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{"created":"2022-01-31T12:31:21.947696+00:00","id":"lit29660","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 75-76","fulltext":[{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n75\ntaubstummer Kinder im vorschulpflichtigen Alter bisher keinerlei Vorkehrungen getroffen sind, so erscheint es mir als eine berechtigte Forderung an die Unterrichtsbeh\u00f6rden, die Kinder vor Abgabe derselben an die Taubstummenanstalten einer Untersuchung zu unterziehen, um nach den Ergebnissen derselben wirklich und blofs psychisch Taubstumme voneinander zu scheiden und einer getrennten Behandlung zuzuf\u00fchren.\u201c\nF. Kiesow (Leipzig).\nDr. J. S\u00e9glas. Le d\u00e9lire des n\u00e9gations. Paris, G. Masson. 234 S,\nUnter den verschiedenen Wahnideen, denen die G-eisteskranken\n\u2022 \u2022\nAufserung geben, besteht eine Abart, die bisher nur wenig Beachtung gefunden hat, obwohl sie schon im Jahre 1880 von Cotard in einer geradezu musterg\u00fcltigen Weise beschrieben wurde. Es sind dies die Ideen der Verneinung, des Nichtbestehens oder des Zu-Grunde-gegangen-seins, Ideen, die sich sowohl auf den K\u00f6rper wie auf den Geist beziehen und unter Umst\u00e4nden die gesamte Umgebung und alles umfassen k\u00f6nnen, was mit dem Kranken in Ber\u00fchrung kommt. Der Geisteskranke ist an und f\u00fcr sich ein Geist, der stets verneint, und dies gilt besonders von der Melancholie. Der Melancholiker n\u00e4mlich empfindet bei jeder psychischen Th\u00e4tigkeit ein Gef\u00fchl des Unbehagens und des Schmerzes, das ihn veranlafst, sich gegen jeden \u00e4ufseren Eindruck ablehnend zu verhalten, und da er zudem in sein eigenes K\u00f6nnen das gr\u00f6fste Mifstrauen setzt, entwickelt sich das Bestreben in ihm, jedes Wollen zu vermeiden, was er am radikalsten dadurch zu erreichen glaubt, dafs er sich und die ganze Welt als nicht vorhanden erkl\u00e4rt.\nAuf diese Weise sind die Verneinungsideen Teilerscheinungen des melancholischen Wesens \u00fcberhaupt, und sie beruhen als solche auf dem Kausalit\u00e4tsgesetz. Indem sie sich aber, und zwar sp\u00e4ter, zu den \u00fcbrigen melancholischen Ideen hinzugesellen, bilden sie sich zu einem bestimmten klinischen Bilde aus, zu dem Syndrom Cotards, das als solches eine vorgeschrittene Phase der Erkrankung bedeutet, meist erst nach einem\n\u2022 \u00bb\noder mehreren Anf\u00e4llen von Melancholie eintritt und den \u00dcbergang zu einem chronischen Stadium einleitet. Die Schilderung, die uns S\u00e9glas von dieser Form entwirft, ist das Muster einer niedlichen Kleinmalerei, und wir sehen u. a., wie mit dem ausgesprochen melancholischen Wahne der Verneinung die Idee der Unsterblichkeit und selbst andere Gr\u00f6fsen-ideen vereinbar sind, indem die Kranken w\u00e4hnen, ewig, Millionen Jahre leben zu m\u00fcssen und Millionen von Menschen ungl\u00fccklich gemacht zu haben. Aufser in der Melancholie findet sich der Verneinungswahn auch bei dem Verfolgungswahn, dem er alsdann den Charakter des Besessenseins aufdr\u00fcckt, eine Form, die wir kurzweg der Paranoia zuschreiben w\u00fcrden.\nNeben dem mehr systematisierten Verneinungswahn Cotards finden sich vereinzelte Ideen der Verneinung, die nicht systematisiert sind, bei verschiedenen Formen von Geistesst\u00f6rung, und besonders h\u00e4ufig ist das bei der allgemeinen Paralyse der Fall, aber auch bei Altersbl\u00f6dsinn, Fieberdelirien und \u00fcberhaupt \u00fcberall da, wo sich die Pers\u00f6nlichkeit ver\u00e4ndert oder zu Grunde geht. Sie sind der Ausd.ruck einer Ver-","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nLitter a iurbericht.\n\u00e4nderung des Allgemeingef\u00fcliles, und sie werden daher vielfach von abnormen k\u00f6rperlichen Erscheinungen begleitet, wie z. B. von Empfindungslosigkeit und besonders von dem Gef\u00fchle der Angst, die sich ihrerseits in Nahrungsverweigerung, Sprach- und Bewegungslosigkeit, Selbstmordversuchen u. dergl. mehr \u00e4ufsert.\nWenn demnach die Wahnideen der Verneinung auch keine eigene Krankheitsform bilden, sondern vielmehr nur ein Symptom sind, das sich bei den verschiedensten psychischen Erkrankungen finden kann und das an sich nichts Pathognomisch.es hat, so beziehen sie doch aus dem krankhaften Boden, dem sie entwachsen, verschiedenartige symptomatische Merkzeichen und Entwickelungsformen, die ihre gesonderte Beschreibung rechtfertigen.\tPelm an.\nHavelok Ellis. Mann und Weib. Anthropologische und psychologische Untersuchung der sekund\u00e4ren Geschlechtsunterschiede. Mit Illustrationen. Deutsch von Dr. Hans Kttrella. G. H. Wigand, Leipzig. 1894. 408 'S.\n\u2014 Verbrecher und Verbrechen. Mit 7 Tafeln und Textillustrationen. Deutsch von Dr. H. Kurella. Ebenda. 1894.\t342 S.\nDer ebenso unerm\u00fcdlichen, wie gewandten Feder Kurellas verdanken wir die Verdeutschung zweier Werke von Havelok Ellis, und wenn man auch der Ansicht sein kann, dafs die Quellen dieser hier behandelten Gegenst\u00e4nde zur Zeit besonders reichlich fliefsen, so werden wir dieser Bereicherung dennoch gern und dankbar ihre Berechtigung zugestehen. Denn wenn H. Ellis auch im grofsen und ganzen den Spuren Lombrosos folgt und dieselben Bahnen einschl\u00e4gt, die der grofse Meister vorgezeichnet hat, so enthalten seine Werke doch so viel des Eigenen und Besonderen, und das bereits Bekannte wird mit einer so umfassenden Sachkenntnis auf seinen Wert untersucht und einer so treffenden Kritik unterzogen, dafs wir uns mit seinen Schl\u00fcssen wohl einverstanden erkl\u00e4ren und den B\u00fcchern reichliche Belehrung und Anregung entnehmen k\u00f6nnen.\nDiese [Reichhaltigkeit, ja die geradezu unendliche Menge des uns hier Gebotenen macht es unm\u00f6glich, den Inhalt der B\u00fccher in einem [Referate darzulegen, und wer sich \u00fcber Frauenfrage und Verbrechertum auf eine leichte und m\u00fchelose Art unterrichten und mit einem Schlage auf die H\u00f6he der Wissenschaft stellen will, der wird die beiden B\u00fccher zur Hand nehmen und sie durchlesen m\u00fcssen, was ich zudem angelegentlichst empfehlen m\u00f6chte.\nH. Ellis will in seinem \u201eVerbrecher und Verbrechenu eine kritische Zusammenstellung der Ergebnisse der Kriminal-Anthropologie geben, und wenn er in der Vorrede das Versprechen giebt, soweit als m\u00f6glich unparteiisch zu bleiben, so hat er dies Versprechen bei aller Vorliebe f\u00fcr Lombroso dennoch redlich gehalten.\nUmfassende Belesenheit, eine klare Darstellung und milde Kritik sind die Vorz\u00fcge, die uns \u00fcberall entgegen treten und die es uns leicht","page":76}],"identifier":"lit29660","issued":"1896","language":"de","pages":"75-76","startpages":"75","title":"Dr. J. S\u00e9glas: Le d\u00e9lire des n\u00e9gations. Paris, G. Masson. 234 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:31:21.947702+00:00"}