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{"created":"2022-01-31T13:39:01.088800+00:00","id":"lit29508","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"H\u00f6fler, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 8: 44-103, 161-230","fulltext":[{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\nVon\nDr. A. H\u00f6fler,\nProfessor an der k. k. Theresianischen Akademie in Wien.\nI. Einf\u00fchrung der Begriffe \u201epsychische Arbeit\u201c\nund \u201epsychische Energie\u201c.1\n\u00a7 1. Von \u201egeistiger Arbeit\u201c zu sprechen ist dem gew\u00f6hnlichen Sprach- und Begriffsgebrauch so durchaus gel\u00e4ufig, dafs die Wissenschaft viel zu sp\u00e4t k\u00e4me, wenn sie einen solchen Terminus erst durch eine synthetische Definition schaffen zu sollen meinte. Wir sprechen von der Bearbeitung eines Themas, wir lesen und schaffen wissenschaftliche Arbeiten, wir halten uns berechtigt, f\u00fcr \u201eArbeit des Kopfes\u201c ebenso eine Entlohnung zu fordern wie f\u00fcr \u201eArbeit der H\u00e4nde\u201c. Das Gleichnis von der \u201eArbeit im Weinberge des Herrn\u201c ist Gleichnis nur, soweit\n1 Ich habe auf den Begriff psychischer Arbeit und den mit ihm zusammenh\u00e4ngenden psychischer Energie (sowie auf den unten, \u00a7 43 ff, n\u00e4her zu er\u00f6rternden psychischer Massen) zuerst hingewiesen gelegentlich der Anzeige von Kromans \u201eUnsere Naturerkenntnis\" in der Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 1885, S. 356. \u2014 Die Andeutung war geschehen auf Wunsch Kerrys, wor\u00fcber dieser im seihen Jahrgange S. 437 berichtet. \u2014 Vergl. hierzu die Anmerkung zu meiner Anzeige von Ebbinghaus, \u201e\u00dcber das G-ed\u00e4chtnis\u201c, Vierteljahr sschr. f. wiss. Philos. 1887, \u2019S. 350 [wor\u00fcber W eiteres in \u00a7 14]. \u2014 Nachdem nun k\u00fcrzlich Hopfner (diese Zeitschr., VI. Bd., S. 191 ff.) die Probleme in einer Weise formuliert hat, wie sie mir schon seit 1882 durch den der Physik gel\u00e4ufigen Begriff der \u201eArbeit\" dem Psychologen nahegelegt scheinen, m\u00f6chte ich mit der Ver\u00f6ffentlichung einiger G-edanken hier\u00fcber nicht l\u00e4nger z\u00f6gern. Da die R\u00fccksicht auf den in einer Zeitschrift zur Verf\u00fcgung stehenden Raum m\u00f6glichste Sparsamkeit, namentlich auch in der kritischen Ber\u00fccksichtigung von Vorg\u00e4ngern, erheischt, so glaube ich, derartige Vervollst\u00e4ndigungen verschieben zu sollen, bis sich zeigt, ob die z. B. auch schon im Titel von Kraepelins soeben erschienenem Vortrag \u201e\u00dcber geistige Arbeit\u201c sich kundgebende Teilnahme f\u00fcr den Gegenstand sich so weiter entwickelt, dafs sie einen gr\u00f6fseren historischen Apparat rechtfertigt.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n45\nes vom \u201eWeinberg\u201c, nicht insofern es von \u201eArbeit\u201c spricht. \u2014 Auch in psychologischen Arbeiten begegnen wir oft genug dem Ausdruck \u201eArbeit\u201c bald f\u00fcr Vorg\u00e4nge des Denkens, bald f\u00fcr Beth\u00e4tigungen des Willens.\nDas immer l\u00f6bliche Bestreben, auch in der Wissenschaft, zumal der psychologischen, sich von der Sprache des gew\u00f6hnlichen Lebens nicht allzuweit zu entfernen, hat aber in Sachen des Begriffes und Terminus geistige, \u2014 oder, wie wir im Hinblick auf emotional e V org\u00e4nge allgemeiner sagen wollen \u2014 psychische Arbeit noch nicht einmal dahin gef\u00fchrt, den Ausdruck aus der Sprache des gew\u00f6hnlichen Lebens in die Wissenschaft \u00fcberhaupt ausdr\u00fccklich her\u00fcberzunehmen. Sollte denn aber der Inhalt des Begriffes geistige oder psychische \u201eArbeit\u201c wirklich um so viel klarer und selbstverst\u00e4ndlicher sein, als z. B. der der Begriffe Aufmerken, Beachten, Empfinden, Empfindlichkeit, Merklichkeit, Interesse, Wollen u. s. f., denen gegen\u00fcber der Psychologe, wie gel\u00e4ufig und unentbehrlich die W\u00f6rter auch schon dem gedankenlosesten Sprechen sein m\u00f6gen, l\u00e4ngst die Unbefangenheit verloren hat?\n\u00a7 2. Unsere Verwunderung darf sich steigern, wenn wir beachten, dafs derselbe Ausdruck Arbeit, wo er von der Sprache des gew\u00f6hnlichen Lebens ausdr\u00fccklich in physischem Sinne genommen wird, wie etwa in dem der Maschinen- oder Muskelarbeit, von der einschl\u00e4gigen Wissenschaft, der Physik bezw. Physiologie nicht nur acceptiert und f\u00fcr ihre Zwecke definiert worden ist, sondern sich geradezu als Fundamentalbegriff der ganzen Physik und alsbald der gesamten Naturwissenschaft erwiesen und bew\u00e4hrt hat. Wir sagen Fundamentalbegriff: ist doch der Begriff der Arbeit f\u00fcr den der physischen Energie logische Voraussetzung, nicht etwa aus ihm erst ableitbar \u2014 wie in \u00a7 7 noch mit ein paar Worten zu begr\u00fcnden sein wird; und die \u201eErhaltung der Energie\u201c ist ja der h\u00f6chste Stolz der Naturwissenschaft seit der zweiten H\u00e4lfte unseres Jahrhunderts.\n\u00a7 3. Vielleicht m\u00f6chte die Psychologie eine Verpflichtung,\nsich mit dem Begriffe der Arbeit sachm\u00e4fsig zu besch\u00e4ftigen,\nmittelst des Hinweises ablehnen, dafs es sich bei Verwendung dieses\n\u2022\u2022\nWortes auf psychischem Gebiete eben doch nur um eine \u00dcbertragung handle. Eine solche Annahme d\u00fcrfte aber schwerlich ohne Beweis einleuchtend gefunden werden, ja, wir hoffen, im","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nA. H\u00f6fler.\nletzten Abschnitte dieser Mitteilung (\u00a7 80) vielmehr beweisen zu k\u00f6nnen, dafs von den beiden Anwendungsgebieten des Terminus Arbeit, dem physischen und psychischen, das letztere das prim\u00e4re sei. Da wir indes dem Widerspruche, den diese allgemeinste These hervorrufen wird, nicht die spezielleren psychologischen und logischen Analysen des psychologischen wie des naturwissenschaftlichen Arbeitsbegriffes aussetzen wollen, halten wir uns f\u00fcrs erste ausschliefslich an den Sinn, wie er uns seitens der gegenw\u00e4rtigen Physik als \u201eDefinition\u201c des Begriffes Arbeit, und zwar zun\u00e4chst speziell mechanischer Arbeit \u00fcberliefert ist.\n\u00a7 4. Bekanntlich l\u00e4fst sich der Physiker auf keine andere Definition des Begriffes mechanische Arbeit ein, als soweit sie durch die Formel1\nA = p. s, in Worten : Arbeit = Kraft X Weg\nzu geben ist. Voraussetzungen der Formel sind, dafs die Kraft p l\u00e4ngs des Weges s wirkt; ferner dafs als Arbeitseinheit die Arbeit angenommen ist, welche seitens der Kraft 1 (z. B. 1 kg) l\u00e4ngs eines Weges 1 (z. B. 1 m) verrichtet wird. Wonach dann (da ein Multiplizieren zweier \u201ebenannter Zahlen\u201c, wie Kraft und Weg, von vornherein sinnlos ist) die Mafszahl A der beim Wirken von p l\u00e4ngs s verrichteten Arbeit gefunden wird durch Multiplikation der beiden Mafszahlen p und s.\nDen Nichtphysiker befremdet in dieser und allen derartigen Definitionen rein durch Formeln (z. B. der kinetischen Energie durch mv2/2), dafs ausschliefslich quantitative Merkmale zur Definition zugelassen werden. Der Physiker rechtfertigt dies mit seiner Absicht, \u201ealle Qualit\u00e4ten auf Quantit\u00e4ten zur\u00fcckzuf\u00fchren\u201c ; ob das \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist, mag der Psychologe, der eben von vornherein Qualit\u00e4ten als etwas ebenso unmittelbar Gegebenes vorfindet, wie Quantit\u00e4ten, billig bezweifeln, ja er\n1 Dieser einfachste Fall eines Arbeitsmafses gen\u00fcgt f\u00fcr unseren gegenw\u00e4rtigen Zweck. Wie sieb den allgemeineren Formeln\nA =p cos \u00ab\tund\tA = f(X d x + Ydy + Zdz)\nein psychologischer Sinn unterlegen liefse, dar\u00fcber ein Wort erst in \u00a7 75. Dafs oben und im folgenden von 1 kg als von einem G-ewicht, nicht im Sinne des absoluten Mafs-Systems von einem Mafse die Kede ist, mag hier durch die K\u00fcrze des Ausdruckes gerechtfertigt sein.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n47\nmag es f\u00fcr selbstverst\u00e4ndlich, halten, dafs Quantit\u00e4t immer nur als ein Merkmal neben Qualit\u00e4t sich vorstellen l\u00e4fst. Da aber eine ebenso systematische Ber\u00fccksichtigung der \u201equalitativen Beste\u201c, wie wir die nicht in die Formel aufgenommenen und aufnehmbaren Merkmale physikalischer Begriffe nennen k\u00f6nnen, in der Physik heutzutage nicht \u00fcb]ich ist, und wir uns gerade den physikalischen Begriff von Arbeit soweit als m\u00f6glich f\u00fcr unsere n\u00e4chsten Zwecke nutzbar machen wollen, so m\u00f6gen die Bedenken des Nichtphysikers wenigstens durch nachfolgende erl\u00e4uternde Beispiele beschwichtigt werden.\n\u00a7 5. Zur Einf\u00fchrung oder doch zur nachtr\u00e4glichen Veranschaulichung der Formel dient in der Mehrzahl der Darstellungen, welche sich nicht von vornherein auf eine abstrakt mathematische Behandlung der Mechanik beschr\u00e4nken, das Beispiel derjenigen Arbeitsleistung, welche stattfindet, wenn ein K\u00f6rper von p Gr e w i c h t s - Einheiten um s L\u00e4ngen-Ein-heiten gehoben wird. Als hebend und hierbei arbeitend wird dabei entweder ein Mensch (Tier) oder aber eine leblose Maschine gedacht: und es unterliegt wohl keinem Zweifel, dafs sich die Vorstellung, es werde beim Heben \u201egearbeitet\u201c, zun\u00e4chst an den ersten Spezialfall gekn\u00fcpft hat und erst von hier auf alle\n\u00fcbrigen F\u00e4lle \u00fcbertragen worden ist. Ein Fall noch weiter-\n\u00bb \u00bb\ngehender \u00dcbertragung, als vom Menschen auf die Maschine, ist es, wenn man sich auch das Sinken eines K\u00f6rpers im freien Falle als ein Arbeiten denkt, indem hier in die Bolle des Arbeitenden die Schwerkraft der Erde selbst tritt: sie zieht den K\u00f6rper herab, und da er hierbei an jedem Punkte des Weges eine Beschleunigung empf\u00e4ngt, w\u00e4hrend er \u201evon selbst\u201c, d. h. infolge seiner \u201eTr\u00e4gheit\u201c, sich ohne Beschleunigung bewegen w\u00fcrde, so hat jetzt die Schwerkraft ebenso den Widerstand der Tr\u00e4gheit (besser: der \u201eBeharrung\u201c, vergl. \u00a7 45) zu \u00fcberwinden, wie beim Heben des K\u00f6rpers der Widerstand der abw\u00e4rts ziehenden Schwere hatte \u00fcberwunden werden m\u00fcssen. \u2014 Unabh\u00e4ngig von der Schwerkraft, sei es als arb eit verbrauchender oder arbeitleistender Kraft, sind diejenigen F\u00e4lle von Arbeit, in welchen diese darauf verwendet wird, etwa ein Brett zu durchbohren: wieder kann dies mittelst eines durch Muskelkraft oder durch eine Maschine bewegten Bohrers, oder aber auch durch ein mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit versehenes Projektil geschehen. In solchen F\u00e4llen ist der zu","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nA. IL\u00f6fler.\n\u00fcberwindende Widerstand die Koh\u00e4sion des Brettes, gemessen durch eine \u201eKraft\u201c p\\ der Weg s ist hier gegeben als die Dicke des Brettes, bezw. die Tiefe, bis zu welcher der Bohrer oder das Projektil eingedrungen ist, also die L\u00e4nge der Strecke, l\u00e4ngs deren jener Widerstand thats\u00e4chlich \u00fcberwunden worden ist. \u2014 Ein ganz \u00e4hnliches Beispiel, das uns sp\u00e4ter einmal bequem sein wird, ist das, dafs ein Arbeiter Kartons zu zerschneiden habe: er mufs hiezu l\u00e4ngs der Schnittlinie von der L\u00e4nge s einen gewissen Druck p durch das Messer auf den Karton wirken lassen.\nWas nun die Begr\u00fcndung betrifft, warum man in allen diesen und \u00e4hnlichen F\u00e4llen die Mafszahlen p und s zuerst multiplizieren m\u00fcsse, um die Mafszahl der verrichteten Arbeit zu finden, so pflegt die Erw\u00e4gung als unmittelbar einleuchtend befunden zu werden, dafs, wenn f\u00fcr das Heben von 1 kg um 1 m (oder f\u00fcr das Zerschneiden l\u00e4ngs 1 m bei einem Drucke von 1 kg) etwa 1 Heller bezahlt wird, f\u00fcr das Heben von 20 kg um 5 m 20 X 5 Heller bezahlt werden m\u00fcssen. Mag es auch etwas wunderbar scheinen, dafs in solchen Beispielen die Gr\u00f6fse des Lohnes erst den Gedanken an die Gr\u00f6fse der Arbeit nahe bringt, so beweist zum mindesten die Leichtigkeit, mit der jeder sogleich auf eine solche Erw\u00e4gung eingeht, nur wieder die Pr\u00e4destination des Terminus \u201eArbeit\u201c, als Ausdruck f\u00fcr die beschriebenen That-sachen sogar nach ihrer speziell quantitativen Seite verwendet zu werden.\n\u00a7 6. Gleichwohl enth\u00e4lt der qualitative Best des Arbeits-begriffes Bestandteile, deren Untersuchung, wenn man \u00fcberhaupt sich auf sie einzulassen gewillt wird, als von den allergr\u00f6fsten Schwierigkeiten umgeben l\u00e4ngst anerkannt ist. Der Arbeitsbegriff tr\u00e4gt n\u00e4mlich unverkennbar als wesentlichen Kern die Kausal-Vorstellung in sich. Er geh\u00f6rt zu jener Klasse von Begriffen, welche M\u00eainong1 zuerst als \u201eabgeleitete\u201c Kausalbegriffe, und in einer sp\u00e4teren Publikation2 als \u201edeterminierte\u201c oder \u201eangewendete Kausalvorstellungen\u201c bezeichnet hat. Ausf\u00fchrlich darzulegen, mit welchen determinierenden Merkmalen jener kausale Kern gleichsam umgeben werden mufs, damit er\n1 Hume-Studien II, Zur Kelationstheorie 1882 {Sitzungsberichte d. Wien. AJcad. 8. 703, Sonderabdruck S. 133).\n8 Phantasievorstellung und Phantasie. Zeitschr. f. Philos, u. philos. Krit. 95. Bd., S. 218.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n49\nsich, uns als die verwissenschaftliche oder als die nunmehr vollst\u00e4ndig \u201esynthetisch definierte\u201c wissenschaftliche Arbeits-vorstellung pr\u00e4sentiere, kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein ; einige Bemerkungen hierzu noch gegen Ende dieses Aufsatzes (\u00a7 80). Es gen\u00fcge f\u00fcr jetzt, auf den in der Definition \u201eArbeit = Kraft X Weg\u201c anerkannten Zusammenhang zwischen Arbeits- und Kraftbegriff hinzuweisen; und da kaum bestritten werden kann, dafs der Kraftbegriff vom Kausalbegriff abh\u00e4ngt, so mufs schon deshalb der ganze Merkmalskomplex, der den Kausalbegriff ausmacht, sich auch im qualitativen Best des Arbeitsbegriffes wieder vorfinden. Es sei aber hier auf diesen Umstand nur in der Absicht hingewiesen, um zu zeigen, dafs, sobald es sich um Messung einer Arbeit handelt, n\u00e4mlich um die indirekte Messung durch Kraft und Weg, wir uns an eine Unterscheidung der Gr\u00f6fsen gewiesen sehen, welche Unterscheidung ich durch die zwei Termini: ph\u00e4nomenale Quanta und nichtph\u00e4nomenale (kategoriale) Quanta fest-halten zu sollen glaube. Was die beiden Termini meinen, l\u00e4fst sich durch einige wenige Beispiele f\u00fcr jetzt gen\u00fcgend deutlich machen. Von einem Weg kann ich eine anschauliche Wahrnehmungsvorstellung haben, von einer Zeitstrecke wenigstens eine anschauliche Erinnerungsvorstellung (beides, wenn die Strecken nicht zu kurz und nicht zu lang sind): Weg und Zeit sind ph\u00e4nomenale Quanta. Dagegen kann man eine Substanz, kann man Verursachung (wie seit David Hume selten mehr bestritten wird) nie wahrnehmen; und insoweit in den physikalischen Begriff der Masse der der Substanz eingeht (wenn sich auch die Physiker dies nicht eingestehen wollen), und insoweit der Begriff der Kraft von dem der Ursache abh\u00e4ngt, sind Masse und Kraft nichtph\u00e4nomenale Quanta. Nun ist es ein bekannter Satz der Physiklehrb\u00fccher, dafs \u201edie Kraft gemessen wird durch die Gr\u00f6fse ihrer Wirkung\u201c; und hiermit ist \u2014 wenn wir von einigen Bedenken gegen diese Formel ganz absehen \u2014 ausgedr\u00fcckt, dafs man, um ein nichtph\u00e4nomenales Quantum zu messen, sich in irgend einer Instanz doch an die Messung ph\u00e4nomenaler Quanta gewiesen sieht; wobei \u2022 freilich dieser Rekurs, wenn man ihn durch alle Instanzen, d. h. mit den Anspr\u00fcchen einer auf letzte Elemente dringenden psychologischen Analyse verfolgt, meist viel verwickelter ausf\u00e4llt, als es die kurzen Formeln p = m . g, L = nw2/2 u. s. w. scheinen lassen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\t^","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nA. H\u00f6fler.\nF\u00fcr unsere Zwecke ergiebt sieb aus der hier nur angedeuteten \u00dcberlegung die Frage: Welches sind nach Abzug der nichtph\u00e4nomenalen Elemente des Arbeitsbegriffes diejenigen ph\u00e4nomenalen Quanta, auf welche sich die quantitative Behandlung des Arbeitsbegriffes in letzter Linie st\u00fctzt? Da der eine Faktor, der Weg, wie gesagt, ohnedies ein ph\u00e4nomenales Quantum darstellt, so spitzt sich die Frage auf die ganz analoge Frage bez\u00fcglich der Kraft zu. Nun mifst man die Kraft bekanntlich durch zweierlei Wirkungen ; statische: n\u00e4mlich Druck, Zug, Spannung \u2014 und kinetische: Beschleunigung gegebener Massen. In der Gleichung A = p . s ist das p zun\u00e4chst im statischen Sinne gemeint ; und wir stehen so vor der wesentlichen terminologischen Frage, welcher der drei genannten Ausdr\u00fccke, Druck, Zug, Spannung am wenigsten kausal gef\u00e4rbt ist. Mir scheint diese Forderung am ungezwungensten durch den Ausdruck Spannung1 erf\u00fcllt zu werden; denn sprechen wir von Zug und Druck, so findet sich sogleich der Gedanke an einen K\u00f6rper ein, der in oder an einem anderen diesen Druck und Zug bewirkt; wogegen Spannung viel eher ausschliefslich den Zustand bezeichnet, in welchem sich der gedr\u00fcckte oder gezogene K\u00f6rper befindet, welcher in dem K\u00f6rper \u201eherrschta (ein hier von Kausalgedanken freier Ausdruck), gleichviel, wodurch er gedr\u00fcckt oder gezogen wird. Wir wollen denn in diesem Sinne im weiteren meistens nicht\n1 Dafs es nicht zweierlei, sondern dreierlei Ph\u00e4nomene sind, welche den Gegenstand der Mechanik ansmachen, pflegt beinahe in allen Darstellungen \u00fcbersehen zu wmrden. (Die im \u201eabsoluten Mafssystem\u201c als drittes neben Weg- und Zeitl\u00e4ngen verwendete \u201eMasse\u201c ist, wie gesagt, selbst schon wieder kein ph\u00e4nomenales Quantum.) Auch Kirchhoffs ber\u00fchmte Definition der Mechanik spricht nur von einem Beschreiben der Bewegungen. Um so dankenswerter ist es, dafs Max Planck (\u201eErhaltung der Energie\u201c, S. 149 ff.) aufs nachdr\u00fccklichste das Vorhandensein des dritten ph\u00e4nomenalen Elementes aufser den zwei im Begriffe der Bewegung liegenden, Weg und Zeit, betont hat, welches dritte Element er allerdings nicht mit dem oben benutzten Ausdruck Spannung bezeichnet, sondern es nur als \u201eEmpfindung des Muskelsinnes\u201c namhaft macht. \u2014 Die ganze Stelle S. 149\u2014153 ist nicht nur wegen der obigen, spezifisch physikalischen Prinzipienfrage, sondern \u00fcberhaupt auch deshalb merkw\u00fcrdig, weil sich in ihr ein Physiker viel st\u00e4rker als sonst \u00fcblich auf den psychologischen Unterbau der Physik bedacht zeigt. (Vgl. \u00fcbrigens D\u00fchrings Hinweise auf die statischen Komponenten bei Kr\u00e4ftezerlegung, vgl. Anm. 40).","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n51\nvon \u201eKraft\u201c, sondern von \u201eSpannung\u201c sprechen und k\u00f6nnen das Ergebnis vorstehender Andeutungen zur Analyse des Arbeitsbegriffes bei absichtlicher Beschr\u00e4nkung auf seine ph\u00e4nomenalen Elemente so formulieren:\nEine mechanische Arbeit p. s wird dort geleistet, wo ein Weg s unter einer Spannung p zur\u00fcckgelegt wird.1\nWir werden deshalb auch im weiteren s als den \u201eWeg-faktor\u201c, p als den \u201eSpannungsfaktor\u201c einer mechanischen Arbeit bezeichnen.\nEs sei noch ausdr\u00fccklich bemerkt, dafs obige Definition der mechanischen Arbeit nicht sagt, nur wo sich ein Weg-und ein Spannungsfaktor aufzeigen lassen, werde Arbeit geleistet. Es giebt ja aufser mechanischen auch andersartige Arbeiten, z. B. thermische; und eine W\u00e4rmemenge stellt erst nach der hypothetischen Vorstellung der kinetischen Gastheorie, nicht aber nach der dieser zu Grunde liegenden reinen That-sache des mechanischen W\u00e4rme\u00e4quivalentes selbst schon einen mechanischen Vorgang dar. Ja, wir wenden den Arbeitsbegriff an, wo ein gen\u00fcgendes mechanisches Bild \u00fcberhaupt noch nicht gefunden ist, z. B. f\u00fcr Leistungen elektrischer Energien.\n\u00a7 7. Ebenso wie dem physikalischen Arbeitsbegriff haben wir auch dem physikalischen Energiebegriff ein paar Worte zu widmen, indem es gegenw\u00e4rtig schon nicht mehr selten ist, von psychischer Energie sprechen zu h\u00f6ren.\nEs hat vielleicht nie ein wissenschaftlicher Terminus ein merkw\u00fcrdigeres Schicksal erfahren, als der der Energie. W\u00e4hrend in dem Begriffspaar \u00f4vvapi\u00e7 und evsQysia erstere den Gedanken des Potentiellen, letztere, die Energie, den des Akt u eil en vertreten hat, bedeutet gegenw\u00e4rtig Energie die \u201eF\u00e4higkeit, Arbeit zu leisten\u201c: also Arbeit ist das Aktuelle, Energie das Potentielle.\nDa f\u00fcr das Sprachgef\u00fchl des Nichtphysikers auch schon der Begriff der Kraft in n\u00e4chster Beziehung zu dem der F\u00e4higkeit steht,2 so liegt die Frage nahe, warum es dann\n1\tDa wir nach Anmerkung 2 nur Arbeiten nach p.s, nicht allgemein nach p s cos cc in Betracht ziehen, konnte hier eine Bestimmung \u00fcber die \u201eDichtung der Spannung\u201c der K\u00fcrze wegen unerw\u00e4hnt bleiben.\n2\tYergl. H\u00f6fler-Melnong, Logik, \u00a7 28: \u201eDie Begriffe F\u00e4higkeit, Kraft, Verm\u00f6gen, Disposition\u201c.","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nA. H\u00f6fler.\n\u00fcberhaupt der Schaffung eines Energiebegriffes bedurfte, und warum nicht eine den neuen Thatsachen des W\u00e4rme\u00e4quivalentes u. s. f. angepafste Definition des Kraftbegriffes die Bed\u00fcrfnisse zu befriedigen vermocht hat, denen der moderne Energiebegriff so gl\u00e4nzend Gen\u00fcge thut. Solche Bedenken des Sprachgef\u00fchles m\u00f6gen sich zufrieden geben, wenn daran erinnert wird, dafs Kobeet Mayer wirklich in jenem Sinne immer von \u201eKraft\u201c (manchmal freilich sogar im Sinne von \u201eArbeit\u201c), dafs noch Helmholtz von einem \u201eGesetze der Erhaltung der Kraft\u201c, statt von \u201epotentieller Energie\u201c von \u201eSpannkraft\u201c gesprochen hat, dafs wir statt kinetische Energie noch immer ziemlich allgemein sagen \u201elebendige Kraft\u201c u. s. w. Es mag dies auch uns rechtfertigen, wenn wir uns sp\u00e4terhin, wenn der Begriff psychische Energie in Frage kommt, zu seiner St\u00fctzung der von jeher gel\u00e4ufigen Gedanken psychischer Kr\u00e4fte und Verm\u00f6gen bedienen, wobei wir freilich sogleich bemerken werden, dafs der Begriff des psychischen Verm\u00f6gens von vornherein viel weiter ist, als der der psychischen Arbeitsf\u00e4higkeit.\nF\u00fcr jetzt nur noch die Konstatierung, dafs Energie ein durchaus nichtph\u00e4nomenales Quantum darstellt, wie ja das genus proximum \u201eF\u00e4higkeit\u201c besagt \u2014 denn alles Potentielle (F\u00e4higkeit, Disposition) hat ja \u00fcberhaupt nur Sinn durch die Beziehung auf dasjenige Aktuelle, zu dem es bef\u00e4higt.1 Und in der That geschieht ja auch jede Messung von Energie dadurch, dafs man ihre Mafszahl gleichsetzt der Mafszahl der, dank jener F\u00e4higkeit, wirklich geleisteten Arbeit,2 womit letztlich auch die Messung der Energie sich wieder auf die der im \u00a7 6 bezeichneten ph\u00e4nomenalen Quanta des Arbeitsbegriffes angewiesen sieht.\n\u00a7 8. Indem wir nach diesen Vorbereitungen daran gehen, uns im Sinne des \u00a7 2 bei der ersten Einf\u00fchrung des Begriffes Arbeit als eines auf psychologische Thatsachen anzuwendenden,\n1 ,.Jede Disposition bestimmt sich eben zun\u00e4chst nach demjenigen, zu dem sie disponiert, oder, wie ich im folgenden einfach sagen werde, nach ihrem Korrelat\u201c; diese von Meinung (a. a. O., S. 163) zun\u00e4chst im Hinblick auf Phantasie gegebene Bestimmung gilt allgemein innerhalb\nwie aufserhalb der Psychologie.\nDie Ableitung der Formel\nm v\n2\nbesteht einfach darin, dafs in\nv\nA=^p.s f\u00fcr p der Wert m g, f\u00fcr s der Wert \u2014 eingesetzt wird.\n*9","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n53\nm\u00f6glichst getreu an das durch die Physik so reich ausgestattete V orbild zu halten, scheinen wir uns eben hierdurch sogleich den ersten Schritt m\u00f6glichst erschwert zu haben; denn wir stehen so von Anfang an vor der Forderung, analog der wesentlich quantitativen Formel A = p.s, die psychische Arbeit zu messen, zahlenm\u00e4fsig darzustellen. Ist es aber klug, bei einer solchen ersten Einf\u00fchrung gleich den heifsen Boden der psychischen Messung zu betreten?\nBei n\u00e4herem Zusehen teilen nun aber gerade die der gew\u00f6hnlichsten Auffassung als F\u00e4lle psychischer Arbeit besonders naheliegenden Beth\u00e4tigungen mit der \u201emechanischen\u201c Arbeit auch die Eigenheit, ganz von selbst zur Behandlung als \u201eblofse Quanta\u201c, ohne viel R\u00fccksicht auf Qualit\u00e4t herauszufordern. Man spricht ja nicht nur \u00fcberhaupt von Arbeit, sondern geradezu von \u201emechanischer Arbeit\u201c mit Vorliebe angesichts Verrichtungen, die unbeschadet des Pr\u00e4dikates \u201emechanisch\u201c doch niemand f\u00fcr etwas anderes als psychische Leistungen, wenn auch recht primitiver Art ansieht. Zahlenkolonnen von Gesch\u00e4ftsb\u00fcchern addieren, Namenlisten durchgehen, Druckkorrekturen lesen, Abschriften anfertigen u. dergl. meint man ja, sozusagen, nach dem Meter entlohnen zu d\u00fcrfen.\nBleiben wir gleich beim ersten Beispiel, so stellt uns die \u201eL\u00e4nge\u201c einer zu addierenden Ziffernreihe geradezu den Weg-faktor geistiger Arbeit dar; wer zwanzig Ziffernreihen addiert hat, hat doppelt soviel Arbeit geleistet, als wer zehn ebensolche Ziffernreihen addiert hat (von einigen Einschr\u00e4nkungen dieses Satzes, auf die wir noch zur\u00fcckkommen, vorl\u00e4ufig noch abgesehen). So selbstverst\u00e4ndlich aber diese Beziehung zwischen der Gr\u00f6fse der geleisteten Arbeit und der \u201eL\u00e4nge\u201c der Ziffernreihe ist, so macht sie uns doch sofort aufmerksam, dafs die L\u00e4nge doch nicht buchst\u00e4blich als r\u00e4umliche Gr\u00f6fse, etwa als der Abstand der ersten und letzten Ziffer, gemeint sein kann; denn offenbar w\u00fcrde die Arbeit nicht wesentlich gr\u00f6fser, wenn die Ziffern weiter auseinander oder gr\u00f6fser geschrieben w\u00e4ren. Wenn wir nichtsdestoweniger von einem Wegfaktor psychischer Arbeit sprechen, so meinen wir also ein nur quasi r\u00e4umliches, ein nur psychisch extensives Element.1\n1 Wir werden \u00f6fter der K\u00fcrze wegen sagen: quasi-extensiv, obwohl die Extensit\u00e4t \u2014 wenn auch nicht eine r\u00e4umliche \u2014 wirklich vorhanden ist. \u2014 Es ist aber so gebr\u00e4uchlich, bei \u201eextensiv\u201c sogleich an","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nA. H\u00f6fler.\nInwieweit sich die Art seiner Extension, wenn diese nicht r\u00e4umlich sein soll, positiv bestimmen l\u00e4fst, soll uns noch \u00f6fter besch\u00e4ftigen; nur den naheliegenden Gedanken, dafs man bei psychischer Arbeit statt des r\u00e4umlichen s kurzweg ein zeitliches t einsetzen d\u00fcrfe, wollen wir sogleich als wenigstens nicht allgemein anwendbar ablehnen. Begr\u00fcndung durch Analogie: p. t ist ja \u00fcberhaupt nicht mehr Arbeit (sondern \u201eAntrieb\u201c); direkter: wenn l\u00e4ngere Zeit hindurch gearbeitet wird, mufs ja die verrichtete Arbeit nicht gr\u00f6fser sein; der Unterschied von Akkordarbeit und Taglohn liefse sich ja auch auf das psychische Gebiet, wenigstens zun\u00e4chst auf deren primitivste Formen, \u00fcbertragen.\nGanz \u00e4hnlich steht es mit dem Wegfaktor in den anderen genannten Beispielen; die Arbeit w\u00e4chst \u2014 allerdings wieder unter gewissen Vorbehalten hinsichtlich Erm\u00fcdung u. der gl. \u2014 proportional der L\u00e4nge der durchzugehenden Namenlisten, Korrekturen, Abschriften u. s. f.\nBringen wir diese Beispiele auf ein noch einfacheres Schema, so k\u00f6nnen wir als solches die Aufgabe festhalten: Eine Linie von gegebener L\u00e4nge s zu pr\u00fcfen, ob sie \u00fcberall gerade sei. Hier liefse sich die Mafszahl s der L\u00e4nge der Linie vorl\u00e4ufig (d. h. bis auf einen hinterher n\u00f6tigenfalls anzubringenden Proportionalfaktor) unmittelbar verwenden als Mafszahl des Wegfaktors der bei dieser Pr\u00fcfung einer Geraden geleisteten Arbeit.\n\u00a7 9. Etwas weniger nahe liegt es, ein Mafs f\u00fcr den Spannungsfaktor aufzustellen. Dennoch l\u00e4fst sich nicht nur ein solcher zun\u00e4chst qualitativ ungezwungen finden in der \u201eSpannung der Aufmerksamkeit\u201c, mit der man \u2014 um gleich beim letzten Beispiele zu bleiben \u2014 die Pr\u00fcfung der Geraden vorgenommen hat, sondern es m\u00f6chte vielleicht sich gerade aus Arbeitsleistungen solcher Art ein einigermafsen brauchbares Mais f\u00fcr die Gr\u00f6fse der beim Pr\u00fcfen stattfindenden \u201eSpannung\u201c gewinnen lassen \u2014 wie sich n\u00e4mlich aus\nA=p. s ergiebt : p = \u2014.\n\u201er\u00e4umlich\u201c zu denken (und sogar bei \u201eintensiv\u201c nur an \u201epsychisch\u201c \u2014 dies schon gar mit offenbarem Unrecht), dafs es nicht' schadet, einem Missverst\u00e4ndnis mit doppelter Vorsicht im Ausdruck zuvorzukommen.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\nUm dem hiermit angedeuteten Gedanken n\u00e4her zu treten, sei im folgenden eine Ausbildung des heim Pr\u00fcfen von Geraden eingehaltenen Vorganges zu einem experimentellen Verfahren geschildert \u2014 nicht sogleich als Anleitung zu wirklichen Versuchen, geschweige denn als Bericht \u00fcber solche, sondern f\u00fcrs erste nur in der Absicht, hiedurch die Anforderungen, welche bei der Erhebung des Begriffes \u201epsychische Arbeit\u201c zu einem quantitativ zugesch\u00e4rften Grundbegriff der Psychologie zu erf\u00fcllen w\u00e4ren, m\u00f6glichst in concreto darzustellen.\nVergegenw\u00e4rtigen wir uns also vor allem noch einmal, was derjenige \u201egeleistet\u201c haben mufs, der von einer meterlangen Linie, welche Anspr\u00fcche auf Geradheit macht, das Becht haben will, zu behaupten, sie sei gerade. Das Urteil w\u00e4re eines der zweiten von den beiden Klassen von Urteilen, die Stumpf (Tonps. I, S. 24 ff.) hinsichtlich der Zuverl\u00e4ssigkeit von solchen Urteilen unterscheidet. Wer behaupten will, die von ihm gesehene und noch so sorgf\u00e4ltig gepr\u00fcfte Linie sei in einem noch so kurzen St\u00fccke wirklich gerade, hat ein mit unendlicher Wahrscheinlichkeit falsches Urteil abgegeben. Man wird also die Frage immer so einzurichten haben: \u201eHast du l\u00e4ngs dieser Strecke eine Abweichung von der Geradheit \u2014 nennen wir sie kurz einen ,Buckel4 \u2014 bemerkt; wieviel Buckel hast du etwa bemerkt?\u201c Denken wir uns nun, wir h\u00e4tten auf einem Papierstreifen, etwa dem eines Morseapparates, einen Strich vorgezeichnet, auf welchem in unregelm\u00e4fsigen Abst\u00e4nden Buckel von bestimmter, \u00fcbrigens verschiedener, etwa dreierlei Gr\u00f6fse Vorkommen; diese Zeichnung sei durch eine bestimmte mechanische Vorrichtung, etwa den Schreibhebel des Morseapparates selbst, angefertigt, und auch die Buckel seien durch kleine Verr\u00fcckungen des Hebels (dessen eine K\u00f6rnerschraube hierf\u00fcr eine breitere Vertiefung haben w\u00fcrde) zu st\u00e4nde gebracht: wer dann diese Linie in aller Mufse bei g\u00fcnstigster Beleuchtung, bequemster Stellung des Auges, etwa auch mit Zuh\u00fclfenahme von Vergr\u00f6fserungsgl\u00e4sern u. dergl., durchpr\u00fcft, wird alle Buckel bemerken und von den, streng genommen, auch nur ann\u00e4hernd geraden St\u00fccken \u00fcberzeugt sein d\u00fcrfen, dafs ihre Abweichung von einer Idealgeraden einem unter ung\u00fcnstigen Bedingungen Beobachtenden jedenfalls unmerklich bleiben m\u00fcsse, so dafs wir diese St\u00fccke im folgenden kurz als \u201edie geraden\u201c bezeichnen d\u00fcrfen. Werden der Versuchsperson sodann Pr\u00fcfungsbedingungen von einem bestimmten Mafse der Ung\u00fcnstigkeit zuerteilt, so wird sie auf die Frage, wieviel Buckel vorhanden waren, im allgemeinen Antworten geben, die aufser von jenen objektiven Bedingungen auch vom Grade der Aufmerksamkeit, mit der die Pr\u00fcfung vollzogen wurde, abh\u00e4ngen. Um hierbei nicht nur auf summarische Ergebnisse angewiesen zu sein, sondern nach Abschlufs einer Versuchsreihe wieder in aller Mufse pr\u00fcfen zu k\u00f6nnen, welche Buckel \u00fcbersehen worden, und ob nicht auch ab und zu ein in Wahrheit gerades St\u00fcck f\u00fcr einen Buckel gehalten worden sei, l\u00e4fst sich wieder der Morseapparat in zweckm\u00e4fsiger Weise anwenden, indem die Versuchsperson, so oft ein Buckel zu passieren scheint, durch einen Druck entweder auf den Schreibhebel direkt oder auf den Taster einer durch den Apparat gehenden Stromleitung jedes Urteil durch bestimmte Zeichen markieren kann; die Marken","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nA. H\u00f6fler.\nw\u00fcrden sich hierbei um eine bestimmte Strecke hinter den dem Urteil \u2022unterzogenen Linienteilen finden. Die Versuchs or dnnng w\u00e4re also die:\n1.\tDer Streifen wird vom Versuchsleiter1 in der beschriebenen Weise vorgerichtet und dann wieder auf die Rolle des Apparates gewickelt.\n2.\t\u00dcber dem mit einer bestimmten Geschwindigkeit ablaufenden Streifen ist ein Fenster2 angebracht, durch welches die Versuchsperson die zu pr\u00fcfende Linie vor\u00fcberlaufen sieht; hierbei ist f\u00fcr ganz bestimmte Beleuchtung des Streifens und bestimmte Stellung des Auges zu sorgen, und durch Ab\u00e4nderung dieser Bedingungen lassen sich mit einem und demselben Streifen verschiedene Versuchsreihen durchf\u00fchren. 3. Die Urteile werden in der angegebenen Weise von der Versuchsperson an dem Streifen seihst markiert und 4. nach Abschlufs der Versuche vom Streifen ahgelesen.\nEs kommt nun, wie gesagt, f\u00fcr die Ableitung der Gr\u00f6fse der heim Pr\u00fcfen etwa einer bestimmten Strecke der Linie verwendeten Gesamtarbeit wesentlich auf die in einem jeden ihrer Punkte angewendete \u201eSpannung der Aufmerksamkeit\u201c an. Man pflegt bei der Mehrzahl psychophysischer Versuche gr\u00f6fstm\u00f6gliche3 Spannung der Aufmerksam-\n1\tVielleicht ist Personalunion zwischen Versuchsleiter und Versuchsperson (Pr\u00fcfer) hier unsch\u00e4dlich, da Vorbereitung des Versuches und seine Durchf\u00fchrung zeitlich beliebig weit auseinanderliegen k\u00f6nnen, so dafs jedes indirekte Wissen um das Gerade- oder Mchtgeradesein der Linien an bestimmten Stellen ausgeschlossen werden kann, seihst wenn der Pr\u00fcfer seihst die Buckel auf dem Streifen angebracht hat. \u2014 Auch d\u00fcrfte es nicht unwillkommen sein, dafs, wenn der Streifen hinreichend lang ist, man sich die Aufeinanderfolge der Buckel auf keinen Fall mehr allm\u00e4hlich einpr\u00e4gen kann, was eine Vorbedingung daf\u00fcr ist, dafs an demselben Streifen beliebig oft experimentiert werde.\n2\tDa das Bemerken eines Buckels durch den Rand des Fensters sehr erleichtert, n\u00e4mlich die Aufmerksamkeit von der Geradheit der Linie leicht hin\u00fcbergelenkt wird auf das Beobachten des Schnittpunktes von Linie und Rand, k\u00f6nnte vielleicht von einem Streifenst\u00fcck ein physisches Bild mittelst Linsen und Spiegeln entworfen werden, so dafs statt des Randes ein allm\u00e4hlicher \u00dcbergang von Hell zu Dunkel, bezw. Scharf und Verschwommen der Aufmerksamkeit keinen festen Anhalt mehr b\u00f6te. \u2014 Viel einfacher w\u00e4re es noch, den Streifen selbst durch eine Linse so zu beleuchten, dafs nur ein verschwommen begrenzter Fleck sichtbar ist.\n3\tStumpf (Tonpsychol I, S. 74) teilt \u00fcber das an Versuchen mit nicht maximaler Aufmerksamkeit Geleistete und noch zu Leistende folgendes mit: \u201eZu den weitest entfernten, doch wohl nicht ganz unm\u00f6glichen Aufgaben der experimentellen Urteilslehre geh\u00f6rt die . . : den Einflufs wechselnder Aufmerksamkeit in derselben Weise wie in den anderen Faktoren zu verfolgen, also die Modifikationen der Zuverl\u00e4ssigkeit festzustellen, welche durch graduelle Verminderung der Aufmerksamkeit entstehen. Dafs dies nicht ganz unm\u00f6glich sei, scheinen bereits vorhandene Anf\u00e4nge in der Einf\u00fchrung \u201eerschwerender Umst\u00e4nde\u201c zu zeigen. [Wundt II, 241 f. In Fechners Revision, S. 144, lese ich auch den Bericht \u00fcber Augenmafs-versuche von Boas, welche mit verschiedenen Aufmerksamkeitsgraden angestellt sind, wobei die Aufmerksamkeit durch ein gleichzeitiges Musikwerk zerstreut wurde; Versuche, die ein bemerkenswertes Gleichbleiben des Wertes E=h.T (wo h das Pr\u00e4zisionsmafs, T das Intervall des Zweifels, die \u201eTotalschwelle\u201c, ergaben.] Es lassen sich Mittel ersinnen, um bei der Beurteilung einfacher Erscheinungen, wie Gleichheit oder Ungleichheit zweier T\u00f6ne, Abstufungen der Aufmerksamkeit herzustellen: gleichzeitiges","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n57\nkeit als Vorbedingung zu fordern und vorauszusetzen. In unserem Falle w\u00fcnschen wir das nicht, sondern wir wollen die Versuchsperson einmal mit stark, einmal mit wenig gespannter Aufmerksamkeit arbeiten lassen. Wie sollen wir sie zu einer solchen wechselnden Spannung veranlassen, \u2014 wechselnd nicht (bezw. so wenig als m\u00f6glich) innerhalb einer Versuchsreihe, dagegen im bestimmten Mafse wechselnd w\u00e4hrend verschiedener Versuchsreihen? Es w\u00e4re nat\u00fcrlich vergeblich, etwa von einem zu verlangen, er solle mit der halben oder 0,8 der \u201eKraft\u201c aufmerken, deren er \u00fcberhaupt f\u00e4hig ist; vielleicht liefse sich aber der gew\u00fcnschte Erfolg durch einen G-edanken erreichen, der so naheliegt, dafs man ihn, wenn er sich in Sachen der Herstellung nicht maximaler Aufmerksamkeitsgrade auch nur einigermafsen bew\u00e4hren sollte, wohl ein Kolumbusei nennen m\u00fcfste. Bekanntlich braucht man n\u00e4mlich einem, der sich zu einer Leistung anschickt, die Aufgabe nur als eine solche vorstellig zu machen, die richtig schon gel\u00f6st wird bei einem geringeren Mafse von Anstrengung, und sogleich f\u00e4llt es \u2014 wohl\nAchten auf andere einfache Erscheinungen, welche einer fortschreitenden Vervielf\u00e4ltigung f\u00e4hig sind. Durch das Mafs dieser Vervielf\u00e4ltigung ist dann zwar kein direktes, aber ein indirektes Mafs der Aufmerksamkeit selbst gegeben. Nicht sie selbst, aber die Mittel zu ihrer Erniedrigung sind mefsbar. Doch auf diese fernen M\u00f6glichkeiten sollte nur hingedeutet werden, da wir zur Verwirklichung hier nichts beitragen k\u00f6nnen und es doch einen gewissen Reiz besitzt, sich zu vergegenw\u00e4rtigen, wie sie nicht selbst als Probleme problematisch, sondern im Anschluss an andere, der Wissenschaft nicht mehr ganz fremde in bestimmter Weise formulierbar sind.\u201c (Letztere Worte m\u00f6chte ich \u00fcberhaupt als Rechtfertigung der ganzen vorliegenden Exposition angewendet sehen.)\nAuch K\u00fclpe weifs in seiner, 10 Jahre nach Stumpfs I. Bd., erschienenen Psychologie (1898), die ja den experimental-psychologischen Methoden besonders nachgeht und namentlich die \u201eAufmerksamkeit\u201c zu einem Hauptgegenstande ihrer Untersuchung gemacht hat, \u00fcber deren Messung nur folgendes zu sagen:\n\u201eSubjektiv pflegen wir die G-r\u00f6fse unserer Aufmerksamkeit teils an dem Erfolge zu messen, den Wahrnehmungs- oder Denkth\u00e4tigkeit unter ihrem Einfl\u00fcsse aufweisen, teils an der Intensit\u00e4t der Spannungsempfindungen, die insbesondere eine einseitige Besch\u00e4ftigung allm\u00e4hlich an-wachsen l\u00e4fst. Da nun aber jener Erfolg auch von ganz anderen Bedingungen herr\u00fchren kann, und da zwischen der St\u00e4rke dieser Empfindungen und der Gr\u00f6fse der Aufmerksamkeit keine einfache und allgemeing\u00fcltige Proportionalit\u00e4t obwaltet, so ist man gen\u00f6tigt, bei der experimentellen Untersuchung objektive und unzweideutige H\u00fclfsmittel anzuwenden. Als solche werden ablenkende Reize benutzt, und die Aufmerksamkeit f\u00fcr bestimmte Gegenst\u00e4nde wird f\u00fcr desto geringer gehalten, je gr\u00f6fser die Ablenkung war. Die quantitative Abstufung der letzteren wird nun in der Regel hervorgebracht durch eine Ver\u00e4nderung der^ Intensit\u00e4t oder Zahl ablenkender Reize Von grofser Bedeutung ist jedoch auch die Beziehung der gew\u00e4hlten Einfl\u00fcsse zu der geistigen Disposition der Versuchsperson. So fand sich z. B. bei einer Untersuchung der Abh\u00e4ngigkeit der U. E. f\u00fcr Schallst\u00e4rken von der Gr\u00f6fse der Aufmerksamkeit unter der Anwendung sehr heftiger (schmerzhafter und tetanische Kontraktionen veranlassender) elektrischer Reizung des einen Armes der Versuchsperson w\u00e4hrend der Experimente eine kaum merkliche Abnahme der U. E. gegen\u00fcber den ohne solche Nebenreize ausgef\u00fchrt en Versuchen. Dagegen hat das Anh\u00f6ren eines Musikwerkes w\u00e4hrend der Vergleichung","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nA. Hofier.\nnach dem Prinzip des kleinsten Kraftmafses, oder, wie Kerry einmal h\u00fcbsch gesagt hat, nach dem Prinzip der gr\u00f6fsten Faulheit \u2014 dem Arbeitenden gar nicht mehr ein, eine viel gr\u00f6fsere Kraft ins Treffen zu f\u00fchren, als es ihm im ganzen eben auszareichen d\u00fcnkt.* 1 Lassen wir also bei einem Versuche die Versuchsperson, allenfalls durch vorl\u00e4ufiges Vorzeigen des Streifens in recht g\u00fcnstiger Lage und Beleuchtung, oder recht langsamer Bewegung des Streifens ein vorl\u00e4ufiges Urteil sich bilden, dafs sie diesmal nur grofse und \u201eleicht\u201c zu bemerkende Buckel zu konstatieren haben wird, so wird sich die Aufmerksamkeit selbst mehr oder minder genau auf einen bestimmten Grad einstellen. Mit aller in solchen Vermutungen gebotenen Beserve k\u00f6nnte ich mir denken, dafs die \u00dcbung f\u00fcr das Abgew\u00f6hnen merklichen Schwankens der Aufmerksamkeit bei einmal erkannter durchschnittlicher Schwierigkeit der verlangten Leistung ein dankbares Feld habe.\nSchreiben wir bei anderen Versuchen wieder maximale Aufmerksamkeit vor, d.h. diejenige, welche die Versuchsperson aufbringen kann, wenn\nvon optischen Baumstrecken eine relativ bedeutende Herabsetzung Ser U. E. zur Folge gehabt. Noch mehr pflegt die Einf\u00fchrung einer besonderen intellektuellen Operation, wie des Addierens, sinnvollen Lesens u. dergl., die Aufmerksamkeit von der Beobachtung bestimmter Beize abzuziehen. Es ist hiernach klar, dafs die blofse Einf\u00fchrung ablenkender Beize von einer gewissen Intensit\u00e4t oder Zahl noch gar keine Garantie daf\u00fcr bietet, dafs wirklich eine entsprechende Ablenkung der Aufmerksamkeit stattgefunden habe. Als eine der wichtigsten Aufgaben der experimentellen Psychologie darf die Auffindung eines zuverl\u00e4ssigen Maises der Aufmerksamkeit betrachtet werden.\u201c\nK\u00fclpes Bewertung des schon Geleisteten ist also viel skeptischer, als die STUMPFSche. \u00dcber die Wichtigkeit der Aufgabe selbst aber sind beide einig. \u2014 Sollte also das oben vorgeschlagene Verfahren auch vorerst nur wenig genaue Erfolge versprechen, so verdient es vielleicht doch Beachtung. Zu seinen Gunsten darf wohl auch die \u2014 freilich zun\u00e4chst nicht sachliche und bei so manchen psychophysischen Arbeiten von aufopfernden Forschern r\u00fchmlichst beiseite gelassene \u2014 B\u00fccksicht erw\u00e4hnt wrnrden, dafs das Arbeiten mit geteilter Aufmerksamkeit immer eine qualvolle Sache bleibt und das Sparen mit Aufmerksamkeit alles fiir sich hat, was man so oft von \u201eOekonomie des Denkens\u201c sagen h\u00f6rt. Es w\u00fcrde aber dies sogar eine nicht blofs im trivialen Sinne \u201epraktische\u201c, sondern eine ausschlaggebende theoretische B\u00fccksicht sein, wenn sich zeigen sollte, dafs bei geteilter Aufmerksamkeit \u00fcberhaupt eine Leistungssumme herauskommt, die kleiner ist, als die Summe der Komponenten w\u00e4re. Sagt doch ein auch dem Psychischen gewiss nicht fremdes Spr\u00fcchwort: \u201eWer zugleich zwei Hasen hetzt, f\u00e4ngt (\u2014 nicht zwei halbe, sondern) nicht einen ein zuletzt.\u201c \u2014\n1 Der Gegensatz zwischen diesem einfachen Mittel, die Aufmerksamkeit dadurch in gewissem Mafse zu entspannen, dafs man ihr sozusagen die erleichterten \u00e4ufseren Aufgaben angiebt, statt sie auf ihren eigenen Mechanismus reflektieren zu lassen, entspricht ganz einer ebenso naheliegenden als lehrreichen Bemerkung von Helmholtz, Physiol. Opt., S. 473: \u201e..Wenn wir w\u00fcnschen, dafs jemand, der noch nicht \u00fcber seine Augenbewegungen zu reflektieren gelernt hat, die Augen nach rechts wenden soll, so m\u00fcssen wir ihm nicht sagen: \u201e\u201eWende dein Auge nach rechts\u201c\u201c, sondern: \u201e\u201eSieh jenen rechts gelegenen Gegenstand an\u201c\u201c. Und selbst der Ge\u00fcbte beherrscht seine Augenbewegungen sicherer, wenn er entsprechende Gegenst\u00e4nde zur Fixation w\u00e4hlt, als wenn er eine bestimmte Stellung der Augen ohne solche Fixation einhalten will.\u201c","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n59\nsie Willensakte von der nnter den vorliegenden Motiven \u00fcberhaupt m\u00f6glichen Intensit\u00e4t auf wendet, welche Willensakte zum Gegenst\u00e4nde das richtige Beurteilen auch noch so kleiner Abweichungen von der Geraden haben (nebenbei bemerkt, selbst wieder ein Fall von psychischer, n\u00e4mlich Willensarbeit, wor\u00fcber n\u00e4heres unten \u00a7 22 ff.), so ergeben sich Mafse f\u00fcr die wirklich geleistete Arbeit und die dabei angewendete Aufmerksamkeitsspannung nach den gew\u00f6hnlichen psychophysischen Methoden. Auch beim \u201ebesten Willen\u201c werden ja nicht alle Abweichungen von der Geraden als solche bemerkt, und wie gut die Qualit\u00e4t der geleisteten Arbeit war, l\u00e4fst sich f\u00fcr jede einzelne Gr\u00f6fse von Buckeln, bezw. Beobachtung unter den vorgeschriebenen Bedingungen der Beleuchtung und Augenstellung nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle kontrollieren.\n\u2022 9\nUber die zweckm\u00e4fsigste Art der Feststellung, wie \u201eschwer\u201c einem bestimmten Individuum das Erkennen einer bestimmten Gr\u00f6fse von Buckeln bei bestimmter Beleuchtung u. s. w. f\u00e4llt, erlaube ich mir in dieser blofsen Exposition m\u00f6glicher Versuche kein Urteil, m\u00f6chte aber doch auf folgende zwei M\u00f6glichkeiten der verlangten Kontrolle hinweisen:\n1.\tMan k\u00f6nnte auf einzelnen Zetteln Linienst\u00fccke mit je einem Buckel von bestimmter Gr\u00f6fse anbringen, diese dann unter bestimmten Bedingungen der Beleuchtung und Augenstellung, unter Forderung maximaler Aufmerksamkeit, beurteilen lassen und auf Grund der Beobachtung unter m\u00f6glichst g\u00fcnstiger Beleuchtung etc. die Richtigkeit oder Falschheit der abgegebenen Urteile feststellen; h\u00e4tte sich so ergeben, bei welchem Mafs von Gunst, bezw. Ungunst der objektiven Urteilsbedingungen die Abweichung von der Geraden eben merklich, bezw. eben unmerklich wird, und wie sich das Verh\u00e4ltnis der Zahl der richtigen zu der der falschen F\u00e4lle bei Verbesserung der Beobachtungsbedingungen vergr\u00f6fsert, so liefse sich aus einer einmal gewonnenen Funktionsbeziehung zwischen der sozusagen objektiven Schwierigkeit (bestimmte Kleinheit der Buckel u. s. f.) und der subjektiven Schwierigkeit (so kleine Buckel noch mehr oder minder zuverl\u00e4ssig zu erkennen) f\u00fcr die bestimmte Person die von ihr durch jede weitere spezielle Aufgabe geforderte Aufmerksamkeitsspannung in einem (vorerst nat\u00fcrlich keineswegs schon absoluten) Mafs zahlenm\u00e4fsig darstellen.\n2.\tDie andere der erw\u00e4hnten M\u00f6glichkeiten, welche mir wenigstens einstweilen als solche vorschwebt und die ihre Best\u00e4tigung oder Ablehnung eben ganz erst w\u00e4hrend der wirklichen Ausf\u00fchrung der Versuche zu erlangen h\u00e4tte, ist die, dafs sich eine Vorpr\u00fcfung der einzelnen Abweichungs-gr\u00f6fsen mittelst besonderer Zettel ganz ersparen l\u00e4fst, wenn bei den eigentlichen Versuchen, d. h. bei der Beobachtung des Striches auf dem zusammenh\u00e4ngenden Streifen unter nachheriger Kontrolle, welche Buckel richtig bemerkt, oder wo unrichtige Urteile abgegeben wurden, selbst die n\u00f6tigen Aufschl\u00fcsse \u00fcber die Quasi-Reizschwelle f\u00fcr die Buckel, richtiger Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr Abweichungen von der Geraden sich ergeben sollten.\nWie gut oder wie wenig sich nun in Wirklichkeit das hiermit entworfene experimentelle Verfahren als geeignet heraussteilen mag, einen Anhaltspunkt zur Gewinnung eines Mafses f\u00fcr die gesamte geleistete","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nA. H\u00f6fler.\nArbeit, speziell f\u00fcr ihren Spannungsfaktor zu gew\u00e4hren \u2014 auf alle F\u00e4lle macht es uns auf die Notwendigkeit folgender begrifflicher Unterscheidung aufmerksam. Gesetzt, es seien 100 m des Streifens unter dem Beobachtungsfenster vor\u00fcbergezogen und es stelle sich bei nachtr\u00e4glicher Pr\u00fcfung heraus, dafs auf die ersten 50 m 10%, auf die zweiten 50 m 20% Fehler begangen worden seien, (was sich statt f\u00fcr je 50 auch f\u00fcr je 10 um 10, oder f\u00fcr 1 um 1 m, und in gewissem Sinne sogar f\u00fcr beliebig kleine, f\u00fcr differentiale Streckenl\u00e4ngen durchf\u00fchren liefse) so wird man zun\u00e4chst allerdings gar nichts dar\u00fcber wissen k\u00f6nnen, ob sich die Versuchsperson auch w\u00e4hrend der zweiten H\u00e4lfte ihrer Arbeit ebenso stark \u201eangestrengt\u201c habe, wie w\u00e4hrend der ersten; denn die gr\u00f6fsere Fehlerzahl kann ja von der Erm\u00fcdung des Auges \u2014 also einem gar nicht psychischen Umstand \u2014 oder vom Nachlassen des \u201eguten Willens\u201c oder vom Erm\u00fcden der eigentlichen, unmittelbaren Urteilsf\u00e4higkeit (falls es eine solche giebt, vgl. \u00a7 37 ff.) herr\u00fchren. Um so sicherer wird man aber trotz all dieser schwer entwirrbaren, teils physiologischen, teils psychologischen Erkl\u00e4rungsm\u00f6glichkeiten sagen d\u00fcrfen, dafs die Gesamtleistung auf dem ersten im Vergleich zu der auf dem zweiten St\u00fccke \u2014 sagen wir f\u00fcr den Augenblick \u2014 ein G\u00fcte verh\u00e4lt nis von (100 \u2014 10) : (100 \u2014 20) ==9:8 aufweisen; dafs, wie wir es im \u00a7 67 ff. nennen werden, die \u201elogische Arbeit\u201c auf dem zweiten St\u00fcck im genannten Verh\u00e4ltnis kleiner war als auf dem ersten. (Zur Erl\u00e4uterung dieser Unterscheidung von logischer und psychischer Arbeit f\u00fcr den Augenblick nur so viel, dafs, wer ohne logisches Gelingen gearbeitet hat, immerhin noch psychisch gearbeitet haben kann ; etwa so, wie eine Elektrisiermaschine, die infolge des St\u00fctzenverlustes nicht die gew\u00fcnschten Erscheinungen am Konduktor zeigt, immer noch elektrische Energie produziert hat.)\n\u00a7 10. Fragen wir uns, wie billig, was bei einer solchen Versuchsweise, wenn sich ihr auch nicht unvorhergesehene Hindernisse in den Weg stellen, g\u00fcnstigstenfalls herauskommen kann, so ist es f\u00fcr sich genommen von keinem gr\u00f6fseren, aber auch von keinem kleineren \u2014 nat\u00fcrlich zun\u00e4chst \u00fcberhaupt nur theoretischen \u2014 Wert, als eben wieder eine Art von psychischen Gegebenheiten der quantitativen Bestimmung zug\u00e4nglich gemacht zu haben. Ich w\u00fcrde nach je einer Versuchsreihe sagen k\u00f6nnen : Es ist, wenn soviel Meter Linie mit soviel Verl\u00e4fslichkeit gepr\u00fcft worden sind, soviel logische Arbeit geleistet worden; und ist sie geleistet worden, wiewohl die Bedingungen der Beobachtung so ung\u00fcnstig waren, dafs sich das Bewufstsein gr\u00f6fserer und immer gr\u00f6fserer Anstrengung einstellte, so ist nebst der logischen so viel aufserlogische Arbeit geleistet worden.\nStofsen wir uns also nicht an dem Gedanken, wie sehr bescheiden das Ergebnis solcher Versuche zun\u00e4chst f\u00fcr unser psychologisches und unser gesamtes Wissen w\u00e4re: so bescheiden, als wenn man von einem Arbeiter, der 12 kg IV2 m hoch gehoben hat, nichts anderes zu sagen w\u00fcfste, als dafs er 18 kgm Arbeit geleistet hat. Das aber h\u00e4tte dem physikalischen Arbeitsbegriff nie zu Ansehen verholfen \u2014 seine Bedeutung liegt vielmehr ganz in dem Gedanken von Arbeits-\u00c4quivalenten, die ja eigentlich schon der ersten Konzeption des Arbeitsbegriffes","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n61\nbei Galilei, bier unter dem Namen des Moments, als treibendes Motiv der Begriffsbildung zu G-runde liegt. Eine Kraft mit einem Weg zu multiplizieren, w\u00e4re ein m\u00fcfsiger Gedanke, wenn nicht z. B. beim Hebel gerade solche Produkte einander gleich w\u00e4ren. Und wieder ist die Gleichheit zweier Arbeiten, einer mechanischen und einer thermischen, der einfache Typus der von Bobert Mayer angebahnten, allbewunderten Beform unserer ganzen Naturwissenschaft. Wird es jemals die Psychologie zum Begriff psychischer Arbeits-\u00c4quivalente und zu verifizierenden Versuchen bringen?\n\u00a7 11. Ehe wir so weit ausblicken, sei noch ein anderes psychologisches Experiment in Gedanken entworfen, das, dem vorigen der Pr\u00fcfung neuer Geraden unverkennbar analog, eben deshalb ins Licht setzen mag, was an derlei Experimenten Prinzip ist, somit auch den Weg zu beliebig weitgehenden Variierungen zeigt, nebenbei aber vor dem Geradenversuche und wohl manchen \u00e4hnlichen voraushaben d\u00fcrfte, dafs es noch leichter und immerhin mit bedeutender Mannigfaltigkeit durchzuf\u00fchren w\u00e4re. Ich stelle z. B. die Aufgabe: Man soll von dem Ton einer offenen Pfeife, die mittelst eines durch mechanische Vorrichtung in bestimmtem Mafse zu hebenden und zu senkenden Deckels in ihrer Tonh\u00f6he um ganz bestimmte Betr\u00e4ge abge\u00e4ndert werden kann,1 w\u00e4hrend einer gewissen Zeit beobachten, ob die Tonh\u00f6he merklich dieselbe geblieben, oder ob und in welchem Sinne sie sich ge\u00e4ndert habe. Vorteile des Versuches d\u00fcrften bestehen in der Unerm\u00fcdlichkeit des Ohres f\u00fcr Tonreize selbst w\u00e4hrend langer Zeitstrecken,2 in den grofsen individuellen Unterschieden zwischen Unmusikalischen und Musikalischen und was es sonst an Beziehungen giebt, um derentwillen Stumpf gerade das Tongebiet f\u00fcr ganz besonders geeignet zu psychologischen Versuchen erkl\u00e4rt.\n\u00a7 12. Und hier er\u00f6ffnet sich denn sogleich auch ein erster Ausblick auf psychische Arbeits\u00e4quivalente. Denn wird bei gleichartigen Anfangsdispositionen einmal, wie wir kurz sagen wollen, die optische\n1\tDies .war geschrieben, als in der vorl\u00e4ufigen Mitteilung von Scripture, \u201e\u00dcber die \u00c4nderungsempfindiichkeit\u201c (diese Zeitschr. Bd. VI, S. 473 oben) Versuche \u00fcber stetige Ver\u00e4nderung der Tonh\u00f6he einer Wellensirene bekannt gemacht wurden; Versuche, die, wenn auch in anderer Absicht angestellt, doch an die oben entworfene Versuchsanordnung erinnern und jedenfalls f\u00fcr die wirkliche Durchf\u00fchrung zum Muster genommen werden k\u00f6nnen. \u2014 \u00dcbrigens sei nebenbei erw\u00e4hnt, dafs Prof. Meixong (Graz) im Wintersemester 1886/7 (wenn ich mich recht erinnere, auf meinen Vorschlag) Versuche \u00fcber stetige Ver\u00e4nderungen (Zufliefsenlassen von Streusand bei WEBERSchen Gewichtsversuchen) durch die Teilnehmer des \u00dcbungskollegs \u201eExperimentalpsychologie\u201c hat anstellen lassen, wobei sich ergab, 1. dafs das Unterschiedsurteil infolge eines sozusagen sprungweise (der Stetigkeit der Beiz\u00e4nderung nicht erkennbar gesetzm\u00e4fsig folgenden) eintretenden Erinnerns keinem so. einfach zu formulierenden Gesetze folgte, wie bei den unstetigen \u00c4nderungen der WEBERSchen Versuche, dafs aber 2. doch (wie Prof. Meinong damals sogleich konstatierte) die U. E. im Ganzen unverkennbar gesunken, oder die U.-Schwelle gestiegen war. \u2014 Auch einige Blastisch-Versuche (\u00e4hnlich der in \u00a7 11 angedeuteten) wurden nach Prof. Meinongs Angabe damals durchgef\u00fchrt. '\n2\tStumpf, Tonps., 1. Bd., S. 18.","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nA. H\u00f6fler.\nArbeit A0 nach \u00a7 9, ein andermal die akustische Aa nach \u00a7 11 verrichtet, so kann auf\nA-o \u2014\u2014 A-a\ngeschlossen werden, sobald sich die F\u00e4higkeit zum Verrichten einer dritten Arbeit A in gleicher \"Weise beeinflufst, n\u00e4mlich herabgesetzt zeigt durch das Verrichtethaben von A0 wie durch das von Aa. Es versteht sich, dafs diese dritte Arbeit A entweder eine von der Art des Ao oder des Aa oder irgend eine andersartige sein kann ; notwendig ist nur, dafs man Mittel hat, die Herabsetzung der F\u00e4higkeit zur Leistung von A, wenn diese sich einmal an A0, einmal an Aa zeitlich anschliefst, zu vergleichen. \u2014 Ein physisches Analogon zu einer solchen Methode der Vergleichung zweier psychischer Arbeiten w\u00e4re z. B. folgendes: Ich lasse einen Akkumulator einmal 5 Minuten lang eine Gl\u00fchlampe leuchten machen und bestimme hernach den Energieverlust des Akkumulators. Dann lade ich ihn auf den urspr\u00fcnglichen Zustand und lasse ihn nun so lange einen elektromagnetischen Motor treiben, bis sich seine Energie wieder so weit herabgesetzt zeigt, wie nach dem Betrieb der Gl\u00fchlampe: die beiden Arbeiten, die thermisch-optische und die motorische, waren dann gleich.\nDas Beispiel erinnert uns daran, dafs diese Methode des Vergleichs heterogener physischer Arbeiten nicht die einzige, nicht einmal die einfachste und n\u00e4chstliegende ist, als die wir wohl Bobert Mayers Schlufs aus der spezifischen W\u00e4rme bei konstantem Druck und konstantem Volumen, Joules Schaufelradversuch und die analogen bezeichnen d\u00fcrfen. \u2014 Dem Erfindungsgeist k\u00fcnftiger psychologischer Joules ist hiernach ein weites Feld und durch die physikalische Energetik auch vielleicht eine\nganze Auswahl von Wegen zu jenem gelobten Lande psychischer Arbeits-\u2022 \u2022\n\u00c4quivalente gezeigt. \u2014 Verweilen wir aber nicht l\u00e4nger bei dem Ausmalen solcher M\u00f6glichkeiten, eben weil es \u201ezu sch\u00f6n\u201c w\u00e4re, sondern lassen wir uns durch den Umstand, dafs wir vorerst nur die Dispositionsherabsetzung als Mittel zur Vergleichung von i0 und Aa \u2014 oder was immer f\u00fcr andere psychische Arbeiten es sein m\u00f6gen \u2014 einiger-mafsen anschaulich vorzustellen vermochten, auf eine weitere prinzipielle Erw\u00e4gung hinleiten.\n\u00a7 13. Wodurch w\u00fcrde sich das Ergebnis, wie des Geraden-, so auch des Tonh\u00f6henversuches von den n\u00e4chstbesten Erm\u00fcdungsversuchen unterscheiden? Heifst nicht \u00fcberhaupt psychische Arbeit geleistet haben einfach soviel als sich psychisch erm\u00fcdet haben?1 Mafse f\u00fcr Erm\u00fcdungen haben wir ja l\u00e4ngst ; denn : \u201eErm\u00fcdung ist Dispositionsherabsetzung, genauer: Herabsetzung der Disposition zu demjenigen psychischen oder psychophysischen Vorgang, dessen Auftreten an einem bestimmten Subjekt die Herabsetzung bewirkt hat.\u201c2 Indes d\u00fcrfte jene\n1\tHopfner z. B. scheint nach den einleitenden S\u00e4tzen seiner Untersuchung (diese Z. VI. Bd. S. 192) dazu geneigt, \u201egeistige Erholung, resp. Erm\u00fcdung\u201c als das eigentliche Kriterium \u201epsychischer Arbeit\u201c zu betrachten.\n2\tMeinong, \u201e\u00dcber Sinneserm\u00fcdung im Bereiche des WEBERSchen Gesetzes\u201c. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. Xn. Jahrg. 1888. S. 1\u201431.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n63\nprinzipielle Frage (nach, einer Bemerkung Meinongs) schon auf Grund der einfachen Erw\u00e4gung zu verneinen sein, dafs sich ja recht wohl ein Wesen vorstellen l\u00e4fst, das sich bewufst ist, gearbeitet zu haben, auch ehe es etwas von Erm\u00fcdung sp\u00fcrt; was von geistiger Arbeit, wie von k\u00f6rperlicher gilt. Im Begriffe der Arbeit also liegt wenigstens eine derartige Beziehung zu Erm\u00fcdung nicht. \u2014 Hierzu kommt die \u00dcberlegung, dafs es, wie wir schon in \u00a7 7 zu betonen hatten, nicht angehe, den Begriff eines Aktuellen von dem des zugeh\u00f6rigen Potentiellen abh\u00e4ngig zu machen. Und so werden wir uns nicht begn\u00fcgen d\u00fcrfen, den Begriff der psychischen Arbeit aufgehen zu lassen in dem des Konsums psychischer Energie. Diejenigen psychischen Vorg\u00e4nge, die den Namen psychische Arbeiten im Gegensatz zu psychischen Nichtarbeiten verdienen sollen, m\u00fcssen als Ph\u00e4nomen irgend einen Unterschied, ein auszeichnendes Merkmal gegen\u00fcber den anderen aufzuweisen haben, widrigenfalls der ganze Begriff psychische Arbeit \u2014 eben nicht in die Psychologie geh\u00f6rt. Ob ihn dann vielleicht noch eine Metaphysik von der Art der HERBARTSchen Vorstellungsmechanik (denn diese will ein Korollar zur Metaphysik und will nicht Psychologie im heutigen Sinne sein) dulden m\u00f6chte, bleibe dahingestellt. \u2014 Und dafs jene Abgrenzung nicht einfach nach den Erm\u00fcdungserfolgen zu geschehen hat, erhellt schliefslich schon aus der einfachen Thatsache, dafs es Erm\u00fcdung giebt ebenso f\u00fcr diejenigen Vorg\u00e4nge, die man am ehesten, wie f\u00fcr diejenigen, welche man am wenigsten als psychische Arbeiten wird gelten lassen wollen, also etwa f\u00fcr aufmerksames Sehen einer schwach beleuchteten und f\u00fcr unaufmerksames Sehen einer grell beleuchteten Fl\u00e4che. Es wird daher eine Aufgabe k\u00fcnftiger Untersuchungen sein, inwieweit es \u2014 nach Abzug aller rein physiologischen Antecedentien (z. B. Dissimilation von Sehpurpur), die ihrerseits zwar Konsum von Energie, aber nicht von psychischer darstellen \u2014 auch noch eine psychische Erm\u00fcdung durch psychische Nichtarbeiten giebt; wodurch dann das begriffliche Verh\u00e4ltnis von psychischer Erm\u00fcdung und psychischer Arbeit und psychischer Energie sich erst wird feststellen lassen. \u2014\nUm aber nicht l\u00e4nger Kants Vorwurf: \u201ePlane machen ist mehrmalen eine \u00fcppige, prahlerische Geistesbesch\u00e4ftigung\u201c1 auf uns zu laden, sei den vorher exponierten Versuchen zur Messung psychischer Arbeit die Erinnerung an bereits wirklich vollzogene an die Seite gestellt, indem auch sie f\u00fcr die Methodik solcher Messungen \u2014 nur eine solche Methodik soll ja dieser erste Abschnitt vorbereiten \u2014 neue Gesichtspunkte darbieten.\n\u00a7 14. In Ebbinghaus\u20192 Buch \u201e\u00dcber das Ged\u00e4chtnisu (\u2014 die vom Verfasser erfundene und mit Aufopferung ge\u00fcbte Methode des Auswendiglernens sinnloser Silbenreihen, welche von einem mir bekannten hervorragenden Psychologen zuerst f\u00fcr ungeheuerlich erkl\u00e4rt worden ist, hat eine gl\u00e4nzende Be-\n1\tProlegomena zu einer jeden k\u00fcnftigen Metaphysik, Vorrede.\n2\tVgl. S. 44, Anm. 1.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nA. H\u00f6fler.\nW\u00e4hrung schon allein durch die Wiederaufnahme der Versuche durch Gr. E. M\u00fcller und Sch\u00fcmann erfahren \u2014 diese Ze\u00fcschr. VI. Bd.\u2014) lautet der Titel von \u00a7 15 \u201eMessung der gebrauchten Arbeit\u201c, und darin finden sich die S\u00e4tze: \u201eWelche Art des Messens die richtigere sei, d. h. ein ad\u00e4quateres Mafs der aufgewandten psychischen Arbeit, l\u00e4fst sich a priori nicht ausmachen.\u201c Und \u201e . . es findet in ihnen (in den Momenten des Besinnens) jedenfalls meist eine gewisse Energieentfaltung statt: einerseits eine sehr rapide nochmalige Zusammenfassung des unmittelbar Zur\u00fcckliegenden, ein neuer Anlauf sozusagen, um \u00fcber den Punkt des Anstofses hinwegzukommen, andererseits eine erh\u00f6hte Anspannung der Aufmerksamkeit f\u00fcr das Folgende.\u201c \u2014 Der Verfasser bedient sich also hier der Ausdr\u00fccke \u201epsychische Arbeit\u201c und \u201eEnergie\u201c, weil und wie sie ihm angesichts seiner konkreten Untersuchung Bed\u00fcrfnis waren, was noch mehr f\u00fcr sie spricht, als jede auf sie in abstracto gerichtete Er\u00f6rterung. Und zwar enthalten die letzten Worte Hinweise darauf, woraus sich die beim Auswendiglernen zu leistende Arbeit \u00fcberhaupt zusammensetzt, also auf diejenige Art von Frage, welche uns im folgenden immer wieder in erster Linie interessieren wird. \u2014 Was die besondere Alternative betrifft, vor die sich der Verfasser gestellt sieht, so liegt ihr die Voraussetzung zu gr\u00fcnde, dafs man beim Auswendiglernen um so mehr gearbeitet habe, je \u00f6fter man eine Silbenreihe hatte wiederholen m\u00fcssen, um sie wenigstens einmal richtig reproduzieren zu k\u00f6nnen; und die Frage ist, ob man statt der Anzahl der Wiederholungen auch die dazu gebrauchte Zeit einf\u00fchren d\u00fcrfe. Jenes w\u00fcrde dem Mafse p s, dieses dem p t entsprechen. Insoweit aber s und t hier selbst proportional sind \u2014 inwieweit sie es nicht sind, wolle a. a. 0. S. 42, 43 nachgesehen werden \u2014 kommen beiderlei Mafse auf dasselbe hinaus \u2014 nat\u00fcrlich nur so lange es relative Mafse gilt, also von einer Proportionalit\u00e4tskonstanten abgesehen.\n\u00a7 15. B\u00fcrgersteins Vortrag \u201eDie Arbeitskurve einer Schulstunde'\u201c1 bringt den Begriff psychischer Arbeit schon in diesem\n3 Hamburg 1891. Leopold Voss. Vgl. Hopfners Bericht in dieser Zeitsehr. Bd. IV. S. 383\u2014385. \u2014 In Hopfners eigener Abhandlung wird S. 204 ff. eine \u201eAnalyse der beim Diktatschreiben vorkommenden geistigen Arbeit gegeben\u201c; sie bewegt sich in wesentlich andersartigen Untersuchungen als es die unseres II. Abschnittes sind.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n65\nTitel zum Ausdruck. Die Art der geleisteten Arbeit ist ganz von derselben Art, wie die, an der wir im \u00a7 8 den Begriff der psychischen Arbeit, genauer den Wegfaktor, zuerst verdeutlichten: Addieren je zweier zwanzigziffriger Zahlen und Multiplizieren je einer solchen Zahl mit einer einziffrigen. Als Mafs der geleisteten Arbeit diente hier die Erm\u00fcdung oder Ersch\u00f6pfung, diese wieder gemessen an der gr\u00f6fseren oder geringeren Fehlerhaftigkeit der Resultate.\nUnbeschadet des zweifellosen Wertes, den auch schon die allgemeinen Ergebnisse solcher Messungen f\u00fcr den n\u00e4chsten, n\u00e4mlich schulhygienischen, Zweck solcher Untersuchungen gehabt haben und noch mehr gewinnen werden, d\u00fcrfte doch gerade an solchen Untersuchungen besonders lebhaft f\u00fchlbar werden, wieviel trotz des primitiven Charakters der geleisteten Bechenarbeit selbst hier schon dem theoretischen Psychologen f\u00fcr die ersch\u00f6pfende Analyse noch zu thun bleibe. Was geht denn im Kinde alles vor, wenn es zwei Ziffern addiert, den Zehnerrest merkt, bei der n\u00e4chsten Addition einz\u00e4hlt u. s. f., vielleicht an den Abschlufs der Bechnung vorausdenkt, etwa sich durch einen nur halbbewufsten Zweifel an der Bichtigkeit der soeben hingeschriebenen Ziffer w\u00e4hrend des Anschreibens der n\u00e4chsten benachteiligen l\u00e4fst u. s. w. ? Ja wir wissen sogar, dafs vielleicht kaum in zwei Kindern das Gleiche beim Bechnen vorgeht : man denke nur u. a. an die Mannigfaltigkeit von Zahlenvorstellungen, die Ehrenfels1 unterschieden hat. Und irgend ein Denken an diese Zahlen d\u00fcrfte doch stattfinden, wenn es auch aufser Zweifel ist, dafs in den wenigsten F\u00e4llen eigentlich mit Zahlen gerechnet wird, sondern nur Ziffernamen und Zifferbilder andere reproduzieren und diese Beproduktion wieder Schreibbewegungen, als nur summarisch gewollte, im einzelnen aber nach Art von Triebhandlungen vollzogene ausl\u00f6st, mehr oder minder summarisch \u00fcberwacht von einem gewissen Mafs von Aufmerksamkeit. B\u00fcrgerstein selbst regt einen solchen Gedanken an die Qualit\u00e4t der geleisteten Arbeit mit den Worten an:2 \u201eEine wichtige Frage w\u00e4re die nach dem Unterschied der Leistung bei der Multiplikation und Addition. Die Zahl der berechneten Ziffern ist\n1\tZur Philosophie der Mathematik (von mir angezeigt in dieser Zeit sehr. V. Bd. S. 56).\n2\tA. a. O. S. 10.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nA. H\u00f6fler.\nMer niclit ausschlaggebend; es mufsten wohl durchschnittlich mehr Additions- als Multiplikationsziffern berechnet werden, weil ja die Aufgaben mit der Additionsreihe begannen. Ich bin mir daher nicht dar\u00fcber klar, wie die Differenzen zwischen der Anzahl der Additions- und Multiplikationsziffern auszunutzen w\u00e4ren. \u201c1\n\u00a7 16. So sind denn schon diese sehr primitiven Beispiele geeignet, uns nahe zu legen, welches die eigentlichste und unmittelbarste Aufgabe des Psychologen in Sachen der psychischen Arbeit sein mufs. Wir formulieren die Aufgabe so:\n1.\tWelches sind die Elementarformen psychischer Arbeit?\n2.\tWelche elementaren psychischen Vorg\u00e4nge sind als Nichtarbeiten zu beschreiben?\n1 Im \u00fcbrigen betrachtet Burgerstein den Arbeitsvorgang wesentlich von der physiologischen Seite, indem er sagt (S. 8, 9): \u201eEs ist im allgemeinen auf Grund einer endlosen Reihe von Erfahrungen und aus physiologischen Ursachen von vornherein klar, dafs die Leistung fortdauernder Besch\u00e4ftigung mit einem Gegenst\u00e4nde solange w\u00e4chst, bis der Vorrat an organischem Material, das hierbei in Anspruch genommen wird, ersch\u00f6pft oder der Ersch\u00f6pfung nahe gebracht ist. Dies h\u00e4ngt mit dem Prinzipe der \u201e\u00dcbung\u201c zusammen, und das Gesagte gilt z. B. f\u00fcr eine k\u00f6rperliche Fertigkeit, d. h. eine solche, bei welcher durch bewegende Impulse des Gehirnes auf Muskelgruppen nach Umst\u00e4nden zuerst deren Hirn- oder Muskelzellenvorrat ersch\u00f6pft werden wird (etwa Tonleiterlernen des Anf\u00e4ngers, Tonleiterspielen des Ge\u00fcbten). Das trifft aber ebensogut f\u00fcr die geistige Fertigkeit (*), z. B. das Rechnen, zu. Ist die Ersch\u00f6pfung erreicht oder nahezu erreicht, so wird ein Nachlassen zu gew\u00e4rtigen sein. In letzterer Hinsicht fehlte uns aber bisher durch exakte Methoden gewonnenes Detail. \u2014 Demgem\u00e4fs mufste man bei dem vorliegenden Experimente jedenfalls als M\u00f6glichkeit eine zuerst ansteigende und eventuell sp\u00e4ter absinkende Kurve der Leistung erwarten. F\u00fcr die im folgenden gegebenen Resultate ist graphische Versinnlichung wegen der vielfach hohen Schwankungsgr\u00f6fse der darzustellenden Ergebnisse nicht leicht thunlich.\u201c\nGanz nebenbei bemerkt, lassen also die letztangef\u00fchrten Worte den Titel des Vortrages: \u201eDie Arbeitskurve einer Schulstunde\u201c eigentlich nur als eine Zukunftshoffnung erkennen.\nWichtiger ist, dafs die oben bemerkte Stelle (*), welche von \u201egeistigen Fertigkeiten\u201c spricht, eben hierdurch das \u201eGeistige\u201c eigentlich ausschaltet, indem wir uns die \u201eFertigkeit\u201c allerdings viel zureichender in die rein physiologische Sprache \u00fcbersetzen k\u00f6nnen, als eine eventuell in das \u201emechanische\u201c Rechnen eingreifende \u201eurteilende\u201c Kontrolle. \u2014 Wir kommen auf diese Discrepanzen von physiologischer und psychischer Arbeit im letzten Abschnitte (\u00a7 79) zur\u00fcck.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n67\n3. Was ist an denjenigen psychischen Vorg\u00e4ngen, welche sich der aufserwissenschaftlichen und infolgedessen auch anfangs der wissenschaftlichen Psychologie als einheitliche und relativ einfache Gebilde,- f\u00fcr die tiefergehende Analyse aber als zusammengesetzt darstellen, psychische Arbeit und was psychische Nichtarbeit?\nDiese Problemstellung ist die einfache Analogie zu derjenigen Auffassung, welche z. B. W\u00e4rme als eine Form der Arbeit, Stofs als eine Form der Arbeit, dagegen Bewegung mit konstanter Dichtung und Geschwindigkeit im leeren Daum \u2014 \u201edie galileische Bewegung\u201c \u2014 als Nichtarbeit, statischen Druck, elektrostatische Spannung als Nichtarbeit erkennt.\n\u00a7 17. Es bedarf aber auch nur dieser Analogie, um uns von vornherein von der Verpflichtung loszuz\u00e4hlen, in dieser Mitteilung irgend mehr als erste Beitr\u00e4ge zur L\u00f6sung dieser Aufgabe zu liefern; denn wie sich, nachdem einmal die Anwendbarkeit des Arbeitsbegriffes auf alle physikalischen nebst den chemischen, physiologischen u. s. w. Vorg\u00e4ngen erkannt ist, eine vollst\u00e4ndige Beschreibung aller F\u00e4lle von physischer Arbeit und physischer Nichtarbeit geradezu mit dem Ganzen der Naturwissenschaft als einer allgemeinen (physischen) Energetik decken w\u00fcrde, so erg\u00e4be ein Verfolgen des Begriffes psychische Arbeit nach dem ganzen Umfang der oben formulierten Aufgabe \u2014 falls sich unser Begriff \u00fcberhaupt bew\u00e4hrt \u2014 nichts Geringeres als die ganze Psychologie.\nWir werden uns deshalb im zweiten Abschnitt wesentlich an den dritten Satz der obigen Aufgabe halten, indem wir die bestbew\u00e4hrten Klassen psychischer \u2014 zusammengesetzter wie relativ einfacher \u2014 Ph\u00e4nomene und ihre Unterarten durchgehen und diejenigen herausgreifen, die am ungezwungensten sich der Auffassung als psychische Arbeiten, bezw. Nichtarbeiten darbieten. Als eine besonders wichtige Form werden wir dann im dritten Abschnitte die logische Arbeit behandeln1 und endlich im vierten Abschnitte an das\n1 F\u00fcr einen vierten Abschnitt war eine nicht unbetr\u00e4chtliche Zahl von Anwendungen in Aussicht genommen, die der Begriff psychischer Arbeit in der praktischen Psychologie bereits gefunden hat und nach vertiefter theoretischer Durchbildung dieses Begriffes wohl noch besser und ausgiebiger finden wird; f\u00fcr einen f\u00fcnften Abschnitt eine G-eschichte und Kritik des bisher f\u00fcr die Theorie der psychischen Arbeit Ver-","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nA. H\u00f6fler.\nbis dahin rein nach psychologischer Methode verarbeitete Material noch einmal mit einigen Fragen physikalischer und physiologischer Natur herantreten. Wir d\u00fcrfen uus eines solchen Nachtrages nicht ganz entschlagen, indem die dort im \u00a7 79 formulierte Frage solchen am n\u00e4chsten liegt, ja vielleicht als die vor allem aufzuwerfende erscheinen m\u00f6chte, welche die psychologischen Probleme \u00fcberhaupt vorwiegend oder ausschliefslich nach physiologischer Methode l\u00f6sen zu sollen \u00fcberzeugt sind. Wir unsererseits glauben vorl\u00e4ufig an eine solche deduktive Psychologie noch nicht und werden daher in dem rein empirisch-psychologischen zweiten Abschnitte\nden Kern unserer Untersuchung sehen.\nDabei m\u00f6chten wir uns aber sogleich noch innerhalb dieser Einleitung, die sich in den Paragraphen 8\u201413 mit der Frage der Messung psychischer Arbeit auf Grund des Auseinander-legens der Arb eit s vor Stellung in die eines Wegfaktors und eines Spannungsfaktors \u2014 oder wie wir im folgenden \u00f6fters kurz sagen werden i eines \u00abs-Faktors und eines p-Faktors besch\u00e4ftigt hat, die Freiheit sichern, beim Agnoszieren eines gegebenen psychischen Vorganges je nach Bequemlichkeit die Analogie der Gleichung A =ps heranzuziehen oder nicht; und auch diese Befugnis sei durch die Analogie gerechtfertigt, dafs wir ja in der Naturwissenschaft zwar alles, was sich unter das Schema p s bringen l\u00e4fst, als Arbeit ansprechen, aber noch viel mehr, z. B. W\u00e4rmemengen, die ja, wie gesagt, zwar nach der kinetischen Gashypothese, nicht aber nach der reinen That-sache des mechanischen W\u00e4rme\u00e4quivalents sich als derlei Produkte p s darstellen. Die eben jetzt wieder eintretende energische Reaktion gegen die noch vor zehn Jahren ganz einseitig gepflegte (nur von wenigen, vor allen von Mach, schon damals mit Vorsicht behandelte) kinetische Ausdeutung des ganzen physikalischen Ph\u00e4nomenkreises empfiehlt anstatt deren allgemeiner \u00fcberhaupt die Verfolgung von Analogien.* 1\nsuchten und Geleisteten. Im Interesse der bereits in Anmerkung 1 begr\u00fcndeten Einschr\u00e4nkung (welche auch noch w\u00e4hrend der Drucklegung die Zusammenziehung des Kapitel II. F\u2014F in einzelne Thesen, \u00a7\u00a7 61\t66\nn\u00f6tig machte) verschieben wir diese zwei Abschnitte auf eine weitere Ver\u00f6ffentlichung und schalten einiges aus ihnen an mehr oder minder\npassenden Stellen des oben folgenden ein.\n1 Vgl. Boltzmanns Bericht \u201e\u00dcber die Methoden der theoretischen Physik\u201c (Katalog mathem. Modelle etc., im Auftr\u00e4ge der deutschen Mathe-mathikerVereinigung herausgegeben. M\u00fcnchen 1892).","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n69\nWieviel von dieser Wandlung sieb, aueb auf die Psychologie \u00fcbertragen lasse, und bier speziell unserer Analogie zugute kommt, mufs erst die Zukunft lehren: jedenfalls geh\u00f6rt dazu, dafs die Analogie \u00fcberhaupt einmal versucht wird.\nII. Die Hauptformen psychischer Arbeit.\n\u00a7 18. Diese Hauptformen in einigermafsen planm\u00e4fsiger Vollst\u00e4ndigkeit zusammenzustellen, bieten sich verschiedene Wege dar. Namentlich aufser dem sachlichen, der uns an allen Haupt- und den n\u00e4chsten Unterarten psychischer That-Sachen vor\u00fcberf\u00fchrt und uns wenigstens im Vor\u00fcbergehen einen musternden Blick auf sie werfen l\u00e4fst, welche wir als psychische Arbeiten, welche als psychische Nichtarbeiten zu klassifizieren haben, aufser diesem sachlichen Weg, den wir insoweit auch den systematischen nennen k\u00f6nnen, noch einen historischen.\nDenn l\u00e4ngst haben sich ja in der Geschichte nicht nur der Psychologie, sondern so ziemlich in der ganzen Philosophie Begriffspaare festgesetzt, welche zum Begriff psychischer Arbeit in mehr oder minder deutlicher Beziehung stehen. So die eines th\u00e4tigen, eines leidenden Verhaltens, von Aktivit\u00e4t und Passivit\u00e4t, von Spontaneit\u00e4t und Bezep-tivit\u00e4t. Laas1 l\u00e4fst geradezu \u201edas Spontaneit\u00e4tsmotiv\u201c sich durch die ganze Geschichte hindurchziehen und ordnet ihm die Namen Aristoteles, Descartes, Kant, Fichte, Hegel u. a. ein.\nDesgleichen f\u00fchrt das Auseinanderhalten von niederen und h\u00f6heren Verm\u00f6gen, das \u2014 weil zun\u00e4chst auf praktische, auf Wertbestimmungen gegr\u00fcndet und diese zum Mafsstabe machend\u2014der gegenw\u00e4rtigen Weise psychologischer Forschung einigermafsen fremd geworden ist, in seinem theoretischen Grundgedanken wohl zum guten Teil auf das Fehlen oder Vorhandensein von Aktivit\u00e4t, von Spontaneit\u00e4t zur\u00fcck.2\n1\tLaas, Idealismus und Positivismus. Bd. I. S. 150\u2014167.\n2\tLiefsen wir uns z. B. von einem Paar Forschern, wie Locke und Leibniz, die man herk\u00f6mmlich als Vertreter jener Gegens\u00e4tze fafst, aufz\u00e4hlen, was jeder der Beiden als psychische Arbeit gelten l\u00e4fst, bezw. in Anspruch nimmt, so m\u00fcfste uns die nie geleugnete Feinheit von Lockes Blick f\u00fcr analytische Psychologie auf eine F\u00fclle von Einzelthatsachen aufmerksam machen, die wir etwa mit Leibniz\u2019 Beih\u00fclfe zu","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"A Hofier.\n\u00a7 19. Das Beschreiben eines solchen historischen Weges liegt nun zwar nicht im Plane dieser Skizze \u00fcber psychische Arbeit. Ein Argument f\u00fcr die Triftigkeit dieses Begriffes selbst mag aber immerhin der aufserordentliche Wert sein, den man jeder Zeit auf jene Gegens\u00e4tze gelegt hat. Er begreift sich n\u00e4mlich sehr wohl, wenn sich zeigt, dafs sich die Frage im Grunde jedesmal darum gedreht habe, ob es, um ein gewisses psychisches Erlebnis zu haben, n\u00f6tig sei oder nicht, psychisch zu \u201earbeiten\u201c. Der Eifer, mit dem um solche Gegens\u00e4tze, genauer f\u00fcr Aktivit\u00e4t, f\u00fcr Spontaneit\u00e4t gestritten wurde, hat \u00e4hnliche Motive und hat \u00fcberhaupt sein Gegenst\u00fcck in dem Eifer f\u00fcr den Indeterminismus. Wer glaubt, der Determinist lehre, es gebe im Grunde kein Wollen, glaubt ja auch, er rate vom Wollen ab. Und das w\u00e4re freilich eine gef\u00e4hrliche Lehre. Insoweit das Wollen notwendige Bedingung, also Ursache (von monistischen Bedenken gegen diese Anwendung des Kausalbegriffes hier abgesehen) bestimmter physischer und psychischer Geschehnisse ist, heifst auf Wollen verzichten, auch auf seine Erfolge verzichten, also auf Werte, denn man will ja in der Kegel doch nur das wertvoll wenigstens Scheinende. \u2014 Ebenso nun wie der zum Fatalismus mifsverstandene Determinismus ist das Schlagwort \u201eSensualismus\u201c ein \u201eSchrecken aller Frommen\u201c \u2014 einfach, weil nur Sinnesempfindungen haben sollen, auch dem Harmlosesten ein recht sonderbarer Verzicht auf alles d\u00fcnken mufs, was durch Vergleichen, Schl\u00fcsse u. s. w. an und aus ihnen zu erarbeiten w\u00e4re. (\u00c4hnliches liefse sich \u00fcber den dem unmodern gewordenen Gegens\u00e4tze von Sensualismus und\n\u00fcberpr\u00fcfen und dann in eine unserer beiden Kategorien einzustellen batten. Eine nach solchem Gesichtspunkte vollzogene Durchpr\u00fcfung der \u201eEssays\u201c von Locke und Leibniz d\u00fcrfte freilich ein wesentlich anderes Ergebnis liefern, als man es nach den herk\u00f6mmlichen Kategorien Sensualismus und Intellektualismus erwartet. Locke bedient sich nicht nur sogleich zu Beginn des zweiten Buches, 1. Kap. \u00a74, des Begriffes operation, sondern sogleich unterscheidet er scharf: \u201eThe term \u201eoperations\u201c here, I use in a large sense, as comprehending not barely the actions of the mind about its ideas, but some sort of passions arising sometimes from them, such as is the satisfaction or uneasiness arising from any thought.\u201c Und Leibniz f\u00fcgt den von Locke bemerkten \u201eAktionen\u201c in diesem engeren Sinne keine hinzu, er ist, sobald er mit seinem grofsen verehrten Gegner auf dem gemeinschaftlich sicheren Boden psychologischer Beschreibung steht, mit ihm in erfreulichster Weise eins.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n71\nIntellektualismus nicht fern stehenden, neuerlich oft betonten Gegensatz von Assoziations- und Apperzeptionspsychologie sagen.) \u2014 Nicht minder als auf intellektuellem findet sich der Gegensatz auf emotionalem Gebiete: blofs seinen Gef\u00fchlen sich hingeben, statt zu wollen und zu streben, ist .Schw\u00e4che, heifst: sich einer Th\u00e4tigkeit, einer Arbeit entschlagen. \u2014 Man mag dabei die selbst nur gef\u00fchlsm\u00e4fsige Stellungnahme gegen sen-sualistische Theorien, gegen eine hedonistische Ethik theoretisch mit Hecht sehr gering achten \u2014 ein Ausgangspunkt zu sch\u00e4rferer theoretischer Erfassung der \u201egef\u00fchlten\u201c Gegens\u00e4tze werden sie immer bleiben und als solche auch selbst wieder verdienen, theoretisch vermerkt zu werden.\n\u00a7 20. Es wurde oben von \u201eSpontaneit\u00e4t\u201c und \u201eAktivit\u00e4t\u201c ebenso promiscue gesprochen, wie z. B. Laas diese beiden Ausdr\u00fccke verwendet.1 \u2014 Es hat aber Meinong zum Schlufs einer eingehenden Untersuchung des Begriffes Spontaneit\u00e4t2 darauf aufmerksam gemacht, dafs \u201espontan und rezeptiv mit th\u00e4tig und leidend nicht zusammenf\u00e4llt.\u201c \u2014 Von Spontaneit\u00e4t wird gezeigt, dafs der Begriff jedenfalls \u00fcberhaupt \u201evom Psychischen seinen Ausgang nehme\u201c und das als spontan bezeichnet wird, was das Subjekt gleichsam aus Eigenem gegeben hat, genauer, dafs jener Begriff die intrasubjektiven Teilursachen von den extrasubjektiven auseinanderhalte. Also: Spontaneit\u00e4t ist \u201edie Pr\u00e4rogative des Intra subjektiven bei Kausierung psychischer Erscheinungen.3 Dagegen bezieht sich Aktivit\u00e4t auf ganz anderes: \u201eBei allem Wollen ist man aktiv, bei allem F\u00fchlen passiv. . . Die Gegen\u00fcberstellung von Spontaneit\u00e4t und Bezeptivit\u00e4t beh\u00e4lt aber sowohl auf dem Gef\u00fchls-, wie auf dem Willensgebiete ihren guten Sinn..\u201c\n\u201eWorin das Wesen des Unterschiedes von aktiv und passiv eigentlich bestehe\u201c, wird noch in der genannten Arbeit \u201eals eine betr\u00e4chtlich schwierigere Aufgabe\u201c bezeichnet als die einer Analyse des Spontaneit\u00e4tsbegriffes, und die Vermutung\n1\tUnabsichtlich. \u2014 und freilich nicht ausnahmslos \u2014 verteilt Laas die Termini \u201eSpontaneit\u00e4t\u201c und \u201eAktivit\u00e4t\u201c nach den oben festgestellten Begriffsinhalten, was als ein unbefangenes Zeugnis f\u00fcr deren Analyse durch Meinong gelten kann.\n2\tPhantasievorstellung und Phantasie. A. a. O. S. 225.\n3\tIb. S. 221.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nA. H\u00f6fler.\nausgesprochen, dafs hier der Begriff der psychischen Arbeit helfen m\u00f6ge. \u2014 Auf einen seither erfolgten Beitrag Meinongs zur L\u00f6sung jener \u201eschwierigen Aufgabe\u201c kommen wir alsbald (\u00a7 22) zur\u00fcck. Hier zun\u00e4chst soviel, dafs wir uns im folgenden, wo es sich uns darum handelt, den Begriff der psychischen Arbeit zu kl\u00e4ren, an den Aktivit\u00e4ts-, nicht an den Spontaneit\u00e4tsgedanken als an einen bei aller Schwierigkeit doch recht wohl bekannten halten werden. Und auch wenn k\u00fcnftighin eine historische Ausbeute an Beitr\u00e4gen zu einer empirisch reichhaltigen Theorie der psychischen Arbeit versucht werden sollte, w\u00fcrde das \u201eAktivit\u00e4ts-\u201c, nicht das \u201eSpontaneit\u00e4tsmotiv\u201c, soweit beide Gedanken sich den Forschern bewufst oder unbewufst von einander geschieden haben, im Auge zu behalten sein.\n\u00a7 21. Wenden wir uns nun zur Hauptfrage, inwieweit uns die systematische Einteilung der psychischen Ph\u00e4nomene selbst ein Leitfaden zur m\u00f6glichst vollst\u00e4ndigen Aufz\u00e4hlung der Formen psychischer Arbeit werden kann.\nEs sei gestattet, hier ohne ein Eingehen auf die zahlreichen Bedenken, welche bisher noch gegen jede vorgeschlagene Einteilung, ja nicht selten sogar gegen jedes Einteilen psychischer Thatsachen \u00fcberhaupt erhoben worden sind, sogleich diejenige Einteilung1 anzuf\u00fchren, welche sich mir selbst im Laufe der Jahre meiner Besch\u00e4ftigung mit psychologischen Dingen als die verh\u00e4ltnism\u00e4fsig einwurfsfreieste dargestellt und bew\u00e4hrt hat ; es ist die folgende :\n1. Vorstellungen, 2. Urteile; \u2014 3. Gef\u00fchle, 4. Begehrungen.\nWobei die C\u00e4sur zwischen dem zweiten und dritten Glied dem Auseinanderhalten intellektueller und emotionaler Vorg\u00e4nge, dem alten Gegensatz von vov\u00e7 und oqs^h; entspricht. \u2014 Bei Weglassung des zweiten Gliedes w\u00e4re es die seit Kant und Herbart \u00fcbliche Dreiteilung. Warum und in welchem Sinne das zweite Glied \u201eUrteile\u201c als Grundklasse neben den drei \u00fcbrigen angef\u00fchrt ist, soll im \u00a7 36 mit einigen Worten gesagt werden.\n1 Meinong bedient sieb der Vierteilnng seit Jahren in seinen Publikationen. \u2014 Ich erinnere mich, sie (mit Hervorhebung der \u201eC\u00e4sur\u201c) seit Anfang der achtziger Jahre im Psychologie-Unterrichte ben\u00fctzt zu haben und 1885 auf diese \u00dcbereinstimmung mit Meinong aufmerksam geworden zu sein.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n73\n\u00a7 22. Von diesen vier Klassen,nun d\u00fcrften, insoweit der Unterschied von psychischer Arbeit und Nichtarbeit \u00fcberhaupt auch schon vor festen Definitionen zugegeben wird, auf den ersten Blick die zweite und vierte Klasse als Arbeiten, die erste und dritte als Nichtarbeiten angesprochen werden. Ich sage, auf den ersten Blick, und lege auf solche Unmittelbarkeit Wert. Denn es scheint bei psychologischen Einteilungen \u00fcberhaupt mehr, als strenge Systematiker glauben, auf den Eindruck genereller Verschiedenheit im ganzen, nicht erst auf anf\u00fchrbare spezifische Differenzen anzukommen. Das gilt, nebenbei bemerkt, schon von dem Auseinanderhalten physischer und psychischer Erscheinungen \u00fcberhaupt, bei welchen vielleicht keines der z. B. von Brentano angef\u00fchrten f\u00fcnferlei Unterscheidungsmerkmale ganz einwurfsfrei und dennoch der tiefgehende Unterschied zwischen den zwei Klassen von Ph\u00e4nomenen \u00fcber allem Zweifel ist. \u2014 In der That habe ich denn auch, was die Einreihung obiger vier Klassen von Ph\u00e4nomenen unter die zwei uns jetzt besch\u00e4ftigenden Gattungen betrifft, wiederholt mit Unbefangenen den Versuch angestellt, sie unvermittelt und ohne Vorausschickung irgendwelcher Definitionen zu fragen, ob sie eher das Vorstellen oder das Urteilen, eher das F\u00fchlen oder das Begehren als psychische Arbeit bezeichnen m\u00f6chten. Die Antwort fiel immer nach k\u00fcrzerem oder l\u00e4ngerem Besinnen im Sinne obiger Gruppierung aus. Auf welchen Gesamt- oder Detaileindruck hin m\u00f6gen derlei Urteile zu st\u00e4nde kommen?1\nGewifs ist auch diese schon auf Analyse gerichtete Frage unbeschadet der W\u00fcrdigung des unmittelbaren Eindruckes voll berechtigt. \u2014 Es war mir daher eine willkommene Best\u00e4tigung,\n1 Ich pflegte es eine Zeit lang mittelst des Gegensatzes von statisch und kinetisch anszndr\u00fccken: Vorstellen ein statischer, Urteilen ein kinetischer Vorgang, F\u00fchlen ein statischer, Begehren ein kinetischer, so dafs man geradezu definieren k\u00f6nnte: Vorstellen der statische intellektuelle, Urteilen der kinetische intellektuelle Zustand u. s. w. Oder wenn man \u201eVorgang\u201c und \u201eZustand\u201c auseinanderhalten will: Vorstellen der intellektuelle Zustand, Urteilen der intellektuelle Vorgang, F\u00fchlen der emotionale Zustand u. s. w. \u2014 Die Symmetrie \u00e0 la Fant wird aber dann sc stark, dafs man nicht anders als an die schlimmen Erfahrungen, die man mit Kants \u201eartigen Betrachtungen\u201c an derlei \u201eTafeln\u201c gemacht hat, erinnert werden kann und von einer minder systematischen Empirie bleibendere Erfolge erwarten mufs.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"A. Hofier.\n74\ndafs j\u00fcngst Meinong sich auf die ganz gleiche Entgegenstellung gef\u00fchrt gesehen hat. Er sagt gegen Schlufs seiner \u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der psychischen Analyse:1 \u201e..Das psychische Analogon des Gegensatzes von Bewegung und Buhe bietet sich im Gegens\u00e4tze von Aktivit\u00e4t und Passivit\u00e4t dar, welches f\u00fcr sein Gebiet kaum weniger fundamental sein wird, als das erstgenannte f\u00fcr das physische. Auch hier kann sich die Charakteristik nur an zeitlich aus einander liegenden Punkten vollziehen. Wer thut, mufs etwas thun; dieses Etwas ist ein Zielpunkt, auf den das Thun gerichtet ist und mit dessen Erreichung es seinen nat\u00fcrlichen Abschlufs findet. Wer leidet, leidet freilich auch \u201eetwas\u201c; aber dafs dieses Etwas zum Leiden in ganz anderem Verh\u00e4ltnis steht, als jenes Etwas zum Thun, das erhellt schon daraus, dafs das Objekt des Leidens vom ersten Augenblicke des passiven Zustandes an gegeben sein mufs;2 aber das Unver\u00e4nderte, Bichtungslose charakterisiert die Passivit\u00e4t wie die Buhe. Dagegen gestatten psychische Elemente, die, weil jede Strecke als solche bereits komplex ist, punktuell gedacht werden m\u00fcssen, eine Auseinanderhaltung von Aktiv und Passiv nicht ; sagt man gleichwohl ganz selbstverst\u00e4ndlich, Vorstellen und F\u00fchlen sei passiv, Urteilen und Begehren aktiv, so hat man dabei aber nicht mehr Elementares, sondern zeitlich Ausgedehntes im Auge. Dies schliefst nat\u00fcrlich keineswegs aus, dafs Vorstellen, Urteilen, F\u00fchlen und Begehren auch bereits als sozusagen punktuelle Thatsachen gegeneinander wohl charakterisiert seien und zugleich eine vollst\u00e4ndige Disjunktion ausmachen, was, sobald man die Termini auf das Gebiet des Aktiven und Passiven, d. h. auf das Komplexionsgebiet, \u00fcbertragen hat, keineswegs mehr der Fall ist, da z. B. Analysieren und Vergleichen zwar ein Thun an Vorstellungen, aber nicht selbst ein Vorstellen ist.\u201c\n1\tDiese Zeitschr., Bd. VI, S. 448 ff.\n2\tDies gilt vielleicht nicht uneingeschr\u00e4nkt \u2014 wenigstens nicht f\u00fcr die engere Bedeutung des Wortes \u201eLeiden\", wie in: \u201eden Kelch der Leiden bis zur Hefe leeren\", worin geradezu an das Gef\u00fchrtwerden von einer \u201eLeidensstation\u201c zur anderen gedacht ist. \u2014 Dafs aber das Wort \u201eLeiden\u201c \u00fcberhaupt in dieser Weise \u00e4quivok werden konnte \u2014 als Gegensatz einerseits zu \u201eThun\u201c, andererseits zu \u201eFreude\u201c \u2014 mag, insoweit aus der Sprache \u00fcberhaupt auf die Sache zu schliefsen ist, unter anderem f\u00fcr die im \u00a7 33 zu entwickelnde Beziehung zwischen Lust und psychischer Arbeit sprechen.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n75\nIch kann die wesentlichste von den angef\u00fchrten Charakteristiken, dafs Urteilen und Begehren ein Thun und dafs jedes Thun auf ein Ziel gerichtet sei, vollst\u00e4ndig acceptieren. Dagegen w\u00fcrde, wrenn jenes \u201eThun\u201c seinerseits wieder durch die Art, wie ihm das zeitlich Ausgedehntsein noch in st\u00e4rkerem Mafse eigent\u00fcmlich ist, als der unver\u00e4nderten, richtungslosen Passivit\u00e4t des Vorstellens und F\u00fchlens, schon ersch\u00f6pfend beschrieben sein sollte, kein Platz bleiben f\u00fcr jenes Moment der \u201eSpannung\u201c, das wir (\u00a7 6) als den einen ph\u00e4nomenalen Faktor zun\u00e4chst im Begriffe der mechanischen Arbeit aufgezeigt haben. Aber dieser Platz bleibt, n\u00e4her besehen, darin offen, dafs \u201eVorstellen, Urteilen, F\u00fchlen und Begehren auch bereits als sozusagen punktuelle Thatsachen gegeneinander wohl charakterisiert sind\u201c. Wieder k\u00f6nnte freilich dieses Charakterisiertsein von der Art sein, dafs es sich jeder weiteren Zerlegung der Ph\u00e4nomene in Einzelmerkmale entzieht. Und ob, wenn es sich ihr nicht entzieht, sich im Begehren und im Urteilen gerade etwas wie \u201eSpannung\u201c aufzeigen lasse, das im Vorstellen und F\u00fchlen fehlt, ist durch das zugegebene Charaktisiertsein auch nicht einmal angedeutet.\nWollen wir daher den allgemeinen Eindruck eines Gegensatzes von Arbeiten und Nicht arbeiten, wie er im vorstehenden festgehalten ist, n\u00e4her auf seine Berechtigung pr\u00fcfen, so giebt es keinen verl\u00e4fslicheren Weg, als eben jede einzelne der vier Klassen f\u00fcr sich ins Auge zu fassen und nicht nur auf einen allgemeinen Aspekt hin, noch weniger auf Grund von logischen Kunstst\u00fccken, wie die Einteilungskreuzung von statisch und kinetisch, intellektuell und emotional eines w\u00e4re, zuzusehen, was sich zu Gunsten einer Einreihung der Ph\u00e4nomene jeder einzelnen der vier Grundklassen unter die Arbeiten, bezw. Nichtarbeiten geltend machen l\u00e4fst.\nWir beginnen dabei, entgegen der f\u00fcr eine allseitige systematische Behandlung der psychischen Thatsachen immer noch1 am besten sich empfehlenden Keihenfolge gem\u00e4fs der obigen\n1 An einem Versuche, etwa Paulsens (JEinl. in die Philosophie, 116 ff.) Forderung einer \u201evoluntaristischen\u201c im Gegens\u00e4tze zur vor-ScHOPEN-HAUERSchen \u201eintellektualistischen\u201c Psychologie durch eine systematische Darstellung zu verwirklichen, deren erstes Kapitel der \u201eWille\u201c und in dem die \u201eSinnesempfindung\u201c als \u201eantizipiertes organisches Gef\u00fchl\u201c dargestellt w\u00e4re, fehlt es meines Wissens bis jetzt.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nA. H\u00f6fler.\nBezeichnung 1, 2, 3, 4, f\u00fcr diesmal mit den Begebungen, speziell dem \"Wollen, weil wir, wie gesagt, hier auf eine psychische Arbeit, dagegen in der anderen emotionalen Klasse, dem F\u00fchlen, auf eine Nichtarbeit zu treffen erwarten. Und \u00e4hnlich behandeln wir die Urteile vor den Vorstellungen. \u2014 F\u00fcr das Voranstellen der Begehrungen als emotionaler vor die Urteile als intellektuelle Arbeit sei vorl\u00e4ufig nur geltend gemacht, erstens, dafs ja der gew\u00f6hnliche und sehr h\u00e4ufig auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch den Begriff des Thuns in mehr oder minder ausschliefsliche Beziehung zum Wollen setzt (n\u00e4heres hier\u00fcber \u00a7 24); und zweitens, dafs sich der Begriff einer psychischen Spannung am \u00fcberzeugendsten durch gewisse Begleiterscheinungen des Wollens als sachlich begr\u00fcndet erweisen l\u00e4fst.\nDer Betrachtung der vier Grundklassen mag sich dann noch Einiges \u00fcber Aufmerksamkeit, Apperzeption u. s. w. anschliefsen, weil auch gerade in diesen Dingen der Begriff psychischer Arbeit sich als besonders lichtgebend zu erweisen verspricht.\nA. Begehrungen, insbesondere Wollen.\n\u00a7 23. Zweierlei Abgrenzungen sind es, deren der Begriff des Thuns, den wir in vorl\u00e4ufiger Bestimmung zum Begriff psychischer Arbeit in n\u00e4chster Beziehung stehend fanden, gegen\u00fcber allerlei Schwankungen des gew\u00f6hnlichen und leider auch des wissenschaftlichen Sprachgebrauches bedarf. Erstens eine Unterscheidung zwischen Thun, Th\u00e4tigkeit in einem seht allgemeinen und in einem strikten Sinne. Zweitens die Abgrenzung von Thun und Wollen.\nIn ersterer Beziehung braucht nur an den ganz allgemeinen Sinn erinnert zu werden, in welchem die \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c als \u201elogische Kategorie\u201c 1 den Dingen, Eigenschaften u. s. w. an die Seite gestellt wird, wobei hier uner\u00f6rtet bleiben mag, wieviel von dem \u201eLogischen\u201c dieser Kategorie etwa einfach\n1 Auch speziell die gleickm\u00e4fsige Verwendung des Ausdruckes \u201eAkt\" bei allen vier Grundklassen, sowohl der aktiven wie der passiven (\u201eVorstellungsakt, IJrteilsakt . .\"), der als Gegenst\u00fcck zu \u201eInhalt\u201c allerdings unentbehrlich ist, macht die Unterscheidung eines allgemeinen und eines strikten Sinnes des Wortes \u201eAkt\" speziell im Psychischen weder unm\u00f6glich noch \u00fcberfl\u00fcfsig.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\n77\nauf Rechnung des grammatischen Terminus \u201eTh\u00e4tigkeitswort\u201c kommt. Jedenfalls kommen wir in psychologischer Beziehung nicht weit, wenn wir alles, was nur irgend ein Verbum bezeichnet, sei es nun \u201eschlagen\u201c, \u201earbeiten\u201c oder blofs \u201esein\u201c oder gar \u201eleiden\u201c, in gleichem Mafse als \u201eTh\u00e4tigkeiten\u201c wollen gelten lassen. Was aber ist dann der striktere Sinn, in dem wir Th\u00e4tigsein dem Leiden entgegenstellen?\nOhne Zweifel liegt ein solcher strikterer Sinn vor, wo das Thun speziell als zum Wollen in Beziehung gedacht wird, womit nat\u00fcrlich noch lange nicht bewiesen ist, dafs wir es mit einem ausschliefslichen Sinne zu thun haben; halten wir uns aber f\u00fcrs erste an diesen fest zu fassenden Begriffskern.\n\u00a7 24. Das Verh\u00e4ltnis von Wollen und Thun sollte nachgerade als jedem Mifsverst\u00e4ndnis entr\u00fcckt gelten k\u00f6nnen, da ja namentlich im Hinblick auf die unz\u00e4hlige Male berichtigten Mifsverst\u00e4ndnisse, welche der Determinismus infolge der Verwechselung von Thun und Wollen erfahren hat, immer wieder nicht nur die M\u00f6glichkeit, sondern auch die Wichtigkeit der Unterscheidung betont worden ist. Z. B. nach den fast handgreiflichen Berichtigungen, welche Schopenhauer1 dem Schl\u00fcsse widmet: \u201eIch kann thun, was ich will, also ist mein Wollen frei\u201c, bed\u00fcrfte es f\u00fcglich nicht mehr einer Berufung auf die scholastische Unterscheidung zwischen actus elicitus und actus imperatus,2 um Wollen von gewolltem Thun auseinanderzuhalten. Was die trotzdem nicht nur bei Anf\u00e4ngern immer noch vorkommenden Verwechselungen erkl\u00e4ren, wenn auch nur schwach entschuldigen mag, ist das Wort Willenshandlung, das freilich ebenso leicht an ein Wollen selbst wie an das durch das Wollen \u201ebewirkte\u201c Geschehen denken l\u00e4fst. Halten wir also unsererseits fest, dafs ersteres einfach \u201eWollen\u201c, dagegen letzteres \u201eHandlung\u201c oder \u201eThat\u201c heifsen soll. (Die manchmal ganz brauchbare Unterscheidung zwischen der Handlung als der n\u00e4chsten, der That als der Gesamtheit aller aus dem Wollen hervorgehenden Glieder einer Kausalkette ist f\u00fcr unsere Zwecke nicht von Belang.)\nWenn nun Thun = gewolltes Geschehen unter den strikteren Sinn des Wortes Thun f\u00e4llt, macht es dann diesen Sinn\n1\tNamentlich in der \u201eFreiheit des WillensH. \u201eDer Wille vor dem Selbstbewu\u00dftsein\u201c.\n2\tZ. B. hei Marty, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., Jahrg. 1886, S. 101.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nA. H\u00f6fler.\nschon ausschliefslich ans? Wohl kaum, wenn man nicht die Restriktion \u00fcber den gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch hinaus treiben will. Auch indem ich will, vollziehe ich ja ein inneres Thun, das sich vom Eintreten des gewollten Geschehens \u2014 nach dem alten, aber immer wieder nicht genug gew\u00fcrdigten H\u00fcMEschen Argument \u2014 schon dadurch scharf abhebt, dafs ich ja auch z. B. den Arm bewegen gewollt habe, wenn er, von mir unbemerkt, einer L\u00e4hmung unterlegen ist; und dafs ich mich auf ein Wort besinnen gewollt habe, auch wenn es mir nicht einf\u00e4llt.\nIst aber nun vielleicht durch die beiden F\u00e4lle \u201egewolltes Thun\u201c und \u201ewollendes Thun\u201c der Umfang des Begriffes Thun schon ersch\u00f6pft? Auch dies nicht, wenn wir uns z. B. beim Urteilen wirklich th\u00e4tig wissen, was freilich erst im zweitn\u00e4chsten Abschnitte noch einmal erwogen werden mufs.\nSind wir aber so einmal zwei Schritte \u00fcber die Umfangsbestimmung Thun = gewolltes Geschehen hinausgegangen, so fragt sich, wo nun die Grenze f\u00fcr den strikteren Sinn ist. Und wir werden hierauf zun\u00e4chst antworten d\u00fcrfen, dafs, wenn das Geschehen ein physisches ist, wir wirklich nur insoweit von einem Thun im eigentlichen Sinne werden reden d\u00fcrfen, als ein Wollen dahintersteckt oder \u2014 hier gleichviel, ob mit Recht oder mit Unrecht \u2014 dem Geschehenen als \u201eUrsache\u201c zu Grunde liegend vorgestellt wird. Ist dagegen das Geschehen ein psychisches, so wird sich kaum eine andere Grenze f\u00fcr die Anwendung des Begriffes Thun, Th\u00e4tigkeit, Aktivit\u00e4t ziehen lassen als durch die Grenze zwischen psychischer Arbeit und Richtarbeit. Al&o nicht, weil sich uns Wollen als ein psychisches Thun darstellt, nennen wir es eine Form psychischer Arbeit, sondern weil und insoweit es sich als psychische Arbeit erweisen l\u00e4fst, hat es streng begr\u00fcndeten Anspruch auf die Subsumption unter den Begriff eines psychischen Thuns, teilt nun aber diesen Anspruch noch mit anderen psychischen Vorg\u00e4ngen.\nWenden wir uns von diesen. terminologisch-begrifflichen Er\u00f6rterungen zu solchen, die zwar auch die Rechtfertigung eines Terminus, des im bisherigen schon so oft gebrauchten \u201ePsychische Spannung\u201c mit zum Gegenst\u00e4nde haben, vor allem aber auf bisher, wie es scheint, wenig beachtete deskriptive Unterschiede in den Th at Sachen selbst die Aufmerksamkeit lenken m\u00f6chten.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n79\n\u00a7 25. Psychische Spannungen bei Motiven-konflikten. \u2014 Die Mechanik lehrt: Wenn an einem Punkte zwei gleiche Kr\u00e4fte nach entgegengesetzten Pachtungen angreifen, ist ihre Pesultierende gleich Kuli. Man sagt auch, die Kr\u00e4fte heben sich auf, und versteht dies wieder so, als w\u00e4re es ebensogut, wenn gar keine Kr\u00e4fte, als wenn zwei gleiche entgegengesetzte an dem Punkte gewirkt h\u00e4tten. So landl\u00e4ufig diese Gedanken und Ausdrucksweisen sind, so beschreiben sie den Sachverhalt, wenn schon nicht unrichtig, doch unvollst\u00e4ndig. Kicht unrichtig, wenn von vornherein nur die kinetischen Wirkungen gemeint sind, aber unvollst\u00e4ndig, weil von den statischen Begleiterscheinungen1 hierbei abgesehen wird. Greifen an den beiden Enden eines Seiles einmal Kr\u00e4fte von 1 kg und 1 kg, ein andermal von 100 kg und 100 kg an, so ist zwar die kinetische Wirkung, und zwar in beiden F\u00e4llen, ebenso Kuli, als wenn die Kr\u00e4fte selbst 0 und 0 gewesen w\u00e4ren; aber die \u201eSpannung\u201c des Seiles ist im ersteren Falle 100 Mal so grofs als im zweiten, im letzten ist auch sie Kuli. Allgemeiner sind auch die Wirkungen zweier nicht gleicher entgegengesetzter, und noch allgemeiner auch die beliebig gerichteter Kr\u00e4fte, immer von statischen, d. h. Spannungserscheinungen begleitet.\nEs ist mir nicht bekannt, dafs man die auf psychischem Gebiete so naheliegende Analogie zu diesen Thatbest\u00e4nden schon unter dem Gesichtspunkte der letzteren ganz ausdr\u00fccklich betrachtet h\u00e4tte. Der \u201eEsel des Buridan\u201c bringt es zwischen den zwei Heub\u00fcndeln zu keiner Bewegung nach dem einen oder dem anderen hin und auch nicht einmal zu einem Entschl\u00fcsse zu Gunsten des einen oder anderen. Dies das Ausbleiben eines kinetischen Effektes sowohl im Physischen wie im Psychischen. Aber der statische Effekt der wehthuenden Wahl wird von Augenblick zu Augenblick gr\u00f6fser, je gr\u00f6fser das hungrige Verlangen nach jedem der beiden B\u00fcndel wird.\n\u00a7 26. Die Analogie erlaubt und verlangt aber noch eine weitere Spezialisierung. Die Vorlage zum \u201eEsel des Buridan\u201c findet sich bei Dante:2\n1\tD\u00fchring (Gesch. d. Mechanik) weist auf sie nachdr\u00fccklich hin.\n2\tParadies, IY. G-esang, 1\u20148. \u2014 Schopenhauer, (Freiheit des Willens, Ausg. 1874, S. 59) macht aufmerksam, dafs der Gedanke auf Aristoteles, De coelo, II, 13, zur\u00fcckgeht.","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nA. Softer.\n\u201eZwischen zwei Speisen, gleich entfernt nnd lockend Ging hungrig wohl ein freier Mann zu Grund,\nNicht von der einen noch der andern brockend.\nSo st\u00fcnd\u2019 ein L\u00e4mmchen zwischen Schlund und Schlund Von zweien W\u00f6lfen fest, in gleichem Zagen,\nSo st\u00fcnd\u2019 auch zwischen zweien Reh\u2019n ein Hund:\nSo liefs verschied\u2019ner Zweifel mich nicht fragen.\nIch schwieg nur, weil ich mufst\u2019...u\nMan vergleiche den Zustand des Hundes mit dem des Lammes und wieder den eines Kautschukzylinders, l\u00e4ngs dessen Achse an den Enden zwei \u201eKr\u00e4fte\u201c nach ausw\u00e4rts ziehen oder aber nach einw\u00e4rts dr\u00fccken. Wir k\u00f6nnen in letzterem Falle eine Zug-Spannung und eine Druck-Spannung unterscheiden. Und so unterliegt der Hund (ebenso wie \u201eder freie Mensch\u201c bei Aristoteles und Dante und wie der Esel des Buridan) nach den beiden Zielen, die in ihm positive Begehrungen erregen, einer Zugspannung, die wir nach der mechanischen Analogie, und solange kein psychologischer Grund f\u00fcr eine andere Funktionsbeziehung spricht, proportional der Gr\u00f6fse des Verlangens zu setzen haben. Das Lamm, das jeden der beiden W\u00f6lfe zu fliehen w\u00fcnscht, erf\u00e4hrt eine Druckspannung. \u2014 Im letzteren Falle ist allerdings nicht recht einzusehen, warum das Lamm, indem es den einen Hachen flieht, nicht eine Flucht nach der Normale zur Verbindungslinie der beiden Rachen versucht; das Gleichgewicht seiner beiden negativen Begehrungen w\u00e4re an jenem Punkte jedenfalls nur ein labiles. In der That stehen dem hier fingierten Falle solche F\u00e4lle nahe, in denen wir von zwei\n>i\ngleichen \u00dcbeln nicht nur keines w\u00e4hlen, sondern ihnen gleich-m\u00e4fsig aus dem Wege gehen, indem wir gleichsam in der Symmetrale des mehr oder minder stumpfen Winkels, unter welchem diese psychischen Kr\u00e4fte auf uns einwirken, beiden \u00dcbeln zugleich entfliehen. \u2014 Das hier ebenso paradox wie Buridans \u201eSophisma\u201c Ausgedr\u00fcckte bedarf wohl keiner weiteren Belegung durch Beispiele, um uns den allgemeinen Satz zu gestatten :\nMotivenkonflikte, das will (nach Meinong) sagen, Mehrheiten von Teilursachen zu Begehrungen, deren Ziele miteinander unvertr\u00e4glich sind, f\u00fchren zu innerlich wahrnehmbaren Begleiterscheinungen, die schon die gew\u00f6hnliche Sprache als","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n81\nZust\u00e4nde seelischer Spannung kennt und benennt.1 Man mag geneigt sein, sie kurzweg als Unlustzust\u00e4nde zu beschreiben. Doch wollen wir der Frage, ob es besser ist, sie selbst Unlust zu nennen, oder Spannung und Unlust als unterscheidbare Momente begrifflich auseinanderzuhalten, in \u00a7 33 noch eine besondere Betrachtung widmen.\n\u00a7 27. Die hier geschilderten Vorkommnisse bei Begehrungen d\u00fcrften einen Gesichtspunkt abgeben, um eine nicht selten zu vernehmende These in Sachen der Begriffsbestimmung des Willens auf ihr richtiges Mafs zur\u00fcckzuf\u00fchren. So sagt j\u00fcngstens Ziegler2: \u201eAll unser Thun ist durch Gef\u00fchle hausiert. Wo diese uns eindeutig und direkt in Bewegung setzen, da reden wir nicht von Wollen, sondern nur, wo eine Spannung zu l\u00f6sen ist, wo Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden sind, ein Motiv sich gegen ein anderes durchsetzen mufs, wo sich das Kraftgef\u00fchl als Gef\u00fchl der Anstrengung \u00e4ufsert . . .\u201c Es ist dies, wie man sieht, die alte Lehre, wonach rechtes Wollen erst im W\u00e4hlen sich zeige, das Analogon zu derjenigen (HERBARTschen)\nM\nAnsicht von Urteilen, die erst das aus \u00dcberlegung hervorgegangene als ein wirkliches Urteil will gelten lassen. Solchen Auffassungen ist oft genug widersprochen worden und, wie ich glaube, mit guten Gr\u00fcnden. Vielleicht l\u00e4fst sich aber die Neigung, erst dort von Wollen und Urteilen, mit dem Nebengedanken h\u00f6herer Bewertung, zu sprechen, \u201ewo eine Spannung zu l\u00f6sen war\u201c, gerade wieder unter dem Gesichtspunkte der psychischen Arbeit verstehen, n\u00e4mlich so, dafs man sich ein Wollen, ein Urteilen als etwas ganz M\u00fcheloses, gegen keinerlei Widerstand Wirkendes, nicht zu denken vermag. Eben diesem Gedanken aber l\u00e4fst sich gerecht werden, wenn man, um gleich wieder das mechanische Analogon heranzuziehen, sich gegenw\u00e4rtig h\u00e4lt, dafs ja auch eine Kraft, falls sie etwa eine Masse\n1\tIch habe z. B. in meiner Bearbeitung von Schabus, Anfangsgr\u00fcnde der Naturlehre, 1881, den Begriff der \u201eelektrischen Spannung\u201c, die aus der gegenseitigen Abstofsung gleichnamiger Ladungselemente auf der Oberfl\u00e4che eines Leiters herr\u00fchrt, erl\u00e4utert durch den Hinweis auf die Phrase: \u201ees herrscht eine Spannung\u201c zwischen einander nicht eben freundlich Gesinnten; was ich hier nur anf\u00fchre, weil es doch einen psychologischen Grund haben mufs, dafs derlei Analogien auch bei ganz Unbefangenen sofort ansprechen.\n2\tBas Gef\u00fchl (1893), S. 308.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nA. H\u00f6fler.\nin Beschleunigung versetzt, dies infolge der \u201eBeharrung\u201c der \u201eMasse\u201c, (wor\u00fcber n\u00e4heres in \u00a7 45) auch wenn keinerlei zweite \u201eKraft\u201c entgegenwirkt, nur unter der Begleiterscheinung von Spannung thun kann ; also ohne Gleichnis : dafs, wer auch ohne allen MotivenkonfLikt will, aber etwas will, was ohne Aufwand von Willensenergie eben nicht zu haben ist, einer psychischen Spannung sich bewufst werden kann und mufs. Vielleicht tritt noch deutlicher in dem, was man als \u201eStreben\u201c vom Wollen unterscheidet, dieses Moment der psychischen Spannung vor die psychologische Phantasie. \u2014 Und eine weitere Frage w\u00e4re es, ob nun auch in anderen Formen des Begehrens, also vor allem im W\u00fcnschen, noch ein derartiges Element sich aufzeigen lasse. Ich glaube, ja. Nur m\u00fcfste die Begr\u00fcndung hier auf alle die keineswegs schon einhellig beantworteten Fragen ein-gehen, ob W\u00fcnschen \u00fcberhaupt schon ein Begehren, oder vielleicht noch blofs ein Gef\u00fchl sei, und worin \u00fcberhaupt W\u00fcnschen, Streben, Wollen und was man sonst etwa noch an koordinierten oder subordinierten Formen von Begehrungen anf\u00fchren mag, sich voneinander unterscheiden. Hier\u00fcber nur soviel: Erstens: Es lassen sich Wesen denken, die zwar f\u00fcr Freud und Leid empf\u00e4nglich, aber die so \u201epassiv\u201c sind, dafs sie es nicht nur zu keinem Entschlufs oder einem Anstreben des Erreichens, bezw. Fliehens der Lust und Unlust bringen, sondern auch nicht einmal zu einem Wunsch hiernach. Dafs wir solche Wesen nicht sind, vielleicht \u00fcberhaupt keine solchen in der Erfahrung kennen, macht die Konstatierung des sozusagen logischen Verh\u00e4ltnisses zwischen F\u00fchlen und Begehren, speziell W\u00fcnschen nicht wertlos: es ist eben nur das Verh\u00e4ltnis blofs empirischer Koexistenz (im Gegensatz zu dem, welches z. B. zwischen Urteilen und Vorstellen besteht, welches ein nicht blos thats\u00e4chliches, sondern ein apriorisches ist: es liegt im Begriff des Urteiles, dafs man nur beurteilen kann, was man vorstellt). Zweitens: Auch nur soviel \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Wunsch und Gef\u00fchl zugegeben, l\u00e4fst sich schon nicht mehr verkennen, dafs auch der leiseste, hoffnungsloseste, unth\u00e4tigste Wunsch noch ein Element des Hin- oder Wegdr\u00e4ngens, der Zug- oder Druckspannung aufweist, das der rein passiven Lust und Unlust fehlt, und dessen Fehlen hier vielleicht der psychologischen Phantasie am auffallendsten die Grenze zwischen Begehren und \u201eblofsem\u201c Gef\u00fchl weisen mag.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n83\n\u00a7 28. Viel weniger subtil als Erw\u00e4gungen der letzteren Art sind die, mit welchem Recht denn bisher \u00fcberhaupt von psychischen Spannungselementen die Rede war. Seitdem Fechner darauf aufmerksam gemacht hat, dafs an der jedermann so wohl bekannten \u201eSpannung der Aufmerksamkeit\u201c unleugbar Spannungsempfindungen beteiligt seien, haben es ja die letzteren zu allergr\u00f6fstem Ansehen gebracht. In derjenigen (BRENTANOsehen) Terminologie, welche mir f\u00fcr derlei F\u00e4lle noch immer als die deutlichste erscheint, sind Spannungs-empfindungen als physische Ph\u00e4nomene zu bezeichnen. Und w\u00fcrde sich das Wollen wirklich restlos als Innervationsempfindung beschreiben lassen, dabei Empfindung im Sinne von Empfindungsinhalt, nicht Empfindungsakt genommen (insoweit nicht sogar auch diese Gegen\u00fcberstellung noch angefochten wird), w\u00e4re auch das Wollen ein physisches Ph\u00e4nomen. Ich gestehe, mich in derlei Auffassungen zwar hineindenken, sie aber nie und nimmer mit dem Inhalt meiner inneren Wahrnehmung, oder wie man diese wieder nennen will, in Einklang bringen zu k\u00f6nnen. Und was nun das Spannungselement im Wollen \u2014 halten wir uns hier wieder an das auff\u00e4llige Ph\u00e4nomen der Motivenkonflikte \u2014 betrifft, so scheint es mir immer noch unbefangener, es selbst ebenfalls als ein psychisches Element gelten zu lassen, als es in Muskel- und Innervationsinhalte aufl\u00f6sen zu \u201ewollen\u201c. Zumal in den F\u00e4llen, wo, wie im allerletzten Beispiel, das Wollen selbst auf eine psychische, nicht auf eine physische That, hier die L\u00f6sung einer rein theoretischen Aufgabe, gerichtet ist, liegt ja nicht einmal die durch das Wort \u201eWillenshandlung\u201c zu begreifende Versuchung vor, etwas von den Empfindungsinhalten, welche das \u201eAusf\u00fchren\u201c eines auf Leibesbewegungen gerichteten, oder sich ihrer bedienenden Wollens begleiten, in das Wollen selbst hineinzuverlegen.\nEndlich aber gar eine apriorische Ablehnung wird die Annahme solcher psychischer Spannungen zun\u00e4chst im Wollen, dann aber auch bei anderen Formen psychischer Arbeit, wo die Beobachtung auf Spannungen hinzuweisen scheint, wohl nicht zu bef\u00fcrchten haben. Unterscheiden wir ja doch auch physische wie psychische \u201eQualit\u00e4ten\u201c, physische wie psychische \u201eIntensit\u00e4ten\u201c, und auch Zeitbestimmungen, je nachdem sie durch physische oder psychische Qualit\u00e4ten","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nA. Hofier.\nund Intensit\u00e4ten \u201e erf\u00fcllt1\u201c sind, rechnen wir dort in das physische, hier in das psychische Ph\u00e4nomen ein (vgl. \u00a7 56). Warum also sollte sich ein solcher ph\u00e4nomenaler Dualismus nicht auch auf Spannungen anwenden lassen? Nat\u00fcrlich mufs eine psychische Spannung mit einer physischen so viel gemein haben, dafs sich ihre Subsumption unter das eine G-enus \u201eSpannung\u201c \u00fcberhaupt noch rechtfertigen l\u00e4fst. Aber das ist ja nicht merkw\u00fcrdiger als dafs wir recht gut wissen, warum wir z. \u00df. Bejahung und Verneinung als psychische \u201eQualit\u00e4ten\u201c, nicht etwa als \u201eIntensit\u00e4ten\u201c bezeichnen. Auch dies sei behufs Ausschliefsung von Mifsverst\u00e4ndnissen noch ausdr\u00fccklich bemerkt, dafs wir Spannung nicht etwa in der Reihe der obersten Genera neben Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t aufgef\u00fchrt sehen m\u00f6chten, sondern dafs sie unter die Qualit\u00e4ten geh\u00f6rt, wie ja dies speziell bei der physischen Spannung ebensoleicht zugegeben werden wird, wie etwa von der ihr inhaltlich jedenfalls nahestehenden Ber\u00fchrungs- oder Druckqualit\u00e4t. Und wie diese wird sie unbeschadet des Umstandes, dafs sie eine Qualit\u00e4t \u201eist\u201c, auch verschiedene Intensit\u00e4ten \u201ehaben\u201c k\u00f6nnen.\nSollte die vorstehenden Bestimmungen das Schicksal treffen, sich als mehr oder minder verbesserungsbed\u00fcrftig zu erweisen, so m\u00f6gen sie wenigstens in der \u00dcbergangszeit, da gegen den \u00fcbertriebenen Kultus der Spannungsempfindungen die scharfe Reaktion nicht ausgeblieben ist, vielleicht einige neue Gesichtspunkte, sei es zum Halten des Haltbaren, sei es zum Ausscheiden des Unhaltbaren, beigebracht haben.\n\u00a7 29. Getrauen wir uns also bis auf weiteres, an einen psychischen p-Faktor im Wollen zu glauben, so werden wir um die Aufzeigung des ^-Faktors nicht verlegen sein. Wer \u201eunentwegt\u201c (sei hier der sprachlich bedenkliche Ausdruck einmal um der Sache willen gestattet) einem weit ausschauenden Ziel zustrebt und es an keinem Punkte des langen Weges an Aufwand von Willensenergie hat fehlen lassen, der hat, wenn wir die Spannung geradezu als konstant annehmen, zweimal soviel Willensarbeit geleistet, wenn es ein zweimal so entferntes Ziel war. Was hier \u201ezweimal so entfernt\u201c heifst, ist nicht schwerer, freilich auch nicht leichter zu sagen, als was der ^-Faktor in unserem Beispiele der zu addierenden Ziffernreihe besagen wollte: nat\u00fcrlich nicht die r\u00e4umliche L\u00e4nge selbst, aber etwas, das ihr im Falle einer homogenen Additions- und","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n85\ndesgleichen Willensarbeit proportional ist. Wir sagten: was hier \u201ezweimal so entfernt\u201c heifst. Inwieweit \u00fcberhaupt und gar wie genau ein quasi extensives Ausmessen der quasi Extension von Willensaufgaben in Wirklichkeit durchzuf\u00fchren w\u00e4re, ist nat\u00fcrlich eine ganz andere, keineswegs leichte und sicherlich nur angesichts konkreter F\u00e4lle einigermafsen befriedigend zu beantwortende Aufgabe. Wir werden auf die analoge Frage noch mehrmals stofsen und einer Antwort am n\u00e4chsten in \u00a7\u00a7 73\u201475 kommen.\nB. Gef\u00fchle.\n\u00a7 30. Das \u201eLustgesetz\u201c. \u2014 Die Frage: \u201eWas ist ein Gef\u00fchl?\u201c wird heute unbeanstandet fast allgemein beantwortet mit der Umfangsangabe: Lust und Unlust. Aber auch die weitere Frage: \u201eWas ist Lust, was Unlust?\u201c wird keineswegs als unbeantwortbar zur\u00fcckgewiesen oder ganz unterlassen, wiewohl ziemlich allgemein anerkannt ist, dafs Lust ein ebenso letztes und seiner Einfachheit wegen undefinierbares Ph\u00e4nomen ist, wie etwa Bot. Sondern vielleicht eben wegen dieser Einsicht versteht man die Frage: \u201eWas ist Lust?\u201c (wie wir statt der allgemeineren \u201eWas ist ein Gef\u00fchl?\u201c f\u00fcr die n\u00e4chsten theoretischen Bemerkungen zu sagen uns begn\u00fcgen wollen) nur in dem Sinne: \u201eWelches ist die allgemeine, notwendige und ausreichende Bedingung oder Summe von Bedingungen f\u00fcr das Zustandekommen von Lust?\u201c Also nicht eine deskriptive, sondern eine genetische Antwort ; gelingt sie, so d\u00fcrften wir ihren Inhalt kurzweg als \u201edas Lustgesetz\u201c bezeichnen. \u2014 Es sei, ohne dafs die erforderliche kritische Begr\u00fcndung hier m\u00f6glich w\u00e4re, das Gest\u00e4ndnis gestattet, dafs mir keiner der bisher versuchten Wege, dieses Ziel der Gef\u00fchlstheorie zu erreichen, zu einem wirklich ein wurfsfreien Lustgesetze gef\u00fchrt zu haben scheint. Gleichwohl ist vielleicht auf jedem dieser Wege irgend ein Beitrag zur L\u00f6sung zu finden; und so wollen wir einem der Wege nachgehen, der wieder durch das Gebiet der psychischen Energie mitten hindurch f\u00fchrt.\n\u00a7 31. Das Lustgesetz und der Energiebegriff. \u2014 Mit einer gewifs nicht unbedeutsamen H\u00e4ufigkeit und Mannigfaltigkeit sind Antworten auf die Frage : \u201eWas ist Gef\u00fchl, was ist Lust und Unlust?\u201c durch Beziehungen auf den Energie-","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nA. H\u00f6fler.\nbegriff zu geben gesucht worden. Gelegentlich der Er\u00f6rterung mehrerer hieran r\u00fchrender Theorien sagt Fechner1:\n\u201eVon Unbestimmtheit und Unklarheit jedenfalls frei ist die Ansicht, welche Z\u00f6llner in seinem Kometenbuche (1. AufL 325 ff.) im Zusammenh\u00e4nge mit allgemeineren Ansichten \u00fcber die physische Begr\u00fcndung psychischer Th\u00e4tigkeit aufgestellt hat, wonach Verwandlung von Spannkraft, Potenzialenergie in lebendige Kraft mit Lust, die umgekehrte Verwandlung mit Unlust behaftet ist, indem die Ausdr\u00fccke hierbei in exakt physikalischem Sinne zu verstehen sind. Insofern jedoch hiernach Wachstum der lebendigen Kraft \u00fcberhaupt mit Lust, Abnahme mit Unlust verkn\u00fcpft sein m\u00fcfste, m\u00f6chte ich diese Ansicht faktischen Einw\u00fcrfen wie den obigen nicht entzogen halten.\u201c\nEine umfassende und umsichtige Darstellung und Kritik einschl\u00e4giger Theorien hat neuestens Alfred Lehmann in seinem wertvollen Buche \u201eDie Hauptgeselze des menschlichen Gef\u00fchlslebens\u201c 1892, gegeben. Freilich gehen die durch diese Kritik beleuchteten Divergenzen der einzelnen Ausgestaltungen des Gedankens, dafs Lust und Unlust etwas mit Energieumsatz zu thun haben, so weit, dafs z. B. Dumont einer der obigen Z\u00f6llner-schen verwandten These entgegenhalten konnte: \u201eKicht in der Verausgabung der Kraft erblicken wir die Bedingungen des Vergn\u00fcgens, sondern vielmehr in dem Empfange derselben.\u201c Lehmann2 urteilt \u00fcber den Streit: \u201eBeide Auffassungen leiden jedoch an dem gemeinschaftlichen Mangel, dafs sie nur die\n1\tVorschule der \u00c4sth. II. 265. \u2014 In dem drei Jahre sp\u00e4ter (1879) erschienenen Buche: \u201eDie Tagesansicht gegen\u00fcber der Nachtansicht\u201c lehnt Fechner die Hypothese ausdr\u00fccklich ah (S. 139) \u2014 aber nur die Hypothese, dafs sich Lust an Wachstum der lebendigen Kraft der Bewegung (es ist nur die materielle gemeint) kn\u00fcpfe. Dagegen sprechen die kurz vorhergehenden Worte (S. 132) geradezu f\u00fcr unser Gesetz der psychischen Be-th\u00e4tigung (und zugleich f\u00fcr den in \u00a7 18 ber\u00fchrten Sinn des \u201eh\u00f6her\u201c in psychischen Dingen): \u201eIm Allgemeinen mifst man der Lust und Unlust einen um so niedrigeren Charakter hei, je mehr sie auf einfacher Erregung der Sinne, einfachen Wahrnehmungen, Vorstellungen \u00fcberhaupt-beruht, einen um so h\u00f6heren, je mehr sie auf Auffassung von Be Ziehungen, Verh\u00e4ltnissen, Verkn\u00fcpfungen oder der Beth\u00e4tigung des Ge ist es in solchen beruht und auf je h\u00f6here Stufe dieselben steigen. Im gew\u00f6hnlichen Leben freilich wird auch oft H\u00f6he mit St\u00e4rke von Lust verwechselt.\u201c\n2\tA. a. O. S. 155.","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n87\neine Seite der Th\u00e4tigkeit, die w\u00e4hrend des Arbeitens der Organe in diesen vorgeht, die Ausl\u00f6sung und den Umsatz der Spannkr\u00e4fte n\u00e4mlich, ber\u00fccksichtigen ; sie vergessen den anderen, ebenso wichtigen Umstand, die fortw\u00e4hrende Erneuerung durch die Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit. Wird diese mit in Betracht gezogen, so l\u00e4fst sich eine recht wahrscheinliche Hypothese von dem Verh\u00e4ltnis aufstellen..: Lust ist die psychische Folge davon, dafs ein Organ w\u00e4hrend seiner Arbeit keine gr\u00f6fsere Energiemenge verbraucht, als die Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit ersetzen kann; Unlust dagegen ist die psychische Folge jedes Mifsverh\u00e4lt-nisses zwischen Verbrauch und Ern\u00e4hrung, indem dieselbe entsteht, sowohl wenn der Verbrauch an Energie die Zufuhr \u00fcberschreitet, als auch, wenn die Zufuhr wegen Unth\u00e4tigkeit des Organs das Maximum, das angenommen werden kann, \u00fcberschreitet. \u2014 Einige Seiten sp\u00e4ter1 formuliert Lehmann noch einmal endg\u00fcltig so: \u201eEs ist anzunehmen, dafs Lust und Unlust in allen F\u00e4llen die psychischen .Resultate des Verh\u00e4ltnisses zwischen dem im gegebenen Augenblicke von dem arbeitenden System erforderten Energieverbrauch und der Energiezufuhr durch die Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit sind.\u201c\n\u00a7 32. Wie man sieht, handelt es sich hier um wesentlich physiologische, bezw. psychophysische Theorien. F\u00fcr jetzt sei es gestattet, in vielleicht k\u00fcnstlich scheinender Abgrenzung, all\u2019 diesen sozusagen in der Luft liegenden Theorien, wenn \u00fcberhaupt m\u00f6glich, nicht nur eine, sondern zwei rein psychische Seiten abzugewinnen, und indem wir diese zu einander in Beziehung setzen, ein nicht psychophysisches, sondern ein wirklich psychologisches Lustgesetz zu gewinnen. \u201eEin\u201c \u2014 nicht \u201edas\u201c; denn es d\u00fcrfte das Fehlschlagen so vieler achtbarer Versuche, mit einem Schlage alles zu erreichen, vor jeder \u00e4hnlichen Hoffnung warnen. \u2014 Voraussetzung eines Lustgesetzes in diesem Sinne ist nat\u00fcrlich, dafs uns aufser dem jeweiligen Gef\u00fchlszustande noch ein zweites, psychisches Datum, eine unmittelbar vorausgehende oder begleitende Bewufstseinsthatsache vorliege, an die wir das Gef\u00fchl zun\u00e4chst gekn\u00fcpft finden. Das ist ja nun aber thats\u00e4chlich wenigstens sehr h\u00e4ufig der Fall: wir verm\u00f6gen z. B. in der Regel, wenn wir eine lustige Geschichte h\u00f6ren, einigermafsen bestimmt herauszuheben, was\n1 A. a. O. S. 160.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nA. H\u00f6fler.\nuns \u201eeigentlich\u201c gefallen, lachen gemacht hat. Glanz allgemein kommt nach einer Formulierung Meinongs jedem Gef\u00fchl ein unmittelbarer psychischer Erreger zu. Nach dieser Formel ist z. B. im Falle sinnlicher Lust das Blau, das S\u00fcfs, welches mir angenehm ist, schon als Empfindung der unmittelbare Erreger des lustvoll Affiziertseins, und nicht etwa wird die Lust ebenso unmittelbar durch eines der Bestimmungsst\u00fccke des zentralen Vorganges erregt, wie Farbenton, Intensit\u00e4t u. s.w. durch \"Wellenl\u00e4nge, Amplitude u. s. w. und was diesen Bestimmungsst\u00fccken des \u201ephysikalischen Reizes\u201c im \u201ephysiologischen (zentralen) Reiz\u201c etwa entsprechen mag. Findet man die im Begriff \u201epsychischer Erreger\u201c gelegene Anwendung des Kausalbegriffes hier wie sonst in psychophysischen Dingen bedenklich, so mag man statt \u201eErreger\u201c nur sagen: \u201en\u00e4chster Gegenstand\u201c der Lust und Unlust.1 G\u00e4be es freilich \u201eobjektlose Gef\u00fchle\u201c, so bed\u00fcrfte auch dieses Auskunftsmittel noch einer Erg\u00e4nzung; f\u00fcr unsere Zwecke brauchen wir bei diesen Dunkelheiten der Gef\u00fchlslehre nicht zu verweilen.\n\u00a7 33. Lustgesetz und psychische Arbeit. Was ich nun nach diesen Vorbereitungen als Ausgangspunkt f\u00fcr die Aufstellung eines Lustgesetzes empfehlen m\u00f6chte, ist die naheliegende Erfahrung, dafs gelingende Arbeit mit Zufriedenheit verkn\u00fcpft, dafs nach alten Wahrheiten \u201edes Menschen Wille sein Himmelreich\u201c, \u2014 \u201ewahres Gl\u00fcck nicht ohne Be-th\u00e4tigung\u201c zu haben, ja \u00fcberhaupt \u201eGl\u00fcck\u201c nur \u201edie ungehemmte Beth\u00e4tigung aller F\u00e4higkeiten\u201c ist. Wer hinwieder nur ohne Arbeit \u201egeniefsen\u201c zu k\u00f6nnen meint, \u00fcberzeugt sich meistens bald, dafs ihm Gl\u00fccksf\u00e4higkeit in der Hauptsache \u00fcberhaupt fehlt. F\u00fcr ein psychologisches Elementargesetz bieten nat\u00fcrlich solche Lebenserfahrungen bei aller Triftigkeit und Ehrw\u00fcrdigkeit noch einen viel zu komplizierten und wechselvollen Thatbestand dar. Wer m\u00f6chte z. B. ohne sehr eingehende Analyse entscheiden, ob die Lust an theoretischer, an Urteilsth\u00e4tigkeit, z. B. an der gelingenden L\u00f6sung einer mathematischen Aufgabe, die man sich selber oder die einem ein\n1 Das theoretisch Befremdende, dafs, was erst \u201eErreger\u201c einer Lust \u2014 und ebenso einer Begehrung, einer Bejahung oder Verneinung \u2014 werden soll, auch schon sein \u201en\u00e4chster Gegenstand\u201c sei, stellt sich eben angesichts des durchg\u00e4ngigen Waltens eines solchen Doppelverh\u00e4ltnisses als eine sicherlich nicht unl\u00f6sbare Schwierigkeit dar.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n89\nanderer gesetzt hat, nicht vielleicht doch auch blofs auf dem Durchsetzen seines Willens der L\u00f6sung bestehe? Was aber beide Lustquellen, auch wenn die Deduktion der zweiten, intellektuellen, auf die erste, die des befriedigten Begehrens, nicht m\u00f6glich sein sollte, auf alle F\u00e4lle gemeinsam haben, ist, dafs sie gelingende psychische Arbeiten sind.\nAber sogleich ein Haupteinwand: Ist uns denn Arbeit nicht mindestens ebenso oft eine Last wie eine Lust? Nicht erst die mifslingende \u2014, sondern recht eigentlich das Arbeiten selbst. Warum widerhallte sonst die Welt vom Buf nach dem Achtstundentag? Aber vielleicht scheut man nur das Erm\u00fcden infolge Arbeitens. Oder \u2014 dies zun\u00e4chst bei physischer Arbeit: vielleicht unangenehme Druckempfindungen beim Heben einer Last, so dafs, je nachdem diese Empfindungen so wenig oder so sehr intensiv sind, dafs sich an sie als Empfindungen kein Gef\u00fchl oder aber Unlust kn\u00fcpft, auch das Arbeiten neutral oder unlustvoll ist? \u2014 Gewifs sind das lauter wohl zu erw\u00e4gende Gesichtspunkte. Ich m\u00f6chte aber noch auf einen hinweisen, von dem aus jener Einwand vielleicht ganz von selbst zu einer St\u00fctze der Hypothese wird; er liefse sich systematisch so aussprechen:\nInsoweit Lust an das Verrichten psychischer Arbeit gekn\u00fcpft ist, und insoweit sich letztere auf den Typus p.s zur\u00fcckf\u00fchren l\u00e4fst, w\u00e4chst die Lust mit dem wachsenden s und nimmt ab mit dem wachsen den p.\nBeispiele, die im Sinne dieses Gesetzes liegen, gibt jede Freude an einer gut von statten gehenden Arbeit. Wir sind um so vergn\u00fcgter, je \u201emehr\u201c wir ausrichten und je weniger wir uns doch in jedem Augenblicke des Arbeitens anzustrengen brauchen. Was man h\u00e4ufig als formale Gef\u00fchle bezeichnet hat, f\u00e4llt so ganz von selbst unter diese Auffassung. Ein dolce far niente \u2014 zun\u00e4chst sollte man glauben, auch dieser Begriff allein schon sei das st\u00e4rkste Argument gegen eine Beziehung von Lust auf Arbeit \u2014 mit mannigfach wechselndem Gaukelspiel von Einf\u00e4llen ist der richtige Typus f\u00fcr einen Zustand von m\u00f6glichst kleinem p; w\u00fcrde aber dabei das s ganz fehlen, w\u00e4re es nicht schon eine \u201eangenehme Besch\u00e4ftigung\u201c, Bauchringel aufsteigen oder zum mindesten \u00fcberhaupt nur die Zeit verstreichen zu \u201esehen\u201c, so k\u00f6nnten wir uns das far niente an sich kaum mehr als dolce denken.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nA. H\u00f6fler.\nDie Beispiele enthalten auch die Fingerzeige, wohin uns ein Limitieren der beiden Variah ein f\u00fchren kann. Verschwinden p und s, so fehlt \u00fcberhaupt der unmittelbare Erreger, bezw. Gegenstand der Lust und Unlust. Bei sehr kleinem p und nicht allzu kleinem, wom\u00f6glich sogar recht grofsem s freuen wir uns oder schwelgen. Kleines s bei endlichem p giebt uns das Gef\u00fchl des Kichtvomfleckkommens \u2014 Unlust.\nHiermit beantwortet sich auch die oben (\u00a7 26) noch offen gelassene Frage, ob die Zug-, bezw. Druckspannung schon die Unlust sei? Wir werden jetzt sagen: Kein, nur ihr psychischer Erreger. Und zwar denken wir uns im Fall vom Esel des Buridan die Lage immer schlimmer, je gr\u00f6fser das p wird. In der That d\u00fcrfte kaum ein Zustand, f\u00fcr den die gew\u00f6hnliche Sprache das Wort Spannung im psychischen Sinne anwendbar findet, sei es nun Spannung der Aufmerksamkeit als solche, oder Spannung in einer Gesellschaft, in der ein taktloses Wort gefallen ist u. s. w., jemals als angenehm oder auch nur als indifferent gefunden werden. Aber man wird nicht den Eindruck gewinnen, dafs in allen diesen F\u00e4llen der Spannungszustand in einer anderen Beziehung zur Unlust stehe, als etwa physische Pressung oder Zerrung zu dem durch sie bewirkten, nicht mit ihr identischen Schmerz.\nEs w\u00e4re also hiermit eine Aussicht er\u00f6ffnet, nicht nur die Lust, auf welche das obige Gesetz zun\u00e4chst gem\u00fcnzt ist, sondern auch die Unlust in Beziehung zur psychischen Arbeit zu bringen. Es sei aber noch einmal ausdr\u00fccklich betont, dafs wir nicht in den so oft begangenen Fehler verfallen m\u00f6chten, durch unsere Formel \u201edasw Lust-bezw. Unlustgesetz aufgestellt zu haben, sondern f\u00fcrs erste eben nur eine Art von Erreger f\u00fcr die eine wie die andere der beiden Gef\u00fchlsqualit\u00e4ten namhaft gemacht zu haben. Die beiden Gesetze w\u00e4ren freilich um so wertvoller, in je weiterem Umfang sich alle empirischen F\u00e4lle von Lust und Unlust mit mehr oder weniger Interpretationskunst unter sie subsumieren lassen; aber es scheint verfr\u00fcht, eine allseitige Ausdeutung dieser Gesetze mittelst solcher K\u00fcnste schon innerhalb dieser ersten Anregung zu versuchen.\n\u00a7 34. Kur die n\u00e4chstliegende Instantia contraria mufs erw\u00e4hnt werden, das sinnliche Gef\u00fchl\u00ab Kehmen wir n\u00e4mlich diesen Begriff im strengsten und zugleich einfachsten Sinne,","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n91\ndem einer Lust, deren unmittelbarer Erreger gar nichts als eine Sinnesempfindung ist, also nicht ein Vorstellungs- oder Urteilsinhalt, den man nur mehr oder weniger lax mit dem \u201eSehen\u201c oder \u201eH\u00f6ren\u201c in Beziehung bringt (wie z. B. Kroman einmal sagt, man \u201esehe\u201c, dafs die Fl\u00e4che des Bechtecks g h sei, oder wie in der Phrase: \u201eAuf einen Bat h\u00f6ren\u201c); sondern einen Inhalt, der, wenn es \u00fcberhaupt solche giebt, schlechterdings noch frei von psychischer Arbeit ist. Man weifs, wie die HERBARTsche Psychologie angesichts der Lust und Unlust an solchen Inhalten zu dem verzweifelten Mittel gegriffen hat, derlei Lust und Unlust \u00fcberhaupt gar nicht als \u201eGef\u00fchl\u201c, sondern nur als \u201eGef\u00fchlston\u201c gelten zu lassen, weil Gef\u00fchle als gewisse Vorg\u00e4nge zwischen mehreren Vorstellungen definiert waren. Was zur Bechtfertigung der paradoxen Ausnahmsstellung angef\u00fchrt zu werden pflegt, ist gewifs vielfach durchaus wertvoll und verwendbar, so, dafs die Freude an einem recht sanften, gleichf\u00f6rmigen Himmelsblau, einem klaren, vollen Ton sich schon auf die zum reinen Empfindungsinhalt kommenden \u201eformalen\u201c Bestimmungen \u201egleichf\u00f6rmig\u201c u. dergl. st\u00fctze ; und vielleicht zeigt sich, dafs an Empfindungen, welche auch nach so strenger Aussonderung aller m\u00f6glicherweise noch formal zu bezeichnenden Elemente (in Wahrheit d\u00fcrften sich n\u00e4mlich diese Formen eben selbst schon als Komplexionen heraussteilen) als \u201ereine Empfindungen\u201c bezeichnet werden d\u00fcrfen, \u00fcberhaupt keine sinnlichen Gef\u00fchle mehr kn\u00fcpfen. Wollen wir, ehe ein solcher, gewifs nicht leichter empirischer Beweis gef\u00fchrt ist, weder dieses Auskunftsmittel, noch etwas der HERBARTschen Theorie der Gef\u00fchle \u00e4hnliches annehmen, so werden wir einfach zu gestehen haben, dafs, als wie umfassend sonst dereinst noch unser Lustgesetz befunden werden m\u00f6chte, es auf die Empfindungen eben \u2014 nicht passe. Und wenn wir denn als eine im psychologischen Sinne letzte That-sache anzunehmen h\u00e4tten, dafs f\u00fcr ein kleines Kind nun einmal das S\u00fcfse so besonders angenehm sei, so liefse sich diese unter ein allgemeineres Gesetz der Abh\u00e4ngigkeit zwischen Gef\u00fchl und Arbeit nur mehr so subsumieren, dafs man hier wirklich nicht mehr an psychische Arbeit, sondern an Umsatz physischer, n\u00e4mlich nervenphysiologischer Energie denkt. Zu Gunsten der Gedanken liefse sich erinnern an die HERiNGsche Theorie der Dissimilierung beim Weifsprozefs, der","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nA. Hofier.\nAssimilierung beim Schwarzprozefs, wenn man n\u00e4mlich die That-sache hinzunimmt, dafs Hell mehr im Sinne der Lust, Dunkel mehr im Sinne der Trauer liegt. Nat\u00fcrlich hat aber ein solcher Gedanke auch auf seinem eigenen Gebiet um so weniger \u00dcberzeugungskraft, je mehr ihm die Anwendbarkeit auf verwandte Gebiete abgeht. Oder spricht etwas daf\u00fcr, dafs auch S\u00fcfs (beim Kinde) mit Dissimilierung, Bitter mit Assimilierung Zusammenh\u00e4nge? 1\nN\u00e4her besehen, reicht \u00fcbrigens das an die sinnlichen Gef\u00fchle sich kn\u00fcpfende Bedenken \u00fcber diese weit hinaus und betrifft im wesentlichen ganz ebenso alle Vorstellungsgef\u00fchle, mit ihnen also auch alle \u00e4sthetischen Gef\u00fchle. Es d\u00fcrfte sich aber als zweckm\u00e4fsig erweisen, auf diese erst\nim Abschnitt \u201eVorstellungena zur\u00fcckzukommen, wo uns das\n\u2022 \u2022\nKapitel \u201ePhantasievorstellungenu noch einmal auf \u00c4sthetisches f\u00fchren wird.\n1 \"Wie bescheiden eine vorsichtige Theorie beim Erkl\u00e4renwollen eines solchen letzten Thatbestandes sein mufs, legen uns z. B. die nachfolgenden Ausf\u00fchrungen nahe, welche Wundt der obigen Thatsache widmet. \u201eDas Schwarz als der Mangel des Lichts hemmt alle Lichtempfin-dung. Die Stimmung, der es entspricht, ist daher dem Unlustgef\u00fchl verwandt. Bei Kl\u00e4ngen liegt hinwiederum die den ernsteren Stimmungen zugewandte Wirkung der tiefen T\u00f6ne wahrscheinlich in der bedeutenden St\u00e4rke, zu welcher bei ihnen die Erregung gesteigert werden kann. In der That legen wir den tiefen T\u00f6nen ihren Charakter des Ernstes und der W\u00fcrde nur bei hinreichend imponierender Klangst\u00e4rke bei. Im entgegengesetzten Ealle wird der Klang dumpf und erregt eine mehr zwiesp\u00e4ltige Stimmung. Die St\u00e4rke des Klanges wirkt aber direkt verdr\u00e4ngend und begr\u00fcndet so wieder eine unmittelbare Verwandtschaft mit der Unlustempfindung.\u201c\nZun\u00e4chst: Wo bleibt bei dem ersten Satz \u201edas Schwarz als der Mangel des Lichts hemmt alle Lichtempfindungen\u201c, die Psychologie, n\u00e4mlich der nachgerade doch schon aufser Zweifel gesetzte Satz, dafs das psychologische Schwarz eine so positive Empfindung sei, wie Weifs oder Bot? Wenn aber wirklich das physikalische Schwarz, d. h. das Nichts alles Lichts gemeint ist, wie soll dann das Nichts die Lichtempfindungen \u201ehemmen\u201c? Es soll doch nicht auch die Schwarzempfindung selbst gehemmt sein? Die kurze Zeile ist eine sonderbare Verwirrung der einfachsten Thatsachen und Begriffe zuliebe der Hemmungstheorie des Gef\u00fchls. \u2014 Und wer kann behaupten, dafs gerade nur die tiefen T\u00f6ne zu bedeutender St\u00e4rke gesteigert werden k\u00f6nnen? Wollen wir laut schreien, so \u201eerheben\u201c wir ja die Stimme. Kreischende Stimmen, die gellenden Pickelfl\u00f6ten \u00fcberschreien doch alles andere und bringen da ganz und gar nicht den Eindruck des Ernstes hervor.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n93\n\u00a7 35. Wichtiger, ich m\u00f6chte fast sagen vor allem wichtig, scheint es mir dagegen, vorstehende Andeutungen zu einer Gef\u00fchlstheorie nicht abzuschliefsen ohne eine Art Verwahrung. Die Theorie mag erinnert haben an die Herb arts che Gef\u00fchlstheorie und wird noch mehr an sie erinnern, wenn wir im Abschnitt \u201eVorstellungen\u201c von der Beziehung der \u201eVorstellungsbewegung\u201c zu psychischer Arbeit zu sprechen haben werden. H\u00e4lt dieser Eindruck von \u00c4hnlichkeit bei n\u00e4herer Pr\u00fcfung vor, so kann es der angedeuteten Theorie, von ganz anderen Ausgangspunkten und nach anderer Methode entwickelt, nur zu willkommener Best\u00e4tigung gereichen. Aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem, was die HERBARTsche und was unsere Theorie will, wird immer bestehen bleiben. Herbart wollte das Wesen des Gef\u00fchls restlos begreiflich machen aus \u201eZust\u00e4nden der Vorstellungen\u201c, in die diese bei ihrer Wechselwirkung, beim \u201eGehemmtwerden\u201c1 und beim \u201eFreisteigen\u201c geraten ; so wenigstens darf und mufs man wohl seinen Protest gegen ein besonderes Gef\u00fchlsverm\u00f6gen auffassen. Unsererseits bilden wir uns nicht ein, wenn selbst unser Lustgesetz als ein ausnahmsloses sich bew\u00e4hren w\u00fcrde, daraus, dafs an ein grofses <9 sich grofse Lust kn\u00fcpft, irgendwie \u201eerkl\u00e4rt\u201c zu haben, \u201ewas\u201c Lust ist, oder den Begriff der Lust etwa auf den der psychischen Arbeit \u201ezur\u00fcckgef\u00fchrt\u201c, kurz ihn aus der Psychologie eigentlich weganalysiert zu haben. Wir nannten deshalb das s immer nur den \u201eErreger\u201c der Lust und halten ebensowohl an dem Spezifischen, Unanalysierbaren des Lustph\u00e4nomens fest, wie wir ein besonderes Lust-, allgemeiner ein Gef\u00fchls verm\u00f6gen f\u00fcr ebenso unab weislich halten, wie ja zu jedem spezifischen Ph\u00e4nomen f\u00fcglich auch eine spezifische Disposition angenommen werden mufs. \u2014\nEs versteht sich, dafs eine ganz gleiche Verwahrung auch bei den Begehrungen anzubringen gewesen w\u00e4re, nur dafs\n1 Wenn dieses \u201eHemmen\u201c allein etwa z. B. die Trauer \u00fcber den Tod eines \u201eFreundes\u201c begreiflich machen soll, so fordert derlei sofort zu dem Einwurf heraus, einmal statt \u201eFreund\u201c \u201eFeind\u201c zu setzen (vgl. mein Programm: \u201eZur Prop\u00e4deutik frage\u201c', Wien, 1884, S. 59), d. h. zu beachten, was dann geschieht, wenn die Vorstellung vom \u201eFeind\u201c durch die von seinem Tod ,,gehemmt\u201c wird? Was den Freund vom Feind, was Lieben vom Hassen unterscheidet, wird wohl immer als vor aller Theorie vom so und so Vorstellen bekannt vorausgesetzt werden m\u00fcssen.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nA. H\u00f6fler.\ndort der Schein, als wollten wir das Begehren auf Vorstellungen \u201ezur\u00fcckf\u00fchren\u201c, nach dem, was wir \u00fcber die Beziehung zwischen Begehren und psychischer Arbeit zu sagen hatten, ohnedies nicht zu nahe lag. Und ebenso sei von vornherein bemerkt, dafs auch von einer Zur\u00fcckf\u00fchrung der Urteile, zu deren Besprechung wir uns nunmehr wenden, nicht die Rede sein soll : was alles im Grunde ja schon damit gesagt ist, dafs wir neben den Vorstellungen auch die Urteile, Gef\u00fchle und Begehrungen als \u201eGrundklassen\u201c bezeichnet haben.\nG. Urteile.\n\u00a7 36. Um in jedem Augenblicke dar\u00fcber klar zu sein, in welchem Sinne im folgenden von Urteilen die Rede ist, mag der Leser nach Bedarf f\u00fcr \u201eUrteil\u201c jedesmal \u201eGlauben\u201c ein-setzen \u2014 das Wort so verstanden wie etwa belief in der Logik von J. St. Mill1; was, wie ich glaube, in der That nicht erst eine Auspr\u00e4gung des Wortes zum terminus technicus, sondern sein unbefangener Gebrauch gem\u00e4fs dem des t\u00e4glichen Lebens ist. Die Anlehnung an diesen Gebrauch ist in unserem Falle doppelt wichtig angesichts der heillosen Verwirrung zwischen den verschiedenen Definitionen des Urteils, die seit dem Abkommen der alten Verkn\u00fcpfungs- und Trennungsdefinition eingerissen ist. \u2014 Wem die hierher geh\u00f6rigen Streitfragen mehr die Logik als die Psychologie anzugehen scheinen, der wird als eine um so sicherer psychologische Frage die anerkennen, \u00f6b das Urteilen ein ebenso elementarer psychischer Vorgang ist, wie etwa das Empfinden. Meinerseits glaube ich: ja, weil ich schlechthin keine M\u00f6glichkeit sehe, vom Zustande des \u201eGlaubens\u201c auch nur eine Beschreibung, geschweige denn eine Analyse zu geben; und es will mir nachgerade die erste Pflicht jeder neuen Urteils-Definition und -Theorie scheinen, sich an einer\nderartigen Analyse dessen, was ja als Ph\u00e4nomen des Glaubens,\n* \u2022\n\u00dcberzeugtseins, Vermutens u. s. f. Keinem entgehen kann, zu versuchen.\n1 I. Buch, Kap. I, \u00a7 2, und Kap. V, \u00a7 1. Warum Mill daselbst\n\u2022 ft\n(\u00dcbersetzung von Gomperz, 2. AufL II. Bd. S. 97) die Frage nach der Natur des Glaubens eines der schwierigsten metaphysischen Probleme nennt, vermag ich freilich nicht einzusehen; was er fragt, ist doch eine rein psychologische Angelegenheit.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n95\nDas Verdienst, auf die elementare Natur des Urteilens eindringlich. hingewiesen zu haben, bleibt unbestritten Brentano, wenn er sich auch selbst neuestens1 bem\u00fcht, Descartes als seinen Vorg\u00e4nger zu erweisen. Je lieber aber ich mich gerade in diesem Punkte zur \u201eSchule Brentanos\u201c bekenne, um so entschiedener mufs ich hier, wie schon fr\u00fcher,2 unterscheiden zwischen einem ersten und einem zweiten Hauptsatz der BRENTANOschen Urteilstheorie. Unter ersterem verstehe ich die Lehre von der Unanalysierbark eit des Glaubens : diese glaube ich.3 Unter dem zweiten Hauptsatz verstehe ich die (hier allerdings der K\u00fcrze wegen nicht genau in Worten Brentanos ausgedr\u00fcckte) Lehre, dafs man an nichts glauben k\u00f6nne, als an Existenz; diese Lehre glaube ich nicht, indem ich Daseins- und Beziehungsurteile unterscheide.4 Man entschuldige diese neuerlichen Feststellungen im Interesse der hier besonders n\u00f6tigen Kl\u00e4rung.\n\u00a7 37. Indem ich nun weiter das Urteil \u00fcber was immer f\u00fcr einen Inhalt f\u00fcr eine Form psychischer Arbeit erkl\u00e4re, behaupte ich: wer sich angesichts irgend eines ihm sich darbietenden Inhalts zu einem Ja oder Nein aufschwingt, bejahend oder verneinend glaubt, hat an dem Inhalt psychische Arbeit verrichtet.\nEs war ein Fall von Urteilsarbeit, an dem ick in der erw\u00e4hnten5 ersten Mitteilung \u00fcber psychische Arbeit diesen Begriff zuerst illustrierte, n\u00e4mlich im Anschlufs an folgende Worte Kromans: \u201e . . Die Axiome sind Urteile. . . Oft k\u00f6nnen alle Bedingungen bis auf eine Kleinigkeit vorhanden sein. Das Kind ist dann wie eine geladene Kanone, der nur der z\u00fcndende Funke fehlt: Ein unbedeutender Wink vom Lehrer und das Kind \u201e\u201egeht los\u201c\u201c mit dem Satz!\u201c Wenn das Gleichnis im \u00fcbrigen stimmt, so werden wir den \u201eWink\u201c als \u201eAusl\u00f6sekraft\u201c f\u00fcr die vorhandene Urteilsenergie bezeichnen.\nAber \u2014 dies ist nun die Hauptfrage: D\u00fcrfen wir denn eine besondere Energie f\u00fcr Urteile annehmen? Lassen sich die Urteilsdispositionen nicht restlos aufl\u00f6sen in Vorstellungs-\n1\tVom Ursprung sittlicher Erkenntnis. S. 14 u. 51 ff.\n2\tZeitschr. f. d. \u00d6sterreich. Gymn. 1890 (S. 18. d. Sep.-Abdr.)\n8 Meine Logik, \u00a7 41.\n4\tIbid. \u00a7 45.\n5\tYergl. Anm. 1.","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nA. H\u00f6fler.\ndispositionen? Vielleicht h\u00f6chstens noch nnter Hereinwirken von Willensdispositionen, insofern der eine seine Vorstellungen dermafsen in der Gewalt seines Willens hat, dafs sie so lange stillhalten, bis das Urteil \u00fcber sie vollzogen ist, w\u00e4hrend der andere, zerstreute Kopf nicht genug Energie hat, die Vorstellungen so lange in die zum Beurteilt wer den erforderliche Haltung zu zwingen, bis sie und nur sie das Urteil ausgel\u00f6st haben. F\u00fcr letztere Auffassung spricht z. B. die Erw\u00e4gung, dafs ja auch der \u201eWinka des Lehrers zun\u00e4chst nichts ist als ein Kompletieren des Vorstellungsinhalts, das ein noch findigerer Kopf selbst ohne Wink von aufsen vollzogen h\u00e4tte, w\u00e4hrend in dem des Winkes Bed\u00fcrftigen das Spiel der Phantasie nicht so lebhaft ist, einfach an der Kette der Assoziationen oder sonst etwa (falls man ein aufserassoziatives Emportauchen von Vorstellungen annimmt) auf rein physiologische Ausl\u00f6sungen hin die kompletierenden Vorstellungen zu produzieren.\nEs ist gewifs nicht leicht, eine derartige Analyse dessen, was man im engeren Sinne Intelligenz nennt, ein Zur\u00fcckf\u00fchren der Urteils- auf reine Vorstellungs- (und allenfalls noch Gef\u00fchlsund Begehrungs-)Dispositionen als schlechthin undurchf\u00fchrbar zu erweisen. Aber ehe der Beweis nicht in v\u00f6llig bindender Weise gef\u00fchrt ist, scheint es denn doch wohl die minder gek\u00fcnstelte Auffassung, dafs es, wenn Urteilen schon eine psychische Grundklasse ist, wohl auch f\u00fcr sie spezielle Dispositionen geben wird. Der Lehrer wenigstens wird, wenn er es einmal mit einem ganz dummen Sch\u00fcler zu thun hat, bei dem jeder noch so deutliche Wink nichts fruchtet, dem man nachgerade das gesamte m\u00f6glicherweise in Betracht kommende Vorstellungsmaterial vorger\u00fcckt hat, bei dem man sich auch aus manchen nicht wohl mifszuverstehenden Anzeichen \u00fcberzeugt hat, dafs diesmal nicht Vergefslichkeit, Verwirrung, Mangel an gutem Willen u. s. w. am Ausbleiben des Urteiles schuld sei, sich kaum des Eindruckes erwehren k\u00f6nnen, dafs es eben an \u2014 Urteilsf\u00e4higkeit fehle.\n\u00a7 38. Was die exakte Psychologie zur endg\u00fcltigen Schlichtung der Streitfrage: spezielle Urteilsdispositionen oder nicht? thun kann, ist nat\u00fcrlich vor allem eine m\u00f6glichst sorgf\u00e4ltige Analyse derartiger, wom\u00f6glich recht krasser F\u00e4lle, dann aber wohl auch allgemeiner die Untersuchung, inwieweit \u00fcberhaupt Vorstellen unabh\u00e4ngig von Urteilen (ein Urteilen","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n97\nunabh\u00e4ngig von Vor stellen ist in sich unm\u00f6glich) empirisch gegeben sei. Da uns der n\u00e4chste Abschnitt, \u00a7 44, mit diesbez\u00fcglichen MEiNONGschen Bestimmungen besch\u00e4ftigen wird, gehen wir hier in die Untersuchung dieser allgemeinen Frage nicht ein. Wohl aber erlaube ich mir der K\u00fcrze wegen hier hinzuweisen auf ebenfalls wieder ein spezielles Argument, durch welches sich aus einer in sich tadellosen Schlufsreihe Stumpfs,1 durch die er beweist, dafs es \u201enicht blofs eine Schwelle giebt, welche der Beizunterschied \u00fcberschreiten mufs, um Empfindungsunterschiede zu erzeugen, sondern auch eine Schwelle, die der Empfindungsunterschied \u00fcberschreiten mufs, um merklich zu werden\u201c, f\u00fcglich wenigstens f\u00fcr die Unterscheidungsurteile nichts anderes ergeben zu k\u00f6nnen scheint, als dafs sich die Empfindungs- mit der Urteilsf\u00e4higkeit nicht einmal dem Umfange nach deckt, und \u00fcberdies, dafs diese Urteile geradezu eine zum passiven Haben der Empfindungen hinzukommende psychische Arbeit sind. Sagt doch Stumpf selbst im Zusammenhang mit der angef\u00fchrten Stelle : \u201eEs giebt also, allgemeiner gesprochen, F\u00e4lle, wo wir bei aller Anstrengung die eigenen Empfindungen nicht, wie sie in Wahrheit sind, erkennen\u201c (S. 34). \u2014 Und was sollen \u00fcberhaupt die so ganz landl\u00e4ufigen Ausdr\u00fccke : schwer zu beurteilen, leicht zu beurteilen, wenn nicht das Urteilen selbst Arbeit w\u00e4re, bald leichte, bald schwere? \u201eSchwer zu beurteilen\u201c kann freilich auch heifsen : mangels der n\u00f6tigen Daten (z. B. in einem Grerichtsfall). Aber mufs es das immer heifsen ?\n\u00a7 39. Nehmen wir den so ganz trivialen und doch nicht tautologischen Satz, dafs ein Unterschied um so schwerer zu erkennen ist, je kleiner er ist, so ist uns ja in dem als gegeben gedachten \u201ekleinen Unterschied\u201c ganz vollst\u00e4ndig vorgelegt, was beurteilt werden soll, und blofs von der Vorstellungsseite her gesehen ist ja ein kleiner Unterschied gar nichts generell Anderes, als ein grofser. Sollten wir dann sagen, der kleine Unterschied lasse nur nicht so leicht die Vorbedingungen des Urteilens zu st\u00e4nde kommen, oder nicht ungek\u00fcnstelter: das auf ihn gerichtete Urteil selbst werde schwieriger und schwieriger, sei eine immer gr\u00f6fsere psychische Arbeit, so dafs, wenn der Unterschied gegen Null limitiert, die\n1 Tonpsychologie. I. S. 33, 34. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"A. H\u00f6fler.\ngeforderte Arbeit ins Unendliche w\u00fcchse, weshalb eben in Wirklichkeit schon ein endlich kleiner Unterschied die endliche verf\u00fcgbare Urteilsenergie auf braucht?\nIndem wir sagten, \u201eje kleiner der Unterschied\u201c, wurden implicite bereits mindestens zwei Paare von zu vergleichenden Empfindungsinhalten vorausgesetzt, deren Unterschiede dann selbst wieder verglichen wurden. Nach Fechner w\u00e4ren diese Unterschiede der Empfindungen, die z. B. durch 3 und 4 g, bezw. 3 und 4 kg erregt sind, einander gleich, nach Hering, Brentano u. a. nichts weniger als gleich. Wie die hier vorliegende Kernfrage des ganzen Psychophysik-Streites : \u201eSind wirklich die Unterschiede gleich, oder war das Unterscheiden gleich leicht, bezw. schwer\u201c durch den Begriff psychischer Arbeit, wenn nicht ihre L\u00f6sung, so doch eine vielleicht nicht unwillkommene Pr\u00e4zisierung erfahren kann, habe ich schon bei anderer Gelegenheit1 angedeutet. Hier nur die Bemerkung, dafs die beiden letztgenannten Forscher, welche sonst \u2014 wenn auch aus ganz verschiedenen Gr\u00fcnden \u2014 der Annahme einer besonderen \u201eUrteilsarbeit\u201c nicht eben geneigt sind, doch gerade mit ihrer Gegnerschaft gegen Fechner eine Position einzunehmen scheinen, die einer solchen Annahme eher g\u00fcnstig als ung\u00fcnstig ist.\n\u00a7 40. In einem sicherlich engen, wenn auch nicht ganz leicht n\u00e4her zu beschreibenden Zusammenh\u00e4nge mit der Frage nach der Urteilsarbeit \u00fcberhaupt steht nun aber auch noch die weit ergeh ende, ob das Urteilen \u00fcberhaupt die einzige Form intellektueller Arbeit ist und wie sich zu ihm die \u00fcbrigen intellektuellen \u201eTh\u00e4tigkeiten\u201c, welche wenigstens der unbefangene Sprachgebrauch ohne weiteres als solche bezeichnet, verhalten. Ausdr\u00fccklich wurde eine solche Frage meines Wissens zuerst aufgeworfen von Zindler;2 er sah sich auf die Untersuchung dieses Verh\u00e4ltnisses gef\u00fchrt durch die Pr\u00fcfung der erkenntnistheoretischen Bedeutung der geometrischen Konstruktionen, . weil ja die Handlung, als welche sich die Kon-\n1\tIn der Anzeige von Elsas, \u201e\u00fcber die Psychophysik\u201c, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 1887. S. 369.\n2\tBeitr\u00e4ge zur Theoi'ie der mathematischen Erkenntnis. Sitzungsberichte der kais. Akad. d. Wiss. in Wien. Philos.-hist. Klasse, 1889. Bd. CXVIII. Sonderabdruck S. 69 ff.) (Vergl. meine Anzeige/ Vierteljahrsschr. f. iviss, Philos., 1890, S. 494\u2014504.)","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n99\nstruktionen zun\u00e4chst \u00e4ufserlich darstellen, ihrer psychischen\nSeite nach im wesentlichen dem Willensgebiete angeh\u00f6ren, und\nman einigermafsen in Verlegenheit k\u00e4me, m\u00fcfste man dem\nWillensgebiete neben dem Vorstellungs- und Urteilsgebiete in\nder Mathematik einen ebenb\u00fcrtigen Platz einr\u00e4umen. Indessen\n\u2022 \u2022\nwollen wir sehen, ob uns etwas \u00c4hnliches ganz erspart bleiben kann. ... Es giebt gewisse psychische Th\u00e4tigkeiten, welche kein Urteil sind, aber auch mehr als blofse Vorstellungskomplexionen, z. B. die Zusammenfassung . . .\u201c Als spezieller Fall wird dann die arithmetische Addition angef\u00fchrt als \u201eeine Denkoperation, welche sich nicht vollst\u00e4ndig durch Urteile umschreiben und ersetzen l\u00e4fstu; ihr wieder liege zu Grunde \u201edie elementare Denkoperation des Verschmelzens der Einheit zweier ganzer Zahlen zu einer einzigen Zahl\u201c. Es folgen noch das Zuordnen zweier Mengen (Zahlen, Punkte . .); \u201eendlich f\u00fcgen sich die Operationen der Substitutionentheorie ebensowenig einem Be-duktionsversuche. Man kann sich nun der \u00dcberzeugung nicht erwehren, dafs ebenso, wie in diesen F\u00e4llen, auch bei den geometrischen Konstruktionen jener Exist enzialsatz [was f\u00fcr einer gemeint ist, mufs in der Abhandlung verglichen werden], allerdings soweit \u00fcberhaupt ein Urteil in den geometrischen Konstruktionen enthalten ist, das pr\u00e4zise \u00c4quivalent bildet, dafs aber aufserdem ein dem Urteilsgebiete nicht an-geh\u00f6riger Best zur\u00fcckbleibt, der in einer Th\u00e4tigkeit der geometrischen Phantasie besteht, welche dann von diesem Existenzialsatze begleitet wird. . . . Die Geometrie . . kann diese Th\u00e4tigkeit so wenig entbehren, als die Arithmetik die Addition zur Zahlbildung.\u201c \u2014 Also \u201eeine Th\u00e4tigkeit der Phantasie\u201c: von ihr zu reden, w\u00e4re demnach der systematische Ort in \u00a7 51, wo wir freilich aus dem dort angegebenen Grunde uns ebenfalls nur mit der Konstatierung des Problems als solchem begn\u00fcgen werden. \u2014 Es sei die von Zindler angeregte Frage nur deshalb hier angef\u00fchrt, weil sie zeigt, wie die bemerkten Th\u00e4tigkeiten zwar als eine Crux der Psychologie empfunden werden, aber ihr Charakter als \u201eTh\u00e4tigkeiten\u201c, und zwar in dem, was wir in \u00a7 23 den strikten Sinn des Wortes nannten, aufser allem Zweitel stehen kann.\nGleichwohl stellt Stumpe1 gerade diesen Charakter aus-\n1 Tonpsychologie. 1. S. 105 ff.\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nA. H\u00f6fler.\ndr\u00fceklic\u00eei in Abrede, und zwar zun\u00e4chst f\u00fcr das Analysieren und Vergleichen. \u201eSind Analyse und Vergleichen Th\u00e4tigkeiten oder nur passive Ereignisse in der Seele? Man [\u2014 Stumpf f\u00fchrt namentlich Lotze an] legt zuweilen viel Gewicht auf diese Distinktionen. \u201e\u201eDie Empfindungen/4\u201c sagt man, \u201e\u201ewerden uns aufgedr\u00e4ngt, die geistige Verarbeitung ist unsere Sache.\u201c\u201c Ich verzichte ungern und nur mit R\u00fccksicht auf den Raum auf die vollst\u00e4ndige Anf\u00fchrung von S. 105 und 106, von welchen ich meine, dafs die zu Gunsten der Schlufsthese, es k\u00f6nne nur beim Willen von einer Th\u00e4tigkeit im eigentlichsten Sinne die Rede sein, vorgebrachten Argumentationen schwerlich befriedigen k\u00f6nnen; und greife den einzigen Satz heraus: \u201eAndererseits steht auch das Ergebnis des Urteils nicht im weiteren Umfange in unserer Gewalt; die beiden aufeinanderfolgenden T\u00f6ne G und as m\u00fcssen wir unterscheiden, m\u00f6gen wir wollen oder nicht, m\u00fcssen auch bemerken, dafs sie einander weniger \u00e4hnlich sind, als C und D, und \u00e4hnlicher, als jeder von ihnen mit einer Farbe. Diese Auffassungen sind ganz unwillk\u00fcrliche u. s. w.\u201c Aber wird denn nicht allenthalben in der Tonpsychologie gezeigt, dafs \u201ewir\u201c, d. h. alle Empfindenden, keineswegs \u201eunterscheiden m\u00fcssen\u201c, was einem Teile von \u201euns\u201c freilich gar nicht zu verwechseln m\u00f6glich scheint, z.B. Grundton und Quinte? Und weiter: wenn das Ergebnis des Urteils nicht in unserer Gewalt steht, heilst das schon so viel, als dafs wir zum vorgezeichneten Ergebnis ohne \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c gelangen? Von unserem Belieben h\u00e4ngt es ja auch nicht ab, ob wir beim Z\u00e4hlen der Finger unserer Hand 4 oder 5 oder 6 herausbringen \u2014 und ist darum der Inhalt des Begriffes \u201eF\u00fcnf\u201c ohne \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c \u2014 wenigstens des \u201eKolligierens\u201c \u2014 zu haben? Wenn f\u00fcr etwas, so pafst f\u00fcr Zahlen der von Stumpf selbst angef\u00fchrte scholastische Ausdruck: \u201eens rationis cum fundamento in re*: warum aber \u201erationis11, wenn nicht f\u00fcr das Zustandekommen von derlei Inhalten die \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c des Denkens ebenso notwendige Teilbedingung ist, wie die \u201eres\u201c?\nIch habe bei anderer Gelegenheit1 einige Argumente vorgebracht, dafs nicht nur das Kolligieren, sondern auch die sozusagen innere Operation des Analysierens Anspruch auf\n1 In der Anzeige von Husserls Philosophie der Arithmetik, I. Bd. ;\ndiese Zeitschr., VI. Bd. S. 52\u201455.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\n101\nden Namen einer \u201eintellektuellen Th\u00e4tigkeit\u201c habe, welche Angelegenheit seither durch Meinongs \u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der psychischen Analyse\u201c1 weitere Kl\u00e4rung erfahren hat.\n\u00a7 41. Meinerseits m\u00f6chte ich hier zun\u00e4chst im Anschlufs an die von Zindler formulierte Frage noch auf einige weitere Formen solcher intellektueller Th\u00e4tigkeiten aufmerksam machen : ich meine das Permutieren, Variieren und Kombinieren im Sinne der Arithmetik. Bekanntlich werden diese Dinge nirgends anders, als eben in der Arithmetik, abgehandelt: geh\u00f6ren sie aber auch mit Recht zu ihr? Man pflegt, vielleicht nur nicht immer scharf genug, auseinanderzuhalten einerseits das Verfahren, z. B. beim Kombinieren (Anweisung zur Bildung der Amben : man setze jedes Element vor jedes h\u00f6here; f\u00fcr die Bildung der Ternen: man setze hinter jede Ambe der Reihe nach alle in ihr noch nicht vorkommenden Elemente u.s.f.); und andererseits das Berechnen der Zahl der nach dem so definierten Verfahren sich ergebenden Kombinationen. Nun ist letzteres als Abz\u00e4hlen einer auf Grund bestimmter Definitionen zu st\u00e4nde gekommenen Menge von Gebilden gewifs ganz rein ein Gegenstand der Arithmetik; ebenso gewifs aber hat jenes Verfahren der Bildung von Kombinationen nicht das geringste mit Arithmetik zu thun (gerade so, wie zwar das Berechnen von Zinsen, nicht aber das Ausleihen auf Zinsen). In welche Wissenschaft w\u00e4re es aber dann einzureihen? Genauer gefragt, in welche Wissenschaft fallen Evidenzen der n\u00e4mlichen Gattung, wie die, dafs ich alle Amben, Ternen.. erhalte, wenn ich nach jenem Verfahren vorgehe? Wohl kaum in eine andere, als die Logik; man denke nur z. B. an das, was sie \u00fcber die Technik des Einteilens lehrt. Dann aber ist (wenigstens nach dem Verh\u00e4ltnis von Logik und Psychologie, welches ich sonst vertrete) auch nicht abzuweisen, dafs, wenn es \u00fcberhaupt erst einer besonderen Wissenschaft vor der arithmetischen Kombinationslehre bed\u00fcrfte, welche das, was beim Kombinieren, Variieren und Permutieren faktisch geschieht, erst noch eigens zu beschreiben unternimmt, diese Wissenschaft eben nur die Psychologie sein k\u00f6nnte; nur dafs eben das Be-\n1 Diese Zeitschr.j VI. Bd. Vergl. namentlich S. 426 ff. die Er\u00f6rterung der F\u00e4lle, wo \u201eAnalysiertsein\u201c nicht auf eine solche Th\u00e4tigkeit zu schliefsen erlaubt.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nA. Hofier.\nd\u00fcrfnis nach solcher Beschreibung ebensowenig schon w\u00e4hrend der Aus\u00fcbung der Th\u00e4tigkeiten empfunden wird, als etwa das einer Beschreibung des psychischen Vorganges bei der Bildung von Zahlen seitens des sie thats\u00e4chlich Bildenden und weiter geistig Verarb eitenden.\n\u00a7 42. Wollten wir noch weiter Umschau halten in dem, was auch nur die herk\u00f6mmliche Logik als \u201eDenkth\u00e4tigkeiten\u201c beschreibt, z. B. das Subsumieren, so erg\u00e4be sich wohl auch noch weitere Ausbeute an intellektuellen Th\u00e4tigkeiten, die nicht ohne weiteres im Urteilsakte ohne Best aufgehen. Als der allgemeine Gesichtspunkt aber, der sich f\u00fcr derlei Betrachtungen er\u00f6ffnet, liegt bereits die allgemeine Theorie der Komplexionen und Belationen vor; und f\u00fcr sie ist es ja ein Hauptproblem, inwieweit sich die von ihr untersuchten Gebilde in blofse Ergebnisse von Urteilen aufl\u00f6sen lassen oder aber die Einf\u00fchrung besonderer Vorstellungs-Inhalte unabweislich machen. Z. B. das Vergleichen, das ja nicht blofs das Beurteilen der Gleichheit oder Verschiedenheit ist. Wir versparen deshalb einige Bemerkungen \u00fcber den Anteil der Belationen an psychischer Arbeit (oder psychischer Arbeit an Belationen) auf den n\u00e4chsten Abschnitt, \u00a7 57.\nAber auch innerhalb dessen, was die Psychologie nach l\u00e4ngerem oder k\u00fcrzerem Herkommen zu ihrem eigentlichsten Untersuchungsgebiete z\u00e4hlt, giebt es bekanntlich nur zu viele Vorg\u00e4nge, wie z. B. das Wahmehmen, das Wiedererkennen, das Aufmerken, von denen zwar nachgerade allgemein anerkannt oder doch \u201eempfunden\u201c wird, dafs sie nicht rein in Empfindung und Vorstellungsreproduktion aufzul\u00f6sen sind, bez\u00fcglich deren jedoch die Einsicht, dafs und inwieweit an ihnen Urteilsvorg\u00e4nge oder aber andersartige intellektuelle Th\u00e4tigkeiten beteiligt sind, noch nicht eben sehr allgemein durchgedrungen ist. Hier \u00fcberall reinliche Grenzen zu ziehen, d\u00fcrfte \u2014 es scheint mir nicht zu viel gesagt \u2014 die dankbarste Aufgabe f\u00fcr die Psychologie der n\u00e4chsten Zukunft (wenigstens soweit es intellektuelle, nicht emotionale Zust\u00e4nde gilt) sein ; und schwerlich wird sich die Unterscheidung psychischer Arbeit und Hichtarbeit als Leitbegriff hierbei entbehren lassen. Auf einiges hierher Geh\u00f6rige werden uns wiederholt die weiteren Abschnitte f\u00fchren.\nEs sei nun gestattet, auch die Besprechung der vierten","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n103\nund letzten \u2014 eigentlich, ersten \u2014 unserer psychologischen G-rundklassen, der Vorstellungen, im Hinblick auf ihre Be~ ziehung zu psychischer Arbeit, sogleich von einer Seite her in Angriff zu nehmen, die sich eben nur durch diesen Hinblick, keineswegs f\u00fcr eine allgemeine Psychologie des Vorstellens, empfehlen m\u00f6chte.\n(Schlufs im n\u00e4chsten Heft.)","page":103},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\nVon\nDr. A. H\u00f6eler,\nProfessor an der k. k. Theresianischen Akademie in Wien.\n(Fortsetzung und Schlufs.)\nD. Vorstellungen.\n\u00a7 43. Vorstellungen als psychische Massen. Der Ausdruck \u201eVorstellungsmasse\u201c ist durch Herbarts Psychologie in Aller Mund gekommen. Es m\u00fcssen ausgiebige \u201eMassen\u201c sein, durch welche neu anlangende Vorstellungen wirksam \u201eapperzipiert\u201c werden sollen \u2014 \u201estarke, vielgliedrige Komplexionen und Verschmelzungen\u201c, durch welche \u201eschw\u00e4chere Vorstellungen aufgenommen, angeeignet (apperzipiert) werden.\u201c1 \u2014 Fragt man sich, warum f\u00fcr das hier Gemeinte der Ausdruck \u201eMasse\u201c gew\u00e4hlt worden ist, so sieht man sich zun\u00e4chst an Verwendungen des Wortes, wie: \u201eeine Masse Menschen\u201c \u2014 will sagen: sehr viele, irgendwie n\u00e4her an einem Flecke zusammengeratene Menschen \u2014, ferner an \u201emassig\u201c, \u201emassiv\u201c u. dergl. erinnert. Es mag dahingestellt bleiben, ob es gut deutsch ist, statt \u201eMenge\u201c \u201eMasse\u201c zu sagen \u2014 jedenfalls\n1 Mit diesen Ausdr\u00fccken wird der Ausdruck \u201eMasse\u201c im \u201eLehrbuch zur Psychologie\u201c (S\u00e4mtl. Werke. 1850. V. Bd. S. 33) zuerst eingef\u00fchrt.\nIn wesentlich \u00e4hnlichem Sinne spricht Biemann in seinen Fragmenten \u201eZur Psychologie und Methaphysik\u201c (Ges. Werke. 1876. S. 477 ff.) von \u201eGeistesmassen\u201c. Z. B.: \u201e.. Die in die Seele eintretenden Geistesmassen erscheinen uns als Vorstellungen.\u201c \u201eDie Seele ist eine kompakte, auf\u2019s engste und auf die mannigfaltigste Weise in sich verbundene Geistesmasse.\u201c Mehr zu unserem Thema geh\u00f6rig: \u201eNicht das Behalten unserer Erfahrung, nur das Denken strengt an, und der Kraftaufwand ist, soweit wir dies sch\u00e4tzen k\u00f6nnen, der geistigen Th\u00e4tigkeit proportional.\u201c \u2014 Eine wirkliche Verwertung der \u201eFragmente\u201c f\u00fcr unser Thema w\u00fcrde eine Kritik Satz f\u00fcr Satz erfordern.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nA. H\u00f6fler.\nhaben wir alle solche Reminiszenzen von dem Namen \u201eMasse\u201c fernzuhalten, wenn er uns wie im folgenden als Korrelativ zum Begriffe \u201eArbeit\u201c auf psychischem Gebiete dienen soll.\nWarum ich ihn sogleich in meiner ersten Notiz1 \u00fcber \u201epsychische Arbeit\u201c dieser an die Seite gestellt und die Vorstellungen als \u201epsychische Massen\u201c zu bezeichnen empfohlen hatte, rechtfertigt sich sofort schon durch die eine Erw\u00e4gung, dafs \u201eArbeiten\u201c nur an \u201eMassen\u201c verrichtet werden, wobei anstatt einer Definition des letzteren Terminus die Erinnerung gen\u00fcge, dafs aus dem gel\u00e4uterten Massen-Begriffe der gegenw\u00e4rtigen, d. h. von Newton datierenden Mechanik alles beseitigt worden ist, was \u00fcber die Eigenschaft des \u201eTr\u00e4geseins\u201c hinausgeht. Selbst einem Galilei war die begriffliche Sonderung von Masse und Gewicht noch nicht gelungen.2 Weil aber ein Messingst\u00fcck in Paris einen bestimmten Druck oder Zug gegen die Erde hin, in Cayenne einen kleineren aus\u00fcbt oder erf\u00e4hrt und dabei doch allen \u00fcbrigen Eigenschaften nach \u201edasselbe\u201c bleibt, so war dies ein psychologisch hinreichend wirksamer und ist ein logisch zureichender Grund, das \u201eGewicht\u201c als eine nicht nur vom Messingst\u00fccke selbst, sondern auch von seiner Stellung zur Erde abh\u00e4ngige \u201eKraft\u201c begrifflich auseinanderzuhalten gegen das von derlei Relationen Unabh\u00e4ngige an jenem Messingst\u00fcck, von seiner \u201eMasse\u201c. (Eben diese Unabh\u00e4ngigkeit bringt den physikalischen Begriff \u201eMasse\u201c in enge Ber\u00fchrung mit dem metaphysischen der \u201eSubstanz\u201c, \u2014 was aber hier nicht n\u00e4her auszuf\u00fchren ist.) Die Masse eines Liter Wasser von 4\u00b0 bliebe dieselbe, wenn diese Wassermenge auch beliebig weit von der Erde, von jedem anderen K\u00f6rper entfernt, ja wenn sie \u00fcberhaupt das einzige Ding in der Welt w\u00e4re. Doch gerade die letztere Bestimmung, welche n\u00f6tig ist, um die Abl\u00f6sung des Massenbegriffes von dem Begriffe des Gewichtes in aller Sch\u00e4rfe zu vollenden, macht uns aufmerksam, dafs auch der Begriff der Masse von Relationen nicht frei ist. Ob ein Ding \u201eMasse\u201c\nhat und wie grofs diese ist, soll ja nach deren Definition doch\n\u2022 \u2022\nerst aus Aufserungen seiner Tr\u00e4gheit erkannt werden, und diese \u00e4ufsert sich nur, wenn dem Dinge eine Beschleunigung\n1\tVergl. S. 44, Anm. 1.\n2\tMach, Gesch. d. Mechanik. S. 179 ff.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n163\nerteilt wird, was seinerseits, soviel wir wissen, nur wieder seitens eines \u201eK\u00f6rpers\u201c geschieht, an dem hier zun\u00e4chst wieder seine Masse (im weiteren freilich auch, ob er magnetisch, ob und wie er elektrisch geladen ist) in Betracht kommt \u2014 also nur, wenn wenigstens zwei Massen zu einander in bestimmte physikalische Relationen treten. Der physikalische Massenbegriff ist somit unbeschadet der Gr\u00fcnde, die zu seiner Konzeption gef\u00fchrt haben, doch keineswegs unabh\u00e4ngig vom physikalischen Kraftbegriffe. Und wie sich nun letzterer durch den Arbeitsbegriff vertreten l\u00e4fst, kann auch der Anteil, welchen der Begriff Masse an dem der Kraft hat, durch Beziehungen zum Begriffe der Arbeit ersetzt werden. Ebensogut, als man h\u00e4ufig \u201edefiniert\u201c:\nm\n\u2014. k\u00f6nnte man auch definieren:\nA\u2014A\nm\no\n9\nv2/2\u2014v02/2\n\u00a7 44. Wir bedurften eines Blickes auf diese in einer langen geschichtlichen Entwickelung gewordenen Begriffsverh\u00e4ltnisse, um die innere Beziehung zwischen den Begriffen psychischer Arbeit und psychischer Masse n\u00e4her zu verfolgen, wozu u. a. einen n\u00e4chsten Anlafs die j\u00fcngst wieder von Meinong1 angeregte Frage bietet, ob es \u201ephysikalischer Betrachtungsweise nicht besser entspreche\u201c, f\u00fcr dasjenige, was er Vorstellungsgewicht nennt, das Wort Masse zu setzen. \u201eEs st\u00fcnde nichts im Wege, es zu substituieren, sobald sich herausstellt, dafs damit ein wirklich fruchtbarer Gedanke und nicht etwa ein blofses Wort aus der Mechanik in die Psychologie her\u00fcbergenommen ist.\u201c\nZun\u00e4chst ganz unabh\u00e4ngig von allen Terminologiefragen sind die folgenden Thatbest\u00e4nde, um derentwillen Meinong hinterher den Terminus Vorstellungsgewicht gebildet hat. \u201eF\u00fcr jedes Subjekt reicht zu jeder Zeit die Vorstellungssph\u00e4re betr\u00e4chtlich weiter, als die Urteilssph\u00e4re.\u201c2 Bedingungen, welche dem Eintreten einer Vorstellung in die \u00fcrteilssph\u00e4re g\u00fcnstig sind, liegen zun\u00e4chst bei Sinnesinhalten in inhaltlicher St\u00e4rke: \u201eDer starke Ton, das starke Licht bleiben weniger leicht unwahrgenommen, als der schwache Ton, das schwache Licht.\u201c\n1\tPsychische Analyse, a. a. O. S. 378, Anm.\n2\tA. a. 0. S. 370.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nA. Hofier.\nEs giebt aber auch, unter den Qualit\u00e4ten mehr oder weniger Auffallendes, bald f\u00fcr alle Vorstehenden, bald f\u00fcr diesen oder jenen. \u201ePhysisches ist als solches dem Psychischen, Absolutes dem Relativen, die Komplexion der mit ihr koincidirenden Relation \u00fcberlegen.\u201c Ferner: \u201eMan stellt \u201e\u201eam leichtesten\u201c\u201c vor, was nicht zu einfach und nicht zu kompliziert ist,\u201c wobei aber Meinong es wahrscheinlich findet, dafs \u201eleicht oder schwer vorstellen\u201c nicht so sehr das Vorstellen als das Beurteilen betrifft. \u2014 \u201eAuch Aufserinhaltliches kann dem Inhalte einer Vorstellung den Vorzug sichern.\u201c Zun\u00e4chst qualitative Besonderheiten der Vorstellungsakte: Von Wahrnehmungs- und Einbildungsvorstellungen haben normalerweise erstere den Urteilsvorzug. In betreff der Intensit\u00e4t des Vorstellens wird auf den Unterschied zwischen direkt und indirekt Geschehenem hingewiesen, bei dem nicht wohl ausschliefslich Inhaltliches mafsgebend sein kann.1 Schliefslich: \u201eGef\u00fchle sowohl als Begehrungen, zun\u00e4chst, was man unter dem Namen des Interesses zusammenzufassen pflegt\u201c, aber auch Wollungen sind richtunggebend f\u00fcr das Urteilen. Von diesen Einfl\u00fcssen d\u00fcrften manche, z. B. das Wollen, nur indirekten Einflufs auf das Urteilen haben. \u2014 Als allgemeine Formel f\u00fcr die allen solchen Spezialgesetzen zu Grunde liegende allgemeine Gesefczm\u00e4fsigkeit bietet sich noch am ehesten die dar: alle Einbeziehung in die Urteilssph\u00e4re h\u00e4nge zuletzt an der Intensit\u00e4t der betreffenden Vorstellungen (wobei, wie der Zusammenhang zeigt, Vorstellung im Sinne von Vorstellungsakt, nicht von Vorstellungsinhalt gemeint ist).\nDa nun aber Meinong auch diese Formel noch nicht als streng bewiesen aufzufassen sich getraut, fafst er das wirklich sichergestellte in die Definition zusammen: \u201eJede Vorstellung hat eine Eigenschaft oder Eigenschaften, verm\u00f6ge deren es bald schwerer, bald leichter ist, den betreffenden Inhalt zu einem Urteilsinhalt zu machen\u201c, oder \u201ejede Vorstellung hat eine bald gr\u00f6fsere, bald geringere Urteilstendenz\u201c (einschliefslich des Grenzwertes Null). Diese \u00fcrteilstendenz heifse \u201eGewicht der betreffenden Vorstellung\u201c.2 Von den zu einer bestimmten Zeit\n1\tSehr lehrreiche hierher geh\u00f6rige Ausf\u00fchrungen giebt Lipps, Gh'und-thatsachen des Seelenlebens, S. 504.\n2\tA. a. O. S. 377.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n165\nf\u00fcr ein Individuum gem\u00e4fs seiner \u201eUrteilskapazit\u00e4t\u201c \u00fcberhaupt beurteilbaren Inbalten \u201ef\u00fcllen diejenigen die Urteilssph\u00e4re aus, denen zur Zeit das gr\u00f6fste Vorstellungsgewicht zukommt\u201c. . . \u201eNicht das absolute, sondern das relative Gewicht garantiert das Beurteiltwerden (\u00dcbersehen und \u00dcberh\u00f6ren trotz gewichtiger Sinneseindr\u00fccke)\u201c. . . Wenn man die Vorstellungen oft und gern gegen einander in einer Art Streit gedacht hat, \u201eso ist das Kampfobjekt in den allermeisten F\u00e4llen das Beurteilt werden, der Eintritt in die Urteilssph\u00e4re\u201c. Sofern das Bild vom Kampf auf der Annahme einer begrenzten seelischen Kraft beruht, hat man \u201edie Sache etwa so zu denken, dafs, je gr\u00f6fseres Gewicht der ihrem Inhalt nach zu beurteilenden Vorstellung zukommt, desto mehr Energie aufgebraucht werden mufs, die Vorstellung gleichsam zur Beurteilungsh\u00f6he emporzuheben\u201c.\nDem Befremden, dafs das Vorstellungsgewicht hier als eine zu bew\u00e4ltigende Last sich darstellt und doch zugleich auch das dem Beurteiltwerden g\u00fcnstige Moment repr\u00e4sentieren soll, begegnet Meinong durch ein mechanisches Gleichnis (von den zwei Gewichten P und p an einer K\u00f6lle).1\nHier haben wir also eine Sammlung von psychischen That-sachen, welche sicherlich nicht erst dem Begriff Gewicht zuliebe konstruiert sind, sondern denen dieser Terminus nur einen m\u00f6glichst unvorgreiflichen Ausdruck geben soll. Da aber das Wort Gewicht doch ausdr\u00fccklich der Mechanik entlehnt (nicht etwa von vornherein in \u00fcbertragenem Sinne, wie in \u201egewichtige Gr\u00fcnde\u201c u. dergl. genommen) sein und also auch bestimmte Inhaltsmerkmale, die ihm dort beigelegt werden, in die Psychologie mit her\u00fcbernehmen soll, so l\u00e4fst sich die von Meinong selbst aufgeworfene Frage nunmehr dahin formulieren, ob nicht eben diese Thatsachen noch ungezwungener durch Merkmale zu beschreiben w\u00e4ren, welche die gegenw\u00e4rtige Mechanik nicht in den Gewichts-, sondern in den Massenbegriff hineinzulegen gew\u00f6hnt ist.\n\u00a7 45. Kn\u00fcpfen wir an das letzte von Meinong selbst vermerkte Befremden an, dafs das Bild vom Vorstellungsgewicht die Vorstellung einerseits als eine durch das Urteil zu hebende Last und andererseits auch das dem Beurteiltwerden g\u00fcnstige Moment repr\u00e4sentieren soll. Also zuerst: die Vorstellung eine\n1 A. a. O. S. 379.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nA. H\u00f6fler.\nLast. Wie wird aber ein physisches Ling, z. B. ein Liter Wasser, eine Last? Kur indem es von der Erde angezogen nnd nun dieser Anziehung entgegen durch eine Kraft gehoben oder zu heben versucht wird. Wo w\u00e4re aber das der Erdattraktion analoge Agens, das, wie diese jeden irdischen K\u00f6rper, so eine jede im Bewufstsein vorfindliche Vorstellung derart von vornherein gegen eine Richtung hinzieht, dafs, was sie in Bewegung zu setzen, will hier sagen, zu beurteilen unternimmt, die Vorstellung schon als Angriffsobjekt einer entgegenziehenden Kraft vorfindet?1\nGeben wir aber demnach das Bild von der Last ganz auf, so bietet sich uns daf\u00fcr das der Massentr\u00e4gheit als eines dar, welches das zun\u00e4chst Beabsichtigte immer noch leistet. Wer eine auf v\u00f6llig glatter Unterlage liegende, ja im leeren Weltr\u00e4ume schwebende Masse aus dem Zustande der Ruhe in den irgend einer Bewegung bringen will, empfindet ganz Gleiches und auch in den gleichen Mafsen Ausdr\u00fcckbares, wie wenn er ein gewisses Gewicht zu heben versucht. Denken wir uns also, die in ein Seelenleben gelangten Vorstellungen be-s\u00e4fsen, unabh\u00e4ngig davon, ob sich an ihnen schon ein Beurteiltoder ein Begehrtwerden beth\u00e4tigt hat, ein Analogon zur Tr\u00e4gheit. Auch unter diesem Bilde wird sich dann nicht minder gut, als wenn wir der Vorstellung Gewicht zusprechen, anschaulich machen lassen, dafs und inwiefern diese Vorstellungsmasse dem Beurteilen zu \u201ethun\u201c giebt, von ihm wie eine Last bew\u00e4ltigt werden mufs.\nEs soll gewifs nicht verhehlt werden, dafs sich das Problematische der ganzen Analogie hier auf die Frage zuspitzt, inwieweit es denn \u00fcberhaupt mehr als ein blofses Wort ist, die Tr\u00e4gheit aus der Mechanik in die Psychologie her\u00fcberzunehmen. Und wir wollen uns nicht mit der naheliegenden Gegenfrage begn\u00fcgen, ob denn nicht ohnedies vielmehr die Tr\u00e4gheit aus der Psychologie in die Mechanik her\u00fcbergenommen\n1 Wer z. B. mit Sjgwart (Logik I, \u00a7 20 ff.) und Wundt (LogiJcl.) jedem verneinenden Urteil ein bejahendes als abzulehnendes vorausgegangen denkt, w\u00fcrde in dieser Bejahungstendenz das gefragte Agens erblicken k\u00f6nnen. Aber diese ganze Verneinungstheorie scheint mir so wenig allgemein haltbar, wie Herbarts Lehre von dem Gebundensein jedes Urteils an \u00dcberlegung; vergl. die Bemerkung in \u00a7 27 \u00fcber die analoge Lehre, dafs alles Wollen L\u00f6sung von Konflikten sei.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n167\nsei. \u2014 Da vor der Aufstellung einer Analogie von den zu vergleichenden Ph\u00e4nomenen selbst jedes f\u00fcr sich v\u00f6llig unzweideutig beschrieben sein mufs, so sei hier gestattet, auf eine sonderbare Doppelheit der Bezeichnung hinzuweisen, die schon in der Mechanik selbst f\u00fcr angeblich ein und dieselbe Sache im allgemeinsten Gebrauche ist. Man spricht von Tr\u00e4gheit und von Beharrung (Tr\u00e4gheitsgesetz, Beharrungsgesetz u.s.w.). Sollten nicht hier doch wenigstens zwei Seiten einer und derselben Sache oder, minder unklar, zwei Ph\u00e4nomene, zwei in sich selbst\u00e4ndige Thatsachen vorliegen? F\u00fcr den Augenblick wieder psychologisch: wer wird Den tr\u00e4ge nennen wollen, der beharrt, und umgekehrt? M\u00f6gen die zwei Eigenschaften an Einem und Demselben Vorkommen (man hat sie dem \u201eDeutschen Michel\u201c nachgesagt), so bleiben es immer noch zwei. So d\u00fcrfte sich denn auch zeigen lassen, dafs auch in der Physik thats\u00e4chlich \u2014 von einzelnen Inkonsequenzen freilich abzusehen, \u2014 im ganzen doch lieber von Tr\u00e4gheit die Bede ist, wenn man sagen will, dafs ein K\u00f6rper sich nicht von selbst in Beschleunigung versetzt, von Beharrung dagegen, wenn man sagen will, dafs der von aufsen her in Beschleunigung versetzte K\u00f6rper hierbei noch Widerstand leistet.1 Da sich diese Nuancen in die Gleichung p \u2014 mg nat\u00fcrlich nicht hineinlegen und nicht aus ihr herauslesen lassen, so mag es dahingestellt bleiben, ob die wissenschaftliche Mechanik daran gut th\u00e4te, einem solchen Sprachgef\u00fchle Beachtung zu schenken.\nGleich auf unsere problematische Tr\u00e4gheit der Vorstellungen angewendet, legt es uns aber die Frage nahe, als was wir uns die noch nicht beurteilten und begehrten2 Vorstellungen lieber denken wollen, als tr\u00e4ge oder als beharrend? Sagen wir: als tr\u00e4ge, so ist im Grunde nichts, als die gar zu einfache Wahrheit ausgesprochen, dafs sich die Vorstellungen nicht selber beurteilen und begehren, also noch genauer: dafs Vorstellen eben noch nicht selbst Beurteilen und Begehren ist. Sagen wir: als beharrend, so behaupten wir wohl wesentlich\n1\tOb die eine Eigenschaft ans der anderen einfach folgt, ist eine Frage der formalen Logik : Folgt ans non-S a non-P (ohne nenes That-sachenmaterial) P a S? Die Ausf\u00fchrung dieser Andeutung an anderem Orte.\n2\tEs sei der hier ungenaue Ausdruck der K\u00fcrze wegen gestattet, zumal er durch die gleiche Konstruktion des \u201ebeurteilt\u201c erl\u00e4utert ist.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nA. H\u00f6fler.\nmehr als eine Tautologie \u2014 einen Thatbestand, von dem sich\u2019s nur fragt, ob wir auf ihn auch anders, als am Faden unserer gewagten Analogie h\u00e4tten kommen k\u00f6nnen. Aber siehe da, es scheint nicht an Beobachtungen solcher Art zu fehlen. Man hat seit langer und auch wieder in letzter1 Zeit nicht selten von YorStellungsbewegung gesprochen, und das ganz unbefangen, ohne in das Gebiet der psychischen Thatsachen von Gesichtspunkten der Mechanik blicken zu wollen; wir werden diesem Begriffe noch des weiteren nachzugehen haben (\u00a7 48). Den Unterschied des Beharrens und des blofsen Tr\u00e4gseins hierbei illustrieren aber f\u00fcr jetzt gen\u00fcgend der Begriff \u201efixer Ideen\u201c und wieder der der \u201eIdeenflucht\u201c; ersterer hat seinen Hauptinhalt von einem mehr oder weniger deutlichen Gedanken an Dinge, die sich nicht gutwillig von der Stelle wollen r\u00fccken oder aber in ihrem Laufe auf halten lassen; die \u201eFlucht\u201c dagegen will das \u00fcberhaupt keinem Versuche der Hemmung mehr unterzogene Ablaufen nicht oder wenig zusammenh\u00e4ngender Vorstellungsmengen beschreiben.\n\"Wagen wir also auf solche Auffassungen hin, wieviel diesen auch noch zu theoretischer Exaktheit fehlen mag, folgende theoretische Fixierung der bisher betrachteten Seiten des Vor* Stellungslebens: Die Vorstellungen bilden ein psychisches Analogon zu mechanischen Massen, indem sie als noch aufser Zusammenhang mit andersartigen psychischen Akten gedacht, sich \u201etr\u00e4ge\u201c verhalten, d. h. \u201evon selbst\u201c in keinen anderen als in \u201egalileischen Bewegungen\u201c (inkl. Buhe) sind, dagegen sich auch als \u201ebeharrend\u201c erweisen, indem sie, durch \u201epsychische Kr\u00e4fte\u201c zu einem Heraustreten aus solchem tr\u00e4gen Verhalten gezwungen, nun auch ihrerseits wie als Angriffs-, so auch als Ausgangspunkte von psychischen Kr\u00e4ften, bezw. Arbeiten fungieren. \u2014 Wir k\u00f6nnen uns letztere Auffassung sozusagen noch handsamer machen, indem wir, ohne etwa das Bisherige noch weiter durch eine sachlich neue Hypothese zu belasten, folgenden weiteren Terminus den entsprechenden Erscheinungsgebieten der Physik entlehnen:\n\u00a7 46/ Bewegung der Vorstellungen im psychischen\n1 So Oelzelt-Newin \u201e\u00dcber Phantasie-Vorstellungen\u201c, 1889. (Meinong weist in \u201ePhantasie-Vorstellungen u. Phantasiea. a. O. S. 241 Anm., auf eine \u00e4ltere Arbeit desselben Verfassers in diesem Sinne bin, ferner auf Joh. M\u00fcller).","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n169\nKraftfeld. Was der Ausdruck \u201eKraftfeld\u201c seit der sp\u00e4ten Anerkennung, die Faradays Auffassung teils l\u00e4ngst bekannter, teils von ihm entdeckter Thatsachen gefunden bat, in der Physik besagen will, sei hier nur an einigen Beispielen in Erinnerung gebracht. Ein Magnetpol zieht ein Eisenst\u00fcck aus einer Entfernung an, die, wenn diese Anziehung noch merklich sein soll, nur m\u00e4fsige Gr\u00f6fse (theoretisch genommen, d. h. nach dem Anziehungsgesetze f = pfi'/r2 freilich beliebige, selbst unendliche Gr\u00f6fse) haben darf. Werfe ich das Eisenst\u00fcck in der N\u00e4he des Magnetpoles an diesem vor\u00fcber, so erf\u00e4hrt es durch ihn eine Ablenkung. Ein Holzst\u00fcck fl\u00f6ge unbeeinflufst durch ihn an ihm vor\u00fcber ; desgleichen ein Eisenst\u00fcck an einem \u201eh\u00f6lzernen Magnet\u201c (wie er ein Requisit bei manchen hypnotischen Versuchen bildet), desgleichen auch ein Holzst\u00fcck an einem Holzst\u00fcck. Sehen wir hierbei von den Gravitations-(und diamagnetischen) Wirkungen zwischen den Paaren der genannten K\u00f6rper ab, so beschreiben wir das thats\u00e4chlich verschiedene Verhalten der genannten K\u00f6rper durch den Ausdruck: die Umgebung des Magnetpoles ist f\u00fcr das Eisen ein Kraftfeld, f\u00fcr das Holz nicht. Nehmen wir die Gravitationswirkungen hinzu, so giebt es f\u00fcr wie immer beschaffene Massen \u00fcberhaupt keine anderen Bewegungen, als solche in Kraftfeldern. Ein Kraftfeld heifst homogen, insoweit es, wie z. B. ein Raum von m\u00e4fsiger Ausdehnung n\u00e4chst der Erdoberfl\u00e4che, sowohl f\u00fcr den Erdmagnetismus wie f\u00fcr die Schwere keine merklichen Verschiedenheiten hinsichtlich der Richtung und der St\u00e4rke der wirkenden Kr\u00e4fte aufweist.\nAn Thatsachen aus dem psychischen Leben, welche sich v\u00f6llig ungezwungen unter dem Bilde dieser physikalischen Analoga beschreiben lassen, fehlt es keineswegs. Ein Mensch von bestimmtem Wissensumfange und einem bestimmten Kreise theoretischer und praktischer Interessen gelange in einem bestimmten Zeitpunkte seines Lebens zu einer neuen Vorstellung, etwa durch Empfindung oder durch Reproduktion oder auch auf eine vielleicht unerkl\u00e4rliche Weise durch Th\u00e4tigkeit seiner produktiven Phantasie. Das Schicksal dieser Vorstellung wird von dem Inhalte der Vorstellung einerseits, von dem \u00fcbrigen Inhalte jenes Seelenlebens andererseits abh\u00e4ngen, wie das Schicksal einer an einem Magnetpol vor\u00fcberfliegenden Masse ein anderes ist, je nachdem sie selbst Eisen oder Holz ist. Die","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nA. H\u00f6fler.\ndurch eine Nachricht in mir erregten Vorstellungen tauchen in meinem Bewufstsein auf, erhalten sich eine Zeitlang m ihm, verschwinden wieder, aber nach ganz anderen Zeit- und In-tensit\u00e4tsmafsen, wenn ein Urteils- und ein Begehrungsleben f\u00fcr jene Vorstellungen ein Kraftfeld dar st eilen, als wenn sie weder meinem Urteil noch meinem Begehren Angriffspunkte zu psychischer Th\u00e4tigkeit bieten. Wie nahe die gemeinten Vorg\u00e4nge dem stehen, was Herbart und die Seinen Apperzeption nennen, f\u00e4llt sogleich ins Auge; es sei dies sogleich hier bemerkt, da der Abschnitt \u201e Apperzeption\u201c ^\u00a761) zu jenen geh\u00f6rt, denen wir aus Baummangel nur wenige Worte widmen d\u00fcrfen. Die Analogie selbst aber m\u00f6chten wir hier m\u00f6glichst rein im Hinblick auf die Thatsachen selbst, unabh\u00e4ngig von Herbarts Theorie, noch etwas n\u00e4her ausgestalten, namentlich nach der Bichtung, dafs die Auffassung der Vorstellungen als psychische Massen noch weitere Vertiefung und Bechtfertigung erh\u00e4lt. Wir haben in dem obigem Beispiele vom Kraftfeld eines Magnetpoles zun\u00e4chst das verschiedene Verhalten der in dieses Kraftfeld gelangenden K\u00f6rper von qualitativen Verschiedenheiten dieser letzteren selbst abh\u00e4ngig gesehen. So nun ist auch, wie gesagt, das Schicksal einer in ein bestimmtes psychisches \u2014 und begrenzen wir gleich enger \u2014 in ein bestimmtes Urteilsleben gelangenden Vorstellung wesentlich von ihrem eigenen Inhalt bedingt. Eine auf einem Seespiegel sichtbar werdende Nuance von Gr\u00fcn wird vom Maler bemerkt, dem Musiker und einer Menge anderen Leuten bleibt sie aulserhalb der Urteilssph\u00e4re. Gerade solche qualitativen Verschiedenheiten der K\u00f6rper bleiben aber aus dem strengen Massenbegriff ausgeschlossen. Ein Kilogramm Eisen und ein Kilogramm Holz haben v\u00f6llig gleiche Masse, denn sie verhalten sich in gleichem Mafse tr\u00e4ge, das will sagen, sie erhalten durch gleiche Kr\u00e4fte gleiche Beschleunigungen ; und speziell verhalten sich diese Kilogramme Eisen und Holz im Gravitations-Kraftfeld v\u00f6llig gleich. Diese beiden verschiedenartigen Stoffe, aber gleichen Massen, wie auch alle \u00fcbrigen K\u00f6rper von beliebigem Stoff und beliebiger Masse, \u201efallen gleich schnell\u201c, sie sind, wie man fr\u00fcher sagte, gleich schwer \u2014 unmifsverst\u00e4ndlich: sie erfahren gleiche Beschleunigungen und einen der Masse proportionalen, von allen \u00fcbrigen Verschiedenheiten unabh\u00e4ngigen statischen Zug (Druck) gegen die Erde hin.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n171\nGiebt es nun auch in den Vorstellungen aufser ihrer qualitativen Verschiedenheit ein Moment, welches ebenso klar und scharf abgrenzbar wie das der Masse gegen alle sonstigen \u201estofflichen Verschiedenheiten\u201c ist ; ein Moment, von welchem in Bezug auf ein bestimmtes gegebenes psychisches Kraftfeld die Bichtun g und Geschwindigkeit der Vorstellungsbewegung ebenso abh\u00e4ngig ist, wie von der Gr\u00f6fse einer Masse ihr phoronomisches Verhalten?\nIst die Ersetzung des MsmoNGschen Terminus \u201eGewicht einer Vorstellung\u201c durch \u201eMasse einer Vorstellung\u201c im Hecht, so m\u00fcfsten die von ihm zu gunsten seines Terminus beigebrachten Thatsachen ebenso viele Antworten auf die letzte Frage sein: \u201eder starke Ton, das starke Licht bleiben weniger leicht unwahrgenommen, als der schwache Ton und das schwache Licht\u201c \u2014 wir k\u00f6nnen hinzuf\u00fcgen: ein grofser Farbenileck wird weniger leicht \u00fcbersehen, als ein kleiner. Die r\u00e4umliche Extension, die wir hierin f\u00fcr das Schicksal derjenigen Qualit\u00e4t, mit der die B\u00e4umlichkeit zusammen gegeben ist, mafsgebend finden, hat nun in der That sogleich ihr v\u00f6llig ungezwungenes Gegenst\u00fcck in Sachen materieller Massen. Auch seitens derjenigen Physiker, welche die Definition \u201eMasse eines K\u00f6rpers ist die Menge seiner Materie\u201c perhorreszieren, wird darauf hingewiesen, dafs, insoweit von zwei K\u00f6rpern bekannt ist, dafs sie v\u00f6llig gleiche chemische Beschaffenheit, gleiche Dichte u. s. w. haben, die Massen allerdings schon durch die Volumina allein bestimmt seien \u2014 dies doch wohl, weil eben hier schon das Volumen die \u201eMenge der Materie\u201c bestimmt. Dafs nun der K\u00f6rper von zwei-, drei-, viermal so grofsem Volumen durch die gleiche Kraft eine zwei-, drei-, viermal so kleine Beschleunigung annehmen wird, ist eine Behauptung, die durchaus \u00fcber blofse Definitionen hinausgeht, vielmehr durch physikalische Empirie ebensogut Best\u00e4tigung braucht und findet, wie die \u00fcbrigen S\u00e4tze betreffs der Beziehungen zwischen Kr\u00e4ften, Massen und Beschleunigungen. Wenn nun also Meinong sagen w\u00fcrde, nicht nur die intensivere, sondern auch die ausgedehntere Farbe hat gr\u00f6fseres Vorstellungsgewicht, so sagen wir gewifs in seinem Sinne: sie ist eine gr\u00f6fsere Vorstellungsmasse. \u2014 Sogleich f\u00fchrt uns dann aber unsere Analogie auch weiter dahin, alles, was sich nicht unter ein derartig extensives Mafs von Vorstellungsmassen bringen l\u00e4fst, nach","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nA. H\u00f6fler.\nAnalogie der Massenvergleicliung bei stofflicher Verschiedenheit zu behandeln; also z. B. den starken Ton gegen\u00fcber dem schwachen wie eine dichtere Masse gleichen Stoffes gegen\u00fcber einer weniger dichten; einen Ton gegen\u00fcber einer Farbe, falls jener f\u00fcr den Musiker gr\u00f6fseres Gewicht aus weist, wie die gr\u00f6fsere Masse bei chemischer Verschiedenheit. Doch seien hiermit nur M\u00f6glichkeiten angedeutet, z. B. keineswegs die Analogie der Empfindungsintensit\u00e4t und Massendichte1 als bereits bewiesenes oder auch nur hinreichend wahrscheinlich gemachtes spezielleres Analogon hingestellt. \u2014 Selbst wenn sich die Mannigfaltigkeit der Momente, welche neben den Verschiedenheiten der Massen auf physischem Gebiete mit ihnen einhergehen, als keineswegs gleichgliedrig mit der der psychischen Mannigfaltigkeiten an Vorstellungen heraussteilen sollte, was sogar der durchaus wahrscheinliche Fall ist, d\u00fcrfte das stete Hin\u00fcberblicken auf die physikalisch so scharf gegeneinander abgegrenzten Elemente, welche bei Massenbestimmungen in Betracht kommen, f\u00fcr die Pr\u00fcfung und Ausbildung des Gedankens \u201epsychischer Massen\u201c ein n\u00fctzliches methodisches Mittel sein \u2014 und das sogar, wenn das Endergebnis die klar begr\u00fcndete Ablehnung sein m\u00fcfste.\nDer n\u00e4chste von den oben citierten S\u00e4tzen Meinongs : \u201eEs giebt aber auch unter den Qualit\u00e4ten mehr oder minder Auffallendes bald f\u00fcr alle Vorstellenden, bald f\u00fcr diesen oder jenen\u201c f\u00fchrt uns nun sofort weiter dahin, neben der Eigenart der in ein psychisches Kraftfeld gelangenden Massen auch die Verschiedenheit der Kraftfelder selbst zu ber\u00fccksichtigen. Insoweit es wahr ist, dafs f\u00fcr alle Vorstellenden \u201ePhysisches als solches dem Psychischen \u00fcberlegen\u201c ist, verh\u00e4lt sich etwa Physisches wie Eisen, Psychisches wie Nickel in je einem, \u00fcbrigens was immer f\u00fcr einem magnetischen Kraftfeld ; insoweit derlei in anderem Mafse f\u00fcr diesen Vorstehenden und Urteilenden als f\u00fcr jenen gilt, ist es wie mit demselben Eisen im Kraftfelde eines starken oder eines schwachen Poles.\nBisher war von den Inhalten der Vorstellungen die Kede.\n1 Auf innere Beziehungen zwischen den Begriffen \u201eDichte\u201c und \u201eIntensit\u00e4t\u201c habe ich gelegentlich hingewiesen in der Zeitschr. f. d. physikal. TJnterr., Jahrg. II (1888/9), S. 239, und behalte die f\u00fcr die psychologische Theorie der \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c wohl in mancher Hinsicht ergiebige Ausf\u00fchrung der Andeutung anderer Gelegenheit vor.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n173\nIst nun Meinongs Annahme \u201ezun\u00e4chst qualitativer, sodann intensiver Besonderheiten der Vorstellungsakte\u201c f\u00fcr die deskriptive Psychologie haltbar,1 so bietet sich als Analogon zur Intensit\u00e4t etwa die Geschwindigkeit einer Massenbewegung, zur Qualit\u00e4t deren Richtung als in Betracht zu ziehen dar. Fassen wir hier nur die der Intensit\u00e4t etwas n\u00e4her ins Auge. Eine und dieselbe Masse kann kleine und grofse Geschwindigkeit haben. Nichts Geringeres als ihre kinetische Energie h\u00e4ngt davon und nur von den zwei Bestimmungsst\u00fccken m und v ab. Nun sehen wir Meinong zwar mit aller Zur\u00fcckhaltung, aber doch am ehesten noch bei der allgemeinen Formel, alle Einbeziehung in die Urteilssph\u00e4re h\u00e4nge an der Intensit\u00e4t des Vorstellens, anlangen. Und das hiefse nun nach unserer Analogie: hat eine Vorstellung eine bestimmte Masse bei \u00fcbrigens beliebiger qualitativer Beschaffenheit, und kommt der Bewegung dieser Vorstellung eine gewisse \u201eGeschwindigkeit\u201c zu, so ist hiervon und nur hiervon \u2014 also u. a. nicht von ihrer Richtung \u2014 ihr Beurteiltwerden abh\u00e4ngig. Wieder haben wir hier den zun\u00e4chst am meisten anst\u00f6fsigen Begriff einer Geschwindigkeit der Vorstellungen nicht vermeiden oder mildern d\u00fcrfen, ohne uns des einer Schwierigkeit Ausweichens schuldig zu machen; was sich zu gunsten des Begriffs Geschwindigkeit einer Vorstellung sagen l\u00e4fst, mag aber erst etwas sp\u00e4ter (\u00a7 48) gesagt werden, f\u00fcr jetzt halten wir uns sogleich an den zusammengesetzten Begriff Energie der Vor-stellung. Auf den Ausdruck \u201eEnergie\u201c ist Meinong, wie es scheint, ohne bewufsten Hinblick auf die feste Bedeutung dieses Terminus, wie er durch die Mechanik f\u00fcr Massenbewegung festgestellt ist, zum Schlufs der in Rede stehenden Untersuchung gef\u00fchrt worden. \u201eJe gr\u00f6fseres Gewicht der ihrem Inhalte nach zu beurteilenden Vorstellung zukommt, desto mehr Energie mufs aufgebraucht werden, um die Vorstellung gleichsam zur Beurteilungsh\u00f6he emporzuheben.\u201c In\n1 So scheint es mir, gegen Brentano, Psychologie, 1874. \u2014 W\u00e4re es wahr, ja selbstverst\u00e4ndlich, dafs die Intensit\u00e4t des H\u00f6rens gleich (proportional?) der des Tones sei, so m\u00fcfste sich diese G-leichung auch umkehren lassen. Aber wer m\u00f6chte den Ton erst deshalb stark nennen, weil er stark geh\u00f6rt wird? \u2014 Diese Erw\u00e4gung wird erst gegenstandslos, wenn man dem Vorstellen gar keine Intensit\u00e4t l\u00e4fst, wie dies Brentano neuestens thut (z. B. Stumpf in der Tonpsychologie, I., 1883, noch nicht).","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nA. H\u00f6fler.\nder That liegt es n\u00e4her, die Energie auf Seiten dessen, was Arbeit leistet, also hier des Urteilens zu suchen, als Energie an dem, was die Energie verbraucht; aber bei genauerem Zusehen doch auch nur verbraucht, weil es selbst Energie besitzt. Erhebt sich der Stein in vertikalem Wurf nach aufw\u00e4rts, so arbeitet die Erde, ihn nicht in den Himmel steigen zu lassen. Ihre Schwerkraft stellt Energie dar; aber auch der Stein hatte Energie, diejenige, welche sich aus kinetischer (beim Anfang des Steigens) in potentielle (bei erreichter Wurfh\u00f6he) verwandelt hat. So nun kann es geschehen, dafs eine Vorstellung sich mit solcher \u201eHeftigkeit\u201c, \u201eEnergie\u201c in mein Urteilsleben dr\u00e4ngt, dafs mein Urteil sich ihr gleichsam entgegenwerfen, sie zum Stehen bringen mufs, um sie in der Urteilssph\u00e4re festzuhalten. Es fehlt nicht an Beispielen f\u00fcr derlei, selbst nicht in den Gebieten, die schon \u00fcber die primitivsten hinaus sind. Der unerwartete Sinneseindruck, etwa ein zu Hlusionen einladender Nebelstreif, regt mich an und auf, urteilend seiner Herr zu werden. Die diplomatische Hede eines allzu klugen Freundes macht mich vorsichtig, ich sehe mich durch das nicht sogleich v\u00f6llig Verstandene wie bedr\u00e4ngt; noch ehe mein Gef\u00fchl verletzt ist, sehe ich meinen Intellekt zu pl\u00f6tzlicher Anstrengung getrieben, sich nicht fangen, nicht \u00fcber den Haufen rennen zu lassen.\nAlso nicht nur mein Urteil wendet Energie auf, auch das zu Beurteilende hatte Energie, wie sie einer zum Stillstand zu bringenden Masse eigen ist. Immerhin sind die Beispiele mehr gesucht, als die, welche Meinong vorgeschwebt zu haben scheinen: etwa die von auf meiner Seele \u201elastenden\u201c Problemen, von Fragen, die mir nur bestimmte Vorstellungskombinationen Vorhalten, denen ich nun eine Bewegung nach her\u00fcber oder hin\u00fcber erteilen soll. Ob ein solches Trennen von F\u00e4llen, in denen psychische Massen eine Verz\u00f6gerung, und solchen, in denen ihnen eine Beschleunigung zu erteilen ist, durchf\u00fchrbar und Bed\u00fcrfnis ist, k\u00f6nnte erst n\u00e4her erwogen werden, wenn wir unserer Methode gem\u00e4fs alles, was durch den Begriff kinetischer Energie an Beziehungen zum Satze von der Relativit\u00e4t der Bewegung angeregt wird, einer erneuten Betrachtung unterzogen h\u00e4tten, was aber gar sehr ins Weite f\u00fchren m\u00fcfste, ziemlich quer durch die Gebiete herk\u00f6mmlicher physikalischer Ansichten \u00fcber das Dogma von der Relativit\u00e4t der Bewegung.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n175\n\u00a7 47. Dagegen m\u00f6chten wir schliefslich zu gunsten der\nVertauschung des MEiNONGschen Gewichtsbegriffes durch unseren\nMassenbegriff auf eine, wie wir sagen zu d\u00fcrfen glauben, v\u00f6llig\nungezwungene Konsequenz aller sonstigen Analogien hinweisen,\ndurch welche Meinongs Gleichnis von den zwei K\u00f6llen, von\n\u2022 *\ndem er ja selbst nicht meint, dafs ihm auf psychischem Ge-\n\u2022 \u2022\nbiete etwas auch nur einigermafsen wirklich \u00c4hnliches in der That entspreche, vollauf ersetzt w\u00e4re. Was das Kollengleichnis erl\u00e4utern will, ist die M\u00f6glichkeit, dafs das Vorstellungsgewicht eine zu bew\u00e4ltigende Last und doch auch das dem Beurteiltwerden g\u00fcnstige Moment repr\u00e4sentieren soll. W\u00e4hlen wir nun aus den obigen Beispielen von Massenbewegungen in Kraftfeldern das der Gravitation. Eine Masse m werde bewegt durch die Kraft emM/r2, als deren Sitz man M zu denken pflegt, also etwa so, wie die Mondmasse m durch die Erdmasse M ihre zentripetale Beschleunigung erh\u00e4lt. Hier sagt schon der angef\u00fchrte Kechenausdruck, dafs die Masse m, unbeschadet sie das Tr\u00e4ge ist, doch eine um so gr\u00f6fsere Kraft sozusagen auf sich lenkt, je gr\u00f6fser sie selbst ist. Sie ist das dem Bewegtwerden gleichsam feindlich sich Entgegenstemmende und doch die notwendige Bedingung, das F\u00f6rderliche f\u00fcr die Entfaltung einer ihr selbst proportionalen Kraft. Oder unter den anschaulichen Bildern Faradays: Je gr\u00f6fser die Masse m ist, um so mehr ^Kraftlinien\u201c vermag sie auf sich zu lenken. Je massiger eine Vorstellung ist, um so mehr lenkt sie das Urteil oder die Urteile auf sich. Lassen wir vollends m eine Summe von\tm\u00bb\nsein, so mag jede derselben Wahrnehmungsurteile auf sich lenken, aber auch von einer zur anderen werden sich Beziehungsurteile spinnen \u2014 man sieht, die Mannigfaltigkeiten der Physik (welche nur etwa ihrer Zahl nach sogar noch zu versuchen w\u00e4ren \u2014 vgl. Anm. 119) lassen uns auch hier nicht im Stiche, selbst wenn wir die herk\u00f6mmlichen Grenzen eines Verweilens bei den primitivsten Urteilsvorg\u00e4ngen \u00fcberschreiten.\nWie wir schon oben auf die innere Verwandtschaft unserer Bilder zur Apperzeptionstheorie vorauszuverweisen hatten, so d\u00fcrfen wir zu gunsten des vielleicht schon allzu anschaulich gewordenen Gleichnisses darauf hinweisen, wie sich so manches Erfordernis der Praxis wenigstens recht ungezwungen unter unserem Bilde aussprechen l\u00e4fst: also etwa, dafs der Lehrer, der seine Sch\u00fcler interessieren will, in ihr Urteilsleben neue","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nA. H\u00f6fler.\nVorstellungen zu werfen habe, von denen er eben wissen mufs, ob sie im st\u00e4nde sind, psychische Kraftlinien auf sich zu ziehen, \u2014 ob sie Eisenk\u00f6rper oder ob sie Holzst\u00fccke, ob die Urteilsdispositionen seiner Z\u00f6glinge noch h\u00f6lzerne Magnete oder schon wirkliche Magnete f\u00fcr das ihnen Gebotene geworden seien. \u2014\nKur ebensokurz, wie Meinong- aufser dem Urteilen auch das Begehrungsleben als zum Y orstellungsgewicht korrelativ in Betracht zieht, sei erw\u00e4hnt, dafs es auch an mittelbaren Kraftfeldern, wie wir kurz sagen k\u00f6nnen, im Psychischen nicht fehlt. Wir meinen eine Mittelbarkeit der folgenden Art: Eine Stromspule hat um sich ein magnetisches Feld, auch wenn kein Eisenkern in ihr ist ; kann sie aber einen solchen zu einem Elektromagnet machen, so wird das Feld bei weitem intensiver. Es superponieren sich das Feld der Spule und das des Kernes, wobei von sekund\u00e4ren Wirkungen dieses auf jene abgesehen werden mag. So nun vermag ein Begehrungskraftfeld mein Urteilen zu induzieren (was mir lieb ist, was ich w\u00fcnsche, das glaube ich); und insoweit die verbreitete Definition des Wollens, dafs ich will, insofern ich den Eintritt des Gewollten durch mein Wollen verursacht glaube, an nichtiges r\u00fchrt, bringen hier Begehren und Urteilen zusammen mein Yorstellen in Bewegung: das Urteil (die Spule) induziert das Wollen (den Elektromagnet), beide Formen psychischer Arbeit setzen, jede mit ihrer spezifischen Energie, die Yorstellung, deren Inhalt das Geglaubte und Gewollte ist, in Bewegung. \u2014 Ob nicht einstens ein psychologischer Faraday noch Analoga zu den allgemeinen Begriffen elektrotonischer Zust\u00e4nde, zu den speziellen von Selbstinduktionen u. dergl. die Analoga wird anzugeben wissen? Wie diese als Korollarien zu allgemeinen Gesetzen der Energie zu begreifen sind, so mag dereinst auch eine psychische Energetik solche Gedanken nicht mehr abenteuerlich, sondern durch l\u00e4ngst bekannte und nur noch nicht im Lichte so umfassender Prinzipien gesehene Thatsachen gew\u00e4hrleistet finden.\n\u00a7 48. Doch statt solcher Ausblicke sind wir noch die Rechtfertigung eines Begriffes, des der Yorstellungsbewegung, schuldig, der oben (\u00a7 45) durch die gel\u00e4ufigen Begriffe der \u201efixen Idee\u201c und der \u201eIdeenflucht\u201c nur vorl\u00e4ufig verst\u00e4ndlich gemacht worden war.\nWelche Thatsachen des Vorstellungslebens kann man f\u00fcglich als \u201eBewegungen\u201c bezeichnen \u2014 n\u00e4mlich so, dafs wir","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n177\nbei aller W\u00fcrdigung der \u201eUnr\u00e4umlicbkeit psychischer Ph\u00e4nomene\u201c als den zur Beschreibung der Vorg\u00e4nge an Vorstellungsph\u00e4nomenen geeignetsten, nat\u00fcrlichsten Begriff den der Bewegung zu w\u00e4hlen uns eingeladen sehen?\nJedenfalls nicht von Vorstellungsbewegung1 w\u00fcrden wir\nsprechen, wo eine Vorstellung nach Akt und Inhalt v\u00f6llig\nunver\u00e4ndert in unserem Bewufstsein bliebe; ein Fall, der, wie\noft gesagt worden, in unserem Bewufstseinsleben wohl kaum\nje auch nur f\u00fcr die k\u00fcrzeste Zeitstrecke realisiert ist.2 Als\nHauptf\u00e4lle der Vorstellungsbewegung lassen sich auseinander-\u2022 \u2022\nhalten \u00c4nderungen des Aktes und des Inhaltes, einschliefslich der Grenzf\u00e4lle des Eintrittes in das Bewufstsein und des Austrittes aus dem Bewufstsein. \u2014 Diese Bestimmungen bed\u00fcrfen aber einer Sicherung gegen das Mifsverst\u00e4ndnis, welchem der Ausdruck \u201eim Bewufstsein\u201c so h\u00e4ufig ausgesetzt ist. Wenn mit dem Worte Bewufstsein derjenige Sinn verbunden wird welchen Meinong3 andeutet, nach welchem \u201enichts bewufst ist, um das ich nicht weifs, also auch nichts, \u00fcber das ich nicht urteile, oder doch urteilen kann\u201c \u2014 und wenn es, wie im vorigen immer angenommen, unbeurteilte Vorstellungen giebt, so giebt es auch unbewufste Vorstellungen, welcher Existenznachweis nat\u00fcrlich nur im Sinne eben dieser Terminologie bindend ist, die wir, ohne sie anderweitig gegen die zahlreichen sonst \u00fcblichen hier in Vorzug setzen zu wollen, ihrer Unmifs-verst\u00e4ndlichkeit wegen festhalten wollen. \u2014 Diese Bestimmung legt nun die Frage nahe: Fingieren wir, eine Vorstellung bleibe als solche, d. h. nach Vorstellungsinhalt und Vorstellungsakt, eine Zeitstrecke t hindurch unver\u00e4ndert; wenn sie aber\n1\tWenigstens so lange wir den Begriff der Bewegung ohne tiefer e Eingehen auf diejenigen Relativit\u00e4ten verwenden, die uns heute dort von galileischen Bewegungen sprechen lassen, wo man sonst von Ruhe sprach; z. B. im Begriffe eines \u201eGleichgewichtes bei Bewegungen\u201c, welcher hei der noch vor nicht Langem gebr\u00e4uchlichen Einteilung der Mechanik in die Lehre vom Gleichgewicht und von der Bewegung in sich widersprechend gewesen w\u00e4re.\n2\tVgl. Fechner, El. d. Psychophysih 11,2, S, 471: \u201eIch hin' nicht im Stande, seihst das gel\u00e4ufigste Erinnerungsbild auch nur kurze Zeit stetig festzuhalten, sondern mufs es, um es l\u00e4nger zu betrachten, gewisser-mafsen immer von Neuem wiedererzeugen; es \u00e4ndert sich nicht sowohl von seihst, als es verschwindet immer wieder von selbst.\u201c\n3\tPsych Analyse, a. a. O. S. 370.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII\u00ab\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nA. H\u00f6fler.\ninnerhalb dieser Zeitstrecke anf\u00e4ngt oder aufh\u00f6rt, beurteilt zu werden (wir meinen nat\u00fcrlich seitens desjenigen Individuums, zu dessen Ich sie geh\u00f6rt) : sollen wir diese Ver\u00e4nderung, welche sich mit, aber nicht in der Vorstellung vollzieht, auch schon Vorstellungsbewegung nennen? Es w\u00e4re wohl blofs eine Frage der \u00dcbereinkunft. Praktisch aber bleibt der Fall wahrscheinlich ohnedies eben ein fingierter. Denn das haben ja Meinongs Untersuchungen \u00fcber Vorstellungsgewicht eben zu zeigen unternommen, dafs etwas und was sich an der Vorstellung selbst ver\u00e4ndern m\u00fcsse, damit sich ihre Relation zum Beurteiltwerden ver\u00e4ndere. Es bliebe nur noch die M\u00f6glichkeit offen, dafs bei unver\u00e4nderter Vorstellung als solcher die Urteilsdispositionen, soweit sie sich nicht auf Vorstellungs-disp\u00f6sitionen zur\u00fcckf\u00fchren lassen (\u00a7 36), sich ver\u00e4ndern, und so durch den Zeitpunkt dieser Ver\u00e4nderung den Zeitpunkt des Eintrittes, bezw. Austrittes der Vorstellung in das, bezw. aus dem Bewufstsein determinieren. \u2014 Wie es auch sei: jedenfalls sind die Ausdr\u00fccke Eintritt und Austritt selbst schon Bewegungsnamen.\nWir werden aber weiter den Namen der Bewegung auch \u00c4nderungen des Inhaltes und \u00c4nderungen des Aktes (falls es letztere giebt) nicht versagen d\u00fcrfen.\nWas \u00c4nderungen des Inhaltes betrifft, so nimmt das Wort Bewegung hier denjenigen weiten Sinn an, der dem Altertum gel\u00e4ufiger war, als uns, zumal wenn es sich um eine \u00c4nderung der Qualit\u00e4t handelt. In eben diesem weiten Sinne hat aber j\u00fcngst erst wieder z. B. Stumpf1 es t\u00fcr n\u00f6tig befunden, \u201eTonbewegung\u201c geradezu dem Tone zu koordinieren. Und kaum minder ungezwungen gebrauchen wir bei Intensit\u00e4tsunterschieden Bewegungsnamen, wie \u201elangsames, schnelles, gleichf\u00f6rmiges . . . Crescendo\u201c u. dergl.\nGleichwohl d\u00fcrfte zu sagen sein, dafs es uns noch mehr wie eine Bewegung anmutet, falls die analogen Ver\u00e4nderungen nicht den Inhalt, sondern den Akt der Vorstellung angehen. Nicht erst, wenn und inwiefern sich ein Inhalt mit dem Zur\u00fccksinken in die V ergangenheit meinen Erinnerungsurteilen mehr und mehr entzieht, sondern auch schon insofern das Vorstellen eines nicht mehr der Wahrnehmung, sondern nur der Re-\n1 Tonpsychologie, I. Bd., S. 184; II. Bd., S. 340.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n179\nProduktion zug\u00e4nglichen Inhaltes eine geringere Intensit\u00e4t des Vorstellungsaktes in sich schliefst, werden wir von einem Entschwinden der Vorstellung sprechen; also wieder ein Bewegungsname.\nDie hier benutzten Distinktionen entsprechen einer Reihe von Fragen der deskriptiven Psychologie, welche zwischen den wenigen, die sie \u00fcberhaupt aufgeworfen hatten, Gegenstand lebhaften Streites sind. Man m\u00f6ge uns hier nicht das onus seiner Schlichtung aufb\u00fcrden. Nur soviel soll ausdr\u00fccklich festgehalten sein, dafs, wenn eine Vorstellung ihrem Akte nach gegen Null limitiert, auch vom Inhalt nichts \u00fcbrig bleiben kann ; ebenso wie ein Farbenfleck, dessen r\u00e4umliche Ausdehnung immer mehr verkleinert wird, zwar so lange in unver\u00e4ndertem F\u00e4rb en ton bestehen kann, als auch nur ein Fl\u00e4chendifferential von R\u00e4umlichkeit bleibt, nicht aber auch nach Wegnahme dieses letzteren.\n\u00a7 49. Indem wir dieser \u00dcberzeugung Ausdruck geben, gestehen wir, dafs wir mit ihr Herbarts \u201eVorstellungen unter der Schwelle 4es Bewufstseins\u201c nicht zu vereinen und sie daher \u00fcberhaupt nicht zu verstehen und noch weniger anzuerkennen verm\u00f6gen. Denn soweit wir sie verstehen, w\u00e4ren es eben Inhalte mit Null gewordenen Akten. Und so wird es denn auch gerechtfertigt erscheinen, warum wir die von Herbart so anschaulich ausgemalten Bilder vom Sinken und Steigen der Vorstellungen nicht zu Gunsten unseres Begriffs der Vorstellungs-bewegung geltend machen konnten, ihn aber auch nicht mit diesen Bildern verwechselt sehen m\u00f6chten.\nWas nach dieser Negation einer HERBARTschen Hauptthese Positives an ihre Stelle zu setzen ist, wurde oft gesagt. Die Vorstellungen \u201esinken\u201c nicht, sondern h\u00f6ren als solche ganz auf, hinterlassen aber Dis p o sit io ne n zum Entstehen inhalts\u00e4hnlicher Vorstellungen. Indem wir uns dieser \u201eDispositionstheorie\u201c, wie wir sie im Gegens\u00e4tze zu der HERBARTschen (eigentlich auf den PLATONschen Vergleich des Ged\u00e4chtnisses mit einem Taubenschlag zur\u00fcckgehenden) \u201eIdentit\u00e4tstheorie\u201c nenhen wollen, r\u00fcckhaltslos anschliefsen, stehen wir freilich vor einer Konsequenz, welche gerade f\u00fcr die hier vertretene Auffassung der Vorstellungen als psychischer Massen verh\u00e4ngnisvoll zu werden droht. Das physikalische Gesetz der Erhaltung der Massen gilt n\u00e4mlich f\u00fcr die psychischen Massen nach der","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nA. H\u00f6fler.\n\u2022 \u00ab\nDispositionstheorie nicht. (Uber das dem Gesetz der Erhaltung der Masse gew\u00f6hnlich koordinierte Gesetz der Erhaltung der Energie auf psychischem Gebiete einige \"Worte in \u00a7 76.) Nach der Identit\u00e4tstheorie, laut welcher keine Vorstellung, die einmal in der Seele war, je wieder zu nichts werden k\u00f6nnte, w\u00e4re freilich ein Gesetz der Erhaltung psychischer Massen verb\u00fcrgt. Aber selbst um diesen Preis, dafs die Identit\u00e4tstheorie unsere spezielle Analogie zwischen Physischem und Psychischem st\u00fctzt, die Dispositionstheorie ihr zuwider ist, verm\u00f6gen wir letzterer nicht untreu zu werden. \u2014\nEs war bisher von Vorstellungen ganz allgemein die Rede, und es w\u00e4ren nun die verschiedenen Unterarten der Vorstellungen nach ihren Beziehungen zu psychischer Arbeit durchzugehen, d. h. wir h\u00e4tten einer systematischen Psychologie des Vorstellens die Haupteinteilungen von Vorstellungen zu entnehmen und zu sehen, inwieweit der Gegensatz zwischen Wahrnehmungsund Phantasievorstellungen (im weiteren Sinne), von Vorstellungen aus reproduktiver und produktiver Phantasie, abstrakten und konkreten, anschaulichen und unanschaulichen Vorstellungen u.s.f. sich an ein Vorhandensein und Fehlen von psychischer Arbeit beim Zustandekommen je der einen oder der anderen Spezies gekn\u00fcpft zeigt. Es wird aber gut sein, wenn wir uns statt derartiger systematischer Vollst\u00e4ndigkeit wieder nur mit einer Auswahl des Auff\u00e4lligsten begn\u00fcgen.\n\u00a7 50. Den zuletzt erw\u00e4hnten Theorien vom Wiederauftauchen der Vorstellungen, oder aber, wie wir sagen, dem Neuentstehen inhalts\u00e4hnlicher (inhaltsgleiche kommen ja kaum vor) entspricht der von jeder Theorie unabh\u00e4ngige, jedenfalls irgendwie rein deskriptiv zu fassende Unterschied der Wahrnehmungs- und Phantasievorstellungen. Der f\u00fcr letztere gebr\u00e4uchlichere Name \u201ereproduzierte Vorstellungen44 ist zwar schon wieder speziell der Identit\u00e4tstheorie angepafst, mag aber hier eben seiner Gebr\u00e4uchlichkeit wegen beibehalten werden. Diejenigen Aufgaben, welche sich die Herbarts che Vorstellungsmechanik angesichts des Vergessens und Reproduzierens gestellt hat, sind f\u00fcr unsere Mechanik der psychischen Arbeit auf Grund der Dispositionstheorie einfach gegenstandslos. An Stelle dieser Aufgaben tritt die Frage, ob unter den Bedingungen f\u00fcr das Neueintreten der inhalts\u00e4hnlichen Vorstellungen der psychischen Arbeit eine charakteristische Rolle zufallt.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n181\nNun sind unabh\u00e4ngig von jeder Theorie jene Bedingungen, soweit sie sich \u00fcberhaupt rein psychologisch (ohne Heranziehen physiologischer Teilursachen oder gar Berufung auf unbekannte Gr\u00fcnde von mancherlei \u201eAusnahmen\u201c) formulieren lassen, bekannt einerseits als die Assoziationsgesetze, andererseits als die emotionalen Bedingungen des Vor-stellungsverlaufes, n\u00e4mlich Einflufs von Interesse, Wollen u. dergl. f\u00fcr Reproduktion und Vergessen.\nFassen wir nun den Begriff* der Assoziation so eng, dafs die Assoziationsgesetze wirklich nur das Gehabthaben und das Haben bestimmter Vorstellungen als Vorbedingung f\u00fcr den Eintritt anderer, eben der sogenannten reproduzierten Vorstellungen, zum Gegenst\u00e4nde haben, so ist es eine unmittelbare Konsequenz der Einreihung des Vorstellens als solchen unter die Nichtarbeiten, dafs Assoziation nicht psychische Arbeit ist. Denn auch ein Assoziationsvorgang bietet dem Bewufstsein nur eine Summe von Vorstellungen dar, da die an dem Vorg\u00e4nge beteiligte Kausation als solche nie in das Bewufstsein fallen kann.\nMit jenem Satze mag wenig oder viel gesagt scheinen, je nachdem man ihn nur als selbstverst\u00e4ndliches Ergebnis einiger Nominaldefinitionen oder aber als Ausdruck erfahrbarer Thatsachen nimmt, die an sich immerhin noch die Frage offen lassen, ob jener Satz eben auch ihr nat\u00fcrlicher Ausdruck ist. In der That m\u00f6chte ich den letzteren Mafsstab zur Pr\u00fcfung der Tragweite jenes Satzes verwendet sehen, etwa in der Weise: Es giebt eine \u201eAssoziations-Psychologie\u201c, welche so ziemlich alles, was innere Erfahrung gezeigt und noch zeigen wird, durch die zwei Leitbegriffe der Vorstellung (Sensation und Idee) und der Assoziation von Vorstellungen erkl\u00e4ren, das will nat\u00fcrlich auch sagen: vor allem ausreichend beschreiben zu k\u00f6nnen meint.\nDarunter nun w\u00e4ren auch jene Vorg\u00e4nge, welche wenigstens die naive Auffassung als psychische Th\u00e4tigkeiten, als Aktivit\u00e4t im engeren, st\u00e4rkeren Sinne des Wortes (\u00a7 24) zu kennen meint. Diesen letzteren Vorg\u00e4ngen gegen\u00fcber kann nun die Assoziations-Psychologie zweierlei Haltung einnehmen : entweder sie schliefst diese Th\u00e4tigkeiten einfach als f\u00fcr die Erkl\u00e4rung unbequem aus, k\u00fcmmert sich wohl \u00fcberhaupt nicht um sie, hat sie gar nicht bemerkt, \u2014 oder aber sie unternimmt","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nA. H\u00f6fler.\nes, auch diese Th\u00e4tigkeiten ganz ausdr\u00fccklich in Vorstellungen und Assoziationen aufzul\u00f6sen. Das erstere Verfahren kann freilich nur die Vollst\u00e4ndigkeit einer derartig zustande kommenden Psychologie in Frage stellen, und wer wird einer empirischen Wissenschaft Unvollst\u00e4ndigkeit zum allzu schweren Vorwurf machen wollen. Das zweite Unternehmen aber mufs sich nat\u00fcrlich die Pr\u00fcfung gefallen lassen, ob man in den aus Vorstellungen und Assoziationen konstruierten Gebilden diejenigen \u00fcberhaupt wieder erkennt, welche hatten erkl\u00e4rt werden sollen. Statt eines Versuches, historische Erscheinungen in die hiermit gegeneinander abgegrenzten denkbaren Vorstellungsweisen einzureihen,1 2 bekenne ich mich oder habe mich vielmehr bereits durch Anf\u00fchrung namentlich von Urteilen und Begehren als Grundklassen zur Ablehnung beider M\u00f6glichkeiten bekannt. Es g\u00e4be aber noch eine dritte : n\u00e4mlich unter Assoziation etwas ganz anderes zu verstehen, als jenes Bedingtsein von Vorstellungen durch Vorstellungen; und in der That w\u00fcrde sich manchen Anwendungen des Wortes gegen\u00fcber eine Zusammenstellung (\u00e4hnlich der STUMPFschen, \u201ewas Tonverschmelzung ist und was sie nicht istU2) lohnen, was Assoziation ist3 und was sie nicht ist: z. B. nicht das Zusammensein von mehreren Merkmalen in einer Empfindung, wie Farbe und Ausdehnung nach nativistischer Lehre ; nicht Urteilen, auch wenn die Inhalte wirklich (was nicht immer der Fall sein mufs) zusammengesetzt sind; nicht Schliefsen u. s. f.\nWir werden also, wenn z. B. eine Vorstellungsreihe so glatt als m\u00f6glich abl\u00e4uft, so dafs jede n\u00e4chste Vorstellung sich an die vorhergehende anschliefst, ohne dafs es eines Besinnens, eines Nachhelfens seitens des Urteilens oder Wollens bedarf, einen reinen Fall von Assoziation, eben darum aber auch von Abwesenheit psychischer Arbeit sehen.\nWir haben oben, der Assoziation koordiniert, also von ihr ausgeschlossen, die emotionalen Momente erw\u00e4hnt, welche unverkennbar Teilbedingungen f\u00fcr das Zustandekommen\n1\tEine Probe davon, wie sich eine allerneueste Assoziations-Psychologie (Ziehen) mit dem \u201eSchliefsen\u201c abfindet, vergl. unten Anm. 101.\n2\tTonpsychologie, II, p. 127.\n3\tEine der Dispositionstheorie angepafste Umformulierung des Begriffes Assoziation und der Assoziationsgesetze hat Meinong gegeben : Phantasie, a. a. O. S. 178 ff.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n183\nreproduzierter Vorstellungen sind. Also F\u00fchlen und Begehren : und hier bedarf es von letzterem keiner weiteren Er\u00f6rterung, dafs allerdings namentlich das Wollen z. B. in h\u00f6herem Grafle das Eintreten von Erinnerungs- als von Wahrn ehmungs-vorstellungen zu beeinflussen vermag ; wobei aber auch wieder deutlich genug sich sofort der Eindruck aufdr\u00e4ngt, dafs hier das Arbeiten Sache eben des Begehrens, nicht des Vorstellens gewesen sei. \u2014 Aber nun der Anteil des F\u00fchlens an dem Eintritte der Phantasie-, d. h. der Nichtwahrnehmungsvorstellungen unter dem Gesichtspunkte der Arbeit, zu dem ja das F\u00fchlen selbst wieder in den \u00a7 33ff. gew\u00fcrdigten Beziehungen steht? Einiges Whnige hier\u00fcber am besten im Zusammenh\u00e4nge speziell\nmit der \u201eproduktiven\u201c Phantasie.\n\u00a7 51. Vorstellungen aus produktiver Phantasie. W\u00e4re die immer wieder ab und zu ge\u00e4ufserte Erwartung mancher Psychologen zutreffend, dafs sich alle Thatsachen der Vorstellungsproduktion (die von WahrnehmungsVorstellungen durch Sinnesreize und ihr Analogon auf dem Gebiete der inneren Wahrnehmung von vornherein abgerechnet) auf die Gesetze der sogenannten Reproduktion m\u00fcssen zur\u00fcckf\u00fchren lassen, so bliebe zu obigem Titel, streng genommen, nichts zu sagen. Aber \u00d6lzelt1 und Meinong2 3 * * * haben jene Erwartung als eine zum mindesten verfr\u00fchte so gr\u00fcndlich erwiesen, dafs die Psychologie die schon im Worte \u201eProduktion\u201c gelegene Annahme mit gutem Gewissen acceptieren darf. Und wenn nun das Wesen dieser Produktion nach der einen, wie nach der anderen Annahme wieder zum guten Teil im \u201eKomponieren\u201c von Vorstellungselementen, z. B. von T\u00f6nen, gelegen ist, so scheint ja hiermit die Beziehung gerade der produktiven Phantasie zu psychischer Arbeit schon durch diese Begriffe des Produzierens und Komponierens ausreichend verb\u00fcrgt. Indes haben Meinongs Untersuchungen zur Theorie psychischer Komplexionen, so z. B. durch die Unterscheidung von vor-findlichen und erzeugbaren Komplexionen8 aufmerksam gemacht,\n1\tPhantasievorstellungen, a. a. O., S. 16 ff.\n2\tPhantasie, a. a. O., S. 193.\n3\tPhantasie, a. a 0., S. 75. \u2014 Ferner \u201eZur Psychol, d. Komplexionen\nund Relationen, diese Zeitschrift, II. Bd. Auch zur Frage, inwieweit an\nEhrenfels\u2019 \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c \u201eTh\u00e4tigkeiten\u201c beteiligt sind, nimmt\nMeinong dort kurz Stellung.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nA. H\u00f6fler.\ndafs durch die blofse Thatsache des Komponiert-, Zusammengesetzt-, Y er kn\u00fcpft s eins, und wie alle diese Th\u00e4tigkeitsnamen lieifsen, doch noch bei weitem nicht \u00fcberall das Walten einer komponierenden, verkn\u00fcpfenden . .. Th\u00e4tigkeit verb\u00fcrgt sei. Es h\u00e4tte keinen Zweck, hier in K\u00fcrze diese so ganz hierher geh\u00f6rigen Untersuchungen zu rekapitulieren oder in Einzelheiten fortf\u00fchren zu wollen, da uns eine zusammenfassende Darstellung f\u00fcr eine hoffentlich nicht mehr ferne Zeit angek\u00fcndigt ist. Wenden wir uns deshalb sogleich zu einer ganz anderen Betrachtung des Anteiles, den psychische Arbeit an den Gesch\u00f6pfen produktiver Phantasie hat, und zwar an den vollkommensten solcher Sch\u00f6pfungen, denen der k\u00fcnstlerischen Phantasie, indem wir die zu Ende des Abschnittes \u201e Gef\u00fchle\u201c noch offen gelassene Frage betreffs der Beziehung des \u00e4sthetischen Vorstellens zu\nunserer Arbeitshypothese wieder aufnehmen.\n\u2022\u2022\n\u00a7 52. \u00c4sthetisch sind Vorstellungen durch ihre Beziehung zum F\u00fchlen ; und: \u00e4sthetische Gef\u00fchle sind Vorstellungsgef\u00fchle. Letzteres ist eine Bestimmung, die nicht nur dem eigentlichen Sinne der immer wiederholten negativen Charakteristik, dafs das Sch\u00f6ne mit dem Begehren nichts zu thun habe, in positiver Weise gerecht wird, sondern welche auch die weitere negative Bestimmung enth\u00e4lt, dafs, so wenig als das Begehren, auch das Urteilen mit dem Sch\u00f6nen zu thun habe. Hiermit aber scheint von \u00e4sthetischem Vorstellen jede Zuthat psychischer Arbeib ausgeschlossen, und das Lustgesetz, nach welchem Lust, wenn nicht immer, so doch in weitem Umkreise an psychische Arbeit gekn\u00fcpft ist, scheint durch die Thatsache \u00e4sthetischer Lust jene weitgehende Ausnahme zu erfahren, deren wir in \u00a7 34 vorl\u00e4ufig gedachten. M\u00fcssen wir kurzweg eine solche zugeben? Wir k\u00f6nnten es ohne Widerspruch gegen fr\u00fcheres, da ja das Arbeitsgesetz nur \u201eein\u201c, nicht \u201edas\u201c Lustgesetz aussprechen wollte. Wir k\u00f6nnten aber auch umgekehrt uns auf jene Grenzf\u00e4lle dieses Arbeitsgesetzes berufen, deren einer das dolce far niente war; und man weist ja in der That immer und immer wieder auf das Bewufstsein von \u201eLeichtigkeit\u201c hin, das dem \u00e4stethischen Geniefsen zu Grunde liegt, in welchem Betonen der Leichtigkeit ja immerhin schon eingeschlossen ist, dafs doch irgend etwas, nur eben nicht M\u00fchsames, zu \u201eleisten\u201c1 sei. Aber sicherlich ist es ja mit ihr\n1 So Avenarius, Denken der Welt gem\u00e4\u00df dem Prinzip des kleinsten Kraftmafses, S. 73. \u201eNach all dem Gesagten wird es vielleicht nicht als","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n185\nnoch so wenig getban, dafs \u201eleichte Musik\u201c im allgemeinen nicht einmal als besonderes Lob des \u00e4sthetischen Wertes gilt. Nicht anders ist es mit \u201eleichter Lekt\u00fcre\u201c;* 1 und mag hier auch das \u00bbde gusiibus etc.\u201c, d. h. diesmal individuelle Kraft zur Aufnahme und Verarbeitung k\u00fcnstlerischer Eindr\u00fccke, besondere R\u00fccksicht verdienen, so pflegt doch nicht selten, selbst von solchen, welche es f\u00fcr ihre Person mit dem \u201eLeichteren\u201c halten, nicht in Abrede gestellt zu werden, dafs der h\u00f6here Wert dem Schwereren Vorbehalten sein m\u00f6ge; in \u00dcbereinstimmung also mit dem, was^wir von der Beziehung des Begriffes \u201eh\u00f6her\u201c, erh\u00f6hter Arbeit in psychischen Bingen, schon fr\u00fcher erw\u00e4hnten (\u00a7 18). Endlich aber fehlt es sogar nicht an Zeugnissen, welche den Anteil psychischer Arbeit an \u00c4sthetischem, vor allem nat\u00fcrlich der k\u00fcnstlerischen Produktion, sogar als sehr hoch ansetzen.2\nStatt eines wahrscheinlich nicht allzu schwierigen Versuches, diese scheinbaren Gegens\u00e4tze untereinander und mit dem Zeugnis der inneren Beobachtung jedes Einzelnen beim \u00e4sthe-\nzu gewagt erscheinen, den \u00e4sthetischen Wert bestimmter Formen gleichfalls auf das Wirken des Prinzips der zweckm\u00e4fsigen Kraftverwendung zur\u00fcckzuf\u00fchren. In solchen F\u00e4llen \u2014 gewisse gewundene Linien und die Verh\u00e4ltnisse des goldenen Schnittes geh\u00f6ren hierher \u2014 ist es weder der materielle Stoff, noch ein repr\u00e4sentierter Vorstellungsinhalt, was ein \u00e4sthetisches Gefallen erregt, sondern nur die Art der Anordnung der einzelnen Teile untereinander. Mithin kann das erregte Lustgef\u00fchl nur eine Begleiterscheinung der Leistung sein, welche seitens des auffassenden Subjektes, im Akt der Auffassung, durch die Beziehung der Teile aufeinander vollzogen ist.\u201c\n1\tEs sei in Ermangelung einer passenderen Stelle (die sich bei dem\nurspr\u00fcnglich beabsichtigten Eingehen auf die \u201eAnwendungen\u201c des\nBegriffes psychischer Arbeit in den Gebieten praktischer Psychologie,\ndarunter auch \u00c4sthetik, ergehen h\u00e4tte) gestattet, hier auf Sch\u00f6nbachs ^\t\u2022 \u2022\nBuch: \u201eUber Lesen und Bildung\u201c (4. Auflage 1894) hinzuweisen, als auf einen Beleg daf\u00fcr, wie ungezwungen sich unsere Begriffe von psychischer Arbeit, Kraft u. dergl. in einen Gedankengang f\u00fcgen, der unmittelbar h\u00f6chsten \u201epraktischen\u201c Zielen zugewendet ist. In manchen k\u00fcrzeren und l\u00e4ngeren Stellen, so S. 19\u201429, S. 72\u201482, ist Arbeit, selbst\u00e4ndige Urteilsarbeit, selbst\u00e4ndige Gef\u00fchlsteilnahme geradezu der Leithegriff der Ausf\u00fchrungen. Und das Motto des ganzen Buches lautet: Qui addit scientiam, addit et laborem. Eccl. I. 18 \u2014, ein Motto, durch das wir gern auch manche der gewagten Anregungen unseres III. Abschnittes, namentlich den Begriff einer \u201eKonfiguration der Erkenntnisziele\u201c (\u00a7 73) gedeckt sehen m\u00f6chten.\n2\tEine sehr lehrreiche Zusammenstellung von Stimmen schaffender K\u00fcnstler selbst hat \u00d6lzelt (.Phantasievorstellungen, S. 40\u201442) gegeben.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nA. H\u00f6fler.\ntischen Geniefsen in Einklang zu bringen, mag hier eine Art Anwendung der oben (\u00a7 48) entwickelten Begriffe von Vorstellungsbewegung und psychischem Kraftfeld zur theoretischen Beleuchtung des angeregten Bedenkens Platz finden. W\u00e4re der Satz, \u00e4sthetische Gef\u00fchle sind Vorstellungsgef\u00fchle, so zu verstehen und aufrecht zu erhalten, dafs rein ein Zustand des Vorstellens an sich schon \u00e4sthetische Lust ausl\u00f6se, so hiefse das, dafs schon die Vorstellung, auch wenn sie nach Inhalt und Akt schlechthin unver\u00e4ndert bleibt, also nach dem mechanischen Gleichnis, wenn sie sich als psychische Masse in galileischer Bewegung befindet, unmittelbarer Erreger \u00e4sthetischer Lust sei. Ist aber ein Eintreten solcher Lust unter so vereinfachten Bedingungen \u00fcberhaupt noch zu finden? Denken wir an das Auftauchen einer Phantasievorstellung im produktiven Geist und Gem\u00fct des K\u00fcnstlers. Sie ist gekommen, er selbst weifs nicht woher, sie fesselt ihn, er h\u00e4lt sie fest, er f\u00fchlt sie sich entfalten, ausgestalten, neue Gebilde wecken und an sich locken, und all dies entz\u00fcckt ihn als der geniale Moment des eigentlichen Empfangens, ehe er noch mit Willen das Empfangene festh\u00e4lt und nun die m\u00fchevolle k\u00fcnstlerische Arbeit an die planm\u00e4fsige Ausgestaltung wendet. Sprechen wir gar nicht von diesem sp\u00e4ten Stadium; aber waren nicht schon in jenem fr\u00fchen und im fr\u00fchesten Momente Anzeichen daf\u00fcr gegeben, dafs die beginnende und sich entwickelnde Vorstellungsbewegung schon keine galileische mehr war? Der K\u00fcnstler m\u00fcfste uns, wenn er auf diese bis zu letzten Begriffselementen zur\u00fcckgreifende Betrachtungsweise eingehen k\u00f6nnte und wollte, selbst sagen, was ihn an dem empfangenen Geschenk von Vorstellungen freut und begeistert: ihr Inhalt \u2014 nach unserem Gleichnis ihre Masse selbst (nebst qualitativen, gleichsam ruhenden Besonderheiten) \u2014 oder ihre Bewegung? Und zwar nicht diejenige Bewegung, in der die durch sie gegebene \u201elebendige\u201c Kraft noch nicht zur Beth\u00e4tigung, zum Arbeiten gekommen ist, sondern gerade jenes sich wirklich als \u201elebendig\u201c erweisen, verm\u00f6ge dessen wir sie in das psychische Kraftfeld als etwas Neues herein treten sehen, das ihm Energie\u00e4nderungen erteilt und selbst solche von ihm empf\u00e4ngt. Ist einem Nichtk\u00fcnstler hier eine Vermutung erlaubt, so m\u00f6chte wohl die zweite Auffassung selbst in denjenigen F\u00e4llen, in denen sich der Produzierende des v\u00f6llig M\u00fchelosen im Kommen und Werden seiner Phantasie freut, wie Mozart in jener oft","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n187\ncitierten Stelle \u00fcber sein Schaffen, das Wesentlichere treffen. Freilich stehen dem GoETHEschen Kraftwort: \u201eMeine Eingeweide brannten\u201c Empfehlungen gegen\u00fcber, hei rein bleiben sollendem Verkehr mit k\u00fcnstlerischen Phantasien den Kopf h\u00fcbsch k\u00fchl zu behalten. Aber selbst Mozart, nachdem er beschrieben, wie ihm \u201edie Gedanken stromweis kommen\u201c, wie er nichts ftazu k\u00f6nne, f\u00e4hrt bald in seinem Berichte fort: \u201eHalt ich das nun fest, so kommt mir bald eins nach dem andern bei. Das erhitzt mir nun die Seele\u201c u. s. w.\nWir d\u00fcrfen theoretisch also wohl so formulieren: Nur wo Vorstellungen, die nachmals zu Tr\u00e4gern \u00e4sthetischer Lust werden sollen, im Sch\u00f6pfer und nicht minder im Beschauer und H\u00f6rer ein psychisches Kraftfeld vorfinden, das ihre Vorstellungsbewegung zu beeinflussen und speziell den Vorstellungsinhalten solche Bereicherungen zu verschaffen vermag, dafs die so gewordenen Phantasievorstellungen ihrerseits psychische Massen darstellen, welche auf den phantasielosen Wegen der Erregung von WahrnehmungsVorstellungen und der Assoziation \u00fcberhaupt nicht zu st\u00e4nde kommen \u2014 und wo fernerhin diese Vorstellungen in dem vorhandenen psychischen Kraftfeld Arbeiten unter g\u00fcnstigen Lustbedingungen (\u201egrosses s bei kleinem p\u201c) ausl\u00f6sen, nur dort werden Vorstellungen \u00e4sthetische.\n\u00a7 53. Ist aber hiermit von dem Satze \u201e\u00e4sthetische Gef\u00fchle sind Vorstellungsgef\u00fchle\u201c \u00fcberhaupt noch etwas \u00fcbrig geblieben? Wird er in aller Schroffheit aufgestellt, so dafs in den Zustand eines \u00e4sthetischen Erlebnisses nur Vorstellen und Lustf\u00fchlen eingeschlossen, dagegen Urteilen und Begehren aus ihm ausgeschlossen sind, so kommt ja ohnedies die erstere dieser beiden Negationen, wie es scheint, in grellen Widerspruch nicht erst mit dem \u201everismo\u201c unserer Tage, sondern auch mit aller \u201eDichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit\u201c. Denn Wahrheit ist und bleibt ein Attribut des Urteilens. Oder sollen wir, wenn von Wahrheit einer dramatischen L\u00f6sung die Bede ist, \u00fcberhaupt etwas von Grund Anderes verstehen, als unter der Wahrheit des 2x2 = 4? Ich bin einem K\u00fcnstler befreundet, der Anstand nahm, einer derartigen Trivialit\u00e4t \u00fcberhaupt noch \u201eWahrheit\u201c zuzugestehen. Was aber ist dann k\u00fcnstlerische Wahrheit?1 Man k\u00f6nnte den Ausweg versuchen, nur die\n1 Eine eingehende Er\u00f6rterung widmet dieser Frage Helmholtz in seiner Hede \u00fcber \u201eGoethes Vorahnungen kommender naturwissenschaft-\nlicher Ideen11 (1892), wo z. B. der Satz: \u201eDie Wahrheit, die Sie an-","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nA. JEL\u00f6fler.\nExistenzialurteile vom \u00c4sthetischen auszuschliefsen (die Geschichte wird nicht sch\u00f6ner dadurch, dafs sie sich wirklich zugetragen hat), Beziehungsurteile dagegen, etwa wie sie uns eine innerliche Verwandtschaft des vierten Satzes einer Symphonie mit dem ersten, oder auch aller vier S\u00e4tze, aufzeigen, als sogar eine Hauptquelle des Vergn\u00fcgens gelten zu lassen. Jedenfalls bed\u00fcrfte dieser Ausweg noch sehr bestimmter Einschr\u00e4nkungen, denn auch das 2x2 = 4 ist ja ein Beziehungsurteil. Vielleicht weist uns den Weg, was man \u201eFolgerichtigkeit\u201c einer Charakterzeichnung, insbesondere der \u201eEntwickelung\u201c des Charakters nennt. Das Folgen selbst schliefst Kausalit\u00e4t, also Notwendigkeit, also eine Relation ein. Aber die Urteile : Da\u2019s einmal mit Diesem (denken wir etwa an eine der Gestalten aus Otto Ludwigs \u201eHimmel und Ei'de\u201c) so weit gekommen ist, so mufs es nun auch noch weiter kommen \u2014 und: in der That, diese von mir vorhergesehene oder nicht vorhergesehene Konsequenz ist die den psychischen Kausalgesetzen gem\u00e4fseste, \u2014 derlei Urteile, das Glauben an die Beziehung, halten f\u00fcr die eindringendere Analyse doch nicht stand als eigentlichster, unmittelbarer psychischer Erreger der Lust, vielmehr ist es doch wieder die Freude an dem Vor-stellungsgebilde, also des vor unserer Phantasie in unerwarteter Mannigfaltigkeit, F\u00fclle von Beth\u00e4tigungen sich entfaltenden Charakters. Noch n\u00e4her: Was wir geniefsen und von dem wir uns, wenn wir w\u00e4hrend des Geniefsens darauf reflektieren k\u00f6nnen und wollen, als des unmittelbarsten Erregers unserer Lust bewufst werden, ist die durch das Kunstwerk in uns angeregte Vorstellungsbewegung, ohne deren gesteigerte Lebhaftigkeit wir jene Mannigfaltigkeit \u00fcberhaupt nicht auch nur in unserer Vorstellung h\u00e4tten umfassen k\u00f6nnen. Diese Bewegung aber erh\u00e4lt ihrerseits wieder dadurch immer neue Energie, dafs wir uns auf Grund der jeweilig dargeboifenen Vorstellungen erwartend und best\u00e4tigend, prophezeiend und kontrollierend beth\u00e4tigen und zu jenen als Vordergliedern mittelst der uns gel\u00e4ufigen Relationen \u201efolgerichtige\u201c Hinterglieder produzieren, wobei sonach die vorgestellten Relationen im weiteren gleichsam das Mafs zum Aussch\u00f6pfen der F\u00fclle\nerkennen, ist also nur die innere Wahrheit der dargestellten Seelenvorg\u00e4nge, ihre Folgerichtigkeit...u obiger Berufung auf Beziehungs-\nurteile jedenfalls nahek\u00f6mmt.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n189\nabgeben k\u00f6nnen. Wir sagten \u201evorgestellte Belationen\u201c in dem Sinne, wie auch sonst vorgestellte Urteile1 neben wirklich gef\u00e4llten in uns eine betr\u00e4chtliche Bolle spielen. Als Substrat f\u00fcr das Attribut der Wahrheit \u2014 freilich nun auch einer nur vorgestellten \u2014 gen\u00fcgen schon diese nur vorgestellten Urteile, von denen aber weiterhin klar ist, dafs ein zu den entsprechenden wirklichen Urteilen von vornherein nicht bef\u00e4higtes Individuum sie auch nicht einmal als blofs vorgestellte in sich produzieren kann.\nEs w\u00e4re nun eine weitere Untersuchung, worin die Beeintr\u00e4chtigung des \u00e4sthetischen Erlebnisses zun\u00e4chst besteht, falls dieser Wahrheit einmal nicht Gen\u00fcge geschieht. Mir will es noch deutlicher als die Bichtigkeit obiger nicht eben einfacher Analyse scheinen, dafs, was man Verstofs gegen die Wahrheit \u2014 dichterisch wie malerisch \u2014 nennt, ganz unmittelbar der durch die quasi-Pr\u00e4missen des Kunstwerkes eingeleiteten Vorstellungsbewegung gef\u00e4hrlich und sch\u00e4dlich wird, sie mehr oder minder stocken macht. Jedenfalls stimmt hiermit das wesentlich zum verismo geh\u00f6rige Streben nach F\u00fclle oder F\u00fcllung2 des Details; und die von Goethe gemeinte \u201eWahrheit\u201c steht ja gewifs auch nicht aufser Zusammenhang mit dem, was wir (um ein sonderbares, aber auch sonderbar bezeichnendes Wort Gottfried Kellers3 zu gebrauchen) das \u201e\u00dcberall dicht\u201c GoETHEscher Gebilde etwa im Gegensatz zu manchen Abstraktionen Schillers nennen k\u00f6nnen.\nSollte vorstehender Versuch den Widerspruch, welcher dem Satze: \u201e\u00e4sthetische Gef\u00fchle sind Vorstellungsgef\u00fchle\u201c von der Urteilsseite her droht, auch nur einigermafsen l\u00f6sen helfen, so w\u00e4re unsere theoretische Formel von der \u00e4sthetischen Vor-\n1\tMeinong, Zur Pelationstheorie. S. 105.\n2\tEin Beispiel solcher \u201eF\u00fcllung\", wie wir die nicht aus den k\u00fcnstlerischen Pr\u00e4missen hervorgehende Bereicherung nennen wollen, bietet \u201edie Wespe\" im II. Akt der \u201eEinsamen Menschen\u201c, lehrreich ist die allgemeine Neugier, \u201ewas\" der Dichter mit diesem Detail gewollt habe. \u2014 Auch manche gar nicht mehr psychologisch zu kontrollierende Spr\u00fcnge im Assoziations- und Stimmungsleben PasJcolniJcows w\u00e4ren als Gegenprobe zu obiger Theorie von der \u00e4sthetischen Bedeutung der \u201eFolgerichtigkeit\" anzuf\u00fchren.\n3\tNachgelassene Schriften und Dichtungen, S. 156: \u201eIn jeder Erz\u00e4hlung Gotthelfs liegt an Dichte und Innigkeit das Zmg zu einem \u201eHermann und Dorothea\".","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nA. H\u00f6fler.\nStellungsbewegung im psychischen Kraft-, speziell hier Urteilsfelde schon jetzt ein sehr summarischer, aber deswegen hoffentlich noch nicht ganz unbrauchbarer Ausdruck f\u00fcr die so viel umstrittenen Thatbest\u00e4nde. \u2014 Werden wir dann aber auch einen analogen Anteil des Begehrens an dem Gesamt-zustande \u00e4sthetischer Freude und ihren n\u00e4chsten Erregern ablehnen k\u00f6nnen? Warum haben \u2014 so wenig Moralisieren Sache der Kunst ist \u2014 doch so viele der erhabensten Werke, eine Antigone, ein Fidelio, ja eine IX. Symphonie, Ethisches zum \u201eInhalt\u201c? Einem Sehnen entspringen diese Sch\u00f6pfungen ge-wifs, ein Wollen regen sie an, freilich nur, wo dieses schon so zart gebildet ist, dafs die Energie selbst blofser Vorstellungsbewegung richtunggebend zu wirken vermag. Oder aber vielleicht auch hier nur ein \u201evorges teilt es\u201c W\u00fcnschen, Wollen? Eine \u00fcberlegene Auffassung vom Wesen der Kunst, die sich grunds\u00e4tzlich nicht \u201er\u00fchren\u201c l\u00e4fst, m\u00fcfste es behaupten. Aber w\u00e4re es selbst so: dafs auch das \u201eemotionale Kraftfeld\u201c zun\u00e4chst auf die \u00e4sthetische Vorstellungsbewegung von EinfLufs ist \u2014 ein Beethoven f\u00fchlte sich durch Bon Juan \u201eabgestofsen\u201c, und gewifs nicht nur in seinem ethischen Gef\u00fchl \u2014, m\u00fcfste selbst bei solcher Auffassung noch zugegeben werden; wogegen die entgegengesetzte Auffassung, welche etwa mit Fechner 1 das Sch\u00f6ne in allern\u00e4chste Beziehung zum Guten bringt, es hinwieder auch nicht ablehnt, dafs, soweit das Sch\u00f6ne wenigstens in der Abstraktion vom Guten auseinanderzuhalten ist, die ihm eigent\u00fcmliche Lust dem Vorstellen als solchem n\u00e4her steht, als jedes andere Gut.\nSo braucht man denn weder den Satz von den Vorstellungsgef\u00fchlen zu verwerfen, noch sich durch ihn zu einem anderen als h\u00f6chstens abstrahierenden (nicht sachlich trennenden) Entgegenstellen \u00e4sthetischer Zust\u00e4nde gegen solche psychischer Arbeit mannigfachster Form verleiten zu lassen.\n\u00a7 54. Abstrakte Vorstellungen. \u2014Sie sind es, die so sehr als an psychischer Arbeit beteiligt und von ihr abh\u00e4ngig sich sofort dem psychologischen Blicke aufdr\u00e4ngen, dafs Kerry 1 2 sich veranlafst gesehen hat, eben behufs Definition des Begriffes \u201eabstrakt\u201c dem Begriffe psychischer Arbeit eine relativ selbst-\n1\tZ. B. Vorschule der \u00c4sthetik. I. Bd. S. 16, 19, 264.\n2\tVierteljahrsschr. f. iviss. Philos. 1885\u20141888. V er gl. meine Anzeige in dieser Zeitschr., VI. Bd., S. 44 ff.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n191\nst\u00e4ndige Untersuchung zu widmen. \u2014 Nach der bestimmten Stellung, die ich zu Meinongs Zur\u00fcckf\u00fchrung des Abstraktionsprozesses auf das aufmerksame Hervorheben einzelner Inhaltsteile im Sinne der zuerst von Berkeley gegebenen Theorie in meiner Logik1 genommen habe, bedarf hier die Abstraktion als psychische Arbeit keiner neuerlichen Er\u00f6rterungen; auf das Verh\u00e4ltnis von Aufmerksamkeit und psychischer Arbeit kommen wir ohnehin noch im Abschnitte E zu sprechen.\n\u00a7 55. Baumvorstellungen. \u2014 Wir m\u00fcssen hier diese im Vergleich zu den vorhin betrachteten Klassen von V orstellungen ganz enge Inhaltsklasse besonders erw\u00e4hnen, weil sie es sind, f\u00fcr welche von allen Vorstellungsinhalten vielleicht am h\u00e4ufigsten und energischsten ein aktiver Anteil des Subjekts an ihrem Zustandekommen und Gegebensein behauptet worden ist. Alle die kaum mehr \u00fcbersehbaren Schattierungen in der KANTschen und den nach-KANTschen Lehren von den \u201eFormen der Anschauung\u201c, seinen noch weiter gehenden Behauptungen (in der transscendentalen Methodenlehre, des ersten Hauptst\u00fcckes erster Abschnitt \u201edie Disciplin der reinen Vernunft in dogmatischem Gebrauche\u201c), wo auf die \u201eHandlung der Konstruktion\u201c der geometrischen Gebilde alles Gewicht gelegt wird, dann alle Abarten des Empirismus mit seinen synthetischen, genetischen u. s. w Prozessen sind in dem Einen einig, dafs die Vorstellung des Baumes hors concours gegen\u00fcber Sinnesqualit\u00e4ten und -Intensit\u00e4ten stehe, dafs es kurz keine \u201eBaumempfindung\u201c gebe. Giebt es trotz alledem doch eine, wie es der Nativismus behauptet (und auch ich glaube), so entf\u00e4llt f\u00fcr diese Baumvorstellungen die Frage, ob sie psychische Arbeit einschliefsen, so gut wie bei Farben, Temperaturen u. s. w. Aber wie durch das Gegebensein von Vorstellungselementen als Nichtarbeiten niemals ausgeschlossen ist, dafs sie als psychische Massen Angriffsobjekte f\u00fcr psychische Arbeiten werden, so ist es auch bei den Baumempfindungen. Da gerade sie es sind, \u00fcber denen sich das ganze Geb\u00e4ude geometrischer Vorstellungen (geometrische Urteile hier nat\u00fcrlich ganz beiseite gelassen) errichtet, von denen selbst die primitivsten, wie Punkt, Gerade, rechter Winkel, nicht ohne Eingreifen von theoretisch zusch\u00e4rfenden Definitionen das leisten, was das System der Geometrie von","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nA. Hofier.\nihnen erwartet, so wird sich immer wieder begreifen, dafs die Raum empfind un g en, ohne weiche es trotz allem und allem jene begrifflichen Kunstprodukte gar nicht g\u00e4be, \u00fcber letzteren \u00fcbersehen werden. Gleichwohl ist diese Ausnahmsposition der Raumvorstellungen doch nur eine quantitative, keine generelle, und wir werden zu sagen haben: die Elemente der Raumvorstellungen, zu denen Punkt, Gerade u. s. f. im geometrischen Sinne eben schon nicht mehr geh\u00f6ren, sind Nichtarbeiten so gut wie andere Empfindungsinhalte, sie bieten aber verm\u00f6ge ihrer inhaltlichen Besonderheit psychischen Arbeiten \u2014 n\u00e4mlich vor der Beurteilung schon dem synthetischen Definieren unter ausgiebiger Verwendung namentlich des psychischen Elements vorgestellter Negation \u2014 \u00fcberaus g\u00fcnstige Angriffspunkte f\u00fcr psychische Bearbeitung. Es gen\u00fcge diese Stellungnahme, da jede n\u00e4here Begr\u00fcndung des Minorit\u00e4tsvotums allzusehr ins weite f\u00fchren w\u00fcrde.1\n1 Es m\u00f6gen aber einige Worte \u00fcber eine auf den ersten Blick sehr speziell scheinende Theorie Sigwarts hier Platz finden, weil sie ein typisches Beispiel ist, wo sich bei der n\u00e4heren Untersuchung die eigentlichen Probleme aufwerfen, und jene spezielle Theorie eben direkt aus dem allgemeinen Bem\u00fchen der SiGWARTSchen Logik hervorgeht, ja nicht die aktiven Seiten der Denkvorg\u00e4nge, die intellektuelle Arbeit, gegen\u00fcber der Nichtarbeit zu kurz kommen zu lassen. Nachdem die ersten Worte des \u00a7 67 des II. Bds. der Logik der \u201eimmer schon ohne besonderes Thun entstandenen Baumvorstellung\u201c gedachten, wird (S. 61 oben) gelehrt, \u201edafs die Gerade ein bestimmtes Element in der Entstehung des Baumes selbst ist als die Bichtung, in welcher wir die Objekte in den Baum hinaus verlegen\u201c. Ausf\u00fchrlicher wird diese Lehre so formuliert (S. 76), \u201edafs unsere sinnliche Vorstellung der r\u00e4umlichen Welt nur dadurch zustande kommt, dafs wir nach dem hergebrachten Ausdruck unsere Empfindungen projizieren, insbesondere unsere Gesichtsbilder in den Baum hinaus verlegen und dadurch lokalisieren. Mag in der Art und Weise, wie das geschieht, noch so viel dunkel, die psychologischen Funktionen, die dabei ins Spiel treten, noch so wenig aufgekl\u00e4rt sein: die Thatsache, dafs erst durch eine zu den einzelnen Empfindungen hinzukommende Vorstellungsth\u00e4tigkeit die Anschauung r\u00e4umlich von uns getrennter Objekte entsteht, ist unbestritten und unbestreitbar; und ebenso unbestreitbar ist, dafs die gerade Linie die Bahn ist, auf der unsere Vorstellung vorw\u00e4rtsdringt und, sozusagen, die Objekte von einem in unserem eigenen Leibe liegenden Punkte aus zur\u00fcckschiebt, um sie in verschiedene Entfernungen zu verlegen, oder . . . die Gerade ist urspr\u00fcnglich die Blicklinie, auf der wir die farbigen Bilder hinausschauen.\u201c Die Projektions- und Lokalisationstheorie, die Sigwart hier vertritt,","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n193\n\u00a7 56. Zeitvorstellungen. \u2014 Sie hat man l\u00e4ngst so\nsehr parallel mit den Raumvorstelhmgen zu behandeln sich\ngew\u00f6hnt, dafs viel mehr der charakteristische Unterschied\n\u00ab \u2022\nbeider als ihre \u00c4hnlichkeit einer Er\u00f6rterung bedarf. \u2014 Von den \u00c4hnlichkeiten gilt f\u00fcr unser Thema, dafs sie nicht mehr Anspruch auf eine besondere Auszeichnung als ,.Formen\u201c und hiermit auf eine besondere Beziehung zur Aktivit\u00e4t des Subjektes machen d\u00fcrfen als die Raumvorstellungen. Von den Unterschieden ist zun\u00e4chst zu betonen, dafs sich \u00fcber der Zeitanschauung bei weitem kein so durchgebildetes Begriffssystem und denn auch kein so durch psychische Arbeit errichtetes Vorstellungsgeb\u00e4ude erhebt, wie das der geometrischen Raumvorstellungen. Die Rolle, welche die \u201eZeit\u201c neben dem \u201eWeg\u201c in der Phoronomie spielt, reicht an jene K\u00fcnstlichkeit bei weitem nicht hinan. \u2014 Der wesentlichste Unterschied betrifft aber, wenn\nm\u00f6chte sich denn doch heute einer ganz betr\u00e4chtlich geringeren Un-bestrittenheit erfreuen, als Sigwart meint. Nativistische Grundvoraussetzungen wenigstens lassen f\u00fcr ein solches Projizieren auch nicht die geringste Gelegenheit. Man vergleiche nur z. B. die einleitenden Betrachtungen in Herings Baitmsinn (Hermanns Handbuch, 3. Bd., 1879, S. 345): \u201eMan hat sich gew\u00f6hnt, zu sagen, man habe die Empfindung eigentlich im Auge oder im Kopfe und versetze sie nur in den Aufsen-raum. Ha aber niemand . . . die Sonne in seinem Auge oder in seinem Kopfe sieht, und wir \u00fcberhaupt selbst bei geschlossenen Augen jede Gesichtsempfindung vor den Augen und vor dem Kopfe\u00ae und niemals in demselben haben u. s. w.\u201c\nHoch nicht gegen das Allgemeine der von Sigwart noch vertretenen Theorie, sondern nur zur These, dafs \u201edie Gerade urspr\u00fcngliche Blicklinie\u201c sei, m\u00f6chte ich mir im Interesse der Kl\u00e4rung dessen, was man unter \u201eVorstellungsth\u00e4tigkeit\u201c hier verstehen d\u00fcrfe, einige Bemerkungen erlauben. Vor allem: Hat denn diese Blicklinie f\u00fcr das Bewufstsein schon \u201edie volle Sch\u00e4rfe des Begriffes der Geraden,\u201c welche Sch\u00e4rfe Sigwart an den Geraden innerhalb unseres Sehfeldes, z. B. an dem \u201eBewufstsein entgegengesetzter Kichtungen von links nach rechts, von unten nach oben und umgekehrt\u201c, mit vollem Hecht vermifst? Noch bedenklicher im ganzen, wenn auch f\u00fcr uns im Augenblick nicht so lehrreich, ist der Umstand, dafs man ja von der Geraden, die man sich vom Auge weggezogen denkt, nie etwas einer Wahrnehmungsvorstellung \u00c4hnliches haben k\u00f6nnte, da ja gerade diese Linie sich immer perspektivisch zu einem Punkte verk\u00fcrzt darstellen m\u00fcfste. \u2014 Frage ich mich, ganz uneingesch\u00fcchtert durch all die Schwierigkeiten, welche sich an den Begriff der Geraden mit besonderer Hartn\u00e4ckigkeit heften zu wollen scheinen, woher ich die Vorstellung einer Geraden eigentlich habe, so kann ich mich der Manchem vielleicht geradezu frivol klingenden\n13\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"394\nA. H\u00f6fler.\nwir den Namen \u201eForm\u201c im unverf\u00e4nglichsten Sinne gelten lassen, die Frage, wof\u00fcr die Zeit Form sei? N\u00e4mlich nicht, wie Kant will, der Kaum die Form der \u00e4ufseren, die Zeit die der inneren Anschauung, sondern die Zeit eine Form der inneren und \u00e4ufseren Anschauung ; oder in einer uns jetzt n\u00e4her liegenden Terminologie: wie der Raum nur mit physischen, nicht mit psychischen Qualit\u00e4ten und Intensit\u00e4ten zusammen gegeben ist, ist es die Zeit mit physischen und psychischen.\nDiese Feststellung geht unser gegenw\u00e4rtiges Thema besonders nahe an aus einem ganz besonderen Grunde. Es hat n\u00e4mlich Mach* 1 gelehrt: \u201eDa die Zeitempfindung immer vorhanden ist, solange wir bei Bewufstsein sind, so ist es wahrscheinlich, dafs sie mit der notwendig an das Bewufstsein gekn\u00fcpften organischen Konsumption Zusammenh\u00e4nge, dafs wir die Arbeit der Aufmerksamkeit als Zeit empfinden. Bei angestrengter\nAntwort \u201evom Anblick eines guten Lineals\u201c nicht entschlagen ; was aber sogleich nicht mehr so anst\u00f6lsig sein wird, wenn man bedenkt, dafs im Herstellen und Ausprobieren eines Lineals (Hobeln, Abschleifen an einer m\u00f6glichst ebenen Fl\u00e4che und Aneinanderpassen des einen an seinesgleichen unter L\u00e4ngsverschiebung) schon das Axiom \u201ezwei Gerade schliefsen keine Fl\u00e4che ein\u201c steckt. Aber \u2014 und hiermit d\u00fcrfte wohl allen Auffassungen \u00e0 la Mill so entschieden, als auch nur immer Sigwart es verlangen kann, entgegengetreten sein \u2014 die am Lineal oder an den nach ihm gearbeiteten Tischkanten, Strafsenz\u00fcgen u. dergl. erschauten Vorstellungen von Geraden bilden ja erst die anschauliche Repr\u00e4sentation f\u00fcr die selbst nicht anschauliche Definition \u201edie Gerade ist die Nichtkrumme\u201c, die ich vor Jahren aufgestellt habe (Vierteljahrsschrift f\u00fcr wissensch. Philos. 1885. S. 360) und die ich auch gegen die nicht wenigen Einw\u00fcrfe Kerrys (ib. S. 491) aufrecht erhalten zu k\u00f6nnen glaube. Ich sage \u201enicht anschaulich\u201c und verallgemeinere dies zu dem Paradoxon, dafs alle Vorstellungen der Geometrie nicht anschaulich seien, in dem Sinne, der aus dem in meiner Logik, S. 128, er\u00f6rterten Satz, dafs \u201ekein Urteil, welches Gleichheit zweier blofs anschaulich vorgestellter Inhalte aussagt, evident sein k\u00f6nne,\u201c erhellen und sich rechtfertigen d\u00fcrfte.\n1 Mach, Analyse der Empfindungen. 1886. S. 105 ff \u2014 Jerusalem, (Laura Bridgman, Wien 1890, S. 39) schreibt: \u201e . . Ich habe in meinem Lehrhuch der empirischen Psychologie, 2. Aufl. S. 85 ff. [die erste Auflage 1888] die Entstehung der Zeitvorstellungen zu erkl\u00e4ren gesucht durch das Bewufstwerden des Gegensatzes zwischen Bewufstseins-arbeit und Bewufstseinsinhalt . . Ich habe das Innewerden dieser Arbeit als Spannungsgef\u00fchl bezeichnet\u201c u. s. w. Jerusalem (a. a. O.) freut sich seiner \u00dcbereinstimmung mit Riehl und M\u00fcnsterberg. Die Beziehung zu Mach sei hiermit seiner Aufmerksamkeit empfohlen.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n195\nAufmerksamkeit wird uns die Zeit lang, bei leichter Besch\u00e4ftigung kurz.\u201c\nTrotz aller noch weiter folgenden, \u00fcberaus anregenden Argumente des verehrten Forschers vermag ich mich von der Analysierbarkeit desjenigen Spezifischen, das sich uns als Zeit darstellt, in irgendwelche heterogene Elemente nicht zu \u00fcberzeugen, gestehe aber, dafs daran eine vielleicht zu weit getriebene Skepsis gegen alle Reduktion so primitiver Inhalte, wie es mir Sinnesqualit\u00e4ten, Raum-, Zeitbestimmungen, wie nicht minder die Ph\u00e4nomene des Urteilens, Begehrens u. dergl. m. zu sein scheinen, die Hauptschuld tragen mag. \u2014 Aber dar\u00fcber hinaus habe ich gegen die Reduzierung der Zeit auf Bewuftseins-arbeit noch ein ganz spezielles Bedenken aus*einer pers\u00f6nlichen Eigenheit. Ich habe n\u00e4mlich im Laufe der letzten Jahre an mir wiederholt eine mich manchmal geradezu \u00fcberraschende F\u00e4higkeit zur Sch\u00e4tzung von Zeitstrecken beobachtet, was man \u2014 ich weifs nicht, wer zuerst \u2014 die \u201eKopfuhr\u201c genannt hat. Zuerst zuf\u00e4llig, sp\u00e4ter nach einigen \u00dcbungen, gelang es mir n\u00e4mlich, in einer Zahl von F\u00e4llen, die einfachen Zufall ausschliefst, auf ein, zwei Minuten, ja selbst ganz ohne an einem Minutenzeiger merkliche Fehler, anzugeben, wieviel Uhr es sei, und dies manchmal, nachdem ich halbe, ja sogar zwei und mehr Stunden nicht auf die Uhr gesehen hatte.1 Nun habe ich\n1 Hier\u00fcber eigentliche Versuche durchzuf\u00fchren, wie ich es gern gethan h\u00e4tte, erwies sich vorl\u00e4ufig oder vielleicht f\u00fcr immer als unm\u00f6glich. Denn hierzu w\u00fcrde auch geh\u00f6ren, dafs man angiebt, wie die Zeitstrecke zwischen dem letzten Blicke auf die Uhr und dem sp\u00e4teren Erraten^ wieviel Uhr, ausgef\u00fcllt gewesen ist; die Ausf\u00fcllung der Zeitstrecken ist ja von gr\u00f6fstem Einflufs auf die Sch\u00e4tzung der verflossenen Strecke. Eine solche Angabe stellt sich aber im konkreten Falle fast immer als unthunlich heraus, indem h\u00f6chstens in viel zu allgemeinen Z\u00fcgen beschrieben werden k\u00f6nnte. Als wenigstens ein Beispiel sei folgendes angef\u00fchrt. Nach einem Besuche der Gr\u00e4ber meiner n\u00e4chsten Angeh\u00f6rigen fiel mir pl\u00f6tzlich ein, jetzt mag es zwei Minuten \u00fcber drei Viertel auf ein Uhr sein. Ich sagte dies zu meinen Begleitern und es stimmte aufs Haar. Ich wufste, dafs ich seit etwa drei Viertel auf zehn Uhr nicht mehr auf die Uhr gesehen hatte und dafs die Zeit mit einer ziemlich langwierigen Tr amway fahrt, einem St\u00fcck Weg zu Fufs und dann mit dem Gange von einem Grabe zum anderen und aus dem Friedhof weg ausgef\u00fcllt gewesen sei. Nat\u00fcrlich ist diese Beschreibung viel zu summarisch, aber ich w\u00fcfste nicht, wie ich das Detail des inzwischen Vorgefallenen in Worten hinreichend vollst\u00e4ndig wiedergeben sollte, zumal ja eine\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nA. H\u00f6fler.\nmehrmals die paradoxe Erfahrung gemacht, dafs mir solche Sch\u00e4tzungen ganz besonders gut gelangen, wenn ich inzwischen \u2014 geschlafen hatte, so beim Erwachen mitten in der Nacht oder gegen Morgen (was nicht ganz zusammenf\u00e4llt mit dem bekanntlich so gut gelingenden Vorsatz, zu einer bestimmten, wenn auch ungewohnten Stunde aufzuwachen); ja, die Sache gewinnt f\u00fcr mich jedesmal einen geradezu komischen Charakter, wenn ich \u2014 der ich mich von dem Laster des Mittagsschl\u00e4fchens nicht ganz freisprechen kann, gerade im Erwachen aus diesem besonders oft mit sehr grofser Genauigkeit das \u201ewieviel Uhr\u201c anzugeben vermag. \u201eBewufstseinsarbeit\u201c in einem einigermafsen ernsten Sinn von Arbeit kann ich mir inzwischen geleistet zu haben leider durchaus nicht schmeicheln.\nAllgemeiner und theoretischer formuliert: Weder glaube ich, dafs es ausschliefslich oder vielleicht auch nur vorwiegend psychische Inhalte sind, an deren Dauer wir Zeitstrecken messen (beruhen Wundts und M\u00fcnsterbergs Herzsschlag-, Schritttempo-Theorien u. dergl. auf richtiger Beobachtung, so w\u00e4ren es ohnedies \u00fcberall ganz besondere Klassen von physischen Inhalten); noch auch scheinen mir von den psychischen Inhalten, an denen es geschehen mag, wieder die F\u00e4lle von\nAbsicht des Merkens auf diesen Zeitinhalt nicht bestanden hatte, indem ja auch jener Einfall \u201ejetzt wird es so und so viel Uhr sein\u201c ganz pl\u00f6tzlich, nicht als Antwort auf eine Frage kam. Nur soviel m\u00f6chte ich als regelm\u00e4fsig bei derlei Sch\u00e4tzungen von mir erfahren noch erw\u00e4hnen: Ich habe nicht so sehr das Bewufstsein, mir hierbei die L\u00e4nge der Zeitstrecke zu vergegenw\u00e4rtigen und aus ihrem Anfangspunkte (dem des letzten Blickes auf die Uhr) und dieser L\u00e4nge den Endpunkt zu erschliefsen, als vielmehr pl\u00f6tzlich eine sehr anschauliche Vorstellung davon und ein sehr \u00fcberzeugtes Urteil dar\u00fcber zu haben, jetzt mufs der Zeiger auf dem Zifferblatt so und so stehen; was mich jedesmal, wenn ich theoretisch dar\u00fcber zu reflektieren anfing, als ein Zeugnis daf\u00fcr \u00fcberraschte, wie sehr sich die Zeit erst an das, was man ihren Inhalt zu nennen pflegt, und zwar hier einen rein physischen Inhalt der Erwartungsvorstellung vom Anblick des Zifferblattes, gebunden zeigt. Es entspricht dem type visuel zum Unterschiede von dem type auditifunter den Diejenigen, z. B. Astronomen, fallen, die an einen Sekundenschlag so sehr gew\u00f6hnt sind, dafs es in ihnen mehr oder weniger ununterbrochen Sekunden schl\u00e4gt und z\u00e4hlt. \u2014 Auch hebe ich noch ausdr\u00fccklich hervor, dafs die Sch\u00e4tzungen manchesmal auch gr\u00fcndlich mifslangen, dies namentlich dann, wenn ich sie auf einen \u00e4ufseren Anlafs hin, sozusagen ohne Inspiration, n\u00e4mlich ohne den pl\u00f6tzlich sich einstellenden Einfall \u201ejetzt steht der Zeiger so und so\u201c mir oder Anderen vorf\u00fchren wollte.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n197\npsychischen Arbeiten einen wesentlichen Vorrang vor Nichtarbeiten in Anspruch nehmen zu k\u00f6nnen. Sollten sich bei speziellen Experimenten psychische Arbeiten dennoch als bevorzugt heraussteilen, so w\u00e4re immer noch erst zu untersuchen, ob sie als Arbeiten diesen Vorzug geniefsen.\n\u00a7 57. Notwendigkeitsrelationen. \u2014Wir verstehen unter diesem Namen die n\u00e4mlichen Relationen, welche Meinong in seiner Helationstheorie 1882 \u201eVertr\u00e4glichkeitsrelationen\u201c1 genannt hat und die er nach seiner damaligen Auffassung der Sache noch unmittelbarer h\u00e4tte als \u201eUnvertr\u00e4glichkeitsrelationen\u201c bezeichnen k\u00f6nnen. Der Gedanke der Notwendigkeit, sowie der der M\u00f6glichkeit sollte sich n\u00e4mlich durch je eine in gewisser (a. a. 0. n\u00e4her beschriebener) Weise anzubringende Negation auf den Gedanken des \u201eKann nicht\u201c zur\u00fcckf\u00fchren lassen, dieser selbst aber auf den der evidenten Negation.2 \u2014 Die so analysierte Notwendigkeit bildet dann unter anderem wieder einen konstitutiven Begriffsbestandteil des hypothetischen Urteils \u201eWenn A ist, so ist B\u201c und alles Schliefsens \u201eWeil A ist, so ist B\u201c,3 wobei A ein oder mehrere (vorgestellte, bezw. wirklich gef\u00e4llte) Urteile repr\u00e4sentiert. Beschr\u00e4nken wir uns im folgenden auf diese selbst wieder speziell psychologische Anwendung des Notwendigkeits-, bezw. Unm\u00f6glichkeitsbegriffes.\nNehmen wir nun an, wir bem\u00fchten uns mit Erfolg, mit oder ohne vorg\u00e4ngige Kenntnis der spezifisch logischen Gesetze des Schliefsens, von irgend einem Komplex vorgestellter Urteile\n1\tS. a. a. O. S. 89 ff. [659 ff]\n2\t\u201eDie evidente Negation also, die sieli anfdr\u00e4ngt, sobald auf die zwei vorgestellten Attribute die relativen Bestimmungen der Gleichzeitigkeit und Gleichortigkeit angewendet werden sollen, macht das Wesen der Unvertr\u00e4glichkeitsrelation zwischen den beiden Inhalten aus.\u201c\n3\tBekanntlich haben sich auch an diesen psychischen Gebilden des \u201eWenn\u201c und des \u201eWeil\u201c die K\u00fcnste der Assoziationspsychologie versucht. Aber wenn etwa bei Ziehen (Physiologische Psychologie, l.Aufl., S. 129; (vergl. meine Anzeige in der Zeitschr. f. die \u00f6sterr. Gymnasien, 1892) die Beschreibung des Syllogismus : Cajus ist ein Mensch \u2014 alle Menschen sind sterblich \u2014 also ist Cajus sterblich, so ausf\u00e4llt : \u201eUnser nat\u00fcrliches Denken weifs von keinem Major und Minor, sondern spielt sich einfach in der Urteilsassoziation Cajus \u2014 Mensch \u2014 sterblich ab,\u201c so macht eine solche Beschreibung, die den Gedanken der Notwendigkeitsbeziehung zwischen conclusio und Pr\u00e4missen einfach eskamotiert, auf das Wie der physiologischen Erkl\u00e4rung des so entstellten Thatbestandes wahrlich nicht mehr neugierig.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nA. H\u00f6fler.\n( Uj, U2J U3 .. .) und einem weiteren Urteile (7 auf G-rund innerer Beobachtung anzugeben7 ob zwischen ihnen in einem bestimmten Fall die Notwendigkeitsrelation (U\u00b11 (J21 U.d . . .) a G bestehe,1 und zwar nicht nur bestehe im Sinne eines m\u00f6glicherweise zu ziehenden, sondern eines von uns hic et nunc wirklich gezogenen und von dem Bewufstsein seiner Berechtigung begleiteten Schlusses. Durch letztere Bedingungen wird die Fragestellung von dem \u201eformal\u201c logischen Gebiete auf das unzweifelhaft psychologische her\u00fcbergebracht; und die Frage lautet nun: Was bildet den Inhalt der von uns hier vollinhaltlich wahrgenommenen Notwendigkeitsrelation? Zur Beantwortung der Frage ist seit ihrer ersten Formulierung durch Meinong von Zindler2 unter Festhalten aller \u00fcbrigen Positionen, so namentlich auch, dafs die Unvertr\u00e4glichkeit die Urform aller Vertr\u00e4glichkeitsrelationen sei, die Forderung noch eines ganz positiven Vorstellungsinhaltes erhoben worden: \u201eEs mufs also zu den Bestimmungen, dafs ein Unvertr\u00e4glichkeitsurteil ein negatives evidentes Urteil \u00fcber Koexistenz sei, noch etwas hinzukommen, um das Unvertr\u00e4glichkeitsurteil als solches zu charakterisieren. Dies ist in letzter Linie das Nicht-zusammendenkenk\u00f6nnen der Fundamente, seien sie nun Urteile oder Vorstellungen, das Mifslingen des Versuches, die Vorstellungen in \u201e\u201eausgef\u00fchrter Vorstellungsverbindung\u201c\u201c zu vereinigen.\u201c Dabei sei noch ausdr\u00fccklich hervorgehoben, dafs Zindler den vor Meinong so oft \u00fcbersehenen Unterschied zwischen dem Nichfcdenkenk\u00f6nnen im Sinne blofser individueller Unf\u00e4higkeit und dem streng logischen Sinn kennt und anerkennt. Suche ich mir nun noch des n\u00e4heren vorstellbar zu machen, was f\u00fcr einen positiven Bewufstseinszustand Zindler \u00fcber die evidente Negation hinaus3 beobachtet hat, so bietet sich mir ungesucht das Bild eines, sozusagen, unendlich harten Stoffes dar, welcher jedem Versuch des Eindringens, w\u00e4re es uach nur eine unendlich kleine Strecke weit, einen unendlich\n1\t\u00dcber dieses Symbol \u00ab f\u00fcr die Notwendigkeitsrelation, das \u201eMuXs\u201c, vergl. meine Logik, S. 111 ff., S. 139 ff.\n2\tTheorie der math. Erk. (vergl. Anm. 57), S. 14 und 29.\n3\tOder giebt jene versuchte Arbeit der Negation ihre \u201eEvidenz\u201c? Nach der im III. Abschnitt darzulegenden Beziehung zwischen \u201elogischer Arbeit\u201c und \u201eEvidenz\u201c w\u00e4re die M\u00f6glichkeit nicht von vornherein abzuweisen; Platz f\u00fcr solche Ausbildung dieser Beziehung bleibt, da dort vorwiegend die Evidenz affirmativer Urteile in Betracht gezogen wird.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n199\ngrofsen Widerstand entgegensetzt. Also versuchte intellektuelle Arbeit, die es aber zu keinem endlichen s-Faktor im versuchten \u201eAusfuhren\u201c der \u201eVorstellungverbindungen\u201c (wieder r\u00e4umliche Bilder !) bringt. Zu einem unendlichen Steigern des ^-Faktors kommt es dabei nat\u00fcrlich nicht, aber auch nicht eiumal zu einem Versuche hierzu \u2014 man wird schon bei m\u00e4fsigem p inn\u00e9, dafs s doch Null bleibt. \u2014 Das Positive an dem bei Unvertr\u00e4glichkeitsrelationen zu erlebenden Bewufstseins-inhalte w\u00e4re sonach wieder unsere \u201epsychische Spannung\u201c (\u00a7 25, \u00a7 60). Und sie fehlt denn auch nicht in dem positiven Gegenst\u00fcck, den Notwendigkeitsrelationen.\nWer M\u00fche hat, zu den Pr\u00e4missen die Konklusion zu finden, oder aber auch, wer M\u00fche hat, zu entscheiden, ob zwischen Pr\u00e4missen und einer angeblichen Konklusion wirklich die Notwendigkeitsrelation bestehe, ist sich einer gewissen \u201eWucht\u201c des Denkens (wir werden auf den Ausdruck noch einmal \u00a7 65 zur\u00fcckkommen) bewufst, von der der blofs seinen Assoziationen sich Hingebende sicherlich nichts sp\u00fcrt. Wer gern mit Spannungs-Empfindungen arbeitet, wird diese Wucht des Denkens zum mindesten nicht ganz un\u00e4hnlich finden den FECHNERschen Spannungsempfindungen beim Aufmerken auf Gesichts- und Geh\u00f6rseindr\u00fccke. Unsererseits wollen wir behufs Rechtfertigung einer Annahme psychischer Spannungen wieder einfach darauf hinweisen, dafs wir uns beim Schliefsen eben doch einer psychischen, nicht einer, wenn auch noch so feinen Muskelarbeit \u2014 und f\u00fcglich doch auch nicht direkt der physiologischen Arbeit des Cortex \u2014 bewufst sind.\nAber auch andern s-Faktor fehlt es uns in dieserSchliefs-Arbeit schwerlich ganz. Schon das Hin- und vielleicht auch Hin- und Hergleitenlassen des geistigen Blickes \u00fcber das Ganze der Pr\u00e4missen zusammen mit der Konklusion hat etwas von Bewegung, also wohl auch von Weg an sich; ferner: Schlufs-ketten kann man mindestens ebensogut eine quasi-Extension beilegen, als einer Additionsaufgabe von wenigen oder mehr Addenden. (Einiges Weitere \u00fcber die intellektuellen Extensionen wird noch im III. Abschnitte \u201eLogische Arbeit\u201c als \u201eKonfiguration der Erkenntnisziele\u201c zu besprechen sein.)\nM\u00f6gen indes die vorstehenden Aufzeigungen eines intellektuellen s - und eines p - Faktors gewagt erscheinen : wichtiger als alle solche Zerlegungen ist und bleibt das Ph\u00e4nomen im","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nA. H\u00f6fler.\nganzen, hier das Ph\u00e4nomen der Unm\u00f6glichkeits- und der Notwendigkeitsarbeit \u00fcberhaupt, das wir eben im Schluls-vorgange nur als an einem der anerkanntesten Beispiele festgehalten sehen m\u00f6chten.\nEin zweites Beispiel w\u00e4re die Kausalrelation. Da auch in ihr Notwendigkeit ein wesentliches Bestandst\u00fcck ist \u2014 ja das wesentlichste, wenn es die Unterscheidung von blofs regel-m\u00e4fsiger Succession, bezw. blofs er Assoziation gilt (jene f\u00fcr die objektive, diese f\u00fcr die subjektive Analyse) \u2014, so ist die Bedeutung von Arbeitsanteilen und ihren allenfalls noch aufzudeckenden Elementen1 in unseren Belationsbegriffen schon an diesen herausgegriffenen Beispielen zu ermessen. Mehr als Beispiele zu geben, bleibe dem Belationstheoretiker Vorbehalten.\nE. Aufmerksamkeit.\n\u00a7 58. Es ist noch immer nur zu wahr, was K\u00fclpe in seinem Grundrifs an der Spitze des ausf\u00fchrlichen Kapitels \u201eAufmerksamkeit\u201c sagt: \u201eJeder einigermafsen selbst\u00e4ndige Psychologe pflegt gegenw\u00e4rtig Wesen und Ursprung der Auf-\n1 \"W\u00e4re z. B. einmal psychische Spannung als ein Element des Not-wendigkeits- und damit auch des Kausalhegriffes auf psychologischem Boden streng erwiesen, so w\u00e4ren auch weitergehende Aus- und Einblicke metaphysischer Art nicht mehr von vornherein abzuweisen. Metaphysisch ist die Annahme von Dingen an sich, die unter sich und auf unser Be-wufstsein \u201ewirken\u201c. Also Kausation auch zwischen Dingen an sich: aber Kausalit\u00e4t enth\u00e4lt Notwendigkeit, also auch Notwendigkeit zwischen den Dingen an sich. Dieselbe oder doch die gleiche Notwendigkeit wie jene, die den Inhalt unserer Vorstellung von Notwendigkeit ausmacht? Wenn ja, so w\u00e4re hier eine wahrhaftige \u201eprim\u00e4re Qualit\u00e4t\u201c gefunden, welche z\u00e4her ist als die DEscARTESschen und LocKESchen. \u2014 Aber noch weiter. In der Notwendigkeit steckt Spannung. Giebt es zwischen den Dingen an sich auch Spannungen ? East scheint es so, auch aus anderen als den im Texte angedeuteten psychologischen Erw\u00e4gungen. Nehmen wir den Satz der Erhaltung der Arbeit an Maschinen. Dafs am Hebel Pp = Qq, worin P und Q nach ihrer ph\u00e4nomenalen Seite Spannungen sind (\u00a7 6), l\u00e4fst sich in der Physik1 zwar ohne Metaphysik sagen, beweisen und ben\u00fctzen; aber wenn das Prinzip der virtuellen Verschiebungen wirklich die Bolle eines Prinzips noch aus anderen als blofs rechnerischen Gr\u00fcnden verdient, so werden diese in letzter Instanz wohl oder \u00fcbel eben doch als metaphysisch gelten gelassen werden m\u00fcssen. Die Wege p und q als Bealit\u00e4ten anzuerkennen, macht ja nun freilich dem Physiker viel weniger Beschwerde, als er vor der Psychologie des Baumes und also wiederum auch vor Erkenntnistheorie und","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n201\nmerksamkeit in seiner Weise zu bestimmen.u Einen starken Beleg f\u00fcr die ungew\u00f6hnlichen Schwierigkeiten des Problems bildet die Thatsache, dafs selbst ein so vorsichtiger Forscher, wie Stumpf, die Ergebnisse seiner im ersten Bande der Tonpsychologie der Aufmerksamkeit gewidmeten Untersuchung schon im zweiten Bande im wesentlichen Punkte zu modifizieren hatte.1 Angesichts solcher Sachlage wird es ausnahmsweise einmal nicht gegen die Gebote der Zweckm\u00e4fsigkeit in Definitionssachen verstofsen, wenn wir unsererseits die vorhandenen Definitions versuche noch um einen vermehren, indem wir die Aufmerksamkeit in direkte Beziehung zur psychischen Arbeit bringen und sagen:\nAufmerken heifst: sich bereit machen zu psychischer Arbeit, n\u00e4mlich speziell zu intellektueller Arbeit.\nDie Thatsachen, welche dieser Definition zu Grunde liegen, sind von der Art, dafs z. B. ein Lehrer sagt : \u201eMerken Sie jetzt recht gut auf, ich habe Ihnen eine etwas schwierige Erkl\u00e4rung\nMetaphysik verantworten k\u00f6nnte. Warum sollen aber dann die Spannungen P und Q nicht wenigstens ebensoviel Anspruch auf Realit\u00e4t haben ? Ja, wenn f\u00fcr den Raum die Idealit\u00e4t das viel Wahrscheinlichere ist, sollte nicht das ihm zu Grunde liegende, nur seinen Relationen nach die Relationen des Raumes Bestimmende, gerade in den durch jenes L/AGRANGESche Prinzip so eng mit dem Raum zusammenh\u00e4ngenden P, in den Spannungen zwischen Dingen an sich, als die gesuchte Realit\u00e4t gegeben sein? \u2014 Um aus solchen Spekulationen wieder den Weg zur\u00fcckzufinden zu bew\u00e4hrten Thatsachen, sei nur erinnert, wie es ja gerade die Notwendigkeits- und freilich hier noch mehr die Unm\u00f6glichkeitsrelation ist, deren wir uns fortw\u00e4hrend als der tragf\u00e4higsten Br\u00fccke aus dem Reiche der Gedanken hinaus in das der Weltdinge bedienen. Weil ein gleichseitiges und zugleich ungleichwinkeliges Dreieck unm\u00f6glich ist (Relationsurteil), so giebt es auch keine ungleichwinkeligen gleichseitigen Dreiecke (Existenzialurteil). So bei apriorischen Urteilen; und wieder ist ja bei empirischen, sofern sie uns Dasein und Gesetze einer transcendenten Welt erschliefsen sollen, Kausalit\u00e4t, also wieder Notwendigkeit die Br\u00fccke. \u2014 Sollen wir den Grund jener besonderen erkenntnistheoretischen Tragf\u00e4higkeit der Notwendigkeitsrelation je ganz erstehen, so darf vor allem die Psychologie an keinem in jener Relation, aufzudeckenden Element, wie die \u201epsychische Spannung\u201c eines w\u00e4re, achtlos vor\u00fcbergehen.\n1 II. 277: \u201eEs ist offenbar noch zweierlei: die l\u00e4ngere Forterhaltung (einschliefslich der zeitlichen Vergr\u00f6fserung) und die aufmerksame Fixierung w\u00e4hrend dieser Dauer.\u201c Da nun dieses letztere, \u201edie aufmerksame Fixierung\u201c, selber das Problem ist, so ist die Kernbestimmung des I. Bds. \u201edie l\u00e4ngere Forterhaltung\u201c, im II. Bde. geradezu zur\u00fcckgenommen.","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nA. H\u00f6fler.\nzu geben.\u201c Der Sch\u00fcler weifs also, dafs psychische Arbeit in etwas h\u00f6herem als dem durchschnittlichen Ausmafs von ihm verlangt ist; geht er auf das Verlangen ein, so ist er bereit, zu arbeiten, auch w\u00e4hrend er noch nicht arbeitet. Oder: Ein Parlamentsbericht erz\u00e4hlt, dafs ein noch etwas jugendlicher Redner seine Ausf\u00fchrungen durch den Satz schm\u00fcckt: \u201eMerken Sie auf, was ich jetzt sagen werde\u201c ; was unmittelbar schallende Heiterkeit hervorrief. Warum? Wohl, weil man es dem Redner nicht zutraute, dafs er \u00fcberhaupt in der Lage sei, seinen H\u00f6rern eine ausgiebige intellektuelle Arbeit aufzugeben. Die Beispiele beziehen sich auf die sogenannte willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit. Aber auch, wenn etwa ein auffallendes Plakat meine unwillk\u00fcrliche Aufmerksamkeit erregt, so heifst das, dafs die grotesken Formen und Farben es zuwege bringen, \u00fcber das blofse Haben von Sinnesempfindungen schon zu irgend einer Verarbeitung des Gesehenen, etwa einem Vergleich kolossaler Lettern mit dem gewohnten Mittelmafs einer Plakatschrift u. dergl. zu veranlassen, wobei ein Wollen dieses Aktes sich gar nicht einzuschieben braucht.\nDafs sich diese Beispiele unserer Definition so gut f\u00fcgen, ist nat\u00fcrlich noch gar kein Beweis f\u00fcr die G\u00fcte lezterer selbst; denn sie ist ja aus Beispielen solcher Art abstrahiert. Indes glauben wir auch f\u00fcr unseren Vorschlag in Anspruch nehmen zu d\u00fcrfen, was Stumpf am Schl\u00fcsse seiner zweiten Darstellung sagt: \u201eSchliefslich sei es gestattet, noch einmal besonders zu betonen, dafs in dieser viel verhandelten Frage nach der Natur der Aufmerksamkeit die blofsen Definitionsfragen (nach der zutreffendsten Auslegung der vorhandenen sprachlichen Bezeichnungen und den zweckm\u00e4fsigsten positiven Bestimmungen \u00fcber den Sinn, den man ihnen wissenschaftlich beilegen will) nicht scharf genug von den sachlichen Streitfragen geschieden werden k\u00f6nnen. Ich glaube nicht, dafs es gelingen wird, f\u00fcr das Wort Aufmerksamkeit, wie es nun einmal im Gebrauche ist, eine ganz einheitliche und konsequent festgehaltene Bedeutung zu finden. Irgend welche positive Bestimmungen wird sich also der Psychologe immer erlauben m\u00fcssen, die nicht vollkommen dem Sprachgebrauche entsprechen...\u201c Nat\u00fcrlich n\u00f6tigenfalls auch negative: letztere namentlich dann, wenn sich heraussteilen sollte, dafs der Sprachgebrauch hier wie so oft auch sonst (z. B. beim Wollen)","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n203\nnicht einmal soweit analysiert, nm das psychische Ph\u00e4nomen selbst (b) konsequent gegen seine Ursachen (a) einer- und seine Wirkungen (c) andererseits abzugrenzen. Negative, n\u00e4mlich einschr\u00e4nkende Bestimmungen w\u00e4ren es so, welche definieren: Aufmerksamkeit ist nur (5), oder nur (a)-j- (6), oder nur (b) -f- (c). Aber selbst das w\u00e4re m\u00f6glich, dafs bei solchem Aus- und Absondern der ph\u00e4nomenale, aktuelle Charakter dessen, was die Sprache unter Aufmerksamkeit in erster Linie versteht, \u00fcberhaupt negiert, und dafs Aufmerken als wesentlich dispositioneller Zustand definiert w\u00fcrde \u2014 also nur (a), ja eigentlich nur ein St\u00fcck von (a), n\u00e4mlich nicht die Gesamtursache von (b), sondern nur eben eine nicht ph\u00e4nomenale\u00bb Teilursache als Inhaltskern der Begriffe Aufmerken und Aufmerksamkeit festgehalten wird. \u2014 Nennen wir alle Theorien der Aufmerksamkeit, welche dieses dispositionelle Moment vorwiegend (wenn auch, wie sich zeigen wird, nicht ausschliefs-lich) betonen, Dispositionstheorien, dagegen Aktualit\u00e4tstheorien diejenigen, welche von der Voraussetzung ausgehen, das Aufmerken m\u00fcsse sich ebenso im eigentlichsten Sinne vollinhaltlich innerlich wahrnehmen lassen, wie Lust oder Glauben oder sonst ein psychisches Ph\u00e4nomen, so haben wir uns durch die eingangs mitgeteilte Definition vorl\u00e4ufig zur ersteren Auffassung bekannt.\nEine Konzession an die Dispositionstheorie enthalten folgende Worte Stumpfs, in welchen sich die oben angef\u00fchrte Stelle unmittelbar fortsetzt: \u201eEs mag nun sein, dafs man weniger in Konflikt mit der Sprache kommt, wenn man die Aufmerksamkeit nur ganz allgemein definiert als die \u201e\u201eeinen Akt des Bemerkens g\u00fcnstige Verfassung der Seele\u201c\u201c [\u2014 es werden hierf\u00fcr Marty und Kibot citiert]. In diesem Palle w\u00fcrde das, was wir Aufmerksamkeit nennen, das Interesse, nur ein Teil, wenn auch der wichtigste, der Aufmerksamkeit sein, diese selbst aber nicht ein bestimmter einfacher Akt, sondern ein Komplex von wechselnder Zusammensetzung, dessen Einheit und Gleich-m\u00e4fsigkeifc nur etwa in seiner Wirkung best\u00e4nde. Aber auch dieser Sprachgebrauch deckt sich nicht mit dem im Leben geltenden, fteden wir doch z. B. von einer Intensit\u00e4t des Aufmerk ens, was nun wieder als uneigentliche Ausdrucks weise aufgefafst und umgedeutet werden mufs.\u201c \u2014 Hiernach w\u00e4re also der Begriff einer Intensit\u00e4t des Aufmerkens dasjenige Argument","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nA. H\u00f6fler.\n(allerdings nur unter \u201eZ. B.\u201c), welches Stumpf gegen die Dispositionstheorien des Aufmerkens geltend macht; denn es kann f\u00fcglich sich nur gegen das genus proximum \u201eVerfassung\u201c d. h. Disposition, nicht gegen die differentia \u201ezum Bemerken\u201c richten. Sollte es demnach gelingen, dieses eine Bedenken zu beseitigen, so d\u00fcrften wir das von Stumpf in Sachen der Sprachgebr\u00e4uchlichkeit Beigebrachte ohne weitere Abstriche f\u00fcr die Dispositionsdefinition in Anspruch nehmen.\n\u00a7 59. Lassen wir aber f\u00fcr den Augenblick die Frage, ob Ph\u00e4nomen oder Disposition, noch zur\u00fccktreten hinter die andere: Disposition zu welchem Ph\u00e4nomen ? Wir sagten: zu psychischer Arbeit; Stumpf und Maety sagen : zum Bemerken. (Stumpf, II, 278: \u201eWelches ist also die prim\u00e4re Wirkung des Aufmerkens? Nichts anderes wohl als ein Bemerken.\u201c) Aber warum gerade nur ein Bemerken? Wenn in unserem ersten Beispiele das, wof\u00fcr der Lehrer Aufmerksamkeit fordert, etwa das Bemerken morphologischer Einzelheiten an einem Pr\u00e4parate oder an der Wandtafel war, so stimmt die Definition; nat\u00fcrlich auch, wenn es sich, was Stumpf zun\u00e4chst vorschwebt, um das Heraus-h\u00f6ren von T\u00f6nen handelt. Aber wie, wenn der Lehrer Aufmerksamkeit f\u00fcr einen schwierigen mathematischen Beweis fordert? Dafs einzelne seiner Worte oder ganze S\u00e4tze \u00fcberh\u00f6rt, nicht bemerkt werden, w\u00e4re doch nur die gr\u00f6bste Art von Unaufmerksamkeit; eher schon enth\u00e4lt die Forderung der Aufmerksamkeit eine Warnung davor, nicht \u00fcber den Fortgang des Beweises seine Anfangsglieder zu vergessen, also die Aufforderung dazu, alle Pr\u00e4missen im Ged\u00e4chtnis zu behalten, zu \u201emerken\u201c, n\u00f6tigenfalls mit der dazu erforderlichen Willensanstrengung. Am ungezwungensten aber wird die Forderung des Lehrers eben einfach ganz summarisch zu verstehen sein, dafs jedwede psychische Arbeit, die das Auffassen des ganzen Beweisganges und sein Vollzug im eigenen Denken jedes Sch\u00fclers fordern mag, auch wirklich vollzogen wird. Und in der That sp\u00fcrt ja auch jeder Sch\u00fcler in jedem Augenblicke recht gut, ob es und was es Schritt f\u00fcr Schritt gerade mitzuarbeiten g\u00e4be, er ist sich recht gut bewufst, ob er jetzt ein etwas undeutlich gesprochenes Wort dank seiner Aufmerksamkeit doch noch deutlich geh\u00f6rt und aufgefafst, jetzt eine geh\u00e4ufte Menge von Voraussetzungen festgehalten und \u00fcberblickt, jetzt einen schwierigen Schlufs mit Evidenz vollzogen","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n205\nhabe u. s. f. Mein Sprachgef\u00fchl sagt mir weder, dafs man alle diese Akte gleich ungezwungen als ein \u201eBemerken\u201c ansehen,1 noch, dafs man auf eine dieser Formen psychischer Arbeit den Begriff Aufmerken weniger gut als auf eine andere anwenden k\u00f6nnte.\nIn Wahrheit will mir scheinen, als ob die immer wieder konstatierte Schwierigkeit im Beschreiben der Aufmerksamkeit sich sehr einfach daraus begreifen liefse, dafs es an dem hinreichend umfassenden Korrelat zum Aufmerksamkeits- als einem Dispositionsbegriff, welches Korrelat eben der weite, aber nicht vage Begriff der psychischen, speziell intellektuellen Arbeit ist, bisher gefehlt hatte.\n\u00a7 60. Aber sollte in der That Aufmerken nur eine Disposition, gar nicht ein Ph\u00e4nomen sein? Ich glaube, auch wenn man sich zur Dispositionstheorie bekennt, braucht man nicht jederlei Aktualit\u00e4t \u00e4ngstlich auszuschliefsen. Wer von sich oder einem anderen behauptet, dafs er Kraft, z. B. der Muskeln, besitze, behauptet sicherlich nur eine Disposition, er hat ja nicht weniger Kraft, auch wenn er sie zur Zeit ganz und gar nicht beth\u00e4tigt. Aber er hat auch nicht weniger Kraft, wenn er sie beth\u00e4tigt (von etwa beginnender Erm\u00fcdung abgesehen). So mag sich denn auch der Aufmerkende sagen, dafs er sich in Bereitschaft zu irgend einer von ihm geforderten psychischen Arbeit befindet, weil er sich eben Augenblick f\u00fcr Augenblick bewufst ist, wirklich solche Arbeit zu leisten. Auch von einem Akkumulator wissen wir ja, dafs er geladen sei, weil und solange er noch Entladungserscheinungen giebt; und doch heifst geladen sein nur: potentielle, es heilst nicht: aktuelle Energie haben.\n1 Stumff betont freilich wiederholt (namentlich II, 278 ff.), dafs man auch \u201eirgend welche Verh\u00e4ltnisse bemerken\u201c k\u00f6nne; und unter sie geh\u00f6rten dann wohl auch die dem Schliefsen, also auch dem ganzen Beweise wesentlichen Notwendigkeitsrelationen. Aber erstens ist im Zusammenhang der STUMPFSchen Untersuchung nirgends von diesen, sondern nur von Vergleichsrelationen die Bede (I, 96 werden vier genannt: Mehrheit, Steigerung, \u00c4hnlichkeit, Verschmelzung); und zweitens scheint mir das \u201eBejahen oder (?) Bemerken\u201c (I, 96) der Notwendigkeit eines Schlusses h\u00f6chstens das Erlebnis desjenigen ausreichend zu beschreiben, dem der Schlufs \u201evorgemacht\u201c und der seine Stringenz zu pr\u00fcfen hat \u2014 in der Bezeichnung meiner Eogik (S. 189): der zu G und F das cf zu finden \u2014, nicht aber desjenigen, der sich aus G mittelst a das F erst zu erarbeiten hat.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nA. Hofier.\nNehmen wir denn f\u00fcr einen Augenblick an, der Auf-merkeude sei sich seiner Bereitschaft zur Arbeit in der That nur verm\u00f6ge seiner wirklichen Arbeit bewufst. Da es gewifs ebenso ungezwungen ist, von ,,intensiver psychischer Arbeit\u201c zu reden, wie von intensivem Interesse (Stumpf), oder von intensivem Vorstellen (Meinong), so w\u00fcrden wir uns dann nimmer wundern d\u00fcrfen, warum es so nat\u00fcrlich ist, von intensivem Aufmerken zu reden: die Intensit\u00e4t des Ph\u00e4nomens wird eben hier wie sonst \u00fcberall \u00fcbertragen auf die Intensit\u00e4t der Disposition (so auch im landl\u00e4ufigen Satz : Die St\u00e4rke der Kraft wird gemessen durch die St\u00e4rke der Wirkung).\nWas ist nun aber \u201eintensive Arbeit\u201c, genauer: die \u201eIntensit\u00e4t einer Arbeit\u201c? Bei mechanischer Arbeit, und insoweit die Formel A\u2014p.s auf psychische Arbeit \u00fcbertragbar ist, auch bei dieser, gewifs die Intensit\u00e4t des p ; ja der beliebte Gegensatz von Intensit\u00e4t und Extensit\u00e4t ist hier durch die beiden Faktoren p und s so deutlich wie nicht leicht sonstwo verwirklicht. (Von der physikalischen Mafsgr\u00f6fse: Arbeitsintensit\u00e4t = Arbeit pro Sekunde war hier nat\u00fcrlich nicht die\nBede.)\n\u2713\nUnd siehe da \u2014 wenn nun auch die Aktualit\u00e4t, das wirkliche Arbeiten, ganz wegf\u00e4llt, beh\u00e4lt doch das p seine Intensit\u00e4t: insofern kann man sich der \u201eSpannung der Aufmerksamkeit\u201c als eines f\u00fcr nachmaliges Arbeiten charakteristischen Ph\u00e4nomens und einer bestimmten Intensit\u00e4t dieses Ph\u00e4nomens bewufst sein, solange noch gar nicht gearbeitet wird, der Zustand des Aufmerkens also im Vergleich zu wirklichen psychischen Arbeiten nur Disposition ist. Es kommt hierin gerade die mechanische Analogie unserer Dispositionstheorie so vollst\u00e4ndig entgegen, wie man es nur immer verlangen kann. Der Druck oder Zug eines ruhenden Gewichtes ist noch gar nicht Arbeit; gleichwohl giebt sich die potentielle Energie zu einer Arbeit, die das Gewicht nachmals im Fallen leisten soll, geradezu schon ph\u00e4nomenal kund in dem statischen Gewichtsdruck oder -zug, den die Last auf ihrer hochgelegenen Unterlage leistet. Und denken wir uns einen Sch\u00fcler, der der Aufforderung: \u201eJetzt merken Sie auf!\u201c sofort nachkommt, so kann er sich in diesem Zustande, falls es etwa dem Lehrer beliebt, vor Ausl\u00f6sung der in Spannung versetzten Aufmerksamkeit noch eine Kunstpause zu machen, einige Zeit","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n207\nerhalten; er wird sich w\u00e4hrend dieser Zeit der Spannung, sei es FECHNERscher Muskelspannung, wenn es auf Sicht- oder H\u00f6rbares aufzumerken gilt, sei es psychische Spannung, wenn nur die Gelegenheit etwa zum Schliefsen suspendiert bleibt, bewufst sein: Alles statisch-psychische Zust\u00e4nde, die dem Aufmerken ganz wesentlich sind, gleichviel, ob es dann zum Arbeiten kommt oder nicht, und die in ann\u00e4hernd gleicher Intensit\u00e4t sich auch w\u00e4hrend des psychischen Arbeitens erhalten k\u00f6nnen, \u00e4hnlich wie der ohne Beschleunigung sinkende Stein im homogenen Gravitationsfeld auch noch w\u00e4hrend der Fallarbeit das gleiche Gewicht hat. Welchen psychischen Klassen, n\u00e4her besehen, diese Spannungen entsprechen, w\u00e4re die\nF-\nnat\u00fcrliche Aufgabe der weiteren Pr\u00fcfung im einzelnen Fall, wie in der allgemeinen Theorie: die Spannungen beim Wollen (\u00a7\u00a7 25\u201428) d\u00fcrften sich als das deutlichste Vorbild eignen, entsprechende Zust\u00e4nde auch beim Urteilen aufzuzeigen; die Spannungen beim Urteilen und, wenn es noch andere, nicht auf Urteile zur\u00fcckf\u00fchr bare intellektuelle Ph\u00e4nomene (\u00a7\u00a7 40\u201442), giebt, auch die Spannungen bei diesen, w\u00e4ren der gesuchte ph\u00e4nomenale Faktor im Aufmerken als der Disposition zu intellektueller Arbeit.\nEndlich noch die Frage: W\u00e4re, da wir allgemein die F\u00e4higkeit zu psychischer Arbeit psychische Energie nannten (\u00a7 7), nach unserer Dispositionstheorie der Aufmerksamkeit diese nicht einfach als \u201eintellektuelle Energie\u201c zu definieren? Dies aber w\u00fcrde das Sprachgef\u00fchl, das wir sonst unserer Definition so g\u00fcnstig sahen, nicht ungezwungen finden, es nimmt \u201eintellektuelle Energie\u201c in einem viel weiteren, auch vageren Sinne als dem des Aufmerkens. Das Bedenken entf\u00e4llt aber, wenn R\u00fccksicht genommen wird auf die auch sonst1 ganz allgemein notwendige Unterscheidung zwischen ganz umfassenden bleibenden F\u00e4higkeiten und den zeitlich mehr oder minder beschr\u00e4nkten Zust\u00e4nden, in denen die Dispositionen ihrer Aktualisierung sozusagen um einen oder mehrere Schritte n\u00e4her getreten sind, z. B. Ern\u00e4hrungsf\u00e4higkeit im allgemeinen und guter Appetit im besonderen, Muskelkr\u00e4ftigkeit im all-\n1 So spricht Ehrenfels (Werttheorie und Ethik, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XVII. S. 210) von einer \u201ePeriodicit\u00e4t der Dispositionen des Gef\u00fchles\u201c im Gegensatz zu dauernden Ver\u00e4nderungen; z.B. der \u201eWandel der Wertungen\u201c entspricht nur den letzteren.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nA. H\u00f6fler.\ngemeinen und gespannte, zum \u201eLoslegen\u201c ger\u00fcstete Muskeln im besonderen. So pflegt man in der That auch \u00fcber das Aufmerken hinaus noch von einer allgemeinen F\u00e4higkeit zum Aufmerken zu sprechen, und diese erst deckt sich denn auch wirklich mit dem, was man unter intellektueller Energie versteht, oder bildet wenigstens f\u00fcr letztere einen sehr oft benutzten Mafsstab.\nF. Einige Thesen \u00fcber die Beziehungen des Begriffes psychische Arbeit zu den Begriffen Apperzeption, Schlaf, Hypnose, psychische St\u00f6rungen, zur Charakterologie\nund zur P\u00e4dagogik.\nAn Stelle von Untersuchungen \u00fcber obige Gegenst\u00e4nde, deren sich eine Abhandlung nicht ganz entschlagen darf, welche \u2014 gegen ihre erste Absicht \u2014 durch ihr Thema selbst sich an die systematische Ber\u00fccksichtigung all er Formen psychischer Thatsachen gewiesen sieht, m\u00f6gen im folgenden aus Baumr\u00fccksichten nur einige Ergebnisse in Form von Thesen mitgeteilt sein, deren ausf\u00fchrlichere Begr\u00fcndung einer sp\u00e4teren Gelegenheit Vorbehalten bleibt.\n\u00a7 61. Begriff und Name der Apperzeption werden in der gegenw\u00e4rtigen Psychologie mit so wenig \u00dcbereinstimmung verwendet, dafs ihr Verschwinden aus derselben erw\u00fcnscht ist. Von den drei wesentlich verschiedenen Bedeutungen, der LEiBNizschen, KANTSchen und Herbart-schen, entspricht die letztere, Apperzeption = \u201eAneignen\u201c (\u201evon Vorstellungen\u201c) noch am ehesten einem Bed\u00fcrfnis. Sucht man zu allen verschiedenen Bedeutungen den Gattungsbegriff, so ist es kein anderer, als der der psychischen Arbeit ; und zwar z. B. bei Steinthal anf\u00e4nglich noch der der theoretischen Bet\u00e4tigungen, also intellektueller Arbeit, sp\u00e4terhin aller psychischen Arbeit \u00fcberhaupt, n\u00e4mlich auch emotionale eingeschlossen. \u2014 Auch das WuNDTSche Hereinziehen des Willens in den Begriff der Apperzeption ist nur zu begreifen als ein Bestreben, auf ein der intellektuellen und emotionalen Arbeit gemeinschaftliches Element hinzuweisen.\n\u00a7 62. Schlaf und Wachen sind sowohl durch physiologische als durch rein psychologische Merkmale voneinander verschieden. Letztere f\u00fcr sich k\u00f6nnen innerhalb jeder der vier Grundklassen gesucht werden. Zu finden sind sie wesentlich in denjenigen, welche zum Gesamteindrucke psychischer Depotenzierung beitragen, also unter den Arbeiten, namentlich im Urteil. Die alte skeptische Frage, woran wir Schlaf von Wachen unterscheiden, findet wenigstens teilweise Beantwortung im Hinweis auf herabgesetzte F\u00e4higkeit zu evidenten Urteilen, also zu logischer Arbeit (Abschnitt III). Diese Beziehung ist im Einklang mit der FECHNER-MEYNERTSchen Auffassung des Aufmerkens als eingeschr\u00e4nkten Wachens, zusammen mit der unsrigen, als Bereitschaft zu intellektueller Arbeit. Das Vorstellungsleben (nat\u00fcrlich abgesehen von den Vorstellungen der \u00e4ufseren Wahrnehmung) ist als psychische Nichtarbeit im Schlaf im","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\n209\nallgemeinen nicht herabgesetzt. \u2014 Eine Analogie zu den emotionalen Klassen der Arbeit (Begehren) und Nichtarbeit (F\u00fchlen) ist hier nicht entschieden und ungezwungen, vielleicht gar nicht durchzuf\u00fchren.\n\u00a7 63. Auch die Hypnose ist psychische Depotenzierung, speziell \u201eSuggestibilit\u00e4t\" besagt geradezu solche des Urteils. Auch wo. das psychische Ergebnis gesteigerte Kraftentfaltung scheint, ist deren n\u00e4chste Ursache herabgesetzte Kraft zu Hemmungen.\n\u00a7 64. Mehrere, wenn nicht die meisten Erscheinungskomplexe psychischer Erkrankungen werden als \u201eSt\u00f6rungen\" gerade im Hinblick auf gewisse Anomalien im Ablaufe psychischer Arbeit bezeichnet. \u2014 Der Manie oder heiteren Verstimmung ist gesteigertes Kraftgef\u00fchl wesentlich, dem die wirklichen Leistungen nicht entsprechender Melancholie nicht ausschliefslich das Stocken der Vorstellungsreihen, sondern viel mehr das \u201eSchwernehmen\" derjenigen Verh\u00e4ltnisse, in die sich der Kranke eingeschlossen sieht, beides Erreger qualvoller Unlust; kleines s, grofses p. \u2014 Die Amentia, welche Meynert als Zerfallen aller Assoziationsreihen beschreibt, die er aber auch nicht nur als geistige Schw\u00e4che, sondern geradezu als \u201eG-eistesmangel\" bezeichnet wissen will, ist eben hierdurch als ganz abnorm herabgesetzte psychische Verarbeitung der Vorstellungen sch\u00e4rfer als durch die assoziative \u2022 Abnormit\u00e4t charakterisiert; letztere vielleicht eher als eine Folge der ersteren zu verstehen, als umgekehrt. \u2014 Die progressive Paralyse endlich stellt in den fr\u00fcheren Stadien krankhafter Euphorie ein Entlad en psychischer Energie dar, dem kein Wiederersatz mehr folgt: wie wenn der Besucher einer Alpenh\u00fctte sich W\u00e4rme verschafft, indem er mit dem Holzwerk des Daches einheizt.\nVon den in den drei letzten Paragraphen ber\u00fchrten Erscheinungskreisen hat \u00fcbrigens jede, auch die in ihrer Art vollst\u00e4ndigste psychologische Charakteristik einzugestehen, dafs nicht einmal die Beschreibung, geschweige die Erkl\u00e4rung der Ph\u00e4nomene ohne Heranziehen der physiologischen Teilbedingungen auch nur brauchbare Approximationen liefert.\n\u00a7 65. Zur Charakterologie. \u2014 Die Aufgabe einer solchen (das Wort Charakter in seinem weitesten, nicht nur die relativ bleibendsten Willens-, sondern s\u00e4mtliche zur \u201eCharakteristik\u201c einer \u201ePers\u00f6nlichkeit\u201c dienlichen Dispositionen umfassenden, Sinn genommen) l\u00e4fst sich bezeichnen als die Aufl\u00f6sung aller Charakterz\u00fcge in eine Keihe individueller Konstanten. Eine derselben liefse sich als \u201epsychische Wucht\u201c bezeichnen. Der Ausdruck hat sich mir aufgedr\u00e4ngt im Hinblick auf einen Mann, dem jede theoretische Arbeit, jede Ausgestaltung seiner pers\u00f6nlichen Beziehungen zu Angeh\u00f6rigen, Freunden, zu Menschen, mit denen ihn sein Beruf in Ber\u00fchrung bringt, ein Anlafs zu psychischer Arbeit wird, in welcher er den p-Faktor immer etwas gr\u00f6fser nimmt, als es durchschnittlich \u00fcblich ist. Es ist nicht ein \u201eSchwernehmen\u201c im Sinne des Gegensatzes der dv<7xokoi> und svzokoi' unter dem Bilde derjenigen mechanischen Arbeit, welche im \u00a7 5 als letztes Beispiel angef\u00fchrt wurde, dafs ein Arbeiter einen gewissen Druck wirken lassen mufs, um einen Schnitt zu f\u00fchren, hat sich mir f\u00fcr jenes \u201eSchwernehmen\u201c der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\t14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"A. Hofier.\nAusdruck dargeboten: \u201eer dr\u00fcckt stark auf\u201c \u2014 sozusagen an jedem Punkte seines Lebensweges. \u2014 Es ist nicht n\u00f6tig, das kontrastierende \u201eLeichtnehmen\u201c erst zu beschreiben. \u2014 Nat\u00fcrlich m\u00fcfsten von vornherein intellektuelle und emotionale Wucht nicht parallel gehen; sie thun es aber in der That dennoch h\u00e4ufig. \u2014 Wie den Ausdr\u00fccken \u201eLeichtnehmen\u201c, \u201eSchwernehmen\u201c, liegen noch einer grofsen Menge allenthalben sogleich verstandener Ausdr\u00fccke, wie \u201eharter, starrer, biegsamer, elastischer Charakter\u201c u. s. f. mechanische Analogien zu Grunde. Eine theoretische Charakterologie wird gut thun, die in den sprachlichen Analogien enthaltenen Hinweise auf sachliche nicht zu untersch\u00e4tzen.\nAuch in der Charakterologie von Massenerscheinungen spielt der allgemeine Eindruck von Bef\u00e4higung zu psychischer Arbeit aufserhalb und innerhalb der theoretischen Forschung eine wesentliche Rolle. Man vergleiche als ein Beispiel Pelmans Anzeige1 von Nord aus Entartung: das \u201ef\u00f6n de ^ecfe-Publikum\u201c wird als zu Suggestibilit\u00e4t, zu Unaufmerksamkeit u. dergl. neigend dargestellt. (Besonders lehrreich ist es zu beachten, wie die Anzeige fast unwillk\u00fcrlich die Z\u00fcge von \u201eEntartung\u201c in Nordaus eigener Schriftstell er ei aufdeckt.)\n\u00a766. Zur P\u00e4dagogik. \u2014 Wie nahe praktische Interessen der P\u00e4dagogik der Theorie psychischer Arbeit stehen, erhellt schon daraus, dafs alle dieser Theorie gewidmeten Arbeiten aus j\u00fcngster Zeit (Burgerstein, Hopfner, Kr\u00e4pelin u. a.) geradezu durch Erscheinungen des Schullebens angeregt sind. Was speziell Kr\u00e4pelin ausdr\u00fccklich unter dem Titel \u201eGeistige Arbeit\u201c bringt, ist nach wertvollen theoretischen Grundbestimmungen wesentlich der \u201e\u00dcberb\u00fcrdungsfrage\u201c gewidmet. Die gegenw\u00e4rtige Art, Sch\u00fcler arbeiten zu lasseD, wird verurteilt in dem Dank an \u201ejene Lehrgegenst\u00e4nde und Lehrkr\u00e4fte, welche dem Sch\u00fcler die segensreiche Gelegenheit geben, seiner ermatteten Aufmerksamkeit die Z\u00fcgel zu lockern und die rauhe Gegenwart zu vergessen.\u201c \u2014 Wo aber an Stelle des Spottes der Ernst tritt, spitzen sich die Vorschl\u00e4ge in die Forderung zu, dafs \u201ein m\u00f6glichst kurzer Zeit ein m\u00f6glichst hohes Mafs von geistiger Arbeit geleistet werden\u201c solle.\nIch frage dagegen: Warum das? Als Kontrast zur spottweise angeratenen Unaufmerksamkeit macht es freilich sofort den Eindruck des gesunden, ja des einzig w\u00fcrdigen Zustandes. Aber warum \u201ein m\u00f6glichst kurzer Zeit\u201c? Sollte es nicht feinere psychologische Gesetze geben, die gerade einem Sichausdehnen der geistigen Arbeit \u00fcber etwas gr\u00f6fsere Zeitstrecken, einem Gen\u00fcgen an jeweilig geringeren Intensit\u00e4tsgraden unbeschadet des Ernstes der Arbeit dieser einen tiefer gehenden Wert f\u00fcr die Bildung des ganzen Individuums sichern? Herbarts gr\u00f6fstes Verdienst um die Didaktik, seine Forderung des \u201eInteresses\u201c, weist uns an, die spontanen Antriebe zu psychischer Arbeit wohl zu beachten; und ist sich etwa der Erwachsene bewufst, dafs sich seine spontane und dabei erfolgreichste Arbeit an eine derartige Zeitbestimmung gebunden hat? Sicherlich haben wir, wo das Interesse in Frage kommt; dem kindlichen Denken nicht Gesetze zuzumuten, die in den Elementar-\n1 Diese Zeitschrift. V. Bd. S. 141\u2014143.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\n211\nbestimmungen von denen des Erwachsenen verschieden w\u00e4ren. So darf denn auch der didaktischen \u201eKunst, Zeit zu verlieren\u201c, ihr Recht bleiben, sofern sich nachmals zeigt, dafs sie durch das Begn\u00fcgen mit dem jeweiligen, vielleicht geringen Mafs von Energieentfaltung, welche das vorhandene \u201epsychische Kraftfeld\u201c eben gestattete, im ganzen der Energie den gr\u00f6fstm\u00f6glichen bleibenden Zuwachs verliehen, die \u201eF\u00e4higkeit zur Arbeit\u201c im eigentlichsten Sinne \u201eerzogen\u201c hat. \u2014 Wie wenig namentlich der Massenunterricht den schlechterdings individuellen Wegen spontaner psychischer Arbeit \u00fcberall zu folgen vermag, versteht sich so sehr von selbst, dafs ihm, wenn er das Unm\u00f6gliche nicht leistet, keinerlei Vorwurf erwachsen kann. Aber solchen Interessen entgegenzukommen, soweit es eben m\u00f6glich ist, wird f\u00fcr die Didaktik immer die edelste Aufgabe bleiben; nur eben um das, was \u201em\u00f6glich\u201c ist, kann sich der Streit zwischen Theorie und Praxis drehen.\nUnd um so mehr wird dasjenige, was wir oben die feineren psychologischen Gesetze psychischer Arbeit1 nannten, die allerh\u00f6chste Beachtung verdienen und wohl nur ganz allm\u00e4hliche Ausbildung zu einer festen Theorie finden, als sich bei vorurteilslosem Ab w\u00e4gen dessen, was die Schule kann und was sie nicht kann, heraussteilen d\u00fcrfte, dafs sie \u00fcberhaupt auf Wirkungen (w\u00e4re es z. B. auch nur das eigentliche \u201eGe-niefsen\u201classen des einfachsten Gedichtes), denen sie nicht den Charakter von Arbeit geben kann oder will, nicht mit Erfolg z\u00e4hlen darf. Herbarts Forderung einer Pflege des Interesses l\u00e4fst sich sicherlich unschwer in die Sprache der Theorie psychischer Arbeit \u00fcbersetzen. (Wie sich sein Begriff der Apperzeption dem einer Bewegung der Vorstellungen im psychischen Kraftfeld anpassen l\u00e4fst, wurde im \u00a7 47 an einem p\u00e4dagogischen Beispiele erl\u00e4utert. Desgleichen stimmt der Begriff des Interesses als \u201eLust am Urteilen\u201c mit der Auffassung des Urteiles als Arbeit, und der Lust als Begleit-, bezw. Folgeerscheinung der Arbeit zusammen.)\nWenn schliefslich Kr\u00e4pelin sagt: \u201eWir stehen erst am Anf\u00e4nge einer wirklichen Hygiene der geistigen Arbeit\u201c (zun\u00e4chst wieder im Hinblick auf Schulhygiene gemeint), so ist das so sehr richtig, dafs man nur \u00fcber das hier zun\u00e4chst Gemeinte noch hinausweisend sagen mufs, es werden in den Begriff einer solchen Hygiene wohl jederzeit Verfahrungs-weisen geh\u00f6ren, die nur im gr\u00f6bsten durch die R\u00fccksicht auf physiologisch definierbare Bedingungen zu begr\u00fcnden sind, alle feinere Ausgestaltung aber von feineren und feinsten Erfahrungen erwarten, wie sie eben selbst wieder nur der intimste Rapport zwischen Lehrenden und Lernenden geben kann: Die psychologische Phantasie des Lehrers sieht allm\u00e4hlich, \u00e4hnlich der eines Faraday, an jedem Punkte der Kraftfelder, die ihm zur Pflege gegeben sind, die Richtung und Dichte der\n1 Selbst physiologische Interpretationen bekannter psychologischer Erfahrungen unterst\u00fctzen die Bedeutung solcher feineren R\u00fccksichten. Z. B. was Meynert die funktionelle Hyper\u00e4mie des Cortex nennt und was dem (es sei der Provinzialismus erlaubt) \u201eDreinkommen ins Arbeiten\u201c entspricht, m\u00f6chte einen starken Grund gegen allzu h\u00e4ufige Unterbrechungen des Unterrichtes durch \u201ePausen\u201c abgeben.\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nA. BL\u00f6fler.\n\u201eKraftlinien\u201c \u2014 und ist\u2019s ihm gelungen, durch die neuen Vorstellungs-massen, die sein Unterricht in diese Kraftfelder bringt, aktuelle Arbeiten, wirkliches Urteilen und Wollen, auszul\u00f6sen und bleibende Arbeitsdispositionen herbeizuf\u00fchren, so kann er nur l\u00e4cheln \u00fcber das tauto-logische Lob: \u201eSie lehren gut, denn Sie wissen Ihre Sch\u00fcler zu interessier en.\u201c\nIII. Logische Arbeit.\n\u00a7 67. Wie innerhalb des weitesten Kreises psychischer Arbeit sich der engere geistiger oder intellektueller Arbeit ab grenzt, von der wir im Abschnitt II B, \u00a7 40 ff., die Frage offen lief sen, ob oder inwieweit sie sich einfach mit dem Gebiete des Urteilens decke, so ist ein jedenfalls noch engerer Kreis der der logischen Arbeit. Trotz aller Streitfragen im einzelnen w\u00fcrde uns der doch ziemlich \u00fcbereinstimmende Sprachgebrauch betreffs Inhalt und Umfang der Begriffe \u201elogisch\u201c und \u201eLogik\u201c sofort hinreichend bestimmte Anweisung geben, um nach derselben Methode, nach der wir im vorigen Abschnitte die Elementarformen psychischer Arbeit \u00fcberhaupt zu \u00fcberblicken suchten, nun auch die speziell logischen Formen geistiger Arbeit in einiger Vollst\u00e4ndigkeit namhaft zu machen.\nIch m\u00f6chte aber, statt auf diese eigentliche Aufgabe einer Psychologie der logischen Arbeit einzugehen, welche ja doch in ihrem Ergebnisse sich mit dem decken w\u00fcrde, was man in einer Logik, nicht in einer psychologischen Monographie zu finden erwartet, hier wieder auf eine Seite des Begriffes Arbeit hinweisen, welche die Abgrenzung spezifisch logischer Arbeit innerhalb des weiteren psychischer Arbeit unter zwei von den Grenzstreitigkeiten zwischen Logik und Psychologie ganz unabh\u00e4ngigen Gesichtspunkten begr\u00fcnden mag.\n\u00a7 68. Ist ein Kilogramm ein Meter hoch zu heben, so ist die hierzu erforderliche Arbeit ein Kilogrammeter. Denken wir uns nun, es wollte jemand dem Kilogramm jene Niveau\u00e4nderung von einem Meter erteilen, aber, mit seiner Arbeit nicht sparend, mehr als ein Kilogrammeter Arbeit leisten: er kann es bekanntlich trotz seines noch so guten Willens nicht. H\u00e4tte er das Kilogramm etwa drei Meter hoch gehoben und dann wieder um zwei Meter sinken lassen, so w\u00fcrde die Mechanik die l\u00e4ngs des Weges von drei Metern geleistete Arbeit als 4\" 3 Kilogrammeter in Anschlag, davon aber die beim Sinken um zwei Meter verrichtete als \u2014 2 Kilogrammeter in Abzug","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n213\nbringen ; insofern bleibe auch dieser Ans weg zu einer Mehrarbeit hier anfser Betracht.\nWeiter: Denken wir uns, jene Hebungum ein Meter habe einmal ein kr\u00e4ftiger Mann \u201emit Leichtigkeit\u201c, ein andermal ein schwaches Kind \u201emit Anstrengung\u201c verrichtet. Die Mechanik hat f\u00fcr diese Unterschiede keinen Ausdruck ; der Niveaudifferenz von 1 Meter und dem Gewichte von 1 Kilogramm entspricht nun einmal nicht mehr und nicht weniger und nichts qualitativ anderes als eine Arbeit von 1 Kilogrammeter. Die Arbeit ist eben eine Funktion von nur jenen zwei Variablen Weg und Gewicht, oder allgemeiner: Niveaudifferenz und Spannung (\u00a7 6).\nDie hiermit abgewiesenen Nebenr\u00fccksichten auf noch andere als die genannten beiden Variablen m\u00f6gen dem Nichtphysiker keineswegs als- immer nebens\u00e4chlich erscheinen ; und es liegt im Plane dieser Untersuchung, derlei Bedenken gegen die Schaffung und Handhabung des physikalischen Arbeitsbegriffes einmal nicht kurzerhand abzuweisen. Es soll auf derlei aber erst weiter unten (\u00a7 80) mit ein paar Worten eingegangen und f\u00fcr jetzt die innerhalb der Physik bew\u00e4hrte engste Fassung des Arbeitsbegriffes zum wenigstens vorl\u00e4ufigen Anlafs genommen werden, auch auf psychischem Gebiete zuzusehen, ob sich nicht innerhalb eines vorgegebenen Quantums geleisteter psychischer, speziell geistiger Arbeiten eine solche sozusagen Kernarbeit als das im strengeren Sinne \u201eGeleistete\u201c gegen allerlei Nebenvorg\u00e4nge abgrenzen lasse.\n\u00a7 69. In der That ergeben sich die psychologischen Analogien zu obigen physikalischen Beispielen ganz ungesucht. Einem Kechner sei die Durchf\u00fchrung einer Addition von so und so viel Zahlen mit so und so viel Ziffern aufgegeben Irrt er sich bei der Kechnung, so dafs er die Arbeit zwei- oder zehnmal verrichten mufs, so ist das schliefslich \u201enur sein Schaden\u201c. Wer die Aufgabe gegeben hat, darf mit Hecht sagen, dafs nicht er schuld sei, wenn es dem unaufmerksam oder aus anderen Gr\u00fcnden fehlerhaft Kechnenden mehr Arbeit gekostet hat, als nun einmal das Addieren jener Anzahl Ziffern \u201ean sich\u201c kostet.\nUnd weiter: Wenn der Unge\u00fcbte jenes Exempel als eine Aufgabe empfindet, die ihn trotz ihrer qualitativen Leichtigkeit nur infolge grofser Anzahl der Addenden schon t\u00fcchtig in Anspruch nimmt, w\u00e4hrend sie der Ge\u00fcbte spielend mit","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nA. H\u00f6fler.\nSicherheit l\u00f6st, so ist ebenso gewifs in einem Sinn zuzugeben, dafs der erstere ungleich mehr zu arbeiten gehabt habe, als der letztere, wie in einem anderen Sinne doch gesagt werden darf, dafs die von beiden verlangte und verrichtete Arbeit die v\u00f6llig gleiche gewesen sei. Diesen letzteren Sinn gilt es nun, theoretisch zu fixieren. Man k\u00f6nnte von einer objektiven G-r\u00f6fse des Pensums und einem subjektiven An-strengungsgef\u00fchl sprechen. Aber wenn diese Ausdr\u00fccke sofort verst\u00e4ndlich und auch recht brauchbar sein m\u00f6gen, namentlich, um den Begriff der \u201eobjektiven Gr\u00f6fse des Pensums\u201c gegen allf\u00e4llige Bedenken zu sichern, die sich sonst vielleicht gegen die jener ganzen Unterscheidung richten wollten, so giebt uns doch die beliebte Gegen\u00fcberstellung von objektiv und subjektiv wohl hier noch weniger als sonst den gew\u00fcnschten theoretischen Einblick, zumal, was objektives Pensum genannt wird, ja doch auch als psychische Arbeit, und somit jedenfalls als in irgend einer Weise subjektiv erwiesen werden soll.\n\u00a7 70. Vielleicht erinnern aber die Schlagworte subjektiv und objektiv selbst schon wieder an die fast ebenso beliebte Gegen\u00fcberstellung von Psychologischem und Logischem. Lassen wir jeden Streit \u00fcber den normativen Charakter der Logik beiseite und halten wir uns an ein Beispiel psychischer Bet\u00e4tigung, das, wie immer sonst das Verh\u00e4ltnis von Logik und Psychologie als eines der Koordination, also Ausschliefsung, oder aber der Subordination (Logik ein St\u00fcck Psychologie) gedacht werden mag, gewifs auch als spezifisch logische Bet\u00e4tigung anerkannt wird : an einen Fall von Beurteilung eines bestimmten Inhalts, bei der alles aufgeboten worden ist, um das Urteil zu einem wahren zu machen. W\u00e4re etwa, um an das vorige Beispiel anzukn\u00fcpfen, das Urteil dieses: 36 -f-59 -f-117 = 212, und pr\u00fcft der Rechner, um seiner Sache gewifs zu sein, sein Ergebnis (seine Th\u00e4tigkeit) so lange, bis er die gew\u00fcnschte Beruhigung hat, so ist hier vielleicht die gleiche Arbeit wiederholt verrichtet worden; in dem Falle n\u00e4mlich, wenn die wiederholte Probe einfach in wiederholtem direktem Addieren ohne Zuh\u00fclfenahme indirekter Additionsproben bestanden und jedesmal das gleiche, schliefslich f\u00fcr gen\u00fcgend \u00fcberpr\u00fcft gehaltene Ergebnis geliefert hat. Der Rechner w\u00fcrde hier sich das wiederholte Rechnen haben ersparen k\u00f6nnen, wenn er sich infolge ausreichender Spannung der Aufmerk-","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n215\nsamkeit (volle \u00dcbung im Eins und Eins und dem sonstigen Additionsmechanismus nat\u00fcrlich vorausgesetzt) bei jedem Additionsschritte h\u00e4tte sagen d\u00fcrfen, dafs 7 -f- 9 wirklich 16 und dies um 6 vermehrt wirklich 22 u. s. w. gebe. Was es mit diesem \u201esich wirklich sagen d\u00fcrfen, dafs es wirklich so sei\u201c, auf sich habe, ist die Kernfrage der Logik und zwar, solange wir bei unserem arithmetischen Beispiele bleiben, speziell einer Logik der Arithmetik. Ganz allgemein aber wollen und m\u00fcssen wir hier als zu gestanden annehmen, dafs das Bewufst-sein, ein wahres Urteil gef\u00e4llt zu haben, ein Bewufstsein von Evidenz einschliefse. Es w\u00e4re nat\u00fcrlich hier nicht der Platz, den ganzen Kn\u00e4uel von Fragen, ob es wahre Urteile \u00fcberhaupt gebe, ob sie, wenn ja, dem Urteilenden als wahr erkennbar seien, und ob, wenn auch dies wieder bejaht wird, der Unterschied von wahr und falsch und das Bewufstsein von ihm sich auf das Vorhandensein einer innerlich wahrnehmbaren Eigenschaft von Urteilen, welche man Evidenz nennen k\u00f6nnte, gegr\u00fcndet sei, jetzt aufzurollen.1 Es mag aber vielleicht umgekehrt Demjenigen, der diesem Glauben an Evidenz nicht eine mehr oder weniger weit gehende Skepsis oder andersartige Grundlegungen der Logik von vornherein entgegenzustellen hat, nicht unwillkommen sein, den Evidenzbegriff seinerseits durch unser mechanisches Analogon von einer allerdings nicht ganz gew\u00f6hnlichen Seite her beleuchtet zu sehen.\n\u00a7 71. Was immer Evidenz sei, so viel wird zugestanden werden, dafs, wenn es gilt, ein Urteil \u00fcber einen bestimmten Inhalt zu f\u00e4llen, und dieser Inhalt nicht ganz \u201evollinhaltlich\u201c Vorstellungsinhalt gewesen ist, das Urteil unm\u00f6glich evident sein kann. Es mag dahingestellt bleiben, ob nicht vielleicht alles evidenzlose Urteilen2 sich im Grunde beschreiben liefse als ein Urteilen, das auf einen Gegenstand G gerichtet ist, aber statt eines dem Gegenstand G ad\u00e4quaten Vorstellungsinhaltes J einen im Vergleich zu letzterem l\u00fcckenhaften oder anderweitig entstellten Vorstellungsinhalt zur Grundlage der Beurteilung macht. Schon deshalb kann diese Deutung des evidenzlosen Urteilens hier nicht weiter verfolgt werden, weil ja die zur Anwendung gebrachte Unterscheidung von\n1\tSie sind er\u00f6rtert in meiner Logik, \u00a7 51 ff.\n2\tEiniges hierher Geh\u00f6rige a. a. 0. \u00a711.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nA. H\u00f6fler.\nInhalt und Gegenstand1 und wohl auch noch einiges andere umfassendster erkenntnistheoretischer Begr\u00fcndung bed\u00fcrfte. Nichtsdestoweniger reichen die n\u00e4chstbesten Beispiele von Beurteilung eines physischen oder psychischen Objektes \u2014 etwa eines Blattes Papier, das man nach fl\u00fcchtigem \u00dcberblicken als fleckenlos erkl\u00e4rt, einer Rezension, die man nach blofsem Durchbl\u00e4ttern des Buches verfafst, die Beurteilung unseres lieben N\u00e4chsten \u201eeinem on dit zufolge\u201c \u2014 schon hin, es als eine wesentliche Bedingung f\u00fcr das Zustandekommen von Evidenz erscheinen zu lassen, dafs man sich das Ding, \u00fcber das man urteilt, eben nicht \u201efl\u00fcchtig\u201c anschaue, d. h. allgemein, dafs man seinem Urteile einen Vorstellungsinhalt zu Grunde lege, der schon als Vorstellungsinhalt so vollst\u00e4ndig ist, als er nachmals Urteilsinhalt zu sein beansprucht. W\u00e4re nun auch jener Satz, den wir aus erkenntnistheoretischen R\u00fccksichten nur wie eine Anregung Vorbringen durften, in jeder Weise gesichert, so w\u00e4re nat\u00fcrlich noch nicht ausgemacht, dafs diese sicherlich notwendige \u201eVollst\u00e4ndig-keitsbedingung\u201c, wie wir sie kurz nennen k\u00f6nnen, auch schon die ausreichende Bedingung sei, um ein Urteil zu einem evidenten zu machen. Ist es ja doch von vornherein nicht einmal klar, ob sich f\u00fcr alles, was m\u00f6glicherweise Gegenstand eines Urteils werden kann, der Gegensatz von Vollst\u00e4ndigkeit und L\u00fcckenhaftigkeit des zu Grunde zu legenden Vorstellungsinhaltes w\u00fcrde durchf\u00fchren lassen. So z. B. nicht, falls es einfache Inhalte giebt, die entweder wahr oder falsch beurteilt werden k\u00f6nnen; denn hier n\u00e4hme ja eine \u201eL\u00fccke\u201c den ganzen Inhalt weg, es w\u00e4re ein Sprung von \u201eIchts zu Nichts\u201c (wie Nietzsche einmal sagt).\nBegn\u00fcgen wir uns daher mit F\u00e4llen, in denen diese Vollst\u00e4ndigkeitsforderung ihren guten, nicht mifszuverstehenden Sinn hat, und versinnlichen wir in solchen F\u00e4llen den Vorstellungsinhalt durch eine vertikale Gerade von endlicher L\u00e4nge AB. Diesen Inhalt urteilend bew\u00e4ltigen l\u00e4fst sich dann wieder versinnlichen durch dasselbe Beispiel, das wir schon in den \u00a7\u00a7 9\u201413 geradezu als einen primitiven Fall von psychischer Arbeit er\u00f6rtert haben, n\u00e4mlich als ein Hingleitenlassen des Blickes \u2014 das Wort im eigentlichen wie im \u00fcbertragenen\n1 Vergl. die Monographie \u201eInhalt und Gegenstand\u201c von Casimir Twardowski, Wien 1893.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n217\nSinne genommen \u2014 \u00fcber die ganze Linie von A bis B, so dafs in jedem Stadium dieser Blickbewegung das Bewufstsein gegeben ist, dafs man kein St\u00fcckeben der Linie \u00fcbersprungen und dafs man an ihr noch irgend eine Eigenschaft, z. B. dafs jedes solche St\u00fcckchen gerade sei, konstatiert habe. Nebenbei bemerkt, repr\u00e4sentiert hier das Bewufstsein, kein St\u00fcckchen der Linie \u00fcbersprungen zu haben, ein Existentialurteil, dagegen das Bewufstsein, jedes St\u00fcckchen der Linie als gerade erkannt zu haben, ein Relations-, n\u00e4mlich ein kategorisches Urteil, was aber diesmal keine verschiedene Behandlung der zweierlei Beurteilungen zur Folge hat; halten wir uns also beispielsweise nur an das erstere. So wenig es nun beanstandet werden wird (es w\u00e4re denn seitens eines seine Anspr\u00fcche an Wahrheit gar zu hoch schraubenden Skeptikers), dafs es m\u00f6glich sei, von einem nicht allzu langen St\u00fcck Linie zu behaupten, und zwar mit Evidenz zu behaupten, dafs man es in allen seinen Teilen \u00fcberblickt habe, so gewifs wird durch dieses Bewufstsein der Vollst\u00e4ndigkeit die Evidenz des auf die Linie gerichteten Urteils, dafs sie nirgends eine merkliche L\u00fccke aufweise, gegeben sein.\nIst es erlaubt, unser Bild von der vertikalen Geraden AB noch ein wenig ins Gr\u00f6bere auszuf\u00fchren, so denke man sich AB als vertikalen Rand etwa eines Sockels, l\u00e4ngs dessen man vom unteren Ende A bis zum oberen B eine Last P emporzuheben hat. Ist die H\u00f6he von B erreicht, so merkt man das, indem eben die leitende Kante zu Ende ist und die Last auf die im Niveau von B gelegene wagrechte obere Fl\u00e4che des Sockels ohne weiteren Aufwand von Hebarbeit hin\u00fcbergeschoben werden kann. Die Empfindung des Ruckes beim Erreichen von B hat im Hebenden gemeiniglich ein Urteil wie \u201eJetzt ist\u2019s \u00fcb erstanden\u201c zur Folge; und wer die Aufgabe gehabt h\u00e4tte, mit Evidenz das L\u00fcckenlossein jener Geraden AB im fr\u00fcheren Beispiel zu beurteilen, wird mit seinem pr\u00fcfenden Blicke, am Ende B angekommen, ein \u00e4hnliches Urteil abgeben. Es ist dies nat\u00fcrlich nicht das Evidenz bewufstsein selbst, aber sicher kann letzteres nicht fr\u00fcher zu st\u00e4nde kommen, als das Wissen, man sei in B angekommen und vorher an jedem Punkte von A bis B gewesen. Halten wir schliefslich wieder (vergl. \u00a7 48) auseinander: Evidenz und Evidenzbewufstsein(mankann evidente Urteile f\u00e4llen, ohne sich darum sagen zu m\u00fcssen, dafs sie","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nA. H\u00f6fler.\nevidente Urteile seien \u2014 denn das w\u00fcrde ja heifsen, wer ein evidentes Urteil f\u00e4llt, f\u00e4llt im Grunde zwei, deren zweites, um etwas n\u00fctzen zu k\u00f6nnen, ja selbst wieder evident sein m\u00fcfste, von wo aus sofort der regressus in infinitum gegeben w\u00e4re), so werden wir in dem durch die Beispiele erl\u00e4uterten Sinne verallgemeinernd sagen: Insoweit \u00fcberhaupt die Evidenz eines Urteiles von dem zu beurteilenden Vorstellungsinhalt abh\u00e4ngt, ist das Bewufstsein von Evidenz zu beschreiben als das Bewufstsein, die durch den Vorstellungsinhalt als solche geforderte Urteilsarbeit auf ihn verwendet zu haben. \u2014 Eben diese Urteilsarbeit ist es, welche vor allen \u00fcbrigen Formen psychischer Arbeit verdient, als logische Arbeit bezeichnet zu werden.\nWieviel von diesen Bestimmungen anfechtbar oder doch erg\u00e4nzungsbed\u00fcrftig sein mag \u2014 dafs ein Vorstellungsinhalt eine bestimmte Urteilsarbeit so \u201efordere\u201c, wie eine gegebene Niveaudifferenz und eine gegebene Last ein ganz bestimmtes mechanisches Arbeitsquantum, dieser Gedanke des Gefordert- und im logischen Sinne ausreichend Bestimmtseins ist der Erkenntnistheorie keineswegs fremd: soweit es apriorische Urteile giebt (apriorische Vorstellungen giebt es \u00fcberhaupt nicht), sind es ja diejenigen, die durch den zu beurteilenden Vorstellungsinhalt allein schon sozusagen vorgegeben sind.\n\u00a7 72. Aber auch die zweite Weise der Unabh\u00e4ngigkeit mechanischer Arbeitsgr\u00f6fsen von allen anderen Variabein aufser der Niveaudifferenz innerhalb eines gegebenen Kraftfeldes hat ihre psychologischen Analogien, von denen h\u00f6chstens die Analogie, keineswegs aber das in Analogie gesetzte zweite Fundament des Vergleiches von fern her geholt genannt werden wird\nEs wurde (\u00a7\u00a7 68, 69) zun\u00e4chst an einigen noch recht primitiven Beispielen des physischen, wie des psychischen Gebietes unterschieden zwischen einem Leisten der gleichen Arbeit unter kleiner und grofser Anstrengung. Nun ist man, unbeschadet aller sonstigen K\u00e4tsel, welche der Begriff des Genies einschliefst, dar\u00fcber einig, dafs eines seiner erstaunlichsten, aber doch unbestreitbarsten Merkmale dieaufserordentliche Leichtigkeit der Produktion sei. Verweilen wir in diesem Abschnitte \u00fcber logische Arbeit nur bei wissenschaftlichem, nicht bei k\u00fcnstlerischem Genie. Was hier Leichtigkeit der Produktion sagen will, ist offenbar nichts weniger, als Kleinheit der geleisteten und sozusagen objektiven Arbeit, sondern nur Kleinheit","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n.219\nder Anstrengung beim Arbeiten. Wo sieh uns diese Anstrengung keineswegs als verschwindend, vielmehr als recht grofs, vielleicht aufreibend darstellt (so z. B. in Newtons Arbeiten \u2014 vergl. charakteristische Ausspr\u00fcche hier\u00fcber in Whewells Gesell, d. induktiven Wissenschaften), da mufs, wenn wir gleichwohl von genialer Produktion sprechen wollen, eben das objektiv Geleistete wieder in einem noch st\u00e4rkeren Verh\u00e4ltnisse \u00fcber alle normalen Leistungen grofs gewesen sein. Ja selbst, wenn wir wieder an Grenzf\u00e4lle denken, und zwar gleich an den Grenzfall xar3 i^oxyr, die g\u00f6ttliche Intelligenz, so schliefst der Gedanke eines Allwissens keineswegs den einer unendlich \u201eschwierigen\u201c, d. h. zun\u00e4chst f\u00fcr endliche Kr\u00e4fte gar nie zu l\u00f6senden Aufgabe aus, vielmehr limitiert in unserer Vorstellung nur jeder Gedanke an \u201eM\u00fche\u201c gegen 0; das objektive Arb eit s quantum aber denken wir uns als unendlich \u2014 oder aber als endlich, falls wir etwa zwar in Gott ein Unendliches, in der \u201eWelt\u201c aber \u2014 hier unter diesem sonderbar umfassenden Kollektivnamen einmal alles Erkennbare verstanden \u2014 selbst noch Endliches denken. In diesem Falle w\u00e4re die \u00dcbermenschlichkeit jener Erkenntnisarbeit eine unendliche erster, in jenem eine zweiter Ordnung.\n\u00bb \u2022\t___\n\u00a7 73. Kehren wir zu \u00dcberlegungen im Endlichen zur\u00fcck, so f\u00fchrt uns der Gedanke von \u201eWegen44, die das Erkennen zur\u00fcckzulegen habe, so bedenklich gerade jede Analogie zu R\u00e4umlichem f\u00fcr psychische Theorien ist, auf ein Argument zu gunsten der ganzen Vorstellungsweise, das man schwerlich als ein blofses Haften an bildlichen Ausdr\u00fccken wird gering sch\u00e4tzen k\u00f6nnen. Nichts ist n\u00e4mlich gew\u00f6hnlicher, als gerade von unserem Denken im Ernste oder im Spotte zu sagen, \u201ewie wir\u2019s zuletzt so herrlich weit gebracht44 \u2014 von \u201eFortschritten\u201c zu sprechen, von \u201eweiten\u201c Forschungsgebieten u. dergl. m. \u2014 Dafs wir dabei \u00fcberdies von \u201eh\u00f6heren\u201c Gesichtspunkten, \u201eh\u00f6herer\u201c Bildung, Auffassung, von einem sich \u201eErheben\u201c \u00fcber Vorurteile, von \u201eBildungsniveau\u201c u. dergl. sprechen, erg\u00e4nzt das r\u00e4umliche Bild zur vollen Analogie mit dem mechanischen Gedanken, dafs dem \u201eh\u00f6her\u201c gelegenen Ziele die gr\u00f6fsere Arbeit, und umgekehrt, entspreche. Suchen wir f\u00fcr diesen Gedanken den Ausdruck, welcher von der Analogie nur das Wesentlichste beibeh\u00e4lt und dem m\u00f6glichst ungezwungen entspricht, was alle jene unbeabsichtigten oder beabsichtigten Bilder eigentlich sagen wollen, so d\u00fcrfte sich als Terminus am besten eignen :","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nA. Hofier.\nKonfiguration der Erkenntnisziele.1 Und an diesen hoffentlich, f\u00fcr sich selbst sprechenden Terminus kn\u00fcpft sich sogleich ein weiteres Problem, das nicht in sich selbst sinnlos genannt werden wird, wenn auch seine L\u00f6sung nat\u00fcrlich nicht eher \u2014 also wohl nie \u2014 gelingen kann, als bis eben das Erkennen selbst seine letzten Ziele erreicht hat oder doch unmittelbar vor ihnen steht, n\u00e4mlich Distanz- und Riehtungs-gr\u00f6fsen der einzelnen Punkte jener Konfiguration anzugeben.\n\u00a7 74. Gegen den Gedanken von Distanzgr\u00f6fsen wird in unserem Falle sogar weniger zu sagen sein, als auf viel primitiveren psychischen Gebieten, so namentlich der Empfindungsmessung. Denn was letztere eigentlich problematisch macht, dafs man z. B. nicht, um ein Forte zu erhalten, 2 oder 100 Piano aneinanderst\u00fcckeln kann, gerade das gilt ja f\u00fcr das Fortschreiten in der Erkenntnis gar nicht; man lernt zuerst Addieren, um sp\u00e4ter Multiplizieren lernen zu k\u00f6nnen, viel sp\u00e4ter Differenzialrechnung, um auf sie dann noch Integralrechnung zu t\u00fcrmen u. s. w. Freilich die \u201elogische Elle\u201c, welche f\u00fcr was immer f\u00fcr ein \u201ewie herrlich weit gebracht\u201c feste Mafszahlen lieferte, wird kaum minder lang auf sich warten lassen, als die von Fechner2 sogenannte \u201einnere Elle\u201c \u00fcberhaupt. Kur so viel ist wohl klar, dafs auch ein Messen von Abst\u00e4nden zwischen je einer niederen und h\u00f6heren Erkenntnisstufe kaum anders durchzuf\u00fchren sein wird, als durch das Zur\u00fcckgehen auf die kleinsten Schritte,3 wie wir z. B. im \u00a7 15 die Arbeit einer einfachen Additionsaufgabe in gegeneinander wohl abgegrenzte psychische Akte zu zerlegen verlangten. W\u00e4ren im Sinne des \u00a712 psychische Arbeits\u00e4quivalente und damit auch eine numerische Messung verschiedenartiger Arbeiten A gelungen und ebenso ein Messen des Spannungsfaktoren p im Sinne des \u00a7 9 ff., so w\u00e4re das Mafs der intellektuellen \u201eWege\u201c gegeben durch s = A/p \u2014 alles nat\u00fcrlich unter dem Vorbehalt (\u00a7 17), dafs\n1\tDen Ansdruck Konfiguration wendet Maxwell in Matte,r and motion zum Unterschiede von Dislokation an, bei welch letzterem schon an ein Gelangen von dem einen Orte zum anderen (noch ohne R\u00fccksicht auf die Zeit, deren Hinzutreten die Vorstellung von Dislokation zu der von Geschwindigkeit erg\u00e4nzt) gedacht wird. Auch diesen Begriffen fehlt nicht ihre psychologische Anwendbarkeit.\n2\tEl d. Psychophysik. I. S. 57 ff.\n3\tStumpf, Tonpsychologie. I. S. 398.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n221\nsich die betreffende Arbeit \u00fcberhaupt durch A=p.s hat aus-dr\u00fccken lassen.\n\u00a7 75. Viel anst\u00f6fsiger, als der Gedanke von Distanz-gr\u00f6fsen, mag der von Riehtungsgr\u00f6fsen in der Konfiguration der Erkenntnisziele klingen. Aber ganz fehlt es auch nicht an Belegen f\u00fcr einen solchen Begriff schon innerhalb des gew\u00f6hnlichsten Denkens \u00fcber das Denken. Sagen wir doch, wir seien zu diesem oder jenem Resultate auf einem \u201eUmwege\u201c gelangt, und sinnen uns nachmals einen k\u00fcrzeren oder den \u201ek\u00fcrzesten Weg\u201c aus. Auch finden wir von manchem Beweisgange, dafs er uns dem Ziele so wenig n\u00e4her bringe, als eine Kraft, die normal gegen die Richtung wirkt, nach der hin ein zu erreichender Punkt liegt. Freilich, der Begriff des rechten Winkels im Logischen mutet uns noch abenteuerlicher an, als der der logischen Elle. Aber giebt es einmal ein B[\u00f6her oder Niedriger in der Erkenntnis, zwar noch lange nicht zahlen-m\u00e4fsig auszusprechen, aber doch noch weniger ganz zu leugnen, so wird es ja wohl auch etwas wie \u201eNiveaufl\u00e4chen\u201c geben.1 Mancher, der ein bestimmtes geistiges Niveau erreicht hat, begn\u00fcgt sich, hier ohne weitere Arbeit ins Breite sich zu ergehen. Und giebt es Niveaufl\u00e4chen, so giebt es auch Traje-ktorien, die uns im Physischen den rechten Winkel durch den Begriff des k\u00fcrzesten Weges von einer Niveaufl\u00e4che zur unendlich benachbarten ebenso exakt zu definieren erlauben, als eine primitivere geometrische Definition. An diesem Begriffe des k\u00fcrzesten Weges aber, des Denkens ohne Umweg, fehlt es ja, wie gesagt, auch auf unserem heterogenen Gebiete nicht. Und ist dann noch die Frage, unter einem wie grofsen Winkel2\n1\tIst es erlaubt, das Bild etwa konzentrischer Kreise dem Scherzhaften anzun\u00e4hern, so k\u00f6nnte man von \u201eJahresringen der Wissenschaft\u201c sprechen. Die Physik z. B. hat solche angesetzt um die f\u00fcnfziger Jahre (Einf\u00fchrung des Energiebegriffes), um die siebziger Jahre (Ersetzung der Fernwirkungsvorstellungen durch FARADAYSche) und um die neunziger Jahre (Zur\u00fccktreten der mechanistischen gegen die analogische Behandlung der Ph\u00e4nomene).\n2\tHier ist der Punkt, an welchem die allgemeinere Mafsformel f\u00fcr Arbeit A = p.scoscc an Stelle des einfachsten p.s einen Sinn bek\u00e4me. \u2014\nDie andere Verallgemeinerung fpds w\u00fcrde nat\u00fcrlich ohnedies die Regel, ps nur eine wegen der Schwankungen der Aufmerksamkeit u. dergl. kaum jemals realisierte Ausnahme sein. \u2014 Aber selbst der allgemeinste Ausdruck J'(Xdx -}- Ydy -f- Zdz) m\u00f6chte im Psychischen noch immer viel","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"A. Hofier.\n222\nein Umweg vom direkten Wege abweicht, schlechterdings absurd ?\n\u00a7 76. Um indes wieder nicht \u00fcber dem Gewagten das Sichere aus der Hand zu geben, sei ausdr\u00fccklich hingewiesen auf die Modifikationen, welche unser Bild, selbst falls man es auch nur als Typus acceptieren k\u00f6nnte und m\u00f6chte, in seiner Anwendung auf konkrete psychische, speziell logische Bed\u00fcrfnisse sich wird gefallen lassen m\u00fcssen.\nSo vor allem, wenn man an den Unterschied denkt, ob ein Erkenntnisweg zum ersten Male gegangen oder ob er nur nachgeschritten wird. Jede neue Generation wird ja auf ein \u201eBildungsniveau\u201c im tausendsten Teile der Zeit und mit dem zehntausendsten der M\u00fche gehoben, den sein erstes Erreichen gekostet hatte. Und ebenso sehen wir im einzelnen immerw\u00e4hrend eine unabsehbare Menge Denkender auf mehr oder minder ausgetretenen Pfaden aufw\u00e4rtsstreben, nur Einzelne bis in wenig oder nicht betretene Gebiete vordringend, und so Sp\u00e4teren wieder weitere Erhebungen erm\u00f6glichend. Wie hat hier der Fr\u00fchere dem Sp\u00e4teren geholfen? War es ein Tragen, war es nur ein Markieren des Weges, oder giebt es wirklich etwas, wie ein Austreten des Weges? Das Letztere m\u00fcfste sich gewifs ohne jedes Bild beschreiben lassen, vielleicht einfach als ein Warnen vor allen Urteilen, die doch nicht in der gew\u00fcnschten Dichtung weiter f\u00fchren. Das Markieren des Weges w\u00e4re das Vorlegen derjenigen Vorstellungsinhalte, welche dann die zielgem\u00e4fsen Urteile schon von selbst ausl\u00f6sen. Und das \u201eTragen\u201c \u2014 in seinem gew\u00f6hnlichen physischen Sinne (wenn es nicht nur ein Bef\u00f6rdern in der Niveaufl\u00e4che sein soll) heifst es, dafs der Tragende seine potentielle Energie dazu verwendet, einer anderen Masse als der seinigen eine potentielle Energie zu geben, die sie sich selber nicht hat geben k\u00f6nnen : giebt es nun auch hierzu ein psychisches Analogon? Giebt es ein Ver-\nzu eng sein. Denn wer wollte vorl\u00e4ufig die Zahl der Dimensionen f\u00fcr die Konfiguration der Erkenntnisziele angeben? Etwa eine \u201eEinteilung der Wissenschaften\u201c? Und dann noch die anderen Formen psychischer Arbeit neben der logischen? Wahrlich, man braucht nur mit der physischen Analogie im einzelnen Ernst zu machen, um die Bef\u00fcrchtung, es m\u00f6chte durch sie dem Psychischen etwas von seinen Mannigfaltigkeiten und damit von seiner W\u00fcrde abgesprochen und nicht vielmehr erst recht an sie gemahnt werden, Schritt f\u00fcr Schritt widerlegt zu sehen.","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n223\ngr\u00f6fsern der potentiellen psychischen Energie eines zweiten Ich durch Lehren? Giebt es ein Fortleben der psychischen Energie des Lehrers in den Belehrten, oder ist die Forderung: \u201eErwirb es, um es zu besitzen!\u201c . . so strenge, dafs ein Wachsen aller intellektuellen F\u00e4higkeit aus der eigenen Individualit\u00e4t heraus unumg\u00e4nglich ist und fremde H\u00fclfe, Weg Weisung, immer nur causa occassionalis bleibt?\nNehmen wir auch diese Frage sogleich wieder im umfassendsten Sinne, so kommt sie der gleich: giebt es ein Gesetz der Erhaltung intellektueller und \u00fcberhaupt psychL scher Energie? Ein Gesetz der Erhaltung psychischer Massen mufsten wir (\u00a7 49) in Abrede stellen. Mit dem analogen Gesetz betreffs der Energie wird es kaum besser stehen \u2014 wenigstens solange man je ein Individuum hierbei als ein in sich abgeschlossenes System denkt. Aber vielleicht f\u00fcr gr\u00f6fsere Gruppen geistig miteinander in Verkehr Stehender? L\u00e4ngst ist ja derlei als Trost ausgesprochen worden beim Scheiden eines grofsen Geistes, dessen Produktivit\u00e4t wir durch den Tod j\u00e4h abgeschnitten sehen (ich schreibe diese Worte am Tage der Nachricht vom Tode Helmholtz\u2019) ; und hinwieder giebt die sch\u00f6ne Deutung des Actpbnadia\tdiadoo\u00f6ovGiv dkkfjXo\u00ef\u00c7) welche z. B.\ndas Motto von Whewells Geschichte der induktiven Wissenschaften bietet, dem Gedanken einen hoffnungsfrohen Ausdruck. Wer aber m\u00f6chte in solchen Hoffnungen etwas der empirischen Bew\u00e4hrung des Gesetzes auf physischem Gebiete schon Nahekommendes sehen? Oder sollen wir gar das Wagnis Schlegels* 1 mitmachen und an ein Kleinerwerden der Summe der physischen Energie,2 n\u00e4mlich Umwandlung in psychische, glauben?\nBegn\u00fcgen wir uns statt solcher Blicke ins Fernste mit dem theoretischen Festhalten dessen, wie wir es selbst st\u00fcndlich\n;\n1\tEmil Schlegel, Das Bewufstsein, Grundz\u00fcge naturwissenschaftlicher und philosophischer Deutung mit Geleitsworten von Meynert, Stuttgart, 1891, S. 113: \u201e..Wir werden ein Ziel des Weltprozesses darin erblicken, dafs die Kr\u00e4fte und Energien des niederen Leiches allm\u00e4hlich ausgen\u00fctzt und in entsprechender \u00c4quivalenz in die Beziehungen des Bewufstseins-lebens, endlich aber in ein Leich h\u00f6chster Bewufstseinserscheinungen \u00fcbergef\u00fchrt werden.\u201c\n2\tApriorischen Bedenken w\u00e4re das MACHSche entgegenzustellen, \u201edafs auch dem Energiebegriffe . . nur f\u00fcr ein begrenztes Thatsachen-gebiet G\u00fcltigkeit zukommt\u201c (Wiener Akad.f 1892). Oder aber folgt hieraus etwas gegen Schlegels Aneinanderf\u00fcgen beider Energiegebiete?","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nA. H\u00f6fler.\nhalten, so glauben wir ja, immerhin die Kunst zu besitzen, die psychische Arbeitsf\u00e4higkeit des Anderen planm\u00e4fsig zu ver-gr\u00f6fsern; wie, dar\u00fcber ist im \u00a7 66 (Die psychische Arbeit in der P\u00e4dagogik) einiges Wenige bereits gesagt worden.\n\u00a7 77. Hier endlich w\u00fcrde nun auch der ganze Schatz\ngeistvoller Gedanken, die namentlich seit Avenarius\u2019 Philosophie\na\u00efs Denken der Welt nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmafses\nund Machs wiederholter Betonung der \u00d6konomie des Denkens\nals Ziel aller wissenschaftlichen Th\u00e4tigkeit dem Begriffe\npsychischer Arbeit aufs wirksamste vorgearbeitet haben, auch\nf\u00fcr unseren jetzigen Gegenstand, die logische Arbeit, nutzbar\n\u00ab \u2022\nzu machen sein. Es liegt nahe, dafs die \u00d6konomie des Denkens ja nie so weit gehen kann, es schliefslich ganz zu ersparen,1 sondern der Kern, der bliebe, wenn alle unn\u00fctzen \u201eSpannungen\u201c und \u201eUmwege\u201c vermieden werden, d\u00fcrfte sich eben als die reine logische innerhalb aller \u00fcbrigen intellektuellen Arbeit herausstellen. Und eine so dankbare Aufgabe f\u00fcr die Logik, als die Lehre vom richtigen Denken, es ist, auch auf die gew\u00f6hnlichsten Formen des nicht richtigen Denkens warnend hinzuweisen, so eng geh\u00f6rt es auch zu einer psychologischen Theorie der logischen Arbeit, alles aufzuzeigen, was in Wirklichkeit intellektuelle Arbeit ohne logischen Nutzeffekt aufbraucht (wir verglichen es in \u00a7 9 mit dem St\u00fctzenverlust einer Elektrisiermaschine; andere Gleichnisse w\u00e4ren Reibung, Luftwiderstand. In Wirklichkeit geh\u00f6rt hierher namentlich alles Arbeiten bei schon beginnender Erm\u00fcdung ; diese modifiziert \u00fcberall die Proportionalit\u00e4t zwischen A und 5). Es habe auch hier bei der Erw\u00e4hnung der Aufgabe als solcher sein Bewenden. \u2014 An die Vertreter des Gedankens von der \u00d6konomie des Denkens aber sei hier die Frage gerichtet, ob jene logische Kernarbeit ihrerseits wieder etwas anderes sein k\u00f6nne, als das Erarbeiten von Evidenz 2 im Sinne der ersten Ausf\u00fchrungen dieses Abschnittes. Ist wirklich die Evidenz der entscheidende Begriff aller Logik, so ist ja auch um die aufgeworfene Frage, mag sie noch so schulm\u00e4fsig klingen, eben nicht herumzukommen; und das eine\n1\tAuch Boltzmanns (vergl. Anm. 26) Ein wand d\u00fcrfte sich durch obige Erw\u00e4gung l\u00f6sen.\n2\tIch habe die Forderungen der \u201e\u00d6konomie\" mit der der \u201eEvidenz\" in Einklang zu bringen gesucht in meiner Logik, \u00a7 93: \u201ePie Anforderungen an ein wissenschaftliches System.\"","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n225\nbringt ja jedenfalls den Gedanken der Evidenz in noch n\u00e4here Beziehung zu dem der psychischen Arbeit als den der \u00d6konomie, dafs letzterer durch die Frage nach dem Ziel leicht in Verlegenheit gebracht wird, w\u00e4hrend Evidenz gerade an ein Erreichen von Erkenntniszielen sich kn\u00fcpft. Wie wesentlich aber der Zielgedanke dem aller Arbeit ist, wird sogleich noch in anderem Zusammenh\u00e4nge (\u00a7 80) zu ber\u00fchren sein.\nIT. Physikalische, physiologische, psychische Arbeit.\n\u00a7 78. Zwei wesentlich verschiedene Fragen, beides Prinzipienfragen, sollen durch die \u00dcberschrift dieses letzten Abschnittes nun schliefslich noch angeregt werden.\nErstens: Gehen psychische und physiologische Arbeit der-mafsen parallel, dafs \u00fcberall, wo letztere geleistet wird, auch erstere als geleistet wahrgenommen werden kann, und umgekehrt?\nZweitens: Welcher von den Begriffen \u201ephysische\u201c und \u201epsychische\u201c Arbeit ist der prim\u00e4re?\n\u00a7 79. W\u00e4re die erstere Frage zu bejahen, so m\u00f6chte es, wenn nicht von vornherein, so doch nachtr\u00e4glich als unsachlich erscheinen, dafs in der bisherigen Untersuchung \u00fcber psychische Arbeit den so wohl verb\u00fcrgten Begriffen einer Energetik des Nervensystems absichtlich aus dem Wege gegangen wurde. Vielleicht rechtfertigt sich aber diese Methode nunmehr gerade aus der Erw\u00e4gung, dafs, solange \u00fcberhaupt noch der Gegensatz von psychischer Arbeit und Nichtarbeit als solcher gehalten wird und dabei die Empfindung ein Typus der letzteren ist, durch sie allein schon der Parallelismus durchbrochen erscheint. Denn gerade Empfindungsvorg\u00e4nge denkt sich niemand ohne physiologisches Substrat. Ist die demEmpfindungs-vorgange entsprechende Funktion der Nervensubstanz auch keineswegs immer Verrichten von Arbeit, Umsatz potenzieller in aktuelle Energie, sondern etwa beim Schwarzprozefs Vermehrung der potenziellen, so liegt es daf\u00fcr um so n\u00e4her, namentlich unter den Voraussetzungen der monistischen Hypothese, jede Form positiver psychischer Arbeit geradezu als die \u201eandere Seite\u201c eines als solcher nicht ins Bewufstsein fallenden physiologischen Arbeitsvorganges aufz\u00fcfassen. Das Postulat einer ausnahmslosen physiologischen Repr\u00e4sentanz jedweder Art\n15\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nA. H\u00f6fler.\npsychischen Geschehens soll in dieser Allgemeinheit hier un-er\u00f6rtert bleiben. Um so mehr sei auf eine recht sonderbare Inkongruenz zwischen dem Bereiche dessen, was wir als psychische Arbeit darzuthun versuchten, und dem, wof\u00fcr die Physiologie die psychischen Korrelate gefunden zu haben glaubt, hier kurz hingewiesen.\nMeyneet bedient sich sogleich im ersten seiner \u201e Vortr\u00e4ge \u00fcber den Bau und die Leistungen des Gehirnesu 1 des Ausdruckes : \u201eFragen wir also, von welchem Belang das Mafs der Eigenschaften des Gehirnes f\u00fcr das Mafs der seelischen Leistungen sei, wieviel von letzteren durch die ersteren gedeckt sind? \u2014 Eine Voraussetzung steht voran: N\u00f6tig mufste . . das Gehirn zu psychischer Arbeit sein . .u Sehen wir aber zu, was an seelischen Leistungen Meyneets Psychologie2 that-s\u00e4chlich kennt: Empfindung, Erinnerungsbilder, Assoziation. Die Gef\u00fchle sind intensivere (weil gr\u00f6fsere Zellenkomplexe in Anspruch nehmende) Empfindungen; der Wille Innervationsempfindung. M\u00fcfsten wir diese Psychologie vor dem Forum der inneren Wahrnehmung gelten lassen, so w\u00e4ren alle physiologischen Arbeiten des Gehirnes schon \u201e gedecktu durch psychische Prozesse, die wir unter die Nicht arbeiten einzureihen hatten. M\u00f6gen nun auf Grund einer anderen Psychologie sich die Inkongruenzen auch nicht ganz so grofs darstellen \u2014 einer Ersetzung der empirisch-psychologischen Methode durch eine physiologisch-deduktive werden sie in Sachen der psychischen Arbeit wohl ebenso wie vorl\u00e4ufig in den meisten anderen psychologischen Kapiteln sich warnend entgegenstellen.\n\u00a7 80. Welcher von den Begriffen psychische und physische Arbeit ist der prim\u00e4re? \u2014 so lautete die zweite der obigen Fragen. Wie sie gemeint ist, mag aus den folgenden Andeutungen zur Antwort hervorgehen. Wir hatten zu Beginn dieser ganzen Mitteilung auf die Sachlage hinzuweisen, dafs es kaum noch jemandem eingefallen ist, f\u00fcr eine Theorie der psychischen Arbeit dasjenige nutzbar zu machen, was die Physik und nachgerade alle \u00fcbrigen Naturwissenschaften f\u00fcr\n1 1892. S. 4. Der Vortrag wurde gehalten 1868.\ns Einiges N\u00e4here hier\u00fcber in meinem Vortrag: \u201eWorte der Erinnerung an Theodor Meynert und an sein Verh\u00e4ltnis zur philosophischen Gesellschaft an der Universit\u00e4t zu Wien.\u201c Wien 1892. Braum\u00fcller.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit.\n227\ndie Theorie des Begriffes physischer \u2014 zun\u00e4chst mechanischer, sodann thermischer, chemischer, Stromarbeit, physiologischer Arbeit u. s. w. geleistet haben. Versteht es sich da nun nicht von selbst, dafs der Begriff physischer Arbeit der prim\u00e4re, der der psychischen der sekund\u00e4re sei? Aber das hiermit hervorgekehrte Zeitmoraent, der blofs historische Umstand, dafs wir in der Physik den Terminus Arbeit schon (\u2014 eigentlich m\u00f6chte man sagen: erst) seit Poncelet 1826 und dafs wir ihn in der Psychologie als wirklichen Terminus eben bis zum heutigen Tage noch gar nicht besitzen, kann und soll doch nicht in erster Linie ausschlaggebend sein, wenn es sich um das logische Verh\u00e4ltnis der zwei Begriffe handelt.\nUnd dieses logische Verh\u00e4ltnis, glaube ich, ist auch hier wieder einmal das dem historischen entgegengesetzte. Ich versuche also zu behaupten: Dem Inhalt der Vorstellungen physischer und psychischer Arbeit nach ist der zuletzt genannte Begriff derjenige, durch welchen auch der erstere \u00fcberhaupt erst voll verst\u00e4ndlich wird. Wer freilich es f\u00fcr Sache reiner Willk\u00fcr h\u00e4lt, dafs man f\u00fcr die Gr\u00f6fse p.s gerade den Namen \u201eArbeit\u201c eingef\u00fchrt hat, kann auf eine Erw\u00e4gung wie die folgende \u00fcberhaupt nicht eingehen; nur m\u00fcfste er sich behufs Pr\u00fcfung solcher Ansicht einmal Gedanken dar\u00fcber machen, wie es dann kommt, dafs man nicht z. B. p.s als Geschwindigkeit und cls\n-j\u00df als Arbeit bezeichnet hat. Unsererseits halten wir daran fest,\ndafs ein gesunder Sinn bei der Benennung physikalischer Gr\u00f6fsen mit Namen aus der vorwissenschaftlichen Sprache in der Erhebung dieser Namen zu festen Terminis neben den quantitativen auch die qualitativen Elemente (\u00a7 4) in ihrem Hechte zu belassen versucht habe. Und so werden wir denn fragen m\u00fcssen, welche Elemente der vorwissenschaftlichen ArbeitsVorstellung haben den f\u00fcr sie jedermann gel\u00e4ufigen Namen geeignet scheinen lassen, ihn gerade f\u00fcr die Rechnungs-gr\u00f6fse p. s auszusuchen ? Da ist es nun anerkanntermafsen der Gedanke des \u201eetwas Ausrichtens\u201c, des von der Stelle Kommens, wie er sich in dem zur \u201etoten Kraft\u201c p hinzukommenden Wegfaktor s ausdr\u00fcckt \u2014 es ist die R\u00fccksicht auf gleiches oder entgegengesetztes Vorzeichen von p und s, also Wirken im Sinne einer Kraft oder ihr entgegen, mit einem Worte, es ist das Hineintragen der Zielvorstellung in die physikalische","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nA. H\u00f6fler.\nBetrachtung, welche dem Arbeitsbegriffe und seinem Namen seine Stellung im Begriffssysteme zun\u00e4chst der Mechanik angewiesen hat. Diese Zielvorstellung fehlt auch nicht, wenn das Hervorbringen von W\u00e4rme unter Aufwand mechanischer Energie selbst f\u00fcr Leistung von Arbeit erkl\u00e4rt wird, und so in allen Erweiterungen des zun\u00e4chst der Mechanik angeh\u00f6rigen Arbeitsbegriffes. Hiermit allein w\u00e4re aber schon der Primat des psychischen Begriffes von Arbeit erwiesen, denn die Zielvorstellung ergab sich f\u00fcr den Begriff des Thuns als konstitutiv (\u00a7 22) und f\u00fcr diesen wieder die einer Arbeit (\u00a7 24).\nEs mag aber wiederum auch noch ein konkreteres Argument folgen. Bekanntlich giebt es Anf\u00e4ngern manchmal zu denken, wie es sich mit der Leistung, sagen wir, eines Menschen verh\u00e4lt, der eine halbe Stunde lang zu irgend einem Zwecke eine Last in Buhe \u00fcber dem Boden zu halten, etwa ein Gewicht aus freier Hand zu stemmen, oder eine Fahne oder eine Ank\u00fcndigungstafel hoch zu halten hat. Eine Arbeit im physikalischen Sinne ist in einem solchen bewegungslosen Zustande nicht geleistet worden; und ebensowenig, wenn die Last in einer Niveaufl\u00e4che ohne Ver\u00e4nderung ihrer Geschwindigkeit bewegt worden w\u00e4re. Die popul\u00e4re Auffassung vermag sich aber in solchen F\u00e4llen gleichwohl schwer oder gar nicht von dem Gedanken an Arbeitsleistung frei zu machen, sofern nur eben auch diese statischen Leistungen, wenn man so sagen darf, als irgend einem Zwecke dienend gedacht werden. Nun fehlt es nicht an Versuchen, derlei Vorg\u00e4nge als nur anscheinend rein statische darzustellen. So verlangte j\u00fcngst wieder der Physiker E. Wiedemann,1 es sei bei der Einf\u00fchrung des physikalischen Begriffes \u201eArbeit\u201c u. a. unumg\u00e4nglich n\u00f6tig, darauf hinzuweisen, dafs die Arbeit beim Halten eines Gewichtes darauf beruht, dafs der Muskel fortw\u00e4hrend Zuckungen ausf\u00fchrt, die freilich nur klein sind, aber sich sehr oft wiederholen. Ich lasse es dahingestellt sein, ob die Messung der wirklich in solchen Zuckungen verbrauchten Arbeit mehr oder minder vollst\u00e4ndig den physischen Energieaufwand deckt, den der Haltende (ungenau ausgedr\u00fcckt) \u201eempfindet\u201c, verglichen n\u00e4mlich mit einem wirklichen Heben um die Summe aller\n1 Bl\u00e4tter f\u00fcr das bayrische Gymnasialsckulwesen XXVII. (1891). S. 337\u2014346.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Arbeit\n229\nkleinen Wege unter der n\u00e4mlichen durchschnittlichen Spannung. Ich glaube aber, dafs sich das Bewufstsein des Hebenden wie des Haltenden, in dem einen wie in dem anderen Falle Arbeit geleistet zu haben, sehr einfach daraus erkl\u00e4rt, dafs er eben gar nicht zun\u00e4chst an die mechanische, vielmehr an seine psychische Arbeit denkt, den Aufwand von \"Willensenergie, den das Halten nicht wesentlich anders als das Heben kostet. Und weil dann im Heben auch r\u00e4umlich ein \u00e4hnliches \u201eZiel-Erreichen\u201c stattfindet, wie beim Wollen nur psychisch (\u00a7 29), so nannte man eben diesen mechanischen Vorgang \u201emechanische Arbeit\u201c \u2014 man nannte ihn so nach der psychischen Arbeit.\nInwieweit eine solche Anthropomorphisierung von physikalischen Vorstellungen thats\u00e4chlich stattgefunden, und inwieweit die Physik gut gethan hat, die Inhalte ihrer Begriffe von solchen Zuthaten zu s\u00e4ubern, w\u00e4re Gegenstand einer wohl manche Ausbeute versprechenden \u201epsychologischen und logischen Analyse der Hauptbegriffe der mathematischen Physik\u201c \u00fcberhaupt. Dar\u00fcber sp\u00e4ter vielleicht einmal mehr.\n\u00a7 81. Indem ich diese Skizzen \u00fcber psychische Arbeit schliefse, dr\u00e4ngt es mich, noch einmal ausdr\u00fccklich zu bekennen, wie sehr wohl ich mir bewufst bin, diesen Bl\u00e4ttern manchen \u201egewagten\u201c Gedanken anvertraut zu haben \u2014 ich z\u00e4hle zu ihnen den \u201epsychischer Spannungen\u201c, einer \u201eVorstellungsbewegung im psychischen Kraftfeld\u201c, einer \u201eKonfiguration der Erkenntnisziele\u201c und manchen anderen: aber sie mufsten eben einmal \u201egewagt\u201c werden, falls \u00fcberhaupt mit der Analogie von physischer und psychischer Arbeit ernst gemacht werden sollte, wozu aber vor allem geh\u00f6rt, dafs man die Konsequenzen, welche aus einer allseitigen Verfolgung der Entwickelung des physikalischen Begriffes, selbst bis hinein in die Potential-und Kraftlinientheorie, f\u00fcr die Analogie sich ergeben w\u00fcrden, \u00fcberhaupt einmal ins Auge fafst.\nWas bliebe von unserem Thema \u201epsychische Arbeit\u201c nun aber \u00fcbrig, wenn alle diese Einzelheiten sich als unhaltbar erwiesen? Vielleicht d\u00fcrfen wir uns auf Fechners Erz\u00e4hlung am Schl\u00fcsse seiner Elemente der Psychophysih berufen, wie er schon 1850 in einem Briefe an W. Weber \u201eunter Anerkenntnis der noch sehr grofsen Mangelhaftigkeit in Begr\u00fcndung und Ausf\u00fchrung des Gegenstandes doch die Hoffnung aussprach, die Idee m\u00f6ge \u201e\u201eeine gl\u00fcckliche\u201c\u201c sein\u201c; und welche An-","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nA. H\u00f6fler.\nforderungen Weber in seiner Antwort an den Begriff einer \u201egl\u00fccklichen Idee\u201c stellte. Ich bin unbescheiden genug, zu glauben, dafs es dem Begriffe psychischer Arbeit nach jenem WEBERschen Mafsstabe schon jetzt nicht ganz an den \u201est\u00fctzenden factis\u201c fehle. Die Thatsachen geistiger Arbeit sind ja diesmal vor aller Theorie l\u00e4ngst dagewesen, der Name f\u00fcr sie auch; und so wird denn hoffentlich auch die \u00fcber diesen That-bestand konstruierte Theorie innerhalb des festen Ger\u00fcstes, als welches uns der physikalische Arbeitsbegriff gedient hat, f\u00fcglich kein reines Luftschlofs geworden sein. Ob aber auch nur diese Hoffnung im Hechte sei, wird sich erst bemessen lassen, wenn etwa binnen der n\u00e4chsten zehn Jahre sich allm\u00e4hlich die Gewohnheit herausbilden sollte, von \u201eArbeit\u201c und \u201eEnergie\u201c auf psychologischem Gebiete mit dem Bewufstsein zu sprechen, dafs es wissenschaftliche Termini geworden sind, und von ihnen insbesondere nicht mehr zu sprechen ohne kontrollierende Blicke auf jenes Gebiet, in welchem der Arbeitsbegriff dem Denken eines ganzen Jahrhunderts seine Signatur gegeben hat.","page":230}],"identifier":"lit29508","issued":"1895","language":"de","pages":"44-103, 161-230","startpages":"44","title":"Psychische Arbeit","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:39:01.088805+00:00"}