Open Access
{"created":"2022-01-31T14:14:56.272132+00:00","id":"lit29662","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 78-80","fulltext":[{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nLitter a turberi eh t.\nkonkret, der des Mannes mehr abstrakt, und was dergleichen Verschiedenheiten mehr sind. Immer aber wird sich unsere \u00dcberzeugung mit weit mehr Becht auf dem Wege der Erfahrung, als durch wissenschaftliche Schl\u00fcsse gewinnen lassen, und was wir Natur nennen, ist oft genug nur eine Folge der Erziehung. W\u00fcrde man beide G-eschlechter r\u00fcckhaltlos ihren Neigungen \u00fcberlassen, so w\u00fcrden sie sich voraussichtlich in einer weit gr\u00f6fseren \u00c4hnlichkeit zusammenfinden, als dies jetzt der Fall ist.\nWas die Menschheit von der Kultur der Zukunft zu erwarten hat, ist die Entwickelung einer gleichen Freiheit f\u00fcr beide Elemente des Lebens, f\u00fcr das m\u00e4nnliche und weibliche; was wir jedoch zur Zeit mit Sicherheit dar\u00fcber wissen, ist nur dazu angethan, uns in der Verwertung der Thatsachen eine gr\u00f6fsere Zur\u00fcckhaltung aufzuerlegen, als es leider vielfach geschieht.\tPelman.\nCesare Lombroso. Entartung und Genie. Neue Studien. Mit 12 Tafeln. Gesammelt und unter Mitwirkung des Verfassers deutsch herausgegeben von Dr. Hans Ktjrella. G. H. Wigand, Leipzig, 1894\n308 S.\n_ \u2022 \u2666\nKeine \u00dcbersetzung, sondern ein von Kurella deutsch herausgegebenes Werk Lombrosos , das im wesentlichen die zahlreichen Zus\u00e4tze des Meisters zur sechsten Auflage seines \u00fcomo di Genio enth\u00e4lt, durch Kurellas Kunst und Geschicklichkeit sich aber auch in diesem lockeren Gef\u00fcge zu einem leidlich einheitlichen Ganzen gestaltet hat.\nKtjrella ist der \u00dcberzeugung, die vorliegende Arbeit werde mit zu einem besseren Verst\u00e4ndnisse und zu einer gerechteren Beurteilung Lombrosos beitragen, eine Ansicht, die, wie ich bef\u00fcrchte, auf lebhaften Widerspruch stofsen ward. Ich wenigstens, der ich mich dreist zu den Bewunderern des italienischen Gelehrten rechnen darf, h\u00e4tte viel lieber manches von dem ungeschrieben oder doch unver\u00f6ffentlicht gesehen, was uns hier und in anderen Schriften vorgesetzt wird.\nDie bekannten und oft ger\u00fcgten Fehler Lombrosos, sein kritikloses Zusammentragen aller m\u00f6glichen Kuriosit\u00e4ten, das Generalisieren vereinzelter Beobachtungen und die oft jeder Logik hohnsprechenden Schl\u00fcsse, die \u00fcbrigens schon seinem Uomo di Genio anhafteten, treten uns hier noch unverbl\u00fcmter entgegen, und ich weifs wirklich nicht, ob Ktjrella seinem Freunde und Meister durch die Ver\u00f6ffentlichung dieser Studien einen Dienst erwiesen hat. Vielleicht w\u00fcrde Martials: one, jam satis est, ohe libelle! eher am Platze und den Werken Lombrosos etwas mehr Buhe und Vertiefung zu w\u00fcnschen sein.\nAber das Genie wandelt nun einmal seine eigenen Wege, und es geh\u00f6rt zu seinen Eigent\u00fcmlichkeiten, dort Vergleichungspunkte herauszufinden und Verwandtschaften zu entdecken, wo sie das Auge des minder begabten Normalmenschen nicht erblickt. Wir werden daher manche von den Behauptungen Lombrosos beanstanden und eines weiteren Beweises bed\u00fcrftig erkl\u00e4ren; sie jedoch ohne weiteres abzulehnen, w\u00fcrde der Bedeutung des Forschers nicht die ihr geb\u00fchrende Bechnung tragen. Er selber steht fester zu seiner Ansicht, als je zuvor, und wer","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht\n79\nes wagt, wie Hirsch und andere, ihm entgegenzutreten, kann sich aut eine geh\u00f6rige Zurechtweisung gefafst machen.\nBesonders schlecht zu sprechen ist er auf die Akademiker, die sich die Freiheit nehmen, \u00fcber seine Behauptungen anderer Ansicht zu sein, oder gar, wie \u00fcber die durch die Medien produzierten Ph\u00e4nomene, zu spotten. Lombroso dagegen hat gesehen, wie ein Tisch sich erhob, wie sich schwere Gegenst\u00e4nde in einer betr\u00e4chtlichen Entfernung bewegten, wie auch Bilder hervortraten und T\u00f6ne erklangen. Er erkl\u00e4rt diese Ph\u00e4nomene, indem er bei den Medien, wie bei den Hysterischen und Hypnotischen, die Erregung einiger Zentren annimmt, welche durch die Paralyse aller anderen m\u00e4chtig hervortritt. Wie bei Hypnotischen eine Transposition und Transmission der psychischen Kr\u00e4fte eintritt, so tritt bei den Medien eine Umwandlung derselben in eine Leuchtkraft oder eine motorische Kraft ein, und dann begreift man (!), wie die kortikale Kraft eines Mediums z. B. einen Tisch heben, am Barte ziehen, schlagen, streicheln kann, und was sonst die allgemeinsten Erscheinungen in solchen F\u00e4llen sind (pag. 166, 167).\nIch mufs nun von mir gestehen, dafs eine derartige kortikale Kraft \u00fcber mein Verst\u00e4ndnis hinausgeht, und unwillk\u00fcrlich f\u00e4llt mir das Verhalten eines anderen Gelehrten, den ich vor allen hochhalte, John Tyndalls, ein. Auch Tyndall war eines Tages Augenzeuge spiritistischer Erscheinungen, auch er h\u00f6rt die Geister klopfen und sieht, wie sie Tische bewegen. Aber anstatt seinen Sinnen blindlings zu trauen und seinen Verstand mit einer unm\u00f6glichen Erkl\u00e4rung einzulullen, versucht er dem Spuk durch n\u00e4here Untersuchung auf den Grund zu gehen und \u2014 doch ich ziehe es vor, die eigenen Worte des englischen Physikers hierherzusetzen. (.Fragmente aus den Naturwissenschaften, pag. 559.) \u201eIch erbat und erhielt die Erlaubnis, unter den Tisch zu kriechen. Einige lachten leise, aber der alte A. rief: Er hat das Hecht, bis in den letzten Winkel zu schauen, um sich zu \u00fcberzeugen. Nachdem ich mich \u00fcberzeugt hatte, dafs kein Ger\u00e4usch hier stattfinden k\u00f6nne, ohne dafs seine Entstehung von mir bemerkt wurde, bat ich unseren Wirt, seine Fragen fortzusetzeD. Er that es, jedoch ohne Frfolg. Er nahm einen Ton z\u00e4rtlichen Flehens an, aber die \u201elieben Geister\u201c waren stumm geworden und liefsen sich nicht erbitten. Ich blieb wohl eine Viertelstunde unter diesem Tische sitzen. In einem Zustande der tiefsten Verzweiflung \u00fcber die Menschheit, wie ich ihn \u00e4hnlich nie empfunden habe, nahm ich nach deren Verlaufe meinen Sitz auf dem Stuhle wieder ein. Jetzt wurden die Geister wieder lebendig und pochten mich als \u201eDichter der Wissenschaft\u201c heraus. Das also war das Hesultat meines Versuches, als Naturforscher einen Einblick in die spiritistischen Erscheinungen zu gewinnen.\u201c\nIm \u00fcbrigen verh\u00e4lt sich Kdrella gegen diese Erkl\u00e4rungsversuche Lombrosos ablehnend, aber warum hat er sie nicht lieber fortgelassen, als den Gegnern Lombrosos eine willkommene Waffe in die Hand zu geben ?\nSelbstverst\u00e4ndlich sind es die alten Behauptungen, die uns auf Schritt und Tritt entgegentreten. Es ist die alte Genialit\u00e4tsneurose, \u2019die","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nIA tteraturber\u00efch t\nihre Grundbedingung in einer epileptoiden Heizung der Hirnrinde hat und oft nur das letzte Aufflackern eines erblich entarteten Geschlechtes darstellt, das mit diesem Knalleffekte erlischt.\nDie Genialit\u00e4t ist nach wie vor eine Degenerationsform nach Art der epileptischen Entartung, die alte Fabel, die dadurch nicht an Wahrscheinlichkeit gewinnt, dafs sie mit neuen Beispielen belegt wird, denen nur der eine, aber wesentliche Fehler anhaftet, dafs sie Personen betreffen, die vielleicht geisteskrank, sicherlich aber keine Genies sind.\nOder will vielleicht irgend einer die Herren Francia und Posas oder die verr\u00fcckte Russin Bashkirtseff u. a. m. mit Lombroso zu Genies stempeln, von Coccapieller, Sbarbaro und anderen Kirchtumsgr\u00f6fsen ganz zu schweigen? Schade, dafs Lombroso nicht die Bekanntschaft Nietzsches gemacht hat, er allein w\u00fcrde ein ganzes Buch gef\u00fcllt haben.\nLombrosos Mangel an Galanterie verleugnet sich auch diesmal nicht* Wie bei allen Wirbeltieren steht auch beim Menschen das Weib an Intelligenz und Erfindungsgabe hinter dem Manne zur\u00fcck, und die Frauen haben als zur\u00fcckgebliebene M\u00e4nner nur sp\u00e4rliche Genies aufzuweisen.\nEs h\u00e4ngt dies mit der Mutterschaft des Weibes zusammen, und wir finden daher Anl\u00e4ufe zur Genialit\u00e4t nur dort, wo jene zur\u00fccktritt, so allenfalls bei Frauen \u00e0 la Katharina II. und jener schon erw\u00e4hnten Bashkirtseff, die in ihrem Tagebuche von sich ein typisches Bild erblicher Entartung entwirft.\nDa als Gew\u00e4hrsleute Stendhal und Lessueur angef\u00fchrt werden, sind die Frauen gerichtet, falls sie sich nicht durch das Zugest\u00e4ndnis eines gr\u00f6fseren Heichtums an Talenten entsch\u00e4digt f\u00fchlen. Die epileptoide Heizung der Hirnrinde, ohne die ein Genie nun einmal nicht existieren kann, ist bei dem Weibe schw\u00e4cher und bringt es anstatt zur Genialit\u00e4t h\u00f6chstens zu einer Hystero-Epilepsie.\nDafs ein Buch Lombrosos nicht ohne neue Gedanken und eine wirkliche Bereicherung unseres Wissens einhergeht, brauche ich hier nicht besonders hervorzuheben.\nDiese letzten Ver\u00f6ffentlichungen aber tragen gar zu sehr den Stempel der Kompilation und des ungen\u00fcgend Verarbeiteten, als dafs es bei ihrer Lekt\u00fcre zu einem besonderen Gen\u00fcsse kommen k\u00f6nnte.\nUnd das ist schade.\nDas \u201eNonum prematur in annum\u201c des Horaz ist vielleicht eine etwas harte Forderung in unserem raschlebigen Zeitalter, aber da wir doch einmal am Zitieren sind, so k\u00f6nnen wir unser Bedauern nicht besser ausdr\u00fccken als mit den Worten des biblischen Schriftstellers, der schon vor Jahrtausenden der Ansicht war: Scribendi plures libros nullus est finis.\tPelman.","page":80}],"identifier":"lit29662","issued":"1896","language":"de","pages":"78-80","startpages":"78","title":"Cesare Lombroso: Entartung und Genie. Neue Studien. Mit 12 Tafeln. Gesammelt und unter Mitwirkung des Verfassers deutsch herausgegeben von Dr. Hans Kurella. G. H. Wigand, Leipzig, 1894. 308 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:14:56.272137+00:00"}