e4hnten Tierversuche werden sp\u00e4ter folgen.","page":354}],"identifier":"lit28898","issued":"1896","language":"de","pages":"331-354","startpages":"331","title":"\u00dcber kompensatorische Raddrehungen der Augen","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:08:12.846306+00:00"}