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{"created":"2022-01-31T13:53:31.113307+00:00","id":"lit29568","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 8: 381-386","fulltext":[{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nJ. Behmke, Lehrbuch der allgemeinen Psychologie. Leopold Voss, Hamburg u. Leipzig, 1894.\t582 S.\nDas Lehrbuch Behmkes zerfallt in drei Teile. Der erste handelt von dem \u201eSeelenwesen\", der zweite vom \u201eSeelenaugenblick\u201c, der dritte vom \u201eSeelenleben\u201c. Der methodologische Standpunkt des Verfassers wird in einer kurzen Einleitung pr\u00e4zisiert: Die wissenschaftliche Psychologie soll von allen aprioristischen Voraussetzungen abseh en, sie soll den Weg der Analyse des Gegebenen einschlagen und innehalten, und endlich, sie soll auch Philosophie sein. Sie ist nach B. durch die Unanschaulichkeit ihres Gegenstandes geradezu gezwungen, den psychologischen Gegenstand zun\u00e4chst unter dem Begriff des allgemeinen Abstrakten oder Unver\u00e4nderlichen, d. b. philosophisch zu behandeln. So gelangt B. dazu, im ersten Teil das \u201eSeelenwesen\u201c zu untersuchen. Die erste Aufgabe der Psychologie ist, \u201eden richtigen, fraglos klaren Begriff\u201c von \u201eSeele\" zu gewinnen. Die Seele sei \u201eein Bekanntes\u201c, nun solle sie vor allem ein \u201eErkanntes\u201c werden. Beferent teilt diesen Standpunkt nicht. Ich mufs bestreiten, dafs die Seele \u201eein Bekanntes\u201c ist. Sie ist dem Einzelnen etwa in demselben Mafse bekannt, wie die Pflanzenwelt dem Spazierg\u00e4nger als \u201eWiese\u201c oder \u201eWald\u201c bekannt ist, d. h. nur als ein Inbegriff einer gr\u00f6fseren Zahl verwandter Erscheinungen. Ich halte es daher f\u00fcr die erste Aufgabe, diese Bekanntschaft im einzelnen herzustellen. Die Nicht-Anschaulichkeit der psychischen Vorg\u00e4nge ist meines Erachtens kein Hindernis f\u00fcr diese erste Aufgabe, sondern vermag sie h\u00f6chstens zu erschweren. Diese Erschwerung aber erscheint mir ganz unerheblich gegen\u00fcber der enormen Schwierigkeit, ohne eine solche vorausg\u00e4ngige genaue Bekanntschaft mit den einzelnen psychischen Vorg\u00e4ngen einen \u201erichtigen und fraglos klaren\u201c Begriff vom Seelen wes en zu suchen. Beferent kann auch nicht sagen, dafs Verfasser dieser Schwierigkeit im ersten Teile v\u00f6llig Herr geworden ist. Der Angelpunkt der Beweisf\u00fchrung liegt in dem Satze: wo Ver\u00e4nderungen vorliegen, mufs auch ein Ver\u00e4nderliches oder \u2014 nach der gef\u00e4hrlichen Terminologie des Verfassers \u2014 ein Konkretes existieren. Daraus ergiebt sich erstens die Existenz des Dingkonkreten und zweitens die Existenz eines besonderen Seelenkonkreten. Dem Beferenten erscheint es nun gar nicht notwendig, den Obersatz anzuerkennen. Auch in der Welt der Dinge sind uns nur gesetzm\u00e4fsig zusammenh\u00e4ngende, kontinuierliche Serien von verschiedenen Dingaugenblicken gegeben. Der Baum, in welchem unsere sprachliche","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382\nLitteraturbericht.\nAusdrucksweise eine solche Serie zusammenfafst, ist ledig]ich. ein Begriff, ein Abstraktum, f\u00fcr welches aufserhalb unseres Gehirns eine besondere Existenz gar nicht nachzuweisen ist. Der Begriff der Ver\u00e4nderung enth\u00e4lt eine Petitio principii, wofern er mehr bedeuten soll als die Succession verschiedener Zust\u00e4nde ; bedeutet er aber nur eine solche, so ist aus der Ver\u00e4nderung noch nicht auf die Existenz eines Ver\u00e4nderlichen zu scbliefsen erlaubt. Referent kann daher auch den Seelenbeweis Rehmkes, so scharfsinnig und anregend auch die Ausf\u00fchrungen im einzelnen sind, nicht anerkennen. Die Weiterentwickelung des Seelenbegriffs gestaltet sich folgendermafsen. W\u00e4hrend die Augenblicks einheit des Dinges durch den Zeitpunkt und Ort gegeben ist, beruht diejenige des unmittelbaren Seelengegebenen oder des Bewufstseins auf Zeitpunkt und Bewufst-seinssubjekt. Die Einheit der successiven Ich-Augen blicke beruht darauf, dais das Bewufstseinssubjekt in allen Augenblicksgliedern dasselbige ist.\nSehr treffend sind die Darlegungen, dafs \u201eunbewufstes Seelenleben\u201c ein Widerspruch ist. Besonders interessant ist ferner die Entwickelung des \u00a7 15 (S. 70ff.), welche in dem Satze gipfelt: gerade weil das Dingliche und das Seelische v\u00f6llig verschieden sind, kann Dingliches zugleich auch Seelisches sein. Letzteres findet statt, indem wir ein Wissen von den Dingen erwerben. Alles wirkliche Dingkonkrete kann in diesem Sinne Bewufstseinsbesitz, d. i. Seelisches, werden. Dabei bleibt das wirkliche Ding, auch wenn es \u201egewufst\u201c ist, dasselbe Dingliche. H\u00f6ffdings Identit\u00e4tshypothese wird in einer l\u00e4ngeren Auseinandersetzung widerlegt, desgleichen auch ein Parallelismus zwischen materiellen und psychischen Prozessen im Sinne der heute vielverbreiteten Annahme geleugnet, vielmehr nimmt R. eine Wechselwirkung zwischen Ding und Bewufstsein an. Es w\u00fcrde viel zu weit f\u00fchren, wenn wir dem Verfasser bis in alle Konsequenzen dieses Satzes folgen wollten. Es mag gen\u00fcgen, zu erw\u00e4hnen, dafs schliefslich der Verfasser zu der Annahme eines \u201ealles seienden Bewufstseins\u201c, welches als Sch\u00f6pfer der Seele zu gelten habe, gelangt. Es ist sehr zu bedauern, dafs Verfasser bei allen diesen Er\u00f6rterungen offenbar geflissentlich den erkenntnis-theoretischen Standpunkt vermeidet (vgl. S. 88, Anm.). Daher \u00fcbersieht er bei seiner Polemik gegen abweichende Ansichten auch ganz den Einwand, dafs das Zweierlei, Ding und Bewufstsein, welches er seiner Er\u00f6rterung zu Grunde legt, gar nicht als solches gegeben ist. Gegeben ist uns nur die eine psychische Reihe, welche wir erst sekund\u00e4r in materielle Welt und Seele spalten. Dafs die M\u00f6glichkeit der Psychologie als Wissenschaft auf dieser Spaltung beruhe, m\u00f6chte Referent gerade f\u00fcr den philosophischen Teil der Psychologie bestreiten.\nDie Gliederung der Bewufstseinsbestimmtheit der Seele in Denken, F\u00fchlen und Wollen wird beibehalten, nur zieht Verfasser die Bezeichnungen \u201egegenst\u00e4ndliches, zust\u00e4ndliches und urs\u00e4chliches Bewufstsein\u201c vor.\nDer zweite Teil, welcher den Seelenaugenblick behandelt, ist weitaus der umfangreichste. Die Besprechung der verschiedenen Empfin-dungsqualit\u00e4ten ist eine sehr kursorische. Das sog. Muskelgef\u00fchl wird in f\u00fcnf Zeilen abgehandelt, Da Verfasser jede Wahrnehmung in","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n383\nEmpfindung und Raumbewufstsein zerlegt, so erkennt er die sog. Bewegungsempfindungen nur an, insoweit sie Druckempfindungen enthalten. Der sonstige Inhalt der sog. Bewegungsempfindung ist ihm eine besondere Art des Raumbewufstseins. Die Innervationsempfindungen, welche viele Psychologen und Physiologen noch annehmen, werden mit guten Gr\u00fcnden gestrichen. R. sieht in ihnen nur \u201eVorstellungen von Spannungsempfindungen\u201c. Das WEBEitsche und das FECHNEitsche Gesetz werden nicht scharf auseinandergehalten, die Erkl\u00e4rung beider dem Physiologen \u00fcberlassen. Verfasser erkl\u00e4rt ausdr\u00fccklich: \u201ealle und jede Besonderheit der Empfindung als solche ist rein physiologisch zu erkl\u00e4ren\u201c. Auf \u00a7 27 (Die Einzelempfindung) m\u00f6chten wir speziell aufmerksam machen, weil die f\u00fcr das Lehrbuch des Verfassers sehr charakteristische Abgrenzung gegen die Erkenntnistheorie hier besonders scharf hervortritt. R. erkl\u00e4rt \u201ejede Verselbst\u00e4ndigung der Empfindung als eines ohne das Subjektsmoment f\u00fcr sich Gegebenen\u201c f\u00fcr Dichtung. Empfindung ist nur im besonderen Augenblicksbewufstsein m\u00f6glich. Die erkenntnistheoretische Betrachtung, f\u00fcr welche das Bewufstsein, dem dieser oder jener Inhalt gerade jetzt gegeben ist, nicht in Betracht kommt, soll von der Psychologie ganz ausgeschlossen sein. Referent m\u00f6chte hierzu bemerken, erstens, dafs eine richtige erkenntnis-theoretische Betrachtung doch wohl auch von dem Augenblicksinhalt des Bewufstseins ausgehen mufs, zweitens, dafs f\u00fcr die rein-psychologische Betrachtung nicht jeder Bewufstseinsinhalt ein Subjektmoment enth\u00e4lt, und endlich drittens, dafs die Ausscheidung eines solchen Subjektmoments bereits eine erkenntnistheoretische Leistung ist. Tarnen usque recurret: Die erkenntnistheoretische Betrachtung ist bei diesen Fragen nicht zu umgehen. \u2014 Die Kritik der bei vielen Psychologen beliebten Hypothese von den \u201eElementarempfindungen\u201c ist ausgezeichnet gelungen.\nBesondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Auseinandersetzungen \u00fcber das Raumbewufstsein, welche sich zum Teil mit den Ausf\u00fchrungen des Referenten decken. Raumbewufstsein kommt, wie Verfasser mit Recht ausf\u00fchrt, jeder Empfindung zu. Er bezeichnet dieses unbestimmte Raumbewufstsein als empirisch urspr\u00fcnglich, weil es nach seiner Annahme an die Nervenerregung und den folgenden Gehirnzustand \u00fcberhaupt gekn\u00fcpft ist. Insofern die besonderen Gehirnzust\u00e4nde s\u00e4mtlich \u201eGehirnzustand\u201c sind, enthalten sie die Bedingung des Raumbewufstseins, insofern sie im einzelnen verschieden sind, enthalten sie die Bedingung f\u00fcr die Verschiedenheiten der Empfindung. Das bestimmte Raumbewufstsein, d. h. die Lokalisation der Wahrnehmung an einem bestimmten Orte des Raumes, deutet auf eine Weiterentwickelung der Seele. Das dreidimensionale Raumbewufstsein ist nur m\u00f6glich dadurch, dafs wir die Bewegungen der umgebenden Dinge und unseres K\u00f6rpers sehen. Schlechthin blind Geborene haben daher auch, wie R. annimmt, kein voll bestimmtes Raumbewufstsein, sie kommen \u00fcber ein einfaches Aufser-einander ihrer Empfindungen nicht hinaus. Die Druck- und Muskelempfindungen, welche die Bewegung unserer Leibesglieder begleiten, erleichtern nur unsere Orientierung im Raumbewufstsein. Auf die n\u00e4here Bestimmung des r\u00e4umlichen Auseinander haben sie keinen Ein-","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nLitter aturbericht.\nflufs. Referent f\u00fcrchtet, dafs die Untersch\u00e4tzung der nicht-optischen Bewegungsempfindungen bei R. zum Teil darauf beruht, dafs er die f\u00fcr die letzteren so sehr wesentliche Gelenksensibilit\u00e4t \u00fcbersieht. Es ist nicht ang\u00e4ngig, die Gelenkempfindungen einfach mit den Druckempfindungen der Haut zu identifizieren, weil der wirksame Reiz sich als Druck oder Stofs innerhalb des Gelenks auffassen l\u00e4fst. Es w\u00fcrde dies dem vom Verfasser selbst aufgestellten Grunds\u00e4tze v\u00f6llig widersprechen. Durch dieses \u00dcbersehen hat sich der Verfasser gerade in dem Abschnitte vom Raumbewufstsein in manche \u00fcberfl\u00fcssige Schwierigkeiten und zum Teil auch unannehmbare Folgerungen verwickelt, welche mit seiner Grundansicht \u00fcber das Raumbewufstsein nicht einmal notwendig Zusammenh\u00e4ngen.\nDie Ausf\u00fchrungen Rehmkes im \u00a7 32 decken sich fast vollst\u00e4ndig mit den vom Referenten entwickelten Anschauungen : wir m\u00fcssen als Residuum der Rindenerregung, welcher die Empfindung entsprach, eine beharrende Gehirn Ver\u00e4nderung annehmen. \u00dcber den Ort dieser Gehirnver\u00e4nderung spricht sich R. nicht n\u00e4her aus. Das allgemeine Gesetz des Vorstellens lautet nachR.: \u201eWenn eine gegenw\u00e4rtige Bewufstseinsbestimmtheit dem Inhalte nach einer fr\u00fcheren gleich ist, so ist der Inhalt einer anderen Bewufstseinsbestimmtheit, welche mit der fr\u00fcheren in einer Einheit dem Bewufstsein gegeben war, vorstellbar.\u201c Referent kann \u2014 abgesehen von der Terminologie \u2014 keinen wesentlichen Unterschied zwischen diesem Gesetz und dem von M\u00fcnsterberg, dem Referenten und Anderen formulierten Gesetz der Gleichzeitigkeitsassoziationen finden.\nIn der Lehre von den Gef\u00fchlen (\u201edem zust\u00e4ndlichen Bewufsfcsein\u201c) erscheint uns die Auseinandersetzung, dafs Lust und Unlust inkommensurable Gr\u00f6fsen (wie Ton und Farbe) sind und sonach gar nicht miteinander verglichen, geschweige denn, wie heute vielfach \u00fcblich, zu einer algebraischen Summe vereinigt werden k\u00f6nnen, besonders bemerkenswert. Leider hat jedoch R. zwischen den einzelnen Lust-, bezw. Unlustgef\u00fchlen nur einen gradweisen Unterschied angenommen. Daher gelangt er auch dazu, die sog. zusammengesetzten oder gemischten Gef\u00fchle v\u00f6llig zu leugnen. Die Argumentation S. 324 ff., wird n\u00e4mlich hinf\u00e4llig, sobald man eine qualitative Verschiedenheit der einzelnen Lust-, bezw. Unlustgef\u00fchle anerkennt.\nDas \u201eWollen\u201c ist nach R. das Selbstbewufstsein der Seele, Ursache zu sein. Er bezeichnet es daher auch als \u201eurs\u00e4chliches Bewufstsein\u201c. Die Nachweisung der Sonderexistenz desselben neben dem gegenst\u00e4ndlichen und zust\u00e4ndlichen Bewufstsein ist dialektisch ungemein gewandt, erscheint dem Referenten aber doch nicht einwandfrei. Speziell h\u00e4tte gezeigt werden m\u00fcssen, dafs das Wollen einer Bewegung nicht einfach die von \u00fcberwiegendem Lustgef\u00fchl begleitete Vorstellung einer k\u00fcnftigen Bewegung meines K\u00f6rpers ist. Die BRENTANOSche und M\u00fcNSTERBERGSche Auffassung lassen sich sehr wohl vereinigen. Brentano hat die Antizipation, M\u00fcnsterberg das Lustgef\u00fchl untersch\u00e4tzt. Die Darlegung Rehmkes trifft nur die getrennten Auffassungen. Die Ausf\u00fchrungen im \u00a7 39 \u00fcber die besondere Bedingung der urs\u00e4chlichen Bewufstseinsbestimmtheit geh\u00f6ren zu den bestgeschriebenen des ganzen Buches. Wenn man dem Verfasser","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n385\ndie Sonderexistenz des Wollens (als einer besonderen Bewufstseins-bestimmtheit) zugiebt, so wird man den Scblofsfolgernngen des Verfassers kaum ausweicben k\u00f6nnen. Bei der Er\u00f6rterung der Willensfreiheit r\u00e4cht sich allerdings wiederum die schon oben beanstandete Annahme des Verfassers, dafs das Konkrete (NB. im Sinne Behmkes) auch aufserhalb unserer Begriffsbildung neben oder in dem Abstrakten (im Sinne Behmkes) eine besondere Existenz f\u00fchrt (vgl. namentlich S. 434 ff.).\nAus der Besprechung des Be wufstseinssub j ektes (\u00a7 41 ff.) heben wir folgende S\u00e4tze hervor: Der Grund, dafs gegenst\u00e4ndliche, zust\u00e4ndliche und urs\u00e4chliche Bestimmtheit, wenn sie zugleich gegeben sind, auch ihrerseits stets in einer Einheit als deren verschiedene Bestimmtheiten sich finden, liegt in dem Subjektsmoment des Bewufstseins. Das Subjektsmoment des Bewufstseinsaugenblickes ist weder leiblich noch seelisch bedingt. Um sein Auftreten zu erkl\u00e4ren, m\u00fcssen wir zu einem Bewufst-sein, welches Sch\u00f6pfer alles Seienden ist, unsere Zuflucht nehmen.\nDer dritte und letzte Teil behandelt das Seelenleben, d. h. die Seele als konkretes Individuum. Nacheinander wird das Zeitbewufstsein, das Denken oder Bestimmen, das Ged\u00e4chtnis und das Wiedererkennen (das Bekanntsein einer Wahrnehmung soll durch die Zeit Vorstellung \u201eFr\u00fcher\u201c bedingt sein), die Aufmerksamkeit, das Erinnern, das Bilden oder Gestalten der Phantasie und endlich das Handeln und die Pers\u00f6nlichkeit besprochen. Es ist an dieser Stelle nicht ang\u00e4ngig, auf die einzelnen Paragraphen n\u00e4her einzugehen. Nur aus dem Abschnitte \u00fcber das Handeln sollen einige der markantesten S\u00e4tze kurz angef\u00fchrt werden. Dem Handeln liegt in erster Linie stets eine Umsetzung potentieller Energie in aktuelle im Gehirn zu Grunde. Die Ursache einer solchen Umsetzung ist in vielen F\u00e4llen ausschliefslich eine materielle Kraft, n\u00e4mlich eine Bewegung des sensiblen Nervensystems. Ebensowohl kann jedoch ein seelisches Wirkliches diese Umsetzung bewirken. Es widerspricht dies keineswegs dem Gesetze von der Erhaltung der Energie, da es sich nicht um eine Vermehrung, sondern um eine Umsetzung handelt, B. nimmt daher an, dafs bei dem Handeln Seelisches die eine Bedingung des die Ursache vom Auftreten der fraglichen Bewegung Bildenden sei, w\u00e4hrend die andere Bedingung in dem der Wirkung voraufgehenden Gehirnzustande zu suchen ist. Diese unmittelbare Wirkung der handelnden Seele auf die potentielle Hirnenergie ist stets im Sinne Behmkes unwillk\u00fcrlich, d. h. sie tritt nicht als Zweck des urs\u00e4chlichen Bewufstseins auf. Willk\u00fcrlich ist die sog. Willenshandlung nur im Hinblick auf das Endglied der in Frage stehenden Wirkungsreihe.\nEs ist schlechterdings unm\u00f6glich, einem Buche, wie dem vorliegenden, durch eine kurze Inhaltsangabe auch nur ann\u00e4hernd gerecht zu werden, darum seien dem Beferenten noch einige kurze Worte \u00fcber die Bedeutung des Ganzen gestattet. Ich f\u00fcrchte und bedauere im h\u00f6chsten Mafse, dafs das Buch des Verfassers wahrscheinlich in den naturwissenschaftlichen Kreisen der Psychologen wenig gewissenhafte Leser finden wird. Es liegt dies einerseits an der Einschr\u00e4nkung der physiologischen Betrachtungsweise, welche f\u00fcr das Buch so sehr charakteristisch ist, und andererseits an der eigenartigen, oft auch etwas umst\u00e4ndlichen Terminologie, von\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie VIII.\t25","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nLitteraturbericht\nwelcher ich absichtlich einige Proben eingestreut habe. Ich m\u00f6chte, soweit eine solche Anzeige es vermag, gerade auch die physiologischen Psychologen dringend bitten, die grofse Miihe einer gr\u00fcndlichen Lekt\u00fcre nicht zu scheuen. Sie lohnt sich \u00fcberreichlich. Noch niemals ist die empirische Psychologie vom Standpunkt der Annahme eines besonderen Seelenrealen in so scharfsinniger, konsequenter und geschickter Weise aufgebaut worden. In geradezu \u00fcberraschender Weise hat der Verfasser es verstanden, seine Lehren mit den gesicherten Resultaten der Hirn-physiologie an fast allen bedrohten Stellen in \u00dcbereinstimmung zu bringen. An nicht wenigen Punkten verm\u00f6gen umgekehrt seine Ausf\u00fchrungen kl\u00e4rend und modifizierend auf die heute hier und dort \u00fcblichen physiologisch-psychologischen Anschauungen einzuwirken. Speziell die Unhalt-barkeit der Lehre eines einfachen Parallelismus oder einer \u201eIdentit\u00e4t\u201c der psychischen und materiellen Vorg\u00e4nge erscheint mir durch das Buch in der That nachgewiesen. Dafs Referent deshalb doch nicht den von Rehmke eingenommenen Standpunkt acceptieren kann, ist im Laufe der Besprechung mehrfach betont worden. Die Dualit\u00e4t des Seelenrealen und des Dingrealen bleibt vom erkenntnistheoretischen Standpunkte unannehmbar, und die letzte Instanz f\u00fcr die Entscheidung in dieser Frage d\u00fcrfte doch wohl bei der Erkenntnistheorie liegen.\nZiehen (Jena).\nJames Sully. The human mind. A Textbook of Psychology. 2 B\u00e4nde.\nXVII u. 501 S.; XII u. 393 S. Longmans, Green & Co., London. 1892.\nDas Werk ist eine Erweiterung der \u201ePrinciples of Psychology\u201c desselben Verfassers. Es legt, wie schon die Vorrede sagt, im Vergleiche mit letzterem Buche, mehr Gewicht auf die neuere Entwickelung der physiologischen und experimentellen Psychologie, auf die V\u00f6lker- und die Tierpsychologie, auf die geistigen St\u00f6rungen und den Hypnotismus. Nach alter Einteilung behandelt der erste Band die Sinne und den Intellekt, der zweite die Gef\u00fchle und den Willen. Die Kapitel zerfallen in Paragraphen mit eigenen \u00dcberschriften, denen Anmerkungen folgen. Angaben, wo in sonstigen psychologischen Arbeiten der Leser weitere Ausf\u00fchrungen oder andere Anschauungen finden k\u00f6nne, sind an geeigneten Stellen angef\u00fcgt. Diese ganze Anordnung ist durch \u00dcbersichtlichkeit ausgezeichnet.\nDas Werk will nat\u00fcrlich zun\u00e4chst des Verfassers psychologische Anschauungen im Zusammenhang zur Darstellung bringen. Zugleich beabsichtigt es doch, allgemein ein Bild vom gegenw\u00e4rtigen Stande der Psychologie zu geben. Da diese Absicht einmal bestand und zu erkennen gegeben war, so mufste sie auch einigermafsen konsequent durchgef\u00fchrt werden. Dies ist nicht der Fall. Wo Anschauungen einander entgegengestellt werden, sind gelegentlich gerade diejenigen, die den sch\u00e4rfsten Widerspruch gegen des Verfassers Lehre in sich schliefsen, zur Seite gelassen. Man m\u00fcfste daraus auf eine l\u00fcckenhafte und vom Zufall abh\u00e4ngige Kenntnis vom Stande der einzelnen Fragen schliefsen, wenn nicht der Verfasser doch wiederum in seinen \u201ereferences for readers\u201c au| die betreffenden Werke und die in Betracht kommenden Abschnitte","page":386}],"identifier":"lit29568","issued":"1895","language":"de","pages":"381-386","startpages":"381","title":"J. Rehmke: Lehrbuch der allgemeinen Psychologie. Leopold Voss, Hamburg u. Leipzig, 1894. 582 S.","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:53:31.113312+00:00"}