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{"created":"2022-01-31T14:14:17.609243+00:00","id":"lit29628","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martius, G\u00f6tz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 23-45","fulltext":[{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nOsw. K\u00fclpe. Grundrifs der Psychologie. Auf experimenteller Grundlage dargestellt. Mit 10 Figuren im Text. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1893. 478 S.\nDer Verfasser dieser neuen Gesamtdarstellung der Psychologie, der ersten nach Wundt, die in Deutschland auf experimenteller Grundlage erscheint, war bis vor kurzem bekanntlich erster Assistent des psychologischen Instituts in Leipzig und Wundts langj\u00e4hriger Mitarbeiter. Es versteht sich daher von selbst, dafs das Buch auf einer umfassenden Kenntnis seines Gegenstandes beruht, dafs in hervorragender Weise die gesamte einschl\u00e4gige Litteratur herangezogen und verarbeitet ist. F\u00fcr die Belesenheit des Verfassers geben die ziemlich knapp gehaltenen Litteraturangaben nur einen d\u00fcrftigen Anhaltspunkt. \u00dcberall tritt dem Leser entgegen, dafs ein in hohem Grade Sachkundiger das Wort f\u00fchrt. Wer aber das Buch in der Erwartung zur Hand n\u00e4hme, in demselben eine k\u00fcrzere, etwa zum Schulgebrauch oder f\u00fcr die Bed\u00fcrfnisse eines gr\u00f6fseren Lesepublikums eingerichtete Fassung des WuNDTschen Lehrbuches in genauerer Anlehnung an den Standpunkt Wundts zu finden, w\u00fcrde sich durch die Lekt\u00fcre desselben arg get\u00e4uscht finden. Wir haben es mit einer durchaus selbst\u00e4ndigen Bearbeitung des Gegenstandes zu thun; die Selbst\u00e4ndigkeit erstreckt sich keineswegs nur auf die Anordnung, die Einteilung, den Zuschnitt des Stoffes, sondern gerade auch auf die ganze Auffassung, auf die Grundbegriffe. Dem Leipziger N\u00e4hrboden ist ein sehr fremdartiger Organismus entsprossen. Ich will im Folgenden mich m\u00f6glichst der Mitteilung von Einzelheiten enthalten und mein Augenmerk haupts\u00e4chlich darauf richten, die Eigenartigkeit der Auffassung K.\u2019s in das Licht zu stellen. Die Aufgabe der Psychologie und ihrer Methoden, die Begriffe der Empfindung, der Eigenschaften der Empfindung, der Unterschiedsempfindlichkeit, der Gef\u00fchle und der Verbindung der Empfindungen werden im direkten Anschlufs an den Verlauf der Darstellung des Buches er\u00f6rtert werden. Ich f\u00fcge gleich hinzu, dafs dies im gegnerischen Sinne geschehen wird. Der verehrte Verfasser wird, wie ich denke, dies Vorgehen als ein Anerkenntnis der Bedeutsamkeit seines Werkes auffassen. Wem nur an der Sache gelegen ist, dem ist auch sachliche Kritik willkommen. Auch dessen werde ich enthoben sein, stets von neuem zu betonen, dafs der Gegensatz in Bezug auf die Grundauffassung das Anerkenntnis der Leistung im einzelnen nicht ausschliefst.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nBesprechungen.\nDie Einleitung (S. 1\u201429) handelt in drei Abschnitten \u00fcber den Begriff und die Aufgabe, die Methoden und H\u00fclfsmittel und die Litte-ratur der Psychologie. Die Thatsachen, mit denen sich alle Wissenschaften zu besch\u00e4ftigen haben, sind nach K. s\u00e4mtlich \u201eErlebnisse\u201c. Die Einzel Wissenschaften werden nach verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt. So dr\u00fcckt \u201eder Gegensatz zwischen beschreibenden und erkl\u00e4renden Naturwissenschaften den Grad der Vollst\u00e4ndigkeit und damit der Allgemeing\u00fcltigkeit aus, der bei der Darstellung der Thatbest\u00e4nde erreicht ist\u201c (S. 2 f.). Es giebt kein Erlebnis, das nicht auch Gegenstand psychologischer Untersuchung werden k\u00f6nnte. Die Psychologie hat es also nicht mit einer bestimmten Klasse von Erlebnissen zu thun, sondern mit einer bestimmten Eigenschaft derselben, der Abh\u00e4ngigkeit vom Individuum. Psychologie ist die Wissenschaft von den Erlebnissen in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Individuum (S. 3), und zwar vom k\u00f6rperlichen Individuum. Eine Theorie der psychischen Vorg\u00e4nge hat den Nachweis ihrer Abh\u00e4ngigkeit von gewissen k\u00f6rperlichen Prozessen zu liefern (S. 6). Die Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt einmal in der Unm\u00f6glichkeit, \u201ebeide Thatsachenkomplexe, die psychischen und zentralen Nervenerregungen (sic!) in unmittelbarer Vergleichung ihres Ablaufes auf ihre Beziehungen hin zu untersuchen\u201c (S. 6), zweitens aber in dem Umstande, dafs \u201edie Physiologie der nerv\u00f6sen Zentralorgane noch nicht die physikalischen und chemischen Grundlagen aufgezeigt\u201c, hat, \u201ewelche den Mechanismus der Gehirnth\u00e4tigkeit hervorbringen\u201c( S. 6) Man sollte meinen, hieraus w\u00fcrde sich ergeben, dafs die L\u00f6sung der Aufgabe, wie K. sie bestimmt hat, mindestens zur Zeit undurchf\u00fchrbar ist. K. giebt auch zu, \u201edafs eine vollst\u00e4ndige Theorie der psychischen Vorg\u00e4nge in dem angegebenen Sinne noch nicht geleistet werden kann\u201c (S. 6). Er l\u00e4fst aber die Aufgabe als die der Psychologie bestehen und verweist auf zwei Auskunftsmittel. Einmal lassen sich aus den Beziehungen der Beize zu den Empfindungen B\u00fcckchl\u00fcsse machen auf die psychophysischen Zwischenglieder, andererseits werden unter den Allgemeinbegriffen des Ged\u00e4chtnisses, der Phantasie, der geistigen Disposition, der \u00dcbung H\u00fclfsvorstellungen eingef\u00fchrt, die auf \u201edie unbekannten Bedingungen gewisser in der Verbindung oder dem Verhalten der Erlebnisse hervortretender Eigent\u00fcmlichkeiten\u201c hinweisen (S. 7).\nSoviel \u00fcber den Begriff der Psychologie, die es danach nicht mit der Feststellung der Bewufstseinsthatsachen, sondern mit der Auffindung ihrer materiellen Bedingungen zu thun hat. Dafs \u00fcbrigens alle Wissenschaft nur die Aufgabe der Beschreibung von Erlebnissen habe, darf nicht unwidersprochen bleiben. K. k\u00f6nnte sich hier auf Kirchhoff berufen, der die Aufgabe der abstraktesten Wissenschaft, der Mechanik, dahin bestimmte, dafs sie die Ver\u00e4nderungen m\u00f6glichst exakt zu beschreiben habe. In dem Ausdruck \u201eBeschreibung\u201c liegt hier das Anerkenntnis, dafs Wissen nie Erfassen des Wesens (Ding an sich) sein kann; nicht aber sollen die mechanischen Vorg\u00e4nge zu blofsen Erlebnissen gemacht werden. Von solchen oder von der Erfahrung, um bei althergebrachten Ausdr\u00fccken zu verbleiben, geht die Wissenschaft aus, besteht aber nicht in ihrer Beschreibung. Die mechanischen Vorg\u00e4nge sind nicht erlebbar.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nm\nDie Welt der Atome und ihrer Gesetze ist eine Sch\u00f6pfung des erkennenden Verstandes und ihrer Form nach daher von der Natur desselben abh\u00e4ngig.\nAus demselben Grunde ist die Aufgabe der Psychologie, wie sie von K. bestimmt ist, \u00fcberhaupt unl\u00f6sbar. Man kann sagen, die Unl\u00f6sbarkeit nimmt mit dem Wachsen unserer Einsicht in die chemischen und physikalischen Vorg\u00e4nge, welche die Gehirnth\u00e4tigkeit ausmachen, zu. Denn je mehr die Kenntnis in dieser Hinsicht fortschreitet, je mehr an die Stelle der allgemeinen Vorstellung von der \u201eErregung\u201c der Hirnrinde bestimmte Gesetze der Bewegung der kleinsten Massenteilchen gesetzt werden k\u00f6nnten, je mehr also die begriffliche Fassung der Ver\u00e4nderungen gelingt, um so unm\u00f6glicher ist es, die Einordnung eines bestimmten psychischen Elementarvorganges in jenen begrifflichen Zusammenhang vorzunehmen. Es m\u00fcfste denn gelingen, den Anteil, den die Ortsver\u00e4nderung eines bestimmten Atoms an der Entstehung einer bestimmten Empfindung hat, in Zukunft angeben zu k\u00f6nnen.\nK. wird denn auch gleich im folgenden Abschnitt, der \u00fcber die Methoden und H\u00fclfsmittel der Psychologie handelt, seiner Begriffsbestimmung untreu. Die Methoden der Psychologie sind teils direkte, teils indirekte ; jede dieser Arten hat wieder eine objektive und subjektive Form. Die direkte Methode in subjektiver Form ist die der inneren Wahrnehmung, in objektiver Form die experimentelle Methode. Die indirekten Methoden sind die Methoden der Erinnerung und die sprachliche Methode. Soll die Psychologie die Erfassung der Erlebnisse in deren Abh\u00e4ngigkeit vom K\u00f6rper sein, so w\u00e4re offenbar die direkte Methode einzig eine solche, welche die psychophysischen Vorg\u00e4nge vielleicht nach \u00d6ffnung der eigenen Sch\u00e4deldecke mit H\u00fclfe eines Spiegels im Anschlufs an bestimmte \u201eErlebnisse\u201c zu betrachten gestattete. Wird jetzt die innere Wahrnehmung als direkte Methode der Psychologie bezeichnet, so versteht K. unter Psychologie nicht mehr, was er als solche definiert hat, sondern was in der Kegel darunter verstanden wird, die Wissenschaft der Bewufstseinsvorg\u00e4nge, die ja in der That einzig in der inneren Wahrnehmung direkt gegeben sind. Stellen wir uns auf diesen Standpunkt, was uns nat\u00fcrlich keine Schwierigkeiten macht, da er uns der einzig richtige zu sein scheint, so ist es wieder logisch nicht haltbar, die experimentelle Methode, als objektive Form, der inneren Wahrnehmung, als subjektiver Form der direkten Methoden, gegen\u00fcberzustellen. K. setzt selbst in der lesenswerten Darstellung der experimentellen Methoden auseinander, dafs diese dem Psychologen die innere Wahrnehmung nicht ersetzt, sondern zur Unterst\u00fctzung derselben dient. Der \u00fcbergeordnete Begriff ist also die innere Wahrnehmung, die teils eine einfache, teils eine durch das Experiment unterst\u00fctzte oder erm\u00f6glichte sein kann. Unter den indirekten Methoden, ferner neben der der Erinnerung die sprachliche Methode als besondere Gattung anzuf\u00fchren, d\u00fcrfte kaum gerechtfertigt sein. Eine sprachliche Methode w\u00fcrde jeder Wissenschaft zu eigen sein. Durch die Sprache als solche werden weder direkt noch indirekt Bewufstseinsvorg\u00e4nge in ihrer Eigenart aufgezeigt werden k\u00f6nnen ; die Sprache macht die inneren Erlebnisse nur mitteilbar.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nBesprechungen.\nDa schliefslich auch die indirekte Methode der Erinnerung auf die innere Erfahrung zur\u00fcckgeht, bliebe die letztere als einzige Methode der Psychologie \u00fcbrig, nur in verschiedenen Anwendungsformen, und wir k\u00e4men mithin auf die alte Bestimmung der Psychologie als Wissenschaft der inneren Erfahrung durch den Zwang der Logik von selbst wieder zur\u00fcck. Dafs diese bei K., anstatt in den Vordergrund zu treten, geradezu in die Ecke gedr\u00fcckt worden ist, liegt offenbar an der vorausgehenden Definition der Psychologie und dem Bestreben, die in ihr niedergelegte Auffassung voll und ganz durchzuf\u00fchren, ein Bestreben, das auch im weiteren Verfolg des Buches \u00fcberall deutlich erkennbar ist. \u2014 Als H\u00fclfsmittel der Psychologie werden die Pathologie des Seelenlebens und die Entwickelungsgeschichte bezeichnet (S. 16\u201419).\nIn der Einteilung des Gegenstandes will K. das Beispiel Wundts befolgen und von den Elementen des Seelenlebens, den Empfindungen, ausgehen. Die Darstellung will also eine synthetische sein. Nur glaubte der Verfasser \u201edie Fruchtbarkeit dieses Gesichtspunktes noch etwas st\u00e4rker ausbeuten\u201c zu sollen (S. 23). Dadurch entsteht dann freilich etwas ganz Neues. K. sucht den Empfindungsbegriff \u00fcber die ganze Psychologie auszudehnen, aus den Empfindungen und ihren Eigenschaften s\u00e4mtliche Ereignisse des Seelenlebens wiederzugewinnen. Der Empfindungsbegriff bekommt dadurch die Bedeutung des absoluten Bewufst-seinselements ; alle \u00fcbrigen Bewufstseinsvorg\u00e4nge sind nur Zusammensetzungen aus den Empfindungen. Es giebt keine geistige Produktion, keine geistige Entwickelung, sondern nur Elemente und deren Verwickelung. Wie die materiellen Einzelerregungen sich zu Gesamterregungen vereinigen, so setzen sich die elementaren Empfindungsvorg\u00e4nge zu den komplexen Erscheinungen des Seelenlebens zusammen. Liefse sich diese einfache Gr und Vorstellung ohne Best durchf\u00fchren, so w\u00e4re freilich viel gewonnen auch f\u00fcr die methaphysische Frage des Verh\u00e4ltnisses der Abh\u00e4ngigkeit der psychischen und physischen Vorg\u00e4nge voneinander. Umgekehrt h\u00e4ngt aber auch von der Durchf\u00fchrbarkeit die Entscheidung dar\u00fcber ab, ob das Verh\u00e4ltnis des Materiellen und Geistigen ein so einfaches ist, wie hier angenommen wird. In anderer Ausdrucksweise, die Annahme eines direkten und erkennbaren Parallelismus bestimmter materieller und geistiger Vorg\u00e4nge hat K. zu einem Sensualismus extremster Bichtung gef\u00fchrt, der nichts annimmt, als Empfindungen und Verbindungen von Empfindungen, welche der direkte Ausdruck der ihnen entsprechenden psychophysischen Erregungen sind.\nDie Einteilung ist eine dementsprechend einfache. Der erste Teil (S. 30\u2014283) handelt von den Elementen des Bewufstseins, der zweite Teil (S. 284\u2014437) von den Verbindungen der Bewufstseinselemente. Ein kurzer dritter Teil (S. 438\u2014471) besch\u00e4ftigt sich mit dem \u201eZustande des Bewufstseins\u201c, d. h. mit Eigent\u00fcmlichkeiten des Verhaltens des Bewufstseins, \u201edie sich sowohl bei den einfachen, wie bei den zusammengesetzten Inhalten beobachten lassen\u201c (Aufmerksamkeit, Schlaf, Hypnotismus). Im ersten Teile werden zwei Arten der Elemente unterschieden ; die erste ist \u201evon der Erregung ganz bestimmter peripherischer und wahrscheinlich auch zentraler nerv\u00f6ser Organe abh\u00e4ngig\u201c (S. 28) und heifst Empfindungen ;","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n27\ndie zweite steht \u201ein keiner erkennbaren Abh\u00e4ngigkeitsbeziehung zu bestimmten \u00e4ufseren Organen\u201c, und auch das Verh\u00e4ltnis zu den Zentralorganen kann \u201enoch nicht mit Sicherheit angegeben werden\u201c ; sie heifsen Gef\u00fchle. Auch der zweite Teil gliedert sich zwiefach. Es giebt eine innigere und eine losere Verbindung, eine Verschmelzung und eine Verkn\u00fcpfung der Elemente. \u201eEine Verschmelzung tritt dann ein, wenn die sich vereinigenden Qualit\u00e4ten mehr oder weniger hinter den Gesamteindruck, den sie bilden, zur\u00fccktreten\u201c (S. 21); eine Verkn\u00fcpfung dagegen liegt vor, \u201ewenn die Erkennbarkeit der einzelnen Elemente entweder durch ihre Verbindung nicht leidet, oder sogar erh\u00f6ht wird\u201c (S. 22).\nDie Lehre von den Empfindungen beginnt mit einer allgemeinen Er\u00f6rterung der Analyse der Empfindungen und schliefst die Darstellung der sogenannten Mafsmethoden ein. K. geht aus von den \u201eEigenschaften der Empfindungen\u201c. W\u00e4hrend man gewohnt ist, an einer Empfindung ihre Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t oder auch noch den Gef\u00fchlston zu unterscheiden, will K. auch Dauer und Ausdehnung als Eigenschaften derselben oder \u201eunabtrennbare Merkmale\u201c (S. 30) aufgefafst wissen. \u201eJede Druckempfindung besitzt aufser ihrem spezifischen Inhalt eine gewisse St\u00e4rke, eine gewisse zeitliche und r\u00e4umliche Beschaffenheit.\u201c Die Qualit\u00e4t ist das Fundament der \u00fcbrigen Eigenschaften. \u201eMit dem Namen Intensit\u00e4t bezeichnet man diejenige Eigenschaft der Empfindung, verm\u00f6ge deren wir sie in Bezug auf den Grad ihrer Lebhaftigkeit mit anderen zu vergleichen im st\u00e4nde sind, mit den Namen Dauer und Ausdehnung die elementare r\u00e4umliche und zeitliche Beschaffenheit\u201c (S. 31), Nur Qualit\u00e4t und Dauer sind jeder Empfindung eigen, \u201edie Ausdehnung dagegen ist eine Eigenschaft blofs des Gesichts- und Hautsinnes\u201c (S. 31). Die Intensit\u00e4t ist dem Gesichtssinn abzusprechen,, \u201eweil alle \u00c4nderungen und Einfl\u00fcsse der physikalischen Beizintensit\u00e4t oder sonstiger auf die Empfindungsintensit\u00e4ten einwirkender Momente hier eine Qualit\u00e4ts\u00e4nderung, also einen \u00dcbergang zu anderen Empfindungen veranlassen.\u201c\nWir werden die Neuerungen in diesen Begriffsbestimmungen um so vorsichtiger aufzunehmen haben, je wichtiger im ganzen der K.\u2019schen Auffassung der Empfindungsbegriff ist. \u2014 Was zuerst die Intensit\u00e4t der Empfindungen betrifft, so ist es unseres Erachtens unstatthaft, dieselbe als h\u00f6heren oder geringeren Grad der Lebhaftigkeit zu bezeichnen. Es giebt 'intensive Empfindungen von geringer Intensit\u00e4t, denen Lebhaftigkeit nicht abgesprochen werden kann. Eine laute und eine leise Melodie kann mir gleich lebhaft oder gleich wenig lebhaft vorschweben, ein starker Schmerz f\u00fcr Zeiten unbeachtet bleiben. Lebhaftigkeit und Intensit\u00e4t betreffen verschiedene Beziehungen der Empfindungen. Unter Lebhaftigkeit ist der Grad der Bewufstheit, unter Intensit\u00e4t das Verh\u00e4ltnis zu den Beizgr\u00f6fsen zu verstehen. Will man die Intensit\u00e4t der Empfindungen definieren ohne B\u00fccksieht auf die Beizgr\u00f6fsen, so kommt man aus der Zweideutigkeit nicht heraus. Schon das naive Bewufstsein fafst die Intensit\u00e4tsunterschiede ebenso auf infolge der allt\u00e4glichen Erfahrung, dafs sie von den \u00c4nderungen der Beizintensit\u00e4ten abh\u00e4ngen, und die Sprache stellt \u00fcberall entsprechende Worte (heller, lauter, st\u00e4rker) zur Verf\u00fcgung. Auch dafs einzig bei den Gesichtsempfindungen \u00c4nderungen","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nBesprechungen.\nder \u00bbQualit\u00e4t\u201c mit denen der Intensit\u00e4t verbunden sein sollen, scheint mir ein Irrtum zu sein, .wenn man hier unter Qualit\u00e4t den Gesamt-eharakter der Empfindung versteht. K. ist der Ansicht, dafs \u201eeine blofse \u00c4nderung der \u00fcbrigen Eigenschaften bei gleichbleibender Qualit\u00e4t scheinbar dieselbe Empfindung fortbestehen l\u00e4fstu (S. 31). Man stelle sich aber beispielsweise einen starken und einen schwachen Druck an derselben K\u00f6rperstelle, einen starken und einen schwachen Schall derselben Art, eine laue und heifse Temperaturempfindung nacheinander vor: man wird zugeben, dafs der Gesamteindruck sich ge\u00e4ndert hat und nicht etwa blofs die leise Druck-, Schall-, Temperaturempfindung oder deren intensit\u00e4tsloser Kern in ver\u00e4nderter Intensit\u00e4t fortbesteht. Die identische Qualit\u00e4t in der ganzen Reihe der Intensit\u00e4tsunterschiede ist sicherlich nicht angebbar. Bei starken und schwachen Kl\u00e4ngen gleicher H\u00f6he dr\u00e4ngt sich das Gleichheitsmoment am entschiedensten in den Vordergrund; es hat einen guten Sinn, von \u201edemselben\u201c Ton in verschiedener St\u00e4rke zu sprechen. Aber selbst hier \u00e4ndert sich mit der St\u00e4rke der gesamte Eindruck. Ebenso wie bei den \u00fcbrigen Sinnen ist es aber auch beim Eicht. Ein im Dunkeln auftauchendes schwaches Licht unterscheidet sich von einem hellen nicht anders, als eine schwache Druckempfindung von einer starken, ein schwacher Schall von einem starken. Bei den Farbenempfindungen allein kann die Steigerung der Lichtintensit\u00e4t einen Erfolg haben, die in gleicher Weise durch Lichtmischungen ohne Ver\u00e4nderung der Intensit\u00e4t erzeugt wird. Die entstehende Empfindung hat aber stets eine bestimmte, mit der Intensit\u00e4tsreihe der Lichtempfindungen vergleichbare Helligkeit. Es ist daher unberechtigt, dem Lichtsinne die intensiven Eigenschaften schlechthin abzusprechen. Nach unserer Ansicht ist also jede Empfindung in qualitativer und intensiver Beziehung ein durchaus eigenartiges Ganzes, und es ist nicht gestattet, die intensiven Verschiedenheiten von dem qualitativen \u201eKern\u201c wie eine H\u00fclle loszul\u00f6sen; h\u00f6rt die Intensit\u00e4t auf, so ist es auch mit der Qualit\u00e4t vorbei, und umgekehrt. K. wird entgegnen, das sei durchaus seine Meinung, und es sei von ihm ausdr\u00fccklich hervorgehoben, \u201edafs die ganze Empfindung verschwindet oder aufh\u00f6rt, Tvenn eine der Eigenschaften gleich Null wird\u201c (S. 30). So steht es freilich zu lesen, aber auf der folgenden Seite steht auch, dafs die Qualit\u00e4t \u201egewissermafsen gegen\u00fcber den anderen wechselnden Eigenschaften den festen Kern einer jeden Empfindung \u2022 repr\u00e4sentiert\u201c.\nEinschneidender noch sind unsere Bedenken gegen die beiden letzten \u201eEigenschaften\u201c der Empfindung, die Dauer und Ausdehnung, von denen die erstere allen Empfindungen, die letztere denen des Gesichts- und Hautsinnes zukommen soll. Bei der Ausdehnung liegt einerseits eine Verwechselung zwischen B-eiz und Empfindung, andererseits eine solche zwischen dem Inhalte der Empfindung und dem Empfindungsvorgange oder der Empfindung selbst vor. Das erste ist der Fall beim Hautsinne, das zweite beim Gesichtssinn. Es gen\u00fcgt hier, glaube ich, die einfache Feststellung der Thatsache. Die Hautsinnesempfindungen als solche haben nichts Extensives an sich, wohl aber die entsprechenden Reize. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dafs man sich mit H\u00fclfe des Hautsinnes im","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Bestechungen.\n29\nBaum orientieren, r\u00e4umliche Urteile f\u00e4llen oder zu r\u00e4umlichen Vorstellungen gelangen kann. Die Gesichtsempfindungen sind inhaltlich1 dagegen stets von extensiver Beschaffenheit, d. h. wenn eine Gesichtsempfindung oder Gesichtsvorstellung gegeben ist, so l\u00e4fst sich deren scheinbare Ausdehnung im Gesichtsfelde stets mitangeben. Es geh\u00f6rt diese zu ihrem Inhalte. Danach aber der Empfindung selbst Extensit\u00e4t zuzuschreiben, hiefse, dieselbe zu einem r\u00e4umlichen Wesen stempeln; Die Empfindungen besitzen eine Qualit\u00e4t, so die Gesichtsempfindungen die der Extensit\u00e4t; sie besitzen auch eine Intensit\u00e4t, aber sie besitzen keine Ausdehnung ; die Ausdehnung kann in keinem verst\u00e4ndlichen Sinne als Eigenschaft der Empfindungen bezeichnet werden.\nAnders und nicht so einfach, liegt die Sache bei der Dauer. Denn sicherlich hat jede Empfindung Dauer, sie ist eine ge wisse j l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere, Zeit bewufst. Es w\u00e4re mithin eine einfache Thatsache-, dafs jeder Empfindung die Eigenschaft, Dauer zu haben, zukomme. Ist diese Eigenschaft aber ein \u201eunabtrennbares Merkmal\u201c, wie das der Intensit\u00e4t? Ich meine nicht; es l\u00e4fst sich bei Untersuchung und Betrachtung einer Empfindung von ihrer Dauer vollst\u00e4ndig absehen, die Variierung dieser \u201eEigenschaft\u201c \u00e4ndert an der Eigenart der Empfindung gar nichts; lasse ich die Zeit in der Vorstellung zu Null werden, so thut dies der Empfindung ebenfalls keinen Abbruch, sie verliert nur die M\u00f6glichkeit der realen Existenz. Jede Vorstellung, jedes Ding, jeder K\u00f6rper hat Dauer, solange er existiert, und doch f\u00fchlen wir uns nicht veranlafst, als besondere Eigenschaft und konstituierendes Merkmal eines jeden die' Dauer anzuf\u00fchren. Die Empfindungen besitzen die Eigenschaft der Dauer aber in keiner anderen Weise, als jedes andere Ding, jeder andere Vorgang. Aus diesem Grunde ist es nicht angezeigt, unter die Eigen-:\" sch\u00e4ften der Empfindung als solcher die Dauer aufzunehmen und dieselbe mit der Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t als gleichartige Eigenschaft zu verbinden. Die Qualit\u00e4t bezeichnet den Inhalt einer Empfindung, die Intensit\u00e4t die Ver\u00e4nderungen des Inhaltes mit B\u00fccksicht auf die Ver\u00e4nderungen der Beizgr\u00f6fsen, die Dauer der Empfindung aber betrifft die Existenz derselben in der Zeit. Ich bestreite hier also nicht die Berechtigung, den realen Empfindungen die Eigenschaft der Dauer zuzuschreiben, sondern nur, dies in gleichem Sinne zu thun, wie bei der Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t.\nEs folgt die Er\u00f6rterung der Begriffe der Unterschiedsempfindlichkeit (U. E.) und Empfindlichkeit (\u00c9). Die Analyse der Empfindungen mufs sich auf alle ihre Eigenschaften erstrecken. \u201eDie F\u00e4higkeit, eine solche Analyse durchzuf\u00fchren, bezeichnet man seit Fechner mit dem Namen Unterschiedsempfindlichkeit\u201c (S. 32). Es ist dann eine qualitative, in--tensive, extensive und temporale U. E. zu unterscheiden. Zur U. E. geh\u00f6rt einmal, dafs \u201ewir verschiedenes erleben\u201c, andererseits dafs dies als solches konstatiert wird, also \u201edie innere Wahrnehmung verschiedener Inhalte und die Aussage dar\u00fcber\u201c (S. 33). Die erstere wird als umittelbare, die zweite als mittelbare U. E. bezeichnet. Beide stimmen nicht immer \u00fcberein, obschon die mittelbare U. E. auf der unmittelbaren, der F\u00e4higkeit, verschiedene Inhalte wahrzunehmen, beruht. Die experimentelle Methode","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nBesprechungen.\nhat die Aufgabe, die Fehler zu umgehen oder zu eliminieren, welche durch den Umstand entstehen, dafs \u201eder Inhalt des Wissens um den Thatbestand sich mit der Beschaffenheit des letzteren nicht immer deckt\" (S. 34).\nDie Untersuchungen \u00fcber die U. E. setzen \u201edie \u00fcber die F\u00e4higkeit, Empfindungen \u00fcberhaupt zu erleben und mitzuteilen (S. 35) oder die \u00fcber die Empfindlichkeit (E.) voraus; K. unterscheidet noch die \u201eSinnesempfindlichkeit\", welche sich nach dem Umfang der innerhalb eines Sinnes vorhandenen oder m\u00f6glichen Empfindungen bestimmt und die \u201eSensibilit\u00e4t\", \u201edie nach dem Umfang der f\u00fcr jede Empfindung geltenden Eigenschaften\u201c (S. 2) bestimmt wird. Die geringste Anzahl Schwingungen, welche eine Tonempfindung entstehen lassen, die geringste Intensit\u00e4t oder Dauer eines Beizes, also die Schwellen, dienen zur Pr\u00fcfung der Sensibilit\u00e4t. Auch bei der E. ist eine mittelbare und unmittelbare zu unterscheiden.\nAls allgemeine Bedingungen der E. und U. E. werden sodann (S. 39\u201447) die Aufmerksamkeit, die Erwartung und Gew\u00f6hnung, die Erm\u00fcdung und die \u00dcbung und ihr Einflufs auf das Experiment besprochen und die Frage nach der Messung der E. und U. E. aufgeworfen. Die Empfindungen selbst lassen sich nach K. im eigentlichen Sinne des Wortes nicht messen, wohl aber die E. und U. E. \u201eEs hat gar keine Schwierigkeit, von einer doppelten oder dreifachen E., bezw. U. E. zu reden\u201c (S. 48). \u201eWie wir die Kr\u00e4fte an den Beschleunigungen messen, die sie erteilen, so messen wir die E. und U. E. nicht etwa durch die unmefsbaren Empfindungen, sondern durch die Beize oder Beizunterschiede, aus denen wir ihr Verhalten bestimmen\u201c (ibid.). So gelangen wir denn endlich und erst jetzt zum Beiz als Mafs der E. und U. E.\nWarum hat auch hier wieder K. die Beziehung auf den Beiz in seiner Definition der E. und U. E. unterdr\u00fcckt? Dafs Fechner ihm hierin vorausgegangen sei, erscheint mir nicht richtig (cir.JSlem. d. Psychoph. S. 45 ff). Fechner sagt: \u201eSelbst bei gleicher Anbringungsweise kann ein und derselbe Beiz von einem Subjekte oder Organ st\u00e4rker oder schw\u00e4cher empfunden werden, als von einem anderen, von demselben Subjekte oder Organe zu einer Zeit st\u00e4rker oder schw\u00e4cher, als zu einer anderen; umgekehrt Beize verschiedener Gr\u00f6fse k\u00f6nnen nach Umst\u00e4nden gleich stark empfunden werden. Hiernach messen wir dem Subjekt oder Organe resp. zur einen und anderen Zeit eine gr\u00f6fsere oder geringere Empfindlichkeit bei.\u201c Und \u00e4hnlich im folgenden \u00fcber die U. E. Auch bei Fechner ist freilich der Begriff nicht scharf gefafst, Seine Definition pafst genau nur auf Erscheinungen, wie die der Adaptation beim Gesichts- und Temperatur sinn, auf die Ver\u00e4nderlichkeit der Beziehungen zwischen Beizen und Empfindungen, nicht auf diese Beziehung selbst. E. H. Weber sprach schon vor Fechner ganz allgemein von der Notwendigkeit, zu untersuchen, wieweit unsere Empfindlichkeit, unsere Sinne im st\u00e4nde seien, den Beizen und den Unterschieden der Beize gerecht zu werden. In der That handelt es sich beim Begriff der E. und U. E. lediglich um die F\u00e4higkeit, die Beize und Beizunterschiede, nicht um die F\u00e4higkeit, Empfindungen und Empfindungsunterschiede zu bemerken. Nicht als ob","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n31\ndi\u00a9 Reize selbst als solche auffafsbar w\u00e4ren. Aber es wird gefragt, wieweit den Reizen und den Ver\u00e4nderungen der Reize Empfindungen und Unterschiede der Empfindungen entsprechen. Eine doppelte, dreifache E. u. U. E. w\u00fcrde nach der Definition K.\u2019s nur demjenigen zugesprochen werden d\u00fcrfen, der die doppelte, dreifache F\u00e4higkeit bes\u00e4fse, Empfindungen und Empfindungsunterschiede zu erleben und mitzuteilen, wie ein anderer, oder wie er selbst zu anderer Zeit und unter anderen Umst\u00e4nden. Die Bemerkbarkeit der Empfindungsunterschiede h\u00e4ngt aber von keiner besonderen F\u00e4higkeit oder Disposition ab. Dem Farbenblinden fehlt keineswegs blofs die F\u00e4higkeit, die vorhandenen Farbenempfindungen zu bemerken, es fehlen ihm vielmehr die Empfindungen selbst. Empfindungsunterschiede sind bemerkbar, sobald sie da sind. Diese Voraussetzung mufs jeder machen, der in der Psychologie von der inneren Wahrnehmung, als dem einzigen Mittel zur Feststellung psychologischer Thatsachen, ausgeht. Diese Voraussetzung leugnen heilst jeder Willk\u00fcr Raum geben, Empfindungsunterschiede, die nicht bemerkbar sind, kann es vor dem Forum der inneren Erfahrung nicht geben, sondern nur Empfindungsunterschiede, die aus besonderen Gr\u00fcnden, durch Mangel der Aufmerksamkeit, durch ung\u00fcnstige Bedingungen der Vergleichung that-s\u00e4chlich nicht bemerkt werden.\nIst dies richtig, so bedarf auch der Begriff der mittelbaren U. E. bei K. einer Berichtigung. Dieser bezieht sie auf die m\u00f6gliche Verschiedenheit der Aussage \u00fcber das psychische Erlebnis von dem Erlebnis selbst. Die sprachlichen Ausdr\u00fccke, so wird angenommen, k\u00f6nnten nicht als untr\u00fcgliche Ausdr\u00fccke der erlebten Thatbest\u00e4nde anzusehen sein (S. 74). Wenn ich zwei Empfindungen als gleich oder verschieden bezeichne, so brauchen sie darum nach K. nicht gleich oder verschieden zu sein. Bei eiligen Urteilen, die ohne \u00dcberlegung oder unter dem Drange falscher Versuchsbedingungen erfolgen, kann dies sich ereignen, und ereignet sich. Dem ruhigen Beobachter pflegt sich ein solches Vorkommnis sogleich l\u00e4stig bemerkbar zu machen ; er wird auf entsprechende \u00c4nderungen der Versuchsvorschriften sogleich bedacht sein. Als allgemeine Annahme \u00fcber die psychologischen Vorg\u00e4nge bei den normalen Urteilen \u00fcber Empfindungsverh\u00e4ltnisse scheint mir die hier vorliegende Auffassung unrichtig. Der sprachliche Ausdruck ist ein Zeichen f\u00fcr ein Erlebnis; nur auf dies letztere und seine M\u00f6glichkeit kommt es an. Der Fall, dafs zwei Empfindungen gleich erscheinen, dafs kein Unterschied zwischen ihnen bemerkbar wird, ist als inneres Erlebnis von dem Fall, wo sie verschieden erscheinen, ein Unterschied sich im Bewufstsein geltend macht, so leicht trennbar, dafs nur ein wirklicher, grober Irrtum zu einem der Wahrheit entgegengesetzten falschen Urteil f\u00fchren kann. Nur auf dies Gleicherscheinen, auf die scheinbare Gleichheit, auf das Wegfallen eines bemerkbaren Unterschiedes kommt es an. Wenn man behaupten wollte, die gleich erscheinenden Empfindungen seien vielleicht thats\u00e4chlich verschieden, so widerspricht dies wieder dem ersten Grunds\u00e4tze der Psychologie, nach welchem die innere Erfahrung f\u00fcr die Psychologie unter allen Umst\u00e4nden als mafsgebend anzuerkennen ist. Gleich erscheinende Empfindungen sind als gleich anzusehen, das ist die","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nBesprechungen.\neinzig m\u00f6gliche Anwendung des Satzes der Identit\u00e4t auf die innere Erfahrung, wenn man von einer solchen sprechen will.\nDer Begriff der mittelbaren und unmittelbaren U. E., wie er bei IL auftritt, scheint mir eine verkehrte theoretische Folgerung aus Vorkommnissen zu bedeuten, die bei unrichtig angestellten psychologischen Versuchen oder bei solchen Versuchen unter schwierigen Umst\u00e4nden sich einstellen. Die bekannten Gewichtsversuche nach Fechners ber\u00fchmtem Muster bilden ein Beispiel. Bei Hebung von Gewichten spielen schon infolge der Mitwirkung so vieler Organe (Muskel-, Gelenk- und Hautempfindungen) so viele Momente eine Bolle, dafs die zu beobachtenden Empfindungsvorg\u00e4nge auf keine Weise deutlich hervortreten k\u00f6nnen. Die Folge sind Schwankungen der Urteile und Schwierigkeiten, die selbst den vorsichtigsten Kautelen gegen\u00fcber nicht ganz aufgehen wollen. Solche Erfahrungen k\u00f6nnen dem Experimentator die Annahme nahe bringen, als ob das Urteil \u00fcber die Empfindungen nicht im st\u00e4nde sei, den Empfindungen gerecht zu werden. Und doch liegt meiner Meinung nach der Grund der Schwierigkeiten lediglich in der Verwickelung der Versuchsbedingungen und der damit verbundenen Undeutlichkeit oder Inkonstanz der Empfindungen selbst. Mir scheint daher eine andere Folgerung die richtigere. Psychologische Versuche sollten m\u00f6glichst nur bei so vereinfachten Versuchsbedingungen ausgef\u00fchrt werden, dafs solche Urteilsschwankungen ausgeschlossen sind. Auf die Erforschung der den Urteilen zu Grunde liegenden Empfindungs-thatsachen ist die Absicht gerichtet; die Urteile sind nur ein Ausdruck f\u00fcr sie; ihnen steht man aber so lange fern, als Schwankungen der Urteile in dem Sinne K.\u2019s eintreten. Will man auf diesem Standpunkte von unmittelbarer und mittelbarer U. E. weiter reden, so kann dies nur in dem Sinne geschehen, dafs unter unmittelbarer U. E. diejenige verstanden wird, welche sich auf deutliche und klare Empfindungsverh\u00e4ltnisse st\u00fctzt, unter mittelbarer diejenige, \u00fcber welche bei verwickelten Versuchsbedingungen durch vorsichtige Schl\u00fcsse eine vorl\u00e4ufige und hypothetische Ansicht gewonnen wird. Es w\u00e4re dann die Aufgabe der fortschreitenden Experimentier kunst, m\u00f6glichst \u00fcberall der unmittelbaren U.E. Geltung zu verschaffen. Bichtiger spricht man dann freilich von mittelbaren und unmittelbaren Methoden zur Erforschung der E. und U. E., da die E. und U. E. selbst stets die gleichen sind, nur dafs wir in einem Falle ihre Verh\u00e4ltnisse direkt feststellen, im anderen Falle \u00fcber dieselben nur ein unvollkommenes und ann\u00e4herndes Bild erhalten k\u00f6nnen.\nNachdem K. endlich die Notwendigkeit, den eben merklichen Unterschied der Empfindungen oder die e. m. Empfindung zu bestimmen, hervorgehoben hat, definiert er die Beizschwelle (0) als e. m. Beiz, den e. m. Beizunterschied als Unterschiedsschwelle (S). Das Ziel der Messung der E. ist entweder die Feststellung von 0 oder die Feststellung der scheinbaren Gleichheit zweier Beize (r), insofern man einmal die Empfindung mit den Beizen vergleichen kann, zweitens aber auch die Empfindung einer Stelle oder einer Person mit der einer anderen Stelle oder Person; das Ziel der Messung der U. E. ist die Gr\u00f6fse S oder die","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n33\nscheinbare Gleichheit zweier Beizunterschiede (Ar) (S- 51). K. nennt die Ermittelung von 0 und S eine \u201eBeizbestimmung\u201c, resp. \u201eUnterschiedsbestimmung\u201c, dagegen das Verfahren, die scheinbare G-leichheit von Beizen herzustellen, \u201eBeizvergleichung\u201c, die scheinbare Gleichheit von Beizunterschieden aufzufinden, \u201eUnterschiedsvergleichung\u201c.\nSo wenig wir mit dem Wege einverstanden waren, auf welchem K. zu diesen Endbestimmungen gelangt ist, so k\u00f6nnen wir doch uns mit denselben einverstanden erkl\u00e4ren. Sie scheinen uns mit unserer eigenen Anschauung besser im Einklang zu stehen, als mit derjenigen des Autors selbst Jedenfalls sind die vier Begriffe klar und auch geeignet, die allgemeinen Aufgaben der Empfindungsmessung oder der exakten Feststellung der Beziehungen zwischen Beiz und Empfindung zu bezeichnen. Dieselben liegen nun auch der sich anschliefsenden Darstellung der Mafs-methoden zu Grunde, die mir einer der sorgf\u00e4ltigsten und gelungensten Abschnitte des Buches zu sein scheint. Der augenf\u00e4llige Fortschritt liegt in der gleichzeitigen Ber\u00fccksichtigung der Untersuchung der Qualit\u00e4tsund Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse, w\u00e4hrend infolge des FECHNERSchen Beispieles die Methodenlehre sich bisher zu ausschliefslich der Lehre von der Intensit\u00e4t der Empfindungen anzuschliefsen pflegte. Freilich d\u00fcrften infolge dieser Neuerung an die Methodenlehre noch weitergehende Anspr\u00fcche zu stellen sein. Auf die Aufstellungen K.\u2019s im einzelnen und die Abweichungen unserer Ansicht, die zum guten Teil eine einfache Folge der verschiedenen Voraussetzungen sind, hier einzugehen, w\u00fcrde zu weit f\u00fchren.\nDen Schlafs des Abschnittes bildet eine Er\u00f6rterung des Beizbegriffes und der Nervenerregung (S. 81\u201489). Aufsere und innere Beize, physikalische und chemische, ad\u00e4quate und inad\u00e4quate werden unterschieden sodann die Elemente des Nervensystems kurz angegeben und schliefslich das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien und der Begriff der Nervenerregung wesentlich im Sinne Wundts besprochen. Beim Gesetz der spezifischen Sinnesenergien handelt es sich unseres Erachtens in seiner fr\u00fcheren Fassung um eine falsche Formulierung richtiger Beobachtungen. Es wird der Schein erweckt, als ob in der spezifischen Energie eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Qualit\u00e4t der Empfindungen liegen k\u00f6nne. Dem gegen\u00fcber wird von K. mit Becht betont, dafs nur in der Verbindung mit den spezifischen peripheren Sinnesorganen die spezifische Leistung m\u00f6glich ist. In dieser liegt nun aber auch keine Erkl\u00e4rung der Qualit\u00e4ten. Ich glaube daher, dafs K. bereits wieder zu weit geht, wenn er sagt : \u201ewenn \u00fcberhaupt von spezifischen Energien geredet werden soll, so k\u00f6nnen sie nur in die peripherischen Sinnesorgane verlegt werden\u201c (S. 87). Denn die peripheren Sinnesorgane sind auch nur ein Glied in der Kette des ganzen hierhergeh\u00f6rigen Thatsachenkomplexes ; jedes Glied, die \u00e4ufseren physikalischen und chemischen Beizvorg\u00e4nge, die periphere Erregung, die Nervenerregung, die zentrale Erregung und schliefslich die Empfindung ist in bestimmter Weise an der Entstehung des Ganzen beteiligt, aber kein einziges birgt dessen Erkl\u00e4rung oder ist Ursache des Endeffektes vor den anderen. Liegt doch das B\u00e4tsel des Verh\u00e4ltnisses von Subjekt und Objekt, innerer und \u00e4ufserer Erfahrung, mitten in der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IX.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nBestechungen.\nganzen Kette. Keine Annahme irgend welcher Art \u00fcber \u201espezifische\u201c Erregungen kann die Schwierigkeit dieses Verh\u00e4ltnisses beseitigen.\nAus der sich anschliefsenden Darstellung der peripher erregten Empfindungen (S. 89\u2014174) ist der Abschnitt \u00fcber die Muskel-, Sehnen-und Gelenksensibilit\u00e4t hervorzuheben. Hier werden die neueren Untersuchungen, besonders diejenigen Goldscheiders, in ansprechender Weise zur Zergliederung der Bewegungsempfindungen benutzt. Was die \u2022 Theorie der Farbenempfindungen betrifft, so nimmt K. f\u00fcr Hering gegen Helmholtz Partei, empfiehlt aber als die zur Zeit vollkommenste L\u00f6sung der Frage Wundts Stuf en th\u00e9orie.\nGenauer m\u00fcssen wir uns wieder mit der nun folgenden Schilderung der \u201ezentral erregten Empfindungen\u201c (S. 174\u2014230) besch\u00e4ftigen. Wir gelangen hier zu dem innersten Kern der Grundanschauungen K.\u2019s. Zentral erregte Empfindungen werden die reproduzierten Empfindungen (Vorstellungen) genannt. Von diesen bestreitet K. zun\u00e4chst, dafs sie einfache Wiederholungen schon dagewesener Empfindungen oder Vorstellungen sind. Das Wiedererkennen kann nach ihm als ein Beweis nicht angef\u00fchrt werden. Es giebt ein unmittelbares und ein mittelbares Wieder er kennen. Das letztere, mit H\u00fclfe reproduzierter Vorstellungen, welche die fr\u00fchere Situation andeuten, findet \u201enur selten\u201c statt (S. 177). Die Bekanntheitsqualit\u00e4t im Falle des unmittelbaren Wiedererkennens besteht \u201eteils in der besonderen, zentral erregenden Wirksamkeit der bekannten Eindr\u00fccke, teils in der eigent\u00fcmlichen Stimmung, in die sie uns zu versetzen pflegen und in der wir sowohl angenehme oder wenigstens beruhigende Gef\u00fchlszust\u00e4nde, als auch entsprechende Organempfindungen zusammenfassen\u201c (S. 178). Diese besondere, zentral erregende Wirksamkeit ist h\u00e4ufig nur die Urproduktion des Namens \u201ebekannt\u201c und zeigt sich sonst in der Anregung mannigfaltiger \u00f6rtlicher, zeitlicher, begrifflicher Vorstellungen (S. 178). Beim unmittelbaren Wiedererkennen ist also von der Wiederkehr bereits gewesener, peripher erregter Empfindungen keine Bede. Das mittelbare Wie der erkennen l\u00f6st sich f\u00fcr den Fall, dafs die Umgebung des wiedererkannten Objektes die fr\u00fchere ist, in eine Reihe von Akten des unmittelbaren Wiedererkennens auf. Anderenfalls wird die fr\u00fchere Umgebung reproduziert. Aber auch dann wird nach K. das Objekt mit dem eigenen Erinnerungsbilde nur \u201eganz ausnahmsweise\u201c verglichen, die Identit\u00e4t von Erinnerungsbild und Wahrnehmungsbild also nicht bewiesen. K. sieht dabei nicht, dafs man diese \u201eIdentit\u00e4t\u201c verwerfen kann, ohne deshalb zuzugeben, dafs die Erinnerungsbilder nicht Erneuerungen von Wahrnehmungen sind.\nIst Erinnerung nicht \u201egleich der .Reproduktion dessen, woran wir uns erinnern\u201c (S. 183), so bed\u00fcrfen die Eigenschaften der Erinnerungsvorstellungen oder zentral erregten Empfindungen einer selbst\u00e4ndigen Untersuchung. Dafs sie einer solchen auch als Erneuerungen fr\u00fcherer Wahrnehmungen bedr\u00fcften, wird wieder nicht beachtet, \u2014 Wie verhalten sie sich also zu den peripher erregten Empfindungen ? Aus den That-sachen der Illusion folgt, dafs vielleicht zentral erregte Empfindungen mit peripher erregten gleichwertig sind; denn sie erscheinen hier gleichwertig. Bei Versuchen ferner, die K. selbst in einem Dunkelzimmer","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n35\n#\nangestellt hat, zeigte sich, dafs in der N\u00e4he der Schwelle das Urteil \u00fcber sehr schwache Lichteindr\u00fccke ein schwankendes ist, und dafs dieselben zuweilen f\u00fcr subjektiv gehalten werden, dafs auch zuweilen der Lichtnebel f\u00fcr einen objektiven Eindruck erkl\u00e4rt wird. Bei der ver\u00e4nderlichen Natur des Lichtnebels ist dies nicht einen Augenblick zu verwundern, zumal die Erscheinung bei zunehmender Beizgr\u00f6fse schnell aufh\u00f6rt. K. glaubt aus seinen Beobachtungen folgern zu d\u00fcrfen, \u201edafs die Intensit\u00e4t zentral erregter Empfindungen normalerweise nur eine sehr schwache ist\" (S. 186). Auch soll die Anzahl der Qualit\u00e4ten bei den zentral erregten Empfindungen geringer sein, als bei den peripher entstandenen, T\u00f6ne, die voneinander um eine halbe Schwingung verschieden sind, in der Erinnerung nicht unterschieden werden k\u00f6nnen, die Stufen der Helligkeiten in der Erinnerung hinter den peripher m\u00f6glichen Zur\u00fcckbleiben. Ich mufs das bestreiten. Man kann sich sehr lebhaft nach Versuchen mit minimalen Beizunterschieden der eben merklich gefundenen Unterschiede erinnern, sowohl bei T\u00f6nen, wie bei Lichteindr\u00fccken, wie auch bei Zeitunterschieden. Man kann auch die in den Versuchen gewonnene Kenntnis bei der Beurteilung neuer Erlebnisse benutzen. Die durch Versuche eintretende \u00dcbung, welche es erm\u00f6glicht, kleinste Zeitunterschiede richtig zu deuten, wird nur gewonnen durch die Beproduktionsf\u00e4higkeit der Erlebnisse, in welcher die kleinsten Zeitunterschiede zum Bewufstsein kamen. Dafs man nicht die s\u00e4mtlichen Gradabstufungen, die m\u00f6glich sind, in der Erinnerung gegenw\u00e4rtig haben kann, beweist noch nicht, dafs die Erinnerung nicht der gleichen Abstufungen, wie die Perzeption, f\u00e4hig ist. Aller Eindr\u00fccke, die man an einem Theaterabend erlebt, kann man sich erinnern, und doch fehlt die M\u00f6glichkeit, ein ganzes St\u00fcck, eine ganze Oper im Ged\u00e4chtnis gegenw\u00e4rtig zu haben.\nBichtig bleibt trotzdem, dafs Verschiedenheiten zwischen zentral erregten und peripher erregten Empfindungen vorhanden sind, und dafs eine solche Verschiedenheit derselben notwendig ist, damit eine Erinnerung zu st\u00e4nde kommen kann. Es w\u00e4re ja sonst Illusion und Wirklichkeit nicht auseinanderzuhalten. K. geht jedoch weiter. Da er vorher jede Br\u00fccke zwischen den Ged\u00e4chtnisbildern und ihren fr\u00fcheren peripheren Ursachen abgebrochen zu haben glaubt, entsteht f\u00fcr ihn das Problem, wie jene denn \u00fcberhaupt auf diese zur\u00fcckzuweisen im st\u00e4nde seien, f\u00fcr jeden, der die Erinnerungsvorstellungen als Folgen der ihnen vorangegangenen Wahrnehmungen ansieht, eine sehr sonderbare Frage. Ebenso sonderbar die Antwort. Von der Gleichheit des Inhaltes wird ganz abgesehen. Die zentral erregten Empfindungen sind nach K. nur Symbole und Zeichen f\u00fcr das Wahrgenommene, \u00e4hnlich wie die Worte Zeichen f\u00fcr die ihnen entsprechenden Vorstellungen und Begriffe sind. Solcher Symbole giebt es noch mehr; so Sprachbewegungen, die in eindeutiger Beziehung zu Wahrnehmungen stehen sollen. \u201eDie Erinnerung an ein Ereignis besteht einfach nur in seiner sprachlichen Beschreibung\" (S. 189). Es wird dabei vollst\u00e4ndig verkannt, dafs die blofse \u201eBeschreibung\", die Beproduktion einer Summe von Wort- und Lautbildern, an sich keinen anderen Inhalt als sich selbst hat, und dafs sie diesen\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nBesprechungen.\nlediglich durch die Beziehung zu anderen Erinnerungsvorstellungen, dem \u25a0 Inhalte des beschriebenen Ereignisses, erh\u00e4lt. Und so schliefst diese Untersuchung mit der Behauptung, dafs an sich nichts eine Erinnerung oder Phantasie ist. \u201eVielmehr wird etwas erst zur Erinnerung durch ein Urteil, das sich mit ihm verbindet, und dieses Urteil kann aufser-ordentlieh verschiedene Anl\u00e4sse haben\" (S. 190). Es kann auch in der blofsen Reproduktion des Wortes \u201ebekannt\u201c bestehen.\nDer Kritik des Begriffes der Reproduktionsvorstellung folgt die des Assoziationsbegriffes. K. hebt zun\u00e4chst hervor, dafs die Lehre von der Assoziation keineswegs die Sicherheit und Konstanz zeigt, die n\u00f6tig w\u00e4re, falls man die Assoziationsgesetze mit dem G-ravitationsgesetze in Parallele stellen oder zum Grundgesetze der inneren Erfahrung machen will. Es beruhen auch nicht alle Reproduktionen auf Assoziation; das beweisen die frei steigenden Vorstellungen, sowie der Umstand, dafs es eine mittelbare Reproduktion ohne Assoziation giebt, bei neuen Eindr\u00fccken, die in irgend einer Weise in das Bewufstseinsmaterial eingegliedert werden, ohne dafs doch bereits eine Assoziation best\u00e4nde.\n* \u2022\nDie Ahnlichkeitsassoziationen w\u00fcrden einen weiteren Fall abgeben. K. glaubt jedoch, dafs die Assoziationen nach \u00c4hnlichkeit sich in den meisten F\u00e4llen auf solche der Kontiguit\u00e4t zur\u00fcckf\u00fchren lassen, \u00fcberall dort, wo ein identischer Faktor die \u00c4hnlichkeit vermittelt. Wo dies nicht der Fall ist, wie bei einem Bilde, einer Photographie, soll die Assoziation unm\u00f6glich werden, eine Erinnerung erst eintreten, wenn ein Wissen um die Bedeutung des Bildes, der Photographie bereits vorhanden ist. Danach w\u00fcrde man die zugesandte Photographie eines Freundes nur erkennen k\u00f6nnen, wenn der Karne darauf steht! Als ob nicht vielfach ein Bild an eine Person erinnerte, zu der gar keine Beziehung vorhanden ist. Wo blieben die ber\u00fchmten Familien\u00e4hnlichkeiten ? Wenn man in allen solchen F\u00e4llen \u201eidentische\" Faktoren annimmt, erh\u00e4lt das Wort identisch die Bedeutung \u00e4hnlich.\nAlle Reproduktion, so wird noch hinzugef\u00fcgt, beruht auf bestimmten Einfl\u00fcssen physiologischer Art; das beweisen die Beobachtungen der Gehirn-Physiologie und -Pathologie. \u201eBesteht aber eine solche Abh\u00e4ngigkeit der assoziierten Vorstellungen von den im Gehirn ablaufenden Prozessen, so kann eine besondere kausale Verkn\u00fcpfung der Vorstellungen entbehrt werden\u201c (S. 190).\nSoweit die Kritik, welche K. an den Begriffen der Reproduktion und Assoziation \u00fcbt. Kun seine eigenen Aufstellungen. Was wir von den zentral erregten Empfindungen wissen, beschr\u00e4nkt sich zun\u00e4chst auf die Aussagen unserer inneren Erfahrung. Danach ist das Auftreten der zentral erregten Empfindungen von allgemeinen Bedingungen abh\u00e4ngig, von der \u201eAufmerksamkeit, den Gef\u00fchlen, dem Willen u. dergl.\u201c, ohne dafs dies Bedingungen f\u00fcr bestimmte Reproduktionsvorkommnisse w\u00e4ren. Die speziellen Bedingungen solcher heifsen bei K. \u201eReproduktionsmotive\u201c und \u201eReproduktionsgrundlagen\u201c. Jene sind die Empfindungen, die zur Entstehung einer Reproduktion Veranlassung geben; diese sind die peripher erregten Empfindungen, auf denen sie beruhen, jene gehen auf die \u201eReproduktionstendenz\u201c zwischen Empfindungen, diese gehen auf die","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n37\n\u201eBeproduktionstreue\u201c. Das sind nach aller Kritik nur neue Namen, keine neue Sache. Denn was sind die Beproduktionsmotive ? Nichts anderes, als das Gesetz der Assoziation der Vorstellungen infolge ihrer Kontiguit\u00e4t: \u201eEmpfindungen, die einmal im Bewusstsein zusammen waren, begr\u00fcnden eine Tendenz zur Beproduktion in dem Sinne, dafs, wenn die eine von ihnen wiedererregt wird, auch eine der anderen \u00e4hnliche zu entstehen pflegt\u201c. Dahei sei angemerkt, dafs das Wort Beproduktions-motiv zu beanstanden ist. Motive sind Beweggr\u00fcnde; Empfindungen haben also keine Motive; auch vom Standpunkt des Beproduzierenden aus kann die wiedererweckte erste Vorstellung, mit welcher eine zweite assoziiert ist, nicht als Motiv zur Wiedererzeugung der letzteren oder einer ihr gleichenden angesehen werden. Die Beproduktionsgrundlagen sodann sind wieder nichts anderes, als der \u201eThatbestand, wonach das im Ged\u00e4chtnis Befindliche, das Beproduzierbare, stets eine Wiederholung, Erneuerung eines fr\u00fcher Wahrgenommenen ist\u201c. (S. 209.) Es w\u00fcrde auch nach K. keine zentral erregten Empfindungen geben, wenn es keine peripher erregten gebe. Nur darf man die Beproduktionsvorstellungen nicht als einfache Wiederholung der WahrnehmungsVorstellungen oder als unab\u00e4nderliche, wenn auch schw\u00e4chere Abbilder derselben ansehem Daraus darf aber nach K. durchaus nicht auf die wesentliche Gleichheit der urspr\u00fcnglichen und der erinnerten Vorstellungen geschlossen werden. Hier\u00fcber wissen wir nach ihm zur Zeit wenig. Aus Versuchen, wie diejenigen Lehmanns \u00fcber die ged\u00e4chtnism\u00e4fsige Urteilsf\u00e4higkeit \u00fcber Helligkeitsstufen oder Wolfes \u00fcber das Tonged\u00e4chtnis ist nichts \u00fcber diesen Punkt auszumachen. Sie beziehen sich auf \u201edas Bestehen und die Kraft von Beproduktionstendenzen\u201c. K. denkt sich, dafs bei diesen Versuchen die Urteile \u201egleich\u201c, \u201eungleich\u201c, \u201ebekannt\u201c, \u201eunbekannt\u201c ohne jede Mitwirkung der Erinnerung zu st\u00e4nde kommen. Auf physiologischem Wege werden die Namen \u201ebekannt\u201c und \u201egleich\u201c nach einem \u201eGesetz der Ausschaltung\u201c (n\u00e4mlich der Ausschaltung vermittelnder Prozesse) direkt reproduziert. Es m\u00fcfste dann der Fall Vorkommen k\u00f6nnen und h\u00e4ufiger Vorkommen, dafs wir uns an eine Klasse fr\u00fcherer Eindr\u00fccke nicht im geringsten mehr erinnerten und doch, falls ein gleichartiger Eindruck uns trifft, ein Urteil \u00fcber ihn bes\u00e4fsen. Den Fall gesetzt, die Erinnerung an s\u00e4mtliche T\u00f6ne sei aus meinem Ged\u00e4chtnis so erloschen, dafs mein Tonbewufstsein demjenigen eines von Geburt an Tauben gliche, und ich h\u00f6rte einen beliebigen Ton, so w\u00fcrde ich nach K. infolge eines zentralen physiologischen Vorganges, \u201eder nicht einmal das Besiduum der das Bezugsobjekt bildenden Empfindung zu sein braucht\u201c S. 214), im st\u00e4nde sein, diesen Ton in seiner H\u00f6henqualit\u00e4t oder nach anderen Eigenschaften zu bestimmen. Ich weifs nicht, ob K. diese* Konsequenz ziehen wird. Sie liegt jedenfalls innerhalb seiner Annahmen^ Aus den Versuchen Lehmanns und Wolfes folgt sie aber nicht; dieselben gehen lediglich darauf aus, die Beproduktionstreue zu bestimmen. Die ganze Anschauung K.\u2019s ist aus theoretischen Gr\u00fcnden hineingetragen Die zentral erregten Empfindungen sollen m\u00f6glichst von den Wahrnehmungsvorstellungen verschieden und etwas m\u00f6glichst Selbst\u00e4ndiges sein. K. schliefst daher seine Er\u00f6rterungen, indem er wieder zur\u00fcck-","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nBesprechungen.\nnimmt, was er eben der hergebrachten Anschauung zugestanden hat, Die in der inneren Wahrnehmung gegebenen Bedingungen der Reproduktion sind nicht die eigentlichen Bedingungen derselben, \u201esondern nur Symbole oder Andeutungen der wahren\u201c (S. 224). Die wahren Bedingungen sind Erregungsvorg\u00e4nge im Gehirn, die genau zu bestimmen noch Schwierigkeiten bietet. Kt glaubt sie als superponierte Erregungen der einzelnen Zentralbezirke ansehen zu d\u00fcrfen. \u201eDer Mechanik der nerv\u00f6sen Substanz m\u00fcssen wir es Zutrauen, dafs sie die allgemein geltende spezielle Bedingung aller empirischen Reproduktionen, das Zusammen im Bewulstsein, in sich darstelle und alle Einfl\u00fcsse ber\u00fccksichtige, die wir f\u00fcr die Wirksamkeit dieser Bedingung nach der inneren Wahrnehmung mafsgebend fanden\u201c (S. 229). F\u00fcr dieses Zusammen im Bewuist-sein ist vielleicht \u201eein besonderes physiologisches \u00c4quivalent, ein Zusammenstr\u00f6men der einzelnen sensorischen Erregungen in einem h\u00f6chsten Zentralorgan, dem anatomisch dazu berufenen Stirnhirn\u201c, anzunehmen. Der Einflufs der Aufmerksamkeit deutet darauf hin. Nehmen wir noch die hier eingestreute Bemerkung hinzu, dafs die Apperzeption Richtung und Beschaffenheit des Gedankenlaufes bestimmt, der ohne das Gegengewicht des Willens den starken peripheren Einwirkungen ausgeliefert \u00abein w\u00fcrde, dafs die Apperzeption aber nichts anderes sei, als die Folge der Gesamtheit der fr\u00fcheren (phylogenetischen) Erfahrungen und an sich im grofsen Reich des TTnbewufsten, den physiologischen Vorg\u00e4ngen verbleibe, so liegt die Grundtendenz dieser neuesten Darstellung der Psychologie klar genug vor Augen. Von Anfang an sollte die Psychologie ihr Hauptaugenmerk auf die Abh\u00e4ngigkeitsbeziehung des Geistigen vom K\u00f6rperlichen richten. Wir sehen jetzt, dafs die physiologischen Prozesse die eigentliche Erkl\u00e4rung der gesamten Bewufstseinswelt enthalten, dafs die Mechanik der Nervensubstanz, wie ein richtiges gelerntes Unbewufstes, die Erfahrungen der Menschheit aufzeichnet und die Reproduktionen im Individuum leitet, also auch im Sinne K.\u2019s das Urteilen und die geistige Entwickelung allein herverbringt. Dann ist jede Bem\u00fchung um die psychologische Erkl\u00e4rung der h\u00f6heren Bewufstseinsvorg\u00e4nge unn\u00f6tig. Es giebt peripher und zentral erregte Empfindungen und deren Verbindungen. Alles \u00dcbrige besorgen die physiologischen Prozesse, das Unbewufste, das hinter unserer geistigen Natur als deren eigentlicher Vater und Erzeuger ein unbegreifliches, aber staunenswertes Dasein f\u00fchrt.\nWir haben bereits im Verlaufe der Darstellung gegen die Einzelaufstellungen K.\u2019s unsere Einwendungen gemacht. Nur noch einige Bemerkungen im Allgemeinen. K. begeht den Widerspruch, dafs er einmal die Reproduktionsvorstellungen als Folgen der Wahrnehmungen ansieht, dann aber doch wieder bestreitet, dafs sie mit denselben etwas zu thun haben. Anstatt sich zu begn\u00fcgen, den Irrtum zu beseitigen, der in der Annahme der Identit\u00e4t beider liegen w\u00fcrde (Vorstellungen sind Funktionen, keine Wesen) macht er aus den Reproduktionsvorstellungen eigenartige Empfindungen und sieht von ihrer Inhaltsgleichheit mit den Wahrnehmungen ganz ab. Dadurch glaubt er ihnen die eben geleugnete Selbst\u00e4ndigkeit wieder schaffen zu k\u00f6nnen, die n\u00f6tig ist, damit sie als zentral erregte Empfindungen mit den peripher erregten auf gleicher","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n39\nStufe stehen. Dem gegen\u00fcber ist zu betonen, dafs scbleebterdings an den Aussagen der inneren Erfahrung festzuhalten ist, nach welcher die ErinnerungsVorstellungen von den peripher erregten verschieden, ihrem Inhalte nach ihnen aber bis ins einzelste gleich sind. Die Verschiedenheit besteht in dem Wegfallen des Zwanges der Perzeption, der den Sinnesvorstellungen eigen sein kann, in der gr\u00f6fseren Beweglichkeit und geringeren Permanenz der G-ed\u00e4chtnisbilder, in ihrer wechselnden und von der Zeit abh\u00e4ngigen Deutlichkeit, wie in allen den Unterschieden, welche bei Besprechung der \u201eTreue\u201c derselben aufgef\u00fchrt zu werden pflegen. Aus dieser inhaltlichen Gleichheit und doch vorhandenen Verschiedenheit folgt die Erkennbarkeit der Reproduktionsvorstellungen als solcher von selbst. Es folgt aber auch f\u00fcr die zu Grunde liegenden psychophysischen Prozesse, dafs dieselben in \u00e4hnlicher Weise denjenigen, welche den peripher erregten Empfindungen entsprechen, als gleich und doch wieder von ihnen verschieden angenommen werden m\u00fcssen. Nur durch Mifs-achtung dieser notwendigen Konsequenz konnte K. den Satz aufstellen, dafs nichts eine Erinnerung an sich ist, sondern es erst durch ein Urteil wird. Denn die Scheinbarkeit dieses Satzes beruht allein auf der M\u00f6glichkeit, die Gehirnerregungen lediglich als solche, als Gehirnerregungen, ohne Beachtung ihrer Unterschiede, zu betrachten. Macht man mit dem Gedanken Ernst, so zeigt sich der Widerspruch sofort. Sind die Erregungen wirklich \u201ean sich\u201c gleich, und ist nicht der geringste Unterschied, so kann keine Macht der Erde, auch nicht ein sp\u00e4teres Urteil oder ein noch so kluges Unbewufstes aus den \u201ean sich\u201c gleichen Erregungen verschiedene Dinge machen. Sind die Erregungen aber gerade dadurch verschieden, dafs nur die eine Art ein solches Urteil \u201eauszul\u00f6sen\u201c versteht, so sind sie schon verschieden, und der Satz ist hinf\u00e4llig.\nEine Mifsachtung der Thatsachen der inneren Erfahrung liegt auch in der Auffassung des Urteilsprozesses als \u201eAusl\u00f6sung\u201c. Ausgel\u00f6st wird ein materieller Vorgang durch einen anderen ; insofern jedes Urteil durch bereits vorhandene geistige Potenzen und deren materielle Gegenbedingungen mitbedingt wird, so kann man die materielle Seite eines Urteils als Ausl\u00f6sungsvorgang ansehen. Wenn man aber willk\u00fcrlich in irgend einem Stadium dieses Gesammtprozesses von der Vorstellung des \u00e4ufseren Geschehens in das innere hin\u00fcberspringt, so mufs auch die Ber\u00fccksichtigung des besonderen inneren Zusammenhanges der psychischen Vorg\u00e4nge sogleich wieder in ihr Recht treten. Das Urteil \u201egleich\u201c oder \u201everschieden\u201c wird nicht ausgel\u00f6st; es entwickelt sich und ist ein Ausdruck der nur innerlich gegebenen Thatsache, dafs zwei gleiche oder verschiedene Empfindungen vorhanden sind und als solche bewufst (apperzipiert) werden. Auf den sprachlichen Ausdruck, auf das Wort \u201egleich\u201c oder \u201everschieden\u201c kommt es dabei \u00fcberhaupt nicht an. Sobald die Verschiedenheit zweier Empfindungen zum Bewufstsein kommt, ist das Urteil, sie seien verschieden, schon vorhanden (prim\u00e4res Urteilen, Apperzeption, Vergleichung), ob der Ausdruck hinzukommt oder nicht sobald das Bewufstsein fehlt, fehlt auch das Urteil.\nGiebt man dies zu, so erhalten die Denk- (Urteils-) Vorg\u00e4nge eine ganz andere Bedeutung, als sie bei K. haben. Auch bei ihm spielen sie","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nBesprechungen.\neine Rolle, ohne jedoch auf die Grundanschauungen einen Einflufs zu gewinnen. Bei der Methodenlehre nimmt K. die F\u00e4higkeit, Unterschiede zu erleben und zu konstatieren, als Ausgangspunkt; er definiert so die U. E. Das Urteilen soll auch die ErinnerungsVorstellungen zu dem machen, was sie sind. Trotzdem ist zu einer Psychologie des Urteils nicht einmal ein Versuch gemacht. Das Urteilen bleibt eine hinter der Psychologie liegende Voraussetzung. Die Thatsache des Analysieren s tritt hinter den Resultaten desselben, den Empfindungen, vollst\u00e4ndig zur\u00fcck. Empfindungen giebt es aber offenbar nur als Produkte des Analysierens, und Analysieren ist Urteilen. Das mufs f\u00fcr die Bewertung jener Produkte von Wichtigkeit sein. Empfindungen sind gar nicht das, wozu sie bei K. werden, absolute Bewufstseinselemente, als psychischer Ausdruck der realen Gehirnerregungen. Sie sind Resultate der Abstraktion, die einfachsten Elemente, in die sich die gegebenen Wahrnehmungen vor dem Forum der inneren Erfahrung zerlegen lassen. Urspr\u00fcnglicher sind die Wahrnehmungen und das Urteilen. In den \u00e4ufseren Wissenschaften haben die Begriffe, zu denen diese gelangen, eine \u00e4hnliche Stellung. Die Begriffe sind Erkenntnisprodukte, die aus den Wahrnehmungsvorstellungen durch die denkende Bearbeitung geschaffen werden. Sie erhalten daher ihre Form notwendig durch das Denken. Wird auf diese erkenntnis-theoretisch en Thatsachen R\u00fccksicht genommen, so ist ein Sensualismus, wie ihn K. vertritt, von vornherein unm\u00f6glich. Die Neigung zur Metaphysik, die nat\u00fcrliche Annahme, dafs die Erkenntnisprodukte die wahren Dinge sind, scheint freilich unausrottbar. Es wird nicht viele Naturforscher geben, denen nicht ihre Begriffswelt, die Welt der Atome und Molekeln, als die einzige und eigentlich reale Welt erscheint. \u00c4hnlich scheint es mir K. ergangen zu sein. Er hat die Produkte seiner Analyse, die Empfindungen, zur eigentlich realen Welt gemacht, freilich in der Weise, dafs er ihre materiellen Grundlagen als wichtigsten Bestandteil in den Empfindungsbegriff einbezog. Dann besteht die Welt in Empfindungen. Das Denken aber bleibt aufserhalb der Welt, bleibt unerkl\u00e4rt oder f\u00e4llt dem grofsen Unbewufsten anheim. Ich meine, dafs der erste Versuch, seine Anschauungen erkenntnis-theoretisch zu begr\u00fcnden, dem Verfasser die Unzul\u00e4nglichkeit seines Standpunktes darthun wird.\nDer zweite Teil des Buches scheint mir das Gesagte lediglich zu best\u00e4tigen. Es geht demselben der Abschnitt \u00fcber die Gef\u00fchle voran (S. 280\u2014283), \u00fcber den noch kurz berichtet werden soll. Bei den Gef\u00fchlen soll nach K. kein Unterschied zwischen den peripher erregten und zentral erregten sein. Soviel ist jedenfalls zuzugeben, dafs ein erinnertes Gef\u00fchl sehr leicht in ein aktuelles mit affektivem Wert \u00fcbergeht. Wenn aber K. meint, dafs hierauf die M\u00f6glichkeit einer eud\u00e4monistischen Ethik beruht, so w\u00e4re dies nur richtig, wenn die Lebhaftigkeit eines Gef\u00fchls mit der Wirkung auf den Willen identisch w\u00e4re. Das ist aber keineswegs der Fall. Die Bewufstseinserscheinungen lassen sich \u00fcberhaupt nicht unter dem Gesichtspunkt sich um die Herrschaft streitender Kr\u00e4fte begreifen, auch nicht vom Standpunkte der ihnen parallelen psychophysischen Erregungen aus. Denn in welcher Art die Gr\u00f6fsen der aus-","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n41\ngel\u00f6stes lebendigen Kr\u00e4fte mit. den parallelen Bewufstseinserscheinungen verbunden sind, welcher auf die Qualit\u00e4ten, welcher auf die Lebhaftigkeit, welcher auf die Wirksamkeit gegen\u00fcber anderen Ph\u00e4nomenen, welcher auf die Apperzeptionsdauer kommt, alles dies ist g\u00e4nzlich unbekannt.\nEs werden von K. drei M\u00f6glichkeiten in betreff der eigentlichen Natur der Gef\u00fchle unterschieden. Die Gef\u00fchle sind entweder Eigenschaften der Empfindungen oder Funktionen derselben oder selbst\u00e4ndige Bewulstseinsvorg\u00e4nge. Ich kann nur zustimmen, wenn K. sich f\u00fcr die letzte Ansicht entscheidet, und glaube, dafs nur auf ihrem Boden allm\u00e4hlich sich eine befriedigendere L\u00f6sung der vielen hier noch vorhandenen Schwierigkeiten ergeben wird. Eingeteilt k\u00f6nnen die Gef\u00fchle nach K. nur werden in Lust und Unlust, zwischen denen eine Indifferenzzone liegt. Dafs die bekannte Einteilung in niedere und h\u00f6here Gef\u00fchle aus einer bestimmten \u201eLebensauffassung\u201c stamme, wie K. meint, erscheint mir kaum zutreffend; eine Lebensauffassung wenigstens, welche die intellektuellen, \u00e4sthetischen und moralischen Vorg\u00e4nge nicht als h\u00f6here gegen\u00fcber der biofsen Wahrnehmung anerkennt, d\u00fcrfte keine Ber\u00fccksichtigung verdienen. Die h\u00f6heren Gef\u00fchle sollen an sich keinen h\u00f6heren Wert besitzen; sie heifsen nur so, weil sie mit Vorg\u00e4ngen in Verbindung stehen, denen allgemein ein h\u00f6herer Wert f\u00fcr das Leben zugestanden wird.\nDie Methoden der Untersuchung der Gef\u00fchle werden als \u201eBeihen-methoden\u201c und \u201eAusdrucksmethoden\u201c bezeichnet. Unter den ersteren versteht K. die Untersuchung der Gef\u00fchle durch systematische Darbietung verschiedener Beizgr\u00f6fsen, unter den letzteren die Untersuchung der k\u00f6rperlichen Folgezust\u00e4nde oder \u00c4ufserungen der Gef\u00fchle (Ver\u00e4nderung des Pulses, der Atmung, Volumver\u00e4nderungen und Bewegungserscheinungen). K. glaubt, als allgemeine Begleiterscheinung der Beize, die Lustzust\u00e4nde hervorrufen, eine erh\u00f6hte Erregbarkeit der sensorischen und motorischen Teile der Hirnrinde, als solche der Unlust eine entsprechende Herabsetzung der Erregbarkeit ansehen zu m\u00fcssen. Die gleichzeitigen Ver\u00e4nderungen in der Arbeit des Herzens, der Lunge, der Muskelaktion w\u00e4ren dann Folgezust\u00e4nde jener Erregbarkeitsbeeinflussung. \u2014 Das \u00e4sthetische Gef\u00fchl zeigt dagegen nach K. keine Abh\u00e4ngigkeit vom Beiz. Die reiche Beproduktionsth\u00e4tigkeit, die einem solchen Gef\u00fchle vorangeht, l\u00e4fst vermuten, dafs das \u00e4sthetische Gef\u00fchl aus der Beziehung des wahrgenommenen Eindruckes zur Beproduktion entspringt. Es kommt hier an auf die Bestimmtheit der reproduzierenden Wirkung eines Eindruckes, auf die gr\u00f6fsere oder geringere Leichtigkeit der Beproduktionsvorg\u00e4nge und auf das Verh\u00e4ltnis zwischen der reproduzierenden Wirkung des Gesamteindruckes und derjenigen der Einzelbestandteile. Danach w\u00fcrden sich auch die h\u00f6heren Gef\u00fchle (denn dasselbe, wie von den \u00e4sthetischen, gilt von den sittlichen, logischen, religi\u00f6sen Gef\u00fchlen) auf Erregbarkeitsver\u00e4nderungen in der Grofshirn-rinde zur\u00fcckf\u00fchren lassen. Nachdem auch hier wieder die allgemeinen Bedingungen (Aufmerksamkeit, Erwartung, Gew\u00f6hnung und Erm\u00fcdung) besprochen sind und in einem Zwischenparagraphen die wichtige Frage, ob es eine elementare Willensqualit\u00e4t neben oder aufser den auf der","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nBesprecJmn gen.\nGelenksensibilit\u00e4t beruhenden Strebungsempfindungen giebt, im verneinenden Sinne entschieden ist, wird die Theorie der Gef\u00fchle weiter pr\u00e4zisiert. Die \u201eteleologische\u201c Erkl\u00e4rung aus der N\u00fctzlichkeit und Sch\u00e4dlichkeit der Reize f\u00fcr das Organ und die \u201eperipher-physiologische\u201c aus den Ern\u00e4hrungsverh\u00e4ltnissen der gereizten Nerven wird abgewiesen und in \u00dcbereinstimmung mit dem vorhergehenden eine zentral-physiologische gefordert. Dieser Forderung werden die Theorien Wundts und Meynerts beide gerecht. Doch ist nach K.?s Ansicht die erstere, nach welcher die Gef\u00fchle auf einer Reaktion der Apperzeption auf die Empfindung beruhen, der letzteren, nach welcher das physiologische \u00c4quivalent der Gef\u00fchle in den Ern\u00e4hrungsverh\u00e4ltnissen des Grofs-hirnes zu suchen ist, vorzuziehen, da bei der letzteren Theorie die enge Beziehung der Gef\u00fchle zu den Reizen und ihre Einheitlichkeit unerkl\u00e4rt bleibe. Der WuNDTSchen Theorie fehle nichts, als die physiologische Ausf\u00fchrung, welche im Anschlufs an dessen Apperzeptionstheorie eine Wechselwirkung zwischen Stirnhirn und sensorischen Zentren anzunehmen habe.\nIch gestehe offen, dafs es mir trotz dieser ausf\u00fchrlichen Er\u00f6rterungen schwer wird, anzugeben, worin nun wirklich nach K.\u2019s Meinung das spezifische physiologische \u00c4quivalent der Gef\u00fchlserscheinungen besteht. Findet doch eine Wechselwirkung zwischen Stirnhirn und sensorischen Zentren fortw\u00e4hrend statt, sobald Bewegungen in Betracht kommen, also thats\u00e4chlich immer, und ist doch eine Erregbarkeits\u00e4nderung in der Grofshirnrinde ein so allgemeiner Begriff, dafs jede Ver\u00e4nderung des Bewufstseinslebens damit in Verbindung gebracht werden kann. Es scheint mir die eigenste Aufgabe der Physiologie zu sein, an die Stelle dieser unbestimmten Vorstellungen allm\u00e4hlich Thatsachen zu setzen, und es scheint mir ganz allein von den direkten Methoden, welche der Physiologie zu Gebote stehen, ein schliefsliches Ergebnis zu erhoffen. Inzwischen w\u00fcrde die Psychologie entschieden zu kurz kommen, wenn sie \u00fcber der Suche nach den physiologischen Bedingungen die Analyse der Gef\u00fchle, soweit sie von der blofsen inneren Erfahrung aus m\u00f6glich ist, vernachl\u00e4ssigen wollte. Die kurze Untersuchung K.?s \u00fcber die Selbstst\u00e4ndigkeit des Gef\u00fchles erscheint mir daher wertvoller, als die nachfolgende \u201eTheorie\u201c; ich w\u00fcrde die erstere gern \u00fcber weitere Gebiete des Gef\u00fchlslebens ausgedehnt gesehen haben.\nDer zweite Teil des Buches (S. 284\u2014487) enth\u00e4lt die Lehre von den Verbindungen der Bewufstseinselemente. Da im dritten Teile auf kurzen 88 Seiten nur noch \u00fcber die Aufmerksamkeit, den Willen, Schlaf, Traum und Hypnotismus gehandelt wird, umfafst der zweite Teil die gesamte Lehre von den psychischen Ph\u00e4nomenen, welche nicht Empfindungen oder Elemente sind. Dabei ist die Lehre von den Assoziationen bereits in dem Abschnitt \u00fcber die zentral erregten Empfindungen vorweggenommen.\nDafs die Darstellung sich nicht von dem oben ausf\u00fchrlich geschilderten Standpunkte entfernt, zeigt schon die k\u00fcrzeste \u00dcbersicht \u00fcber den Inhalt des Teiles. K. unterscheidet zwei Arten von Verbindungen, n\u00e4mlich Verschmelzungen und Verkn\u00fcpfungen. Bei den Ver-","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n43\nSchmelzungen ist die Analyse durch die Verbindung erschwert, bei den Verkn\u00fcpfungen erleichtert. Es wird das auch so ausgedr\u00fcckt, dafs die U. E. bei den erster en erh\u00f6ht, bei den letzteren herabgesetzt ist. Als ob die (J. E. etwas anderes zu leisten verm\u00f6chte, als die Unterschiede, die wirklich da sind, zu konstatieren. Zeigt ein psychisches Gebilde ein einheitliches, nicht analysierbares Gepr\u00e4ge, so kann keine noch so grofse Steigerung der U. E. in demselben Unterschiede aufthun.\nUnter dem Gesichtspunkte der Verschmelzung werden behandelt die Erscheinungen des Klanges und der Klang Verbindungen (Konsonanz, Harmonie), die Verschmelzung von Helligkeit und Farbenton, sowie der Geschmacks- und Geruchs-, der Temperatur- und Hautempfindungen, und die Affekte und Triebe; unter dem Gesichtspunkte der Verbindung die Kaum Vorstellung und ihre Entstehung, der Zeitsinn, die Kontrasterscheinungen und die Reaktionszeiten. Vielleicht gelingt es anderen, die Prinzipien dieser Einteilung und Zusammenstellung klar und richtig anzugeben. Ich bescheide mich mit der Annahme, dafs \u201eVerbindung der Elemente\u201c in beinahe so viel Bedeutungen hier genommen werden mufs, als unter diesem Oberbegriff oder Stichwort Arten angegeben sind. Ich sehe hierin die treffendste Kritik und den st\u00e4rksten Beweis f\u00fcr die Unm\u00f6glichkeit des Unternehmens, das gesamte vielgestaltige Seelenleben als Verbindung von Empfindungen darsteilen zu wollen.\nBei den Geh\u00f6rsempfindungen hat der Begriff der Verschmelzung einen guten Sinn, wenn man darunter nichts anderes versteht, als die Thatsache, dafs ein Klang (Akkord) trotz seines einheitlichen Charakters sich in eine Anzahl Elementarempfindungen zerlegen l\u00e4fst. Man kann diese, wenn man will, als in dem Ganzen verschmolzen bezeichnen. Ein Fehler w\u00fcrde es aber sein, wenn man meint, in der Verschmelzung einen psychologischen Vorgang entdeckt zu haben. Von einem solchen wissen wir gar nichts; der Klang ist gegeben und unter bestimmten inneren Bedingungen der Teilton. Wir k\u00f6nnen uns das Verh\u00e4ltnis der Elemente zum Ganzen unter dem Bilde der Verschmelzung vorstellen, wenn wir wollen, d\u00fcrfen aber nicht, solange die innere Erfahrung f\u00fcr das Psychische mafsgebend bleiben soll, auf dieses einfach die \u00e4ufsere Vorstellungsweise \u00fcbertragen.\nWeit bedenklicher ist der Verschmelzungsbegriff schon bei der von K. angenommenen Verschmelzung von Farbenton und Helligkeit. Denn einen Farbenton ohne jede Helligkeit k\u00f6nnen wir uns nicht vorstellen. K. geht aber weiter, ein Beweis, wie gef\u00e4hrlich das Spielen mit halbrichtigen Vorstellungsweisen ist. Das PuRKiNJESche Ph\u00e4nomen soll auf einer Verschmelzungserscheinung beruhen, die grofse scheinbare Helligkeit von Gelb beispielsweise gegen\u00fcber der von Blau eine Folge der Beeinflussung der Qualit\u00e4t der Helligkeitskomponente durch die farbige Komponente sein. Durch die Verschmelzung der Empfindungen soll also Helligkeit in Verlust geraten. Gerade so gut k\u00f6nnte man die Behauptung aufstellen, der Vorstellungsraum sei, wie ja auch die Analysis erweise, thats\u00e4chlich w-dimensional, dafs er uns dreidimensional erscheine, sei ein Verschmelzungsph\u00e4nomen, insofern die w-fachen Reize und Empfindungen zu einem dreidimensionalen Bilde zusammenschmelzen.","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nBesprechungen.\nDie Verschmelzungen zwischen mehreren Geruchsempfindungen und Geschmacksempfindungen oder zwischen Geruchs- und Geschmacksempfindungen untereinander, und die zwischen Haut- und Temperaturempfindungen sind von den bisher genannten darin verschieden, dafs bei ihnen nicht in gleicher Weise ein einheitliches Ganzes entsteht. Die Empfindungen des Glatten, Rauhen, Spitzen dagegen scheinen mir so un analysierbar zu sein, wie irgendwelche andere Empfindungen; man darf nur nicht den Inhalt dieser Empfindungen mit der Vorstellung ihrer Reize zusammen werfen. Eine Verschmelzung hat also bei ihnen in keinem Sinne statt. Die Affekte und Triebe endlich sind wieder sehr zusammengesetzte Ph\u00e4nomene; dafs ihr wesentlicher Inhalt in Organempfindungen und Gef\u00fchlen, aber neben Vorstellungsbewegungen, besteht, erscheint auch mir richtig. Was aber hier verschmelzen soll, ist mir unverst\u00e4ndlich; es m\u00fcfste denn das Wort verschmelzen hier bereits den Sinn des blofsen Neben- und Nacheinanderbestehens haben. Will man durchaus f\u00fcr die Affekte und das Zusammen der Empfindungen w\u00e4hrend eines Affektes eine Analogie aus der Sph\u00e4re der Sinnesempfindungen haben, so k\u00f6nnte nur eine Verbindung in Frage kommen, wie sie zwischen denjenigen Empfindungen oder Vorstellungen besteht, die wir bei einem Ausblick in eine mannigfaltige Landschaft oder beim Anh\u00f6ren einiger Takte Orchester haben.\nUnter der Rubrik der Verkn\u00fcpfung der Empfindungen wird zuerst von den \u201er\u00e4umlichen Eigenschaften und Beziehungen der Empfindungen (Theorie der Raumwahrnehmung), sodann von den \u201ezeitlichen Eigenschaften und Beziehungen der Bewufstseinselemente\u201c (Zeitsinn) gehandelt. H\u00e4tte es mit der Auffassung K.\u2019s, dafs den Empfindungen r\u00e4umliche und zeitliche Eigenschaften zukommen, seine Richtigkeit (s. o. S. 28), so h\u00e4tte der Inhalt dieser Kapitel in die Lehre von den Empfindungen selbst verwiesen werden k\u00f6nnen und m\u00fcssen. Raum und Zeit w\u00fcrden sich dann leicht auch als Eigenschaften der Empfindungen haben entwickeln lassen. In Bezug auf die Entstehung der Raumvorstellung huldigt K. gem\u00e4fsigten nativistischen Anschauungen; er h\u00e4lt den eigent\u00fcmlichen Inhalt der extensiven Vorstellung nicht f\u00fcr ableitbar aus rein intensiven Empfindungen. Ich stimme dem vollst\u00e4ndig bei. Was aber die \u201eVerkn\u00fcpfung\u201c bei der Raum- und Zeitvorstellung zu bedeuten hat, wird nicht klar. Ich meine, dafs sie jedenfalls, was sie auch immer sein mag, bei der Raumvorstellung etwas ganz anderes ist, als bei der Zeit. Im einen Fall handelt es sich um Verh\u00e4ltnisse, die der Entstehung einer Vorstellung zu Grunde liegen, im anderen Falle um Erscheinungen, die erst beim Wechsel der Vorstellungen auftreten. Der Rest der Verkn\u00fcpfungen sind, wie in dem Kapitel \u00fcber \u201edie r\u00e4umlichen und zeitlichen Verkn\u00fcpfungen\u201c mitgeteilt wird, die Kontras ter scheinungen und die Vorg\u00e4nge, um die es sich bei den Reaktionszeitversuchen handelt. Es ist ja richtig, dafs die Kontrasterscheinungen bei einer \u201er\u00e4umlichen und zeitlichen Verkn\u00fcpfung\u201c entstehen; die Reize m\u00fcssen neben- und nacheinander einwirken, damit eine Kontrasterscheinung beobachtet werden kann. Darum hat die Erscheinung selbst, die Eigent\u00fcmlichkeit der so bedingten Empfindungen, mit r\u00e4umlichen und zeitlichen Be-","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n45\nZiehungen oder Verkn\u00fcpfungen nicht das Geringste zu schaffen. Die Beziehung der Beize ist nicht eine Beziehung der Empfindungen, Ursache nicht Wirkung, X. nicht U. Dafs die Beaktionszeitversuche neben den Kontrasterscheinungen ihren Platz erhalten haben, erkl\u00e4rt sich wohl nur dadurch, dafs durch die Einteilung des Gegenstandes in Empfindungen und ihre Verbindungen die Welt weggegeben sein sollte. Man mufs dem Worte Verbindung schon den allerallgemeinsten Sinn geben, dafs ein Komplex von Bewufstseinsvorg\u00e4ngen in Frage ist, um die Einordnung der Beaktionsversuche unter die Verbindungen zu verstehen; eine Erkl\u00e4rung der Zusammenordnung mit den Kontrasterscheinungen ist nicht einmal damit gewonnen. K. glaubt, die Beaktionen als Typen der \u201eHandlungen\u201c auffassen zu d\u00fcrfen. Mir scheint auch hier ein Widerspruch bereits in der Definition selbst zu liegen. K. sagt: \u201eDie Beaktionen sind in der That nichts anderes, als exakte Typen dessen, was man in der Psychologie des gew\u00f6hnlichen Lebens als Handlungen bezeichnet, sofern diese durch einen \u00e4ufseren Beiz entstehend gedacht werden.\u201c Eine Handlung, die durch einen \u00e4ufseren Beiz entstehend gedacht wird, scheint mir keine Handlung zu sein, weder im Sinne des gew\u00f6hnlichen Lebens, noch der Wissenschaft.\nWir geben der Hoffnung Ausdruck, dafs K. die Unm\u00f6glichkeit, auf dem betretenen Wege zu einer befriedigenden Darstellung der Gesamtheit der psychologischen Erscheinungen zu gelangen, zugeben wird. H\u00e4tte er sich auf die Lehre von den Empfindungen im hergebrachten Sinne beschr\u00e4nkt, wir w\u00fcrden bei seiner intimen Kenntnis des That-s\u00e4chlichen etwas Hervorragendes aus seiner Feder erhalten haben. Zur W\u00fcrdigung der h\u00f6heren BewufstseinsVorg\u00e4nge fehlt es unseres Erachtens an der Klarheit der Vorbegriffe. Das Bestreben, aus den physiologischen Erregungen die Bewufstseinsthatsachen abzuleiten, ist an sich irreleitend. Nur eine erkenntnis-theoretische W\u00fcrdigung des Verh\u00e4ltnisses der materiellen und geistigen Vorg\u00e4nge kann vor der \u00dcbersch\u00e4tzung der einen oder anderen Seite und den hiermit verbundenen Gefahren h\u00fcten. Die allzugrofse Bevorzugung der materiellen Seite f\u00fchrt unaufhaltsam der Leere des Materialismus oder dem Abgrunde des Unbewufsten entgegen. Zur Heilung dient eine einfache methodische Begel: Die Psychologie beschr\u00e4nke sich auf die Feststellung der Bewufstseinsthatsachen und erkenne die innere Erfahrung als f\u00fcr sie unter allen Umst\u00e4nden verbindlich an.\tG\u00f6tz Marti\u00fcs (Bonn).","page":45}],"identifier":"lit29628","issued":"1896","language":"de","pages":"23-45","startpages":"23","title":"Osw. K\u00fclpe: Grundri\u00df der Psychologie. Auf experimenteller Grundlage dargestellt. Mit 10 Figuren im Text. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1893. 478 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:14:17.609248+00:00"}