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{"created":"2022-01-31T14:09:17.327950+00:00","id":"lit29619","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 8: 467-469","fulltext":[{"file":"p0467.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n467\nDie von Freud bei dieser Erkl\u00e4rung der Abwehrneurosen benutzte H\u00fclfsvorstellung ist die, \u201edafs an den psychischen Funktionen etwas zu unterscheiden ist (Affektbetrag, Erregungssumme), das alle Eigenschaften einer Quantit\u00e4t hat, \u2014 wenngleich wir kein Mittel besitzen, dieselbe zu messen \u2014 etwas, das der Vergr\u00f6fserung, Verminderung, der Verschiebung und der Abfuhr f\u00e4hig ist, und sich \u00fcber die Ged\u00e4chtnisspuren der Vorstellungen verbreitet, etwa wie eine elektrische Ladung \u00fcber die Oberfl\u00e4chen der K\u00f6rper\u201c.\tPeretti (Grafenberg).\nTh. Ziehen. Psychiatrie f\u00fcr \u00c4rzte und Studierende. Mit 10 Abbildungen in Holzschnitt und 10 physiognomischen Darstellungen auf 6 Lichtdrucktafeln. Berlin. Fr. Wreden. 1894. 470 S.\nWenn man daran zweifeln wollte, dafs die Psychiatrie als Wissenschaft noch in ihren Jugendjahren steht, so brauchte man nur einen Blick auf die Zahl der Lehr- und Handb\u00fccher zu werfen, welche den letzten Jahren ihre Entstehung verdanken.\nEs gab eine lange Zeit, wo Griesingers vortreffliches Lehrbuch und allenfalls noch Guislain in der LlHRSchen \u00dcbersetzung den Markt beherrschten, und wo niemand so recht den Mut hatte, ein neues Lehrbuch zu schreiben, so unzul\u00e4nglich und veraltet die alten auch nachgerade geworden waren.\nDas Material wuchs und h\u00e4ufte sich gewaltig an, von allen Seiten trug man die Bausteine herbei, bis sie endlich von Sch\u00fcle und v. Krafft-Ebing gesammelt und zu neuen Lehrb\u00fcchern ausgearbeitet wurden, die sich trotz des jungen Nachwuchses bis heute behauptet haben.\nDenn an Nachwuchs hat es seither nicht gefehlt, die Zahl der Lehrb\u00fccher der Psychiatrie ist nachgerade zu einer ganz ansehnlichen geworden, und sie ist neuerdings durch Ziehen um ein weiteres vermehrt worden.\nEs kam Ziehen haupts\u00e4chlich darauf an, die Lehren der physiologischen Psychologie, wie er sie in seinem Leitfaden dieser Wissenschaft entwickelt hatte, auf die klinische Psychiatrie zu \u00fcbertragen, und dieser Absicht entsprechend sind die einleitenden Kapitel der allgemeinen Psychiatrie in einer etwas ausf\u00fchrlicheren Weise behandelt worden. Ziehen hatte dort die Assoziationspsychologie zum Ausgangspunkte seiner Darstellungen genommen, und er stellte sich nun als Aufgabe, die psychopathischen Einzelerscheinungen im Sinne eben dieser Assoziationspsychologie darzustellen und zu erkl\u00e4ren.\nEin derartiges Bestreben, der Psychologie den ihr geb\u00fchrenden Boden wiederzugewinnen und die Studierenden daf\u00fcr einzunehmen, kann nur mit Genugthuung begr\u00fcfst werden, und da sich der Verfasser zudem bem\u00fcht, \u00fcberall an die bekannten Thatsachen der Neuropathologie anzukn\u00fcpfen, so hilft er dem weniger in der Psychologie Bewanderten leicht \u00fcber die anf\u00e4nglichen Schwierigkeiten hinweg und f\u00fchrt ihn mit sicherer Hand in die Geheimnisse des Seelenlebens ein. Wie bemerkt, ist der allgemeinen Psychopathologie ein verh\u00e4ltnism\u00e4fsig breiter Baum zugewiesen worden, und dieser Teil des Buches wird sich voraussichtlich der ungeteilteren Zustimmung zu erfreuen haben.\n80*","page":467},{"file":"p0468.txt","language":"de","ocr_de":"468\nLitter aturbericht.\nIn der, wie es scheint, nun einmal unvermeidlichen Zweiteilung der Psychiatrie, in einen allgemeinen und einen speziellen Teil, liegt unzweifelhaft eine Klippe und eine G-efahr, da Wiederholungen kaum zu vermeiden sind.\nJe ausf\u00fchrlicher der allgemeine Teil ausgefallen ist, um so weniger bleibt f\u00fcr den speziellen \u00fcbrig, und umgekehrt, so dafs Schule in der dritten Auflage seines Lehrbuches den ersteren kurzerhand ganz gestrichen und dem speziellen Teile einverleibt hatte.\nSolange jedoch die Kenntnis der Psychologie nicht \u00fcberall vorausgesetzt werden kann, wird es ohne eine entsprechende Einf\u00fchrung nicht gehen, und wenn dies in einer ebenso einheitlichen, wie streng logischen Weise geschieht, wie es hier der Fall ist, so wird man dem Autor nur Dank daf\u00fcr wissen.\nIn der speziellen Psychopathologie hat Ziehen den Versuch gemacht, eine ausschliefslich auf den klinischen Verlauf begr\u00fcndete Einteilung an die Stelle der vielfach beliebten \u00e4tiologischen Klassifikation zu setzen. Die klinische Beobachtung lehrt nun zun\u00e4chst einen grofsen Unterschied zwischen den verschiedenen Geistesst\u00f6rungen. Es giebt Geistesst\u00f6rungen, die von ihrem ersten Beginn an einen deutlichen Intelligenzdefekt (Urteils- und Ged\u00e4chtnisschw\u00e4che) zeigen, und solche, die ohne Intelligenzdefekt einsetzen und auch weiterhin ohne einen solchen verlaufen. Wir bezeichnen erstere auch kurzweg als Defektpsychosen, und hierhin geh\u00f6ren die verschiedenen Formen des angeborenen und erworbenen Schwachsinns. Den Defektpsychosen stellt er die Psychosen ohne Intelligenzdefekt gegen\u00fcber, welche er wiederum in einfache und in zusammengesetzte Psychosen trennt.\nDie einfachen Psychosen, die im wesentlichen nur einen psychopathischen Zustand durchlaufen, zeigen insofern wesentliche Unterschiede, je nachdem die ersten Krankheitserscheinungen sich auf dem Gebiete der Affekte oder in dem Inhalte der Empfindungen und Vorstellungen geltend machen \u2014 affektive und intellektuelle Psychosen.\nDie zusammengesetzten Psychosen, d. h. solche, die hintereinander verschiedene psychopathische Zust\u00e4nde durchlaufen, sind erheblich seltener und praktisch von geringerer Wichtigkeit. Ziehen hat sie daher auch etwas knapp gehalten.\nDie weitere Einteilung der Defektpsychosen geht davon aus, dafs der Intelligenzdefekt bald angeboren, bald erworben ist.\nSo einfach das alles klingt und so einheitlich es anscheinend ist, so haften diesem Systeme ebensogut Fehler und M\u00e4ngel an, wie dies bisher noch bei allen anderen der Fall gewesen ist. Sie sind eben k\u00fcnstliche Systeme, die wir zur Erm\u00f6glichung oder doch zur Erleichterung unseres Verst\u00e4ndnisses nun einmal nicht entbehren k\u00f6nnen, die aber ohne eine mehr oder minder grofse Vergewaltigung der nat\u00fcrlichen Verh\u00e4ltnisse nicht durchzuf\u00fchren sind.\nZiehen hat nach eigener Angabe die Zahl der dargestellten Psychosen m\u00f6glichst beschr\u00e4nkt und solche, die in ihren Hauptz\u00fcgen \u00fcbereinstimmen, wenn irgend ang\u00e4ngig, zu einer Hauptform zusammengefafst, aber er wird diesen Prozefs der Vereinfachung im Interesse einer","page":468},{"file":"p0469.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n469\nleichteren Durchsicht noch mehr durchf\u00fchren m\u00fcssen, wenn er nicht hie und da verwirrend wirken will. So hat die Durchf\u00fchrung des psychologischen Schematismus auch in dem klinischen Teile nicht gerade zu einer gr\u00f6fseren Klarheit in der Schilderung der Krankheitsbilder heigetragen, und wenn Ziehen die epileptischen, alkoholischen und hysterischen Geistesst\u00f6rungen nicht einheitlich behandelt, sondern auseinanderzieht und \u00fcberall ein St\u00fcck davon unterhringt, so d\u00fcrfte auch dies kaum im Interesse des Lernenden gelegen sein.\nDer Wichtigkeit der pathologischen Physiognomik ist durch besondere Kapitel im Texte und namentlich durch besondere physiognomi-sche Tafeln Rechnung getragen worden, deren Auswahl mit grofsem Geschick stattgefunden hat.\nDagegen k\u00f6nnen wir uns mit dem Forthleiben aller Litteratur-angaben nicht einverstanden erkl\u00e4ren, und wir geben zur Erw\u00e4gung anheim, oh nicht ein kurzer Hinweis auf die betreffenden Hauptquellen einem grofsen Teile der Leser erw\u00fcnscht und von Nutzen gewesen w\u00e4re.\nDie Ausstattung des Buches, dem wir eine gr\u00f6fsere Verbreitung w\u00fcnschen, ist eine recht gute.\tPelman.\nTh. Ribot. Die Pers\u00f6nlichkeit. Pathologisch-psychologische Studien.\n\u00dcbersetzt von Dr. Pabst. Berlin, G. Reimer. 1894. 179 S.\nMan mufs es den Franzosen lassen, dafs sie zu schreiben verstehen. Allerdings sind auch hei uns die Zeiten vor\u00fcber, wo es in wissenschaftlichen Werken eigentlich zum guten Ton geh\u00f6rte, einen schlechten Stil zu schreiben, aber wenn wir uns auch gebessert und mancherlei gelernt haben, so sind uns die Franzosen darin doch noch weit \u00fcber, und es ist oft ein wahrer Genufs, ein franz\u00f6sisches Buch zu lesen.\nDiese Klarheit des Stils und die leichte Wiedergabe der Gedanken treten uns auch hei Ribot entgegen, und wir k\u00f6nnen dem \u00dcbersetzer kein besseres Loh spenden, als dafs sich seine \u00dcbersetzung wie ein Original liest.\nRibot will die St\u00f6rungen und Ver\u00e4nderungen der Pers\u00f6nlichkeit untersuchen, und er w\u00e4hlt hierf\u00fcr die spontanen Ver\u00e4nderungen, da er gerade in ihnen und nicht in den k\u00fcnstlich hervorgerufenen St\u00f6rungen die sicherste Grundlage f\u00fcr das Studium der krankhaften Formen der Pers\u00f6nlichkeit erblickt. Er findet die Grundlage der seelischen Individualit\u00e4t in dem k\u00f6rperlichen Gemeingef\u00fchl, dem Tonus der Empfindungsnerven.\nIhren Ausdruck erhalten die verschiedenen \u00c4ufserungen des Gemeingef\u00fchles in den Temperamenten, die als ebensoviele Verschiedenheiten in dem Tonus der Empfindungs- und Bewegungsnerven aufzufassen sind. Je h\u00f6her sich indes das seelische Lehen entwickelt, um so mehr tritt die Rolle des zuerst allm\u00e4chtigen Gemeingef\u00fchles zur\u00fcck, bis es endlich heim Menschen nur mehr unter abnormen Bedingungen (Krankheit) zur Empfindung kommt. Insofern nun di\u00e8 physiologische Pers\u00f6nlichkeit die Summe der Organgef\u00fchle darstellt, mufs sie sie sich mit ihnen zugleich und in derselben Weise wie sie ver\u00e4ndern, und es m\u00fcssen alle m\u00f6glichen Grade solcher Ver\u00e4nderungen denkbar sein, von dem einfachen","page":469}],"identifier":"lit29619","issued":"1895","language":"de","pages":"467-469","startpages":"467","title":"Th. Ziehen: Psychiatrie f\u00fcr \u00c4rzte und Studierende. Mit 10 Abbildungen in Holzschnitt und 10 physiognomischen Darstellungen auf 6 Lichtdrucktafeln. Berlin. Fr. Wreden. 1894. 470 S.","type":"Journal Article","volume":"8"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:09:17.327956+00:00"}