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{"created":"2022-01-31T13:48:46.901510+00:00","id":"lit29559","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Peretti","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 8: 311-312","fulltext":[{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n311\nman meist annahm, ein notwendiger Bestandteil jeder Religion ; vielmehr findet er sich in einigen zum Teil hochentwickelten Glaubens-formen, wenn auch nicht immer strikte geleugnet, so doch nicht beachtet oder nur gelegentlich angedeutet. Diese Religionen sind der Mosaismus, der Buddhismus und der Konfucianismus, und Verfasser giebt uns ein anschauliches Bild \u00fcber deren Verhalten gegen\u00fcber dem Unsterblichkeitsglauben, um dann zu ihrer psychologischen Erkl\u00e4rung zu schreiten. Diese Schlufsstelle des Werkes, die Psychologie der Unsterblichkeitsleugnung, wie sie uns bei obigen Religionen und bei einigen philosophischen Systemen begegnet, ist eine der vorz\u00fcglichsten des Buches. R. weist nach, dafs von den zum Unsterblichkeitsglauben f\u00fchrenden Motiven das Wunschmotiv hier fortf\u00e4llt und dafs dadurch die Entstehung des Glaubens verhindert wird. Der Anh\u00e4nger des Konfucius ist (\u00e4hnlich wie der positivistische Philosoph der Neuzeit) Diesseitigkeitsrealist, f\u00fchlt in dem Ausleben dieses Daseins seine volle Befriedigung und verlangt nach nichts Weiterem ; der Buddhist (und der Schopenhauerianer) ist von dem Elend des Daseins so \u00fcberzeugt, dafs ihm dessen Fortdauer ein unertr\u00e4glicher Gedanke ist 5 und endlich die Anh\u00e4nger des alten Mosaismus (und \u00e4hnlich alle Pantheisten) gehen auf in der unendlichen Erhabenheit des Gottesbegriffes, in dem sie volles Gen\u00fcge finden, neben dem sie sich wie ein Nichts f\u00fchlen, vor dessen allgewaltiger Realit\u00e4t der einzelne in Staub versinkt.\nDie hier wiedergegebenen psychologischen Ausf\u00fchrungen (bei deren Skizzierung ich zuweilen der \u00dcbersicht halber ganz wenig von der Anordnung des Verfassers ab wich) werden nun von einem umf\u00e4nglichen Thatsachenmaterial getragen; sie sind mit biblischen und profanen Zitaten und Belegstellen auf das allerreichlichste, an manchen Stellen fast allzureichlich, durchflochten. Alle bedeutenderen Religionen und philosophischen Systeme finden ihre Ber\u00fccksichtigung; vielleicht w\u00e4re auch ein Blick auf die psychologischen Grundlagen des neuzeitlichen Spiritismus, der einen R\u00fcckfall in l\u00e4ngst \u00fcberwundene Formen des Unsterblichkeitsglaubens zu bedeuten scheint, nicht unlohnend gewesen.\nErw\u00e4hnt sei noch zum Schlufs, dafs Verfasser mir manchesmal dem Wirken des sprachlichen Einflusses auf die Gestaltung der Glaubensformen eine zu grofse Bedeutung beizulegen scheint; wir sehen mit Interesse dem angek\u00fcndigten n\u00e4chsten Heft seiner Studien entgegen, welches wohl eine Rechtfertigung seines Standpunktes in dieser Beziehung enthalten wird.\tW. Stern (Berlin).\nMax Dessoir. Zur Psychologie der Vita sexualis. Allgem. Zeitschr. f\u00fcr Psychiatrie. Bd. 50. S. 941\u2014975. (1894.)\nIn der ersten Zeit nach dem Erwachen des Geschlechtstriebes bleibt das Geschlechtsgef\u00fchl ein \u201eundifferenziertes\u201c, d. h. wird nicht auf das von dem eigenen differente Geschlecht bezogen, erst in einem zweiten Stadium tritt die Beziehung zum anderen Geschlecht in den Vordergrund. Es giebt nun pathologische F\u00e4lle, wo das Geschlechtsgef\u00fchl derart \u201eembryonisch\u201c bleibt, dafs es durch die Ber\u00fchrung mit Lebensw\u00e4rme \u00fcberhaupt erregt wird, gleichg\u00fcltig, ob die Ber\u00fchrung vom","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nLitter aturbericht.\neigenen, einem anderen gleich- oder fremdgeschlechtlichen K\u00f6rper oder selbst von einem Tierleibe ausgeht.\nF\u00fcr gew\u00f6hnlich aber entwickelt sich das Geschlechtsgef\u00fchl weiter durch Differenzierung und zwar entweder normal zur Heterosexualit\u00e4t, oder pathologisch zur Homosexualit\u00e4t.\nNormaliter vertieft sich das sexuelle Organgef\u00fchl in den Pubert\u00e4tsjahren durch den Hinzutritt h\u00f6herer Gef\u00fchle, der Neigung zum anderen Geschlecht, Heterosexualit\u00e4t, wobei noch ein \u00e4sthetischer Faktor, die Bevorzugung \u00e4ufserlich sch\u00f6ner Personen, und ein s o zialer Faktor, der in dem Bed\u00fcrfnis des Zusammenseins und in dem Unbehagen der Einsamkeit besteht, eine Eolle spielen. Die h\u00f6chste Stufe des Differenzierungsprozesses ist die Liebe zu einer einzigen Person des anderen Geschlechtes, die \u201enicht als Tr\u00e4gerin einer oder mehrerer Eigenschaften, sondern als diese einzige und inkommensurable Individualit\u00e4t geliebt wird\u201c. Die h\u00f6chste Liebesleidenschaft, die sich \u00fcber alles, \u00fcber Gesetz, Verlust von Leben, Stellung und Ehre hinwegsetzt, erinnert stark an die Zwangsvorstellungen, so dafs es fast scheint, \u201edie monopolisierende Liebe sei eine Neurose, ein Verliebter (im h\u00f6chsten Sinne der Differenzierung) ein Entarteter, aber sie ist nicht als pathologisch anzusehen, denn im Gegensatz zu den zwecklosen und das Individuum sch\u00e4digenden \u00c4ufserungen der Zwangsvorstellungen sind selbst die extravagantesten Handlungen des Verliebten \u201ezweckm\u00e4fsig in Bezug auf das erstrebte Ziel, und dies Ziel selber besitzt Berechtigung. Die Vereinigung mit dem geliebten Wesen ist ein h\u00f6chster Zweck und f\u00f6rdert die Pers\u00f6nlichkeit in unvergleichlichem Mafse\u201c.\nVon der Entstehung der Homosexualit\u00e4t (Uranismus und Triba-dismus) hat sich Verfasser folgende Vorstellung gebildet: W\u00e4hrend der normale Mensch sich von den in der Zeit des undifferenzierten Geschlechtsgef\u00fchls h\u00e4ufiger als die fremdgeschlechtlichen auf ihn wirkenden gleichgeschlechtlichen Eindr\u00fccken sp\u00e4ter losl\u00f6sen kann, steht der Homosexuelle \u201eerstens unter dem Drucke einer ihm nahestehenden Neigung zur Perversit\u00e4t, die ihm von Eltern oder Grofseltern \u00fcberkommen ist, zweitens ist er zu wenig widerstandsf\u00e4hig, um sich von den quantitativ \u00fcberwiegenden homosexuellen Eindr\u00fccken zu befreien, und drittens kann, was aber wohl nicht oft vorkommt, die \u00dcbermacht der Beizungen von seiten Gleichgeschlechtlicher zuf\u00e4llig so stark sein, dafs die normale Anlage selbst bei ganz gesunden Personen nicht zum Durchbruch gelangt.\u201c\nPeretti (Grafenberg).\nv# Schrenck-Notzing. Ein Beitrag zur psychischen und suggestiven Behandlung der Neurasthenie. Berlin, Herrn. Brieger. 1894. 48 S.\nDas Wesentliche der vorliegenden Arbeit bilden 85 kurze Krankengeschichten und eine Anzahl statistischer Tabellen, aus fremdem und eigenem Beobachtungsmaterial zusammengestellt. Es ergiebt sich daraus, dafs ca. V3 der Neurastheniker auf suggestivem Wege geheilt werden kann; 36% wurden gebessert, 30% zeigten keinen Erfolg, davon waren","page":312}],"identifier":"lit29559","issued":"1895","language":"de","pages":"311-312","startpages":"311","title":"Max Dessoir: Zur Psychologie der Vita sexualis. Allgem. Zeitschr. f\u00fcr Psychiatrie. Bd. 50. S. 941-975. 1894","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:48:46.901515+00:00"}