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{"created":"2022-01-31T14:26:35.789025+00:00","id":"lit29627","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wagner, Gustav","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 17-22","fulltext":[{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"-'y * *\nDie spontane Umwandlung der Nachbilder der Sonne in regul\u00e4re Sechsecke oder Achtecke.\nVon\nG\u00fcSTAV WAGNER.\t-,n;\n\u201c\tt \\\t* *\n9\t,\nDie bekannten, als dunkle Flecke vor dem geblendeten Auge hin und her schwebenden Nachbilder der Sonne sind wohl noch nie einer l\u00e4ngeren aufmerksamen Betrachtung gew\u00fcrdigt worden. Eine solche ist aber auch schwierig, da dieselben, sobald man sie ansehen will, dem Blicke entschwinden. Selbst wenn man sie durch Fixieren eines Gegenstandes zum Stehen gebracht hat, sieht man sie zuerst eben nur als einen mehr oder weniger deutlichen Schein. Nun kann man es aber verm\u00f6ge einer gewissen inneren Anstrengung dahin bringen, seine ganze Aufmerksamkeit auf dieselben zu konzentrieren, so dafs sie nicht mehr als ein blofser undeutlicher Schein sich darstellen, sondern in den Mittelpunkt des subjektiven Sehfeldes r\u00fccken, \u2014 man kann gleichsam mit dem geistigen Auge nach ihnen schielen und sie gewissermafsen. intellektuell erfassen. Dies erfordert freilich eine l\u00e4ngere \u00dcbung und namentlich viel Geduld, weil die dazu n\u00f6tige; eigent\u00fcmliche innere Anspannung anf\u00e4nglich ein unbehagliches Gef\u00fchl und eine nerv\u00f6se Unruhe erzeugt. Gelingt aber dieses ^intellektuelle Anschauena endlich, so wird man gewahr, dafs die kreisrunden Bilder alle zugleich ihre Gestalt ver\u00e4ndern und in umschriebene regul\u00e4re Sechsecke \u00fcbergehen, welche untereinander parallel stehen und eine Diagonale vertikal gerichtet haben. Je sch\u00e4rfer der Kreis des Nachbildes gezeichnet ist, desto deutlicher erscheint auch das Sechseck, Ist das Sonnenbild elliptisch oder sonst durch dazwischengelegene Wolken oder B\u00e4ume etwas verzogen ausgefallen, so zeigen auch die Sechsecke sich entsprechend deformiert: es entspricht der\n2\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IX.","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nGustav Wagner.\nst\u00e4rkeren Kr\u00fcmmung die kleinere Seite, der flacheren die gr\u00f6fsere, wodurch sie das Ansehen erhalten, wie die Querschnitte unregelm\u00e4fsig ausgebildeter hexagonaler Krystalle. Wenn das Nachbild nur ein Segment der Sonnenscheibe darstellt, so erscheint auch nur der diesem entsprechende Teil des Sechseckes. Statt der Sechsecke treten oft auch Achtecke auf, bei denen aber dann eine Mittellinie vertikal steht. Sechsecke und Achtecke zusammen kommen nie vor; auch beh\u00e4lt das Auge die F\u00e4higkeit, diese oder jene zu erzeugen, meistens den Beobachtungstag \u00fcber bei. Gew\u00f6hnlich sieht man sie zuerst an den negativen Nachbildern entstehen, weil sie dort am deutlichsten zur Erscheinung kommen, dann aber zeigen sie sich auch an den positiven im geschlossenen Auge. Sind die Vielecke einmal entstanden, so gehen sie nicht mehr in Kreise \u00fcber, sondern bleiben bis zum Verschwinden der Erscheinung bestehen. Am sch\u00f6nsten erh\u00e4lt man dieselben aus denjenigen Nachbildern, welche durch ein ganz zuf\u00e4lliges Ansehen der untergehenden Sonne entstanden sind. Absichtlich erzeugte sind selten scharf gezeichnet, weil das Auge beim Anblick nicht ruhig bleibt. Aufserdem glaube ich aber, fr\u00fcher auch bemerkt zu haben, dafs die auf den peripheren Teilen der B-etina befindlichen Nachbilder deutlichere Vielecke geben, als die in der N\u00e4he des Fixationspunktes oder in demselben. Auf jenen befinden sich aber regelm\u00e4fsig die zuf\u00e4llig entstandenen. Man wird also, falls solche vorhanden sind, sein Augenmerk besonders auf diese zu richten haben, welche aber allerdings am schwersten n\u00e4her zu betrachten sind. Inzwischen ist diese Beobachtung nicht ganz sicher, indem ich jetzt, bei gr\u00f6fserer \u00dcbung, auch die Nachbilder im Fixationspunkte ganz deutlich in die Polygone \u00fcbergehen sehe. \u2014 Bei unge\u00fcbtem Auge dauert es lange, bis die Verwandlung vor sich geht. Der Anf\u00e4nger darf zufrieden sein, wenn er bei t\u00e4glichen Versuchen in 14 Tagen sie gewahr wird, Aber selbst dann wird er frisch erzeugte Nachbilder noch mehrere Minuten lang betrachten m\u00fcssen, bis sie ihre Gestalt ver\u00e4ndern. Ich selbst habe die Erscheinung vor 10 Jahren zum ersten Male gemacht, seitdem unz\u00e4hlige Male wiederholt und jetzt eine so grofse Fertigkeit darin erworben, dafs sie mir ohne die geringste Anstrengung innerhalb weniger Sekunden, schon nach zwei-bis dreimaligem Schliefsen und \u00d6ffnen der Augen erscheinen.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Nachbilder der Sonne.\n19\nIn der ersten Zeit konnte ich die Entstehung oft dadurch beschleunigen, dafs ich beim Schliefsen der Lider einen Druck auf das Auge aus\u00fcbte, jedoch ist dies sp\u00e4ter nicht mehr n\u00f6tig gewesen.\nZu den ersten Beobachtungen w\u00e4hle man Abende, an welchen die Sonne dunkelrot untergeht, wobei man sie ansehen kann, ohne schmerzhaft geblendet zu werden. Man erh\u00e4lt dann ein scharf gezeichnetes Blendungsbild ohne Hof. Nach der Blendung schliefse man die Augen und \u00f6ffne sie wieder mit dem Blicke nach dem schon dunkel gewordenen \u00f6stlichen Himmel gerichtet, oder noch besser, wenn gerade die M\u00f6glichkeit dazu da ist, auf ein beschattetes Schneefeld. Es erscheint ein dunkelviolettes negatives Nachbild, welches aber rasch, entweder durch Bewegung oder durch Verblassen, wieder verschwindet. Man belebe das verschwundene Bild stets wieder durch Schliefsen und \u00d6ffnen der Augen und suche es mit aller Anstrengung festzuhalten und anzusehen. W\u00e4hrend dieser Ein\u00fcbung ist es ratsam, zun\u00e4chst gar nicht an die Sechsecke zu denken, sondern anderen Erscheinungen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, die interessant genug sind, um sich in der Zwischenzeit damit zu unterhalten ; die Polygone werden dann unerwartet sich ganz von selbst einstellen. Zun\u00e4chst betrachte man den Farbenwechsel der Nachbilder: auf ein gelbes Blendungsbild wird ein dunkelviolettes Nachbild folgen, dieses, auf den blauen Himmel geworfen, wird bald in ein zartes Rosa, auf dunklen Wolken in ein schmutziges Orange \u00fcbergehen, worauf im geschlossenen Auge die Komplemente Gr\u00fcn und Blau entstehen. Diese werden ganz von selbst, oder auch wenn man das Auge mit der Hand bedeckt und wieder frei l\u00e4fst, oder die Augenlider fester und wieder leichter schliefst, so dafs mehr oder weniger Licht durchscheinen kann, abermals\nihre Farbe \u00e4ndern, worauf, wenn der Eindruck lange genug\n\u2022\u2022\ngedauert hat, beim Offnen der Augen die Komplemente dieser neuen Farben erscheinen. Oft werden beide Komplement\u00e4rfarben zugleich sich zeigen, die eine als Kern, die andere als King darum, welche sich beim \u00d6ffnen des Auges umkehren. Immer aber wird bei jedem Wechsel ganz gesetzm\u00e4fsig die Komplement\u00e4rfarbe der dagewesenen sich bilden, und zwar wird dieselbe genau den Grad der Helle zeigen, welcher dem der Dunkelheit der anderen entspricht und umgekehrt. Je\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nGustav Wagner.\nheller das positive Nachbild, desto dunkler das negative, und je dunkler dieses, um so heller jenes. \u2014 Ferner achte man auf die Bewegung der Nachbilder. Es ist unm\u00f6glich, dieselben; dauernd zum Stehen zu bringen, sie fangen nach kurzer Zeit,; selbst wenn man das Auge ganz unverr\u00fcckt zu halten glaubt, an, sich zu entfernen. Nur wenn man einen G-egenstand fixiert, am besten, wenn man das Bild zwischen einen gegabelten Ast wirft, halten sie still, verblassen aber dann rasch. Am5 freien Himmel hingegen wendet sich der Fixationspunkt des Auges unwillk\u00fcrlich nach dem Bilde, welches, auf der Betina festsitzend, dann mit dieser gleichfalls fortbewegt wird. Hier\u00bb beginnt nun der schwierigste Teil der \u00dcbung. Man suche das Auge mit aller Anstrengung unverr\u00fcckt zu halten und schiele nach dem Bilde; dann wird man nach einiger Zeit lernen, der Bewegung aufmerksam zu folgen und eine gewisse Begel-m\u00e4fsigkeit in sie zu bringen. Je nach der relativen Lage des Bildes zum Fixationspunkte wird es entweder von rechts oben\nnach links unten, oder von links oben nach rechts unten sich\n/\nbewegen, bis etwa auf die scheinbare Mittellinie des Auges, dann aber pl\u00f6tzlich in einem scharfen Bogen umbiegen und rasch in entgegengesetzter Bichtung nach rechts, bezw. links unten fortschreitend, verschwinden. Bei einiger \u00dcbung kann man es auf halten, auch manchmal wieder zur\u00fcckziehen, sogar es dahin bringen, dafs es auf der anderen Seite wieder heraufkommt, bis in seine erste Stelle, und so eine elliptische Kurve beschreibt. Kurz, man kann das Bild mit dem Auge zum Teil leiten, aber nicht zum Stehen bringen, und ihm auch nicht seine urspr\u00fcngliche Bahn vorschreiben, noch sie ab\u00e4ndern. \u2014 Dergleichen Betrachtungen und \u00dcbungen also sich hingebend, wird man nach k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Zeit die Metamorphose eintreten sehen.\nHier m\u00f6chte ich noch eine psychologisch merkw\u00fcrdige Thatsache einschalten. Die Sechsecke besonders, aber auch die Achtecke sind an ihrem allgemeinen, mit einem Blick zu \u00fcbersehenden Habitus zwar leicht als solche zu erkennen, aber sie durch Z\u00e4hlen der einzelnen Seiten oder paralleler Seitenpaare zu konstatieren, hat mir nie recht gelingen wollen. Namentlich war ich, als ich die Achtecke zum ersten Male gewahr wurde, lange im Zweifel, was f\u00fcr Vielecke ich vor mir hatte. Sobald ich anfangen wollte, zu z\u00e4hlen, konnte ich","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Nachbilder der Sonne.\n21\ndas Bild nicht festhalten, welches alsbald verschwand ; ich brachte * es h\u00f6chstens auf drei Seiten. Wenn ich nun aber mit aller Anstrengung dasselbe \u201eintellektuell festhieltu, so empfand ich eine eigent\u00fcmliche innere Hemmung, zum Z\u00e4hlen \u00fcberzugehen, ich konnte mich nicht zum Entschlufs dazu aufraffen, es war mir, als ob ich es jetzt nicht wollen k\u00f6nnte. Es scheint demnach, dafs der Intellekt nicht im st\u00e4nde ist, beide Operationen des Festhaltens und Z\u00e4hlens zugleich vorzunehmen, sondern nur eine davon, gerade wie er in jedem gegebenen Augenblick auch nur einen Gedanken, nie mehrere zugleich, fassen kann.\nMit diesem seltsamen Ph\u00e4nomen einer spontanen gesetz-m\u00e4fsigen Ver\u00e4nderung der Nachbilder sind vielleicht zwei andere bekannte Erscheinungen verwandt, n\u00e4mlich die sechseckigen Lichtschattenfiguren Purkinjes (s. Helmholtz, Physiol. Optik, 2. Aufi. S. 532), und die von A. K\u00f6nig beschriebene Ausf\u00fcllung des Gesichtsfeldes mit regul\u00e4ren Sechsecken bei geschlossenem Auge (das. S. 569). Erstere habe ich noch nicht sehen k\u00f6nnen. Beim Versuche, die letzteren zu erhalten, sind mir h\u00e4ufig zwei, von rechts, bezw. links oben nach links, bezw. rechts unten gerichtete Systeme paralleler, sich unter 120\u00b0 (manchmal aber auch unter 90\u00b0) schneidender, heller Linien von bl\u00e4ulich-grauer, hin und wieder gelber Farbe erschienen. Wohl damit in Verbindung stehend und aus dem Auftreten eines dritten Liniensystems hervorgehend, habe ich zweimal, das eine mal etwas verschwommen, das andere mal aber ganz deutlich, einen gr\u00f6fseren Teil des Gresichtsfeldes mit dunkeln, von hellen Linien begrenzten, aneinanderstofsenden Sechsecken ausgef\u00fcllt gesehen. Die Erscheinung machte, auch der scheinbaren Gr\u00f6fse nach, den Eindruck des Nachbildes eines Bienen-wabens. Ferner trat ein mal in der Mitte des Gesichtsfeldes ein grofser heller Fleck auf, der bald in ein tiefes Blau \u00fcberging und dann die Gestalt eines regul\u00e4ren, aber nicht scharf begrenzten Sechsecks annahm. Aufserdem habe ich aber auch eine schwache, fl\u00fcchtige Erscheinung des K\u00f6NiGschen Ph\u00e4nomens gesehen. Dieses scheint mir \u00fcbrigens mit dem obigen, bienenwabenartigen, nahe verwandt, ja sogar im wesentlichen identisch zu sein, und sich von demselben nur durch die Umkehrung der hellen und dunkeln Teile zu unterscheiden, so dafs man vielleicht die eine Erscheinung als die positive, die andere als","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nGustav Wagner.\ndie negative bezeichnen k\u00f6nnte. Schliefslich will ich noch bemerken, dafs bei allen diesen subjektiv wahrgenommenen Sechsecken, gerade wie bei den Nachbildern, stets eine Diagonale vertikal stand.\nAlle diese Erscheinungen nun sind wahrscheinlich auf ein und dieselbe unbekannte Eigenschaft des Auges zur\u00fcckzuf\u00fchren und m\u00fcssen aus einer selbsteigenen Th\u00e4tigkeit der Retina zu erkl\u00e4ren sein. Insbesondere vermute ich, dafs das von mir beobachtete Ph\u00e4nomen einen Beweis daf\u00fcr liefern k\u00f6nnte, dafs die negativen komplement\u00e4ren Nachbilder wirklich eine aktive Th\u00e4tigkeit des Auges darstellen und nicht blofs auf einer Erm\u00fcdung desselben beruhen. Denn wie sollte aus einer blofsen Erm\u00fcdung eine nach bestimmten Gesetzen regel-m\u00e4fsig erfolgende Umformung des Bildes entstehen k\u00f6nnen? \u00fcbrigens wird auch dem aufmerksamen Beobachter des oben erw\u00e4hnten, so gesetzm\u00e4fsig verlaufenden Farbenwechsels beim \u00d6ffnen und Schliefsen der Augen, mit seinen zarten, reinen Farben und unersch\u00f6pflichen Nuancen, der Gedanke einer aktiven Th\u00e4tigkeit der Netzhaut sich aufdr\u00e4ngen. \u2014 Bekanntlich ist die Scherffers che Theorie von der Erm\u00fcdung des Auges, trotzdem sie von den bedeutendsten Optikern angenommen worden ist, noch immer nicht unbestritten. Es hat von jeher Physiker gegeben, welche jene Nachbilder als Wirkungen einer neuen entgegengesetzten Th\u00e4tigkeit der Retina ansahen, und insbesondere ist es Plateau gewesen, der diese Ansicht in ein System gebracht hat. Jedoch mufs daran erinnert werden, dafs, was vergessen worden zu sein scheint, Arthur Schopenhauer den Grundgedanken schon fr\u00fcher, im Jahre 1815, f\u00f6rmlich aufgestellt und aus ihm eine vollst\u00e4ndige Theorie der Farben entwickelt hat. Er hat denselben viel tiefer gefafst, als Plateau, der die Sache mehr mechanisch nahm, und ger\u00e4t daher auch nicht auf die Widerspr\u00fcche, wie dieser. Wer der Ansicht einer aktiven Th\u00e4tigkeit des Auges als Ursache der Nachbilder zuneigt, wird deshalb bei Schopenhauer eher Befriedigung finden, und es m\u00f6chte wohl sein, dafs eine sp\u00e4tere, erneute Pr\u00fcfung seiner Lehre noch einmal einen wahren Kern in derselben herausfinden k\u00f6nnte.","page":22}],"identifier":"lit29627","issued":"1896","language":"de","pages":"17-22","startpages":"17","title":"Die spontane Umwandlung der Nachbilder der Sonne in regul\u00e4re Sechsecke oder Achtecke","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:26:35.789030+00:00"}