Open Access
{"created":"2022-01-31T13:48:20.246390+00:00","id":"lit29564","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 8: 315-320","fulltext":[{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Li it\u00e9ra turbericht.\n315\nseins konstatierte, and darunter 40% Paralytiker, d. li. F\u00e4lle von organischem Gehirnleiden, das sich aufser den psychischen Symptomen noch durch bestimmte k\u00f6rperliche L\u00e4hmungserscheinungen bemerklich macht und wor\u00fcber eine Meinungsverschiedenheit nicht gut auf-kommen kann.\nDerartigen Erfahrungen gegen\u00fcber sollte man mit den Vorw\u00fcrfen gegen uns doch etwas vorsichtiger sein, und wenn das Buch von Brositjs hierzu beitragen w\u00fcrde, h\u00e4tte es seinen Zweck voll und ganz erf\u00fcllt. M\u00f6chte es daher von allen gelesen werden, die den inneren Drang in sich f\u00fchlen, uns etwas am Zeuge zu flicken, die Zahl seiner Auflagen w\u00fcrde in diesem Falle die eines Moderomans weit hinter sich lassen.\nPelman.\nH. Ferri. La sociologie criminelle. Traduction de l\u2019auteur. Paris.\nRousseau. 1893.\t648 S.\nEs ist ein Professor des Strafrechts, der dieses Buch geschrieben hat, und da es zudem einen strafrechtlichen Gegenstand behandelt, w\u00fcrde es sich kaum zu einer Besprechung an diesem Orte eignen, wenn es nicht andererseits berechtigt w\u00e4re, ein allgemeines Interesse f\u00fcr sich in Anspruch zu nehmen. Die Bewegung, die Lombroso angefacht hat, oder die doch zumeist an seinen Namen ankn\u00fcpft, hat ihren Weg l\u00e4ngst zu den Juristen gefunden und dort Schule gemacht, und es wird hei ihnen nicht weniger, und vor allem mit einem nicht geringeren Eifer daf\u00fcr und dagegen gestritten, als dies auf \u00e4rztlicher Seite der Fall ist.\nFerri f\u00fchrt am Ende seines Werkes auf nicht weniger als 48 Seiten die betreffende Litteratur an, eine f\u00fcr die junge, kaum 14 Jahre alte Lehre nicht unbedeutende Leistung, und jedenfalls ein sicherer Beweis f\u00fcr ihre Tragweite. Ich glaube, es daher verantworten zu k\u00f6nnen, wenn ich den Ausf\u00fchrungen Ferris eine ausf\u00fchrlichere und m\u00f6glichst wortgetreue Wiedergabe zu teil werden lasse, um so mehr, als sie ge-wissermafsen die Grundlage und den Ausgangspunkt der neuen Lehre bilden, und es nicht jedermanns Sache sein d\u00fcrfte, das etwas umfangreiche und breit angelegte Buch durchzulesen.\nSeit etwa 14 Jahren hat sich von Italien aus eine neue Lehre von denVerbrechen und den Verbrechern verbreitet, die wir als die einfache Konsequenz der gesamten neueren Richtung, des Sieges der experimentellen \u00fcber die fr\u00fchere theoretische Forschung anzusehen haben. Sie ist die Fortbildung aller bisherigen Forschungen auf dem Boden der exakten Wissenschaften in ihrer Anwendung auf Strafrecht und Gesellschaftslehre, und die sogenannte positive Schule bedeutet in diesem Sinne nichts mehr und nichts weniger als eine neue Phase in der Entwickelung der Strafrechtswissenschaft.\nNat\u00fcrlich erhob sich gegen diese Neuerung die gesamte alte Schule, und es mangelt nicht an Verurteilung, Widerstand und Bedenken jeder Art. Nach wie vor verbleibt der Verbrecher f\u00fcr den Richter der alten Schule eine Nebensache, und wenn er sich \u00fcberhaupt zu seiner Be-","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nLitteraturbericht.\nurteilung herabl\u00e4fst, so timt er dies doch nur in der Weise, dafs er seine eigenen Gef\u00fchle und Empfindungen auf ihn \u00fcbertr\u00e4gt, gleich als ob jener ebenso normal, von ebendemselben Holze geschnitzt sei, wie er selbst. Mit Ausnahme einiger weniger pers\u00f6nlichen Erw\u00e4gungen, die ihrer gar zu augenscheinlichen Evidenz halber nicht gut zu \u00fcbersehen waren und die in ganz bestimmte Wortbegriffe gefafst wurden, wie etwa das mangelndeUnterscheidungsverm\u00f6gen, die freie Selbstbestimmung, die Trunkenheit und Leidenschaft, war alles andere f\u00fcr den Richter nicht vorhanden, es ging ihn nichts an und interessierte ihn bei der Beurteilung eines Verbrechens nicht weiter, obwohl er einen lebendigen Menschen vor sich hatte.\nDie Strafe war ihm ein Mittel, um das verletzte Recht in der \u00f6ffentlichen Meinung und der des Verbrechers selber wieder zur Geltung zu bringen, und wie er den Verbrecher nach sich und seinem Gef\u00fchle beurteilte, und ganz aufser acht liefs, dafs die Anschauungsweise des Verbrechers eine von der seinigen himmelweit verschiedene sei, so war es auch mit der Strafe.\nMan z\u00e4hlte hier auf Empfindungen, die in der Wirklichkeit nicht vorhanden waren, und nur auf diese Weise ist es zu verstehen, wenn man von dem Strafgesetzbuch \u00fcberhaupt eine Besserung erwartete.\nAlle diese Fehler sucht die positive Schule zu vermeiden, insbesondere aber bedeutet sie eine Reaktion gegen die \u00fcbertriebene Wertsch\u00e4tzung der pers\u00f6nlichen Rechte des Verbrechers gegen\u00fcber der gesch\u00e4digten Gesellschaft.\nKein Wunder, wenn sich die alte Schule dagegen erhob wie ein Mann. Noch wogt der Streit, und in dem Kampfe der Meinungen giebt es keine Vereinigung, nur Niederlage oder Sieg. Aber die Zahl der Anh\u00e4nger w\u00e4chst, und den Gegnern gegen\u00fcber gilt es, die Grunds\u00e4tze festzustellen und zu beweisen.\nDiese Grunds\u00e4tze sind :\n1.\tDer Verbrecher hat eine andere Organisation wie die anderen Menschen, er bildet eine Klasse f\u00fcr sich. Diese Organisation ist ihm angeboren oder von ihm erworben.\n2.\tDie Strafen erweisen sich zur Verminderung der Verbrechen als unwirksam. Hier kommen ganz andere Ursachen in Betracht.\n3.\tDie Annahme einer freien Selbstbestimmung ist ein subjektiver Irrtum, der durch die Erfahrungswissenschaften widerlegt wird.\nDafs mit dieser neuen Art der Anschauung die Rechtspflege vernichtet werde, wie man behauptet hat, ist falsch. Sie ist die einfache Folge der Entwickelung der Wissenschaften und des Menschengeschlechtes, und die Rechtspflege mufs daher ebensogut unter den neuen wie unter den alten Anschauungen bestehen bleiben. Sie unterliegt derselben Entwickelung und w\u00e4chst mit ihr, sie geht aber nicht darunter zu Grunde*\nDen Beweis hierf\u00fcr will Ferri erbringen.\nZun\u00e4chst ist es sein Bestreben, die Ergebnisse der Kriminalanthropologie, wie sie aus den Forschungen Lombrosos und seiner Sch\u00fcler hervorgegangen sind, gegen die zahlreichen Angriffe in Schutz zu nehmen.","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"i\u00c2tteraturbericht.\n317\nUm die Naturgeschichte des Verbrechers festzustellen, bedarf es zun\u00e4chst des Studiums im Gef\u00e4ngnisse und auf dem Seziertische. Was man dort an anatomischen oder psychologischen Besonderheiten findet, wird als anatomische oder psychologische Thatsache eingetragen, und diese Thatsache hat ihren Wert an sich. Die Kriminalsoziologie benutzt sie f\u00fcr ihre Schl\u00fcsse in der Weise, dafs sie die Frage stellt, ist der Verbrecher normal oder nicht, und wenn er abnorm ist, woher stammt seine Abnormit\u00e4t, ist sie angeboren oder erworben, heilbar oder unheilbar?\nDie von Lombroso angewandte Methode ist nun keineswegs so schlecht und fehlerhaft, wie man sie darzustellen versucht hat, und sollte wirklich in einem besonderen Falle der Nachweis eines besonderen Befundes nicht gelingen, so hat man noch lange kein Becht, die Methode zu tadeln, da das Verbrechen das Ergebnis unz\u00e4hliger biologischer Faktoren in Verbindung mit ebenso unz\u00e4hlbaren psychologischen und sozialen Umst\u00e4nden ist. Die meisten Angriffe stammen daher, dafs man diese Verh\u00e4ltnisse verkennt und zu einseitig auffafst. Die drei vorhin erw\u00e4hnten Ursachen wirken zwar stets zusammen, aber nicht immer in gleicher St\u00e4rke, und zudem bei den verschiedenen Verbrechern verschieden, und je mehr die eine Ursache vorwiegt, um so mehr k\u00f6nnen die anderen in den Hintergrund treten.\nWas kann es verschlagen, wenn der eine Forscher diese, der andere jene Erkl\u00e4rung f\u00fcr die aufgefundenen Anomalien geltend macht, alle aber darin \u00fcbereinstimmen, dafs die Verbrecher diese Anomalien weit h\u00e4ufiger zeigen, als andere Menschen ? Man kann wohl in der Erkl\u00e4rung auseinandergehen, in den Thatsachen aber nicht, und doch bilden diese\nund nicht jene Erkl\u00e4rungen die Grundlage der Kriminalsoziologie.\n\u2022 \u2022\n\u00c4hnlich verh\u00e4lt es sich mit dem vielumstrittenen Verbrechertypus. Gewifs pr\u00e4gt sich der gemeinsame Charakter bei dem einen mehr aus, als bei dem anderen; insofern aber, als der Typus eine \u00dcbereinstimmung gewisser physischer Charaktere bedeutet, ist er unbestreitbar. Man mufs nur sehen und nicht blofs dozieren.\nDarin aber hatte Lombroso entschieden unrecht, dafs er seinen uomo delinquente als eine grofse Einheit auffafste. Nicht auf alle, sondern nur auf eine bestimmte Gruppe von Verbrechern, auf die unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher, beziehen sich jene anthropologischen Befunde, und eine Unterscheidung ist unerl\u00e4fslich, da jede Kategorie einer besonderen Untersuchung unterzogen werden mufs.\nEine wichtige Quelle f\u00fcr den Gesetzgeber ist die Kriminalstatistik, sie ist f\u00fcr ihn, was f\u00fcr den Seemann die Karte und der Kompafs ist. Allerdings mufs man lernen, sich ihrer richtig zu bedienen.\nThun wir dies, so ersehen wir aus ihren Daten, wie trotz erheblicher Schwankungen die Zahl der Verbrechen von Jahr zu Jahr zunimmt, und zwar ist diese Zunahme vorzugsweise auf Rechnung der weniger schweren Verbrechen zu setzen, w\u00e4hrend die schwereren Verbrechen eine gr\u00f6fsere Konstanz zeigen.\nDie Zahl der Verbrechen im allgemeinen wird bestimmt durch die jeweiligen Bedingungen der physischen und sozialen Verh\u00e4ltnisse in","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nLitteraturbericht\nVerbindung mit der erblichen Anlage und den zuf\u00e4lligen Antrieben des Individuums.\nAlle zusammen bilden sie ein Gesetz, das Ferri die kriminelle S\u00e4ttigung nennt. W\u00e4ren unsere Kenntnisse von den Ursachen besser, so w\u00fcrden wir die jeweilige Zahl der Verbrechen auf den Kopf Vorhersagen k\u00f6nnen, vorderhand k\u00f6nnen wir das noch nicht. Wohl aber lernen wir verstehen, wie Zahl und Art der Verbrechen mit den Bedingungen wechseln, und zwar unter besonderen Umst\u00e4nden (sozialen Verh\u00e4ltnissen) sehr bedeutend wechseln k\u00f6nnen.\nEine andere Schlufsfolgerung ist die Unwirksamkeit der Strafen, weil dem Verbrechen ganz andere Ursachen zu Grunde liegen.\nWas habenStrafen, Feuer und Schwert, Verfolgung und Verbannung jemals gegen politische oder religi\u00f6se Bewegungen ausgerichtet ? Die Hexen sind nur der Aufkl\u00e4rung gewichen, nachdem sie jahrhundertelang dem Scheiterhaufen Trotz geboten haben.\nZudem ist es nicht der Paragraph des Strafgesetzbuches, welcher den Verbrecher abschreckt, sondern einzig und allein seine Ausf\u00fchrung, nicht die Strenge der Strafe, sondern nur ihre G-ewifsheit. Was soll die Todesstrafe den Verbrecher k\u00fcmmern, wenn er ziemlich sicher ist, dafs sie nicht zur Vollstreckung kommt? So wie die Sachen zur Zeit stehen, wird sie kaum anders wirken, wie eine Vogelscheuche, d. h. gar nicht.\nSoviel wenigstens geht aus der Statistik hervor, dafs das bisherige Strafsystem seinen Zweck gr\u00fcndlich verfehlt hat, ein Schutz der Gesellschaft gegen die Verbrecher zu sein. Wenn daher die Strafe versagt, mufs man schon zu andern Mitteln greifen, und diese bestehen in der Kenntnis der Ursachen, auf die zu wirken ist. Es gilt daher, die psychologischen und sozialen Gesetze aufzufinden, die diesen Zweck erreichen, nicht das bereits entwickelte Verbrechen zu treffen, sondern es in seiner Entwickelung zu finden.\nFerri f\u00fchrt eine Anzahl von solchen Mafsregeln auf, die geeignet sind, das Verbrechen auf politischen, \u00f6konomischen, religi\u00f6sen und anderen Gebieten zu bek\u00e4mpfen, und die einen grofsen Teil unserer heutigen Einrichtungen umfassen. Bemerkenswert ist die Angabe, dafs es in den 15 Jahren von 1876\u201490 in Italien zu 700 Gattenmorden gekommen ist, die bei einer Erleichterung der Ehescheidung wahrscheinlich nicht vorgekommen w\u00e4ren.\nFerri giebt \u00fcbrigens zu, dafs man durch jene Mafsregeln die Verbrechen nur auf ein Minimum herabdr\u00fccken k\u00f6nne, das den Ausdruck der anderen Ursachen, der biologischen und der physischen, darstelle. Sie ganz auszurotten sei nicht m\u00f6glich.\nEinen besonderen Kampf werden die neuen Ideen auf dem Gebiete der Willensfreiheit auszufechten haben.\nF\u00fcr eine Willensfreiheit, d. h. f\u00fcr die Beth\u00e4tigung eines von allen \u00e4ufseren oder inneren Einfl\u00fcssen losgel\u00f6sten freien Willens, ist in der positiven Schule kein Kaum. Aus der Entwickelungsgeschichte wissen wir, wie sich die Handlung entwickelt von der einfachsten Keflexaktion bis zur \u00fcberlegtesten Handlung, allm\u00e4hlich und an der Hand der Organe in ununterbrochener Keihenfolge und Entwickelung.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n319\nUnd wie der Mensch vor den Tieren kein neues Organ voraushat, so auch keine neue Funktion, denn Funktion ohne Organ ist undenkbar. Der freie Wille ist nichts Anderes, als das Resultat der Funktion des Organismus, und eine andere Anschauungsweise als der Determinismus d. h. die menschliche Handlung als Gegenstand menschlicher Erkenntnis zu behandeln, ist undenkbar.\nMag man jedoch zu der Frage der freien Willensbestimmung stehen, wie man will, so ist es in jedem Falle grundverkehrt, eine so viel-, bestrittene Theorie einer strafrechtlichen Bestimmung zu Grunde zu legen, denn dafs es mit der Leugnung der Willensfreiheit auch mit der M\u00f6glichkeit der Strafe zu Ende sei, ist nicht richtig.\nAuch hier mufs die Entwickelungsgeschichte entscheiden.'\nDie Strafe stellt in ihren ersten Anf\u00e4ngen die Abwehr eines Angriffes dar, unbek\u00fcmmert, ob er frei oder unfrei, von einem Gesunden oder einem Kranken ausgef\u00fchrt wurde. Diese Abwehr entwickelt sich im Laufe der Zeiten und der Geschichte von der einfachsten Reaktion gegen einen Angriff zur Bestrafung der That, zur Strafe, und wenn sich hierzu der Begriff der Schuld gesellte, so verdankt sie diesen Zusatz religi\u00f6ser Anschauungsweise und dem Einfl\u00fcsse der Priester.\nDie positive Schule kennt diese Begriffe \u00fcberhaupt nicht, sie erkennt nur das Recht der Erhaltung gegen Eingriffe an, welcher Art sie auch seien.\nWenn der Verbrecher einen Zwang zur Begehung einer Handlung geltend machte, so steht der Gesellschaft ein weit gr\u00f6fseres Recht zu, ihrerseits auf einem Zwange zu bestehen, sich gegen den Verbrecher und seine Handlung zu sch\u00fctzen. Wir alle leben in der Gesellschaft, jeder ruft \u00fcberall und stets mit seiner Handlung eine Reaktion hervor, und er mufs die nat\u00fcrlichen und sozialen Folgen seiner Handlung tragen, d. h. er ist daf\u00fcr verantwortlich, aus dem einfachen Grunde, weil er es ist, der sie begangen hat.\nWenn die Gesellschaft solcher Art gegen alle Verbrecher reagiert, so thut sie dies doch in sehr verschiedenem Mafse, je nachdem die strafbare Handlung beschaffen war, sowie das Individuum, welches sie beging.\nNicht wie bisher wird man das Verbrechen nur als antijuristisches Faktum, sondern auch in seiner Eigenschaft als nat\u00fcrliches und soziales Ph\u00e4nomen in den Kreis der Untersuchung ziehen m\u00fcssen, und damit ist die Einrichtung der Geschworenen abgethan.\nDafs es th\u00f6richt ist, einen Menschen nach Ablauf seiner Strafzeit an die Luft zu setzen, gleichviel was er macht und wie er geartet ist, mit dieser Ansicht steht Ferri sicherlich nicht allein.\nDas alte System der Freiheitsstrafen hat gr\u00fcndlich Fiasko gemacht und jede Strafe darf fernerhin nur als ein Schutzmittel der gesch\u00e4digten Gesellschaft gelten. Unbegrenzte Ausscheidung des Verbrechers aus der Gesellschaft, die er gesch\u00e4digt, und voller Ersatz des angerichteten Schadens, das werden die Forderungen sein, die wir zu stellen haben, und den falschen humanit\u00e4ren Bestrebungen gegen\u00fcber, wie sie namentlich im heutigen Gef\u00e4ngniswesen zu Tage treten, werden die Gef\u00e4ngnisse","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320\nLitter aturbericht.\nder Zukunft \u00fcber ihrer Schwelle die Aufschrift tragen: \u201eWer nicht arbeitet, soll auch nicht essen\u201c. Sie werden h\u00e4rter sein, als ihre heutigen Genossen, und auch der Verbrecher wird arbeiten m\u00fcssen oder verhungern, so gut wie der ordentliche Mensch es auch mufs.\nAm deutlichsten wird sich der Vorzug der neuen Schule in der Beurteilung geltend machen, die er den Geistesst\u00f6rungen als Ursache eines Verbrechens zu teil werden l\u00e4fst. Die Geistesst\u00f6rung ist ebenso, gut ein nat\u00fcrliches Ph\u00e4nomen wie das Verbrechen, und die Gesellschaft hat beiden gegen\u00fcber das gleiche Recht des Schutzes. Sie ist berechtigt, beide, Geisteskranke und Verbrecher, so lange in geeigneter Weise festzuhalten, wie sie der Gesellschaft gef\u00e4hrlich sind.\nWas Ferri noch alles vorschl\u00e4gt, und was die positive Schule Neues will, wird man am besten in dem Buche selber nachsehen. Radikal ist es genug, und neue Reiser auf die alten B\u00e4ume zu pfropfen, dazu hat er weder Lust, noch auch verspricht er sich den mindesten Nutzen davon.\nDafs er der Todesstrafe ihr Recht zu wahren sucht, versteht sich von selbst. Soll sie aber wirklich von Nutzen sein, so m\u00fcfste sie schon in einer Weise zur Anwendung kommen, an die heutzutage gar nicht zu denken ist. Hier w\u00fcrden nachhaltig nur saign\u00e9es en masse von Nutzen sein.\nMancher Vorschlag mutet uns heute noch etwas wunderlich an, und dafs wir den Sieg der positiven Schule miterleben werden, will mir bei dem nachhaltigen Misoneismus der gesetzgebenden Faktoren nicht recht wahrscheinlich d\u00fcnken.\nF\u00fcr Ferri aber steht es fest, dafs die neuen Ideen die alten verdr\u00e4ngen und der Sieg bei ihnen verbleiben wird, weil sie auf der Wahrheit beruhen.\tPelman.","page":320}],"identifier":"lit29564","issued":"1895","language":"de","pages":"315-320","startpages":"315","title":"H. Ferri: La sociologie criminelle. Traduction de l'auteur. Paris. Rousseau. 1893. 648 S.","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:48:20.246396+00:00"}